Verantwortung für unser Über-Lebensmittel Wasser 1. Einleitung Im Anschluss an das Jahr der Berge 2002 deklarierten die Vereinten Nationen (UNO) das Jahr 2003 zum Internationalen Jahr des Süsswassers. Von der Wüste bis zum Meer drehte sich alles um das kostbare Gut „Wasser“ und überall fanden Aktionen statt. Der Schutz und die Zukunft des Wassers prägte mich persönlich, denn über 40 Jahren war ich beruflich für den Schutz, die Verbesserung und die Erhaltung der Gewässer tätig. Während 30 Jahren trug ich die Verantwortung für die Überwachung der Gewässer des Kantons Luzern sowie für die Erfolgskontrolle der getroffenen Massnahmen; unter anderem auch für die Sanierung des Baldegger- und Sempachersees, die bis heute immer noch künstlich belüftet werden. Meine persönlichen Erfahrungen und mein Wissen möchte ich mit einigen Gedanken über die globalen Süsswasserreserven, die Gefährdungen unseres Wasserschatzes sowie über den regionalen und lokalen Umgang mit Wasser darlegen. Weiter will ich die Frage zu beantworten versuchen, ob wir unseren Wasserschatz nachhaltig nutzen und ihn in einem ökologisch guten Zustand den kommenden Generationen übergeben können. 2. Wasserschatz der Erde Die Wasservorkommen auf der Erde sind mit 1'360 Millionen Kubikkilometer (km 3) immens. 97.7 % dieser Hydrosphäre sind salzhaltig und liegen hauptsächlich in Form von Meerwasser vor. Nur gerade 2.3 % der gesamten Wasservorkommen ist Süsswasser (38 Millionen km3). Den grössten Anteil an Süsswasser (29.2 Millionen km3) nehmen Polareis und Gletscher ein. Unter dem Gesichtspunkt der Wasserversorgung von Bevölkerung, Landwirtschaft und Wirtschaft darf aber nur die dynamische Komponente des Wasserkreislaufes berücksichtigt werden. Als ständig nutzbare Ressource steht somit nur das über die Flüsse ins Meer abfliessende Wasser zur Verfügung. Das sind jährlich rund 40'000 km3, oder gerade 1 % des gesamten vorhandenen Süsswassers der Erde. Dieses erneuerbare Süsswasser steht in den verschiedenen Gebieten der Erde - je nach Klima und Bevölkerungsdichte in unterschiedlichen Mengen zur Verfügung. Von diesem Süsswasseranteil wird weltweit bereits 10 % genutzt und verschmutzt. Die 300 grössten Flüsse der Erde entwässern Einzugsgebiete, die meist mehrere Länder umfassen, also ober- und unterliegende Länder. Die Wasserführung dieser Flüsse wird oft bereits im Oberlauf durch menschliche Nutzungen so verändert und ausgebeutet, dass für die unterliegenden Länder sowie für die jeweilige Grundwasseranreicherung nicht mehr genügend Wasser zur Verfügung steht. Neben den Eingriffen in den Wasserkreislauf und in die Abflussregime der Flüsse erfolgt meist gleichzeitig eine Beeinträchtigung der Qualität des Wassers. Das „WassermengenProblem“ wird noch zusätzlich durch ein „Wasserqualitäts-Problem“ verschärft. 3. Gefährdungen des Wasserschatzes Die UNO schrieb im Jahr 1999 über die Süsswasser-Reserven der Welt folgendes: -2- 1.) Arme Entwicklungsländer wie auch wirtschaftlich entwickelte Länder nutzen den Süsswasserschatz der Erde keineswegs nachhaltig. Sowohl bezüglich der Wassermenge wie der Wasserqualität herrschen regionale und lokale Versorgungsengpässe. 2.) Der Wasserverbrauch nimmt weiterhin stetig zu. Ein Drittel der rund 6 Milliarden Menschen leben heute in Ländern, in denen für die täglichen Bedürfnisse nicht genügend Wasser vorhanden ist. Im Jahr 2025 werden sogar zwei Drittel der voraussichtlich 8.5 Milliarden Menschen nicht genügend Wasser haben. 