Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule Eine grundlegende Darstellung mit Vergleich zum staatlichen Schulwesen in der BRD Kurs: Handelsmanagement `03 Semester: 4. Fachsemester Fach: Rahmenbedingungen der Ökonomie Datum: 13. Juli 2005 Eine Ausarbeitung von Elena Bankstahl, Regina Holtz, Natalie Schaefers und Axel Gilles Inhaltsverzeichnis Seite 1. Vorwort 3 2. Biographie von Rudolf Steiner 3 3. Anthroposophie a. Was ist Anthroposophie? 4 b. Der Weg der Erkenntnis 5 c. 5 Die Vorstellung von Reinkarnation und Karma d. Das pantheistische Weltbild 6 e. Anthroposophische Grundgedanken 6 der Waldorfpädagogik 4. Die Waldorfschule a. Gründung und Hintergrund 8 b. Zielsetzung 9 5. Das Schulwesen in der BRD a. Grundprinzipien und Rechtsgrundlagen 10 b. Aufbau des Schulwesens 11 6. Vergleich der Waldorfschule mit staatlichen Schulen 11 7. Kritische Reflexion beider Systeme a. Waldorfschule 13 b. Staatliches Schulwesen 14 8. Fazit 15 9. Literaturverzeichnis 16 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 2 1. Vorwort Die folgende Hausarbeit beschäftigt sich mit Rudolf Steiner, dem Grundgedanken der Anthroposophie und deren Anwendung in Waldorfschulen. Weiterhin wird das allgemeine Schulsystem in Deutschland dargestellt, in das sich auch die Waldorfschulen eingliedern. Anschließend werden die staatlichen Schulen mit den Waldorfschulen, die sich in privater Trägerschaft befinden, verglichen. Letztendlich wird dieser objektive Vergleich kritisch reflektiert und ein kurzes Fazit erstellt. 2. Biographie von Rudolf Steiner Rudolf Steiner wurde am 27. Februar 1861 in Kraljevec an der Mur, an der österreichisch-ungarischen Grenze (heute Kroatien) geboren. Sein Vater, ein Bahntelegrafist, wurde mehrfach beruflich versetzt, sodass Rudolf Steiner an verschiedenen Orten Österreichs als ältestes von drei Kindern aufwuchs. 1879 bestand Steiner die Maturaprüfung mit Auszeichnung, was ihn zum Erhalt eines Studienstipendiums berechtigte. Im selben Jahr fing er an, an der Technischen Hochschule in Wien Naturwissenschaften sowie Philosophie, Literatur und Geschichte zu studieren. Von 1884 bis 1890 arbeitete Rudolf Steiner als Hauslehrer in der jüdischen Familie Specht und wirkte stark bei der Erziehung und Bildung ihres kranken jüngsten Sohnes mit, der von mehreren Ärzten als „nicht bildungsfähig“ eingestuft wurde. Nach zwei Jahren Privatunterricht war es dem Jungen möglich, in eine Regelschule aufgenommen zu werden. Viele Anthroposophen entdecken hier schon viel von dem, was in der späteren Waldorfpädagogik eine Rolle spielen sollte. 1890 zog Rudolf Steiner nach Weimar, wo er bis zum Jahre 1897 Mitarbeiter des Goethe-Archivs in Weimar war. 1891 promoviert er zum Doktor der Philosophie mit seiner Arbeit „Die Grundlage der Erkenntnistheorie mit besonderer Rücksicht auf Fichtes Wissenschaftslehre. Prolegomena zur Verständigung des philosophischen Bewusstseins mit sich selbst“. Diese Arbeit wurde später unter dem Titel „“Wahrheit und Wissenschaft“ veröffentlicht. Während der Zeit in Weimar erschien ebenso die „Philosophie der Freiheit“, die als sein wichtigster Beitrag zur Philosophie gilt. 1897 verlegte Steiner den Schwerpunkt seiner Arbeit nach Berlin. Dort war er Herausgeber verschiedener Literaturzeitschriften. Von 1895 bis 1905 lehrte er Geschichte und Rhetorik an der von Wilhelm Liebknecht gegründeten Arbeiterbildungsschule. 1899 heiratete Steiner die Witwe Anna Eunike. Als einschneidendes Erlebnis wird jedoch die Begegnung mit Marie von Sivers 1890 beschrieben, die 1914 seine zweite Frau wurde und ihn in die Theosophische Gesellschaft einführte. Als Mitglied dieser Gesellschaft begann er 1901 eine regelmäßige Vortragstätigkeit. 1902 übernahm Steiner als Generalssekretär die Leitung der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. 1913 kam es aufgrund von Spannungen und 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 3 unterschiedlicher Religionsvorstellungen zum Ausschluss der „Deutschen Sektion“. Noch im selben Jahr wurde offiziell die Anthroposophische Gesellschaft von Steiner gegründet, die ein absolutes Gegenbild zur Theosophischen Gesellschaft darstellte. Daraufhin erbaute er in Dornach das Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft, das er selbst entworfen hatte. Das so genannte Goetheanum war ein riesiger, tempelähnlicher Kuppelbau und wurde 1920 feierlich eröffnet, fiel jedoch 1922 einem Brand zum Opfer. Danach entwarf er ein zweites, größeres Goetheanum, das 1928 fertig gestellt wurde. Mit Beginn des ersten Weltkrieges setzte sich Steiner immer mehr mit politischen und sozialkritischen Fragen auseinander. 