Dr. Christoph Strötz

Werbung
1
Dr. Christoph Strötz
Generalstaatsanwalt
Rede auf dem 12. Internationalen Forum für Staatsanwälte am 31.
August 2009 in Salzburg zur gesetzlichen Neuregelung von
Absprachen im Strafverfahren sowie einer Kronzeugenregelung in
der Bundesrepublik Deutschland
Anrede
In meinem Vortrag möchte ich mich auf zwei Themen konzentrieren, die
derzeit in Deutschland sehr aktuell sind und über die jahrelang sehr
heftig diskutiert wurde, nämlich:
1. Die Absprache im Strafverfahren und
2. Die „Kronzeugen“-Regelung
„Aus Mauschelei wird Gesetz, aus dem Strafrichter ein Strafmakler, aus
dem Strafgesetzbuch eine Art Handelsgesetzbuch“. So lautete der
Kommentar der Süddeutschen Zeitung, zu dem jüngst vom Deutschen
Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Regelung der Verständigung im
Strafverfahren.
Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber eine seit Jahrzehnten
bestehende Realität in den deutschen Gerichtssälen aufgegriffen. Der
Gesetzgeber gibt nunmehr klare gesetzliche Vorgaben zum Verfahren,
2
dem Inhalt und den Folgen einer Verständigung im Strafverfahren. Die
Begriffe „Absprache“ oder „Deal“ werden im Gesetz
nicht mehr
verwendet. Damit soll der unzutreffende Eindruck vermieden werden,
dass
Grundlage
des
Urteils
eine
quasi
vertraglich
bindende
Vereinbarung wäre. Der Gesetzgeber geht vielmehr davon aus, dass der
Begriff der „Verständigung“ im allgemeinen Sprachgebrauch hinreichend
präzise erfasst ist. Sein wesentliches Merkmal ist der Begriff des
Einvernehmens.
Der bisherige Begriff der Absprache und nunmehr der Verständigung
läßt sich beschreiben als Einigung auf ein beiderseits zu befolgendes
„Verhaltensprogramm“. Das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten soll
von dem des anderen abhängig sein. Der Vorleistende erbringt also
seinen Beitrag im Hinblick auf die zu erwartende Gegenleistung. Der
Nachleistende erbringt den seinigen Beitrag um der erbrachten
Vorleistung willen.
Bevor ich Ihnen den Inhalt der nunmehr bestehenden Gesetzeslage in
Deutschland zur der Verständigung im Strafverfahren darstelle, will ich
kurz deren geschichtliche Entwicklung skizzieren:
Eine gesetzliche Regelung der Absprache im Strafverfahren war im
deutschen Strafprozessrecht bisher nicht zu finden. Dennoch war es
gängige Praxis, sich über das Verfahren und dessen Ausgang zu
verständigen.
Regelmäßig verzichteten die Beteiligten (der Angeklagte und die
Staatsanwaltschaft) in einem derartigen Fall auch auf Rechtsmittel, was
3
eine Kontrolle des angesprochenen Urteils durch die Revisionsinstanz
regelmäßig ausschloss.
Bereits an dieser Stelle möchte ich betonen: die Justiz stand und steht
dieser verfahrensökonomischen Art der Erledigung des Verfahrens im
Grundsatz überwiegend positiv gegenüber. Dies nicht zuletzt aus dem
Gesichtspunkt
der
hohen
Belastung
der
Gerichte
und
Ermittlungsbehörden. Insbesondere der Zeitaufwand in Großverfahren,
vor allem bei Wirtschaftsdelikten, erhöhten den Anreiz auf Seiten der
Justiz, zu einer Verständigung zu kommen. Gleiches gilt für Verfahren
bei Betäubungsmittel- und Umweltstraftaten sowie im Bereich der
Organisierten
Kriminalität.
Unklare
Beweislagen
und
schwierige
Rechtsfragen mögen ebenfalls eine Rolle spielen. Aber auch eine
Konfliktverteidigung mit einer Fülle von Befangenheitsanträgen und
Beweisanträgen kann ein Verfahren in die Länge ziehen. Bei einem
Geständnis und einer darauf folgenden Verständigung verkürzt sich
demnach vieles. Und schließlich war bei einem Rechtsmittelverzicht der
Begründungsaufwand für das Urteil wesentlich geringer.