3.) Der Wassermangel und die Wasserverunreinigungen werden zu gesundheitlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Schwierigkeiten führen. 4.) Die Nahrungsmittelproduktion in der Landwirtschaft verbraucht sehr viel Wasser. Sie wird durch das Wasserangebot begrenzt. 5.) Wassermangel kann zu lokalen, regionalen und globalen Krisen führen. 6.) Es ist weiterhin notwendig verschiedene technische, kurative und vorsorgliche Massnahmen zu ergreifen, um die Wasserverunreinigung und den Wasserbedarf zu vermindern. 7.) Für eine nachhaltige Nutzung und für einen besseren Schutz des Wassers braucht es ein Umdenken und ein kluges, ganzheitliches und wirkungsvolles Wassermanagement. Die Hauptaufgaben für ein wirkungsvolles Wassermanagement sind: - Verbesserungen der hygienischen Verhältnisse für die Bevölkerung, Verbesserungen des ökologischen Zustandes der Gewässer und Lebensräume für Menschen, Tiere und Pflanzen Verminderung des Wasserverbrauchs bei der Nahrungsmittelproduktion. deren Als Zielvorgabe wurde im Bericht der UNO festgelegt, dass bis zum Jahr 2015 der Anteil der Menschen, der Hunger leidet, unter schlechten hygienischen Verhältnissen lebt und keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, zu halbieren sei. 4. Beeinträchtigungen der Wassermenge und der Wasserqualität Zu den Beeinträchtigungen der verfügbaren Wassermengen gehören: - Wasserentnahmen für Wasserversorgung (Trinkwasser und Hygiene), für Nahrungsmittelproduktion (Agrarwirtschaft) und für Brauchwasser (Gewerbe und Industrie) - Wasserableitungen und Stauhaltungen Trinkwasserreservoire und Schifffahrt für Bewässerung, Wasserkraftnutzung, -3- - Übernutzung der Grundwasserreserven und Verminderung Grundwasseranreicherung durch Versiegelung der Böden (Urbanisierung Industrialisierung) sowie durch Verdichtung der landwirtschaftlich genutzten Böden der und - Drainierungen, Trockenlegung und Vernichtung von Überflutungs- und Feuchtgebieten - Regulierung und Kanalisierung von Gewässern - Verluste durch undichte Wasserversorgungsleitungen und Bewässerungskanäle - Direkte Auswirkungen auf Menge und Verteilung von Wasser durch globale Klimaveränderungen. Zu den Beeinträchtigungen der Wasserqualität gehören: - Hygienische Verunreinigungen durch pathogene Keime, Protozoen, Bakterien und Viren aus Siedlungen, Spitälern und Abfall-Deponien. Auch gereinigte Abwässer aus Kläranlagen sind nicht frei von hygienisch bedenklichen Keimen und Umweltschadstoffen - Verschmutzungen durch industriellen Abwässern - Verunreinigungen durch nicht-abbaubare (persistente) und toxische Stoffe wie Schwermetalle, chemosynthetische Verbindungen und Agrochemikalien - Überdüngung der Gewässer mit Stickstoff und Phosphor aus intensiv betriebener Landwirtschaft, aus Siedlungsabwässern und aus Niederschlägen (Luftverschmutzung) - Verunreinigung durch Mikroverunreinigungen, die sich in der Nahrungskette anreichern oder Stoffe, die hormonaktiv wirken - Versauerung der Gewässer durch Schadstoffe aus der Luft - Aufsalzung der Gewässer durch ungeeignete Bodennutzung und Landwirtschaft - Verunreinigung der Gewässer durch Abfälle, Leckagen, Unfälle und Havarien - Erhöhung der Radioaktivität durch radioaktive Abfälle und