1 Dr. Christoph Strötz Generalstaatsanwalt Rede auf dem 12. Internationalen Forum für Staatsanwälte am 31. August 2009 in Salzburg zur gesetzlichen Neuregelung von Absprachen im Strafverfahren sowie einer Kronzeugenregelung in der Bundesrepublik Deutschland Anrede In meinem Vortrag möchte ich mich auf zwei Themen konzentrieren, die derzeit in Deutschland sehr aktuell sind und über die jahrelang sehr heftig diskutiert wurde, nämlich: 1. Die Absprache im Strafverfahren und 2. Die „Kronzeugen“-Regelung „Aus Mauschelei wird Gesetz, aus dem Strafrichter ein Strafmakler, aus dem Strafgesetzbuch eine Art Handelsgesetzbuch“. So lautete der Kommentar der Süddeutschen Zeitung, zu dem jüngst vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber eine seit Jahrzehnten bestehende Realität in den deutschen Gerichtssälen aufgegriffen. Der Gesetzgeber gibt nunmehr klare gesetzliche Vorgaben zum Verfahren, 2 dem Inhalt und den Folgen einer Verständigung im Strafverfahren. Die Begriffe „Absprache“ oder „Deal“ werden im Gesetz nicht mehr verwendet. Damit soll der unzutreffende Eindruck vermieden werden, dass Grundlage des Urteils eine quasi vertraglich bindende Vereinbarung wäre. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass der Begriff der „Verständigung“ im allgemeinen Sprachgebrauch hinreichend präzise erfasst ist. Sein wesentliches Merkmal ist der Begriff des Einvernehmens. Der bisherige Begriff der Absprache und nunmehr der Verständigung läßt sich beschreiben als Einigung auf ein beiderseits zu befolgendes „Verhaltensprogramm“. Das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten soll von dem des anderen abhängig sein. Der Vorleistende erbringt also seinen Beitrag im Hinblick auf die zu erwartende Gegenleistung. Der Nachleistende erbringt den seinigen Beitrag um der erbrachten Vorleistung willen. Bevor ich Ihnen den Inhalt der nunmehr bestehenden Gesetzeslage in Deutschland zur der Verständigung im Strafverfahren darstelle, will ich kurz deren geschichtliche Entwicklung skizzieren: Eine gesetzliche Regelung der Absprache im Strafverfahren war im deutschen Strafprozessrecht bisher nicht zu finden. Dennoch war es gängige Praxis, sich über das Verfahren und dessen Ausgang zu verständigen. Regelmäßig verzichteten die Beteiligten (der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft) in einem derartigen Fall auch auf Rechtsmittel, was 3 eine Kontrolle des angesprochenen Urteils durch die Revisionsinstanz regelmäßig ausschloss. Bereits an dieser Stelle möchte ich betonen: die Justiz stand und steht dieser verfahrensökonomischen Art der Erledigung des Verfahrens im Grundsatz überwiegend positiv gegenüber. Dies nicht zuletzt aus dem Gesichtspunkt der hohen Belastung der Gerichte und Ermittlungsbehörden. Insbesondere der Zeitaufwand in Großverfahren, vor allem bei Wirtschaftsdelikten, erhöhten den Anreiz auf Seiten der Justiz, zu einer Verständigung zu kommen. Gleiches gilt für Verfahren bei Betäubungsmittel- und Umweltstraftaten sowie im Bereich der Organisierten Kriminalität. Unklare Beweislagen und schwierige Rechtsfragen mögen ebenfalls eine Rolle spielen. Aber auch eine Konfliktverteidigung mit einer Fülle von Befangenheitsanträgen und Beweisanträgen kann ein Verfahren in die Länge ziehen. Bei einem Geständnis und einer darauf folgenden Verständigung verkürzt sich demnach vieles. Und schließlich war bei einem Rechtsmittelverzicht der Begründungsaufwand für das Urteil wesentlich geringer. Der Siegeszug der Verständigung erklärt sich letztlich daher wohl nur aus der Gegenseitigkeit der Vorteile. Dem Angeklagten, der den Strafverfolgungsorganen gegenüber steht, geht es bei einer Absprache darum, die Dauer und die Intensität des Verfahrens zu minimieren. Schon ein Prozess als solcher, und insbesondere ein langwieriger Prozess, kann belastend sein. Denken sie nur an das Vorstandsmitglied eines Großkonzerns. 