Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik Langzeitbeobachtung: Lebensraum Werdinsel, Zürich Höngg April 2009 D. Bär Frühjahrssemester 2009 Leitung: A. Jetzer Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Inhalt 1. Einleitung ………………………………………………………………………………….. 3 2. Vorstellung des Lebensraumes ………………………………………………………….…. 3 3. Strukturen 3.1. Menschliches Einwirken ………………………………………………………….. 4 3.2. Natürliche Entfaltung …………………………………………………………...… 6 3.3. Exemplarisches Beispiel ………………………………….……………………….. 8 4. Prozesse: vom Winter in den Frühling ……..…………...…………………………………. 9 5. Systemische Zusammenhänge …………………………………...…………………………11 6. Didaktische Aspekte zusammengefasst 7. 6.1. Eine exemplarische Weiterführung …………...…………………………….…….. 12 6.2. Weitere Themen …….………………………………………………...………...… 14 6.3. Besonderheiten der Motivation …….…………………………………………...… 16 Literatur und Bildnachweis ………………………………………………………….....….. 17 2 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik 1. FS 2009 D. Bär Einleitung Diese Arbeit beschreibt eine längere Beobachtung eines ausgewählten Lebensraums. Das Ziel dieses Projekts ist es, Schülern der Sekundarschule aufzuzeigen, welch vielfältigen Aspekte ein solcher Lebensraum beinhaltet. Es wird diskutiert, wie der menschliche Einfluss mit dem Natürlichen zusammenwirkt, welche Lebewesen sich angesiedelt haben, welche Prozesse dabei ablaufen und welche Zusammenhänge bzw. Abhängigkeiten ausgemacht werden können. Es ist mir dabei wichtig nicht auf einer rein biologisch-phänomenologischen Betrachtung zu beharren: Besonders gesellschaftliche Themen, die sich aus dieser Arbeit zwingend ergeben, sollen ebenfalls in das Bewusstsein der Schüler einfliessen, aber auch Gegebenheiten aus anderen Fachgebieten. Interessant erscheint die Betrachtung dadurch, indem nicht ein herkömmlicher Lebensraum erforscht wird. Untersuchungsgegenstand ist die Werdinsel, welche sich inmitten der Stadt befindet, ein Ort an dem auf den ersten Blick nicht besonders reichhaltiges Leben erwartet wird, zu welchem jedoch besonders städtische Jugendliche einen Bezug einfach finden können. Anschliessend an die fachliche Klärung, gehe ich umfassend einer zentralen Frage nach: Welche Resultate können sinnvoll für den Unterricht verwendet bzw. didaktisch aufbereitet werden? 2. Vorstellung des Lebensraumes 3 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Die Werdinsel liegt im Quartier Höngg der Stadt Zürich unterhalb des Hönggerwehrs zwischen dem Fluss Limmat und einem künstlich angelegten Kanal, welcher Limmatwasser zum Flusskraftwerk Höngg führt. Neben einer offiziellen Badeanlage findet man auf ihr auch Grillmöglichkeiten und ein Fussballfeld. Die gesamte Fläche der künstlichen Insel ist demnach als eine Art Stadtpark zu sehen. Jedes Jahr findet im August das einzigartige Werdinsel Openair statt, welches den Standort auch immer wieder zu einem kulturellen Zentrum macht.1 Ab dem Jahr 1880 und nach zahlreichen Überschwemmungen, wurde der Limmatlauf bis zum heutigen Bild immer wieder korrigiert.2 Unter Teilen der Insel verbirgt sich ein Regenüberlauf- oder Rückhaltebecken, welches in den Jahren 1983 bis 1988 gebaut wurde und rund 40'000m³ Wasser fasst. Es ist damit das grösste Bauwerk dieser Art in Zürich. Auf der gegenüberliegenden Flussseite befindet sich die Kläranlage Werdhölzli, die 1926 in Betrieb genommen wurde.3 Trotz dieser einschneidenden Eingriffe in die natürliche Landschaft, ist das Flussbett im Abschnitt der Werdinsel an sich naturnahe belassen bzw. gestaltet worden. 