Unfälle wie zum Beispiel durch den Atomreaktorunfall von Tschernobyl oder die Lagerung von radioaktiven Abfällen in der Nähe von Gewässern. Schadstoffe aus häuslichen, landwirtschaftlichen und 5. Europäischer, nationaler und kantonaler Schutz der Gewässer Probleme mit der Wasserqualität haben nicht nur die armen Entwicklungsländer, sondern auch die mit Süsswasser gut versorgten, reichen Länder des Nordens. Der neueste Bericht der UNO über Trinkwasserqualität und Wassermanagement von 122 Nationen stellte fest, dass Belgien am fahrlässigsten mit Wasser umgeht. Finnland – gefolgt von Kanada und Neuseeland - verfügen über eine gute Wasserbewirtschaftung. Die Schweiz liegt nur auf dem 16. Rang. Die Schweizer tragen somit nicht mehr die weisseste Weste, wie viele glauben. -4- Europa hätte genügend Wasser für die Versorgung der doppelten Anzahl von Einwohnern (etwa 600 Mio. Menschen). Jedoch sind auch in Europa die verfügbaren Wassermengen durch qualitative und quantitative Beeinträchtigungen gefährdet. Regionale und lokale Defizite zwischen Nachfrage und Wasserangebot sind in Grossstädten und dichtbesiedelten Gebieten oft vorhanden. In Europa stützt sich die Wasserversorgung der Bevölkerung zu 65 % auf Grundwasser. Dabei sind in den Küstenregionen von Spanien, Italien und Griechenland die Vorkommen an Grundwasser bereits heute massiv übernutzt. Eine haushälterische Bewirtschaftung und ein besserer Schutz des Grundwassers bleiben auch in der Schweiz eine vordringliche Aufgabe. Die Wasservorkommen für Grossstädte und Industriezentren liegen oft im ländlichen Raum, wo meist auch eine intensive Agrarwirtschaft betrieben wird. Ungefähr 70 % des in der Welt genutzten Wassers wird in der Landwirtschaft verbraucht und 30 % in Haushalten sowie Gewerbe- und Industriebetrieben. Die hohen landwirtschaftlichen Erträge werden mit viel Wasser und unter Anwendung von phosphor- und stickstoffhaltigem Kunstdünger sowie Pflanzenbehandlungsmitteln erkauft. So wird bereits im ländlichen Raum das Wasser durch Agrochemikalien stark verunreinigt. Dabei müsste eigentlich gerade bei der Nahrungsmittelproduktion dem Prinzip der nachhaltigen Nutzung des Wasserschatzes nachgelebt werden. Dies gilt auch für den Kanton Luzern, wo rund ein Viertel des Schweinefleisches der Schweiz produziert wird. Diese hohen Schweinebestände können nur durch Importe von Futtermitteln aus dem Ausland aufrecht erhalten werden. Die von den Schweinen und Kühen produzierten Jauchemengen werden im Einzugsgebiet der Seen ausgebracht, was zu einer starken Überdüngung der Böden mit Phosphor und Stickstoff führt. Die Folgen dieser Überdüngung sind Verunreinigung von Fliessgewässern, Seen und Grundwasser. Seen reagieren auf Phosphorzufuhren rasch mit einer erhöhten Algenproduktion. Der mikrobiologische Abbau dieser hohen Algenbiomasse führt in Seen zu einem Sauerstoffschwund im Tiefenwasser. Dadurch wird der Lebensraum für sauerstoffabhängige Organismen eingeengt und eine fatale Eigendüngung des Sees setzt ein. Die Versorgung mit Trinkwasser aus Seen wird erschwert. Die hohe Anreicherung mit Düngestoffen bedingte, dass der Baldeggersee, Hallwilersee und Sempachersee bis heute künstlich belüftet werden müssen. Die Anwendung von zuviel Stickstoffdünger in der Landwirtschaft und auf Ackeranbauflächen, die längere Zeit brachliegen, bewirken eine Nitrat-Anreicherung im Grundwasser. Bei höheren Nitrat-Gehalten im Trinkwasser können bei Säuglingen Gesundheitsschädigungen auftreten. 