Der Siegeszug der Verständigung erklärt sich letztlich daher wohl nur
aus der Gegenseitigkeit der Vorteile.
Dem Angeklagten, der den Strafverfolgungsorganen gegenüber steht,
geht es bei einer Absprache darum, die Dauer und die Intensität des
Verfahrens zu minimieren. Schon ein Prozess als solcher, und
insbesondere ein langwieriger Prozess, kann belastend sein. Denken sie
nur an das Vorstandsmitglied eines Großkonzerns.
4
Auch der Zeugen- und Opferschutz ist und war ein Argument für die
Zulässigkeit der bisher sogenannten Absprachen. Gerade die für das
Opfer psychisch belastende Beweisaufnahme konnte vermieden werden.
Der kurz skizzierte Siegeszug der Absprachen alter Art verwundert auf
den ersten Blick. Denn von Anfang an wurde die selbstverständliche
Frage gestellt, ob eine Verfahrensabsprache mit dem Leitbild des
Strafverfahrens überhaupt vereinbar ist.
Kritikpunkte lauten:
Im deutschen Zivilprozess sind es die Parteien, die über den
Verhandlungsgegenstand
bestimmen.
Dispositionsmaxime.
konsensuale,
Eine
Es
eine
herrscht
die
übereinstimmende
Erledigung wird ausdrücklich angestrebt: das Gericht soll in jeder Lage
des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung bedacht sein. Dies ist in der
Zivilprozessordnung ausdrücklich geregelt.
Demgegenüber ist das Strafverfahren in Deutschland grundsätzlich
„vergleichsfeindlich“
ausgestaltet,
Legalitätsprinzip
und
dem
Legalitätsprinzip
besagt,
dass
es
wird
beherrscht
vom
Amtsermittlungsgrundsatz.
Das
die
Strafverfolgungsbehörden
bei
Verdacht einer Straftat von Amts wegen, also auch ohne Anzeige und
Antrag, zu ermitteln haben. Der Amtsermittlungsgrundsatz begründet die
Verpflichtung der Gerichte und Behörden den Sachverhalt von Amts
wegen zu untersuchen. Es gilt das Prinzip der materiellen Wahrheit.
Gegenargument in diesem Bereich der „vergleichenden“ Erledigung des
Verfahrens
war
stets
eine
Vorschrift
in
der
deutschen
Strafprozessordnung (§ 153 StPO), nach der die Verfahrenseinstellung –
5
aus Opportunitätsgründen - in Fällen geringer Schuld gegen Zahlung
einer Geldbuße möglich ist.
Ein weiterer Kritikpunkt:
Im Strafverfahren herrscht das Prinzip der Unschuldsvermutung. Dies ist
ausdrücklich geregelt in Art. 6 Abs. 2 EMRK. Gegen die Absprache wird
angeführt,
das
abgesprochene
Urteil
beruhe
auf
einer
„Schuldvermutung“ und führe zu einer Art „Verdachtsstrafe“. Die
Gegenfrage lautet allerdings: hat es nicht der Angeklagte selbst in der
Hand, ein Geständnis abzulegen oder nicht?
Auch sei der Gleichheitssatz tangiert – so ein weiterer Kritikpunkt. Von
den Absprachen profitierten vor allem bestimmte Angeklagte, speziell in
schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren. Sie könnten dem Gericht etwas
„anbieten“. In der Tat fragt man sich, was demgegenüber ein Ladendieb,
der mit seiner Beute erwischt wird, noch „verhandeln“ kann.
Die Kritiker der Absprache im Strafverfahren monierten darüber hinaus,
dass die Rechte des Angeklagten nicht außer Acht zu lassen seien.
Erinnert wurde an das Recht des Angeklagten zur Aussagefreiheit:
niemand braucht sich selbst zu belasten. Eine Absprache setzte aber
regelmäßig ein Geständnis des Angeklagten voraus. Der Angeklagte
konnte sich in dieser Situation zur Aussage geradezu verpflichtet fühlen.
Diesem Vorwurf wurde entgegengehalten, dass ein solches Geständnis
sich auch sonst immer schon strafmildernd ausgewirkt habe und es dem
Angeklagten selbstverständlich stets anheim gestellt ist, sich für oder
gegen ein Geständnis zu entscheiden.