3. Strukturen im Lebensraum 3.1. Menschliches Einwirken Wie bereits erläutert wurde, ist der geleistete menschliche Einfluss der Vergangenheit gravierend. Die grundsätzliche Umgestaltung des Gebiets wurde allerdings vor vielen Jahren abgeschlossen. Die Natur hatte Zeit wieder in ein längerfristiges Gleichgewicht zu kommen. Zweifelsohne sind durch den Wandel Lebewesen verloren gegangen, andere haben gerade hier eine neue Heimat gefunden. In der Phase dieser Langzeitbeobachtung sind mir vor allem die aktuell wahrnehmbaren menschlichen Einflussfaktoren aufgefallen. Zentrale Fragen stellen sich: Wie wirken sich die Verhaltensweisen der Menschen auf den Lebensraum der Pflanzen und Tiere aus und wie wirkt sich dies auf die Lebewesen in direkter Weise aus? 1 2 3 Mehr Informationen hierzu findet man unter: http://www.werdinselopenair.ch/ Bernhard, Rosmarie et al: 750 Jahre Geroldswil – Festschrift. Stadt Zürich, Entsorgung und Recycling. 4 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Wie zu erwarten wird die Insel bei sommerlichem Wetter von bade- und wanderlustigen Leuten regelrecht belagert. Von der Tierwelt ist dann unmittelbar nur noch wenig zu sehen. Grössere Tiere sind rasch verscheucht. Besonders grosse Vögel, wie beispielsweise Graureier oder Kormorane ziehen sich zurück. Doch nicht alle Tiere verhalten sich in dieser Weise. Der Höckerschwan und zahlreiche Entenarten haben sich wie auch der Spatz, die Taube und der Möwe mit der Präsenz des Menschen abgefunden. Sie haben erkannt, dass es sogar einen entscheidenden Vorteil in seiner Gegenwart zu holen gibt: haufenweise Nahrung, Nahrung mit denen die Tiere oftmals gezielt gefüttert werden. Meist handelt es sich aber um liegengebliebene Resten von Mahlzeiten. Solange der Abfall organischen Ursprungs ist, bleibt er der Tierwelt nicht lange verborgen. Problematisch erscheint Abfall, welcher nicht in nützlicher Zeit abgebaut werden kann. Zahlreiche Plastiksäcke, Flaschen und weiterer Unrat aller denkbaren Art lassen sich auf der Insel leicht sammeln. Obwohl Stadtangestellte regelmässige Säuberungen durchführen, wird der natürliche Lebensraum negativ belastet. Unter diesem Aspekt hinterlässt auch das Regenüberlaufbecken einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits ist durch die geregelte Abgabe von Schwemmwasser eine zerstörerische Überschwemmung ausgeschlossen, doch fliesst so das stark belastete Regenwasser (Schadstoffe, Dreck und Staubpartikel aus dem Strassenverkehr) konzentriert in das natürliche System ein. Es resultiert eine ungemein stinkende nahezu tote Schlammzone um den Abflusskanal herum. Die hohen Besucherzahlen auf der Insel haben weitere direkt sichtbare physische Folgen. Junge Bäume und tiefes Laub werden stellenweise durch Mensch und Haustier niedergetrampelt. Besonders die Badesaison ist da- 5 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär von betroffen. Bereits ab 2005 entbrannte eine Diskussion um die Übernutzung des Naherholungsgebietes.4 Den jedoch auffallendsten vom Menschen geschaffenen Einfluss bildet das Wehr, welches den Wasserpegel der Limmat künstlich reguliert. Es staut den Fluss in seiner ganzen Breite. Stromaufwärts sind Fische dadurch gezwungen ihren Weg durch einen kleinen damals gewerblich genutzten Seitenkanal zu finden. Ausgedehnte Grünflächen werden künstlich unterhalten, einzelne Bäume zurückgeschnitten. Im Frühling und im Sommer verwandelt sich das Grasland allerdings in einen eigenen sehr interessanten Lebensraum. Weiter versucht man in deren Nähe mittels künstlich aufgeschütteten Steinhaufen Reptilien anzusiedeln. Verblüffend ist, dass die Werdinsel trotz des grossen menschlichen Einflusses sehr viele Pflanzen- und Tierarten beherbergt. 3.2. Natürliche Entfaltung Abseits der regulären Parkanlage mit ihren gepflegten Grünflächen und exakt angeordneten Kastanienbäumen, finden sich längliche Waldstücke. Sie verlaufen entlang des nördlichen und gegenüber des südlichen Ufers. Was hier existieren kann, lebt und gedeiht im Regelfall unbehelligt vom menschlichen Tun. Schon früh im Jahr versammeln sich auf den hohen Wipfeln am Wasser lebende Vögel. Im Bild zu sehen sind Kormorane Anfang März. 4 Stadt Zürich, Sozialdepartement. 