1919 gründete er den „Bund für die Dreigliederung des sozialen Organismus“, dessen zentrales Ziel die Entflechtung von Staat, Wirtschaft und Kultur war. Im September desselben Jahres begründete er mit dem Anthroposophen Emil Molt, Besitzer der „Waldorf-AstoriaZigarettenfabrik“, die erste Waldorfschule in Stuttgart. In den darauf folgenden Jahren war Steiner, bereits schwer erkrankt, als Schulleiter der ersten Waldorfschule tätig. Am 24. Dezember wurde aufgrund von interner Spannung eine neue Gesellschaft, die „Allgemeine anthroposophische Gesellschaft gegründet, dessen Vorsitz Rudolf Steiner selbst übernahm. Am 30. März 1925 starb Rudolf Steiner in seinem Atelier in Dornach. 3. Anthroposophie a) Was ist Anthroposophie? Die Anthroposophie versteht sich als eine humanistische Methode der Bewusstseinsentwicklung, die unter anderem Elemente des Gnostizismus und des Rosenkreuzertums umfasst. Der Begriff „Anthroposophie ist griechischen Ursprungs und bedeutet: „Das Wissen vom Menschen“. Die Anthroposophie stellt einen Erkenntnisweg dar und nicht nur eine in sich geschlossene Weltanschauungslehre. Sie versteht sich als „Wissen vom Menschen“ für Menschen und geht dabei in Anlehnung an Goethe vom Menschen selbst aus. Schwerpunktmäßig befasst sie sich damit, was der Mensch ist und werden kann, also mit seiner Stellung im Weltenganzen. Dabei ist entscheidend, dass der Mensch seine Existenz nicht durch Weltbilder oder Religionen zu begreifen versucht, sondern einzig durch Wissen. Und zu dieser Erkenntnis kann der Mensch letztendlich nur durch die Anthroposophie selbst gelangen. Für Steiner ist die Anthroposophie „ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte“ (Steiner zitiert nach Baumann 1991,9) in dem der einzelne Mensch mit dem „Großen Ganzen“, also dem Weltall, verschmilzt. 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 4 Wissen versteht Rudolf Steiner als „Totalwissen“. Dabei erklärt die Anthroposophie den Vorgang des Wahrnehmens als real. Von der Wirklichkeit des Vorstellens schließt Steiner auf die Wirklichkeit des Vorgestellten. Wie jede andere Wissenschaft hat auch die Anthroposophie ihre Quelle: die Akasha-Chronik. Sie ist jedoch nie geschrieben, nie gedruckt worden, sondern vielmehr ist sie eine Art „Weltengedächtnis“. Nur eingeweihte mit einem höheren Bewusstsein sind nach Steiner in der Lage, in dieser Chronik zu „lesen“. b) Der Weg der Erkenntnis Anthroposophen sind der Meinung, dass die Sinne des Menschen nur unzureichend ausgebildet sind und dass man diese trainieren muss, um auch in der übersinnlichen Welt Wahrnehmungen und Erfahrungen haben zu können. Hierfür ist es nach Steiner nötig, jegliche äußeren Wahrnehmungen der materiellen Welt auszuschalten. Der Mensch kann zur „Lösung des Welträtsels“ beitragen, indem er den von Steiner beschriebenen mehrstufigen Schulungsweg beschreitet. In diesem Sinne erhebt die Anthroposophie den Anspruch eine konkrete Wissenschaft und darüber hinaus nicht hypothetischer als andere Wissenschaften zu sein. c) Die Vorstellung von Reinkarnation und Karma Am Anfang stand für Anthroposophen das Rein-Geistige, aus dem sich der Mensch entwickelt hat und in das er in Zukunft auch wieder zurückkehren wird. Laut Steiner existiert der Mensch in vier ineinander greifenden Ebenen. Zum einen der physische Leib: mit diesem Begriff bezeichnet Rudolf Steiner den sichtbaren Körper von Mensch, Tier, Pflanze und Stein. Als Teil des physischen Leibs versteht Steiner den Ätherleib. Dieser soll belebender Teil des Körpers sein und er gestaltet aus dem Inneren des Menschen heraus den physischen Leib ständig neu. Mit dem Astralleib reagiert der Mensch auf die Außenwelt. Er ist Teil der Seele des Menschen, in dem dieser Leidenschaft und Begierde erlebt. Zuletzt versteht Steiner das Ich als Teil des Menschen, das den eigentlichen Wesenskern eines jeden ausmacht und als ewig, zeitlos angesehen wird, während der physische Leib vergänglich ist. Dieses Ich stellt die menschliche Individualität und Einzigartigkeit dar. Der Mensch steht in einem ständigen Wechsel zwischen Verkörperung und geistigem Dasein. „Der Mensch ist also auf einer Dauerreise von Inkarnation zu Inkarnation“ (Prange 1986b, zitiert nach Rudolph 1988, 72). So wie sich der Mensch stets reinkarniert, genauso verhält es sich auch mit dem 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 5 Kosmos. Die Erde, wie wir sie heute kennen, verweilt nur in physischer Verkörperung bis sie wieder in eine rein geistige