6
Zur Klarstellung möchte ich betonen:
Die Rechte des Angeklagten würden dann nicht mehr gewahrt und die
Grenze des rechtlich Zulässigen wäre klar überschritten, wenn verbotene
Vernehmungsmethoden angewandt würden. Diese Methoden sind nach
der deutschen Strafprozessordnung insbesondere Zwang, Täuschung
oder Drohung. Das Gericht darf also weder gesetzwidrige Vorteile
versprechen noch mit einer unzulässigen Maßnahme (Stichwort:
Sanktionsschere) drohen.
So bot etwa ein außerbayerisches Landgericht einem Angeklagten, dem
156 Einzelfälle des sexuellen Missbrauchs vorgeworfen waren, „gegen“
ein Geständnis zwei Jahre mit Bewährung an. Nachdem der Angeklagte
nicht gestanden hatte und das Verfahren auf 37 verbleibende Fälle
beschränkt worden war, verhängte das Landgericht eine Freiheitsstrafe
von sieben Jahren.
Fälle dieser Art sind es, die die Kritiker und Gegner einer Absprache im
Strafverfahren bislang hervorriefen.
Als prominenteste Kritikerin darf ich Frau Generalbundesanwältin
Professor Harms zitieren. Sie bemängelt in der Festschrift für ihren
Amtsvorgänger
Kay
Nehm
den
–ich
zitiere-
„Verlust
von
Rechtssicherheit“ und sprach von der „Auflösung der Grundlagen des
Strafverfahrens in Beliebigkeit und Willkür“.
Demgegenüber haben zwei bahnbrechende Entscheidungen des
deutschen Bundesgerichtshofes aus den Jahren 1997 und 2005
7
bedeutende
Maßstäbe
für
die
rechtliche
Strukturierung
der
Absprachenpraxis in Deutschland gesetzt.
Bereits im Jahre 1997 stellte der vierte Senat des Bundesgerichtshofes
klar, dass die Strafprozessordnung eine Verständigung zwischen Gericht
und Verfahrensbeteiligten nicht generell untersagt. Nach deutschem
Rechtsverständnis sei –so der BGH- eine Absprache im Strafverfahren
zulässig.
Die Verständigung, so die höchstrichterliche Rechtsprechung, müsse
aber sowohl hinsichtlich ihres Zustandekommens als auch bezüglich des
Inhalts den unverzichtbaren Grundsätzen des Verfahrensrechts und des
materiellen Rechts genügen.
Der Öffentlichkeitsgrundsatz müsse gewahrt sein. Absprachen dürften
nicht unter dem Deckmantel der Heimlichkeit und Unkontrollierbarkeit
stattfinden. Sie müssten offengelegt werden. Das Ergebnis müsse im
Protokoll der Hauptverhandlung festgehalten werden.
Das Gericht dürfe keine verbindliche Zusage über die Höhe der Strafe
machen. Das Gericht könne aber zusagen, dass im Falle der Ablegung
eines
glaubhaften
Geständnisses
eine
Strafobergrenze
nicht
überschritten werde. Diese Obergrenze, wie auch das spätere Urteil
dürften den Boden des angemessenen Strafens nicht verlassen.
Schließlich,
so
der
Bundesgerichtshof:
die
Vereinbarung
Rechtsmittelverzichts mit dem Angeklagten sei unzulässig.
eines
8
Durch diese Entscheidung aus dem Jahre 1997 war das Verfahren für
eine zulässige und wirksame Absprache zunächst klargestellt.
Offen
blieben
entscheidende
Fragen
zum
Rechtsmittelverzicht,
insbesondere ob das Gericht auf einen Rechtsmittelverzicht nach
Urteilsabsprachen hinwirken darf.
Klärung fand diese Frage durch die zweite bedeutende Entscheidung in
diesem Bereich der Urteilsabsprachen, der Entscheidung des Großen
Senats in Strafsachen des Bundesgerichtshofs im Jahre 2005.
Danach durfte das Gericht im Rahmen einer Urteilsabsprache an der
Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken. Auch durfte es
auf einen Rechtsmittelverzicht selbst nicht hinwirken.