6 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Diese kleinen Wälder am Rande des Wassers beherbergen unterschiedlichste Pflanzen. Eine grobe Übersicht bietet das Kapitel zum jahreszeitlichen Prozess. Der Südliche Teil der Insel wird umsäumt von einer ausgedehnten Kieslandschaft, welche den Charakter eines gänzlich natürlichen Strandes trägt. Dreht man einzelne Steine in der Uferregion um, lassen sich zahlreiche Kleinstlebewesen entdecken, darunter der seit 2006 eingewanderte Höckerflohkrebs, dessen Ausbreitung kontrovers diskutiert wird. Er ernährt sich räuberisch und steht in starker Konkurrenz zu anderen Wasserorganismen.5 Der Grund der plötzlichen Ausbreitung ist bis anhin nicht bekannt, wird aber u.a. am Standort Werdinsel untersucht. Bereits erwähnt wurde der alte Seitenkanal, in welchem sich alle Fische bewegen müssen, wollen sie das Wehr umschwimmen. Er liegt südlich der Limmat und ist den wenigsten bekannt. Erbaut wurde er 1865, um ein Wasserrad der Seidenspinnerei Hauser anzutreiben. Heute wird sein Wasser nicht mehr kommerziell genutzt, er ist aber ein wichtiger Lebensraum für Fische und andere Lebewesen, obwohl der Kanal heute eingeklemmt zwischen Siedlungen, Schrebergärten, Industriebetrieben und Auenwaldresten ist. Ironischer weise fliesst die heutige Lebensader sogar durch das Areal der Kläranlage Werdhölzli. Lebensader deshalb, weil in jüngster Zeit zahlreiche Anstrengungen unternommen wurden, um diesen Kanal als Lebensraum für Wildtiere aufzuwerten. So wurden mit grossen Steinen und Ästen Hindernisse im Bach geschaffen, die einerseits den Jungfischen als Versteck dienen, und andererseits vielfältige Strömungen erzeugen.6 Hier finden sich Ende April tatsächlich grosse Fischschwärme ein (Bild: Alet-Schwarm). Aber auch stille Feuchtgebiete wurden geschaffen. So hört man anfangs Sommer vereinzelt Frösche. Einige Kinder lassen sich dafür sichtlich begeistern - die Wasserfrösche nehmen es gelassen. Die Verbesserungen am Seitenkanal zeigen auch in der Vogelwelt einen ersten Erfolg. Häufige Gäste sind Amseln und Krähen, die sich bevorzugt auf den hohen Baumwipfeln über dem Kanal oder direkt am Ufer versammeln. Die Kohlmeise ist mit den ersten Sonnenstrahlen zu hören. Mit der nötigen Geduld und etwas Glück, kann man neben Graurei5 6 Patrick Steinmann et al: Gewässerbiologe - Dikerogammarus villosus im Zürichsee und in der Limmat. Österreicher, Richard: Mitgliederjournal Höngger Vogelschutz - Fische in der Limmat und im Hauserkanal. 7 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär hern und Kormoranen in der Tat sogar den Eisvogel entdecken. Dieser brütet seit kurzem wieder in der Region und ernährt sich von dort lebenden Fischen.7 Insgesamt beobachtet man auf der Insel überdurchschnittlich viele Vögel, welche sich entweder von Fischen, Bodenlebewesen und Insekten oder von beidem ernähren. 3.3. Exemplarisches Beispiel einer Lebensform im Untersuchungsgebiet Ein Vogel in der Region ist kaum zu überhören: Der Kleiber. Man fragt sich wo er sich versteckt. Durch seine typische Stimme gepaart mit lautem Klopfen wird man angelockt. Hat man den Vogel gefunden, offenbart sich einem ein wahres Schauspiel: Als einziger Vogel klettert er Baumstämme nicht nur hoch, sondern auch kopfüber nach unten, dies zudem in unglaublich flinker Weise. Dabei hämmert er mit vollem Körpereinsatz immer wieder auf zerfurchte Stämme ein. Er fliegt im Winter nicht ausser Landes, frisst dann nur Körner und Samen. Erst im Frühling findet er wieder Insekten, Würmer und Käfer, die er mit seinem langen kräftigen Schnabel aus rauer Borke holt. Der Kleiber ist bekannt für seine ungewöhnliche Maurerarbeit. Im Gegensatz zu anderen Vögeln in der Umgebung legt er kein konventionelles Nest an. Er nutzt verlassene Nisthöhlen oder Ähnliches und verkleinert das Eingangsloch, sodass grössere Vögel nicht mehr eindringen können. Dazu benutzt er eine Art Zement: Lehm vermengt mit Speichel. Daher auch sein Name, denn Kleiber lässt sich auf Kleber zurück7 Österreicher, Richard: Mitgliederjournal Höngger Vogelschutz - Fische in der Limmat und im Hauserkanal. 