6. Vier Jahrzehnte Gewässerschutz in der Schweiz und im Kanton Luzern Gemäss der Gesetzgebung des Bundes ist in der Schweiz der Vollzug des Gewässerschutzes an die Kantone delegiert. Wir können die letzten vier Jahrzehnte bezüglich Gewässerschutz in folgende Phasen unterteilen: Phase 1960 bis 1970: Mit grossem Elan baut die öffentliche Hand in den Siedlungsgebieten Abwassersammelkanäle, die zu zentralen Abwasserreinigungsanlagen (ARA) führen. -5- Siedlungs- und Gewerbeabwässer werden in einer biologischen Stufe behandelt, um Flüsse und Seen von organischen Schmutzstoffen zu entlasten. Zum Schutz des Grundwassers werden Mineralöltankanlagen gegen Verlust und Leckagen besser abgesichert. Es wir vor allem ein technischer Gewässerschutz betrieben. In der Landwirtschaft beginnt eine Intensivierung der Produktion und eine starke Aufstockung der Nutztierbestände durch Schweinemast in den Kantonen Luzern und Thurgau. Phase 1970 bis 1980: Das Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer vor Verunreinigung tritt am 8. Oktober 1971 in Kraft, welches in erster Linie die Verbesserung der Wasserqualität in den Gewässern zum Ziele hatte. Die Siedlungsentwässerung mit zentralen Abwasserreinigungsanlagen sowie die industrielle Abwasserbehandlung werden schrittweise ausgebaut. Diese Massnahmen verbesserten die Wasserqualität vor allem in den Fliessgewässern. In den Seen des Mittellandes findet neben den Phosphoreinträgen aus Siedlungsabwässern eine zusätzliche Belastung aus den landwirtschaftlich überdüngten Böden statt. Baldeggerund Greifensee sind die am stärksten überdüngten Gewässer der Schweiz. Als Folgeerscheinungen treten massenhafte Algenentwicklungen, Sauerstoffschwund im Tiefenwasser und periodisch Fischsterben auf. Ab 1975 wird gesetzlich verlangt, dass in den Abwasserreinigungsanlagen im Einzugsgebiet von Seen zusätzlich Phosphor eliminiert werden muss, um die Überdüngung der Seen mit Phosphor zu bekämpfen. Dies hat zur Folge, dass die kommunalen Kläranlagen zusätzlich mit einer Phosphat-Fällungsstufe ausgerüstet werden. Im Einzugsgebiet des Vierwaldstättersees erfolgte dies über eine interkantonale Vereinbarung bereits ab dem Jahr 1971. Entsprechend dem Gefährdungspotential müssen die Kantone drei verschiedenen Gewässerschutzbereiche und um öffentlichen Trinkwasserfassungen Schutzzonen ausscheiden. Phase 1980 bis 1990: Im August 1984 führte die Überdüngung des Sempachersees zu einem massiven Fischsterben durch giftige Ausscheidungsprodukte von Blaualgen, die massenhaft auftraten. Die Phosphoranreicherung in Seen und die Nitratanreicherung im Grundwasser erreicht Höchstwerte und wird anschliessend gezielt bekämpft. Baldegger-, Hallwiler- und Sempachersee werden wegen der Überdüngung und Sauerstoffmangel im Tiefenwasser künstlich belüftet. Die Überwachung der Zuflüsse zeigen, dass rund 80 % der Phosphor-Belastung des Baldegger- und des Sempachersees diffus aus den landwirtschaftlich genutzten Böden stammt. Das neue Umweltschutzgesetz des Bundes tritt 1985 in Kraft. Die Anwendung von Phosphaten in Textilwaschmitteln wird in der Stoffverordnung des Bundes ab 1986 gesetzlich verboten. Die Chemisierung der Gewässer hält unvermindert an. Die