PS Geschichtspsychologie Handout 16.12.2003 Präsentation Gold Nina Pruscha Patrizia Fillafer Markus 0003861 Matr.-Nr. 8306232 Zeitwahrnehmung in biblischen Berichten Die soziale Konstruktion der Vergangenheit Maurice Halbwachs 1.1 Individuelles und kollektives Gedächtnis Die zentrale These ist die von der sozialen Bedingtheit des Gedächtnisses. Er sieht vollkommen ab von der körperlichen, d.h. neuronalen und hirnphysiologischen Basis des Gedächtnisses und stellte statt dessen die sozialen Bezugsrahmen heraus, ohne die kein individuelles Gedächtnis sich konstituieren und erhalten könnte. Gedächtnis wächst dem Menschen erst im Prozeß seiner Sozialisation zu. Es ist zwar immer nur der Einzelne, der Gedächtnis „hat“, aber dieses Gedächtnis ist kollektiv geprägt. Erinnerungen auch persönlicher Art entstehen nur durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen sozialer Gruppen. Wir erinnern nicht nur, was wir von anderen erfahren, sondern auch, was uns andere erzählen und was uns von anderen als bedeutsam bestätigt und zurückgespiegelt wird. Subjekt von Gedächtnis und Erinnerung bleibt immer der einzelne Mensch, aber in Abhängigkeit von den „Rahmen“, die seine Erinnerung organisieren. Man kann auch zugleich das Vergessen erklären. Das individuelle Gedächtnis baut sich in einer bestimmten Kraft ihrer Teilnahme an kommunikativen Prozessen auf. Das Gedächtnis lebt und erhält sich in der Kommunikation; bricht diese ab, bzw. verschwinden oder ändern sich die Bezugsrahmen der kommunizierten Wirklichkeit, ist Vergessen die Folge. Man erinnert nur, was man kommuniziert und was man in den Bezugsrahmen des Kollektivgedächtnisses lokalisieren kann. 1.2 Formen kollektiver Erinnerung Kommunikatives und kulturelles Gedächtnis Wenn man Ursprungsberichte von Gruppen wie auch von einzelnen Individuen liest , stoßt man auf „fließenden Lücken“(floating gaps), (Jan Vansina). Für frühere Perioden stößt man auf eine Fülle von Informationen. Diese Lücke ist dem Menschen oft nicht bewusst, wurde aber von Forschern erkannt. Das historische Bewusstsein arbeitet nur auf zwei Ebenen: Ursprungszeit und jüngste Vergangenheit. Zwischen den beiden wurde diese klaffende Lücke gefunden. Im kulturellen Gedächtnis der Gruppe stoßen die beiden Ebenen der Vergangenheit vielmehr nahtlos aufeinander. Das zeigt sich sehr klar in der Genealogie. Die Genealogie ist eine Form, den Sprung zwischen Gegenwart und Ursprungszeit zu überbrücken und eine gegenwärtige Ordnung, eine gegenUniversität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 1 von 10 wärtigen Anspruch zu legitimieren, indem er nahtlos und bruchlos ans Ursprüngliche angeschlossen wird. Die beiden Vergangenheitsregister, entsprechen 2 Gedächtnisrahmen, die sich in wesentlichen Punkten voneinander unterscheiden. => kommunikative und kulturelles Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis umfasst Erinnerungen, die der Mensch mit seinen Zeitgenossen teilt (rezente Vergangenheit). Der typische Fall ist das Generationsgedächtnis. Dieses Gedächtnis wächst der Gruppe historisch zu -> es vergeht mit der Zeit-> mit seinem Träger. Das kollektive Gedächtnis funktioniert bimodal: im Modus der fundierende Erinnerung, die sich auf Ursprünge bezieht, und im Modus der biographischen Erinnerung, die sich auf eigene Erfahrung der Rahmenbedingungen -> das „recent past“ bezieht. Modus der fundierenden Erinnerung -> arbeitet auch in schriftlosen Gesellschaften Modus der biographischen Erinnerung -> beruht auch in literalen Gesellschaften, auf soziale Interaktionen