8 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär führen. Der Vogel ist nicht sehr scheu, wohnhaft im Park, Garten und Wald. Daher eignet er sich eher als lebendes Studienobjekt: Den Eisvogel bekommt man so einfach beispielsweise nicht zu sehen. Seine Verhaltensweisen und Gestalt, lassen schöne Rückschlüsse auf die Einbettung des Vogels in seinen Lebensraum zu (Lebensraum und Anpassung8). Der Vogel hat einen symbolhaften und damit für viele Menschen affektiven Charakter. Im Zusammenhang mit dem Kleiber als Vogel des Jahres 2006, ging in Deutschland ein weiter Appell für den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung von Laub- und Nadelwäldern einher. Besonders höhlenreiche Altholzbestände sollten in Zukunft besser erhalten werden. Die Aktion ist als Beitrag zum Hochwasser- und Klimaschutz positiv gewertet worden.9 4. Prozesse: vom Winter in den Frühling Im Februar nach dem grossen Schnee ist noch nicht viel zu sehen. Alles erscheint grau im tiefen Sonnenstand. Nur der Haselstrauch scheint aktiv zu werden. Er nutzt die frühe Gelegenheit, um seine Pollen möglichst ungehindert zu verteilen. Blätter sieht man nur vereinzelt. Wassernahe Bäume wie die Weide und der angrenzende Buchenwald erscheinen noch ganz karg. Schaut man allerdings genauer, bemerkt man unzählige kleine Knospen an jedem kleinen Ast – die Bereitschaft ist da. Etwas grün bringen immerhin einige Bodennahe Pflanzen, der immergrüne Efeu und entfernte Nadelbäume, auf deren Wipfeln sich einige Kormorane majestätisch niederlassen. Sie sind zurückgekehrt oder auf der Weiterreise aus ihren Winterquartieren. 8 9 Bayrhuber, Horst (Hrsg.) et al: Linder Biologie, S. 444. Wildtier Stiftung Deutschland: Der Kleiber, Vogel des Jahres 2006. 9 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Doch schon Ende März verändert sich alles sehr schnell. Nach dem Scharbockskraut und dem Buschwindröschen blühen nun auch die Salweiden: Als zweihäusige Pflanze ist sie angewiesen auf die Bienen, die sich wie aus dem Nichts plötzlich schwarmweise um die Blüten sammeln. Ebenfalls zahlreiche Kirschbäume kommen vermehrt zur Blüte. Auch in der Luft ändert sich einiges: Grosse Schwärme von Möwen ziehen hoch über das Gebiet. Höckerschwäne fliegen im Paar landeinwärts, während duzende Krähen sich versammeln und lauthals auf den ufernahen Steinen umherspringen. Anfang April erwachen auch die letzten Sträucher zu neuem Leben. Im Gras zwischen blühendem Löwenzahn und Margeriten beäugt einen neugierig eine junge Taube. Schmetterlinge und andere Insekten werden durch die Blüten angelockt. Kolbenenten- und Stockenten-Erpel sind vermehrt auf dem Wasser anzutreffen. Bereits im März beginnt für die Enten die Brutzeit. Ende April verwelken bereits viele Blüten wieder. Die Rosskastanien sind nun völlig aus ihrem Winterstadium erwacht. Die Triebe welche über Monate in den Knospen angelegt waren, sind nun voll ausgebildet. Auf den Steinhaufen nahe der Wiese sind grössere Insekten zu sehen. Gleichzeitig tummeln sich immer mehr Vögel; Meisen und Amseln bevölkern das nun dichte Blätterwerk. Die Landschaft hat in knapp drei Monaten einen bedeutenden Wandel in Flora und Fauna durchgemacht. 