Übersicht für die Presse 0110-02.20 1 Martin Kannegiesser

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Übersicht für die Presse
Martin Kannegiesser – Stationen und Erfolge
Seite
I. Lebenslauf
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II. Wichtige tarifpolitische Ereignisse in der Amtszeit
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III. Martin Kannegiesser – ein typischer deutscher Mittelständler
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IV. Martin Kannegiesser – Portraits und Zitate
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V. Die Metall- und Elektro-Industrie im Überblick
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I. Lebenslauf
Persönliche Daten:

geboren am 10. November 1941 Geburt in Posen (der Vater stammte aus Sachsen,
war Ingenieur im Flugzeugbau und kam nach dem Krieg mit seiner Familie als
Flüchtling nach Ostwestfalen)

1961: Abitur am Immanuel-Kant-Gymnasium, Bad Oeynhausen. Während der
Gymnasialzeit Engagement in der Schülermitverwaltung, u.a. Schulsprecher und
Bezirksschulsprecher sowie Herausgeber von zwei Schülerzeitungen

1961 bis 1965: Studium der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität
Köln, Abschluss als Diplom-Kaufmann. Während der Studienzeit regelmäßige
Tätigkeit in der 1948 gegründeten elterlichen Maschinenfabrik, zuständig für
Verkaufsförderung, Werbung, Messewesen sowie Betreuung verschiedener
Auslandsvertretungen.
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Beruflicher Weg

1.1.1966: Eintritt als Vertriebsleiter in die von seinem Vater geführte Maschinenfabrik
(Schwerpunkt: Hemden-Bügelmaschinen, 150 Mitarbeiter, umgerechnet rund 8 Mio. €
Jahresumsatz). Zu seinen Aufgaben als Vertriebsleiter gehörten die Suche und der
Aufbau neuer Produktprogramme, der Aufbau und die Verbreitung der Vertriebsbasis
und speziell des Exportgeschäftes sowie die Schaffung einer produktorientierten
Vertriebsorganisation.

Juli 1970: Mit 29 Jahren übernimmt Herr Kannegiesser nach einer Erkrankung des
Vaters die Geschäftsführung.

Februar 1974: Nach dem Tod des Vaters wird Herr Kannegiesser Inhaber des
Unternehmens (und hält 95 Prozent der Geschäftsanteile, 5 Prozent liegen bei der
Mutter, die maßgeblichen Anteil am Aufbau der Firma hatte).

Unter Martin Kannegiessers Führung wird die begonnene Verbreiterung des
Produktionsprogramms fortgesetzt. Speziell die Vermarktung der Bekleidungstechnik
wird internationalisiert mit eigenen Vertriebstöchtern in fünf Ländern sowie mit
Vertretungen und Stützpunkten in insgesamt 63 Ländern. KANNEGIESSER wird zu
einer der weltweit führenden Marken in der Bekleidungstechnik und zum Marktführer
für Fixiermaschinen. Später wird das Programm an Bügelpressen und Faltmaschinen
für Wäschereien systematisch ausgebaut. Der rasante Strukturwandel in der
Bekleidungsindustrie zu nahezu ausschließlicher Produktion in Asien veranlasste
Martin Kannegiesser dazu, dieses traditionelle Geschäftsfeld nach vorheriger
Abrundung komplett zu verkaufen. Parallel wurden fünf Firmen der Wäschereitechnik
erworben und unter der Marke Kannegiesser zu einem einheitlichen Vertriebs- und
Fertigungsverbund verschmolzen. Heute ist KANNEGIESSER auf dem Gebiet der
industriellen Wäschereitechnik Weltmarktführer, das Unternehmen hat völlig
veränderte Inhalte und Strukturen bekommen. Es gibt kein Aggregat der modernen
Wäscherei, von der Waschschleudermaschine über die Waschstraße bis zur
automatischen Sortiertechnik, das nicht von KANNEGIESSER hergestellt wird. Das
Unternehmen versteht sich als Technikpartner der Wäscherei mit den vier Sparten
Nassbereich, Flachwäsche-Bearbeitung (Bett- und Handtücher, Tischdecken, etc.),
Formteile-Bearbeitung (Berufsbekleidung) sowie Technische Dienstleistungen.
KANNEGIESSER sieht seine Stärke in Systemlösungen.
Das Unternehmen beschäftigt heute etwa 1.300 Mitarbeiter und stellt jährlich rund 25
Auszubildende ein. KANNEGIESSER erwirtschaftete 2010 einen Jahresumsatz von rund
260 Mio. €.
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Ehrenamtliche Tätigkeiten

1974 bis 1992: Engagement in der CDU-Mittelstandsvereinigung – zunächst als
Kreisvorsitzender in Herford, dann als Bezirksvorsitzender Ostwestfalen-Lippe,
stellvertretender Landesvorsitzender NRW und im Bundesvorstand der CDU (seit
1992 hat Martin Kannegiesser keine parteipolitischen Ämter mehr)

1975: Vorsitzender des Unternehmerverbands der Metallindustrie Bielefeld, Herford,
Minden (METALL Ostwestfalen) und damit Vorstandsmitglied von Metall NRW

1983: Vorsitzender des allgemeinen Arbeitgeberverbandes Herford

1988: Vorsitzender des Bildungswerks der ostwestfälisch-lippischen Wirtschaft
(BOW)

1994: Verhandlungsführer von METALL NRW

1996: Präsident und Verhandlungsführer von Metall NRW. In dieser Funktion handelt
er mit dem damaligen IG-Metall-Bezirksleiter Harald Schartau den zweijährigen
Pilotabschluss für 2000 und 2001 aus, der in inhaltlichem Zusammenhang mit dem
damaligen „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ steht und mit
seinen Lohnsteigerungen von 3,0 und 2,1 Prozent als beschäftigungsfreundlich gilt.
Außerdem gelang es Kannegiesser darin, die Forderung der IG Metall nach einer
„Rente mit 60“ abzuwehren – durch Einführung einer tariflichen Altersteilzeit.

1997 Vizepräsident von Gesamtmetall

seit 8.9.2000: Präsident von Gesamtmetall (jeweils für zwei Jahre gewählt; die
aktuelle Amtsperiode endet im September 2012)

seit 2000: Vorsitzender des Beirats der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
(Vorsitzender des Kuratoriums ist Prof. Dr. Hans Tietmeyer)

seit 2001: Stifter und Vorstandsmitglied der Stiftung Bildung zur Förderung
Hochbegabter in Vlotho (Vorstandsvorsitzende ist Ingrid Pieper-von Heiden)

seit 24.9.2010: Präsident des Dachverbandes CEEMET der europäischen Metall- und
Elektro-Arbeitgeberverbände (für zwei Jahre gewählt; die Amtszeit endet im Oktober
2012)
Auszeichnungen

1990: Bundesverdienstkreuz am Bande, verliehen insbesondere für die Verdienste
um die berufliche Aus- und Weiterbildung

