Inhaltsverzeichnis 1 UNTERSCHEIDUNG VON GEMÜTSLEBEN, TRAUER, UND DEPRESSION .. 4 1.1 Gemütsleben/Gefühlsleben.......................................................................................... 4 1.2 Trauer............................................................................................................................ 4 1.3 Depression ..................................................................................................................... 5 2 MEHRERE ARTEN VON DEPRESSION ............................................................ 5 Psychogene Depression ................................................................................................ 5 2.1 2.1.1 Reaktive Depression............................................................................................... 5 2.1.2 Neurotische Depression.......................................................................................... 6 2.1.3 Erschöpfungsdepression......................................................................................... 6 Endogene Depression ................................................................................................... 7 2.2 2.2.1 Monopolare oder periodische Depression.............................................................. 7 2.2.2 Biopolar oder zyklische Depression....................................................................... 7 2.2.3 Spätdepression........................................................................................................ 8 Somatogene Depression ............................................................................................... 8 2.3 2.3.1 Organische Depression........................................................................................... 8 2.3.2 Symptomatische Depression .................................................................................. 8 3 UNTERSCHIEDLICHE ERSCHEINUNGSBILDER DER DEPRESSION............ 8 3.1 Gehemmt – apathische Depressive ............................................................................. 8 3.2 Agitiert – ängstliche Depressive .................................................................................. 9 3.3 Gehemmt – ängstliche Depressive .............................................................................. 9 3.4 Patienten mit einer larvierten (maskierten) Depression........................................... 9 4 4.1 SYMPTOME DER DEPRESSION....................................................................... 9 Seelische Symptome ..................................................................................................... 9 1 4.2 Körperliche Symptome .............................................................................................. 10 4.3 Immer wiederkehrende Symptome .......................................................................... 10 5 THEORIEN DER DEPRESSIONSENTSTEHUNG ............................................ 11 5.1 Genetische Faktoren .................................................................................................. 11 5.2 Biologische Faktoren.................................................................................................. 11 5.3 Rhythmuskonzepte..................................................................................................... 12 5.4 Kognitive Theorie ....................................................................................................... 13 5.4.1 Theoretische Grundlage ....................................................................................... 13 5.4.2 Bedeutung für die Depression .............................................................................. 13 5.4.3 Therapeutische Maßnahmen ................................................................................ 14 Lerntheoretischer Ansatz .......................................................................................... 14 5.5 5.5.1 Theoretische Grundlage ....................................................................................... 14 5.5.2 Bedeutung für die Depression .............................................................................. 14 5.5.3 Therapeutische Maßnahmen ................................................................................ 15 Psychoanalytische Theorien ...................................................................................... 15 5.6 5.6.1 Theoretische Grundlage ....................................................................................... 15 5.6.2 Bedeutung für die Depression .............................................................................. 16 5.6.3 Verschiedene psychische Konzepte ..................................................................... 17 6 DEPRESSION UND SUIZID ............................................................................. 18 6.1 Verschiedene Depressionsarten im Zusammenhang mit Suizid ............................ 19 6.1.1 Endogene Depression ........................................................................................... 19 6.1.2 Psychogene Depression........................................................................................ 19 6.1.3 Neurotische Depression (psychogene Depression) .............................................. 19 6.1.4 Erschöpfungsdepression (psychogene Depression) ............................................. 19 6.1.5 Psychoreaktive Depression (psychogene Depression) ......................................... 20 6.2 Weissenauer Untersuchung....................................................................................... 20 2 7 SUIZIDPRÄVENTION ....................................................................................... 24 7.1 Suizidprävention bei der Depression........................................................................ 24 7.2 Suizidprävention bei der akuten Depression ........................................................... 26 8 LITERATURVERZEICHNIS .............................................................................. 27 9 ANHANG........................................................................................................... 29 3 1 Unterscheidung von Gemütsleben, Trauer, und Depression 1.1 Gemütsleben/Gefühlsleben Das Gefühlsleben äußert sich in bedeutungsähnlichen Begriffen, wie Gemüt, Stimmung Emotionen, Emotionalität, Affektivität usw. „Am besten beschreibt man es mit Zumutesein oder Gestimmtheit.