Welternährung

Werbung
Probleme der Welternährung
Einleitung
«Ich habe Hunger.» oder «Ich bin hungrig.» Wir machen solche Aussagen wohl fast täglich und nehmen sie auch subjektiv ernst,
ohne uns darüber im klaren zu sein, welch nichtige Variante des Hungers wir meinen. Wir behaupten, Hunger zu haben, wenn wir
uns zu einer der – mindestens drei - täglichen Mahlzeiten an den Tisch setzen. Wir glauben aber schon wieder, Hunger zu haben,
wenn wir auf dem Jahrmarkt in den Duftkreis einer Würstchenbude geraten. Selbst zu vorgerückter Stunde, wenn bei einer
abendlichen Festlichkeit das Kalte Buffet eröffnet wird, versichern wir dem Gastgeber, einen Bärenhunger zu haben, und greifen
tüchtig zu. Freunden und Bekannten, die sich durch außerordentliche Verzehrleistungen hervortun, machen wir Komplimente ob
ihres «gesegneten Appetits». Damit geben wir unbewusst unsere heutige Auffassung von der Bedeutung des Hungers zu erkennen.
Hunger hat für uns gemeinhin nur noch eine positive Funktion, als Voraussetzung für den Spaß am Essen. Das gilt auch, wenn es
gelegentlich zu geringfügigen zeitlichen Diskrepanzen zwischen dem Wunsch nach Nahrungsaufnahme und der Gelegenheit zum
Essen kommt, und wir darüber ungehalten werden. Als existenzielles, lebensbedrohendes Problem kennen wir den Hunger seit
rund 30 Jahren nicht mehr.
Damals, nach Beendigung des 2. Weltkrieges, kannte man in Deutschland die echten, tagelang währenden Hungergefühle. Man
kannte die minderwertigen Nahrungsmittel, die, ohne rechten Nährwert, nur den Magen füllten und beruhigten. Man kannte die
von Unterernährung gezeichnete menschliche Gestalt. Man kannte den unter den Hungrigen rasch um sich greifenden Typhus und
das Hungerödem als Hungerkrankheit im engeren Sinne.
Heute zählen wir in Deutschland und im größten Teil Europas zur Minderheit der Gutgenährten oder sogar Überernährten dieser
Erde, und über Hunger müssen wir in Büchern nachlesen oder uns von den Medien informieren lassen.
Beschreibung des Hungers in seinen Auswirkungen
Der Übergang vom akut auftretenden Hungergefühl zum permanenten oder sich sukzessive verschlechternden Zustand der
Unterernährung erfolgt im allgemeinen allmählich, aufgrund unzureichender Nahrungszufuhr. Das Defizit an Nährstoffen, die für
den Ruheumsatz oder einen etwaigen Arbeitsumsatz benötigt werden, wird aus der Substanz des Körpers gedeckt, was je nach der
körperlichen Ausgangssituation früher oder später zu Auszehrungserscheinungen führt. So viel wissen wir im allgemeinen über
die Folgen des Hungers, und so kennen wir das Abbild des Hungers - aus Bangladesch und Indien, aus der Sahelzone, Afrika oder
aus Kolumbien. Aber der Hunger verändert nicht nur die menschliche Gestalt, er quält den Menschen in vielfältiger Weise - bis er
ihn schließlich tötet, wenn die Hilfe ausbleibt.
Innerhalb des Nährstoffmangels, der langfristig den Hunger ausmacht, ist der Eiweißmangel am schädlichsten für den
menschlichen Körper. Eiweiß dient in komplexer Weise der Aufrechterhaltung der Funktionen des Körpers. Die mit dem
Nahrungseiweiß dem Körper zugeführten Aminosäuren dienen der Proteinbiosynthese in den Zellen, dem Aufbau von Hormonen
und Fermenten, sowie dem Auf- oder Umbau von Körpersubstanz in Organen oder im Muskelgewebe. Eine tägliche Zufuhr von
0,5-1 g Protein (= Eiweiß) pro kg Körpergewicht wird unter normalen Lebensbedingungen für den erwachsenen Menschen als
notwendig angesehen. Die Versorgung mit Kohlenhydraten und Fetten muss ausreichend sein, wenn die oben angegebenen
Minimalwerte für die Eiweißzufuhr gelten sollen; denn sonst bezieht der Körper die Proteine mit in den Energiestoffwechsel ein,
und sie gehen dem Baustoffwechsel verloren.