2010: Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere in
Würdigung seines Engagements für die soziale Partnerschaft in der Gesellschaft
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II. Wichtige tarifpolitische Ereignisse in der Amtszeit als Gesamtmetall-Präsident
Martin Kannegiesser steht für einen pragmatischen, sozialpartnerschaftlichen und
zielorientierten Kurs gegenüber der IG Metall, der Interessen ausgleicht, ohne die jeweils
andere Seite zu überfordern oder übervorteilen. Er verteidigt die Tarifautonomie – weiß aber
auch, dass diese am besten dadurch vor staatlichem Zugriff geschützt wird, dass die
Tarifparteien ihren vom Grundgesetz verliehenen Gestaltungsauftrag verantwortungsvoll
nutzen und die Arbeits- und Einkommensbedingungen aktiv gestalten. Sein Credo:
Entscheidend für die jeweiligen Mitglieder (und wohl auch die Politik) ist nicht Lautstärke,
sondern Lösungskompetenz; betriebswirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen haben
Vorrang vor organisationspolitischen Motiven. Die Tarifpolitik darf nicht instrumentalisiert
werden. Sie darf in unruhigen Zeiten nicht zusätzlich Verunsicherung schaffen, sondern
muss kalkulierbar sein – für Unternehmen, Arbeitnehmer, Investoren und Verbände.
Gegenüber seinen Gesprächs- und Verhandlungspartnern ist Herr Kannegiesser verbindlich
in der Sache, versöhnlich im Ton und verlässlich im Wort.

2001: Gründung der MetallRente (zusammen mit der IG Metall). Sie ist inzwischen
das größte Branchenversorgungswerk Deutschlands mit 390.000 versicherten
Arbeitnehmern und fast 19.700 Mitgliedsunternehmen (Stand: August 2011).

2002/2003: Wegweisender Abschluss eines Entgeltrahmenabkommens (ERA) mit der
IG Metall zur kompletten Neubewertung sämtlicher Tätigkeiten in der Metall- und
Elektro-Industrie nach Leistungsanforderungen und Vergütung; mit dieser Zäsur
entfällt auch die bisherige Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten in
den Tarifverträgen.

2003: Abwehr der IG Metall-Forderung nach Einführung der tariflichen 35-StundenWoche in den neuen Bundesländern nach einem Arbeitskampf.

2004: Öffnung des Flächentarifvertrags für betriebsbezogene Ergänzungstarifverträge
zur Verbesserung der Wettbewerbs-, Investitions- und Innovationsfähigkeit der
Unternehmen („Pforzheim-Abkommen“). Seither können – mit Einverständnis der IG
Metall – für einen befristeten Zeitraum prinzipiell sämtliche tariflichen Standards in
grundsätzlich unbegrenztem Umfang unterschritten werden. Dies setzt i.d.R. voraus,
dass das Unternehmen im Gegenzug Beschäftigungsgarantien gibt und/oder
Investitionen zusagt und/oder Standorte erhält oder neu aufbaut.

2006: Stärkung der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge durch Einführung
eines Rentenbausteins (Umwandlung der bisherigen vermögenswirksamen
Leistungen in altersvorsorgewirksame Leistungen)

2006, 2007, 2008: In den Abschlüssen dieser Jahre manifestiert sich der Dreiklang
aus Tabellenerhöhung, Einmalzahlung und betrieblicher Komponente als fester
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Baustein einer modernen Tarifpolitik. Mit dieser Kombination gelingt es in normalen
Jahren recht gut, den Flächentarifvertrag so flexibel zu gestalten, dass er den sich
immer weiter auseinander differenzierenden Betriebs- und Branchenkonjunkturen in
der Metall- und Elektro-Industrie Rechnung tragen kann: Die Tabellenerhöhung
beteiligt die Mitarbeiter dauerhaft am Produktivitätszuwachs; Einmalzahlungen bilden
– z.B. in Form eines Konjunkturbonus – Einmaleffekte ab, ohne die Basis für spätere
Tarifabschlüsse anzuheben; die betriebliche Komponente schließlich sorgt dafür,
dass die Mitarbeiter in florierenden Betrieben angemessen beteiligt und Betriebe in
schwieriger Geschäftslage nicht überfordert werden. Diese betriebliche Komponente
beinhaltet i.d.R. die Möglichkeit, Tariferhöhungen vorzuziehen oder nach hinten zu
verschieben bzw. Einmalzahlungen aufzustocken oder zu kürzen.

2008: Der Tarifvertrag zum flexiblen Übergang in die Rente justiert die Altersteilzeit
neu und flankiert damit die „Rente mit 67“: Die Altersteilzeit kann i.d.R. erst später
und für einen kürzeren Zeitraum in Anspruch genommen werden. Arbeitnehmer, die
körperlich und geistig fit sind, werden somit länger im Erwerbsleben gehalten; jene,
die nicht mehr so lange arbeiten können, haben indes weiterhin die Möglichkeit zum
vorzeitigen Ausstieg. Positiver Nebeneffekt: Der Tarifvertrag kommt ohne zusätzliche
Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit aus, die Ende 2009 ausgelaufen ist.

2010: Der Tarifabschluss sichert in der größten Krise der Nachkriegszeit
Hunderttausende von Arbeitsplätzen, stabilisiert die Realeinkommen der
Beschäftigten und stellt zugleich für 2011 eine Tabellenerhöhung um 2,7 Prozent in
Aussicht – zum damaligen Zeitpunkt eine mutige Zusage. Die IG Metall verzichtet
erstmals in der Nachkriegsgeschichte auf eine bezifferte Lohnforderung und später
auf eine Tabellenerhöhung für 2010. Ebenso herausragend: Erstmals in der
Nachkriegsgeschichte gelingt den Tarifparteien eine Einigung noch innerhalb der
Friedenspflicht und ohne Streiks. Die verantwortungsvolle und konstruktive
Zusammenarbeit von Arbeitgebern, Gewerkschaft und Bundesregierung
(Erleichterungen der Kurzarbeit) gilt als Basis für das folgende „German
Beschäftigungswunder“ und zahlt sich rasch aus: Im Herbst 2011 hat die M+EIndustrie das Vorkrisenniveau der Produktion wieder erreicht und ein halbes Jahr
später auch die Jobverluste durch die Krise wieder aufgeholt.