“1 Hierbei gibt es schon eine Reihe von Befindungsschwankungen, die aber noch nichts mit Störung und Krankheit zu tun haben. So gibt es positive Zustandsgefühle: z.B. Wohlbehagen, Ruhe, Heiterkeit, Zufriedenheit, Zuversicht usw. Zu den unangenehmen Zustandsgefühlen gehören, z.B. allgemeines Unwohlsein, Abgespanntheit, Erschöpfung, Schwäche, innere Unruhe, Kummer, Gereiztheit, Ärger, Zorn, Wut, Neid, Eifersucht, Gefühl der Unfähigkeit usw. Diese Befindungsschwankungen sind allgemeine Auswirkungen des menschlichen Lebens. Meist sind sie abhängig von zwischenmenschlichen Einflüssen (Partner, Nachbarn, Arbeitsplatz), aber auch von äußeren Faktoren (Wetter, Klima) und körperlichen Belastungen (Migräne ...). Solche Gefühlsschwankungen sind keine Krankheit, obwohl es gelegentlich Überschneidungen in Richtung „seelische Störung“ gibt. 1.2 Trauer Auch Trauer ist eine natürliche Reaktion, zunächst nach einem Verlust oder Schicksalsschlag. Der Trauerprozess ist eine sehr intensive und schmerzhafte gefühlsmäßige Belastung, die durch Trauerarbeit überwunden werden muss. Im Trauerprozess versucht die betroffene Person, die Lücke, die durch den Verlust entstanden ist, zu verarbeiten. Zudem wird versucht eine Lebensperspektive zu finden, in der dieser Verlust nicht geleugnet, sondern bewusst hingenommen oder sogar angenommen wird. Dennoch ist die Trauer keine Krankheit, sie bedeutet im großen und ganzen kaum eine wesentliche Beeinträchtigung der geistigen und körperliche Leistungsfähigkeit. Obwohl eine nicht-geleistete Trauer zur Entstehung einer Depression beitragen kann. 1 Depressionsfibel, Volker Faust, Gustav Fischer, 3. Auflage, 1997, Seite 8 4 1.3 Depression Das Wort Depression kommt vom Lateinischen „ deprimere“ und heißt herunterdrücken, niederdrücken. Sie ist die Bezeichnung für eine jedem vertraute Stimmungslage. Depression kann ausgedrückt werden mit den Begriffen „ traurig, niedergedrückt, pessimistisch, verzagt, hoffnungslos, antriebsgemindert“ 2 „ Die medizinische Fachsprache versteht unter Depression eine in Intensität und Dauer über das gewöhnliche Maß hinausgehende Beeinträchtigung der Stimmung, die mit all ihren Begleiterscheinungen und Folgen für den Betroffenen zu einer schweren Belastung, zum Leiden, ja zur unerträglichen Qual werden kann. Bei depressiven Menschen kommt es meistens zu einem Rückzug des Interesses gegenüber der Außenwelt. Die Liebesfähigkeit schränkt sich ein und es kommt zu einem verminderten Selbstwertgefühl. Die depressive Person fühlt sich schwach, allein gelassen und besetzt die eigne Umwelt und Erlebnisse negativ. Zudem kommt es häufig zu einer ängstlichen Verzweiflung. 2 Mehrere Arten von Depression 2.1 Psychogene Depression Zur psychogenen Depression gehören die neurotische Depression, die Erschöpfungsdepression und die psychoreaktive Depression. Dies sind Depressionen die seelische Ursachen haben. Sie werden auch als „ erlebnisbedingt“ oder „ lebensgeschichtlich bedingt“ bezeichnet, da sie mit aktuellen oder auch weiter zurückliegenden Erlebnissen zusammenhängen. 2.1.1 Reaktive Depression Die psychoreaktive Depression ist ein Zustand trauriger oder ängstlicher Verstimmung, die durch ein einfühlbares, schmerzliches Erlebnis (z.B. Enttäuschung einer Liebesbeziehung, Todesfälle, Partner- oder materielle Probleme) ausgelöst wird und nach Fortfall der Ursache wieder abklingt. Personen mit Charaktereigenschaften wie z.B. Selbstunsicherheit, Ichbezogenheit, Übergewissenhaftigkeit neigen zu solchen Depressionen. 2 Fachlexikon der sozialen Arbeit, 4., vollständig überarbeitete Auflage 1997, hrsg. vom deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Eigenverlag, Frankfurt am Main 5 Diese Depression bleibt stets auf das betreffende Erlebnis zentriert, das kaum Platz für andere Gedanken lässt. 2.1.2 Neurotische Depression Was ist Neurose? Neurose ist eine, hauptsächlich durch Fehlentwicklung des Trieblebens und durch unverarbeitete seelische Konflikte mit der Umwelt entstandene krankhafte, aber heilbare Verhaltensanomalie mit seelischen Ausnahmezuständen und verschiedenen körperlichen Funktionsstörungen ohne organische Ursachen. Neurotische Depression Die neurotische Depression wird „ nach psychoanalytischer Auffassung durch die Aktualisierung einer biographischen frühen Störung – Mangel an liebevoller Zuwendung, Pflege und Versorgung während des 1. Lebensjahres hervorgerufen.“ 3 „ Entscheidend ist dabei das Zusammenspiel einer sogenannten neurotischen Persönlichkeitsstruktur mit entsprechenden Umweltbedingungen.“ 4 Der Grund hierfür ist häufig eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung. 2.1.3 Erschöpfungsdepression „ Die Erschöpfungsdepression ist bedingt durch eine jahrelange emotionale Überbelastung, die nicht mehr gemeistert werden kann“ 5 Auslöser dieser Depression bei Frauen, sind hauptsächlich Dauerbelastungen, die zu einer Erschöpfung des emotionalen Potentials führen. Dies können gravierende Enttäuschungen im Liebes- und Familienleben, Vereinsamung oder Isolierung sein. Bei Männern stehen oft berufliche Schwierigkeiten im Vordergrund, z.B. Stress, berufliches Versagen, oft parallel zu einem unbefriedigten Sexualleben. Diese genannten Spannungen im Zusammenhang mit bestimmten Charaktereigenschaften und Umweltreizen, die auf den Betroffenen einwirken, können zu einem Engpass führen und plötzlich Selbstvernichtungsimpulse hervorrufen. Es kommt dann häufiger zu kurzschlussähnlichen Suizidversuchen als zu Suiziden. Diese Depression und der meist nachstehende Suizidversuch kommt im Alter von 25. – 45 Jahren am häufigsten vor. 3 Fachlexikon der sozialen Arbeit, 4., vollständig überarbeitete Auflage 1997, hrsg. vom deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Eigenverlag, Frankfurt am Main, Seite 200 4 5 Depressionsfibel, Volker Faust, Gustav Fischer, 3. Auflage, 1997, Seite 14, Abschnitt: „ Die neurotische Depression“ Suizid und Suizidgehfährdung, humanwissenschaftliche Ergebnissee, anthropologische Grundlagen, Adrian Holderegger, Universitätsverlag Freiburg i. Ue., Verlag Herder Freiburg i. Br.,1979, Seite 147 6 2.2 Endogene Depression Die endogene Depression wird oft auch Melancholie oder vitale Depression genannt. Darunter versteht man alle affektiven Psychosen (Gefühlsbereich betreffend), d.h. depressive Phasen des manisch-depressiven Formenkreises und die periodische oder monophysischen Depressionen. Manisch-depressive Formenkreis umfasst Patientengruppen in der Psychiatrie, die phasenhaft an manisch und/oder schweren Depressionen erkranken (Wechsel von Gesundheit, krankhaft übersteigerter Lebenslust und tiefer Traurigkeit). Im allgemeinen ist bei dieser Art von Depression keine einleuchtende Ursache feststellbar. Die Bezeichnung „ endogen“ bedeutet, dass die Erkrankung „ im Inneren“ , gleichsam biologisch entsteht. Kennzeichen der endogenen Depressionen sind: „ Störungen im Vitalgefühl, tiefer Pessimismus, Verminderung des Totendranges, Gefühl der Sinnlehre.