Wesentlich höher ist der tägliche Proteinbedarf von Kindern und Heranwachsenden. Er wird mit maximal 2,5 g pro Tag und kg
Körpergewicht für das Säuglingsalter angegeben, mit abnehmender Tendenz zur vollen körperlichen Entwicklung hin.
Ausreichende Energieversorgung muss auch bei diesem Wert wieder vorausgesetzt werden, und gerade diese Voraussetzung ist in
den Hungergebieten der Erde nicht gegeben.
Die ausreichende Nahrungs- und Eiweißversorgung der Kinder ist anteilmäßig kein geringes Problem. In den Hungergebieten der
Erde machen allein die Kinder unter 5 Jahren bis zu 15 % der Gesamtbevölkerung aus. Kinder aller Altersstufen, Schwangere und
stillende Mütter zusammengenommen ergeben eine erhebliche Anzahl von Eiweißbedürftigen, die sog. „Vulnerable Group“, wie
sie im Fachjargon der Hilfsorganisationen heißt.
Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft unter Nahrungs- und Eiweißmangel leiden, kommen bereits stark
untergewichtig auf die Welt. Sie holen diesen Entwicklungsrückstand in der Regel auch nicht auf, wenn die stillende Mutter
weiterhin schlecht ernährt wird. Oft kommt es schon im Verlauf des 1. Lebensjahres zum Marasmus, einer der gefürchteten
Mangelkrankheiten des Kindheitsalters. Das Kind bleibt im Wachstum zurück, Muskelschwund tritt auf, gefolgt von geistigen
Entwicklungsstörungen. Eine zweite kritische Phase in der Ernährung des Kleinkindes setzt ein, wenn es abgestillt wird. Die
Nahrung, die an die Stelle der Muttermilch tritt, besteht in den Hungergebieten der Erde vorwiegend aus Kohlenhydraten und ist
arm an Proteinen. Es kommt dann zur verbreitetsten mangelbedingten Kinderkrankheit der Dritten Welt überhaupt, zur
„Kwashiorkor“. Ihren Namen trägt die Krankheit nach dem Zeitpunkt, zu dem sie eintritt. Kwashiorkor ist ein Wort aus
Westafrika und bedeutet in etwa «Krankheit, die ein Kind befällt, wenn sein nächstes Geschwister geboren wird». Die geblähten
Bäuche und die spindeldürren Gliedmaße jener Kinder, die darunter leiden, sind mittlerweile zum makabren Wahrzeichen der
Dritten Welt geworden. Hinzutreten meistens Verfärbungen der Haut, Hautwunden, Verdauungsstörungen mit Durchfall und
Leberschädigungen.
Erst vor kurzem ist es zur traurigen Gewissheit geworden, dass jene Heranwachsenden, die die Unterernährung der frühen
Kindheit überlebt haben, mit dauerhaften Hirnschädigungen rechnen müssen, d. h. mit intellektuellen Defekten, verminderter
Lernfähigkeit, vermindertem Erinnerungsvermögen, Sprachschwierigkeiten, verringerter manueller Geschicklichkeit, gestörtem
Sozialverhalten. Damit ist die Zukunft ganzer Generationen verbaut, die Zukunft ganzer Staaten der Dritten Welt in Frage gestellt.
Die Entwicklung des Gehirns im menschlichen Fötus beginnt mit der Bildung der Nervenzellen etwa in der 10.
Schwangerschaftswoche. Die Anlage der Nervenzellen ist in der 18. Schwangerschaftswoche zahlenmäßig abgeschlossen. Das
schnellste Hirnwachstum ist aber bei der Geburt noch nicht abgeschlossen, sondern setzt sich innerhalb der ersten 2 Lebensjahre
fort. Dementsprechend wichtig ist die ausreichende Eiweißversorgung der schwangeren bzw. stillenden Frau.