Der Beschluss des Großen Senats für Strafsachen endete mit dem
Appell an den Gesetzgeber, die Zulässigkeit und die wesentlichen
rechtlichen
Voraussetzungen
sowie
die
Begrenzungen
von
Urteilsabsprachen gesetzlich zu regeln. Dieser Appell blieb in der Folge
nicht unverhallt. In relativ kurzer Zeit wurden verschiedene Vorschläge
für eine gesetzliche Regelung aus den Reihen der Rechtsanwaltschaft,
des Bundesjustizministeriums und des Bundesrates unterbreitet.
Am 28. Mai diesen Jahres verabschiedete nun der Deutsche Bundestag
in dritter Lesung ein entsprechendes Gesetz, das seit Anfang dieses
Monats (5. August 2009) in Kraft getreten ist.
9
Der Titel des Gesetzes lautet:
„Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ (BGBl. I,
2009, S. 2353). Es geht von folgenden Voraussetzungen aus:
Die allgemeinen Grundsätze der Strafzumessung bleiben unberührt. Das
Strafmaß orientiert sich weiterhin an der Schuld des Angeklagten.
Unberührt
bleiben
auch
die
allgemeinen
Grundsätze
des
Strafverfahrens. Dem „Konsensprinzip“ wird eine Absage erteilt.
Grundlage des Urteils kann demnach niemals allein die Verständigung
sein. Das Gericht ist weiterhin verpflichtet den wahren Sachverhalt bis zu
seiner Überzeugung zu ermitteln.
Die Verständigung kann nur in der öffentlichen Hauptverhandlung
zustande kommen. Vorgänge außerhalb der Hauptverhandlung muss
das Gericht öffentlich mitteilen. Die Verständigung muss protokolliert
werden. Sie muss auch im Urteil erwähnt werden. Damit ist ein hohes
Maß an Transparenz gewährleistet.
Die Rechtsmittel sind nicht beschränkt. Das Urteil bleibt nach einer
Verständigung im vollen Umfang nachprüfbar. Hierüber muß der
Angeklagte eingehend belehrt werden.
Bereits diese grobe Skizze der Grundsätze der nunmehr geltenden
Regelung zeigt, dass der Gesetzgeber einen Mittelweg gegangen ist: auf
der einen Seite stand die Forderung nach einem Totalverbot von
Absprachen im Strafverfahren und auf der anderen Seite sollte eine
neue Kategorie im deutschen Strafprozess Eingang finden durch das
10
sogenannte Konsensprinzip: d.h. der übereinstimmende Wille der am
Urteil Beteiligten sollte bindende Grundlage für eine gerichtliche
Entscheidung werden.
Wie gesagt, die nunmehr geltende Regelung der Verständigung ist ein
Mittelweg zwischen diesen beiden Extremen. Sie findet sich in der
zentralen Vorschrift des neu geschaffenen § 257 c StPO wieder. Diese
Vorschrift enthält nun folgende Vorgaben:
1. Gegenstand einer Verständigung:
Gegenstand einer Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen, also im
Wesentlichen das Strafmaß und etwaige Auflagen wie zum Beispiel
Bewährungsauflagen sein. Auch Maßnahmen zum Verfahrensverlauf
sowie das Prozessverhalten der Beteiligten sind zulässig, wie etwa
Einstellungsentscheidungen (z.B. § 154 StPO), die Zusage von
Schadenswiedergutmachung durch den Angeklagten oder der Verzicht
auf weitere Beweisanträge oder Beweiserhebungen. Letztere müssen
aber mit der Sachaufklärungspflicht des Gerichts vereinbar sein. Denn,
wie erwähnt, das Gericht muss von der Richtigkeit des Geständnisses
überzeugt sein. Bei Zweifeln an der Richtigkeit muss es gegebenenfalls
auf seine Zuverlässigkeit überprüft werden – so die Intention des neuen
Gesetzes.
Welche Art das Geständnis sein muss, bleibt allerdings offen. Genügt ein
bloßes „Formalgeständnis“ oder muss es sich um „qualifiziertes
Geständnis“ handeln? Trotz Drängens aus der Praxis wurde diese Frage
nicht im Gesetzgebungsverfahren aufgegriffen.