Phase wechselt. Laut Steiner gibt es weder Anfang noch Ende der Welt und somit auch keine wirkliche Schöpfung. Verbunden mit der Vorstellung von Reinkarnation ist die Vorstellung, dass der Mensch durch sein Handeln sein nächstes Leben selbst bestimmen kann. Das Ich, der Geist des Menschen, kehrt immer wieder zurück auf die Erde, um sich weiter zu vervollkommnen und um sein Karma abzutragen. Der Mensch hat demnach persönlichen Einfluss auf sein Schicksal. Allein dieses Ich eines jeden Menschen spielt bei der Vorstellung von Reinkarnation und Karma eine Rolle. Der physische Leib ist nur die Hülle des Menschen. d) Das pantheistische Weltbild Die Anthroposophie vertritt ein rein pantheistisches Weltbild. Sie legt allen Nachdruck auf die Göttlichkeit aller irdischen und überirdischen Erscheinungen. Anders als die Christen zum Beispiel, die nur einen einzigen Gott kennen, sehen Anthroposophen in allem Sein eine große göttliche Einheit. Nach Steiners Weltbild wird alles von einem höheren Sinn zusammengehalten. Das Leben des Menschen wird in einen größeren Sinnzusammenhang gestellt. e) Anthroposophische Grundgedanken der Waldorfpädagogik Rudolf Steiner geht wie die meisten anderen Menschen davon aus, dass Erziehung umfassender Erforschung und Kenntnis des Menschen bedarf. Nach seiner Ansicht reichen jedoch herkömmliche Wissenschaften nicht aus, das Wesen des Menschen ganzheitlich zu erfassen. Um dieses Wesen zu erkennen, muss man von einer „verborgenen Natur des Menschen“ ausgehen. Da dies, nach Steiners Meinung, den gängigen Wissenschaften nicht möglich ist, muss die Erforschung des Menschen und die darauf begründete Pädagogik um die Methoden ergänzt werden, die es ermöglichen, den ganzen Menschen zu betrachten. Und diese Fähigkeiten sind allein den Anthroposophen vorbehalten. Nach anthroposophischer Meinung ist jeder Mensch von Natur aus mit den vier oben schon erwähnten Wesensgliedern ausgestattet (Physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich), wobei diese Glieder entwicklungsfähig sind. Zunächst sind die Glieder des Menschen jedoch von einer äußeren Hülle geschützt. Erst wenn diese Hülle abgestreift wird, erfolgt die eigentliche „Geburt“. Diese Hüllen sind für die anthroposophische Entwicklung von immenser Bedeutung. Sind alle Wesensglieder bei der Geburt des Kindes vorhanden, so muss doch auf jedes einzelne Glied erzieherisch und zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingewirkt werden. Nach Steiner darf aber erst nach der „Geburt“ eines jeden Wesensgliedes auf dieses eingewirkt werden. Die Entwicklung der Wesensglieder vollzieht sich laut anthroposophischer Auffassung in einem Siebenjahresrhythmus: Bei der Geburt streift der Mensch seine erste Hülle, die physische Mutterhülle, ab. Von diesem Moment an kann die Umgebung auf das Kind einwirken. Die Aufgabe des Kindes besteht in den 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 6 ersten sieben Jahren darin, seine Organe und Sinne gesund und natürlich zu entwickeln. Da alles, was im sozialen Umfeld des jungen Kindes vorgeht, von diesem nachgeahmt wird, muss der Erzieher in dieser Zeit Vorbild sein, insbesondere was die Moral angeht. Schlechte Vorbilder führen nach anthroposophischer Auffassung zu Krankheit. Kinder sind aus Steiners Sicht noch ganz göttliches Wesen, die seiner Natur entsprechen, die Umwelt nachzuahmen. Das Kind sieht die Welt als „moralisch“ und „gut“ an, und genau darauf muss der Erzieher einwirken. In den ersten sieben Jahren wirkt der Erzieher insbesondere auf den physischen Leib des Kindes ein. Aus diesem Grund hat der Pädagoge die Aufgabe, das Umfeld des Kindes passend zu gestalten. Dazu gehören weiche, natürliche Formen in hellen und warmen Farben sowie weiche rhythmische Bewegungen. Ebenfalls steht in diesen Jahren das Kind nach anthroposophischer Auffassung vor allem unter dem Einfluss seines eigenen Willens, der im physischen Leib verankert ist. Aktivitäten wie Singen, Malen und Basteln dienen somit nicht nur der Entfaltung und Entwicklung der Organe des Kindes, sondern ebenso der Erziehung des kindlichen Willens. Belehrungen und Ermahnungen nützen hingegen wenig, da diese auf den Ätherleib wirken, der sich erst ab dem 7. Lebensjahr entwickelt. In der zweiten Phase, also mit Beginn des 7. Lebensjahres, streift das Kind nach anthroposophischer Auffassung nun seine Ätherhülle ab, was bedeutet, dass der Pädagoge von diesem Zeitpunkt an erzieherisch auf den Ätherleib einwirken muss. Äußerlich zeigt sich diese neue Phase mit dem Beginn des Zahnwechsels. Erst jetzt