Blei oder Bleifrei, das bleibt die Frage Ursula-Anne Ochel Blei ist immer toxisch, also giftig. Blei ist in vielen Gegenständen oder Lebensmitteln des täglichen Lebens. Blei ist in vielen Geschossen vorhanden, auch in bleifreier. Was bedeutet das für die praktische Jagdausübung, für die Gefährdung der Verzehrer von mit bleihaltiger oder bleifreier Munition erlegtem Wildbrets? Und was bedeutet das für die Gebiete, in denen – meist von Landesforsten – gefordert wird, ausschließlich bleifreie Munition zu verwenden? In seiner dritten Veranstaltung zum Thema bleihaltige oder bleifreie Munition ging das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin dem Thema weiter nach. Kurzes Ergebnis: Besonders im Schusskanal und im Rücken finden sich bei Nutzung bleihaltiger Munition bei Rehwild erhöhte Bleiwerte, am wenigsten in den untersuchten Keulen. Bei bleifreier Munition war die Bleikonzentration im Schusskanal ebenso deutlich erhöht, nicht aber in Rücken und Keule. Das Blei aus der „bleifreien“ Munition stammt vermutlich aus dem sog. Automaten Messing, einer Messing Legierung, der neben Zink auch Blei beigemischt ist. Bei der bleihaltigen Munition wurden insgesamt mehr Ausreißer nach oben bei der Bleibelastung gefunden. Interessant war die Untersuchung, ob die These, bei gebondeter Munition sei die Gefahr einer Bleikontamination nicht so hoch ist wie bei Deformations- oder Zerlegungsgeschossen, stimmt: Es zeigte sich, dass die Gehalte nicht niedriger als bei herkömmlicher Munition waren, in Schusskanalnähe waren sie sogar höher. Fazit: Bonded ist, jedenfalls in Bezug auf eine mögliche Bleibelastung, nicht besser als andere Munition. Die Blei-Ergebnisse für Schwarzwild sind vergleichbar, Rücken und Schusskanal wiesen erhöhte Bleirückstände auf, in der Keule lagen sie niedriger. In der Tendenz der Untersuchungen zeigte sich aber, dass die Belastung beim Schwarzwild insgesamt höher lag als beim Rehwild, das gilt auch für bleifreie Munition. Untersucht wurde auch, ob belastete Böden auf die Bleigehalte in den erlegten Tieren Auswirkungen zeigten. Es wurden drei unterschiedlich belastete Böden definiert: Hoch, mittel, niedrig. Für jede Belastungsart wurden mindestens zwei Regionen ausgewählt und ausgewertet. Untersuchungen wurden in den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern vorgenommen. Bodenbelastung Hoch > 75 mg Blei/Kilogramm Boden Mittel 30 – 75 mg Blei/Kilogramm Boden Niedrig < 30 mg Blei / Kilogramm Boden Quelle: BMEL, Monika Lahrssen-Wiederholt, BfR-Tagung 10.03. 2014 Insgesamt sind pro Tierart 4.320 Probeanalysen geplant, noch wurden die Zahlen nicht vollständig erreicht, gleichwohl sind die Ergebnisse aussagekräftig. Die Proben wurden von geschulten Personen – entweder dem Jäger selber oder einem geschulten Wildhändler, entnommen, jeweils ca. 100 Gramm reinen, unzerstörten Muskelfleisches, ohne Fett oder Hämatome oder sonstige Verschmutzungen. Dabei wurde darauf geachtet, dass nach einem standardisierten, qualitätsgesicherten Verfahren vorgegangen wurde, um Artefakte zu vermeiden. Bei der Probenentnahme wurde auch die Treffpunktlage und ob bleihaltige oder bleifreie Munition zum Einsatz kam, verzeichnet. Ausgenommen von den Proben wurden erlegte Stücke, die ältere oder mehrere Schüsse hatten. Abgegebene Schüsse bleihaltig/bleifrei Niedersachsen gesamt 4.220 Schuss 2.020 Blei 2.200 bleifrei Mecklenburg-Vorpommern gesamt 4.053 Schuss 2.020 Blei 2.033 bleifrei Sachsen-Anhalt gesamt 3.020 Schuss 1.760 Blei 1.260 bleifrei Bayern gesamt 620 Schuss 320 Blei 300 bleifrei Quelle: BMEL, Monika Lahrssen-Wiederholt, BfR-Tagung 10.03. 