Die unzureichenden Nahrungsmengen, mit denen sich die Hungernden begnügen müssen, bewirken natürlich auch eine
mangelhafte Versorgung mit Vitaminen und Spurenelementen. Mangel an Vitamin A tritt überall dort auf, wo nicht genügend Öl
oder Fett für Nahrungszwecke zur Verfügung steht. Er hat ernste Folgen für die Sehkraft und führt nicht selten zur völligen
Erblindung. Bekannt sind Beriberi, Pellagra und Ariboflavinosis als Anzeichen von Vitamin-B-Mangel. In Afrika wird
Vitamin-C-Mangel beobachtet, der sich in Blutungen durch Gefäßbrüche äußert. Neben den Avitaminosen ist
ernährungsbedingter Mangel an Eisen und Calcium immer häufiger zu verzeichnen.
Parasitenbefall kann den Mangel an Vitaminen und Spurenelementen verstärken. Und Parasitenbefall ist aufgrund der
katastrophalen hygienischen Verhältnisse in den Slums bzw. Townships oder wie die Wellblechvorstädte regional sonst noch
heißen mögen, praktisch unvermeidbar. Starker Spulwurmbefall, wie er bei Kindern in der Dritten Welt häufig zu beobachten ist,
setzt die Aufnahmefähigkeit des Körpers von Vitamin A herab (ebenso wie die Proteinaufnahme übrigens). Akuten Mangel an
Vitamin B12 ruft der Fischbandwurm hervor, der in Regionen, wo Fisch ungekocht gegessen wird, die Menschen befällt. Ein
weiterer verbreiteter Darmparasit, der Hakenwurm, ruft bei starkem Befall durch die von ihm verursachten Darmblutungen
Eisenmangelanämie hervor.
Hunger und Krankheit gehen leider nur allzu oft Hand in Hand. Schlechte Ernährung vermindert die Entwicklung schützender
Antikörper und setzt die allgemeine Widerstandskraft gegenüber Krankheiten herab. Besonders häufig grassieren Magen- und
Darminfektionen in den Hungergebieten. Sind die Schleimhäute des Verdauungstraktes der hungernden Menschen durch
Vitamin-B-Mangel geschwächt, können die Krankheitskeime leicht in die Blutbahn gelangen. Die angegriffenen Darmwände sind
zur Aufnahme der spärlich zugeführten Nährstoffe nicht mehr in der Lage, durch die im Fieber gesteigerten Stoffwechselabläufe
wird verstärkt der eigene Körper geschwächt. So sterben viele unterernährte Kinder, aber auch Erwachsene offiziell an einer
Infektionskrankheit. De facto handelt es sich jedoch auch in solchen Fällen um Hungertote.
Bilanz des Hungers
Rund 7 Milliarden Menschen leben gegenwärtig auf der Erde. Die Hälfte bis Zweidrittel der Weltbevölkerung ist unterernährt. Bis
zu 3 Milliarden Menschen leiden regelrecht Hunger bzw. sind in erheblichem Maße unterernährt. Unmittelbare Lebensgefahr
aufgrund eines äußerst kritischen Ernährungszustandes bestand 2004 für rund 950 Millionen Menschen. Die Zahl der Todesopfer,
die der Hunger in der Welt seit 1972/73 alljährlich fordert, dürfte nach dem Mittel aller Schätzungen bei 60 Millionen liegen.
Hungersnot und Mangelernährung treten nicht gleichmäßig über die ganze Erde verteilt auf. Vielmehr konzentrieren sie sich auf
eine ringförmige Zone entlang des Äquators, die in etwa mit den Tropen zusammenfällt, sich stellenweise aber auch nach Norden
wie nach Süden bis in die gemäßigten Zonen ausdehnt. Hungergürtel der Erde wird dieses Gebiet genannt. Es ist in etwa identisch
mit den Regionen, die die sog. Dritte Welt bilden. Von den Erdteilen sind es Südamerika, Afrika und Asien (ohne den
Gebietsanteil der ehemaligen UdSSR sowie ohne Japan und die beiden chinesischen Staaten), in denen umfangreiche Hungergebiete liegen.
Je nach der Definition, welche Gebiete zur Dritten Welt gezählt werden, leben dort 50-65 % der Menschheit. Davon sind 60-80 %
unterernährt und / oder falsch ernährt, d. h. einseitig, mit zu geringem Anteil an Fett oder Eiweiß und mit zu wenigen Vitaminen.