beginnt die Phase, in der bewusst Einfluss auf den Charakter, das Temperament, Gewissen und Gewohnheiten des Kindes eingewirkt werden kann. In dieser Zeit benötigt das Kind nach Steiners Auffassung kein Vorbild mehr, sondern vielmehr eine Autorität, die es verehren und achten kann. Da das schulreife Kind nicht mehr vorwiegend unter göttlicher Obhut lebt und den Anschluss an die übersinnliche Welt verloren hat, sucht es nun nach einem Vermittler zwischen der realen und der nicht wahrnehmbaren Welt. Dieser Vermittler soll im Idealfall durch den Erzieher repräsentiert werden. Durch ihn lernt das Kind die Welt und den Kosmos kennen. Der Erzieher soll eine absolute Autorität darstellen, die dem Kind Ehrfurcht einflösst und die es niemals in Frage stellt. Da das Kind bis zum 14. Lebensjahr zum begrifflichen Denken noch nicht fähig ist, muss in dieser Zeit insbesondere mit sprachlichen Bildern und Beispielen auf das Kind eingewirkt werden. Darüber hinaus ist die Schulung des Gedächtnisses in dieser Phase enorm wichtig. Dabei ist es jedoch nicht von Bedeutung, ob das Kind die Dinge, die es sich aneignet, auch versteht. In der dritten Phase, äußerlich erkennbar durch die Geschlechtsreife des Kindes, entwickelt sich der Astralleib. Von diesem Moment an ist es wichtig, den Verstand und die Urteilskraft des Heranwachsenden zu schulen. Mit Beginn des 14. Lebensjahres ist das Kind fast vollkommen der übersinnlichen Welt entwachsen, lebt nun in der Gegenwart und will sich zur Zukunft hin orientieren. Sein Bestreben ist es, Sinn und Zweck der Dinge in seiner Umwelt zu erforschen. Anstelle von Vorbild und Autorität muss der Erzieher nun sachlich auf das Kind einwirken und beginnen, wissenschaftlich 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 7 mit ihm zu arbeiten. Es ist jedoch von immenser Bedeutung, wer in dieser Phase dem Kind als Lehrer entgegentritt. Was die Sexualität angeht, die sich in diesen Jahren entwickelt, fordert Steiner, bis zum 21. Lebensjahr nicht mit dem Kind hierüber zu sprechen. Nach Steiners Auffassung hat Sexualität und Erotik etwas Verwerfliches. Seiner Meinung nach sollte Geschlechtsverkehr allein zur Fortpflanzung dienen. Aus diesem Grund wird man wohl auch an keiner Waldorfschule Sexualkundeunterricht finden. Erst in der vierten Phase entwächst der Mensch vollkommen der übersinnlichen Welt und besitzt nun keine Anteile am Göttlichen mehr. Diese Zeit zeichnet sich durch die Mündigkeit und Persönlichkeitsreife aus. Da der Körper des Menschen jetzt vollständig entwickelt ist und die Kräfte des Ich frei werden, ist er nun auch bereit, selbstständig am sozialen Leben teilzunehmen, einen Beruf auszuüben und eine Familie zu gründen. In diesem Abschnitt findet keine Erziehung mehr statt, der Mensch ist nun zur Selbsterziehung fähig. Rudolf Steiner hat darüber hinaus noch weitere Entwicklungsphasen beschrieben, jedoch sind die ersten vier Phasen nach anthroposophischer Sicht entscheidend, da in dieser Zeit erzieherisch auf das Kind eingewirkt wird. Allein diese Phasen sind auch Grundlage der Waldorfpädagogik. 4. Die Waldorfschule a) Gründung und Hintergrund Die erste Waldorfschule wurde am 7. September 1919, kaum ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, in Stuttgart errichtet. Diese wurde durch den Industriellen Emil Molt (1876-1936), Direktor der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik, gegründet, um den Kindern seiner Arbeiter eine bessere Lebenschance zu bieten. Rudolf Steiner wurde von Emil Molt beauftragt, die neu errichtete Waldorfschule zu leiten und im Hinblick darauf eine neue pädagogische Grundlage zu schaffen, die heute unter dem Namen der Waldorfpädagogik bekannt ist. Der Lehrplan und der Unterricht basieren auf den pädagogischen Grundsätzen der Anthroposophie. Mit Waldorfpädagogik wurde zum ersten Mal das Prinzip sozialer Gerechtigkeit im Bildungswesen verwirklicht. Junge Menschen erhalten eine gemeinsame Bildung unabhängig von sozialer Herkunft, Rasse, Begabung und späterem Beruf. Waldorfschulen sind Gesamtschulen von Klasse 1 bis 12, wo ab der ersten Klasse ein gemeinsamer Unterricht für Jungen und Mädchen herrscht, der auf das Ziel innerer menschlicher Freiheit basiert. 