4 Auch der Zeugen- und Opferschutz ist und war ein Argument für die Zulässigkeit der bisher sogenannten Absprachen. Gerade die für das Opfer psychisch belastende Beweisaufnahme konnte vermieden werden. Der kurz skizzierte Siegeszug der Absprachen alter Art verwundert auf den ersten Blick. Denn von Anfang an wurde die selbstverständliche Frage gestellt, ob eine Verfahrensabsprache mit dem Leitbild des Strafverfahrens überhaupt vereinbar ist. Kritikpunkte lauten: Im deutschen Zivilprozess sind es die Parteien, die über den Verhandlungsgegenstand bestimmen. Dispositionsmaxime. konsensuale, Eine Es eine herrscht die übereinstimmende Erledigung wird ausdrücklich angestrebt: das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung bedacht sein. Dies ist in der Zivilprozessordnung ausdrücklich geregelt. Demgegenüber ist das Strafverfahren in Deutschland grundsätzlich „vergleichsfeindlich“ ausgestaltet, Legalitätsprinzip und dem Legalitätsprinzip besagt, dass es wird beherrscht vom Amtsermittlungsgrundsatz. Das die Strafverfolgungsbehörden bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen, also auch ohne Anzeige und Antrag, zu ermitteln haben. Der Amtsermittlungsgrundsatz begründet die Verpflichtung der Gerichte und Behörden den Sachverhalt von Amts wegen zu untersuchen. Es gilt das Prinzip der materiellen Wahrheit. Gegenargument in diesem Bereich der „vergleichenden“ Erledigung des Verfahrens war stets eine Vorschrift in der deutschen Strafprozessordnung (§ 153 StPO), nach der die Verfahrenseinstellung – 5 aus Opportunitätsgründen - in Fällen geringer Schuld gegen Zahlung einer Geldbuße möglich ist. Ein weiterer Kritikpunkt: Im Strafverfahren herrscht das Prinzip der Unschuldsvermutung. Dies ist ausdrücklich geregelt in Art. 6 Abs. 2 EMRK. Gegen die Absprache wird angeführt, das abgesprochene Urteil beruhe auf einer „Schuldvermutung“ und führe zu einer Art „Verdachtsstrafe“. Die Gegenfrage lautet allerdings: hat es nicht der Angeklagte selbst in der Hand, ein Geständnis abzulegen oder nicht? Auch sei der Gleichheitssatz tangiert – so ein weiterer Kritikpunkt. Von den Absprachen profitierten vor allem bestimmte Angeklagte, speziell in schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren. Sie könnten dem Gericht etwas „anbieten“. In der Tat fragt man sich, was demgegenüber ein Ladendieb, der mit seiner Beute erwischt wird, noch „verhandeln“ kann. Die Kritiker der Absprache im Strafverfahren monierten darüber hinaus, dass die Rechte des Angeklagten nicht außer Acht zu lassen seien. Erinnert wurde an das Recht des Angeklagten zur Aussagefreiheit: niemand braucht sich selbst zu belasten. Eine Absprache setzte aber regelmäßig ein Geständnis des Angeklagten voraus. Der Angeklagte konnte sich in dieser Situation zur Aussage geradezu verpflichtet fühlen. Diesem Vorwurf wurde entgegengehalten, dass ein solches Geständnis sich auch sonst immer schon strafmildernd ausgewirkt habe und es dem Angeklagten selbstverständlich stets anheim gestellt ist, sich für oder gegen ein Geständnis zu entscheiden. 6 Zur Klarstellung möchte ich betonen: Die Rechte des Angeklagten würden dann nicht mehr gewahrt und die Grenze des rechtlich Zulässigen wäre klar überschritten, wenn verbotene Vernehmungsmethoden angewandt würden. Diese Methoden sind nach der deutschen Strafprozessordnung insbesondere Zwang, Täuschung oder Drohung. Das Gericht darf also weder gesetzwidrige Vorteile versprechen noch mit einer unzulässigen Maßnahme (Stichwort: Sanktionsschere) drohen. So bot etwa ein außerbayerisches Landgericht einem Angeklagten, dem 156 Einzelfälle des sexuellen Missbrauchs vorgeworfen waren, „gegen“ ein Geständnis zwei Jahre mit Bewährung an. Nachdem der Angeklagte nicht gestanden hatte und das Verfahren auf 37 verbleibende Fälle beschränkt worden war, verhängte das Landgericht eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Fälle dieser Art sind es, die die Kritiker und Gegner einer Absprache im Strafverfahren bislang hervorriefen. Als prominenteste Kritikerin darf ich Frau Generalbundesanwältin Professor Harms zitieren. Sie bemängelt in der Festschrift für ihren Amtsvorgänger Kay Nehm den –ich zitiere- „Verlust von Rechtssicherheit“ und sprach von der „Auflösung der Grundlagen des Strafverfahrens