2014 Auch der Eintrag von Zink oder Kupfer als Alternativmaterial zu Blei wurde untersucht. Das Fazit: Es gibt keine höheren Belastungen durch den Einsatz von Kupfer bei Rehwild oder Schwarzwild, für Zink lag die Belastung bei Rehwild bleifrei höher als bei bleihaltiger Munition. Nur bei Schwarzwild war die Schusskanalnäher höher mit Kupfer oder Zink belastet. Welches Risiko besteht nun für den Nutzer von erlegtem Wild, wenn das Tier mit bleifreier, bzw. bleifreier Munition gestreckt wurde: Die Risikoberechung ergibt sich durch die Gefahrenidentifikation, wie Privatdozent Dr. Helmut Schafft vom BfR verdeutlichte. Blei macht Schäden am Nervensystem (Entwicklung des Nervensystems, verringerte Intelligenz), kann zu negativen Herz-Kreislauf-Effekten (besonders Bluthochdruck) führen und kann Nierentoxisch (Reduzierung der Nierenfunktionsleistung) sein. Schafft untersuchte weiterhin, welche Bedeutung der Verzehr von Wildfleisch für die Allgemeinbevölkerung, Schwangere und Kinder hat. Außerdem nahm er eine Einschätzung vor, wie viel welche Bevölkerung jährlich an Wildfleisch verzehrt und welche Auswirkungen das hat, er unterschied zwischen Normalbevölkerung und Jägerhaushalten. Für Blei gilt: Es ist nicht essentiell für den menschlichen Körper, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz EFSA, hat bestätigt, das Blei für den Menschen giftig ist. Die Grenzwerte wurden 2010 aufgehoben, da es für Blei keine Wirkungsgrenze gibt, d. h. jede Menge Blei ist ungesund. Für Kupfer gilt, dass es essentiell für den Menschen ist und notwendiger Bestandteil von Enzymen. Nimmt man dauerhaft zuviel Kupfer zu sich, wird dies in der Leber gespeichert und führt zu Krankheiten. Dabei sind Kinder eher gefährdet als Erwachsene. Für Zink gilt: Es ist für den Menschen essentiell und ist wenig toxisch. Zink wird nicht im Körper gespeichert. Sein Fazit für Normalbevölkerung: Der Verzehr von Wildbret ist für den normalen Verzehr von Wildfleisch völlig unbedenklich. Er formulierte sogar: Esst mehr Wildfleisch, es ist gesund. Nach einer repräsentativen Umfrage nach dem Wildbretverzehr, gaben von 1000 Befragten zwischen 406 und 437 an, nie Wild (Reh, Schwein, Rotwild) im Verlauf des Jahres gegessen zu haben. Ein bis fünfmal pro Jahr essen danach rund 300 Personen Wild, der Rest zwischen sechsmal im Jahr bis zu vier bis sechsmal die Woche. Der durchschnittliche Mann isst in Deutschland pro Jahr zwei Portionen von jeweils 200 g Wild pro Jahr, Frauen eine Portion von 200 Gramm, bei Kindern eine Portion von 50 Gramm. Vielverzehrer: Männer dieser Gruppe essen zehn Portionen à 200 Gramm und Frauen fünf Portionen. Bei Extremverzehrern, zu denen Jäger und ihre Familien gehören sieht es anders aus: Männer verzehren 91 Portionen à 200 Gramm, Frauen rund 51. Da das Ausmaß der Gefährdung direkt von der Menge des aufgenommenen Bleis und der Bioverfügbarkeit abhängt, sind die Extremverzehrer eher gefährdet. Für die Allgemeinbevölkerung ist die Hauptquelle von Blei die Nahrung, und hier in der Regel Getreide, Gemüse und Leitungswasser. Für die Algemeinbevölkerung ist ein gesundheitliches Risiko durch die Exposition gegenüber Blei im Wildbret unwahrscheinlich. Helmut Schafft, BfR Für Kinder und Schwangere besteht durch Bleiaufnahme eine Gefährdung. Daher sollte für Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter die Bleibelastung so gering wie möglich gehalten werden, betonte Wissenschaftler Schafft. Insgesamt, berichtete er, bewerte das BfR die Belastung mit Blei kritischer als noch vor einigen Jahren. Der Veterinär, Jäger und BfR-Wissenschaftler Dr. Niels Bandick präsentierte die Ergebnisse zu den Bleigehalten abhängig von der Treffpunktlage. Sein Ergebnis: Beim Rehwild lassen sich Tendenzen erkennen, dass bei Trefferlagen in der Kammer und Ausschuss im kleinen/großen Gescheide ein negativer Einfluss auf die Bleigehalte in Rücken und Keule vorhanden sind, beim Schwarzwild gab es keinen Einfluss. Bei näherer Untersuchung zeigte sich, dass das Treffen größerer Knochen Einfluss hat und die Bleibelastung erhöht. Das Alter des erlegten Rehwildes hatte keinen Einfluss darauf, bei Schwarzwild nimmt der Bleigehalt in Rücken und Schusskanal mit steigendem (> 1) Alter zu. Schussentfernung und Jagdart hatten auch Auswirkungen: Bei bleifreien Geschossen gab es Tendenzen, dass höhere Schussentfernungen zu Nachsuchen geführt haben, bei bleihaltigen gab es keinen Unterschied. Beim Schwarzwild, das bleifrei erlegt wurde, gab es keinen Unterschied zwischen Nachsuchen und Nichtnachsuche und Schussentfernung, bei bleihaltiger hingegen war die Schussentfernung höher, wenn Nachsuchen stattfanden. Im Zuge der Bleifrei-Diskussion wird das andere ballistische Verhalten im Vergleich zur bleihaltiger Munition immer wieder diskutiert, ebenso wie die Tötungswirkung. Dazu hatte 2013 der Eberswalder