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 8 Es wird in 3- bis 4-wöchigen Epochen fächerübergreifend unterrichtet, damit ein stündlicher Wechsel zwischen einzelnen Gegenständen vermieden wird und sich die Schüler über längere Zeit gemeinsam mit dem Lehrer in ein Thema vertiefen können. Eurythmie als "waldorfspezifisches" Unterrichtsfach wird von der ersten bis zur zwölften Schulstufe unterrichtet und dient der umfassenden Persönlichkeitsentfaltung, denn besonderes Augenmerk der Lehrer liegt auf einer vernünftigen und gesunden Entwicklung der Persönlichkeit und den Fähigkeiten des einzelnen Schülers. Das Wissen wird den Schülern aus diesem Grund nicht gelehrt, sondern gemeinsam mit Ihnen entwickelt und erarbeitet. Durch zwei lebende Fremdsprachen ab der ersten Klasse fühlen sich die Kinder frühzeitig in Sprachmelodie und -rhythmus ein und entwickeln Interesse für unterschiedliche Kulturen und Völker. Im Vordergrund der Unterrichtsinhalte und Unterrichtsformen stehen die Prozesse kindlichen Lernens und die Stufen menschlicher Entfaltung in Kindheit und Jugend. Der Lehrplan der Waldorfschulen ist auf die Weite der in den Kindern liegenden seelischen und geistigen Veranlagungen und Begabungen ausgerichtet. Anstatt vorwiegend mit vorgegebenen Formen und Angaben zu arbeiten werden Schüler an Waldorfschulen motiviert die eigenen kreativen Kräfte von Grund auf zu entfalten und zu realisieren. Von Beginn der Einschulung wird ein vielseitiger künstlerischer Unterricht angeboten, durch den die für den einzelnen Menschen wie für die Gesellschaft wichtigen schöpferischen Fähigkeiten und Erlebniskräfte gefördert werden sollen. Auch die gesunde Entwicklung emotionaler Intelligenz soll an der Waldorfschule gefördert werden. Für die verschiedenen seelischen Konstitutionen der Kinder sollte der Lehrer Sensibilität entwickeln und sie in den Unterricht mit einbeziehen. Auf diese Weise wird auch Rücksicht auf die vier klassischen Temperamente - Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker - der Kinder genommen. Die Motivation des Schülers soll nicht durch eine starre Ideologie oder Lehrmeinung gefährdet werden. b) Zielsetzung der Waldorfpädagogik Die Werte jeder Waldorfschule sind es, die individuelle Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Menschen in den Vordergrund zu stellen und eine breit angelegte Begabtenförderung zu erreichen, besonders durch die vielen künstlerischen und handwerklichen Fächer. Ebenso soll ohne Druck und Notenzwang eine besondere Selbstständigkeit erreicht werden, mit der der Mensch in seinem späteren Leben jedem Problem gegenüberstehen und es selbstständig auf eigenem Wege lösen sollte. Fähigkeiten des Schülers werden aufgebaut und unterstützt. Waldorfschulen bauen auf das Lernen im gegenseitigen Miteinander und auf das gegenseitige Helfen bei Problemen. 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 9 Grundsatz der Waldorfpädagogik ist, dass schneller begreifende Schüler am meisten lernen, wenn sie die Gelegenheit bekommen, langsamer begreifenden Schülern Lerninhalte zu erklären. Gruppen mit unterschiedlichen Begabungen ist eine Herausforderung für Schüler und besonders für das spätere Berufsleben. Durch eine weit gefächerte Begabungsbandbreite in den Klassen der Waldorfschulen sollen die Schüler schon früh soziale Kompetenzen erlangen und gemeinsam Lösungsansätze für komplexe Aufgaben erarbeiten und diskutieren. Zusätzlich sollte der junge Mensch mit Verlassen der Schule auch die Bereitschaft erworben haben, sein Leben lang zu lernen. Der Schüler muss erkennen, dass er aufgrund seines Tuns die Welt bereichern und mitgestalten kann. Ein weiteres Ziel der Waldorfpädagogik ist die Entwicklung der Persönlichkeit des Individuums Kind. Um diese Entwicklung fördern zu können, wird die Erziehung in die oben schon erwähnten 3 Phasen aufgeteilt: Hauptziel ist es, den Schülern bei der Seelenfindung und bei den Lebensfragen zu helfen. Wichtig ist hierbei besonders auch die Entfaltung der Persönlichkeit. Die Waldorfpädagogik will in alle Lebensbereiche weltanschaulich durchdringen. Das Kind wird als Individuum gefördert und nicht klassifiziert. 5. Schulwesen in der BRD a) Grundprinzipien und Rechtsgrundlagen Die Gesetzgebung und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben bezüglich des Schulwesens ist in Deutschland Sache der einzelnen Länder, soweit keine anderen Bestimmungen des Grundgesetzes gelten. Dieses garantiert beispielsweise die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre, die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, die Freiheit der Berufswahl und der Ausbildungsstätte sowie die Gleichheit vor dem Gesetz. Aufgaben des Bundes sind vor allem die außerschulische Aus- Ausbildungsförderung, die Förderung der wissenschaftlichen Forschung und und Weiterbildung, der technologischen Entwicklung, Jugendhilfe, Maßnahmen zur Arbeitsförderung sowie Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Außerdem bestimmt der Bund Besoldung und Versorgung von Beamten, wie beispielsweise Lehrkräften. Als Organ des Zusammenspiels von Bund und Ländern dient die Bundes-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. In ihr sind Bundesregierung und alle Regierungen der einzelnen Länder mit gleichen Stimmanteilen vertreten. 