11
Ausdrücklich ausgeschlossen als Gegenstand einer Verständigung ist
der Schuldspruch - also die Frage, ob und wenn ja wegen welcher
Strafnorm jemand verurteilt wird. Ebenso wenig können Maßregeln der
Besserung und Sicherung, wie zum Beispiel die Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus, in eine Verständigung aufgenommen
werden. In beiden Fällen lässt das materielle Strafrecht dem Gericht
keinen Entscheidungsspielraum, weshalb diese Bereiche eben auch
nicht Gegenstand einer Verständigung sein können.
2. Zustandekommen einer Verständigung:
Das Zustandekommen einer Verständigung regelt die neu geschaffene
Vorschrift klar und eindeutig: das Gericht gibt den möglichen Inhalt der
Absprache bekannt. Der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft
stimmen diesem zu. Das Gericht gibt dabei eine Obergrenze und eine
Untergrenze der möglichen Strafe an. Das Gericht darf hierbei weder
eine unangemessen niedrige noch eine unangemessen hohe Strafe
vorschlagen.
3. Transparenz der Verständigung:
Die Transparenz der Verständigung wird dadurch gewährleistet, dass
diese nur in öffentlicher Hauptverhandlung zustande kommen kann. Dies
schließt nicht aus, dass außerhalb der Hauptverhandlung Gespräche
geführt werden. Um Absprachen im Revisionsverfahren vollständig
überprüfen zu können, müssen diese in der Hauptverhandlung was den
wesentlichen Ablauf anbelangt sowie hinsichtlich des Inhalts und des
Ergebnisses,
protokolliert
werden.
„Von
Gesetz
gewordener
Mauschelei“, wie dies der eingangs meines Referats zitierte Kommentar
12
nennt, kann bei genauer Betrachtung also nicht gesprochen werden. Das
„dunkle Hinterzimmer“ ist Vorstellung der Kritiker – widerspricht aber der
klaren Gesetzeslage.
4. Scheitern einer Verständigung:
Bei Scheitern einer Verständigung gilt folgendes: den Aspekt des
Scheiterns der Absprache beleuchtet das Gesetz ausdrücklich. Das
Gericht kann sich bei Vorliegen besonderer Umstände von der
Verständigung
lösen,
etwa
wenn
bedeutende
tatsächliche
oder
rechtliche Umstände übersehen worden sind oder sich nachträglich
ergeben und das Gericht deswegen zur Überzeugung kommt, dass die
in Aussicht gestellte Strafe nicht mehr tatsächlich schuldangemessen ist.
Die Bindung des Gerichts entfällt sodann.
Was geschieht aber in einem solchen Fall mit dem Geständnis des
Angeklagten, das im Vertrauen auf den Bestand der Verständigung
abgegeben wurde? Löst sich das Gericht aus den im Gesetz genannten
Gründen von der Verständigung, darf es das Geständnis nicht mehr
verwerten. Damit wurde ein neues gesetzliches Verwertungsverbot
konstituiert.
Soweit –in aller Kürze- zu den Neuregelungen der Verständigung im
Strafverfahren.
Die Praxis
wird zeigen,
ob und wie sich die
Neuregelungen bewähren werden. Mein Fazit fällt „durchwachsen“ aus:
Im Ergebnis halte ich Absprachen nach wie vor für ein notwendiges
Instrument im Strafverfahren. Jede Regelung wird sich aber auch Kritik
gefallen lassen müssen. Auf das Fehlen des Erfordernisses eines
qualifizierten und aussagekräftigen Geständnisses habe ich schon
13
hingewiesen. Ich vermisse ebenso eine Regelung hinsichtlich der
Belange des Nebenklägers. Das Verwertungsverbot von Geständnissen
bei einer fehlgeschlagenen Verständigung erschließt sich mir nur
schwer.
Nicht
begeistern
wird
die
Praxis
das
Verbot
eines
Rechtsmittelverzichts. Soviel zur Verständigung im Strafverfahren.
Im zweiten Teil meines Vortrages möchte ich kurz über eine weitere
Neuerung im deutschen Strafrecht berichten: der Strafzumessung bei
Aufklärungs- und Präventionshilfe.