Sandoz vergiftet im Jahr 1986 durch einen Chemieunfall bei Schweizerhall weite Strecken des Rheins. Im gleichen Jahr -6- erfolgt die radioaktive Verstrahlung des Luganersees durch Niederschläge, die durch den Atomreaktorunfall von Tschernobyl beeinflusst waren. Phase 1990 bis heute: Das neue Bundesgesetz zum Schutz der Gewässer (GSchG) vom 24. Januar 1991 bringt mit dem Zweckartikel neue ökologische Zielsetzungen und Anforderungen. Erstmals werden die Gewässer als Landschaftselemente und als Erholungräume geschützt. Verschiedene Gesetze im Bereich Naturschutz, Landschaftsschutz, Wasserbau, Fischerei und Umweltschutz (Stoffverordnung) werden für einen integralen Schutz der Gewässer angepasst. In der Schweiz beträgt der Anteil von Fliessgewässern, die durch Verbauungen (Hochwasserschutz) und Wasserentnahmen (Wasserkraft) nicht beeinträchtigt sind, nur noch 10%. Nach der Ableitung von Wasser für die Wasserkraftnutzung wird nach dem neuen Gesetz eine ökologische Restwassermenge in Fliessgewässern verlangt. Neben der Gewässerreinhaltung auf der Stufe Gemeinde und Kanton wird ein ganzheitlicher Schutz der Gewässer angestrebt, welcher das gesamte Einzugsgebiet eines Gewässersystems umfasst. Die Gewässer sollen ihre natürlichen Funktionen erfüllen können sowie eine naturnahe Wasserführung und einen guten ökologischen Zustand aufweisen. Die Wasserlebensräume sollen so beschaffen sein, dass eine Vielfalt von einheimischen Pflanzen und Tiere gedeihen kann. Für die Beurteilung der Fliessgewässer bezüglich Struktur und Lebensraumqualität werden vom Bund Richtlinien erlassen. In der Folge werden Fliessgewässer naturnaher verbaut. Die künstliche Belüftung des Sempacher-, Baldeggger- und Hallwilersees werden weitergeführt, weil die Düngestoffbelastung aus den landwirtschaftlich genutzten Böden immer noch zu hoch ist. Untersuchungen in Fliessgewässern unterhalb von Kläranlagen zeigten in der Wyna im Kanton Aargau und im Winkelbach (ARA Eschenbach-Inwil-Rain) im Kanton Luzern eine Verweiblichung von männlichen Bachforellen durch hormonaktive Substanzen auf. Für das Einzugsgebiet der Kleinen Emme von 480 Quadratkilometern wird erstmals ein Leitbild in Form einer Flussgebietsplanung nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie erstellt. Den ökologischen Zustand und die verschiedenen Nutzungen des Flusses entlang dem „Wasserweg Kleine Emme“ konnte ich mit Hilfe von 14 Schautafeln der lokalen Bevölkerung als nachhaltige Wissensvermittlung darstellen. 7. Fazit Das neue Schweizerische Bundesgesetz über den Schutz der Gewässer ist im internationalen Vergleich fortschrittlich. Einen noch besseren ökologischen Ansatz für die nachhaltige Nutzung der Gewässer enthält die neue Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union. Sie verpflichtet seit dem Jahr 2001 alle EU-Länder, ihre Gesetzgebung entsprechend den Zielsetzungen eines nachhaltigen Wassermanagementes anzupassen. Jedes Gesetz ist aber nur wirkungsvoll, wenn es vollzogen wird. Der Vollzug hängt vom politischen Willen, dem Durchsetzungsvermögen der Verwaltung, dem Druck und den Wertvorstellungen der Öffentlichkeit und der wirtschaftlichen Lage ab. Statt einen Vollzug -7- zum Schutz der Gewässer und zum Wohl der Allgemeinheit durchzusetzen, startete man auch in der Schweiz eine Umwelt-Werbepropaganda, um den beginnenden Vertrauensverlust