“ 6, „ Tagesschwankungen (morgendliches Tief mit abendlicher Besserung), wahnhafte Zuspitzung menschlicher Urängste, Schuld, Armut, Krankheit und Versagen.“ 7 2.2.1 Monopolare oder periodische Depression Als häufigste Erkrankung der endogenen Depression kommt die periodische Form vor. Dies sind Depressionen die von Zeit zu Zeit auftreten, also phasenweise. Diesen Phasen folgen meist länger dauernde Zeiträume, in denen der Betreffende wieder voll Leistungsfähig ist. Die depressive Phase kann sich über Wochen erstrecken, in den meisten Fällen sind es einige Monate. 2.2.2 Biopolar oder zyklische Depression Bei dieser Depression wechseln sich, in Dauer und Reihenfolge variabel, depressive und manische Phasen ab. Die Stimmungslage der Depression schwenkt bei einem Wechsel zur Manie ins Gegenteil. So kann die traurig-lähmende Grundstimmung übergehen in eine oft durch nichts zu bremsende Überaktivität. 6 Suizid und Suizidgehfährdung, humanwissenschaftliche Ergebnissee, anthropologische Grundlagen, Adrian Holderegger, Universitätsverlag Freiburg i. Ue., verlag Herder Freiburg i. Br.,1979, Seite 143, Zeile 6-8 7 Fachlexikon der sozialen Arbeit, 4., vollständig überarbeitete Auflage 1997, hrsg. vom deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge, Eigenverlag, Frankfurt am Main, Seite 201, Zeile 11-13 7 2.2.3 Spätdepression Die Spätdepression/Involutionsdepression ist eine Sonderform der endogenen Depression. Sie unterscheidet sich darin, dass die Spätdepression eine Alterspsychose ist. Sie tritt zwischen dem 45. bis 70 Lebensjahr auf. „ Die Involutionsdepression tritt meist bei Introvertierten, übergewissenhaften, affektgehemmten, starren Persönlichkeiten auf.“ 8 Die Depression wird ausgelöst durch psychische oder körperliche Traumata: Verluste (Partner, Freunde), Isolierung, Pensionierung, Entlassung, Umzug, Unfall, Operation usw. 2.3 Somatogene Depression (griechisch: soma = Körper) Bei dieser Gruppe handelt es sich um körperlich begründbare Depressionen. Ursächlich stehen sie im Zusammenhang mit einer körperlichen Krankheit oder einer Funktionsstörung. 2.3.1 Organische Depression Diese Art von Depression ist eine unmittelbare Folge von Hirnkrankheiten oder schädigungen wie Hirnverletzungen, Hirntumoren, Hirnarteriosklerose und altersbedingten Abbauprozessen. 2.3.2 Symptomatische Depression Die eigentlichen Ursachen sind hier körperliche Allgemeinschädigungen und -erkrankungen, die die Hirnfunktion indirekt beeinträchtigen, wie z.B. Infektionen und Kreislauferkrankungen, aber auch die Einnahme – besonders die missbräuchliche Einnahme – gewisser Medikamente. 3 Unterschiedliche Erscheinungsbilder der Depression 3.1 Gehemmt – apathisch Depressive Die gehemmt – apathischen Depressiven machen vor allem einen passiven, schwachen, kraftlosen Eindruck. Sie sind schnell erschöpft, ohne Initiative, Schwung und Antrieb, ohne Willen, matt, zeitweise sogar völlig teilnahmslos (apathisch) oder gleichsam seelisch – körperlich blockiert und wie versteinert. 8 Suizid und Suizidgehfährdung, humanwissenschaftliche Ergebnissee, anthropologische Grundlagen, Adrian Holderegger, Universitätsverlag Freiburg i. Ue., verlag Herder Freiburg i. Br.,1979, Seite 146, Zeile3-4 8 3.2 Agitiert – ängstlich Depressive Sie wirken nervös, unruhig, innerlich vibrierend, angespannt, getrieben (agitiert). Es kann zu starken Erregungszuständen oder sogar zu Anfällen von panischer Angst kommen. 3.3 Gehemmt – ängstlich Depressive Diese Gruppe von Depressiven lebt in einem quälenden Spannungszustand zwischen seelischkörperlicher Hemmung oder gar Blockierung und ängstlicher Getriebenheit. Nach außen hin wirken solche Patienten schwach, kraftlos und gehemmt. Dagegen sind sie innerlich unruhig und angespannt. Die äußeren Wirkungen können Ärzte und Angehörige täuschen und es ist oft überraschend wenn es zu einem heftigen Erregungszustand oder gar zu einer plötzlichen Suizidhandlung kommt. 3.4 Patienten mit einer larvierten (maskierten) Depression Die seelischen Beschwerden (Traurigkeit, Freudlosigkeit, Angstzustände, Energielosigkeit...) werden von den körperlichen Anzeichen (Schlaf- und Appetitstörungen, Kopfschmerzen, Herz- und Atembeschwerden...) so überdeckt, dass die zugrunde liegende Depression als eigentliche Ursache oft spät erkannt wird, da sie sich mit den körperlichen Klagen hinter einer Maske versteckt. 4 Symptome der Depression 4.1 Seelische Symptome Die wichtigsten seelischen Symptome Traurigkeit Freudlosigkeit Interessenlosigkeit/Innere Unruhe Konzentrationsstörungen Energielosigkeit Grübelneigung Mutlosigkeit Entscheidungsunfähigkeit Minderwertigkeitsgefühle Angstzustände Beziehungsstörungen 9 Schuldgefühle Wahnideen und paranoide Fehldeutungen 4.2 Körperliche Symptome Die wichtigsten körperlichen Symptome Kopfschmerzen Augenprobleme Störungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich Atmungsbeschwerden Herzbeschwerden Kreislaufstörungen Magen-Darm-Beschwerden Blasenstörungen Schmerzen in der Muskulatur/den Gelenken Probleme der Haut und Schleimhäute Schlafstörungen Appetitstörungen Tränen- und Schweißsekretion Störungen im Sexualbereich 4.3 Immer wiederkehrende Symptome Da die folgenden Symptome bei depressiv Kranken immer wieder auftreten, sind dies wohl die belastendsten Sorgen und auch welche, die die Umgebung am meisten beeinträchtigen. 1. Die Leistungsfähigkeit Die betrifft das Gefühl, unfähig zu sein, im Sinne von keine Leistung erbringen zu können. 2. Das Selbstwertgefühl Hiermit sind Minderwertigkeits- und Kleinheitsgefühle gemeint. Die Depressiven haben den Eindruck, sie werden nicht gemocht, nicht geliebt, nicht anerkannt, nicht geschätzt. Sie fühlen sich wertlos. 