Diese wurde bislang unter dem Stichwort der „Kronzeugen“ –
Regelung diskutiert und wird mit Wirkung vom 1. September 2009 als
„Dreiundvierzigstes Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches“
(BGBl.I, 2009, S. 2288) in Kraft treten.
Beide Regelungen, die Verständigung im Strafverfahren
und die
Kronzeugen-Regelung, haben die Gemeinsamkeit, dass der Täter sein
Wissen den Strafverfolgungsorganen offenbart. Bei der Verständigung
offenbart der Täter sein Wissen über seine eigene Tat; im Rahmen der
Kronzeugenregelung, die vom Gesetzgeber jetzt als Aufklärungs- und
Präventionshilfe bezeichnet wird, offenbart der Täter sein Wissen über
eine andere Tat. Bei der Aufklärungs- und Präventionshilfe macht der
Staat einen –ich zitiere- „Deal mit jemanden, der in eine Straftat
verwickelt
ist“,
so
der
ehemalige
Vizepräsident
des
Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer.
Der
deutsche
(Verständigung
Präventionshilfe)
Gesetzgeber
im
hat
Strafverfahren
parlamentarisch
bewusst
sowie
gemeinsam
beide
Regelungen
Aufklärungs-
und
behandelt
und
14
verabschiedet. Nach der neuen Kronzeugenregelung kann das Gericht
die Strafe künftig mildern oder ganz von einer Strafe absehen, wenn der
Straftäter durch seine Aussage zur Aufklärung oder Verhinderung von
schweren Straftaten beiträgt.
Ausgangspunkt der morgen in Deutschland in Kraft tretenden neuen
Kronzeugenregelung waren die bis 1999 gegebenen gesetzlichen
Möglichkeiten,
die
Kooperationsbereitschaft
von
Straftätern
zu
honorieren. Das bis 1999 geltende Kronzeugengesetz eröffnete die
Möglichkeit, für die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen
und damit zusammenhängender Straftaten, das Verfahren einzustellen,
von Strafe abzusehen oder die Strafe zu mildern. Nach Auslaufen dieser
Regelung kannte das deutsche Strafrecht seit 1999 nur noch spezifische
Kronzeugenregelungen für bestimmte Delikte, die sogenannten „kleinen
Kronzeugenregelungen“. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf
das
Betäubungsmittelgesetz.
Die
dort
bestehende
kleine
Kronzeugenregelung in § 31 BtMG wurde und wird von der Praxis in
großem
Umfang
angenommen
und
ermöglicht
im
Bereich
der
organisierten Betäubungsmittelkriminalität gute Ermittlungserfolge
Vor
dem
Hintergrund
Strafverfolgungsbehörden
des
verfassungsrechtlichen
insbesondere
auch
Auftrags
schwere
der
Straftaten
aufzuklären und zu verhindern sowie auf nachhaltiges Drängen der
Praxis, wurde der Gesetzgeber nach nunmehr über 10 Jahren wieder
aktiv und stellt in einer neu geschaffenen Vorschrift im deutschen
Strafgesetzbuch (§ 46 b StGB) jetzt eine sehr breit ausgestaltete
Kronzeugenregelung zur Verfügung.
15
Im Einzelnen ist sie wie folgt ausgestaltet:
1. Voraussetzungen:
Voraussetzung für die Erlangung einer Vergünstigung nach der neuen
Kronzeugenregelung ist, das der Täter einer mittelschweren oder
schweren Straftat sein Wissen über Tatsachen offenbart, die wesentlich
zur Aufklärung einer schweren Straftat (nach § 100 a Abs. 2 StPO)
beiträgt (sogen. Aufklärungshilfe) oder durch die eine schwere Straftat
(nach § 100 a Abs. 2 StPO) verhindert wird (sogen. Präventionshilfe).
2. Folgen:
Das Gericht kann nach Vorliegen der genannten Voraussetzungen die
Strafe mildern oder von Strafe absehen, wobei bei einer lebenslänglich
angedrohten Strafe (etwa bei Mord) allenfalls auf eine Freiheitsstrafe von
10 Jahren gemildert werden darf.
3. Ausschluss:
Die neue Kronzeugenregelung findet dann keine Anwendung, wenn der
Kronzeuge sein Wissen erst in der Hauptverhandlung offenbart. Die
Pflicht zur frühzeitigen Offenbarung solle den Zweck verfolgen, einer
missbräuchlichen
Inanspruchnahme
der
Kronzeugenregelung
entgegenzuwirken. Sie soll den Strafverfolgungsbehörden und dem
Gericht die Prüfung erleichtern, ob die Angaben zutreffen und daher
wirklich zu einer Tataufklärung oder Tatverhinderung beitragen.
