Hartmut von Hentig: Bildung

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Hartmut von Hentig: Bildung
Was ist Bildung?
1. Die Antwort auf unsere behauptete oder tatsächliche Orientierungslosigkeit ist
Bildung
-
nicht
Wissenschaft,
Kommunikationsgesellschaft,
nicht
die
nicht
Information,
moralische
Aufrüstung,
nicht
nicht
die
der
Ordnungsstaat.
2. Für die Bestimmung der Bildung, die dies leistet, sind die Kanonisierung von
Bildungsgütern, die Entscheidung für ein bestimmtes Menschenbild, die Analyse der
gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse (zur Ermittlung der geforderten
"Qualifikationen") gleichermaßen untauglich.
Erklärung:
Auf die Frage danach, was den Menschen bildet > sagt er ohne zu zögern "ALLES".
Weil der Mensch ein sehr plastisches Wesen ist, welches beeinflußbar, änderbar,
reduzierbar und auch gegen seinen Willen steigerungsfähig ist.
Anders als fast alle Kreaturen ist der Mensch fast unbegrenzt auf Formung
angelegt. Ist diese gewollt, nennt man sie Bildung.
Doch tatsächlich bildet , das heißt veredelt ihn jedoch nur weniges, fast nichts. Der
Mensch als ein Gewohnheitstier ist unbelehrbar.
Welche Bildung brauchen und wollen wir eigentlich?
Je verwickelter und konturloser ein Sachverhalt, um so größer die Lust am
Definieren.
Für Lehrer: Welche Bildungsvorstellung habe ich?
Dabei macht man sich gleichzeitig die Pluralität der möglichen und berechtigten
Antworten bewusst.
Die Frage nach dem "gebildeten Mensch" kann uns in dieser Frage weiterbringen.
Die Merkmale der Bildung erwirbt man nicht von allein und von ungefähr aber auch
nicht durch systematische Belehrung oder Abrichtung. Sie gehen aus einer
kultivierten Umwelt auf den Gebildeten über, aber wiederum nur wenn und weil
dieser so sein will. Er ist das Subjekt des Bildens, nie das Objekt, er bildet sich.
Nichts kommt auf einmal, nichts unter Druck, nichts aus zwingendem Grund
zustande.
Doch durch diese Frage kommt man auch nicht zu klaren Entscheidungen.
Man sagt nicht woran sich einer bildet, welcher Umstände es dazu bedarf. Warum
muss einer ungebildet bleiben usw.. Seine Erörterung beginnt und endet fast immer
in Gemeinplätzen, also in Unverbindlichkeit. "Bildung" steht gerupft, missbraucht,
banalisiert da. Scheint aber der Anstrengung einer gründlichen Klärung und
Wiederaneignung wert zu sein.
Solange wir nicht bestimmt haben was Bildung sein soll, ist es verständlich das
diejenigen, die sich für den "Lauf der Dinge" verantwortlich fühlen - Politiker,
Wirtschaftler, Publizisten, Wissenschaftler-, ganz anders fragen:
Was muss ein Mensch wissen und können, um in der heutigen Welt zu bestehen eine Arbeit zu bekommen und seine Bürgerpflichten zu erfüllen?
oder auch:
Was für Menschen - mit welchen Tugenden und Qualifikationen - braucht die heutige
Welt oder unser Land zur Bewältigung der Zukunft?
Die Antwort darauf ist dann die geforderte Bildung oder die moderne Bildung oder die
Bildung für die Zukunft.
Welche Bildung braucht der Mensch?
Es gibt eine gesellschaftliche und eine individuelle Antwort auf diese Frage. Die
einen sehen vorwiegend "technische" und die anderen vorwiegend "moralische"
Anforderungen auf uns - den einzelnen in der Gesellschaft - zukommen.
Es kann nicht um die versch. Arten und Auffassungen von Bildung gehen - um
entweder formale oder materiale, volkstümliche oder wissenschaftliche Bildung,
Bildung mit oder ohne den Computer, um Kanon oder Orientierung an Problemen. Es
muss sich darum handeln, was den Menschen zu einer Person macht.
