BAdam-BASABISS-5/97 Barbara Adam, 1999, Naturzeiten, Kulturzeiten und Gender: Zum Konzept "Timescape“, Uebersetzung Sabine Hofmeister, pp.35-59 in S. Hofmeister und M. Spitzner, Zeitlandschaftern. Perspectiven oeko-sozialer Zeitpolitik. Stuttgart, Hirzel Naturzeiten, Kulturzeiten und Gender: Zum Konzept "Timescape"1 1 Bewegte Zeiten Diese Zeiten sind bewegte Zeiten. Während der Vorbereitung dieses Beitrages ist die englische Fleischindustrie zusammengebrochen, der Fischfang an der Westküste von Wales zum Erliegen gekommen, und mit dem zehnten Jahrestag von Tschernobyl sind die von der Kernkraft ausgehenden, unsichtbaren Gefahren wieder in die Schlagzeilen geraten. In West Wales (meiner Wahlheimat) gibt es vor allem drei Einkommensquellen: die Landwirtschaft, den Fremdenverkehr und den Fischfang. Die Ereignisse der letzten Zeit, die sich von Monat zu Monat weiter zugespitzt haben, haben in alle drei Bereiche tief eingeschnitten. Die Existenz der Waliser/innen ist bedroht. In diesem Land - dort, wo Land und Leute immer stärker an die Wand gedrückt werden, wo die Menschen in der rückwärts gerichteten Spiralbewegung des Industriesystems eingefangen sind - werden Gram und Verzweiflung spürbar. Diese jüngsten Katastrophen haben mir noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Dimension Zeit explizit in den Blick zu nehmen - und zwar nicht nur, um die Umweltproblematik und die ökologischen Risiken besser zu verstehen, sondern auch um Handlungsspielräume zur Verbesserung der Situation ausmachen zu können. Und doch war West Wales, Ende April 1996, weder der rechte Ort noch war es die rechte Zeit, über dieses Thema zu reden. Ja, es schien mir sogar unangemessen, die weitverbreitete Besorgnis auch noch zu stärken, indem ich Zusammenhänge herzustelle zwischen der jüngsten Ölkatastrophe oder auch dem Phänomen "Rinderwahnsinn" (Bovine Spongiform Encephalopathy, BSE2) und dem Verhältnis zur Zeit - zwischen diesen Symptomen, die die Industriegesellschaft hervorbringt, und ihren eigenen zeitlichen Wurzeln. In einer Situation, in der existentielle Bedrohung, Ungewißheit, politische Ratlosigkeit und Pfuscherei zusammengenommen zu einer Art depressiver Lähmung führen, hätte es eher noch zusätzlich beleidigend und verletzend gewirkt, die Betroffenen durch konstruktive Überlegungen oder gar durch bewußten Aktionismus vereinnahmen zu wollen. Denn wie könnte ich kritisch über Zeitraffung und Beschleunigung sprechen in einem Gesellschaftssystem, das Zeit mit Geld gleichsetzt und zu seiner ökonomischen Basis gemacht hat - in einem System, für das Zeit ein ökonomisches Gut geworden ist und wo Beschleunigung als Effizienz verstanden wird und zu der zentralen ökonomischen Größe geworden ist. Wie könnte ich für Entschleunigung eintreten, wenn zeitbedingte Effizienz auf dem Arbeitsmarkt entscheidend ist und auf dieser Grundlage über Arbeit oder Arbeitslosigkeit entschieden wird. Wie könnte ich auf die Bedeutsamkeit der Langsamkeit hinweisen, wenn sich, wie in der Landwirtschaft, die Geschicklichkeit der Bauern anhand von Ertragsgrößen pro Zeiteinheit messen lassen muß - ja, wenn Zeitraffung als Effizienz gar etwas ist, worauf man stolz ist, was einem den Respekt der ländlichen Gemeinschaft einbringt? Wenn Landwirte um den Verlust ihrer Herden, ihrer Existenz und ihres Selbstwertgefühls ringen müssen, dann können wir sicher sein daß eine Analyse dessen, was in der industriellen Agrarwirtschaft falsch läuft, ausgerechnet hier bestimmt nicht auf wohlwollendes Interesse treffen wird. Wie könnte ich z.B. darüber