2012: Der Tarifabschluss – von der IG Metall mit Forderungen nach unbefristeter
Übernahmegarantie für die Auszubildenden uns einem Vetorecht gegen Zeitarbeit
überfrachtet – erhält die Handlungsfreiheit der Unternehmen in der Personalpolitik,
bietet gleichzeitig aber bessere Perspektiven für schwächere Jugendliche, erfolgreich
Ausgebildete und bewährte Zeitarbeitnehmer.
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III. Martin Kannegiesser – ein typischer deutscher Mittelständler
Martin Kannegiesser ist ein Familienunternehmer
der ersten Stunde: Seine Eltern bauen unmittelbar
nach dem Krieg das Unternehmen auf – in einer
Holzbaracke. Er tritt früh in den Betrieb ein und
erlebt die gesamte Nachkriegsgeschichte:
Wiederaufbau und Wirtschaftswunder, dann die
Internationalisierung, aber auch eine komplette
Neuausrichtung der Geschäftsfelder.
Die Firma Kannegiesser ist einer der vielen mittelständischen Weltmarktführer, die in den
Medien nahezu unbekannt sind. Für sie alle gilt das Motto „in Deutschland verwurzelt,
weltweit vernetzt“: Beinahe täglich sind die Unternehmer rund um den Globus im Einsatz,
doch die Heimat ist ihre stabile Basis, hier engagieren sie sich und übernehmen soziale und
gesellschaftliche Verantwortung – in Kommunalparlamenten und Verbänden, als Stifter,
Mäzene oder als Förderer von Kultur- und Sportvereinen.
Martin Kannegiesser kennt die Wurzeln der Sozialen Marktwirtschaft aus eigenem Erleben.
Er hat an der Universität Köln bei Alfred Müller-Armack studiert. Martin Kannegiesser ist
bescheiden, bodenständig und steckt – anders als Manager von Großkonzernen, die nicht
mit eigenem Geld und auf eigenes Risiko arbeiten – seine Gewinne in den Ausbau des
Unternehmens. Insofern steht er vorbildlich für die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft:
Haftung, Eigenverantwortung und Subsidiarität. Im Jahr 2000 gründet er mit den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft
als unabhängiges und überparteiliches Netzwerk. Aufgabe der INSM ist es, für das
Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft zu werben, die Akzeptanz marktwirtschaftlicher
Reformen in der Bevölkerung zu erhöhen sowie ein positives Bild unternehmerischer
Betätigung zu vermitteln. Dazu verbindet die INSM erstmals die Expertise eines think tank
mit der Kampagnenerfahrung einer PR-Agentur.
Nach dem Eindruck Kannegiessers wird die Bedeutung des unternehmerischen Wirkens von
der Gewerkschaft häufig und gelegentlich auch von der Politik unterschätzt. Dieser
dispositive Faktor (Gutenberg) ist für ihn einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren der
Marktwirtschaft, die sprichwörtliche „Hefe im Kuchenteig“: Ohne sie geht auch bei
Verwendung bester Zutaten und unter optimalen Rahmenbedingungen der Kuchen nicht auf.
Kannegiesser hält motivierte, lern- und leistungsbereite Teams und das kollektive Wissen
der Mitarbeiter für einen wesentlichen Erfolgsfaktor der Unternehmen. Die Stammbelegschaften müssen deshalb gepflegt und entwickelt werden. Wenn Kannegiesser
„Betrieb“ sagt, meint er nicht allein das Unternehmen, sondern immer beide Seiten:
Geschäftsleitung und Belegschaft.
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Er wirbt für eine weitreichende Einbeziehung der Betriebsräte, unabhängig von tariflichen
und gesetzlichen Vorgaben, aber auch für eine klare Zuordnung der Verantwortlichkeiten:
Die Dispositionsfreiheit des Unternehmers – die untrennbar mit dem Prinzip der Haftung,
also dem Einsatz eigenen Geldes, verknüpft ist – darf nicht durch eine zu weit gehende
Mitbestimmung ausgehebelt werden. Entscheiden kann und muss am Ende immer nur der
Unternehmer, weil auch dieser ganz alleine die betriebswirtschaftliche und soziale
Verantwortung für das Wohlergehen des Unternehmens und seiner Belegschaft trägt.
IV. Martin Kannegiesser – Portraits und Zitate
Portraits
„Der Versöhner“, Hendrik Ankenbrand in der F.A.S. (2012)
Da ist diese Geschichte aus der Schule. Kant-Gymnasium in Bad Oeynhausen, Anfang der
Sechziger. „Das Blitzlicht“ hieß die Schülerzeitung, ihr Chefredakteur ist Martin
Kannegiesser. Seine ersten Lebensjahre hatte er in Posen verbracht, war 1941 in der
Hauptstadt der „neuen Ostgebiete“ geboren worden. 18 Jahre später gehörte Posen wieder
zu Polen, und Kannegiesser war ein Fabrikantensohn in Ostwestfalen.
Zwischen Minden und Höxter leben die meisten Schäferhunde Deutschlands. Die Menschen
hier halten es auch mal vier Stunden lang ohne ein Wort aus. Dogmen halten dafür ein
Leben lang. Im „Blitzlicht“ schrieb Kannegiesser einen flammenden Aufsatz: Nie wieder
dürften die Ostgebiete zu Deutschland gehören, niemals, nur in einem vereinten Europa. Im
Nachkriegsmief verstand das mancher als Provokation, und genau so war es auch gemeint.
Der Schüler musste zum Rapport: was er sich da anmaße. Konsequenzen lagen in der Luft,
aber Kannegiesser redete drauflos. Am Ende waren alle besänftigt. Er flog nicht, aber der
Artikel war in der Welt. Kannegiesser hatte sein Ziel erreicht, am Ende kriegt er immer das,
was er will: 70 Jahre ist der Mann alt, als Unternehmer umgarnt er die Kunden aus den
Großwäschereien, bis die seine teuren Waschstraßen kaufen, durch die Tonnen an
Bettwäsche aus Hotels und Krankenhäusern läuft. Als Arbeitgeberpräsident der
Metallindustrie redet er auf die Gewerkschafter ein, bis denen das S-Wort vom Streik nicht
mehr über die Lippen kommt.
In der Nacht zum gestrigen Samstag redete Kannegiesser noch um vier Uhr in der Früh. 18
Stunden saßen sich Arbeitgeber und Gewerkschafter in der Stadthalle Sindelfingen
gegenüber, Kannegiesser im Nebenzimmer, dann stand fest, dass die 3,6 Millionen
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Beschäftigten in der deutschen Metall- und Elektroindustrie vier Prozent mehr Lohn erhalten.
Das ist mehr als die Inflation, aber die IG Metall hat trotzdem nicht gewonnen: Zwar müssen
die Betriebe wie gefordert künftig Ausgebildete unbefristet übernehmen, aber nur, wenn der
Arbeitgeber sie benötigt. Ob dem so ist, darüber entscheidet er zuvor allein.
Vor allem aber bei der Leiharbeit standen die Verhandlung auf Messers Schneide. Die
Arbeitgeber setzten sich durch. Leiharbeiter werden übernommen - nach zwei Jahren. Das
ist weit weg von dem, was die Metaller wollten. Das würde Kannegiesser niemals so sagen.