60-70 % der Kinder in der Dritten Welt, die in der Wachstums- und Entwicklungsphase ihres Lebens von der
Nahrungsmittelknappheit am stärksten betroffen sind, weisen gegenüber normal ernährten Kindern Wachstumsrückstände auf.
Noch bevor sie 2 Jahre alt geworden sind, sterben 18-30 % der Kinder. Allein der Eiweißmangelkrankheit Kwashiorkor sind
Millionen von Kindern vor Erreichen des 5. Lebensjahres zum Opfer gefallen und weitere Millionen werden folgen. Weltweit
gesehen sind die Todesfälle von Kindern zwischen 1 und 4 Jahren zu 50 % auf Protein-Kalorien-Mangel zurückzuführen, in der
Dritten Welt dürfte der Anteil erheblich höher liegen, nach einer Erhebung der WHO in Brasilien bei 75 %.
In Ostasien erblinden alljährlich weit mehr als 100000 Kinder aufgrund von Mangel an Vitamin A in der Nahrung. Auf 9
Millionen ist die Zahl der ernährungsbedingten Blinden in den letzten Jahren allein in Indien angewachsen.
Zahlenangaben zum Ausmaß des Hungers in der Welt sind sind allerdings generell mit Vorsicht aufzunehmen. Neben Definitionsproblemen der Art, wie weit die Opfer von Infektionskrankheiten den Hungertoten zuzurechnen sind, oder um wieviel niedriger
der Kalorienbedarf für den Ruheumsatz des Menschen im Tropenklima anzusetzen ist, gibt es noch andere Gründe für die
Unsicherheit der statistischen Erfassung des Hungers auf der Welt. Zu überhöhten Daten kommt es leicht, wenn die
internationalen Hilfsorganisationen sich bemühen, das Gewissen der reichen Industrienationen aufzurütteln, oder auch nur, wenn
sich Presseberichterstatter von ihrer berufsmäßigen Sensationslust davontragen lassen. Umgekehrt werden in den reichen
Industrienationen auch verharmlosende Daten zum Ausmaß des Hungers verbreitet, um das eigene Gewissen zu beruhigen. Aber
auch die von Hunger und Armut selbst betroffenen Nationen tragen dazu bei, die Missstände zu verharmlosen, sei es aus
Nationalstolz (wie Indien, das als Atommacht keine Hungertoten in der Bevölkerung anerkennen möchte), sei es um eine neu
etablierte Regierungsform keiner Belastung durch berechtigte Kritik auszusetzen, oder sei es gar, die personelle
Zusammensetzung einer Regierung in ihrer Amtsführung zu bestätigen (wie z.B. in Simbabwe).
Fest steht trotz der Unsicherheit einzelner Zahlenangaben, dass die Zahl der Hungeropfer und der vom Hunger betroffenen weit in
die Millionen geht, und diese Größenordnung spricht für sich.
Gründe für den Nahrungsmangel
Angesichts des Hungers und des Nahrungsmangels in den Ländern der Dritten Welt stellt sich zunächst die Frage, ob die auf der
Welt produzierten Nahrungsmittel womöglich nicht mehr für alle Menschen ausreichen, und die Länder der Dritten Welt auf
Grund der bestehenden weltpolitischen Konstellation dazu verurteilt sind, ein echtes weltweites Nahrungsmitteldefizit als erste zu
verkraften. Bei sorgfältiger Überprüfung der Nahrungsmittelproduktion und Gegenüberstellung mit dem weltweiten Bedarf stellt
sich heraus, dass dieser Punkt sicher noch nicht erreicht ist, wenn er auch schon für absehbare Zeit bevorsteht. Es sind
gegenwärtig noch ungleiche Verteilungsverhältnisse im weitesten Sinne, auf denen der Nahrungsmangel in den Ländern der
Dritten Welt basiert.