sprechen, daß es notwendig wird, den natürlichen Rhythmen der Tiere und ihrer Lebensräume wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen, in einer Zeit, in der der gesamte Rindfleischmarkt und die Milchwirtschaft zusammenbricht, in der die landwirtschaftlichen Handelsstrukturen - d. h., die täglichen, monatlichen und saisonalen "Rhythmen" des Kaufens und Verkaufens - außer Kraft gesetzt sind und in der schließlich Verschuldung und Ungewißheit - nicht nur für den Moment, sondern bis weit in die Zukunft hinein proportional zueinander anwachsen. Das Entsetzen darüber, zusehen zu müssen, wie die Lebenswelten der Betroffenen in sich zusammenfallen, wie ihre Existenzen an den ökonomischen Interessen der großen Konzerne und der politischen Machthaber zerbrechen, macht notgedrungen handlungsunfähig in einer Situation, in der sich so vieles miteinander vermischt: Hilflosigkeit mit Verärgerung und Haß, Unglauben mit Enttäuschung und 1 Der Beitrag basiert auf dem Referat "Rhythms, Eigenzeiten, Time-Scales" im Rahmen der Internationalen Zeitakademie an der Evangelischen Akademie Tutzing "The Temporalties of Natur an Culture" am 02.05.1996 in Tutzing. Übersetzung in Zusammenarbeit mit Sabine Hofmeister. 2 Ich beziehe hier bewußt BSE in die Konzeption einer "Ökologie der Zeit" mit ein, weil es vielen der meist konventionellen Umweltproblemen im Kern entspricht und weil es wie diese einige der zeitlichen Charakteristika aufweist, die jene von dem Industriesystem hervorgebrachte Risiken kennzeichnen. 2 Argwohn, und Selbstkritik mit der verzweifelten Suche nach Schuldigen, - der Suche nach den "Schurken", wie die anderen Europäischen Staaten, die EU, die Medien, die Politiker, die Wissenschaftler, die Verbraucher und die agrarwirtschaftlichen Handelsketten, die die Versorgung sowohl mit verdächtigem Tierfutter als auch mit den berüchtigten Maschinen für die mechanische Fleischverwertung, in ihren Händen halten. Obwohl Ostern 1996 in West Wales weder die rechte Zeit noch der rechte Ort waren, um über die zeitliche Dimension der Umweltrisiken zu diskutieren, ist es für mich unumgänglich, die stetige Intensivierung an ökologischen Katastrophen und Krisen mit der Zeitforschung in Verbindung zu bringen. Mit anderen Worten: Im Licht der Zusammenballung von Krisenphänomenen wird es notwendig, daß sich Gesellschaftsforscher und theoretiker zu einer Art kreativer Reflektion aufschwingen. Wir sollten uns selbst fragen: Welche Wirksamkeit vermag unsere Arbeit in bezug auf das Verständnis dieser Zusammenhänge zu entfalten? Wie können unsere Theorien und Analysen in eine wirkungsvolle Verbindung zu den relevanten Praxisfeldern der Politik, der Ökonomie und des täglichen Lebens gebracht werden? Im folgenden möchte ich zeigen, daß und auf welche Weise die Dimension "Zeit" an der soziokulturellen Erzeugung von Umweltproblemen beteiligt ist. Dabei werde ich die Fragestellung auf folgende fünf Punkte fokussieren: Erstens werde ich auf jene Konflikte eingehen die aus der Komplexität der Zeiten und aus den Wechselwirkungen der kosmischen, natürlichen und kulturellen Rhythmen resultieren (2). Zweitens werde ich zeigen, auf welche Weise das Netz miteinander schwingender Rhythmen im Gegenüber und in Rückkopplung zu jenen Zeitformen, in denen das Industriesystem wurzelt, verankert ist (3); in diesem Kontext werde ich mich mit Maschinen- und Uhrzeit (3.1), mit der ökonomischen Zeit (3.2) und schließlich mit der Laborzeit (3.3) befassen. Drittens werde ich die aus der Zeitperspektive sichtbar werdende Verbindung