Er sagt: „Wir sind wirklich aufeinander zugegangen.“
Kommunikation ist Kannegiessers leichteste Übung. Er kann einnehmend sein. Als
Kannegiesser auf der Wäscherei-Messe Texcare Anfang Mai seine Maschinen ausstellte,
war er die kompletten fünf Tage dabei. Die Amerikaner und Franzosen, die über seinen
Stand streiften, wollten den Firmenchef treffen. Mittwochnacht, als die Tarifgespräche in
Sindelfingen das erste Mal feststeckten, stand Kannegiesser morgens um viertel nach drei
auf der Terrasse der Stadthalle und redete auf IG-Metall-Chef Berthold Huber ein, fünf
Minuten lang. Dann lief es wieder.
6,5 Prozent mehr Lohn wollte die IG Metall. „Wenn dem Esel zu wohl ist, dann geht er aufs
Eis tanzen“, sagt Kannegiesser. So redet er. Wirft mit Sprichwörtern und schlingt
Wortgirlanden. Die Gewerkschafter dürften nicht „das Schaufenster einwerfen“. Die 17
Millionen Euro für VW-Chef Martin Winterkorn? Wie bei „Sterntaler“ - ein Einzelfall. Die
IGMetall erinnerte ihn an den „Rattenfänger von Hameln“.
Daraufhin warf die Gewerkschaftsjugend eine nasse Plüschratte ans Gesamtmetall-Haus in
der Berliner Voßstraße, aber sonst passierte nicht viel. Kannegiesser ist kein Scharfmacher.
Er ist ein Versöhner. Viel zu lasch springe er mit den Gewerkschaftern um, heißt es aus
anderen Verbänden. Früher hat er sich in Krisenjahren auf Einkommenssteigerungen
eingelassen, für die andere Funktionäre geflogen wären.
Er nicht. Am Ende wissen die Unternehmer, was sie an ihm haben. Immer wieder hat
Kannegiesser betriebliche Öffnungsklauseln durchgedrückt, die Tarifverträge aufgeweicht. Er
geht mit seinem Erfolg nur nicht hausieren. Stattdessen hält er die Gewerkschafter bei
Laune. Kurz vor Weihnachten forderte er zur Rente mit 67, es müsse auch künftig möglich
sein, kürzer zu arbeiten.
Als die IG Metall Kannegiesser im November zum 70. Geburtstag gratulierte, schrieb sie, der
Arbeitgeberführer rede wie ein Gewerkschafter: „Schade, dass er von der anderen Seite ist.“
Dass die Konzerne still und leise in den vergangenen Jahren Sonderzahlungen
abgeschmolzen hatten, war nicht zu lesen.
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Um Kannegiessers Image steht es bestens. Seinen Ehrentag im November nutzte er für eine
Verbandstagung in Berlin. Vor fünf Jahren, als er 65 wurde, arbeitete er den Tag durch und
flog anschließend nach Italien. Zur Wäscherei-Messe.
Kannegiesser ist keiner aus dem Elfenbeinturm, Kannegiesser ist aus Vlotho. Das
Fachwerkstädtchen ist mit 20.000 Einwohnern noch kleiner als Bad Oeynhausen. Vlotho hat
zwei Mal Schlagzeilen gemacht: 1951, als beleidigte Vlothoer einen britischen Armeeoffizier
anfielen, weil er eine unkonventionelle Fahrtroute wählte. Und vor drei Jahren, als Wahlhelfer
in der Vlothoer Grundschule auf der Wahlurne eine Zigarrenkiste mit Schlitz plazierten. Als
Kaffeekasse.
Mehr Action ist nicht. Nur alle zwei Jahre ist in Vlotho und Umgebung kein Hotelbett zu
bekommen, da veranstaltet Kannegiesser seine Hausmesse, zu der 4000 Menschen nach
Ostwestfalen reisen. Sie wollen die riesigen Waschmaschinen sehen. Kannegiesser hat sich
den Markt mit einem einzig verbliebenen Konkurrenten aufgeteilt.
Das macht den Funktionär Kannegiesser glaubwürdig: Dass er Unternehmer ist, monatlich
1300 Menschen Lohn und Gehalt überweist und zusehen muss, dass die teuren
Waschstraßen, die er den Großwäschereien dieser Welt verkauft, nicht zu teuer werden:
Wooosh, macht die Maschine und saugt die Bettwäsche und Handtücher aus den Hotels und
Krankenhäusern vorne in den chromblitzenden Schacht. Hinten fällt sie sortiert und gefaltet
wieder raus. Kannegiessers Transportsysteme sehen aus wie Sessellifte. Wunderwerke der
Technik, ständig feilen seine Ingenieure an neuen Ideen, wie die Wäsche schneller
gewaschen werden kann.
Die chromblitzenden Ungetüme mit Trommeldurchmessern von zwei Metern kosten schnell
mal eine halbe Million Euro, das müssen sie ihren Käufern erst mal wieder einspielen. Auf
der Frankfurt Messe kam ein Osteuropäer auf den riesigen Kannegiesser-Stand in Halle D,
sah sich die Maschinen an, sah in die Preisliste und fragte: Ob man sich im Klaren sei, dass
in seinem Herkunftsland eine Wäscherin 400 Euro monatlich kriege. Brutto.
Wenn auf der Welt die Löhne hoch sind, dann ist das gut für den Unternehmer
Kannegiesser, der als Funktionär für niedrige Löhne kämpft. Gehen in den Schwellenländern
die Löhne hoch, kaufen die Firmen seine Maschinen, die den Menschen ersetzen und die
Arbeit billiger machen. Dass Kannegiessers Waschmaschinen noch so selten nach China
verschifft werden, hat auch damit zu tun, dass in den Pekinger Hotels die Chinesen die
Wäsche noch von Hand waschen. Kannegiessers Waschstraßen sind so teuer, dass die
Lohnstückkosten in Vlotho zwar wichtig sind für die Kalkulation, wirklich entscheidend sind
sie aber eher bei der Montage.
Das bedeutet nicht, dass Kannegiesser so viel zahlt wie in die Industrie. Mag er noch so
beliebt sein, seinen Leuten, heißt es in Vlotho, verlange er alles ab. Sich selbst auch.
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„Hobbys? Hab ich nicht“, sagt Kannegiesser. Lieblingsschriftsteller? Fällt ihm keiner ein. 70
Prozent Unternehmen, 70 Prozent Verband, hat mal einer über seine Zeiteinteilung gesagt.
Freitags, wenn Kannegiesser aus Berlin zurück ist, treten die Führungskräfte an. Wer nicht
auf Zack ist, hat ein Problem. Er hasse es, sagt Kannegiesser, wenn sich Mitarbeiter „nicht
mit vollem Herzen“ engagierten. Er selbst verbringt die Wochenenden „im Turm“, seinem
Arbeitszimmer am Kannegiesser-Ring.
Wenn Messe ist, kauft Kannegiesser kein externes Catering ein, er lässt die Auszubildenden
bedienen - die wären sonst beleidigt, heißt es. Dafür ist die Ausbildungsquote mit zehn
Prozent doppelt so hoch wie bei Daimler. In der Regel werden alle übernommen.
Kannegiesser beschäftigt auch Leiharbeiter. „Da ist die Schere in den vergangenen Jahren
auseinander gegangen“, sagt er über die Gehaltslücke zum festen Angestellten. Er hat nichts
dagegen, die Schere wieder weiter zuzuklappen, aber nur freiwillig.
Ludwig Erhard war mal in Vlotho und hat die Firma besucht, Martin Kannegiesser studierte
einst in Köln bei Alfred Müller-Armack, dem Erfinder des Begriffs Soziale Marktwirtschaft.
Kannegiesser ist der Inbegriff jenes Unternehmertypus: mit großem Verantwortungsgefühl,