3. Schuldgefühle Die depressiv Kranken machen sich Selbstvorwürfe, Selbstanklagungen und haben ein Schuldbewusstsein im Sinne von: „ Sie haben alles verursacht, sind an allem selbst schuld“ . 10 Hinzu kommen noch charakteristische Einstellungen wie die Hilflosigkeit („ ich kann nichts daran ändern“ ) und die Hoffnungslosigkeit („ es wird sich nichts mehr ändern“ ). „ Konkret ausgedrückt in einem einzigen Satz depressiven Grübelns heißt dies: „ Ich kann nichts, man mag mich nicht und schuld bin ich auch noch selber daran“ .“ 9 5 Theorien der Depressionsentstehung 5.1 Genetische Faktoren „ Ältere Erblichkeitsstudien deuten daraufhin, dass Depressionen erblich sind“ 10 Dennoch ist die Vererbung für das Zustandekommen von Depression eine Entstehungsbedingung unter mehreren. „ Es gibt bis heute keine Untersuchung, welche den Erbgang, also die gesetzmäßige Systematik des Auftretens von Depression und Selbstmord in vergangenen und zukünftigen Generationen beweist. Genauso gibt es keine Untersuchung, welche die genaue Schädigung im Erbgut nachweist. Infolgedessen kann keine Depression heute als Erbkrankheit bezeichnet werden. „ Es ist jedoch wahrscheinlich, dass schwere Depressionen in Familien gehäuft auftreten, in denen auch schon Familienmitglieder krank waren.“ 11 5.2 Biologische Faktoren 1. Hypothese: Somatopsychisch - psychosomatisches Modell der Depression Depressionen werden von Störungen im Bereich der Neurotransmitter begleitet. Von mancher Seite wurde diese Störung auch als eigentliche Ursache der Depression angesehen. Es wird von unterschiedlichen Transmittersystemen (Übertragungssubstanzen, Übertragungssystemen) bzw. Synapsen ausgegangen, die mit der Depressionsentstehung zu tun haben. Man könnte also davon ausgehen, dass der biologische Faktor eine direkte Beeinträchtigung der Grundstimmung bewirkt, und zwar über die Veränderung der Funktion neuronaler Synapsen. 9 Depressionsfibel, Volker Faust, Gustav Fischer, 3. Auflage, 1997, Seite 35 10 „ Beziehungen und Psychose“ , Leitfaden für den verstehenden Umgang mit schizophrenen und depressiven Patienten, Johannes Kipp, Hans-Peter Unger, Peter M. Wehmeier, Thieme-Verlag, 1996, Seite 78 11 „ Beziehungen und Psychose“ , Leitfaden für den verstehenden Umgang mit schizophrenen und depressiven Patienten, Johannes Kipp, Hans-Peter Unger, Peter M. Wehmeier, Thieme-Verlag, 1996, Seite 79 11 2. Hypothese: Psychogenes (oder höchstens psychosomatisches) Erkrankungsmodell Hier besteht die Annahme, dass langanhaltende Spannungen schließlich zu bleibenden funktionellen oder sogar zu somatischen Veränderungen im Nervensystem führen. „ Der biologische Faktor wäre hier also sekundär beziehungsweise de facto psychogen.“ 12 Depression als Begleiterscheinung anderer Krankheiten und als Nebenwirkungen von Medikamenten Depressionen treten relativ häufig nach akuten Phasen schizophrener Erkrankungen auf. Bei solchen Fällen ist nicht klar, ob die Depression auf die psychotische Grundkrankheit oder auf eine medikamentöse Behandlung zurückgeführt werden kann. Auch gibt es körperliche Krankheiten die im Zusammenhang mit einer depressiven Symptomatik stehen, z.B. die Parkinson-Krankheit, Tumore, multiple Sklerose, Epilepsie usw. Zudem können auch mit großer Wahrscheinlichkeit zahlreiche Medikamente Depressionen auslösen bzw. hervorrufen oder depressive Symptome verstärken. 5.3 Rhythmuskonzepte “ Seelische Gesundheit hängt von einem guten Zusammenspiel der körperlichen Rhythmen ab.“ 13 Dieser körpereigene Rhythmus wird durch äußere Zeitgeber an den 24-Stunden Tag-NachtRhythmus gekoppelt. Bei Depressionen und seelischer Labilität wird dieses Zusammenspiel gestört. Besonders beim Schlaf-Wach-Rhythmus wird dies deutlich. Bei schwerer Depression kommt es zu einem Morgentief, d.h. die Depressiven fühlen sich nach einem oberflächlichen und meist kurzen Schlaf erschöpft und gequält. Dies bessert sich bei den meisten depressiven Menschen wieder zum Abend hin. Der Rhythmus kann auf unterschiedliche Weise gestört werden. Zum Beispiel durch soziale Phänomene, indem wir am Wochenende einen anderen Schlafrhythmus haben, kann der TagNacht-Rhythmus gestört werden, dies beeinflusst uns Menschen in unterschiedlicher Weise. Auch z.B. im Alter werden die körpereigenen Rhythmen starrer. Bei sozialen Veränderungen kommt es (z.B. Wechsel von Beruftätigkeit zur Rente) auch wieder zu Störungen des Tagesrhythmusess. Immer wenn der persönliche Rhythmus beeinflusst bzw. gestört wird, kann dies zu Depressionen führen. 12 „ Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie“ , Stavros Mentzos, Vandenhoeck & Ruprecht, 1991, Seite 102 13 „ Beziehungen und Psychose“ , Leitfaden für den verstehenden Umgang mit schizophrenen und depressiven Patienten, Johannes Kipp, Hans-Peter Unger, Peter M. Wehmeier, Thieme-Verlag, 1996, Seite 82 12 Dennoch befreien sich Menschen auch immer wieder von den teilweise vorgegeben Rhythmen (Nächte durchmachen, lange schlafen usw.), dies wirkt sich unterschiedlich bei den einzelnen Personen aus. Zu den Rhythmuskonzepten gehören auch die saisonalen Depressionen. Das heißt Verstimmungen, die durch Jahreszeiten ausgelöst werden. Diese Art von Depression zeichnet sich dadurch aus, dass sie häufig mit einer Appetitsteigerung einhergehen, das ein Stimmungstief häufiger nachmittags auftritt und dass ein verlängerter Schlaf als nicht erholsam erlebt wird. 5.4 Kognitive Theorie 5.4.1 Theoretische Grundlage Kognitiv: die Erkenntnis betreffend; erkenntnismäßig Kognitive Entwicklung: Entwicklung all der Funktionen beim Kind, die zum Wahrnehmen eines Gegenstandes oder zum Wissen über ihn beitragen Ansatz: „ Menschliches Verhalten resultiert (auch) aus Prozessen, in denen wahrgenommene Reize kognitiv-emotional `verarbeitet` werden.“ 14 Bei der kognitiven Theorie sind vor allem die Wahrnehmungs- und Bedeutungsprozesse in der Auseinandersetzung des Individuums mit der Welt von Bedeutung. Die subjektiv erlebte und gedeutete Situation ist für das individuelle Handeln von größerer Bedeutung als die objektive Situation. 