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 10 b) Aufbau des Schulwesens Zunächst gliedert sich das deutsche Schulsystem in einen Elementarbereich, einen Primarbereich, einen Sekundarbereich und einen tertiären Bereich, der hier allerdings nicht weiter erläutert wird. Der Elementarbereich umfasst Einrichtungen, die Kinder nach Vollendung des 3. Lebensjahres bis zum Schuleintritt mit in der Regel sechs Jahren aufnehmen. Dies sind meist Kindergärten. Für schulpflichtige aber noch nicht schulreife Kinder gibt es Schulkindergärten oder Vorklassen. Nach Vollendung des 6. Lebensjahres sind die Kinder schulpflichtig. Im Primarbereich umfasst die Grundschule als erste gemeinsame Pflichtschule für alle Kinder die Jahrgangsstufen 1 bis 4, in Berlin und Brandenburg die Jahrgangsstufen 1 bis 6. Der Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. In der Regel geben die Lehrer eine Schullaufbahnempfehlung, jedoch treffen die endgültige Entscheidung die Eltern. Die Organisation des Schulwesens im Sekundarbereich ist dadurch gekennzeichnet, dass die weiteren Bildungsgänge mit ihren Abschlüssen und Berechtigungen bestimmten Schularten zugeordnet sind. In der Mehrzahl der Länder sind dies die Hauptschule, die Realschule, das Gymnasium und die Gesamtschule. Der Sekundarbereich I umfasst die schulischen Bildungsgänge von der 5. bis 10. Jahrgangsstufe, in Berlin und Brandenburg von der 7. bis 10. Jahrgangsstufe. Zum Sekundarbereich II gehören die allgemein bildende gymnasiale Oberstufe und die beruflichen Schulen in Teilzeit- und Vollzeitform. Jugendliche, die nach Erfüllung der neun- bis zehnjährigen Vollzeitschulpflicht keine allgemein bildende oder berufliche Schule in Vollzeitform besuchen, unterliegen der Teilzeitschulpflicht (Berufsschulpflicht), die in der Regel drei Teilzeitschuljahre dauert. Die gymnasiale Oberstufe mit den Jahrgangsstufen 11 bis 13 (in vier neuen Ländern 10 bis 12 bzw. 11 bis 12) führt zum Abitur und zur allgemeinen Hochschulreife. Etwa zwei Drittel der Jugendlichen absolvieren je nach Ausbildungsberuf eine zwei- bis dreieinhalbjährige Berufsausbildung im dualen System (Betrieb und Berufsschule). Zu den beruflichen Vollzeitschulen gehören in der Mehrzahl der Länder die Berufsfachschule, die Fachoberschule sowie die Fachschule. In nahezu allen Bereichen des Bildungssystems gibt es neben den öffentlichen Schulen Privatschulen in freier Trägerschaft. Das Recht zur Errichtung und zum Betrieb einer privaten Schule ist durch entsprechende verfassungsrechtliche und schulgesetzliche Regelungen der Länder garantiert, wie sie auch für Waldorfschulen gelten. 6. Vergleich der Waldorfschule mit staatlichen Schulen Das Ziel der Waldorfschule ist es, den Kindern bei der Seelenfindung und bei generellen Lebensfragen zu helfen. Des Weiteren spielen eine breit angelegte Begabtenförderung und die 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 11 Entfaltung der Persönlichkeit eine wichtige Rolle. So werden beispielsweise die verschieden Temperamente und seelischen Konstitutionen beim Umgang mit den Kindern berücksichtigt. Das Hauptziel im allgemeinen Schulwesen der BRD ist es dagegen, den Schülern das Wissen entsprechend den jeweiligen Lehrplänen zu vermitteln und des Weiteren die Schüler auf die bevorstehende Berufswelt vorzubereiten. Generell sind auch die staatlichen Schulen darauf bedacht, dass die Schüler frühzeitig soziale Kompetenzen erlangen – ein Beispiel sind regelmäßige Gruppenarbeiten zur Förderung der Teamfähigkeit – aber eine individuelle Förderung ist hier nicht vorgesehen. Letztendlich wird jedes Kind innerhalb einer Klasse weitestgehend gleich behandelt. Ein weiterer grundlegender Unterschied ist der Hintergrund der verschieden Schulen. Bei der Waldorfschule stehen Rudolf Steiner sowie das von ihm entwickelte Weltanschauungsbild der Anthroposophen hinter dem Prinzip dieser Schulform. Diese Philosophie und Weltauffassung werden direkt in den Waldorfschulen umgesetzt und gelebt. Bei allgemeinen Schulen in der BRD dienen als elementare Basis die jeweiligen Verordnungen der Länderregierungen und als Rahmen das Grundgesetz. Die Waldorfschule kann als eine Art Gesamtschule