aber entscheiden will er selbst.
Nach der Schülerzeitung wollte er Journalist werden. Er liebäugelte mit einem Job bei
Bertelsmann. Später hätte er sich fast mal in eine große Regionalzeitung eingekauft.
Der Vater starb früh. Sohn Martin, bereits im Betrieb, wurde mit 29 Chef. „Im Rückblick
würde ich mich nicht noch einmal in jungen Jahren zu einseitig auf berufliche Fragen
fixieren“, sagt Kannegiesser. Seine Tochter studiert Wirtschaft, aber der Vater zwingt sie zu
nichts. Zurück nach Vlotho beispielsweise. „Das würde nie funktionieren“, sagt
Kannegiesser. „Hätte es bei mir damals auch nicht.“ Glaubt man ihm sofort.
„Metaller mit Bügelfalte“, Henrike Roßbach in der F.A.Z. (2009)
Er ist ein Unternehmerkind. Dass er in den Familienbetrieb einsteigen würde, war keine
Frage. Heute steht er an der Spitze – der Firma und der Metaller.
Er ist nicht mit dem, er ist im Unternehmen seines Vaters aufgewachsen. Die Gründung
1948 fiel in das Jahr seiner Einschulung, und von da an waren Familie und Firma eins. Die
eine Welt schwappte in die andere über, so lange, bis die Übergänge verwischt waren. Es
war die Welt der Nachkriegsgründer, in der Martin Kannegiesser seine Kindheit und Jugend
verbrachte. Eine Welt, in der die Kunden abends mit am Tisch saßen, in der er schon als
Junge kleine Aufgaben in der Firma übernahm und als Fünfzehnjähriger in London alleine
einen Messestand betreute. „Der Betrieb war mein Spielplatz“, sagt er, „ich kannte jeden.“
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Dass er einmal in das Familienunternehmen einsteigen würde, war für ihn nie eine Frage. Es
war eine Tatsache.
Am Anfang war die Herbert Kannegiesser GmbH aus Vlotho, Ostwestfalen, nicht mehr als
eine Vier-Mann-Schlosserei in einem Schuppen. Die Geschäftsidee waren Bügelmaschinen;
der Vater konstruierte und verkaufte die Hemdenpressen, die Mutter erledigte die Büroarbeit.
„Wie das eben so war in den kleinen Betrieben“, sagt der Sohn. Heute hat das Unternehmen
1200 Mitarbeiter. 240 Millionen Euro setzt der Spezialmaschinenbauer jährlich um und ist
damit einer von zwei Weltmarktführern der industriellen Wäschereitechnik. Kannegiesser
produziert in Deutschland an fünf Standorten, außerdem noch in England. Insgesamt ist das
Unternehmen in 43 Ländern präsent, in 14 mit eigenen Gesellschaften.
Kannegiesser ist ein freundlicher Mann von kleiner Statur, mit einem ruhigen, bescheidenen
Auftreten. In der Sache gilt er als hart, sein Wesen ist herzlich. Er wählt seine Worte mit
Bedacht. Bevor er auf eine Frage antwortet, denkt er sorgfältig nach. Er ist gut darin, ein
solches Schweigen auszuhalten. Sich selbst rückt er ungern in den Mittelpunkt. Im
Scheinwerferlicht soll lieber sein Unternehmen stehen – oder Gesamtmetall. Seit dem Jahr
2000 ist er Präsident der Metallarbeitgeber. Seine derzeitige Amtszeit, es ist die fünfte, endet
im Juni 2010. Es soll die letzte sein, doch eine gemütliche Abschiedstournee wartet nicht auf
ihn. Gerade erst hat er, mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit vielen Jahren, einen
neuen, komplexen Tarifvertrag mit der Industriegewerkschaft Metall abgeschlossen. Und
auch als Unternehmer wird ihn die Krise in Atem halten.
„Nur Unternehmer zu sein, mich allein auf Betriebswirtschaft und Technik zu konzentrieren
hätte mir nicht gereicht. Aber nur das andere wäre auch nicht genug gewesen“, sagt er über
sein Doppelleben zwischen Berlin und Vlotho. „Ich wollte mich neben der Gestaltung des
Unternehmens immer für eine Gemeinschaft engagieren, etwas tun, das über das
Geldverdienen hinausgeht.“ Das Pendeln zwischen den Welten ist schwierig und aufreibend.
„Das kostet das Unternehmen auch etwas, weil es Kraft von ihm abzieht, nämlich die des
Unternehmers.“
Wenn er durch die Produktionshallen in Vlotho geht, fällt ihm zu jeder Maschine etwas ein.
Er spricht von Formwäsche und Flachwäsche, von Entwässerung und Falttechnik. Er kennt
Daten und Zahlen, weiß wie viele Bettlaken eine Maschine in der Stunde schafft. Er ist
keiner, der sich nur in seinem Büro mit Blick über das hügelige Grün Ostwestfalens sicher
fühlt. Er ist auch in seinem Element, wenn er auf der Messe neben den gigantischen
Waschtrommeln seiner Firma steht. Dann trägt er die gleiche Krawatte wie seine Mitarbeiter
und erklärt den Kunden, warum sie mit der neuen Technik Wasser und Strom sparen und
wie die Maschine nebenan es schafft, rote von grünen Kitteln zu unterscheiden, bevor sie sie
hübsch ordentlich faltet.
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Dabei ist Martin Kannegiesser, anders als sein Vater Herbert, kein gelernter Techniker. Nach
dem Abitur studiert er Betriebswirtschaftslehre in Köln. „Mein Weg war sehr, sehr
vorgezeichnet“, sagt er. Betrübt oder gar wehmütig klingt er dabei jedoch nicht. Es sei nicht
so gewesen, dass ihn der Vater in die Fußstapfen gezwungen hätte. Vielleicht hätte er sogar
etwas anderes gemacht; die Publizistik etwa interessierte ihn. Doch da gab es dieses
wachsende Unternehmen, seine Heimat, seine Betriebsfamilie.
Und so stellt sich der Abiturient jene Fragen, die ihn vielleicht hätten zweifeln lassen, erst gar
nicht. Stattdessen zieht er sein Studium in acht schnellen Semestern durch und übernimmt
nebenbei erste Aufgaben im Unternehmen. Mit dem Diplom in den Händen will er eigentlich
erst eine Zeitlang anderswo arbeiten. Einen Fünf-Jahres-Vertrag hat er schon. Doch der
Vater sagt, fünf Jahre sind zu lang, komm lieber gleich. Vielleicht ahnt er, dass das
Unternehmen den Sohn früher brauchen wird als geplant. Und wirklich. Martin Kannegiesser
hat wenig Zeit, in seine Rolle hineinzuwachsen. Kurz nach seinem Eintritt in den Betrieb
erleidet der Vater einen Schlaganfall. Fortan ist er gesundheitlich stark beeinträchtigt. 1970
dann der zweite, schwere Schlaganfall. Der Sohn, 28 Jahre alt, übernimmt die Führung des
Unternehmens. Vier Jahre später stirbt der Vater.
Seine neunzigjährige Mutter, die sich heute noch für das Geschehen im Betrieb interessiert,
ist ihm in all den Jahren eine wichtige Vertraute gewesen. Bis 1980 arbeitete sie im
Unternehmen mit. Sie war es, die die Internationalisierung und den Export vorantrieb. Sie
spricht mehrere Sprachen, „und ihre Stärke war immer das Knüpfen von Netzwerken“, sagt