Die Ursachen für die Benachteiligung der Dritten Welt in der Versorgung mit Nahrungsmitteln sind vielfältig. Vordergründig
sieht es für den saturierten Westeuropäer so aus, als ob die Menschen in der Dritten Welt durch Disziplinlosigkeit in der
Geburtenregelung, Faulheit und planerische Unfähigkeit ihr Elend selbst verschuldet hätten. Das sind jedoch Unterstellungen, die
nicht zutreffen. Neben Ursachen, die aus der geographischen Lage und den klimatischen Gegebenheiten erwachsen, hat die
Notlage der Bevölkerung in der Dritten Welt ihre Ursachen vor allem im sozio-ökonomischen Bereich, der mit dem formal gerade
überwundenen Kolonialismus eine schwerwiegende historische Komponente beinhaltet.
In krassem Gegensatz zu Nahrungsmangel und Hunger in der Dritten Welt stehen Überfluss und Verschwendung in Mitteleuropa,
Nordamerika und den anderen wohlhabenden Regionen der Erde. In solchen Regionen liegen Getreideverbrauch und
Fleischverzehr pro Kopf und Jahr mit ca. 1800 kg bzw, ca. 110 kg extrem hoch. Die biologischen Nahrungsbedürfnisse sind damit
weit mehr als befriedigt. Die Bevölkerung der reichen Industriestaaten befindet sich damit bereits in einem
gesundheitsgefährdenden Stadium der Überernährung. Rund 400000 t Nahrungsmittel zuviel werden allein in Deutschland
jährlich verzehrt. Als Ergebnis schleppen die Bundesbürger insgesamt 200 Mill. kg Übergewicht mit sich herum. Dabei wandert
ca. ein Zehntel aller Nahrungsmittel beim Endverbraucher aufgrund unüberlegter Haushaltsführung in den Abfalleimer.
Verschwendung beginnt schon beim Erzeuger. Die europäische Landwirtschaft ist nach dem Vorbild der Industrie auf Sicherung
der Rentabilität und Steigerung der Gewinne ausgerichtet. Quantitativ höhere ha-Erträge und qualitativ bessere Erzeugnisse
werden über den verstärkten Einsatz von Mineraldünger, Pestiziden, hochwertigem Saatgut und hochwertigen Futtermitteln
optimaler Zusammensetzung angestrebt. Die Energie, die im Ackerbau in die einzelnen Kulturflächen investiert wird, übersteigt
zum Teil bereits die mit dem Erntegut gewonnene Energie. Wenn solchermaßen Überschüsse erzeugt werden, die der Markt nicht
mehr aufzunehmen vermag, dann können sie nicht verschenkt werden; es kommt zu jenen Vernichtungsaktionen, die vor dem
Hintergrund der jeweils aktuellen Hungersnot in der Welt die öffentliche Meinung erregen, oder es kommt zu aufwendiger,
staatlich finanzierter Lagerhaltung.
Nicht unerwähnt bleiben darf die Verschwendung, die bei der «verbrauchergerechten Aufbereitung» von Nahrungsmitteln
getrieben wird. Besonders krass liegen die Verhältnisse in dieser Hinsicht bei der fischverarbeitenden Industrie. Ganze 33 % des
gefangenen Thunfischs kommen auf den Tisch des Verbrauchers, von Dorsch und Kabeljau werden 36 Prozent direkt für die
menschliche Ernährung genutzt, vom Hering 52 Prozent. Den Rest und darüber hinaus die Hälfte aller Anlandungen der
Nordseefischerei übernimmt die Fischmehlindustrie und führt sie als proteinreiches Mastfutter der Landwirtschaft zu, wodurch die
Verschwendung teils aufgehoben, teils weiter fortgeführt wird. Oh hier die Nahrungsmittelindustrie die Schuld trifft, die im
Wettbewerb um die Gunst des Verbrauchers so hohe Abfallraten in Kauf nimmt, oder den Verbraucher, der diese mundgerecht
aufbereiteten Reste gern akzeptiert, ist eine Frage, die bei der Erziehung zur Abkehr von solchen großzügigen
Konsumgewohnheiten aktuell werden dürfte.