Das kulturelle Gedächtnis richtet sich auf Fixpunkte in der Vergangenheit. Die Vergangenheit wird zu symbolischen Figuren, an die sich die Erinnerung heftet. z.B.: Mythen, Erinnerungsfiguren.... Für das kulturelle Gedächtnis zählt erinnerte Geschichte. Die Erinnerungsfiguren im kulturellen Gedächtnis haben einen religiösen Sinn. In der Erinnerung an ihre Geschichte und in der Vergegenwärtigung der fundierenden Erinnerungsfiguren vergewissert sich die Gruppe ihre Identität. Die Teilhabe der Gruppe am kommunikativen Gedächtnis ist diffus. Zwar wissen ältere Leute mehr als die jungen. Um das Wissen, um das es hier geht; wird mit dem Spracherwerb und der Alltagskommunikation erworben. Jeder gilt hier als gleich kompetent. Die Teilhabe am kulturellen Gedächtnis ist immer differenzierter. Das gilt auch für die schriftlose Zeit. Das kulturelle Gedächtnis stellt eine hohe Anforderung an das Gedächtnis. Hier wird das Gedächtnis geradezu als „Datenträger“ gesehen. Im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis spricht sich das kulturelle nicht von selbst herum, sondern bedarf sorgfältige Einweisung. Um das kulturelle Gedächtnis sind strikte Grenzen gezogen. Es gibt Kulturen, in denen die kulturellen Erinnerung scharf gegen das kommunikative Gedächtnis abgehoben ist z.B.: alte Ägypten. Anderen Gesellschaften, unserer eigenen wird das Modell als Skalierung besser gerecht. 1.3 Gedächtnis und Tradition nach Halbwachs Halbwachs unterscheidet „Gedächtnis“ und „Tradition“ bzw. zwischen dem kommunikativen und dem kulturellen Gedächtnis. Man möchte die Vergangenheit mit allen Mittel bewahren und verfestigen. Phasen der Überlieferung an der Frühgeschichte des Christentums: 1.Phase: „Bildungsperiode“: Sind Vergangenheit und Gegenwart im Bewusstsein der Gruppe eins. In der Phase der lebendigen, affektiven Betroffenheit. Das Urchristentum stellt den typischen Fall einer kommunizierenden Gruppe, die nicht den Erinnerung, sondern ihren Zielen lebt, dies aber im Bewusstsein ihrer geistlichen Gemeinsamkeit. In dieser Periode ist das Christentum „weit davon entfernt“, die Vergangenheit gegenüber der Gegenwart zu repräsentieren. All seine Vorstellungen und Erinnerungen sind durch das soziale Milieu gesättigt. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 2 von 10 In dieser Phase besteht eine Einheit von Gesellschaft und Gedächtnis. 2.Phase: Die religiöse Gesellschaft zieht sich auf sich selbst zurück, fixiert ihre Tradition, legt ihre Lehre fest. Es bildet sich eine gänzlich zu der Vergangenheit zugewandten Gruppe. Die einzig und allein damit befasst ist, das Gedächtnis der Vergangenheit zu bewahren. Mit dem Wandel des sozialen Milieus setzt Vergessen ein. Die Texte verlieren ihre Verständlichkeit und werden auslegungsbedürftig. An die Stelle kommunikativer Erinnerung tritt fortan organisierte Erinnerungsarbeit. Da man den Sinn der Formen und Formeln teilweise vergessen hat, muss man sie deuten. Assmann , Das kulturelle Gedächtnis Ein philosophischer Ansatz zum Aspekt der Zeit Thomas Heinrichs, „Zeitbegriffe – Zeitbegriff, Analyse ihrer Bedeutungsfelder“ Im letzten Jahrhundert ist durch alle Wissenschaftsgebiete hindurch der „Zeit“ große Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dabei muß man beachten, daß der Zeitbegriff vieldeutig ist. Seine Vieldeutigkeit kommt in den Texten zum Vorschein, wird aber zumeist nicht explizit zum Problem gemacht. Die unterschiedlichen Bedeutungsebenen können verwechselt oder vermischt werden. Anstatt die Bedeutungsebenen zu trennen, wird zumeist