5.4.2 Bedeutung für die Depression Bei den depressiven Patienten bestehen dominante Einstellungs- und Wahrnehmungsmuster, die sich wie folgt charakterisieren lassen: • Depressive haben die Überzeugung, die Situation sei unveränderbar und ungestaltbar • Sie denken, die Situation sei nicht mehr kontrollierbar, d.h. sie können den Ausgang bestimmter Ereignisse nicht mehr kontrollieren und somit die Situation auch nicht verändern bzw. verbessern. • Depressiv Kranke nehmen zwischen den eigenen Handlungen und den Resultaten dieser Handlungen keine Verbindungen mehr wahr. Sie sind der Überzeugung, dass die Folgen durch externale Faktoren bestimmt werden und nicht durch die eigene Person. • Das Selbstbild der depressiven Person ist sehr stark von negativen Bewertungen der eigenen Leistungsfähigkeit bestimmt. Die negativen Bewertungen sind stabil (d.h. nur 14 „ Persönlichkeitspsychologie“ , Ein Theorienüberblick, Hermann-Josef Fisseni, Hogrefe, 1998, Seite 264 13 schwer korrigierbar) und global (d.h. sie sind in vielen und verschiedenen Situationen dominant) • Wenn Erfolge eintreten, werden diese entweder nicht wahrgenommen oder auf den „ Zufall“ zurückgeführt. Misserfolge werden sofort festgestellt und auf die eigene „ Inkompetenz“ bezogen. Diese Einstellungs- und Wahrnehmungsmuster haben sich im Laufe der Entwicklung so stark verfestigt, dass dadurch auch die Depression gefördert wurde. Den Kern der Depression bildet ein einseitiges, unterschätzendes Selbstbild, dass sich nur auf Misserfolge und Leistungseinbußen konzentriert. 5.4.3 Therapeutische Maßnahmen Therapie setzt bei der Korrektur dieses Selbstbildes an, indem die subjektive Wahrnehmung mit der objektiv bestehenden Situation verglichen wird. Dabei wird auch untersucht, in welchen Bereichen eine einseitige Wahrnehmung besteht. 5.5 Lerntheoretischer Ansatz 5.5.1 Theoretische Grundlage Einstellungen und Verhalten werden als Produkte der individuellen Lerngeschichte angesehen. Diese Einstellungs- und Verhaltensmuster werden durch operantes Konditionieren (positive Verstärkung bei unerwünschtem Verhalten) und durch Imitationslernen (bestimmte Person als Modell ansehen, imitieren) erworben. 5.5.2 Bedeutung für die Depression Bei dieser Theorie gelten depressive Einstellungen sowie depressive Verhaltensmuster als erlernt. Diesen Modellen zufolge gehen Depressionen darauf zurück, dass in zahlreichen Situationen bestimmte Verhaltensweisen verstärkt wurden. Diese verstärkten Verhaltensweisen zielten darauf: • Hilfe und Unterstützung von anderen in den verschiedensten Lebenssituationen zu erhalten, obwohl man selbst in der Lage gewesen wäre, diese Situation zu bewältigen • Durch „ Passivität“ und „ Hilflosigkeit“ Unterstützung und Zuwendung durch andere erfahren haben 14 • Anforderungen und Aufgaben erfolgreich zu umgehen und dadurch die Verantwortung auf andere zu übertragen • Wenig Verantwortung für bestimmte Handlungen und Ereignisse zu übernehmen • Einen geringen „ Spannungsbogen“ zu zeigen und schon bei kleineren Anforderungen und Belastungen Resignation und zurückgehendes Engagement erkennen zu lassen (dies wird dadurch verstärkt, dass der Person in solchen Situationen Anforderungen und Aufgaben abgenommen wurden) Auch wird die Depression gefördert, dass im Laufe der Entwicklung Einstellungsformen verstärkt wurden, • mit der Überzeugung, dass durch eigenes Handeln die Situation nicht zu verändern sei • mit der Einstellung, nur wenige Fähigkeiten und Fertigkeiten zu besitzen (inkompetent zu sein) • mit dem Denken, Situationen seien nicht kontrollierbar 5.5.3 Therapeutische Maßnahmen Die Maßnahmen haben das Ziel, dem Patienten die Möglichkeit zu geben, neue Techniken aufzubauen, die eine größere Selbstständigkeit und Eigenverantwortung fördern. Häufig werden dabei Elemente aus der Verhaltenstherapie und der kognitiven Theorie kombiniert. 5.6 Psychoanalytische Theorien 5.6.1 Theoretische Grundlage Die Auseinandersetzung zwischen den Triebimpulsen und dem (kulturell wie gesellschaftlich verankerten) Normen- und Wertesystem bestimmt im hohem Maße das Erleben und Verhalten. Das „ Ich“ ist die Vermittlung zwischen den Triebimpulsen „ Es“ und dem Normen- und Wertesystem „ Über-Ich“ . „ In dem Maße, in dem es eine Integration jener Anforderungen leisten kann, die von dem „ Es“ einerseits und dem „ Über-Ich“ andererseits ausgehen, gelingt es auch der Person, zu einer reifen Art der Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Aufgaben des Lebens zu finden.“ 15 Gelingt diese Integration nicht, belastet und gefährdet dies die Entwicklung einer Person. 15 „ Depressive Syndrome im Alter“ , Theorie – Klinik – Praxis, Hrsg. Manfred Bergener, Georg Thieme verlag Stuttgart/New York, 1989, Seite 16/17 15 Die individuelle Entwicklung wird beeinflusst, von der Art und Weise, wie die Person mit Konflikten und Belastungen in früheren Lebensabschnitten umgegangen ist. Bei Verdrängungen der Konflikte wird die weitere Entwicklung beeinträchtigt. Wenn Belastungen nicht wahrgenommen und verarbeitet werden, kann die Verdrängung zu einer gestörten psychischen Entwicklung führen. Ich, betrifft: - die Wahrnehmungsvorgänge - die willkürliche Motorik - das Gedächtnis - die Reizbeantwortung - die Herrschaft über Triebansprüche - die Verschiebung der Befriedigung auf günstige Zeiten und Umstände Es, Sammelbegriff für: - das Ursprüngliche und Archaische - dass, was von innen drängt und treibt - alle Bedürfnisse - das, was unbewusst und unpersönlich ist, einschließlich der Verdrängung Das Über-Ich: - ist eine verselbständige Funktion des Ichs (das Ich unterstellt sich darum der Autorität des Über-Ichs) - ist eine innere Instanz, die Gewissensfunktion ausübt (das Ich-Ideal vorwiegend bewusst; das Über-Ich dagegen vorwiegend unbewusst, darum steht es dem Es nahe) - ist Ersatz für die elterliche (gesellschaftliche) Autorität; somit fällt ihm eine relative Autonomie zu16 5.6.2 Bedeutung für die Depression „ Die Entstehung von Depressionen wird von vielen Autoren mit Erfahrungen in Zusammenhang gebracht, die in früheren Lebensabschnitten liegen.