Bei aller Empörung, die man angesichts des Hungers in der Dritten Welt über die hierzulande praktizierte Verschwendung
empfinden mag, muss differenziert werden zwischen Verschwendung, die ursächlich zur Verschlechterung der
Ernährungssituation in der Dritten Welt beiträgt, und solcher, die ohne Einfluss auf die Dritte Welt bleibt. Es ist nicht so, dass
etwa alle bei uns durch Konsumverzicht eingesparten Nahrungsmittel und alle Überschüsse unmittelbar der Dritten Welt
zukommen könnten. Die hohen Produktionsraten der europäischen Landwirtschaft fallen nicht von ungefähr an und sind auch
nicht allein auf günstige Voraussetzungen hinsichtlich des Klimas und der Bodenqualität zurückzuführen, sondern sie sind das
Ergebnis hoher Investitionen. Sowie die Absatzmöglichkeiten mit einer angemessenen Gewinnspanne entfielen und die
Produktionsüberschüsse kostenlos oder gegen eine nicht mehr kostendeckende Entschädigung an die Notstandsgebiete der Dritten
Welt abgeführt werden müssten, würden die Produktionsraten zurückgehen. Es gäbe keine Überschüsse mehr.
In einem Punkt könnte sich das Konsumverhalten der Bevölkerung in den reichen Industriestaaten unmittelbar entlastend auf die
Ernährungssituation in der Dritten Welt auswirken, und zwar durch einen eingeschränkten Verbrauch an tierischen Proteinen, d. h.
vor allem an Fleisch. Fleischproduktion und Fleischkonsum sind in Deutschland seit Ende des 2. Weltkrieges stetig gestiegen.
Fleischproduktion und -konsum werden weiter ansteigen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch innerhalb der EG und
allen anderen sogenannten Industriestaaten weltweit. Es ist eine vielfach bestätigte Erfahrung, dass mit dem Ansteigen des
Bruttosozialprodukts auch der Fleischkonsum ansteigt. Diese Bevorzugung von Fleisch in der täglichen Nahrung geht auf Kosten
der ärmsten Länder der Dritten Welt. Ihnen werden zugunsten der Fleischerzeugung in den reicheren Ländern wertvolle Primärkalorien und Rohproteine vorenthalten bzw. entzogen. «Die Industrieländer verfüttern mehr Getreide an ihr Vieh, als die
ungeheuer große Bevölkerung der Entwicklungsländer zusammen als Nahrungsmittel verzehrt». Der Getreideverbrauch in den
Industrieländern entfällt zu 90 Prozent auf die Viehfütterung. Schweine, Hühner und auch Rinder sind zu den gefährlichsten
Nahrungskonkurrenten des Menschen geworden, indem sie in großen Mengen Getreide, eiweißreiche Nahrungsergänzungen
benötigen, also Rohprodukte, die größtenteils unmittelbar der menschlichen Ernährung dienen könnten.
Auch in den EG-Ländern beruht die Fleisch- Lind Milchproduktion nur zum Teil auf bodenständigem Futter. Zum Teil beruht sie
auf Importen, die u. a. auch aus der Dritten Welt stammen. Insgesamt versorgt Westeuropa sich nur zu 50 Prozent selbst mit
Eiweißrohstoffen. Auch Deutschland importiert bis zu 50 %t der Futterproteine - u. a. Fischmehl aus Südamerika, Sojaschrot aus
Brasilien - und leistet sich trotzdem den bekannten Überfluss im Fleischangebot.
Übermäßiger Fleischkonsum ist eine biologische Verschwendung des Ernährungspotentials unserer Erde. Diese Verschwendung
ist nicht so augenfällig wie das weggeworfene Schulbrot oder die Wagenladung Tomaten auf der Müllhalde, aber sie belastet
gegenwärtig die Ernährungssituation in der Dritten Welt am stärksten. Sie wird es auch sein, die die Menschheit an die absoluten
Grenzen der Ernährungsmöglichkeiten stoßen lassen wird. Die biologische Verschwendung durch übermäßigen Fleischkonsum
lässt sich genauso vermeiden wie jede andere Verschwendung - wenn sie als solche erkannt wird.
Aufgabe:



Fasse die wesentlichen Fakten und Inhalte dieses Informationstextes zusammen!
Recherchiere nach ergänzenden Informationen, die von Interesse sein könnten.
Gibt es Länder, die momentan besonders betroffen sind? Wähle eines aus, und schildere seine besondere Situation.
Herunterladen