zwischen Technologie, Macht, Natur und Geschlecht ("gender") kritisch in den Blick nehmen (4). Viertens werde ich auf die Folgen unserer ‘materialistischen’ Anschauungsweise, die es uns unmöglich macht, jene latent und unsichtbar wirksam werdenden Umweltprobleme zu verstehen oder rational damit umzugehen. Ich werde also nach den Gründen unserer Unfähigkeit, uns mit der unsichtbaren Unterseite dessen, was an seiner Oberfläche als "Eisberg-Phänomen" bezeichnet wird, auseinanderzusetzen, fragen (5). Schließlich werde ich fünftens mit Blick auf die Zukunft eine Perspektive zu entfalten suchen, für die ich den Begriff "Timescape"3 setze: Der konzeptionelle Zugang dieses Begriffs läßt uns wieder miteinander verbinden, was durch das Industriesystem hindurch auseinandergerissen worden ist - die physischen Phänomene und ihre sozioökonomischen Ursachen, Theorie und Praxis, Natur und Kultur, gegenwärtige Handlungen und ihre un/beabsichtigten, in eine unbestimmte Zukunft hineinwirkenden Nebenfolgen (6). 2 Vielfalt der Zeiten4 Zeit ist ein ungeheuer komplexes und vielfältiges dynamisches Phänomen, welches unauflösbar mit der ihr innewohnenden kreativen Kraft verbunden ist. Ohne diese kreative Dimension gäbe es keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft, keine Veränderungen, keine Entwicklung, keine Rhythmik, keine Jahreszeiten. So stellt sich durch Wiederholung von Phänomenen und Ereignissen eine Struktur her, in der alles Lebendige organisiert ist. Zugleich aber ist es die Variation in der Wiederholung, die die grundlegende Voraussetzung für das Leben, für Entwicklung und Zeitlichkeit darstellt. Als lebendige Wesen sind wir - Seite an Seite mit anderen Lebewesen - durch ein vielfältiges System von (Circa)Rhythmen organisiert und strukturiert: von sehr schnell ablaufenden neuronalen Vorgängen bis hin zu den Herzschlägen, von den Verdauungsprozessen bis hin zu den Aktivtät-Ruhe-Zyklen, vom Menstruationszyklus bis hin zu den längeren Regenerationszyklen des Wachstums und des Verfalls, von der Geburt bis zum Tod. Alle diese inneren und artspezifischen Rhythmen sind mit den kosmischen Rhythmen synchronisiert. 3 Vgl. Adam 1997. Der englische Begriff "Timescape" wird bewußt in den deutschen Text übernommen da sich die zunächst naheliegende deutsche Bezeichnung "Zeit-Landschaft" bei näherer Betrachtung als irreführend erweist, nachdem in diesem Begriff die zeitliche Dimension nachträglich, ohne eigenwertige Bedeutung, dem räumlichen Begriff beigefügt ist. verbindet. 4 Die Vielfalt der Zeiten in Natur und Gesellschaft ist ausführlich in Adam 1990 behandelt. 3 Äußere Veränderungen von dunkel zu hell, von warm zu kalt, von naß zu trocken sind auf unserem Planeten die an der Entwicklung aller Lebensformen beteiligten Zeitmuster der Umwelt - verinnerlicht und angepaßt an die besonderen von den ökologischen Systemen im Laufe der Evolution ausgebildeten Nischen. Von der Aktivität der Zellen über die der Organe bis hin zur Gehirntätigkeit ist unsere gesamte Physiologie an diese periodisch organisierten Zeitmuster gebunden. Der Reproduktionszyklus der Frauen ist auf diese zeitlichen Muster eingestellt. Unsere kollektive Existenz ist sowohl im Zusammenhang mit der kosmischen Zeit strukturiert als auch zeitlich aufeinander bezogen und abgestimmt. In einer Symphonie von Rhythmen ist the Vielfalt vereint. In der Synchronisation mit den Zeitmustern unserer Erde treten sogar Krankheiten und Sterbefälle zu bestimmten Tageszeiten gehäuft auf: Asthmaanfälle kurz nach Mitternacht, Herzattacken und Schlaganfälle