bezeichnet werden, da sie Kinder jeglichen Bildungsstands und Leistungsfähigkeit zusammenfasst. Es wird davon ausgegangen, dass leistungsstärkere Schüler den schwächeren Schülern helfen und somit ein Mehrwert für beide Seiten entsteht. Geistig behinderte Kinder werden in eigenen Klassen auch in den Schulbetrieb integriert. Das Schulsystem der BRD bietet im Sekundarbereich verschiedene Schultypen an. Diese staffeln sich in Hauptschule, Realschule, Gymnasium und Sonderschule, die meist komplett von den anderen Schulen separiert ist. Es gibt auch Gesamtschulen, die die verschiedenen Schultypen beinhalten und einen schnellen Wechsel innerhalb dieser gewährleisten. Je nach Verfassung und Leistung des Kindes ist die Einschätzung von Lehrern und Eltern bei der Wahl des Schultyps maßgebend. Wesentliche Unterschiede von Waldorfschulen und staatlichen Schulen in der BRD sind auch beim Unterricht zu erkennen. So werden bei der Waldorfschule ab der ersten Klasse zwei lebende Fremdsprachen unterrichtet. In allgemeinen Schulen findet Fremdsprachenunterricht ab der 5. Klasse statt, der mittlerweile auch schon in der 3. oder 4. Klasse der Grundschule und teilweise auch früher erfolgt. In Waldorfschulen findet der Unterricht in Epochen von 3-4 Wochen statt, die fächerübergreifend sind. In staatlichen Schulen wechseln die Fächer meist nach spätestens 2 Unterrichtseinheiten, dann erfolgt ein Wechsel des Faches. Die Stundenpläne bleiben in der Regel für ein Halbjahr konstant. In der Waldorfschule gibt es neben den von den jeweiligen Landesregierungen vorgegebenen Pflichtfächern das waldorfspezifische Fach „Eurythmie“, das an staatlichen Schulen nicht bekannt ist. Weiterhin wird in Waldorfschulen ein Schwerpunkt auf den Kunstunterricht gelegt, der in staatlichen Schulen nur eines von vielen Fächern ist und eine eher untergeordnete Bedeutung hat. Dagegen wird 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 12 an der Waldorfschule keine Sexualkunde unterrichtet. Dies ist allerdings bei staatlichen Schulen fester Bestandteil des Lehrplans. In Waldorfschulen wird bewusst darauf verzichtet, die Leistung der Schüler mit Noten zu messen. Stattdessen erfolgt eine Beschreibung und Begutachtung ohne Noten. Dadurch sollen ein von außen ausgeübter Druck und Notenzwang vermieden werden. Dementsprechend muss kein bestimmtes, mit Noten messbares Leistungsniveau erreicht werden, um in die nächste Klasse zu kommen. Im Schulsystem der BRD sind Noten eine grundlegende Notwendigkeit zur Einstufung von Schülern und auch späteren Einordnung in die verschieden Schultypen. So wird bereits ab der 3. Klasse eine Beurteilung mittels Noten vorgenommen, die zweimal im Jahr in einem Zeugnis dokumentiert wird. Für die Versetzung in die nächst höhere Jahrgangsstufe am Ende eines Schuljahres ist der erreichte Leistungsstand maßgebend. Von den Eltern der Waldorfschüler wird erwartet, dass sie sich bewusst engagieren und Ihre Kinder auch im Elternhaus fördern. So sollen die anthroposophischen Auffassungen nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause vermittelt bzw. gelebt werden. Da die Eltern die Waldorfschulen auch teilweise privat finanzieren, haben sie hier ein gewisses Mitspracherecht. Bei staatlichen Schulen in der BRD wird von den Eltern auch ein gewisses Engagement erwartet. Da diese jedoch nur im Rahmen von Elternpflegschaft und Elternsprechtag eine Mitsprache haben, können sie hier nur geringe Einflussnahme ausüben. Auch die Waldorfschüler an sich haben mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung des Unterrichts. So werden Ihre Meinungen und Wünsche miteinbezogen. Zudem bekommen sie nichts aufgezwungen. Bestrafungen gibt es demzufolge auch nicht in dem Maße, wie man es von staatlichen Schulen in Form von Nachsitzen oder Rügen und Tadeln kennt. Während die Lehrer an allgemeinen staatlichen Schulen ein Studium der entsprechenden Fächer und Pädagogik absolviert haben müssen, gilt es für die Lehrer an Waldorfschulen sich noch zusätzlich auf dem Feld der Anthroposophie zu bilden und diese Weltanschauung zu teilen. 