versucht, sie aus einer „hypostasierten Zeit“ abzuleiten. Das bedeutet, die Zeit wird personifiziert. Dies hat häufig eine Überhöhung des Zeitbegriffes zur Folge, der „Zeit“ wird zum Teil ein mystischer Charakter verliehen, demzufolge wir es hier mit einer fremden, unser Leben beherrschenden, ontologischen „Macht“ zu tun haben. Jedes diskursive Feld, so auch das philosophische, besitzt spezifische Zugangsfilter, die dazu führen, dass Probleme zumeist nur auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen werden. Diese kann unter Umständen dem Gegenstand der Untersuchung nur teilweise angemessen sein. Und es kann bei der Analyse des Zeitbegriffs zu einer eingeschränkten Wahrnehmung des Problemfeldes kommen. Die Frage nach der Zeit kann nicht lauten, ob sie subjektiv oder objektiv sei oder was ihre subjektiven oder objektiven Momente seien, sondern wie, aufbauend auf den natürlichen Gegebenheiten, der Begriff „Zeit“ in Gesellschaften gebildet wird, welche Funktion das jeweilige Zeitkonzept in ihnen hat und wie dieses Konzept vom Individuum zu einer konkreten Auffassung, einem konkreten Bewußtsein von der Zeit verarbeitet wird. Wir sehen also, daß „Zeit“ ein gemeinsames sprachliches Zeichen für sehr viele, doch recht unterschiedliche Phänomene darstellt. 1.3.1 Funktionen des Zeitgebrauchs Warum misst man „Zeit“? Das Vergleichen von bekannten mit unbekannten Strecken und Veränderungen dient der Ordnung unserer Umwelt, der Orientierung in ihr und der Organisation unseres Lebens. Zeitbewusstsein ist kein angeborenes Wissen oder ein sich automatisch entwickelndes Gefühl, sondern muß von jedem Kind, entsprechend den Standards der Gesellschaft, in die es hineingeboren wird, immer wieder neu erlernt werden. (vgl. Elias,1988; Piaget 1974) Auch erwachsene Menschen aus Gesellschaften mit einem weniger elaborierten Zeitbewußtsein müssen einen neuen Umgang mit ihrem Lebensablauf erlernen, wenn sie in den Machtkreis von Gesellschaften mit stark durchorganisierten Lebensabläufen geraten. Solch eine Durchorganisation der gesellschaftlichen und individuellen Lebensabläufe ermöglicht es zum einen mehr Arbeit zu leisten, sein Leben bewußter zu gestalten, ist zum anderen Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 3 von 10 aber auch ein Herrschaftsmittel. Nicht umsonst gibt es das Gefühl, der „Tyrannei der Zeit“ unterworfen zu sein. 1.3.2 Kalender Die „Zeit“ wird in sich differenziert, und zwar in die Aspekte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Prozess des Werdens ist gerichtet, dies ermöglicht die Bildung einer Reihe. Zeitmessen ist nicht nur eine Tätigkeit des Vergleichens der Dauer von Ereignissen, sondern es ermöglicht auch die Positionierung von Ereignissen in einer Reihe. Gegenüber der Uhr tritt hier der Kalender in den Vordergrund. Obwohl die Einheiten des Kalenders gleichlautend mit den Einheiten der Zeitmessung vom Tag aufwärts sind, ist er kein Zeitmaßstab. Der Kalender symbolisiert die Reihe und setzt Positionen. In Bezug auf diese können Ereignisse als absolut früher, gleichzeitig oder später bezeichnet werden. Beim Raum entspricht ihm die Landkarte. Zugleich ermöglicht der Kalender ebenfalls die Bestimmung von Ereignissen als vergangen, gegenwärtig oder zukünftig, relativ bezogen auf das Leben einer Gruppe von Menschen. Eine kurze inhaltliche Beschreibung der Chronika Texte und die Einbettung in den historischen Rahmen 1.4 Chronika 1 und 2 1.4.1.1 Inhalt Inhaltlich behandeln Sie die gleichen Themen wie die 2. Samuel und 1. Und 2. Könige. Schwerfälliger