10 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik 5. FS 2009 D. Bär Systemische Zusammenhänge Um einen Überblick über die systemischen Zusammenhänge des Lebensraumes bekommen zu können, lohnt es sich in einem Brainstorming mögliche Grössen des Systems spontan aufzuzeichnen. Es ist förderlich hier fachübergreifend zu agieren und diese dementsprechend einzuordnen. So wählt man als Ausgangspunkte vorteilhafterweise untenstehende Vierteilung aus dem Beispiel. In einem weiteren Schritt lassen sich Beziehungen besser erkennen und direkt markieren. Aus einer ersten Grafik lassen sich schon zentrale Merkmale folgern. In unserem Fall wird ersichtlich, wie eng der Mensch mit dem Naturraum verknüpft ist: Die demografische Entwicklung treibt beispielsweise die Städteplanung und damit auch die Infrastruktur an. Dies scheint in irgendeiner Weise Einfluss auf den physischen Raum und den darin lebenden Organismen zu haben. Interessant wird es, wenn man nun solche Verbindungen gesondert betrachtet: Der künstliche Kanal, den die Fische für ihre Wanderschaft nutzen, exponiert sie zumindest zeitweise. Bestimmte Vögel wissen das zu schätzen und schaffen sich so eine Lebensgrundlage. Wassertiere werden womöglich zurückgedrängt, neue Vogelarten kommen dazu (gilt es zu überprüfen). Ein erhöhtes Vogelaufkommen trägt aber auch zur Verbreitung von Pflanzen und Bäumen bei, diese liefern Schutz und Nahrung für Kleintiere, die wiederum den Fischen als Nahrung dienen können. Es lässt sich im Nahrungskreislauf eine Beute-Jäger-Systematik erkennen. 11 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Anhand systemischer Verbindungen lassen sich grundsätzliche biologische Abläufe erklären. Variationen oder gar Störungen des idealen Systems werden zudem sichtbar und lassen sich an vorhandenen Beispielen diskutieren. 6. Didaktische Aspekte zusammengefasst 6.1. Eine exemplarische Weiterführung Ziele Einblick in Zusammenhänge gewinnen (nach Lehrplan): - SuS erleben den Stadtpark Werdinsel als lebhaftes Ökosystem. SuS wissen um die Problematik des menschlichen Einwirkens auf natürliche Räume Bescheid. Ihnen wird der zeitliche und gesellschaftliche Aspekt bewusst: Jeder ist Teil des Systems und deshalb selbst betroffen. Gedanken an nachfolgende Generationen. SuS können Lösungsansätze benennen. Die Sache (Thema) Strukturveränderungen diskutiert am Beispiel der Werdinsel. - Zerschneidung und Vernichtung von Lebensraum Nutzung und Belastung der Natur durch den Menschen. Nachhaltige Entwicklung und Förderung des naturnahen Raums. Elementare Grundideen Sachstrukturen und Ideen für den Unterricht - - - Übernutzung der Umwelt: Verstädterung, Zerschneidung und Vernichtung von Lebensräumen. Flussregulierung. Naturnaher Raum. Gift. Entsorgung und Reinigung: Verschmutzung und Aufbereitung. - Informierung mittels medialer Mittel. Bestandsaufnahme in einer Exkursion. Einflüsse auf Wasserorganismen skizzieren. Abwasserreinigung der Natur (Selbstreinigung) und Leistungsfähigkeit. Die moderne Kläranlage betrachten. Diskussion um Änderungsvorschläge und Konzepte. Schülervorstellungen/Präkonzepte: - Das Wasser unserer Flüsse ist vom Menschen weitgehend unberührt; es kommt so aus den Bergen; heutige Flussläufe haben in ihrer Form schon immer existiert. Fischotter muss man nicht schützen; sie fressen die seltenen Fische. Der Mensch verdrängt und zerstört die Natur. Ökosysteme sind auf das Land mit ihren Wäldern und Seen beschränkt. Es gibt keine Wasserorganismen in der Limmat; man kann nichts dagegen tun. Kläranlagen sind undurchschaubare stinkende Fabrikanlagen. 