16
4. Kein Automatismus
Der Kronzeuge erhält nicht automatisch Strafmilderung. Vielmehr hat
das Gericht ausdrücklich die Aufgabe, den „Wert“ der Aussage zur
Schwere der Tat der Kronzeugen ins Verhältnis zusetzen.
Die
neue
Kronzeugenregelung
ist
somit
als
eine
Strafzumessungsvorschrift ausgestaltet. Sie beschränkt sich nicht wie
frühere Regelungen nur auf bestimmte Deliktsgruppen. Bis vor der
Einführung der neuen Regelung konnte grundsätzlich nur der Täter eines
Betäubungsmitteldelikts oder ein Geldwäscher eine Strafmilderung
erhalten. Dies war weiter beschränkt auf den Fall, dass der Täter des
Drogendelikts half ein Drogendelikt aufzuklären, bzw. der Geldwäscher
half ein Geldwäschedelikt aufzuklären. Es fehlte der Anreiz zur
Kooperation für alle diejenigen Kronzeugen, die eine andere Tat
begangen hatten, wie z.B. Passfälscher, Schleußer, Waffenhändler, etc.
Durch die neugeschaffene Regelung wurde der Anwendungsbereich nun
wesentlich
breiter
gefasst:
die
neue
Kronzeugenregelung
kann
unabhängig von einer bestimmten Deliktsgruppe angewandt werden.
Offenbart beispielsweise ein Drogenhändler sein Wissen über die Täter
eines Menschenhändlerrings kann er in Deutschland nunmehr in den
„Genuss“ der neuen Kronzeugenregelung kommen.
Natürlich gibt es auch Kritiker der Neuregelung. Diese hätten eine
Kronzeugenregelung gerne beschränkt auf die Bereiche, in denen der
Staat trotz hohem Aufklärungsinteresse kaum die Möglichkeit hat, ohne
den Kronzeugen gravierende Straftaten aufzuklären. Dies sind die
Bereiche des Terrorismus sowie der Organisierten Kriminalität. Gerade
17
hier sind Ermittlungserfolge vielfach nur durch Kooperation mit Personen
zu erreichen, die Einblick in die kriminelle Struktur haben und deshalb
regelmäßig selbst strafrechtlich belastet sind.
Der Gesetzgeber ist aber bewusst einen anderen, einen breiteren Weg
gegangen, um den Kreis der zu offenbarenden Taten möglichst weit zu
ziehen.
Man wird allerdings darauf Bedacht nehmen müssen, dass insbesondere
schwere Straftaten auch künftig mit schuldangemessenen Strafen
geahndet werden. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat
darf durch die neuen Kronzeugenregelungen keinesfalls beeinträchtigt
werden. Schließlich darf auch aus Sicht des Opfers, beispielsweise von
Sexual- oder Gewalttaten, eine Vergünstigung nicht als „Handel mit der
Gerechtigkeit“ empfunden werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten:
Die
neue
Kronzeugenregelung
wurde
als
eine
allgemeine
Strafzumessungsregelung ausgestaltet. Sie ist nicht beschränkt auf
bestimmte Deliktsgruppen.
Ob die Kronzeugenregelung ihren gewünschten Erfolg erreicht, nämlich
die bessere Aufklärung von Verbrechen im Bereich schwerer und
schwerster Kriminalität einschließlich des Terrorismus, muss die Praxis
noch zeigen. Sowohl die Verständigung im Strafverfahren wie die
Kronzeugenregelung leben von der Bereitschaft des Angeklagten, sein
Wissen zu offenbaren.
18
Insofern möchte ich mit einem Gajus Julius Cäsar zugeschriebenen Zitat
schließen: amo proditionem, odi proditorem ("Ich liebe den Verrat, aber
ich hasse den Verräter").
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Herunterladen