geschrieben und sehr moralisierend. Sie sind hauptsächlich für Leser bestimmt, die, die oben genannten Bücher bereits kennen. Sie konzentrieren sich bevorzugt auf 2 Themen: 1.) Der wahre Gottesdienst 2.) Das echte Königtum in Israel Verfolgung dieser Themen innerhalb eines halbwegs chronologischen historischen Rahmens. Dem entspricht das historische Material das der Chronist auswählte ( nach der Teilung des Reiches verfolgt er nur mehr die Geschichte der Könige von Juda ). Der Chronist wählte seine besonderen Themen im Buch auf seinen ursprünglichen Leser aus nämlich die Leute die aus dem Exil zurückgekehrt waren um unter Esra und Nehemia Jerusalem neu aufzubauen. - Entstehung der Chronika um 400 v. Christus Sie sind Teil einer längeren Serie Chronika – Esra – Nehemia. Die neue Gemeinschaft brauchte Rückbesinnung auf die Vergangenheit Orientierung für die neue Einrichtung des Gottesdienstes Damit sich die Geschichte nicht wiederholen sollte Erinnerung an die wichtigsten Lehren ihrer Vergangenheit: - Die Treue Gott gegenüber ist unabdingbare Vorraussetzung für Wohlstand und Freiheit - Götzendienst und Ungehorsam wird immer in Gericht und Untergang enden. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 4 von 10 1.4.1.2 Probleme, die, die Chronika aufwerfen 1. Modernisierung durch den Chronisten. Schilderung vergangener Ereignisse, dass sie seine Zeitgenossen in Ihrer aktuellen Bedeutung verstehen. 2. Seine hohen Zahlenangaben bereiten dem heutigen wenn auch nicht dem damaligen Leser Schwierigkeiten. 3. Leichte Unterschiede in den Namen im Vergleich zu früheren Büchern. Grobe Unterteilung der 2. Chroniken: 1. Chronika: König David 2. Chronika: Kapitel 1 – 9: König Salomo a. Kapitel 9 – 36: Die Könige Judas 1.5 Einordnung in den historischen Kontext anhand einiger Jahreszahlen 966 – 926 v. Ch. König Salomo Um 926 v. Ch. Zerfall des Reiches in Israel und Juda nach Salomo 925 – 587 v. Ch. Reich Juda 587 v. Ch. Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II. 586 – 538 v. Ch. Exil in Babylonien Um 400 v. Ch. Der Chronist verfasste den vorliegenden Text Die empirische Textanalyse 1.6 Die empirisch-analytische Textanalyse Diese gliedert sich in folgende 5 Phasen: 1. Phase 1: Sichten 2. Phase 2: Gruppieren 3. Phase 3: Kontext 4. Phase 4: Relationen 5. Phase 5: Abstraktion Ziel war es, alle Zeitreferenzen des Textes zu suchen und zu kategorisieren und in ein Belief- System zu stellen, um den temporalen Wahrnehmungs- und Erklärungsraum dieser Gesellschaft zu verdeutlichen. 1.6.1 Zu Phase 1: Sichten Da man beim Lesen des Textes dazu neigt, spontan und unbewusst zu selegieren, mussten wir in der 1. Phase alle kontextuellen Erwägungen zurückstellen. Denn jede Deutung ist schon ein Stück Selektion. Deshalb haben wir den Text einfach immer wieder durchgelesen und haben dabei versucht, möglichst viele Referenzen für alle möglichen Zeitkonstruktionen zu finden. Dann haben wir alle Zeitbegriffe rausgeschrieben, jeweils mit einem kurzen Kommentar oder einer textnahen Zusammenfassung. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 5 von 10 1.6.2 Zu Phase 2: Gruppieren Dann haben wir die Referenzen nach inhaltlicher Zusammengehörigkeit gruppiert. Das heißt, wir haben die Referenzen und Kurzkommentare in verschiede Kategorien, oder auch „Pools“ genannt, gegeben. In unserem Fall waren dies Vergangenheit (unmittelbar/fern), Gegenwart, Zukunft (unmittelbar/fern), zyklische Begriffe und zeitlose oder unendliche Begriffe. Zu beachten ist, wie stark und wo diese Gruppen in den Quellen vertreten sind. 1.6.3 Zu Phase 3: Kontext Hier haben wir die Referenzumgebung innerhalb einer Gruppe (Kategorie) nach gemeinsamen Inhalten untersucht. Danach finden die ersten Erklärungsversuche statt. 