“ 17 Wenn die Triebimpulse, aufgrund eines dominierenden Über-Ichs, an ihrer Entfaltung gehindert werden, dann ist die betreffende Person in späteren Lebensabschnitten gehemmt. D.h. sie 16 Vrgl. „ Persönlichkeitspsychologie“ , Ein Theorienüberblick, Hermann-Josef Fisseni, Hogrefe, 1998, Seite 33, 34, 35 17 „ Depressive Syndrome im Alter“ , Theorie – Klinik – Praxis, Hrsg. Manfred Bergener, Georg Thieme verlag Stuttgart/New York, 1989, Seite 18 16 ergreift nur in geringem Maße Initiative, wird abhängig von anderen Menschen und entwickelt eine Depression. Diese Auffälligkeiten zeigen, dass wichtige Bereiche der Persönlichkeit nicht entwickelt worden sind und dadurch auch ein eigenständiges, selbstverantwortliches Leben erschwert ist. Zur Entstehung einer Depression tragen auch aggressive Impulse bei, die nicht ausgedrückt/ausgelebt werden dürfen und dann sich gegen die eigenen Person richten. Beeinträchtigt und auch zur Depression führend ist oftmals eine übermäßige Bindung an ein Elternteil, mit dem daraus resultierenden Problemen für die Entwicklung der eigenen Identität. Auch Hemmungen im Bereich jener Antriebe, die auf eine aktive Meisterung und Beherrschung der Welt zielen, können zu einer Depression führen. Zu bedenken ist, dass hinter Depressionen das Verlangen nach besonderer Zuwendung durch andere stehen kann. Häufig dienen Depressionen aber auch dazu, andere Menschen an sich zu binden und auf diesem Wege Schutz und Fürsorge zu bekommen. 5.6.3 Verschiedene psychische Konzepte 1. Theorie nach Freud (Psychoanalytiker): Im Bereich „ der schweren Depression postulierte er auf Grund seiner psychoanalytischen Beobachtungen, dass die depressive Selbstanklage nichts anderes als eine Aggression, eine Anklage gegen den enttäuschenden und nun interionisierten, also mit dem Selbst identisch gewordene Liebespartner der Patienten sei.“ 18 Zwei psychische Konzepte, die Freud durch seine Theorie entwickelt hat und die bei vielen depressiven Menschen immer wieder bestätigt wurden: 1. Einerseits zeigen die Patienten eine große Abhängigkeit von ihren Partnern (von den primären „ Liebesobjekten“ ), auf deren Zuwendung und Projektion sie besonders in der Kindheit stark angewiesen waren. 2. andererseits haben die Patienten eine Aggressivität gegen die enttäuschenden, den Ansprüchen nicht gewachsenen „ Liebesobjekten“ . In der Tradition von Freud wurde die Depression also als „ Krankheit der Aggression und Schuld gesehen“ . 18 „ Klinische Diagnostik und Therapie der Depression“ , M. Wolfersdorf / W.Kopittke / G. Hole (Hrsg.), S. Roderer Verlag, Regensburg 1988, Seite 10 17 2. Theorie nach Bibring (Psychoanalytiker) in den 50iger Jahren: Bibring schildert Depression als das Verhältnis des Ichs zu seinem unbewussten übersetzten Ichideal, also die narzisstische Verletzung im engeren Sinne. Nach dieser Ansicht, sind die endlosen Klagen des Depressiven, schlechter, unfähiger als alle anderen Menschen zu sein, eine dauernde Selbstentwertung des Ichs im Vergleich zu dem unerreichbaren narzisstischen Ichideal. 6 Depression und Suizid Das häufigste Krankheitsmodell der Suizidalität sind die depressiven Erkrankungen. Eine enge Verbindung zwischen Depressivität und Suizidalität spiegelt sich auch in den Symptommerkmalen wieder. „ Neben den Hauptmerkmalen wie bedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit, Antriebsverminderung und anderen häufigen Symptomen wie vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit, negativen und pessimistischen Zukunftsperspektiven stehen Suizidgedanken, erfolgte Selbstverletzungen oder Suizidhandlungen.“ 19 Der Gedanke an den Tod und einen möglichen Suizid spielt in fast allen Fällen depressiver Erkrankung eine wesentliche Rolle. Bei der Betreuung depressiver Patienten muss unterschieden werden zwischen Faktoren, die eine akute Suizidgefahr anzeigen und Risikofaktoren, die einen Patienten einer Gruppe zuordnen, die längerfristig eine höhere Suizidmortalität (Sterblichkeit, Sterblichkeitsziffer) erwarten lässt. Im folgenden wird auf längerfristige Risikofaktoren für einen Suizidversuch oder Suizid bei stationär behandelten Patienten mit depressiven Erkrankungen eingegangen. „ Als besonders harter Prädiktor für erneutes suizidales Verhalten gilt das Vorliegen früherer Suizidversuche.“ 20 Besonders hoch ist das Suizidrisiko im ersten Jahr nach einem Suizidversuch. Bei depressiven Patienten mit Suizidversuch oder Suizid wurde auch vermehrt eine familiäre Belastung mit suizidalem Verhalten oder psychiatrischen Störungen festgestellt. Eine bestimmte „ Risikosymptomatik“ bei Patienten mit erhöhter Suizidalität zu suchen und festzustellen, erweist sich als schwierig. Häufiger wurde bei diesen Patienten eine depressive Wahnsymptomatik festgestellt. 19 Der suizidale Patient in Klinik und Praxis, Suizidalität und Suizidprävention, Manfred Wolfersdorf, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbh Stuttgart, 2000, Seite 63, Zeile4-9 20 „ Psychose und Suizidalität“ , Manfred Wolfersdorf und Werner Felber (Hrsg.), S. Roderer Verlag, Ravensburg 1995, Band 2, Seite 167 18 6.1 Verschiedene Depressionsarten im Zusammenhang mit Suizid 6.1.1 Endogene Depression „ Jede endogene Depression weist in ihrem Krankheitsbild ausnahmslos eine Suizidtendenz auf.“ 21 Bei den Patienten besteht fast ununterbrochen einen Drang zur Selbstzerstörung. Dieser kann sich zum Unaushaltbahren verstärken, besonders bei der agitierten endogenen Depression. Vor allem sind die depressiv Kranken bei Beginn der Erkrankung und bei der Phase der beginnenden Besserung gefährdet. Die Spätdepression ist eine Psychose, mit der größten Suizidrate. Selbst nach intensiver Behandlungen kommt es zu Suizidversuchen. 6.1.2 Psychogene Depression Die psychogene Depression ist nicht am Suizidgefährdesten, zeigt aber ein gehäuftes Auftreten. 6.1.3 Neurotische Depression (psychogene Depression) Speziell bei der neurotischen Depression kann es bei verdrängten Angstgefühlen, Aggressionen, Schuldgefühlen usw. die sich mit aktuellen, belastenden Ereignissen konfrontieren zu Spannungen kommen, die dann je nach Intensität der existentiellen Betroffenheit eine Suizidhandlung provozieren (Kurzschlusshandlung). 6.1.4 Erschöpfungsdepression (psychogene Depression) Die Erschöpfungsdepression führt die Betroffenen, auf der Basis entsprechender Charaktereigenschaften (Übergewissenhaftigkeit, Sensibilität), der affektiven Spannungen und der pathogen (krankheitserregend, Krankheiten verursachend) wirkenden Umweltreize zu einem Engpass, wo plötzlich Selbstvernichtungsimpulse auftreten können. Häufiger kommt es dann zu kurzschlussähnlichen Suizidversuchen, als zu Suiziden. 21 Suizid und Suizidgehfährdung, Humanwissenschaftliche Ergebnissee, Anthropologische Grundlagen, Adrian Holderegger, Universitätsverlag Freiburg i. Ue., verlag Herder Freiburg i. Br.,1979, Seite 143 19 6.1.5 Psychoreaktive Depression (psychogene Depression) Treten bei der psychoreaktiven Depression mehr oder weniger ernsthafte Ereignisse ein, kann es zu intensiven, trotzartigen, aggressiven Reaktionen kommen.