wett zu machen. Mit Öffentlichkeitsarbeit und plakativen Werbespots erhoffte man sich eine Verhaltensänderung bei der Bevölkerung zu bewirken. Gegenwärtig ist aber Umweltschutz kein Karrierewort mehr. Obwohl ja Umweltschutz die Verbesserung unserer Lebensqualität bedeutet, wurde inzwischen in vielen Kantonen das Wort „Schutz“ in der Bezeichnung der Fachstellen für Gewässer- und Umweltschutz gestrichen. Während der letzten 10 Jahre erfolgte in der Schweiz eine Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung von öffentlichen Aufgaben, die auch gemeinschaftliche Umweltaufgaben wie zum Beispiel die Trinkwasserversorgung und die Entsorgung von Abwasser und Abfällen betrafen. Öffentliche Güter wie Wasser, Boden und Luft wurden vermehrt der Marktwirtschaft unterstellt. Staatlicher Vollzug wurde zunehmend als polizeiliche Massnahme verpönt. Mit Schlagwörtern wie „New Public Management“ wurden staatliche Aufgaben dem freien Unternehmertum unterworfen. Mit dem Versprechen einer besseren Effizienz zog sich der Staat aus der Verantwortung und dem Vollzug zurück. Die Überwachung und die Kontrolle von Gewässerschutzmassnahmen sind heute an Branchenvertreter (zum Beispiel Revision der Tankanlagen und Kontrolle des ökologischen Leistungsnachweises in den landwirtschaftlichen Betrieben) oder an die Industrie- und Gewerbebetriebe (Selbstkontrolle durch Umwelt-Managementsysteme) delegiert worden. Die sich anbahnende schlechtere wirtschaftliche Lage, die Marktliberalisierung und der Privatisierungstrend führten zu einem Spardruck, wobei rasch die Bereiche des Umweltschutzes und der Umweltbeobachtung geopfert wurden. Durch ständige Reorganisationen und Aufhebung von Fachstellen wurden Fachkompetenz und Grundwissen zum Schutz unseres Wasserschatzes sorglos über Bord geworfen. Obwohl in der Bevölkerung weiterhin ein hohes Bewusstsein und Verständnis für den Schutz der Gewässer vorhanden ist, wehte politisch seit den letzten 10 Jahren ein kalter Gegenwind. Ein Luzerner Landwirt und Nationalrat beantragte sogar, dass das in der Schweiz für den Gewässerschutz zuständige Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) abzuschaffen sei. Gegenwärtig wird im Parlament versucht, das Beschwerderecht von Umweltschutzorganisationen aufzuheben, währenddem weltweit die Nicht-Regierungsorgani-sationen (NGO) von den Entscheidungsträgern als Berater und Ideenlieferanten beigezogen werden. Die Aufgabe der NGO’s ist heute erst recht notwendig, weil die Behörden und die Verwaltung die gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr vollziehen wollen oder können. Leider wird nicht verstanden, dass ein komplexes demokratisches Gesellschafts- und Wirtschaftssystem auch anspruchsvolleren gesetzlichen Regelungen zum Schutz des Gemeinwohls bedarf. Das abgeänderte Raumplanungsgesetz des Bundes, das vorher eine klare Trennung zwischen Siedlungsgebiet und nicht-überbaubarem ländlichem Gebiet aufwies, wurde so verwässert, dass nun auch in der Landwirtschaftszone ortsfremde Bauten erstellt werden können. Grundprinzipien einer nachhaltigen Raumplanung werden über Bord geworfen. Die Frage sei erlaubt, ob durch diese Zersiedelung nicht auch die Mobilität zusätzlich gefördert und eine kostengünstige Abwassersammlung und -behandlung verunmöglicht wird? Die Schweizer bewegen sich meisterhaft in Zwischenräumen