in Beliebigkeit und Willkür“. Demgegenüber haben zwei bahnbrechende Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofes aus den Jahren 1997 und 2005 7 bedeutende Maßstäbe für die rechtliche Strukturierung der Absprachenpraxis in Deutschland gesetzt. Bereits im Jahre 1997 stellte der vierte Senat des Bundesgerichtshofes klar, dass die Strafprozessordnung eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten nicht generell untersagt. Nach deutschem Rechtsverständnis sei –so der BGH- eine Absprache im Strafverfahren zulässig. Die Verständigung, so die höchstrichterliche Rechtsprechung, müsse aber sowohl hinsichtlich ihres Zustandekommens als auch bezüglich des Inhalts den unverzichtbaren Grundsätzen des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts genügen. Der Öffentlichkeitsgrundsatz müsse gewahrt sein. Absprachen dürften nicht unter dem Deckmantel der Heimlichkeit und Unkontrollierbarkeit stattfinden. Sie müssten offengelegt werden. Das Ergebnis müsse im Protokoll der Hauptverhandlung festgehalten werden. Das Gericht dürfe keine verbindliche Zusage über die Höhe der Strafe machen. Das Gericht könne aber zusagen, dass im Falle der Ablegung eines glaubhaften Geständnisses eine Strafobergrenze nicht überschritten werde. Diese Obergrenze, wie auch das spätere Urteil dürften den Boden des angemessenen Strafens nicht verlassen. Schließlich, so der Bundesgerichtshof: die Vereinbarung Rechtsmittelverzichts mit dem Angeklagten sei unzulässig. eines 8 Durch diese Entscheidung aus dem Jahre 1997 war das Verfahren für eine zulässige und wirksame Absprache zunächst klargestellt. Offen blieben entscheidende Fragen zum Rechtsmittelverzicht, insbesondere ob das Gericht auf einen Rechtsmittelverzicht nach Urteilsabsprachen hinwirken darf. Klärung fand diese Frage durch die zweite bedeutende Entscheidung in diesem Bereich der Urteilsabsprachen, der Entscheidung des Großen Senats in Strafsachen des Bundesgerichtshofs im Jahre 2005. Danach durfte das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken. Auch durfte es auf einen Rechtsmittelverzicht selbst nicht hinwirken. Der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen endete mit dem Appell an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und die wesentlichen rechtlichen Voraussetzungen sowie die Begrenzungen von Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln. Dieser Appell blieb in der Folge nicht unverhallt. In relativ kurzer Zeit wurden verschiedene Vorschläge für eine gesetzliche Regelung aus den Reihen der Rechtsanwaltschaft, des Bundesjustizministeriums und des Bundesrates unterbreitet. Am 28. Mai diesen Jahres verabschiedete nun der Deutsche Bundestag in dritter Lesung ein entsprechendes Gesetz, das seit Anfang dieses Monats (5. August 2009) in Kraft getreten ist. 9 Der Titel des Gesetzes lautet: „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ (BGBl. I, 2009, S. 2353). Es geht von folgenden Voraussetzungen aus: Die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung bleiben unberührt. Das Strafmaß orientiert sich weiterhin an der Schuld des Angeklagten. Unberührt bleiben auch die allgemeinen Grundsätze des Strafverfahrens. Dem „Konsensprinzip“ wird eine Absage erteilt. Grundlage des Urteils kann demnach niemals allein die Verständigung sein. Das Gericht ist weiterhin verpflichtet den wahren Sachverhalt bis zu seiner Überzeugung zu ermitteln. Die Verständigung kann nur in der öffentlichen Hauptverhandlung zustande kommen. Vorgänge außerhalb der Hauptverhandlung muss das Gericht öffentlich mitteilen. Die Verständigung muss protokolliert werden. Sie muss auch im Urteil erwähnt werden. Damit ist ein hohes Maß an Transparenz gewährleistet. Die Rechtsmittel sind nicht beschränkt. Das Urteil bleibt nach einer Verständigung im vollen Umfang nachprüfbar. Hierüber muß der Angeklagte eingehend belehrt werden. Bereits diese grobe Skizze der Grundsätze der nunmehr geltenden Regelung zeigt, dass der Gesetzgeber einen Mittelweg gegangen ist: auf der einen Seite stand die Forderung nach einem Totalverbot von Absprachen