3. Der Mensch bildet sich.
Erklärung
BILDEN IST SICH - BILDEN.
Das Wort "Bildung" bedeutet einer Materie oder einem Ding eine Form geben.
Seit dem 18. Jahrhundert spricht man in Deutschland von der Bildung des
Menschen.
Zum "Grundbegriff der deutschsprachigen Pädagogik" wurde Bildung erst spät durch
Wilhelm von Humboldt.
H.v. Hentig versucht eine Definition oder Zusammenfassung des Begriff "Bildung"
aus der Brockhaus Enzyklopädie von 1987 für sich zu deuten. Definition auf S. 38.
Bildung
Es geht um Anregung (nicht um Eingriff, mechanische Übertragung, gar Zwang); alle
Kräfte sollen sich entfalten (sie sind also schon da, werden nicht "gemacht" oder
eingepflanzt); Aneignung von Welt (also durch die Anverwandlung des Fremden in
einem aktiven Vorgang) geschieht - in wechselhafter Ver- und Beschränkung (das
heißt erstens: auch die Welt bleibt nicht unverändert dabei, zweitens: die Entfaltung
ist kein bloßes Vorsichhin-Wuchern, sie fordert Disziplin); die Merkmale sind
Harmonie und Proportionierlichkeit
(Bildung mildert die Konflikte zwischen unseren sinnlichen und unseren sittlichen,
zwischen unseren intellektuellen und unseren spirituellen Ansprüchen, sie fördert
keine einseitige Genialität); das Ziel ist die sich selbst bestimmende Individualität aber nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie als solche die Menschheit
bereichert.
4. Das Leben bildet.
Anhand von Autobiographien verschiedener Menschen aus versch. Schichten meint
v. Hentig erkennen zu können, dass das Leben bildet und die Menschen sich am
Leben bilden. Großes Bsp. ist Robinson Crusoe der es schafft auf einer einsamen
Insel, nur anhand seines bereits gewonnenen Wissens und seiner Erfahrung zu
überleben.
5. Die Schule hat aus Bildung Schulbildung gemacht.
Bildung ändert sich wenn sie einer Institution übertragen wird.
Schule standardisiert Bildung, da sie mit Notwendigkeit Bildungsanstalt für sehr viele,
ganz unterschiedliche Menschen ist.
Die Schule reagiert mit ihren eigenen Mitteln (Zensuren, Nichtversetzung) auf
Abweichungen vom Maß - dem Bildungsauftrag - zur Herstellung des einheitlichen
Vorgehens.
6. In der wissenschaftlichen Zivilisation sind daraus das Mittel und das Kriterium der
akademischen Berufslaufbahn geworden.
Die Umwandlung von Bildung in Schulbildung ging in dem Jahrhundert vor sich, in
dem sich die Wissenschaft zur entscheidenden gesellschaftlichen Lebensbedingung
entwickelte, man also Grund hatte an ihr individuelle Lebenstüchtigkeit zu messen.
Ebenso konnte durch diesen Wandel die Gesellschaft in mehrere Schichten geteilt
und differenziert werden.
An die Stelle des Grundbegriffs "Bildung" trat der Grundbegriff "Lernen" (dieser ließ
sich auch wissenschaftlich bestimmen).
Das Wort Bildung wurde nur noch als Bereichsbezeichnung verwendet: für das, was
mit Schule zu tun hat.
7. Die Rückkehr zur Bildung ist pädagogisch geboten - ein Fortschritt.
V. Hentig fordert 1968, auf die Benutzung des Begriffs "Bildung" zunächst für einige
Jahrzehnte zu verzichten. Der Begriff schien nicht mehr gerettet zu werden, am
wenigsten durch Definitionen.
Heute ist für ihn das wichtigste Thema der Pädagogik die "Bildung".
Er kritisiert sich selbst - oder eher die Reaktionen auf sein Buch "Die Schule neu
denken". Da als Antwort darauf alle sehr bereitwillig waren, die Sache der "Bildung"
aufzugeben um dem Erziehungsnotstand beizukommen.