12 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär In obiger Zusammenstellung habe ich das Kernthema der Strukturveränderung exemplarisch für den Unterricht ausgearbeitet. Darauf aufbauend lassen sich im konstruktivistischen Sinne einzelne Bausteine ableiten und gezielt behandeln. Die didaktische Rekonstruktion verschafft einen guten Überblick über solche didaktischen Überlegungen und Verknüpfungen.10 Gerade in Sachen Einflussnahme des Menschen und zeitlicher Wandel gibt es ein grosses Angebot an Lernmedien, sei es Text oder Film. Schulbücher höherer Stufe wie Natura, Linder Biologie aber auch spezifische Sekundarschulbücher wie Naturspuren bieten der Lehrperson eine gute Wissensbasis. Auf die Zielstufe transformieren lässt sich dieses Wissen einfacher, nimmt man Anschauungsmaterial, Experimente oder konkrete Problemsituationen zur Hand: Der Lebensraum Werdinsel lässt sich didaktisch gut einbinden. Er eignet sich unter anderem gut für eine solche Behandlungsweise, da der Mensch hier das Wassermanagement; die Kanalisierung, Stauung, Einleitung aber auch die Reinigung mittels Aufbereitungsanlage praktisch voll und ganz in seine Hände genommen hat (d. Bausteine). Ein Beispiel: Von allen Lebensräumen wurden in der Schweiz die Feuchtgebiete in den vergangenen 150 Jahren am stärksten verändert. Während die Limmat noch vor 150 Jahren ein natürlich fliessender Fluss war, so gleicht sie heute einer Wasserautobahn.11 Die Fertigstellung der Limmatkorrektion um das 19. Jahrhundert sowie der Bau der ersten Kraftwerke entzog besonders den Zugfischen die Lebensgrundlage. Für die Schüler sicherlich beeindruckend, ist die Tatsache, dass der bis zu 12 kg schwere und 1,5 m lange nordatlantische Lachs (der in den Zuflüssen der Linth sein Laichgeschäft erledigte) zuvor in der Limmat anzutreffen war.12 Zu finden sind die Fische der Limmat aber durchaus, nur nicht im eigentlichen Flusslauf: Andere Grundideen kommen zwangsläufig ins Spiel. Eine solche Differenzierung kann im Sinne des Spiralcurriculums erfolgen. Weitet man also die Thematik aus, stellen sich sofort gesellschaftliche Fragen: Welche Rolle der Mensch und damit auch der Schüler im Einzelnen, im natürlichen System spielt. Entwicklungen und Veränderungen werden sowohl im Negativen als auch im Positiven exemplarisch kennengelernt. Schliesslich ist es essentiell über die vergangenen 10 11 12 Die didaktische Rekonstruktion ist ein geläufiges Mittel zur inhaltlichen Klärung, Definierung von Zielen. Sie schliesst Schülerperspektiven explizit mit ein. Sie wird fächerunabhängig eingesetzt. Im Lehrmittel Naturspuren gibt es dazu eine gute Veranschaulichung: Jetzer, Arthur / Leuthold, Walter: Naturspuren – Biologielehrmittel für Real- und Oberschulen, S. 39. Österreicher, Richard: Mitgliederjournal Höngger Vogelschutz - Fische in der Limmat und im Hauserkanal. 13 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär Ereignisse und deren heutige Wirkungen Bescheid zu wissen: Jugendliche lernen in grösseren Zeiträumen zu denken. Dazu gehört auch die Verantwortung gegenüber folgenden Generationen wahrzunehmen. Bezogen auf die Schule, liesse sich die Debatte um die Lebensraumveränderung, Verschmutzung und Zerstörung bis hin zur immer noch brisanten PCB-Thematik ausdehnen.13 Entscheidende Fragen stehen plötzlich im Raum: Bis zu welchem Grad kann sich die Natur in nützlicher Frist selber helfen wie? Was kann der Mensch beitragen? Können unsere Fische bedenkenlos konsumiert werden? Woher stammt das Kaufhausprodukt und ist es gleichfalls belastet? Man sieht sofort, dass der Mensch von den Veränderungen im Lebensraum automatisch mit betroffen ist und es ihm demnach nicht gleichgültig sein kann, wie die Entwicklung verläuft. In einer solchen Diskussion kommen Fakten und Zusammenhänge zu Tage, welche den Schülern anspornen sich selbst als Teil des Systems zu sehen. Es werden fundierte Wertvorstellungen gefördert, was Eigenverantwortung und Engagement - späteres eigenverantwortliches Handeln - fördern. Fachliche Kompetenz und gesellschaftstechnisches Verständnis lassen sich anhand dieses Problems gut verbinden und veranschaulichen. 