Doktorand Carl Gremse Daten aus Versuchsreihen vorgelegt, die zunächst kritisiert wurden. In seinen diesjährigen Ausführungen belegte er die Richtigkeit seiner Daten. Es bestätigte sich, dass die Auftreffenergie alleine keine schlüssige Erklärung der Länge der Fluchtstrecke ergibt. Je größer das Wildgewicht, desto länger die zu erwartende Fluchtstrecke, Es zeigte sich, dass die Fluchtstrecken von der Energieabgabe beim Eindringen in den Wildkörpern auf den ersten 15 Zentimetern abhängig sind. Ab Energieabgaben > 1.500 Joule auf den ersten 15 Zentimetern lag im Mittel die Fluchtstrecke unter 30 Metern. Anhand dieser Daten - Energieabgabe und Eindringtiefe – kann geschossspezifisch die Auftreffgeschwindigkeit hergeleitet werden, die für tierschutzgerechtes Tötungsverhalten relevant ist. Damit kann laborierungsabhängig die begrenzende Reichweite definiert werden, betonte Gremse. Gremses Untersuchungen zeigten, dass die Fluchtstrecken von bleihaltig oder bleifrei geschossenen Tieren sich nicht unterscheiden. Sein Fazit: Ein Verzicht auf Blei in jagdlichen Geschossen ist ohne Kompromisse möglich. Notwendig sei aber eine Anpassung von Paragraf 19 Bundesjagdgesetz (BJagdG) § 19 BJagdG - Sachliche Verbote (1) Verboten ist 1. mit Schrot, Posten, gehacktem Blei, Bolzen oder Pfeilen, auch als Fangschuß, auf Schalenwild und Seehunde zu schießen; 2. a) auf Rehwild und Seehunde mit Büchsenpatronen zu schießen, deren Auftreffenergie auf 100 m (E 100) weniger als 1 000 Joule beträgt; b) auf alles übrige Schalenwild mit Büchsenpatronen unter einem Kaliber von 6,5 mm zu schießen; im Kaliber 6,5 mm und darüber müssen die Büchsenpatronen eine Auftreffenergie auf 100 m (E 100) von mindestens 2 000 Joule haben; c) auf Wild mit halbautomatischen oder automatischen Waffen, die mehr als zwei Patronen in das Magazin aufnehmen können, zu schießen; d) auf Wild mit Pistolen oder Revolvern zu schießen, ausgenommen im Falle der Bau- und Fallenjagd sowie zur Abgabe von Fangschüssen, wenn die Mündungsenergie der Geschosse mindestens 200 Joule beträgt; … Dazu müsste auf den kleinsten Packungseinheiten der Einsatzbereich deutlich aufgeführt sein, forderte Gremse. Dass dazu im Zuständigen Bundesministerium (BMEL) bereits nachgedacht wird, machte MinisterialDirigent Dr. Axel Heider deutlich. Die Kriterien zur Tötungswirkung müssten auf den Prüfstand. Außerdem müsse man mit einem Lebensmittelsicherheitsmonitoring die Risiken bewerten und in einen Kontext stellen zu Tötungswirkung und Abprallverhalten. Man wolle neue Kriterien für die Tötungswirkung entwickeln. Sollte der Gesetzgeber tätig werden, müsse Platz für Innovationen bleiben. Es reiche nicht aus, einfach ein Material zu verbieten. Er forderte die Munitionshersteller auf, ihr Know-how einzubringen. Der Bund sei gewillt, eine vernünftige Regelung zu finden. Kritik erntete Heider von Elisabeth Emmert, der Vorsitzenden des sog. Ökologischen Jagdverbandes (ÖJV). Sie warf der Industrie Versagen vor. Heider verwies auf den Einsatz der Industrie, z. B. beim Zurverfügungstellen der Munition. Emmert sieht die Richtlinienkompetenz des Bundes als nicht mehr gegeben an. „Bleifrei kommt“, jubelte sie. Heider machte klar, dass eine Übergangszeit benötigt werde, um zu neuen Regelungen kommen zu können. Beispielsweise müsse eine Nachrüstung der Schießstände stattfinden, bedingt durch das andere Abprallverhalten. Sonst könnten die Jäger ihre Schießfertigkeiten nicht trainieren oder ihre Waffen einschießen. Man habe sich um einen wissensbasierten Weg entschlossen. Der Projektbeirat hat Dr. Dr. Beat Kneubuehl, Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern und ausgewiesener Experte beauftragt, eine technische Richtlinie zu entwickeln, die die Erkenntnisse von Auftreffenergie und Eindringtiefe berücksichtigt. Hartwig Fischer, Präsident des Deutschen Jagdverbandes (DJV) bekräftigte den Willen der Jägerschaft, ein sauberes Lebensmittel zu liefern, „aber wir wollen auch weiter ethisch-moralisch Töten können“. Wichtig sei es, dass methodisch wissensbasiert sauber gearbeitet werde, hinter diese Standards weiche er nicht zurück. Auch die Agrarministerkonferenz Anfang April 2014 in Cottbus wird sich mit Thema Jagdmunition beschäftigen.