gegen neun Uhr morgens, Fieberanfälle aufgrund von bakteriellen Infektionen zwischen frühmorgens und mittags, Fieber aufgrund von Viruserkrankungen dagegen zwischen dem frühen Nachmittag und dem Abend. Diese Symphonie der verschiedenen Rhythmen und Zeitgestalten kennzeichnet uns als Erdlinge - als Geschöpfe, die auf doppelte Weise zeitlich geformt und genormt sind: endogen rhythmisch strukturiert und eingebettet in die Rhythmik des Kosmos. Dieses System der verschiedenen aufeinander abgestimmten, zusammenwirkenden äußeren und inneren Rhythmen gibt unserem Leben seine dynamische Struktur - es wirkt in jede einzelne Schicht und auf jeder Ebene in unser Dasein hinein. Ja, es konstituiert ein Zeitengeflecht, innerhalb dessen alle Aktivitäten nicht nur organisiert und planvoll angeordnet sind, sondern in dem auch die zeitliche Abstimmung und Synchronisation der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Intensitäten sowie das ineinanderschwingende, miteinander verwobene Zusammenspiel der Anfänge, Sequenzen, und Dauer, der Pausen und Enden in der Zeit zusammengehalten werden. Alle diese Zeitformierungen existieren nebeneinander und sind doch auch miteinander synchronisiert. Wenngleich sie uns auch in ganz unterschiedlichem Ausmaß bewußt sind, sind sie uns auf der Alltagsebene vertraut. Dagegen wird auf der Ebene der Theoriebildung meist stillschweigend über sie hinweggegangen. 3 Industrielle Zeit gegen Rhythmik Schwierigkeiten tauchen dann auf, wenn Teile dieser Komplexität nicht beachtet oder gar geleugnet werden wenn soziokulturelle Strukturen, die sich auf Grundlage ganz anderer Prinzipien konstituieren, dieses komplexe Gefüge aus Zeiten und Rhythmen überlagern. Diese sozio-kulturelle Überlagerung betrifft nicht nur das alltägliche und geschlechtsspezifische Leben der Menschen, sondern auch die Art und Weise wie diese ihren Lebensunterhalt bestreiten und wie ihre Nahrungsmittel weltweit hergestellt werden. Die industrielle Zeit - in Form von Maschinenzeit, ökonomischer Zeit und Laborzeit - gilt es nun genauer zu betrachten. Denn das Aufeinanderprallen dieser zwei so unterschiedlichen zeitlichen Systeme - diese permanente Reibung zwischen Ur- und Uhrzeit - führt zu Verlusten welche nicht nur zutiefst mit der ökologischen Krise verwickelt sind, sondern sie auch noch unaufhaltsam schüren. Um diesen Gedanken zu veranschaulichen, soll im folgenden kurz auf die Wesensmerkmale dieser dreifachen Konstellation von Industriezeit eingegangen werden. Ziel ist hier, die signifikanten Unterschiede zwischen dem industirellen Zeitsystem und den zeitlichen Strukturen natürlicher Systeme in Bezug auf ökologische Probleme herauszuarbeiten und die Verbindung zu genderspezifischen Issues herzustellen. 3.1 Uhrzeit, Maschinenzeit "The clock is both the outstanding fact and the typical symbol of the machine: even today no other machine is so ubiquitous." (Mumford 1955, 5) Mit Hilfe der Uhr werden die vielfältigen Zeiten der natürlichen Mit- und Umwelt objektiviert und unabhängig von den naturalen und kosmischen Prozessen konstituiert, d. h. entbunden von den variablen Zeiten von Tag und Nacht, Jahreszeiten und Jahreswechsel, Wachstums- und Alterungsprozessen, Geburt und Tod. Auf ihrer Grundlage läßt sich Zeit standardisieren und präzise quantifizieren. Als eine Maschine, die Stunden, Minuten und Sekunden produziert, ist die Uhr notwendigerweise von menschlicher Aktivität und deren sozialer Organisation abgetrennt. So fördert Uhrzeit auch den Glauben an eine äußere, der Messung und Kontrolle zugängliche Realität und sie wirkt sich auf die Gestaltung von gesellschaftlichen Prozessen aus: Arbeit, Bildung, Geschlechterverhältnis - ja die gesamte Versorgung mit sozialen Leistungen und die landwirtschaftliche Praxis sind davon betroffen. Als “Non-Stop Prinzip” findet sie ihren ausgereiften Ausdruck5 5 Vgl. hierzu Adam et al. 1997. 