Kannegiesser. Auf diese Weise ist aus der Holzschuppen-GmbH im Laufe der Jahre ein
Weltunternehmen geworden. Doch so märchenhaft die Geschichte auch klingt, sie ist mit
vielen Rückschlägen und Krisen verbunden. „Häutungen“ nennt Kannegiesser das. Immer
wieder mussten sie sich neu aufstellen, immer wieder wandelten sich die Märkte.
In den sechziger Jahren machten neue, bügelfreie Stoffe dem Unternehmen zu schaffen,
dann wanderte die Textilindustrie – wichtiger Abnehmer von Bügelmaschinen – nach und
nach ab. Vor dem größten Umbruch stand das Unternehmen dann Anfang der neunziger
Jahre, als es endgültig Abschied vom Hemdenbügeln nahm. Die Sparte wurde abgespalten
und verkauft, Kannegiesser setzte stattdessen komplett auf Wäschereitechnik. Heute bauen
und verkaufen die Ostwestfalen alles von Waschschleudermaschinen über Trockner bis zu
Mangelstraßen; auch komplette Wäschereien richten sie schlüsselfertig ein. Übrigens setzt
die Familie Kannegiesser auch privat auf Wäscherei statt Waschmaschine. Einmal in der
Woche wird alles abgeholt. „Ich kann das sehr empfehlen“, sagt der Chef und guckt
verschmitzt durch seine Brille.
Der Kampf mit dem Strukturwandel war nicht der einzige Kampf, den sie in Vlotho geführt
haben. Auch zwischen Führung und Betriebsrat gab es Gefechte. Erst mit den Jahren
wandelte sich das Betriebsklima von Konfrontation zu Kooperation. „Wir haben nur noch
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gestritten“, erinnert sich Kannegiesser an die harten Jahre. Doch irgendwann erkannten
beide Seiten, dass es so nicht mehr geht. Sie versuchten etwas Neues. Der Betriebsrat
durfte eigene Vorschläge zur Umstrukturierung machen, die Parteien ließen sich von außen
moderieren, und nach und nach wurde auf Gruppenarbeit umgestellt. Die Mitarbeiter
bekamen mehr Freiraum, aber auch mehr Verantwortung. „Es war mühsam“, sagt
Kannegiesser, „aber dadurch ist eine neue Kultur entstanden.“ Er schätzt eine solche Kultur
des Miteinanders. Nicht nur als Unternehmer, auch als Arbeitgeberchef. Am Ende eines
Streits, eines Tarifstreits zum Beispiel, soll ein Konsens stehen, mit dem beide Seiten leben
können.
„Menschen in einem Team zusammenzubinden, das ist der rote Faden in meinem Leben“,
sagt Kannegiesser. Während seiner Schulzeit war er Klassensprecher, Schulsprecher,
Bezirkssprecher. 1969 trat er in die CDU ein, weil ihm der Gedanke der Volkspartei gefiel.
Von Mitte der siebziger bis Anfang der neunziger Jahre war er in mehreren Gremien der
CDU-Mittelstandsvereinigung, zuletzt im Bundesvorstand. Gleichzeitig kletterte er im
Arbeitgeberlager die Karriereleiter nach oben. Wie lange er noch an der Spitze seiner Firma
stehen wird, hat er noch nicht entschieden. Seine Tochter wird ihm nicht nachfolgen; sie hat,
anders als er früher, abweichende Pläne. Kannegiesser kann sich eine Stiftung vorstellen.
Eine Führungsmannschaft hat er schon. „Die wird immer besser“, sagt er. Aber zu wohlig will
er auch nicht wirken. „Ein Unternehmer darf sich keine Selbstzufriedenheit leisten. Das ist
der Anfang vom Untergang.“
„Vereint im Schützengraben“, Matthias Schiermeyer in der Stuttgarter Zeitung (2007)
Kooperation im Klassenkampf: der Unternehmer und sein Betriebsrat. Portrait der Firma
Kannegiesser
Ein frisch gewaschenes und akkurat gebügeltes Hemd ist nicht mehr das A und O, wenn die
Mitarbeiter der Firma Kannegiesser beim Chef Eindruck hinterlassen wollen. Seitdem das
ostwestfälische Familienunternehmen keine Bügelmaschinen mehr herstellt, legt der Chef in
dieser Angelegenheit mehr Toleranz an den Tag als früher. Jahrzehnte zuvor, als das
Bügeln eine Domäne der Firma war, wehte noch ein anderer Wind. Da spielte der gepflegte
Zustand des Oberhemdes am Leib des Angestellten eine große Rolle. Da konnte der
Mitarbeiter nicht nur dem Chef, sondern auch dem Bügelmaschinenkäufer sogleich den
perfekten Sitz von Kragen und Manschetten demonstrieren.
Heute hat Martin Kannegiesser andere Sorgen, als über Manschetten nachzudenken. Seine
Firma produziert industrielle Wäschereitechnik und tut das so gut, dass weltweit kaum ein
Konkurrent Anschluss halten kann. So eine Spitzenposition fällt keinem Unternehmen in den
Schoß, sie will erkämpft und verteidigt werden - unablässig. Der Verkauf einer jeden
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Maschine zählt, damit die Produktion ausgelastet ist. Die Zukunft wird immer unsicherer. Die
nächsten zehn Jahre glaubt Kannegiesser im Griff zu haben. Was dann kommt, kann auch
er nicht vorhersagen. Schließlich ist er ein Unternehmer und der Präsident des
Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall - und kein Prophet.
In Vlotho entstehen keine banalen Waschmaschinen, sondern 20 Meter lange
Waschstraßen. Ob in Altenheimen, Kliniken oder Hotels - wo immer große Wäscheberge
abzutragen sind, liefert Kannegiesser schweres Räumgerät: Bis zu eineinhalb Tonnen frisch
gewaschener Wäsche spuckt so eine Anlage stündlich aus. Mangelstraßen mangeln
vollautomatisch Tisch- und Bettwäsche, Faltroboter falten bis zu 2000 Wäscheteile in der
Stunde.
Dem Gerangel auf den Weltmärkten kann so ein Nischenunternehmen nur trotzen, wenn
Chef und Belegschaft an einem Strang ziehen. Miteinander statt gegeneinander - das war
nicht immer so. "Früher hat der Betriebsrat versucht herauszuholen, was zu holen war",
erinnert sich der heutige Betriebsratschef Friedhard Fichtner. Auf Mitarbeiterversammlungen
sei es hoch hergegangen. "Die Schuld lag aus unserer damaligen Sicht immer bei der
Geschäftsleitung." Der Chef sei ein typischer Unternehmer gewesen, dem man vor das Knie
treten musste.
Kannegiesser hat den Betriebsrat in dieser Zeit oft als Behinderung empfunden. Ob es um
Überstunden oder Versetzungen ging - die Arbeitnehmervertreter sagten gerne Nein. Sehr
mühsame Verhandlungen waren das. Das Gezerfe währte so lange, bis sich Anfang der
neunziger Jahre die Wirtschaftslage zuspitzte. Empfindliche Einschnitte wurden notwendig,
um ein Debakel zu verhindern. Fichtner bemerkte Resignation bei Kannegiesser angesichts
der gegenseitigen Blockade und nahm das Angebot zum offenen Dialog an. Ein ehrliches
Gespräch reichte, um dem Betriebsratschef die Augen zu öffnen: "Da merkte ich: Der will
das Gleiche wie ich. Wir reden in einer Sprache - nur aneinander vorbei", schildert Fichtner.