7. Kritische Reflexion a.) Waldorfschule Wie andere Schulsysteme hat die Waldorfschule Stärken und Schwächen, von denen im Folgenden einige aufgezeigt werden sollen. Positiv anzumerken ist, dass Lehrer der Waldorfschule insgesamt engagierter erscheinen, da sie neben der reinen Wissensvermittlung bewusst an der individuellen Erziehung der Kinder beteiligt sind. Auch an die Eltern sind höhere Ansprüche gestellt. Sie sind dazu aufgefordert in Absprache mit den 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 13 Lehrern aktiv an der schulischen Entwicklung des Kindes mitzuwirken. Dies ist insofern als positiv zu werten, als dass Eltern generell zu wenig in das staatliche Schulwesen integriert werden. Der Verzicht auf Noten und Zeugnisse in den unteren Klassenstufen ist als ambivalent einzustufen. Zum einen hat es den Vorteil, dass Leistungsdruck und Konkurrenzkampf vermieden werden und die Kinder sich so auf ihre Interessensschwerpunkte konzentrieren können. Ein negativer Aspekt der nicht vorhandenen Notenvergabe ist, dass die Kinder unzureichend auf ein Leben in einer Leistungsgesellschaft vorbereitet werden. Sie bekommen erst spät ein Gefühl dafür, an erbrachten Leistungen gemessen zu werden. Auch der Einstieg in die Berufswelt könnte sich in der Hinsicht problematisch gestalten, dass die ehemaligen Waldorfschüler es nicht gewohnt sind, dass ihrer Meinung eventuell nicht soviel Wichtigkeit und Akzeptanz beigemessen wird wie in der Schulzeit. Sie müssen weiterhin akzeptieren, dass sie nicht als Individuum, das sich frei entfalten kann, behandelt werden sondern sich auch in bestehende Strukturen – wie dies in Teams der Fall ist – einordnen müssen. Die Tatsache, dass Sexualkunde bewusst nicht unterrichtet wird, kann als realitätsfern bezeichnet werden. b.) Staatliches Schulwesen In staatlichen Schulen bleibt meist keine Zeit innerhalb von 45 bis 90 Minuten Sachverhalte auszuweiten. Somit werden zwar die Richtlinien der Lehrpläne erfüllt, aber nicht die Interessen und Neigungen der Kinder fokussiert. Außerdem kommt es verhäuft vor, dass einzelne Lehrer zunehmend frustriert und leidenschaftslos ihrem Beruf nachgehen, da sie nicht dazu aufgefordert sind an der Erziehung der Kinder mitzuwirken. Gerade beim Erziehungsaspekt sind auch die Eltern zu nennen, die vom staatlichen Schulwesen zu wenig in die Verantwortung gezogen werden. Beispielsweise findet Kommunikation zwischen Lehrkräften und Eltern nur im Rahmen von Elternsprechtagen oder bei Problemfällen statt. Eine kontinuierliche Zusammenarbeit gibt es meistens nicht. Zu bemängeln ist weiterhin, dass behinderte Kinder mangelhaft in die Regelschulen integriert sind. Zwar werden sie in Sonderschulen gefördert, aber geraten somit aus dem Blickfeld der Gesellschaft. Nebenfächer wie Kunst, Musik und Sport, die die Entwicklung des Kindes mit beeinflussen, werden als unwichtiger erachtet und fallen leider oft aus. Ein Vorteil von staatlichen Schulen ist natürlich, dass keine finanzielle Belastung entsteht. So ist Bildung für jeden möglich. 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 14 Die länderspezifischen Lehrpläne gewährleisten, dass ein bestimmter Wissensstand nach Abschluss der Schule erreicht wird, der auch eine Vergleichbarkeit mit sich bringt. Außerdem gibt eine staatliche Schule eine realitätsnahe Abbildung dessen, was die Kinder in der späteren Berufswelt erwartet. So lernen sie schon früh, sich zu behaupten und die Wichtigkeit von Leistungserbringung zu erkennen. 8. Fazit Es lassen sich viele gute Ansätze am Prinzip der Waldorfschule erkennen. Gerade im unmittelbaren Vergleich zum staatlichen Schulwesen gibt es in verschiedener Hinsicht Vorteile. Trotzdem gilt es auch einige Schwächen zu berücksichtigen, wodurch dieser Schultyp nicht für alle Kinder und Eltern geeignet erscheint. Außerdem ist zu überdenken, ob einige Anschauungen und Gedanken der Anthroposophie noch zeitgemäß sind. Auch das staatliche Schulwesen birgt Verbesserungspotenzial in sich. Letztendlich gilt es bei jedem Schultyp die Vor- und Nachteile abzuwägen und kritisch zu überlegen, welches Modell den Anforderungen der Kinder und Eltern gerecht wird. 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 15 9. Literatur- und Quellenverzeichnis - Lippert, S.: Steiner und die Waldorfpädagogik, Mythos und Wirklichkeit; Luchterhand Verlag, Neuwied, Berlin, 2001. - Jacob, S.C. u. Drewes, D.: Aus der Waldorfschule geplaudert; Alibri Verlag, Aschaffenburg, 2001. - Leber, S. (Hrsg.): Waldorfschule heute, Einführung in die Lebensformen einer Pädagogik; Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 3. Aufl., 2001. - http://www.cartoonmuseum.ch/AUSSTELLUNGEN/RUECKBLICK/MM_SDM/aus_zoom03.ht ml, zugegriffen am 08.07.2005 - www.rudolf-steiner.de, zugegriffen am 07.07.2005 - http://de.wikipedia.org/wiki/Anthroposophie, zugegriffen am 07.07.2005 - www.beuys.de/000/10.htm, zugegriffen am 07.07.2005 - www.kmk.org/dossier/home00.htm, zugegriffen am 07.07.2005 13.07.2005 Rudolf Steiner, Anthroposophie, Waldorfschule 16