im Strafverfahren und auf der anderen Seite sollte eine neue Kategorie im deutschen Strafprozess Eingang finden durch das 10 sogenannte Konsensprinzip: d.h. der übereinstimmende Wille der am Urteil Beteiligten sollte bindende Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung werden. Wie gesagt, die nunmehr geltende Regelung der Verständigung ist ein Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen. Sie findet sich in der zentralen Vorschrift des neu geschaffenen § 257 c StPO wieder. Diese Vorschrift enthält nun folgende Vorgaben: 1. Gegenstand einer Verständigung: Gegenstand einer Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen, also im Wesentlichen das Strafmaß und etwaige Auflagen wie zum Beispiel Bewährungsauflagen sein. Auch Maßnahmen zum Verfahrensverlauf sowie das Prozessverhalten der Beteiligten sind zulässig, wie etwa Einstellungsentscheidungen (z.B. § 154 StPO), die Zusage von Schadenswiedergutmachung durch den Angeklagten oder der Verzicht auf weitere Beweisanträge oder Beweiserhebungen. Letztere müssen aber mit der Sachaufklärungspflicht des Gerichts vereinbar sein. Denn, wie erwähnt, das Gericht muss von der Richtigkeit des Geständnisses überzeugt sein. Bei Zweifeln an der Richtigkeit muss es gegebenenfalls auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden – so die Intention des neuen Gesetzes. Welche Art das Geständnis sein muss, bleibt allerdings offen. Genügt ein bloßes „Formalgeständnis“ oder muss es sich um „qualifiziertes Geständnis“ handeln? Trotz Drängens aus der Praxis wurde diese Frage nicht im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen. 11 Ausdrücklich ausgeschlossen als Gegenstand einer Verständigung ist der Schuldspruch - also die Frage, ob und wenn ja wegen welcher Strafnorm jemand verurteilt wird. Ebenso wenig können Maßregeln der Besserung und Sicherung, wie zum Beispiel die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in eine Verständigung aufgenommen werden. In beiden Fällen lässt das materielle Strafrecht dem Gericht keinen Entscheidungsspielraum, weshalb diese Bereiche eben auch nicht Gegenstand einer Verständigung sein können. 2. Zustandekommen einer Verständigung: Das Zustandekommen einer Verständigung regelt die neu geschaffene Vorschrift klar und eindeutig: das Gericht gibt den möglichen Inhalt der Absprache bekannt. Der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft stimmen diesem zu. Das Gericht gibt dabei eine Obergrenze und eine Untergrenze der möglichen Strafe an. Das Gericht darf hierbei weder eine unangemessen niedrige noch eine unangemessen hohe Strafe vorschlagen. 3. Transparenz der Verständigung: Die Transparenz der Verständigung wird dadurch gewährleistet, dass diese nur in öffentlicher Hauptverhandlung zustande kommen kann. Dies schließt nicht aus, dass außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche geführt werden. Um Absprachen im Revisionsverfahren vollständig überprüfen zu können, müssen diese in der Hauptverhandlung was den wesentlichen Ablauf anbelangt sowie hinsichtlich des Inhalts und des Ergebnisses, protokolliert werden. „Von Gesetz gewordener Mauschelei“, wie dies der eingangs meines Referats zitierte Kommentar 12 nennt, kann bei genauer Betrachtung also nicht gesprochen werden. Das „dunkle Hinterzimmer“ ist Vorstellung der Kritiker – widerspricht aber der klaren Gesetzeslage. 4. Scheitern einer Verständigung: Bei Scheitern einer Verständigung gilt folgendes: den Aspekt des Scheiterns der Absprache beleuchtet das Gesetz ausdrücklich. Das Gericht kann sich bei Vorliegen besonderer Umstände von der Verständigung lösen, etwa wenn bedeutende tatsächliche oder rechtliche Umstände übersehen worden sind oder sich nachträglich ergeben und das Gericht deswegen zur Überzeugung kommt, dass die in Aussicht gestellte Strafe nicht mehr tatsächlich schuldangemessen ist. Die Bindung des Gerichts entfällt sodann. Was geschieht aber in einem solchen Fall mit dem Geständnis des Angeklagten, das im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung abgegeben wurde? Löst sich das