6.2. Weitere Themen Die genaue Betrachtung vor Ort (wenn möglich über längere Zeit) lässt erahnen, wie vielfältig ein Lebensraum sein kann. Dies selbst, wenn die Bedingungen nicht ideal sind. Man betrachte parallel andere Ökosysteme: die Tiefsee oder das Gebirge. Man erkennt wie es Lebensformen verstehen sich an widrigste Umwelten anzupassen. Die Methoden der Natur solche Barrieren zu überwinden sind zudem oft Vorbild für die Menschen gewesen. Sie sind nicht zuletzt Grundlage unseres technischen Verständnisses.14 Dies ist eine Tatsache die weiter motiviert und zur Erschliessung neuer Perspektiven führt. Beobachtungsaufträge und Problemlösesituationen können die Schüler in dem Fall anspornen selber tätig zu werden, instrumentelle Fähigkeiten zu erlenen und dabei die Natur in ihren Facetten schätzen zu lernen: Wie hält sich der Kleiber kopfüber am Baumstamm? Wozu mauert ein Vogel Mauern? Wie schwimmen Fische gegen den Strom, gegen den man selber nicht ankommt? Auf welche Weise vermehren sich Pflanzen effizient? Wieso wird der Graureiher nie nass? Was hat der Höckerschwan mit der Concorde gemeinsam und wie bewegt sich der Wasserläufer auf der glatten Wasseroberfläche? Umgebungen werden erlebt, interdisziplinäre Verknüpfungen erkundet: Der Schüler 13 14 Dazu empfiehlt sich das Arbeitsbuch: Burkhard, Maya et al: Was kann der Eisbär denn dafür… Das Buch Bionik (siehe Literatur) bietet mit seinen exzellenten Bildaufnahmen einen einzigartigen Einblick in zahlreiche faszinierende Facetten von Natur und Technik. Es ist auch auf der Zielstufe sehr gut einsetzbar. 14 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär orientiert sich, schafft sich so ein eigenes Bild, kann Stellung dazu nehmen und wird zu eigenem Ausprobieren bzw. Handeln angespornt. Man sieht, dass sich aus der bisherigen Arbeit eine erstaunliche Vielzahl von Themen und Lernzielen ableiten lässt. Einige davon sind unten aufgelistet. Natürlich muss für eine konkrete Unterrichtsplanung aus einer Auswahl immer eine stufengerechte Auslese getroffen und ausgearbeitet werden (siehe: didaktische Rekonstruktion). Darüberhinaus muss auch der zur Verfügung stehende Zeitrahmen berücksichtigt werden. Beispiele denkbarer Lernziele: - Der Lebensraum des Stadtparks wird in seinem Aufbau bewusst wahrgenommen. - Die Relevanz und der Zusammenhang darin ablaufender Prozesse werden verstanden. - Der Einflussfaktor Mensch wird erkannt, kritisch hinterfragt und Lösungen diskutiert. - Es wird klar, dass sich Lebewesen dem gebotenen Lebensraum anpassen und diesen in unterschiedlicher Art und Weise ausnützen. - Natürliche Prozesse können in zeitliche und fächerübergreifende Kontexte eingeordnet werden. Hieraus lassen sich elementare Grundideen/Themen folgern: - (urbanes) Ökosystem / ökologische Nische - Lebensraum und Anpassung - Elementare Kreisläufe bzw. Systeme: Bsp. Nahrungsbeziehungen im Ökosystemen, Räuber-Beute-System, Wasserkreislauf - (Jahres-)zeitlicher Wandel - Grundideen der Bionik - Umweltproblematik: Schadstoffe, saurer Regen, Selbst- und Fremdreinigung des Fliessgewässers. - Strukturveränderungen: Zerschneidung und Vernichtung von Lebensraum oder Nutzung und Belastung der Natur durch den Menschen. - Nachhaltige Entwicklung. Es bleibt der Lehrperson überlassen, welche Grundidee letztlich aufgegriffen und methodisch aufbereitet wird. Entscheidungshilfen für eine sinnvolle Auswahl bieten die Lehrerkommentare zu stufengerechten Lehrmitteln und der Lehrplan. 