und Schlupflöchern, stellte kürzlich ein österreichischer Wasserfachmann fest. Im Kanton Luzern war es mit dem -8- Einverständnis der Behörden möglich, dass eine Gemeinde am Vierwaldstättersee direkt über ihrer eigenen Seewasserfassung eine Hafenanlage für Boote erstellen konnte. Hier konkurrieren kurzfristige Einzelinteressen mit dem nachhaltigen Schutz der Trinkwassernutzung. Konzessionen für die Wasserentnahme von Kraftwerken an der Kleine Emme wurden ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Auflagen betreffend Restwassermengen im Fliessgewässer an neue Eigentümer überschrieben. Das vom Bundesrat in der Stoffverordnung geforderte Verbot der Anwendung von Dünge- und Pflanzenbehandlungsmitteln im Abstand von 3 Metern von einem Gewässer, wird selten eingehalten, Verstösse werden kaum je geahndet. Der hohe Stand der Abwasserreinigung in der Schweiz führt dazu, dass die Öffentlichkeit im Glauben gelassen wurde, dass das in Kläranlagen gereinigte Abwasser Trinkwasserqualität aufweise. Durch die Einleitung von gereinigten Abwässern der 1991 erstellten Kläranlage ARA Entlebuch in die Kleinen Emme wurde eine von der Öffentlichkeit gern besuchte Badestrecke hygienisch so belastet, dass im Sommer 2002 Badende mit einer Salmonelleninfektion ins Spital eingeliefert werden mussten. In den Kantonen Luzern, Aargau, und Waadt wurde neulich festgestellt, dass die Einleitung von gereinigten Abwässern aus kommunalen Kläranlagen zur Verweiblichung von männlichen Forellen führte. Bei geringer Verdünnung von Abwässern aus Kläranlagen können die Grenzwerte und gesetzlichen Qualitätsanforderungen an Fliessgewässer kaum mehr eingehalten werden. Der Trend zum Missbrauch und zur Beeinträchtigung der aquatischen Ökosysteme und des Wassers ist ungebrochen. Das einzig „Nachhaltige“ ist die andauernde Belastung und Überlastung unserer Wasser-Ressourcen. Ursache ist nicht ein Mangel an griffigen Gesetzen, sondern ein Mangel des politischen Willens und des behördlichen Vollzuges, unseren Wasserschatz für die kommenden Generationen zu schützen. Nur mit Hilfe einer aufwendigen Abwasserbehandlungstechnik oder der künstlichen Belüftung von Seen können somit die gesetzlichen Qualitätsanforderungen für Gewässer eingehalten werden. Dies ist mit hohen Kosten verbunden, was wiederum aufzeigt, dass wir uns eben nicht nachhaltig verhalten. 8. Schlussfolgerung für den Schutz der Gewässer in der Schweiz Die Schweiz als Wasserschloss Europas trägt eine besondere Verantwortung. Der Reichtum an Wasser und an Geld sollte uns zu erhöhten Anstrengungen zum nachhaltigen Schutz der Gewässer verpflichten. Ich musste aber selber erfahren, wie in der Verwaltung im letzten Jahrzehnt kompetente und verantwortungsbewusste Personen ausgebootet, in die Frühpension geschickt oder abgesetzt wurden, als sie auf Missstände und auf krasse Vollzugsmängel beim Schutz unserer Gewässer hinwiesen. Wo finden wir noch eine Lobby für einen ganzheitlichen Schutz sowie eine zukunftsfähige Nutzung unseres Wasserschatzes in Politik, Verwaltung und Wirtschaft inklusive Tourismus? In der föderalistischen Struktur der Schweiz tun sich die kommunalen und kantonalen Behörden oft schwer, eine gemeinsame Verantwortung für die Wasserbewirtschaftung (Versorgung und Entsorgung) und für einen andauernden Schutz in einem grösseren Gewässereinzugsgebiet