4 Eine solche in standardisierte, nicht variable, teilbare Einheiten überführte Zeit dient einer Reihe von Inwertsetzungen: Sie kann als Tauschmittel, als Basis für die Übersetzung von einer Quantität in eine andere fungieren: Historische Zeiträume lassen sich zueinander in Beziehung setzten; Arbeit läßt sich in Geld transformieren; und Risiken werden für Versicherungszwecke berechenbar. "When one thinks of the day as an abstract span of time, one does not go to bed with the chickens on a winter's night: one invents wicks, chimneys, lamps, gaslights, electric lamps, so as to use all the hours belonging to the day. When one thinks of time, not as a sequence of experiences, but as a collection of hours, minutes and seconds, the habits of adding time and saving time come into existence." (Mumford 1955, 8) Als eine veräußerte Zeit kann die Uhrzeit die Funktion eines Symbols einnehmen - ein Symbol für Orientierung, Regulierung und Kontrolle. Eine solche Zeit ermöglicht es, die verschiedensten Ebenen der Realität miteinander zu integrieren: So wie wir historische Zeitabschnitte in Beziehung setzen, lassen sich auch die kosmische, die physische, die biologische und die kulturelle Ebene aufeinander beziehen (vgl. auch Elias 1984). In ihrer aus dem Zusammenhang und aus Zeit und Raum herausgelösten, "entkörperlichen" Form ist die Uhrzeit sowohl Voraussetzung der Newtonschen Wissenschaft als auch ihr wirksamstes Werkzeug. Mit Blick auf die Uhrzeit läßt sich daher vieles von dem, was feministische Sozialwissenschaftlerinnen immer wieder problematisieren, untermauern: Objektivität, Abstraktion, Verifikation über Raum und Zeit hinweg, Standardisierung und auf Vereinheitlichung ausgerichtete Theoriebildung6. Allein aus diesem Grund ist die Uhrzeit einer aufmerksamen und gründlichen Betrachtung würdig. Das Augenmerk auf die Wesenszüge dieser technisch hergestellten Zeit zu richten, ist unbedingt weiterführend. Denn auf ihrer Basis konstituiert sich all das, was als selbstverständlich gilt: Diese konstruierte Zeit dringt nicht nur tief in das Alltagsleben westlicher Industriegesellschaften, sondern auch in die Theoriebildung - in die theoretische Reflexion geschlechtspezifischer Erfahrungen mit diesen Lebensstilen zum einen und Theorien der ökologischen Krise zum anderen. "It is there, like Mont Blanc; it is given; it is 'natural'. But such faith is a trick of perspective. Linear time is an artifice. It is, for better or worse, one of the massive achievements of Western culture, and as such is a profoundly collective construct." (Ermarth 1989, 42) Als ein durch und durch kollektives Konstrukt wird diese Zeit hergestellt, wiederhergestellt und erhalten. Alle, deren Leben durch sie beeinflußt wird, haben daran teil - wenngleich auch auf sehr verschiedene Weise und in durchaus unterschiedlichen Maßen. Es ist deshalb wichtig diese Zeit in ihrer ansonsten unsichtbaren Qualität zu erfassen: Erstens, weil wir auf diese Weise die methaphorische Kraft der Uhrzeit erkennen können. Zweitens, weil wir so die konfliktreiche Beziehung kennenlernen zwischen der Uhrzeit und solchen Zeiten, die sich nicht so leicht in quantifizierbare Einheiten zerlegen lassen. Drittens, weil wir die mit den verschiedenen Zeitsystemen verbundenen Ungleichheiten in der Machtverteilung verstehen lernen. Und schließlich viertens, um unsere Chancen und Möglichkeiten in bezug auf Veränderung und Erneuerung auf Basis unseres kritischen Wissens besser ausloten zu können. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, die Wesenszüge dieses ersten und wichtigsten Ausdrucks der mechanischen Wissenschaften - die Uhrzeit - genauer in den Blick zu nehmen. Die hergestellte, technische Uhrzeit tickt gleichmäßig und objektiv. Sie ist unmittelbar angebunden an die abstrakte Bewegung und an die Überwindung der Strecke im Raum. Sie basiert auf dem Prinzip der Wiederholung ohne Veränderung. Sie ist durch Ablösung, Abstraktion von den Ereignissen des Lebens und durch Zuweisung von Zahlenwerten gekennzeichnet. Der Verlauf der Zeit ist vorgegeben durch ein Zahlensystem, welches die Zeit quantifizierbar und teilbar macht. Eine solchermaßen abstrakt gewordene, aus dem Kontext herausgelöste Zeit läßt sich auf alles und überall und zu jeder Zeit anwenden. Als solches verleiht sie dem mechanistischen Weltbild Nachdruck: In der ineinander verschränkten Bewegung einzelner Räder und Federn formt sich das integrierte Ganze aus. Es hebt die Teile heraus. Der fließende Lauf des Ganzen basiert auf gleichbleibendem Timing, gleichbleibendem Tempo, gleichen Sequenzen, gleicher Dauer und auf Periodizität. Die Uhr steht somit für eine leblose Wirklichkeit: für eine Welt, die an vorgegebene Pfade angebunden ist, für eine Welt, in der sich nicht Neues ereignen kann, für eine Welt, in der Eingangs- und Ausgangsgrößen ausschließlich linear miteinander verbunden sind, und für eine Welt, in der Ursache und Wirkung proportional zueinander im Verhältnis stehen. 6 Vgl. hierzu beispielweise Adam 1989, Duelli Klein 1983, Ermarth 1989, Harding 1986, Harding (Hg.) 1987, Hekman 1990, Mies 1983. 5 Die Uhrzeit ist der unmittelbare Ausdruck einer durch das mechanische Zusammenwirken ihrer Teile konstituierten Welt: einfach, entmystifiziert, meßbar und berechenbar. Sie repräsentiert eine zerteilbare Wirklichkeit physisch wie auch gedanklich, nach Belieben wieder zusammengesetzt werden kann. Sie steht für eine durch und durch kontrollierbare Wirklichkeit, in der Menschen nur in der Rolle derjenigen, die Maschinen bedienen oder herstellen, Platz haben7. Mehr noch, die Uhrzeit ist ein wirksames Medium der Entfremdung - ein Medium, das Subjekt und Objekt, Personen und ihre Erfahrungen voneinander zu trennen vermag. Als solche fördert sie die Umwandlung von leiblichen, in ihre besonderen Umgebungen eingebundenen Akteuren in entkörperlichte passive Beobachter. Aus dem rahmengebenden Geflecht der Zeitlichkeiten, der Geschwindigkeiten, der Zeitgeber, der Rhythmen, der Verläufe und der Geschichten herausgelöst und abgetrennt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kann Zeit zu einem Werkzeug werden: zu einem Werkzeug, das der Orientierung, der Koordination, der Synchronisation und der Regulierung dient. Die Vielfalt der Urzeiten unserer Erde wird durch die Abstraktionsleistung der Uhrzeit hindurch in eine Ressource verwandelt - in eine Ware, die genutzt, zugewiesen, verkauft und kontrolliert werden kann. 5.2 Ökonomische Zeit Die auf dem Tausch beruhende abstrakte ökonomische Zeit als der zweite Ausdruck der Industriezeit baut auf diese Prinzipien der Uhrzeit auf. Menschliche Arbeitszeit und Maschinenzeit verwandeln sich durch den abstrakten Tauschwert hindurch in Geld. Diese Gleichsetzung von Zeit mit Geld wirkt sich unmittelbar