Von da an gingen der Unternehmer und sein Betriebsrat die Probleme Hand in Hand an.
Nachdem sie zwei, drei schwierige Situationen gemeistert hatten, ergab sich ein
Vertrauensverhältnis. Wer einmal nebeneinander im Schützengraben liegt und heil wieder
herauskommt, findet eher eine gemeinsame Basis. Kannegiesser verließ sich darauf, dass
es dem Betriebsrat nicht darum ging, kurzfristig das Maximum herauszuholen, sondern
langfristig mitzuwirken - selbst wenn das zunächst mit Opfern verbunden war. Umgekehrt
wussten Betriebsrat und Belegschaft, dass es dem Chef nicht darum ging, Gewinne um der
Gewinne willen zu machen.
Heute diskutieren sie oft und tabulos miteinander. Sie reagieren zeitig, bevor sich ein
Engpass auftut. Der Betriebsrat gießt kein Öl ins Feuer, wenn ein Auftrag es erfordert,
samstags zu arbeiten, sondern erklärt den Mitarbeitern, warum dies so sein muss. Solange
Arbeit da ist, wird gearbeitet - wenn nötig, bis an die Grenze des Zulässigen. Auch dank der
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Beweglichkeit der Mitarbeiter, die Überstundenzuschläge überflüssig macht, musste seit
vielen Jahren nicht mehr betriebsbedingt gekündigt werden. Die 35-Stunden-Woche gibt es
noch und das Weihnachtsgeld auch. Von so viel Sicherheit darf in vielen anderen Betrieben
nur geträumt werden.
Als Präsident hat es sich Kannegiesser zur Aufgabe gemacht, Kooperation statt
Konfrontation zu predigen. Wo die Rogowskis dieser Republik draufhauen, versucht er zu
vermitteln. Auch sein eigener Führungsstil daheim in Vlotho ist auf Konsens ausgerichtet. Es
war ein Lernprozess, den der 63-Jährige hinter sich bringen musste. Am Anfang hatte er
Schwierigkeiten loszulassen und zu delegieren. Dann wuchs die Fähigkeit, Mitarbeiter in
ihrer Persönlichkeit und ihren fachlichen Fähigkeiten zu respektieren. Heute verlässt er sich
auf seine Leute. Seine Aufgabe bei Gesamtmetall verführte Kannegiesser nicht dazu,
anhand des eigenen Betriebs zu demonstrieren, wie ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die
Knute gibt. Ein Modellunternehmen will er nicht regieren. Verband und die Firma - das sind
zwei Paar Schuhe. In Heller und Pfennig zahlt sich sein prominentes Ehrenamt ohnehin nicht
aus. "Wir verkaufen deswegen nicht eine Faltmaschine mehr in der Welt", versichert
Kannegiesser.
Offenheit schafft Vertrauen. Ein Unternehmer, der seine Bilanzen unter Verschluss hält,
erregt Argwohn. Bei Kannegiesser fühlt sich der Betriebsrat zwar nicht überhäuft mit
Informationen, aber ihm fehlt auch nichts von dem, was er gerne wüsste. Die Beschäftigten
können jederzeit nachvollziehen, wofür die Gewinne verwendet werden.
Westfälisch derb drückt sich der Betriebsratschef aus, um das Verhältnis der Mitarbeiter zu
ihrer Firma zu beschreiben. Sie würden sich für das Unternehmen "vierteilen" und "den Kopp
abhauen" lassen, sagt Fichtner. Und sie möchten am liebsten "mit der Axt dazwischenhauen", wenn ihr Chef in einer Talkshow hart angegangen wird.
Eingebettet in die sanften Erhebungen des Weserberglandes erscheint das Unternehmen
wie ein Biotop inmitten der rauen industriellen Realität. Einigkeit bringt hier den Erfolg.
Müsste das, was bei Kannegiesser funktioniert, nicht auch andernorts machbar sein? Tue es
auch, sagt er. "Der größte Teil der unternehmerischen Wirklichkeit spielt sich nicht auf
offener Bühne ab. Es gibt in Deutschland zigtausender solcher Biotope - sie sind nur nicht
sichtbar."
„Weltmeister mit Waschmaschinen“, Wolfgang Pott in der Welt am Sonntag (2004)
Er ist nicht nur Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Martin Kannegiesser ist
zudem Marktführer mit industrieller Wäscherei-Technik.
Christos verhüllter Reichstag ziert als Bild das Besprechungszimmer von Martin
Kannegiesser. "Nein, nein", wiegelt er ab, eine politische Aussage wolle er damit nicht
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herüberbringen. Das Motiv habe ihm lediglich gefallen. Doch es wird nur selten vorkommen,
dass ein Treffen mit Kannegiesser in diesem Raum ohne ein Gespräch über Politik, über
Tarife, über Gewerkschaften und Löhne verläuft. Der 62-Jährige steht seit September 2000
an der Spitze des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Zuvor war er Präsident und
Verhandlungsführer des mächtigen Landesverbandes Metall NRW. "Alles ehrenamtlich",
lässt Kannegiesser in einem Nebensatz durchblicken. Denn im Hauptberuf leitet er im
ostwestfälischen Vlotho die Herbert Kannegiesser GmbH, benannt nach seinem Vater.
Dass Martin Kannegiesser etwas von Firmenführung versteht, hat er in der Vergangenheit
immer wieder unter Beweis gestellt, seit er 1970 die Geschäftsleitung übernahm. Er brachte
das mittelständische Unternehmen weltweit an die Spitze in der Branche der industriellen
Wäscherei-Technik-Hersteller.
Eine übersichtliche Branche, deswegen ist die Konkurrenzsituation aber keineswegs weniger
hart. Einziger wirklicher Mitbewerber von Kannegiesser ist die börsennotierte belgische
Firma LBG, die ebenso wie Kannegiesser komplette Systeme liefern kann - von riesigen
Waschmaschinen, die in der Stunde jeweils mehr als eine Tonne Wäsche waschen, über
ebenso große Trockner bis hin zu logistischen Lösungen und dem entsprechenden
Wäscherei-Gebäude. Mit LBG ringt Kannegiesser täglich um 60 Prozent des Weltmarktes.
Bei der Unternehmensgründung 1948 war daran noch nicht zu denken. Kannegiessers Vater
startete mit vier Schlossern und spezialisierte sich auf Bügelmaschinen für die
Hemdenindustrie, ein Bereich in dem die Gesellschaft ebenfalls über Jahre weltweit eine
Monopolstellung besaß.
In den 70er Jahren machte das Hemdenbügeln nur noch einen geringen Teil der Aktivitäten
aus. Hinzu gekommen waren Produktionsprogramme für die Bekleidungs- und Textilindustrie
und für die Wäscherei. Doch die einst für gut befundene Diversifizierung wurde 20 Jahre
später eher als Last empfunden. "Wir hatten Breite, aber zu wenig Tiefe", erinnert sich
Kannegiesser. Die Rendite war stabil, aber bescheiden. "In den Spezialmärkten, in denen wir
uns bewegten, muss man weltweit die Nummer eins oder die Nummer zwei sein - die
Nummer drei ist oft schon gefährdet."
Und so vollzog Kannegiesser Anfang der 90er Jahre einen harten Schnitt. Der Fokus lag
fortan auf der Wäschereitechnik, alles andere wurde verkauft. Aus den Erlösen übernahm