1.6.3.1 Gegenwart Beispiele hierzu aus der Chronika 2: 1/10 6/16-17 20/10 Nach Durchsicht der Zeitbegriffe der Gegenwart fällt auf, dass sich hier der König entweder mit einer Forderung, einem Befehl oder einer Anschuldigung an Gott wendet, um ihn zu einer Handlung zu bewegen, um Hilfe zu erhalten oder als Unterstützung und Stütze seiner Herrschaft. 1.6.3.2 Zukunft, fern Beispiele: 7/20 19/11 21/14-15 In den zukunftsbezogenen Textstellen haben wir folgende Beobachtung gemacht: Es handelt sich hierbei um die Folgen, die Gott androht, wenn seine Gesetze bzw. Regeln nicht befolgt werden. Dies betrifft sowohl die Herrscher als auch das Volk. Die Folgen sind Plagen (Krankheiten, Heuschrecken, Aussatz, etc.), Kriege mit anschließender Gefangenschaft, Verachtung und Verspottung des Volkes durch andere Völker. Hierzu ist zu bemerken, dass diese Ankündigungen nur im Gespräch und Gebeten der Herrscher mit bzw. zu Gott ausgesprochen werden. Sobald diese Mitteilung Gottes durch Propheten geschehen, findet dann kein Gespräch statt, sondern die Propheten teilen nur mit, was ihnen Gott gesagt hat. Es wird bereits hier deutlich, dass Gott nur mit sehr wenigen Menschen kommuniziert. 1.6.3.3 Zukunft, unmittelbar Zeitreferenzen die, die nahe Zukunft betreffen, sind solche, die entweder Handlungen oder Geschehnisse im Zeitverlauf beschreiben oder unmittelbare Reaktionen. 1.6.3.4 Vergangenheit, fern Beispiele: 6/05 17/03 Diese Zeitreferenzen betreffen oder nennen Ereignisse von großer Bedeutung für die Geschichte der Herrscher und in der weiteren Folge des Königreichs Juda. Sie sollen die Ausnahmestellung des Volkes bzw. Judas unmissverständlich darstellen. Sie sind feste Größen, unverrückbar, die allen bekannt sind. Sie haben den Bund Gottes mit Mose sowie in weiterer Folge mit David und Salomo zum Inhalt. 1.6.3.5 Vergangenheit, unmittelbar Die Begriffe, die in Verbindung mit der nahen Vergangenheit stehen, stellen das hauptsächliche Erzählinstrument dar. Durch sie werden die einzelnen Ereignisse der Geschichte verbunden. Eine spezifische Bedeutung in Bezug auf ein Belief- System ergibt sich daraus nicht. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 6 von 10 1.6.3.6 Zyklische Zeitbegriffe Beispiele: 2/03 31/03 Diese Begriffe zeigen sich nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit den Festen bzw. manifestieren sich die Bezeichnungen der Feste selbst als zyklische Zeitbegriffe. In der Beschreibung der Feste werden folgende Aspekte des gesellschaftlichen Lebens deutlich: a) Die Feier der Feste fällt in Zeiten, in denen es dem Volk wirtschaftlich gut geht. b) Es handelt sich um religiöse Feste, die den Zusammenhalt der Bewohner Judas fördern. c) Als 3. Komponente stellt sich noch die sinnliche Wahrnehmung der göttlichen Autorität hinzu. Bei den Festen und Opfern können auch die einfachen Menschen eine Verbindung zu Gott herstellen. Sie können ihn um etwas bitten, ihm danken und ihn gemeinsam erfahren. Beispielsweise erscheint bei der Einweihung von Salomos Tempel Gott allen in Form einer Wolke. Er ist sozusagen anwesend und für alle wahrnehmbar. 