“ 22 Diese Reaktionsweise kann zu einem Suizidversuch führen. Eine solche Depression und Suizidversuche betreffen häufig Jugendliche. 6.2 Weissenauer Untersuchung Untersuchung und Stichprobe der Weissenauer Verlaufsuntersuchung „ Im Rahmen einer Langzeitkatamnesestudie wurden 76 Patienten, die 1986 auf der Weissenauer Depressionsstation aufgrund einer primären depressiven Erkrankung behandelt und unselektiert in die Studie aufgenommen wurden, über einen Zeitraum von sechs Jahren untersucht.“ 23 Die Patienten wurden zu vier Erhebungszeitpunkten untersucht, bei der stationären Aufnahme und Entlassung, nach einem Jahr und nach sechs Jahren. Von der Ausgangsstichprobe (n=76) wurden 64 Patienten nach sechs Jahren abschließend untersucht. Sechs der Patienten hatten sich im Untersuchungszeitraum suizidiert, ein Patient ist eines natürlichen Todes gestorben und sechs Patienten verweigerten zu irgendeinem Zeitpunkt die Teilnahme an der Untersuchung. Insgesamt lag die Ausgangstichprobe bei 92 %. Tabelle 1: Charakteristik der abschließend untersuchten Patienten (n = 64) und der Patienten mit Suizid (n = 6) 22 Suizid und Suizidgehfährdung, humanwissenschaftliche Ergebnissee, anthropologische Grundlagen, Adrian Holderegger, Universitätsverlag Freiburg i. Ue., verlag Herder Freiburg i. Br.,1979, Seite 147, Zeile 23-25 23 „ Psychose und Suizidalität“ , Manfred Wolfersdorf und Werner Felber (Hrsg.), S. Roderer Verlag, Ravensburg 1995, Band 2, Seite169 20 Tabelle 2: Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit von Suizidversuchen und -gedanken in der Anamnese und 2 Wochen vor Aufnahme in den Gruppen mit und ohne Suizidversuch im Katamnesezeitraum und der Gruppe mit Suizid Tabelle 3: Unterschiede hinsichtlich Geschlecht, Alter, Beruf und Familienstand in den Gruppen und ohne Suizidversuch im Katamnesezeitraum und in der Gruppe mit Suizid 21 Tabelle 4: Unterschiede im Krankheitsverlauf in den Gruppen mit und ohne Suizidversuch im Katamnesezeitraum und in der Gruppe mit Suizid Tabelle 5: Unterschiede hinsichtlich der diagnostischen Verteilung (ICD-9) in den Gruppen mit und ohne Suizidversuch im Katamnesezeitraum und in der Gruppe mit Suizid 22 Tabelle 6: Unterschiede hinsichtlich der Symptomatik bei Aufnahme und Entlassung in den Gruppen mit und ohne Suizidversuch im Katamneszeitraum und der Gruppe mit Suizid Tabelle 7: Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeit einer wahnhaften Symptomatik in den Gruppen mit und ohne Suizidversuch im Katamnesezeitraum und der Gruppe mit Suizid 23 7 Suizidprävention 7.1 Suizidprävention bei der Depression Prinzipiell muss bei einem depressiven Menschen von einem erhöhten Suizidrisiko ausgegangen werden, bis die Form der Depression geklärt ist. Es gibt auch depressive Menschen die zuverlässig und glaubhaft die Suizidalität in ihrem bisherigen Leben und auch in ihren depressiven Phasen verneinen. Wenn man bei einem depressiven Menschen sehr einfühlsam und ernsthaft nachfragt und den Suizid als ein Teil seiner Depression akzeptiert, können depressive Menschen sehr offen sein. Diese Aussagen sind in einem hohen Maße glaubwürdig. Natürlich muss man sich mit einer gewissen Aufmerksamkeit der Suizidprävention bei depressiven Personen widmen, besonders wenn eine depressive Wahnsymptomatik vorliegt oder wenn Begründungen bestehen, mit dem Suizid noch etwas Gutes für die Familie zu tun. Grundsätzlich muss bei einem Menschen mit depressiven Anzeichen von Suizidalität ausgegangen werden. Verdachtsmomente für eine erhöhtes Suizidrisiko auch bei depressiv Kranken sind: Frühere Suizidversuche Modelle von Suiziden in der nächsten Umgebung, im Freundeskreis oder auch in der Familie Direkte Suizidankündigungen und geäußerte Suizidabsichten, auch indirekte Hinweise auf Suizidabsichten, sofern sie als solche erkennbar sind Auf der Symptomebene eine ausgeprägte und nicht korrigierbare Hoffnungslosigkeit, das Vorliegen einer depressiven Wahnsymptomatik, Schuldgefühle, Gefühle von Verarmung, Krankheit, Untergang Altruistische (selbstlose, uneigennützigen, aufopfernde) bzw. pseudoaltruistische (nachgeahmte) Suizidmotivationen für andere ein Opfer zu bringen, wodurch Suizidalität positiv besetz wird Vereinsamungssituationen bei alten Menschen Massive berufliche oder finanzielle Schwierigkeiten Auffällige Vorbereitungen, bisher Versäumtes in Ordnung zu bringen Bei einer Depression muss auch der Verlauf der Erkrankung beachtet werden. Eine Besserung der Depression und Therapie und der Suizidalität brauchen nicht parallel zu verlaufen. 24 Möglicher Verlauf von Suizidalität während einer Depressionsbehandlung: Verlauf Depression Verlauf „ Suizidalität“ (= Todeswünsche, Suizidideen) Entlassung Aufnahme Zeit Deutliche Abnahme von Zunahme des Suizid- Anstieg von Suizi- Suizidalität durch Aufnahme/ Risikos z.B. durch dalität nach Behandlungsbeginn: Konfliktbelastung stationärer Be- Hoffnung Antriebssteigerung lastung (Partner, Auseinandersetzung mit Familie, Arbeit...) der Zukunft Bei einer stationären Aufnahme eines depressiven Menschen mit Suizidanzeichen kann es anfänglich zu einer dichten Zuwendung oder Einzelbetreuung kommen. Dies führt zu einer raschen Besserung der Suizidalität, oft schneller als die Besserung der Depression. Nach einer Phase der Symptombesserung im Rahmen einer psychotherapeutischen Konfliktbearbeitung oder Wochenendbeurlaubungen und Konfrontation mit der Familie, Auseinandersetzungen mit der Zukunft usw. kann es zu erneuten Belastungen des Patienten kommen. Dadurch ist die Suizidgefahr wieder erhöht. Dies kann durch eine weitere stationäre Behandlung wieder gedämpft und behandelt werden. Der Zeitpunkt der Entlassung ist allerdings noch mal durch Suizidalität gefährdet. Dies wird oft verursacht durch die Belastungen des Umfeldes des Patienten (Familie, Beruf..). 