Gericht aus den im Gesetz genannten Gründen von der Verständigung, darf es das Geständnis nicht mehr verwerten. Damit wurde ein neues gesetzliches Verwertungsverbot konstituiert. Soweit –in aller Kürze- zu den Neuregelungen der Verständigung im Strafverfahren. Die Praxis wird zeigen, ob und wie sich die Neuregelungen bewähren werden. Mein Fazit fällt „durchwachsen“ aus: Im Ergebnis halte ich Absprachen nach wie vor für ein notwendiges Instrument im Strafverfahren. Jede Regelung wird sich aber auch Kritik gefallen lassen müssen. Auf das Fehlen des Erfordernisses eines qualifizierten und aussagekräftigen Geständnisses habe ich schon 13 hingewiesen. Ich vermisse ebenso eine Regelung hinsichtlich der Belange des Nebenklägers. Das Verwertungsverbot von Geständnissen bei einer fehlgeschlagenen Verständigung erschließt sich mir nur schwer. Nicht begeistern wird die Praxis das Verbot eines Rechtsmittelverzichts. Soviel zur Verständigung im Strafverfahren. Im zweiten Teil meines Vortrages möchte ich kurz über eine weitere Neuerung im deutschen Strafrecht berichten: der Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe. Diese wurde bislang unter dem Stichwort der „Kronzeugen“ – Regelung diskutiert und wird mit Wirkung vom 1. September 2009 als „Dreiundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches“ (BGBl.I, 2009, S. 2288) in Kraft treten. Beide Regelungen, die Verständigung im Strafverfahren und die Kronzeugen-Regelung, haben die Gemeinsamkeit, dass der Täter sein Wissen den Strafverfolgungsorganen offenbart. Bei der Verständigung offenbart der Täter sein Wissen über seine eigene Tat; im Rahmen der Kronzeugenregelung, die vom Gesetzgeber jetzt als Aufklärungs- und Präventionshilfe bezeichnet wird, offenbart der Täter sein Wissen über eine andere Tat. Bei der Aufklärungs- und Präventionshilfe macht der Staat einen –ich zitiere- „Deal mit jemanden, der in eine Straftat verwickelt ist“, so der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer. Der deutsche (Verständigung Präventionshilfe) Gesetzgeber im hat Strafverfahren parlamentarisch bewusst sowie gemeinsam beide Regelungen Aufklärungs- und behandelt und 14 verabschiedet. Nach der neuen Kronzeugenregelung kann das Gericht die Strafe künftig mildern oder ganz von einer Strafe absehen, wenn der Straftäter durch seine Aussage zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten beiträgt. Ausgangspunkt der morgen in Deutschland in Kraft tretenden neuen Kronzeugenregelung waren die bis 1999 gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten, die Kooperationsbereitschaft von Straftätern zu honorieren. Das bis 1999 geltende Kronzeugengesetz eröffnete die Möglichkeit, für die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen und damit zusammenhängender Straftaten, das Verfahren einzustellen, von Strafe abzusehen oder die Strafe zu mildern. Nach Auslaufen dieser Regelung kannte das deutsche Strafrecht seit 1999 nur noch spezifische Kronzeugenregelungen für bestimmte Delikte, die sogenannten „kleinen Kronzeugenregelungen“. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf das Betäubungsmittelgesetz. Die dort bestehende kleine Kronzeugenregelung in § 31 BtMG wurde und wird von der Praxis in großem Umfang angenommen und ermöglicht im Bereich der organisierten Betäubungsmittelkriminalität gute Ermittlungserfolge Vor dem Hintergrund Strafverfolgungsbehörden des verfassungsrechtlichen insbesondere auch Auftrags schwere der Straftaten aufzuklären und zu verhindern sowie auf nachhaltiges Drängen der Praxis, wurde der Gesetzgeber nach nunmehr über 10 Jahren wieder aktiv und stellt in einer neu geschaffenen Vorschrift im deutschen Strafgesetzbuch (§ 46 b StGB) jetzt eine sehr breit ausgestaltete Kronzeugenregelung zur Verfügung. 15 Im Einzelnen ist sie wie folgt ausgestaltet: 1. Voraussetzungen: Voraussetzung für die Erlangung einer Vergünstigung nach der neuen Kronzeugenregelung ist, das der Täter einer mittelschweren oder schweren Straftat sein Wissen über Tatsachen offenbart, die wesentlich zur Aufklärung einer schweren Straftat (nach § 100 a Abs. 2 StPO) beiträgt (sogen. Aufklärungshilfe) oder durch die eine schwere Straftat (nach § 100 a Abs. 2 StPO) verhindert wird (sogen. Präventionshilfe). 