Doch seiner Meinung nach muss die "Bildung neu gedacht werden" um die Schule
nicht auf der einen Seite zu einem sozialpädagogischen Heim und auf der anderen
Seite zu einer Berufsvorbereitungsanstalt zu machen.
8. Alle Menschen sind der Bildung bedürftig und fähig.
Bildung ist ein Auftrag der nicht nur an höhere Schulen gerichtet werden darf
sondern an alle Schulen. Ein Schulgegenstand ist wozu man ihn macht, dadurch wie
man ihn an den Schüler bringt, durch Methodik und Didaktik. Viele Gegenstände
bleiben vor den Türen der höheren Bildung stehen, weil sie als zu anspruchslos für
sie gelten. Dinge wie der Schulgarten, der Schulzoo, die Schulküche und die
Schulwerkstatt sind an Gymnasien unüblich, weil sie die begabten Kinder
"unterfordern" und ihnen die Zeit für die höhere Bildung wegnehmen würden.
Gegenstände wie der komplizierte Satzbau, Sprachen, Zahlen und Verhältnisse
bleiben der niederen Bildung weittestgehend verschlossen.
Einen Unterschied zwischen den Lerngegenständen, der volkstümlichen und der
höhere Bildung zu machen ist sinnlos.
9. Für die allen Menschen geschuldete Bildung gibt es gemeinsame Maßstäbe und
geeignete Anlässe.
Diese Maßstäbe sind für ihn, die folgenden sechs:
a. Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeit
b. Die Wahrnehmung von Glück
> "Wo keine Freude ist, ist auch keine Bildung und Freude ist der alltägliche Abglanz
des Glücks."
> "Unglück befällt die Ungebildeten."
> Bildung soll Glücksmomente, Glücksempfänglichkeit und eine Verantwortung für
das eigene Glück eröffnen.
c. Die Fähigkeit und den Willen, sich zu verständigen.
> Verständigung ist eine hohe Kunst.
> Man muss eine bestimmte und behutsame Sprache sprechen.
> Man muss sich vorher Lösungsmöglichkeiten, Kompromisse, Sicherungen
ausgedacht und zurechtgelegt haben.
> Die Verständigung erschweren Konflikte, Vorurteile und Spannungen.
> Der Wille sich auf andere einzulassen, auf Konflikte einzugehen ist die
Notwendigkeit bei der Verständigung.
d. Ein Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz.
> Das Wissen über unsere Geschichtlichkeit, Kultur und unser Leben.
e. Wachheit für letzte Fragen.
> Oder auch philosophische, religiöse Fragen.
> Dem Einzelnen bedarf es an Bildung, um Fragen auf die es keine Antwort gibt
auszuhalten und nicht Mythen, Dogmen und Ideologien zu verfallen.
f. Die Bereitschaft für Selbstverantwortung und Verantwortung in der "res publica".
Die geeigneten Anlässe dafür sind:
a. Geschichten
> Die einen berichten uns von dem was wir nicht kennen, die anderen offenbaren
uns Dinge die wir schon kennen. Die Menschen bilden sich an Geschichten (Bsp.
Bibel, Märchen)
b. Das Gespräch
> Um nicht unserer Voreingenommenheit zu unterliegen, bedienen wir uns dazu
anderer Personen, die uns dabei helfen unsere Meinung zu bilden oder zu
überdenken.
c. Sprache und Sprachen
> Um Gespräche führen zu können muss man die Sprache oder verschiedene
fremde Sprachen beherrschen.
d. Theater
e. Naturerfahrung
f. Politik
> Nicht das was wir über die Medien über die Politik erfahren oder unsere Polis uns
vorlebt bildet uns genügend, sondern die Selbsterfahrung in der "polis" als Mitglied
und Akteur dessen.
g. Arbeit
h. Feste feiern
i. Die Musik
j. Aufbruch
> Keine Anpassung und Unterwerfung, sondern "lasst die Kinder ausbrechen". Lasst
sie Neues erfahren und hindert sie nicht am weggehen.
10. Das muss Folgen für die Gliederung unseres Bildungswesens haben.(5)
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