25 7.2 Suizidprävention bei der akuten Depression Verfahren für akute Suizidalität bei Depression: Beziehung herstellen Diagnostik von Erkrankung, aktuelle Psychopathologie (Teilgebiet der Medizin, auf dem man sich mit den Krankheitsvorgängen und Funktionsstörungen im menschlichen Organismus befasst), Psychodynamik, Suizidalität „ Sichernde Fürsorge“ : engmaschige pflegerische Betreuung, Einzelbetreuung, Kommunikation und Kontrolle Psychotherapeutische Krisenintervention vor dem Hintergrund von aktueller Psychopathologie und Psychodynamik Psychopharmakontherapeutische Unterstützung Beziehungs- und besuchsdichte Regeln Im Vordergrund bei einer Therapie steht, eine Beziehung und Vertrauen zu dem Patienten aufzubauen. Hierbei sollte mit ernsthaften und einfühlsamen Fragen auf die depressive Not des Patienten und auf das Problem der Suizidalität eingegangen werden. Gefolgt von der Diagnostik und der sichernden Fürsorge im Rahmen der Betreuung. Daran schließen sich Psychotherapie und Psychopharmakontherapeutische Unterstützung an. Zur Diagnostik von akuter Suizidalität: Diagnostik von Grundkrankheit Psychopathologie, Psychodynamik, aktuelle Befindlichkeit Diagnostik von Suizidalität Fragen zu aktueller Suizidalität (jetzt Ruhewunsch, Todeswunsch, Suizidideen, weiterhin Suizidabsichten) Fragen nach früheren suizidalen Krisen und deren Bewältigung, früheren Suizidversuchen Fragen zum jetzigen Handlungsdruck (beherrschbar, Angst vor Kontrollverlust, impulshaft, Fremdkontrolle nötig) Fragen zur jetzigen Fähigkeit/Bereitschaft, Hilfe, Hoffnung (Aufschub von suizidaler Handlung) anzunehmen Fragen zur Zuverlässigkeit/Tragfähigkeit der therapeutischen Beziehung 26 Fremdanamnese (Begleitperson, Angehörige, Hausarzt zur bisherigen Suizidalität) Krankenblattunterlagen, Arztbriefe zum bisherigen Verlauf Wiederholte Diagnostik im Krisenablauf 8 Literaturverzeichnis Beziehungen und Psychose Leitfaden für den verstehenden Umgang mit schizophrenen und depressiven Patienten Johannes Kipp, Hans-Peter Unger, Peter M. Wehmeier Thieme-Verlag 1996 Depressionsfibel Volker Faust Gustav Fischer – Verlag 1997 Depressive Syndrome im Alter Theorie – Klinik – Praxis Hrsg. Manfred Bergener Georg Thieme Verlag 1989 Der suizidale Patient in Klinik und Praxis Suizidalität und Suizidprävention Manfred Wolfersdorf Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbh Stuttgart 2000 Fachlexikon der sozialen Arbeit hrsg. vom deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge Eigenverlag, Frankfurt am Main vollständig überarbeitete Auflage 1997 27 Klinische Diagnostik und Therapie der Depression M. Wolfersdorf / W.Kopittke / G. Hole (Hrsg.) S. Roderer Verlag Regensburg 1988 Persönlichkeitspsychologie Ein Theorienüberblick Hermann-Josef Fisseni Hogrefe 1998 Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie Stavros Mentzos Vandenhoeck & Ruprecht 1991 Psychose und Suizidalität Manfred Wolfersdorf und Werner Felber (Hrsg.) S. Roderer Verlag Ravensburg 1995 Suizid und Suizidgefährdung Humanwissenschaftliche Ergebnissee Anthropologische Grundlagen Adrian Holderegger Universitätsverlag Freiburg Verlag Herder Freiburg 1979 28 9 Anhang Apathisch: Teilnahmslos, gleichgültig gegenüber den Menschen und der Umwelt Anomalie: a. Abweichung vom Normalen, Regelwidrigkeit (in bezug auf etwas Negatives, einen Mangel oder eine Fehlerhaftigkeit) b. Missbildung in bezug auf innere und äußere Merkmale (biol.) Biopolar/Monopolar Polar: gegensätzlich bei wesenhafter Zusammengehörigkeit; nicht vereinbar Endogen: Im Körper selbst, im Körperinneren entstehend, von innen kommend (von Stoffen, Krankheitserregern od. Krankheiten; (Med.) Introvertiert: Nach innen gewandt, zur Innenverarbeitung der Erlebnisse veranlagt (Psycholog.) Katamnese: Abschließender Krankenbericht des behandelnden Arztes über eine Patienten (Med.) Manie: a. Besessenheit, sucht, krankhafte Leidenschaft b. Phase des manisch-depressiven „ Irreseins“ mit abnormen heiterem Gemütszustand, Enthemmung und Triebsteigerung (psych.) Eigenständiges, umschriebenes Krankheitsbild Zuständigkeitsbereich: Psychiatrie Zählt zu den endogenen Psychosen In der Gruppe der endogenen Psychosen wird die Manie mit den endogenen Depressionen als affektive Psychose zusammengefasst. Symptome: nicht einfühlbare und nicht korrigierbare grundlose überdrehte Heiterkeit, Gehobensein aller Lebensgefühle, enthemmte Getriebenheit... Manisch-depressiver Formenkreis: Manisch-depressive Formenkreis umfasst Patientengruppen in der Psychiatrie, die phasenhaft an manisch und/oder schweren Depressionen erkranken Wechsel von Gesundheit, krankhaft übersteigerter Lebenslust und tiefer Traurigkeit ist primär nicht einfühlbar. 29 Melancholie: Schwermut, Trübsinn Narzissmus: Verliebstein in sich selbst; krankhafte Selbstliebe; Ichbezogenheit Kennzeichnend für die narzisstische Störung ist, dass die zum Alter des Kindes gehörenden narzisstischen Bedürfnisse (bewundert werden wollen, aggressive Regungen, Autonomiebestreben und Idealisierung der Eltern) nicht integriert, sondern abgespalten und teilweise verdrängt werden mussten. Narzisstische Störung als: Abwehr von Depression Kehrseite: Depression als Abwehr des eigentlichen Schmerzes über den Selbstverlust • In der Depression werden eigene Gefühlsreaktionen und Empfindungen aus angst vor Liebesverlust des Objekts verleugnet, statt dessen müssen zwanghaft die Erwartungen der verinnerlichten Mutter erfüllt werden. Neurotransmitter: Neuro = Nerven/Nervensystem Transmitter: Überträgersubstanz, Überträgerstoff Psychogen: Seelisch bedingt, verursacht Psychose: Seelische Störung; Geistes- oder Nervenkrankheit Reihe seelischer Krankheiten, bei denen die Beeinträchtigung psychischer Funktionen ein solches Maß erreicht hat, dass dadurch Einsicht und Fähigkeit gestört sind, einigen der üblichen Lebensanforderungen zu entsprechen; Realitätsbezug ist eingeschränkt Psychosomatisch: Die Psychosomatik, die seelisch-körperlichen Wechselwirkungen, betreffend Psychosomatik: Wissenschaft von der Bedeutung seelischer Vorgänge für Entstehung und Verlauf körperlicher Krankheiten (med.) Somatisch: Den Körper betreffend (im unterschied zu Geist, Seele, Gemüt); körperlich (Med., Psycholog.) Somatopsychisch: Symptome des Seelenlebens in Verbindung mit körperlichen begleit- und Folgeerscheinungen 30 Synapse: a. Kontakt-, Umschaltstelle zwischen Nervenfortansätzen, an der nervöse Reize von einem Neuron auf ein anderes weitergeleitet werden (Neuron: Nerveneinheit, Nervenzelle mit Fortsätzen) b. Berührungsstelle der Grenzflächen zwischen Muskel und Nerv Vitalgefühl: Vital: Das Leben betreffend; lebenswichtig Lebenskräftig; lebensvoll; unternehmungsfreudig 31 Diagnosetabellen 32 33