2. Folgen: Das Gericht kann nach Vorliegen der genannten Voraussetzungen die Strafe mildern oder von Strafe absehen, wobei bei einer lebenslänglich angedrohten Strafe (etwa bei Mord) allenfalls auf eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren gemildert werden darf. 3. Ausschluss: Die neue Kronzeugenregelung findet dann keine Anwendung, wenn der Kronzeuge sein Wissen erst in der Hauptverhandlung offenbart. Die Pflicht zur frühzeitigen Offenbarung solle den Zweck verfolgen, einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung entgegenzuwirken. Sie soll den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht die Prüfung erleichtern, ob die Angaben zutreffen und daher wirklich zu einer Tataufklärung oder Tatverhinderung beitragen. 16 4. Kein Automatismus Der Kronzeuge erhält nicht automatisch Strafmilderung. Vielmehr hat das Gericht ausdrücklich die Aufgabe, den „Wert“ der Aussage zur Schwere der Tat der Kronzeugen ins Verhältnis zusetzen. Die neue Kronzeugenregelung ist somit als eine Strafzumessungsvorschrift ausgestaltet. Sie beschränkt sich nicht wie frühere Regelungen nur auf bestimmte Deliktsgruppen. Bis vor der Einführung der neuen Regelung konnte grundsätzlich nur der Täter eines Betäubungsmitteldelikts oder ein Geldwäscher eine Strafmilderung erhalten. Dies war weiter beschränkt auf den Fall, dass der Täter des Drogendelikts half ein Drogendelikt aufzuklären, bzw. der Geldwäscher half ein Geldwäschedelikt aufzuklären. Es fehlte der Anreiz zur Kooperation für alle diejenigen Kronzeugen, die eine andere Tat begangen hatten, wie z.B. Passfälscher, Schleußer, Waffenhändler, etc. Durch die neugeschaffene Regelung wurde der Anwendungsbereich nun wesentlich breiter gefasst: die neue Kronzeugenregelung kann unabhängig von einer bestimmten Deliktsgruppe angewandt werden. Offenbart beispielsweise ein Drogenhändler sein Wissen über die Täter eines Menschenhändlerrings kann er in Deutschland nunmehr in den „Genuss“ der neuen Kronzeugenregelung kommen. Natürlich gibt es auch Kritiker der Neuregelung. Diese hätten eine Kronzeugenregelung gerne beschränkt auf die Bereiche, in denen der Staat trotz hohem Aufklärungsinteresse kaum die Möglichkeit hat, ohne den Kronzeugen gravierende Straftaten aufzuklären. Dies sind die Bereiche des Terrorismus sowie der Organisierten Kriminalität. Gerade 17 hier sind Ermittlungserfolge vielfach nur durch Kooperation mit Personen zu erreichen, die Einblick in die kriminelle Struktur haben und deshalb regelmäßig selbst strafrechtlich belastet sind. Der Gesetzgeber ist aber bewusst einen anderen, einen breiteren Weg gegangen, um den Kreis der zu offenbarenden Taten möglichst weit zu ziehen. Man wird allerdings darauf Bedacht nehmen müssen, dass insbesondere schwere Straftaten auch künftig mit schuldangemessenen Strafen geahndet werden. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat darf durch die neuen Kronzeugenregelungen keinesfalls beeinträchtigt werden. Schließlich darf auch aus Sicht des Opfers, beispielsweise von Sexual- oder Gewalttaten, eine Vergünstigung nicht als „Handel mit der Gerechtigkeit“ empfunden werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die neue Kronzeugenregelung wurde als eine allgemeine Strafzumessungsregelung ausgestaltet. Sie ist nicht beschränkt auf bestimmte Deliktsgruppen. Ob die Kronzeugenregelung ihren gewünschten Erfolg erreicht, nämlich die bessere Aufklärung von Verbrechen im Bereich schwerer und schwerster Kriminalität einschließlich des Terrorismus, muss die Praxis noch zeigen. Sowohl die Verständigung im Strafverfahren wie die Kronzeugenregelung leben von der Bereitschaft des Angeklagten, sein Wissen zu offenbaren. 18 Insofern möchte ich mit einem Gajus Julius Cäsar zugeschriebenen Zitat schließen: amo proditionem, odi proditorem ("Ich liebe den Verrat, aber ich hasse den Verräter"). Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.