15 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik FS 2009 D. Bär 6.3. Besonderheiten der Motivation Persönliche Erfahrung hat mir gezeigt, dass eine positive Lerneinstellung seitens der Schüler nicht nur Abhängig ist von einer guten Themenwahl. Natürlich soll in erster Linie theoretisches Wissen vermittelt werden, doch dieser Anspruch alleine genügt nicht. Einen guten Ansatz liefert die Kognitionsforschung. Sie besagt, dass wir immer auf vorhandenen Wissensstrukturen (Präkonzepte) aufbauen oder alte Muster variieren. Will man aber eine selbständige Veränderung erreichen, braucht es dazu persönliche Relevanz, oder anders ausgedrückt: einen echten Lebensweltbezug. Ist dieser emotionale Reiz gegeben und für den Lernenden ersichtlich, steigt die Motivation neue Sachverhalte überhaupt zu verfolgen. Das heisst auf die Schule bezogen: Die konkrete Betrachtung eines bekannten und lebensnahen Lebensraumes, wie ich es hier getan habe, erhöht u.a. die Bereitschaft natürlichen Strukturen und Prozessen Wertschätzung entgegenzubringen erheblich. Besonders eindrücklich kann dies geschehen, wenn bis anhin Unbekanntes aufgedeckt wird – Dinge, die immer vor der eigenen Haustüre lagen, aber in all ihren Facetten nie eingehend zur Kenntnis genommen wurden. Gerade die Biologie hat den Vorteil, dass man sie unmittelbar erfahren kann, sowohl draussen als auch im Klassenraum. Diese Chance gilt es zu nutzen. Zuletzt sei gesagt, dass die Schülereinstellung zum grossen Teil durch das Auftreten der Lehrperson geprägt wird. Das bestätigen Rückmeldungen immer wieder. Die Einstellung der Lehrperson gegenüber dem Lernstoff ist gerade in den oft als langweilig verpönten Naturwissenschaften äusserst wichtig. Denn eine noch so gute didaktische Methode ist nutzlos, steht man als Lehrkraft nicht hinter seinen Worten und Taten - Begeisterung hingegen steckt an. 16 Pädagogische Hochschule Zürich BI 210: Biologie-Didaktik 7. FS 2009 D. Bär Literatur und Bildnachweis Bayrhuber, Horst (Hrsg.) et al: Linder Biologie – Lehrbuch für die Oberstufe. 22. Auflage, Braunschweig 2006. Burkhard, Maya et al: Was kann der Eisbär denn dafür… Zürich 2003. Holliger, Marcel et al: Natura – Grundlagen der Biologie. Schweizer Ausgabe, Zug 2006. Jetzer, Arthur / Leuthold, Walter: Naturspuren – Biologielehrmittel für Real- und Oberschulen. Zürich 1994. Schwaigern, Litz Manfred (Hrsg.) et al.: Urknall, Physik Chemie Biologie, Zug 2007. Nachtigall, Werner / Blüchel, Kurt G.: Bionik – Neue Technologien nach dem Vorbild der Natur. München 2000. Elektronisch: Bernhard, Rosmarie et al: 750 Jahre Geroldswil – Festschrift: http://www.geroldswil.ch/pdf/Geroldswil_Festschrift.pdf Österreicher, Richard: Mitgliederjournal Höngger Vogelschutz - Fische in der Limmat und im Hauserkanal: http://www.nvvhoengg.ch/journal06-10.html Patrick Steinmann et al: Gewässerbiologe - Dikerogammarus villosus im Zürichsee und in der Limmat 2006: http://www.sg.ch/home/bauen__raum___umwelt/Natur__Jagd___Fischerei/fischerei/ Artenschutz.RightPar.0001.DownloadListPar.0008.File.tmp/Dikerogammarus2006_ Bericht_ZHSee-Limmat%20Steinmann.pdf Stadt Zürich, Entsorgung und Recycling: Abwasser: http://www.stadt-zuerich.ch/content/dam/stzh/ted/Deutsch/erz/Abwasser/ Publikationen_und_Broschueren/ABW_Broschuere_Abwasser_0609.pdf Stadt Zürich, Sozialdepartement: Nutzungskonflikte auf der Werdinsel: http://www.stadt-zuerich.ch/content/sd/de/index/soziokultur/gwa/waidberg/Werdinsel.html Wildtier Stiftung Deutschland: Der Kleiber, Vogel des Jahres 2006: http://www.deutschewildtierstiftung.de/aktuelles/natur_des_jahres/2006/vogel_2006.php Verein Werdinsel Openair Zürich: http://www.werdinselopenair.ch/ Einsicht aller Quellen: April 2009. Bilder: Sämtliche Fotografien stammen aus eigener Hand, wenn nicht anders vermerkt: Google Earth: Luftaufnahme Werdinsel. Stadt Zürich, Entsorgung und Recycling: Luftaufnahme Werdhölzli. Stadt Zürich, Sozialdepartement: Die Werdinsel ist schön. Ohne Scheiss. 17