auf die ökonomische Praxis aus: Ökonomisches Handeln muß Gewinn einbringen. Es gilt also, die Zeit der arbeitenden Menschen so effizient wie möglich zu nutzen, um Güter und Dienstleistungen in möglichst kurzen Zeiträumen herzustellen. Auf dem Markt konkurrenzfähig bleiben, meint daher im Grunde nichts anderes, als schneller zu sein als die Konkurrenten. Auf diese Weise setzt sich die ökonomische Zeit des Industriesystems zu sich selbst in ein spezifisches Zeitwert-Verhältnis: Geschwindigkeit wird so zwangsläufig höher bewertet als lang andauernde Prozesse bzw. als solche Prozesse, deren Dauer nicht genau abgeschätzt und berechnet werden kann. Die hohe Bewertung von Geschindigkeit und Berechenbarkeit, wie ich später zeige, wirkt sich negativ aus auf alle diejenigen Prozesse die sich nicht ohne Schwierigkeiten diesem Zeitregiem anpassen können. Die Zeit=Geld Verbindung hat (um nur ein Beispiel zu nennen) bei dem Ölunfall der ‘Sea Empress’, die bei Milford Haven im Frühjahr 1996 auf Grund gelaufen ist, eine zentrale Rolle gespielt: Die für das Einbringen des Schiffes in den Hafen zur Verfügung stehende Lotsenzeit war zuvor aus Kostengründen dramatisch gekürzt worden. Die Bewertung positive der Geschwindigkeit spiegelt sich auch in der landwirtschaftlichen Praxis wider, wo die Verwendung proteinhaltiger Futtermittel als eine Möglichkeit betrachtet wird, dem stetig zunehmenden ökonomischen Druck zu entkommen, indem auf diese Weise die Reifezeiten verkürzt und die Erträge gesteigert werden. Ja, weil sie unauflösbar mit ökonomischen Interessen verbunden und gleichsam in diese eingelagert sind, wirken sich diese ökonomischen Gleichsetzungen von Zeit=Geld und Geschwindigkeit=Profit immer komplizierter und paradoxer aus. So ist es inzwischen beispielsweise billiger, Früchte zu kaufen, die über die halbe Erdkugel transportiert wurden und irgendwo auf diesem Weg gereift sind, als solche, die regional in kleineren Mengen produziert werden und denen es erlaubt wird, an dem Ort zu reifen, an dem sie auch gegessen bzw. für den Winter eingelagert werden. In diesem Fall sind Entfernung und Dauer geradezu umgekehrt mit dem Geldwertkalkül gekoppelt, wobei dieses paradoxe Verhältnis auf einem komplexen System verschiedenster, sich wechselseitig bedingender Abhängigkeiten beruht: so, zum Beispiel auf der Abhängigkeit von Produktionsmengen, von Subventionen und von Machtverhältnissen - ein System, das unter der Oberfläche dieses Phänomens kontinuierlich wirksam ist. Ich werde im vierten Teil nocheinmal auf dieses Thema zurückgreifen wenn ich den Bezug zwischen der ökonomischen Ressource Zeit und einem ‘gendered’ Zugang zur Zeit herstelle. 5.3 Laborzeit Die dritte Säule, auf der die industrielle Zeit ruht, ist die Laborzeit8 - die Zeit des im Labor vollzogenen naturwissenschaftlichen Experimentes. Indem Naturwissenschaften ihren Gegenstand - die Natur - in Laboratorien zu verstehen suchen, haben sie ihn gleichsam aus dem Netz des ökologischen Kontextes herausgerissen und abgelöst von der Rhythmik des Lebendigen. Als Erkenntnisobjekt der Naturwissenschaft wird die Natur abstrahiert und umgeformt - wird sie abgetrennt von den wechselseitig verwobenen Zeitstrukturen ebenso wie von ihren kontextualen Beziehungen. In den Laborwissenschaften werden daher zwangsläufig alle 7 Vgl. ausführlicher Adam 1990, 48 ff. Soweit mir bekannt, wurde dieser Begriff von Helga Nowotny in ihrem Buch Eigenzeit (1989) konzipiert. 