die Gesellschaft wiederum vier Firmen aus ihrem neuen Spezialgebiet und gelangte damit an
die Weltspitze.
"Für den Umbau des Unternehmens haben wir zehn Jahre gebraucht", sagt Kannegiesser.
Ein normaler Zeitraum für eine solche Neuorientierung, befindet er. "Nach dieser Erfahrung
wundere ich mich immer über diese angeblichen Traummanager, die angeblich innerhalb
eines Jahres einen riesigen Konzern völlig neu aufstellen können. Heute weiß ich: das ist
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nicht möglich." Eine von vielen Erfahrungen, die der studierte Wirtschaftswissenschaftler im
Laufe seines Berufslebens gemacht hat, und die ihm in seinem "Nebenjob" als Arbeitgeberpräsident Gesamtmetall, der fast die Hälfte seiner Wochenarbeitszeit ausmacht, behilflich ist.
Zwar ist Kannegiesser mit 153 Millionen Euro Umsatz (2003) und 900 Mitarbeitern
Weltmarktführer, zwar besitzt das Unternehmen mittlerweile sechs Werke in Deutschland
und zudem eine weltweite Präsenz, dennoch blickt der Firmenchef nicht ausschließlich
rosigen Zeiten entgegen.
Denn mit zwei seiner Maschinenmodelle steht er vor größeren Wettbewerbsproblemen. Der
Grund: Die Produktion in Deutschland ist zu teuer. "Als mich ein Kunde fragte, was der
Unterschied sei zwischen einer Maschine, die in der Bundesrepublik Deutschland hergestellt
werde und einer aus Korea, lautete meine zynische Antwort: der Preis."
Eine zumindest theoretische Lösung des Problems mit der Konkurrenz aus Billiglohnländern
wäre der Aufbau eines neuen Produktionsstandortes in eben einem solchen Staat. Doch
diesen Schritt will Martin Kannegiesser vermeiden, er will stattdessen hierzulande Produkt
und Fertigung optimieren und damit höheren Kundennutzen erzielen. "Aber ob wir damit am
Ende Erfolg haben werden, kann ich noch nicht sagen."
Zitate
ZEIT 18.11.2010
Sie selbst sind gerade 69 geworden. Denken Sie gar nicht an den Ruhestand?
Das ist ein weites Feld. Es mag ja manche Menschen erstaunen, dass Arbeit auch Spaß
macht. Mir macht sie sehr viel Freude, das wünsche ich jedem.
Westfalen-Blatt, 5.2.2011
Zurück zu Ihrem 70. Geburtstag. Wie geht es für Sie danach weiter im Unternehmen und in
der Verbandsarbeit?
Der 70. Geburtstag ist für mich keine Deadline. Wie lange ich noch arbeite, hängt davon ab,
welche Aufgaben ich in den kommenden Jahren habe und wie die Nachfolgefrage zu lösen
ist. Wenn man einen Nachfolger gefunden hat, muss man das Gefühl dafür haben, wann der
richtige Zeitpunkt ist, sich ein Stück zurückzunehmen.
Wer hilft Ihnen, den richtigen Zeitpunkt zu finden?
Natürlich Freunde und die Familie. Aber letztlich kann man die Entscheidung nur selbst
treffen.
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Neue Westfälische, 3.7.2011
Ohne Martin Kannegiesser, ebenfalls noch in diesem Jahr 70 Jahre alt, können sich die
Mitarbeiter das Vlothoer Unternehmen gar nicht vorstellen. „Für mich ist er unersetzbar“,
verriet unlängst der Betriebsratsvorsitzende des Stammsitzes in Vlotho. (…) Martin
Kannegiesser denkt (noch) nicht ans Aufhören. „Was soll ich mir noch ein Hobby
anschaffen?“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Tagesspiegel, 1.8.2011
Bevor das Tarifspektakel beginnt, feiern Sie im November den 70. Geburtstag. Spüren Sie
keine Altersschwäche?
Selten. Allerdings geht es in unserer Industrie immer schneller rauf und runter, die Zyklen
werden kurzfristiger, die Produkte müssen ständig angepasst werden – das unternehmerisch
zu begleiten, zehrt schon an der Konstitution. Es wird alles immer schneller – aber das hat
mein Vater in den 60er Jahren auch schon gesagt.
Was haben Sie noch vor in den nächsten zehn oder 20 Jahren?
Wir wollen das Unternehmen weiter stabilisieren und unsere Kernstandorte hier in
Deutschland wetterfest machen. Dazu werden wir alle finanziellen Möglichkeiten einsetzen.
Unsere weltweite Präsenz möchte ich ausbauen, internationaler werden. Alles in allem ist es
eine wirklich tolle Aufgabe, die Mannschaft weiterzubringen, junge Leute in die Führung zu
integrieren.
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V. Die Metall- und Elektro-Industrie im Überblick
Schlüsselindustrie
Die Metall- und Elektro-Industrie ist der mit Abstand größte deutsche Industriezweig – sie
macht rund zwei Drittel des gesamten Verarbeitenden Gewerbes aus. Wichtigste Branchen
sind der Maschinenbau, die Automobilindustrie, die Metallverarbeitung, die Elektrotechnik
sowie Feinmechanik, Optik und Uhren. Die Unternehmen sind mittelständisch strukturiert: 71
Prozent haben weniger als 100 Beschäftigte, nur jedes 50. Unternehmen hat mehr als 1.000
Mitarbeiter.
Wachstumstreiber
Die rund 23.500 Betriebe der Metall- und Elektro-Industrie haben im Jahr 2011 fast 1.000
Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet – mehr als 60 Prozent davon im Ausland.
Beschäftigungsmotor und Wohlstandsgarant
Die Metall- und Elektro-Industrie beschäftigt mehr als 3,6 Millionen Mitarbeiter und 200.000
Auszubildende. Im Durchschnitt hat 2011 jeder Beschäftigte gut 48.000 Euro verdient – ein
internationaler Spitzenwert.
2011 zahlten die M+E-Betriebe 163 Milliarden Euro an Löhnen und Gehältern (inkl. der
Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung). Das heißt: Arbeitgeber und Arbeitnehmer der
Metall- und Elektro-Industrie speisen die Sozialkassen mit rund 50 Milliarden Euro im Jahr.
Spitzenverband
Gesamtmetall ist der Dachverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und ElektroIndustrie in Deutschland. Die 21 regionalen Mitgliedsverbände organisieren mehr als 6.500
Unternehmen mit mehr als 2,1 Millionen Beschäftigten. 13 Mitgliedsverbände sind
Tarifträgerverbände, die restlichen acht sogenannte OT-Verbände, die durch
Verbandsmitgliedschaft keine Bindung an den Flächentarif vermitteln (deren
Mitgliedsunternehmen aber nicht tariffrei sein müssen, sondern sich häufig am Flächentarif
orientieren oder mit der IG Metall einen Haustarifvertrag geschlossen haben).
Der Verband wird seit dem Jahr 2000 von Martin Kannegiesser als ehrenamtlichem
Präsidenten geführt. Er ist damit einer der am längsten amtierenden Verbandspräsidenten in
Deutschland. Die Hauptgeschäftsführung liegt schon zum zweiten Mal in den Händen einer
Frau: Seit 2010 führt Gabriele Sons die Geschäftsstelle mit fast 40 Mitarbeitern.
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