zu tragen. Grenzüberschreitende Planungen der Wasserbewirtschaftung sind aber in der Schweiz möglich, wie die gemeinsamen Anstrengungen der Kantone in den Einzugsgebieten der Thur (naturnaher Wasserbau), der Bünz (Regionaler Entwässerungsplan) sowie in den Einzugsgebieten des -9- Vierwaldstättersees (Aufsichtskommission Vierwaldstättersee der Kantone Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Luzern) und des Genfersees (Internationale Kommission zum Schutz des Genfersees) zeigen. Die Schweiz weist noch einen guten Wissensstand und eine langjährige Erfahrung im Schutz und bei der Nutzung von Gewässern auf. Unter anderem besitzen wir eine hohe Kompetenz für die Erfassung des Wasserhaushaltes im alpinen Raum oder die Trinkwasseraufbereitung. Wie lange bleibt noch unser Ruf als gute Gewässerschutzspezialisten ungetrübt? Der Schutz unseres Wasserschatzes bleibt somit eine andauernde Aufgabe. Neben dem qualitativen und quantitativen Gewässerschutz bräuchte es aber auch einen ästhetischen (Schutz der Gewässer als Landschaftselemente) sowie einen ethischen Gewässerschutz (nachhaltige Nutzung des Wasserschatzes). Völlig unterentwickelt ist in der Schweiz der Schutz der Gewässer als Naturdenkmäler und als Kulturerbe. Was zielstrebige und motivierte Teamarbeit auf dem Wasser ermöglichen kann, zeigte uns im Jahr 2003 die unter Schweizer Flagge segelnde Alinghi-Crew. Wir wären als heute führende Segelnation durchaus in der Lage, auch im Gewässerschutz einen besseren Rang heraus zu fahren. Während meines langjährigen Einsatzes für unsere Gewässer habe ich gelernt: „Bleibe beharrlich wie der stetige Wassertropfen. Nur wer wie die Forelle - trotz Hindernissen und Gefahren - gegen den Strom schwimmt, erreicht die Quellen.“ Dr. Pius Stadelmann IAD Landesvertreter CH, Präsident Landschaftsschutzverband Vierwaldstättersee Literaturhinweise: United Nations 2002 Comprehensive Assessment of the Freshwater Resources of the World, www.un.org/esa/sustdev/freshwat.htm Bloesch J. 2002 10 Jahre Gewässerschutz: Wie steht es mit der Schweizerischen Politik? Natur und Mensch, Rheinaubund, Schaffhausen, Nr. 3/2002:2-5 Stanners D. and Bourdeau Ph. 1995 Europe's Environment: The Dobris Assessment, European Environment Agency, Copenhagen, Danemark, 676 Seiten Stadelmann P. und Lovas R. 2000 Flussgebietsplanung für einen voralpinen Fluss in der Schweiz. Kleine Emme im Kanton Luzern, Gas-Wasser-Abwasser (Zürich), 80: 1-24 Pius Stadelmann, Hydrobiologe, Dr. sc. nat. ETH; 1971-1974 Postdoctoral Fellow National Research Council of Canada, Research Scientist at Canada Centre of Inland Water (CCIW), Burlington, Ontario, Canada. 19741985 Abteilungsleiter im kantonalen Amt für Gewässerschutz und 19862003 Hauptabteilungsleiter und später Wissenschaftliche Dienste, Amt für - 10 - Umweltschutz des Kantons Luzern. Projektleiter der künstlichen Belüftung des Sempacher- und Baldeggersees; 1998 Projektleiter des "Wasserweg Kleine Emme"; Mitglied in verschiedenen kantonalen, nationalen und internationalen Kommissionen; Vortrags- und Lehrtätigkeit an Fachschulen (ZTL, ATIS, HWV) und Hochschulen (ETH/EAWAG, Universität Zürich, Universität Konstanz). Verfasser von rund 40 Publikationen über Sanierung und künstliche Belüftung von Seen, über Fliessgewässer, Flussgebietsplanung, Grundwasser und integralen Gewässerschutz.