1.6.3.7 Unendliche oder zeitlose Begriffe Beispiele: 7/03 7/16 Hier handelt es sich um Begriffe wie ewig, alle Tage, etc. Wir finden diese Referenzen im Zusammenhang mit Gott. Sie beschreiben Eigenschaften Gottes, sowie immer gültige Regeln oder Symbole, die stellvertretend für die göttliche Präsenz auf der Welt sind. Seine Gnade währt für immer, auch den sündigen Menschen, die Einsicht haben, wird sie zuteil. Man kann sich darauf verlassen, dass Gottes Gnade für immer und ewig Bestand haben wird. 1.6.4 Phase 4: Relationen In diesem Schritt haben wir die vorher erwähnten Kategorien miteinander verglichen bzw. Beziehung zw. ihnen untersucht. Grundsätzlich ist zu sagen, dass beim Wechsel der Zeitebenen die Bedeutung der entsprechenden Passagen hervorgehoben wird. Bespiel: 7/08- 7/22 In dieser Passage kommen hauptsächlich Gegenwartsbegriffe mit zeitlose Begriffe und mit Zukunftsreferenzen vor wie z.B. wenn - dann Beziehungen. Dann geht der Text mit der Erzählung weiter. Wirklich aussagekräftig in unserem Zusammenhang sind die wenn - dann Gruppen. Dies gibt auch schon Hinweise auf das Beliefe - System. Wenn Gott seine Plagen über das Volk kommen lässt, dann ist das begründet darin, das sie sich von ihm abgewandt haben. Umgekehrt gilt dies natürlich genauso. Beispiel: 18/02- 18/26 Personenbezogen fällt auf, dass außer Gott und dem Herrscher auch die Propheten zukünftiges vorhersagen. Wobei den Propheten nicht die Möglichkeit zum Zwiegespräch mit Gott möglich ist. Sie geben nur wieder, was ihnen Gott mitteilt und nur das. Auch wenn ihnen der König nicht glaubt, erfüllen sich diese Vorhersagen unweigerlich. Dies gilt auch im positivem Sinn. (20/16-20/26) Zyklische Zeitbegriffe: 2/03 Zyklische Zeitbegriffe gefolgt von unendlichen/zeitlosen Referenz. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 7 von 10 Die Feste und Opferungen werden genannt und dass dies von Gott auferlegt ist für ewig; immer während. 1.6.5 Phase 5: Abstraktion Nun kommen wir zur schwierigsten Phase unserer Arbeit, nämlich der Entwicklung des beliefe- Systems, das die Grundlage unseres Textes sein könnte. Um diese Arbeit etwas zu vereinfachen blieben bei unseren Betrachtungen die Modifikationen die, die biblische Quelle seit ihrer Entstehung erfahren hat, wie Transkriptionsfehler, Fälschungen aller Art u. s. w. außer Ansatz. Zusätzlich verkürzten wir unser Beliefe - System auf zwei Aspekte: 1.) In das Finden von Zielen, als Sets von zusammengehörigen und interagierenden Sichtweisen oder Überzeugungen mit dem Zweck der Strukturierung von Person und Umwelt. 2.) Das Herausarbeiten von Realisierungen, als (pseudo)-logische Regeln, die zur inneren Konsistenz des Systems beitragen und die Geschehnisse (innere und äußere) erklären. Als Strategie hierfür ergibt sich aus dem Text die Herbeiführung einer göttlichen Autorität, die an eigener Stelle handelt. Ziele (Sets) Regeln (Realisierungen) Legitimation der Herrschaft Der Herrscher ist der Einzige, der aktiv und im Dialog, mit der göttlichen Autorität kommunizieren kann. Er kann Dinge erbitten, ja sogar Versprechen einfordern. Sicherung von Macht und Autorität Sicherung des Territoriums Wohlstand Der König bestimmt das Feiern von Festen und Gebet und Opferungen an die göttliche Autorität. Als oberster Priester und Kriegsherr steht ihm unumschränkte Autorität zu. Die göttliche Autorität unterstützt den König in Konflikten mit feindlichen Gruppen, hilft aktiv beim Kampf und ist Garant für den Sieg über feindliche Gruppen (Völker) Reichtum und Wohlstand für den Herrscher festigt seine Machtposition. Vorraussetzung ist: Der Glaube an die göttliche Autorität und das Einhalten ihrer Regeln und die Sicherstellung der Verehrung, durch feiern der vorgeschriebenen Feste und Opferungen. Soziale Harmonie Zusammenhalt der Gruppe Das gemeinsame feiern, opfern und beten schafft Zusammenhalt in der Gruppe und das Wohlwollen der göttlichen Autorität, die auch nur gemeinsam sinnlich wahrnehmbar wird, nämlich als Gott als Wolke allen Mitgliedern der Gruppe bei der Einweihung des Tempels erscheint. Der Glaube an die göttliche Autorität und das Einhalten der von ihr vorgegebenen Regeln schafft folgende Konsequenzen die unabdingbar, unveränderbar und unbeeinflussbar sind: Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 8 von 10 Eine besondere und herausragende Stellung des Volkes Juda, dessen Gott für sein Volk sorgt und ihm sein wirtschaftliches Auskommen gibt indem er: Das Hereinbrechen von Naturkatastrophen, Seuchen, Hungersnöte verhindert. Kriegerische Auseinandersetzungen mit Aggressoren von außen aktiv zum positiven Ausgang für das Volk von Juda beeinflusst. Diese Konsequenzen eines regelkonformen Verhaltens kehren sich ins Gegenteil um, sobald der Glaube an die göttliche Autorität nicht mehr gepflogen wird. Einbettung in einen phantasierten temporären Zusammenhang (Identitätsaspekt) Es existiert und das sehen wir durchgängig im gesamten Text ein direkter kausaler (besonders intensiv aber in den textlichen Darstellungen der sog. „Wenn – Dann“ – Beziehungen) Zusammenhang: Einerseits zwischen dem Glauben an die göttliche Autorität und den oben beschriebenen positiven Auswirkungen für Volk und Herrscher Und andererseits der ebenso konsequente direkte Zusammenhang zwischen dem Abfallen vom Glauben und sämtlichen negativen Konsequenzen. Hinzu kommt noch dass auch ein direkter zeitlicher Faktor offensichtlich ist, nämlich dass die Konsequenzen nicht irgendwann eintreten sondern unmittelbar dem „Fehlverhalten“ gegenüber der göttlichen Autorität folgen. Die Folgen, Strafen sind unausweichlich und treffen Alle. Daraus leitet sich eine „Wir das Volk Juda Identität“ ab. Sowohl positives als auch negatives Verhalten im obigen Sinne bescheren unweigerlich, unentrinnbar und ausnahmslos für alle Mitglieder der Gruppe gemeinsame positive oder negative Erfahrungen, das soll die Identität stärken. Negative Konsequenzen können nur aufgehoben werden indem gemeinsam zum regelkonformen Verhalten zurückgekehrt wird. Das alles wird zwar durch den Text logisch eindringlich suggeriert, existiert aber nur im Bewusstsein der Gruppe die daran glaubt. Das vorliegende Ergebnis kann nur als ein Versuch gewertet werden, da der folgende letzte Schritt noch aussteht, nämlich: Ziele (Sets) und Regeln (Realisierungen) nun zu Objekten zusammenzufassen, die als Teile des Beliefe - Systems zu verstehen sind und mit ihren Beziehungen untereinander das funktionierende Beliefe System bilden sollten. Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 9 von 10 Literatur Assmann, J. (1992). Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München: Beck Rustemeyer, R.(1992). Praktisch-methodische Schritte der Inhaltsanalyse: eine Einführung am Beispiel der Analyse von Interviewtexten, Münster: Aschendorff, 1992 (Arbeiten zur sozialwissenschaftlichen Psychologie: Beiheft; 2) Thomas Heinrichs, Zeit der Uneigentlichkeit. Heidegger als Philosoph des Fordismus, Münster 1999 (Verlag Westfälisches Dampfboot), vgl. dort S. 40-55 Scherner, M. (2000): Kognitionswissenschaftliche Methoden in der Textanalyse, In: Klaus Brinker [u.a.] (Hg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. 1. Halbbd. Berlin, New York: de Gruyter (HSK 16.1) 186-195 Universität Wien, Institut f. Psychologie, FB Allgemeine Psychologie, Dr. Ali Al-Roubaie Seite 10 von 10