8 6 rhythmischen Zusammenhänge ausgelöscht. Ja, die Zeitstrukturen, in die alles Lebendige eingebunden ist, werden nicht nur unwichtig sondern zum Störfaktor, den es gilt im laborwissenschaftlichen Versuch auszuschalten. Alles muß zu jeder Zeit verfügbar sein: 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr muss es bereitstehen. Denn erst wenn in der wissenschaftlichen Laborarbeit von den wechselseitigen Abhängigkeiten und den zeitlichen Zusammenhängen abgesehen wird, lassen sich physische und organische Prozesse kontrollieren, programmieren, manipulieren, verändern und nach Belieben beschleunigen oder verlangsamen. Alle drei Aspekte industrieller Zeit - die Uhrzeit, die ökonomische Zeit und die Laborzeit - bilden gemeinsam eine mächtige und durchdringende Zeitkonzeption aus, eine Konzeption, durch die Zeit zu einer quantifizierbaren Ressource wird, offen für jede Form von Manipulation, Kontrolle und Machtausübung. Gemeinsam begründen sie eine Einheit von Materialität und Quantität als sichtbare Hülle dessen, was in ihrem Schatten unsichtbar und latent wirksam ist: Das Geschlecherverhältnis zum Einen und der Umgang mit der Natürlichen Mitwelt zum Anderen. Wenn wir nun die Verbindung zwischen Industriezeit, Umweltkrise und gender herstellen wollen so ist es wichtig dass wir uns der Unterschiede bewusst werden zwischen Zeiten die in technischen Produkten und Artefakten materialisiert sind und Zeiten die in lebende Prozesse eingebunden sind. Auf dieser Grundlage kann dann gefragt werden, in welchem Maß das Geschlechterverhältnis sich hierin spiegelt. Re/produktion und Zeit: Der Blick auf das Geschlechterverhältnis Artefakte als gesellschftliche Erzeunisse und technische Produkte unterscheiden sich in ihrem Design von ‘Natur(re)produkten’. Enworfen mit dem Blick auf Funktion und konzipiert in Abstraktion von ihrer interaktiven Vernetzheit mit der Mit-und Umwelt sind Dinge in einen zeitlichen ‘Freezeframe’ projeziert. Als solche sind sie Fremdkörper in der temporalen Welt des Lebendigen und einst Lebenden. Ob Höhlenmalerei oder Maschine, die gesellschaftlichen Produkte sind Inseln der Dauerhaftigkeit in einem Meer schöpferischer Veränderung. Ihre (relative) Unveränderlichkeit ermöglicht es uns Objekte in ihrer Wesensart und Substanz zu verstehen, sie als Metaphern zu nutzen, und sie schürt unseren Glauben daß wir der Endlichkeit unseres persönlichen Lebens entrinnen können. Veräußerung des Wissens in einer derart fixierten Form bildet die Voraussetzung dafür, daß wir uns den Dingen gegenüberstellen, sie zum anderen von uns machen, sie von außen betrachten, sie manipulieren, sie kontrollieren können. Erst in seiner objektivierten Form verbindet sich Wissen unmittelbar mit Naturbeherrschung und mit Herrschaft über Menschen. Was von Ökofeministinnen mit einer männlichen bzw. patriachalen Umgangsweise mit der Natur identifiziert wird9 läßt sich zugleich auch als ein Phänomen wiedererkennen, das eng mit der Veräußerung von Wissen in einer zeitlich fixierten und endlichen Form verknüpft ist. Die den menschlichen Produkten innewohnende Zeit ist gewissermaßen in diese "eingebaut" - sie ist abgetrennt von den ökologischen Zusammenhängen, isoliert von den wechselseitigen Austauschprozessen und den Bezügen, innerhalb jene sich vollziehen. Sie ist losgelöst von den verschiedenen, in der Zeit vorübergehenden Prozessen des Lebens und von seiner Reproduktion. Es ist eine Zeit von der Körper und Seele verbannt sind. Es ist eine stärker durch Entropie als durch Wachstum und Entwicklung gezeichnete Zeit - eine Zeit der Endlichkeit, des Todes und der Verwüstung - eine Zeit, die dem lebendigen Sein und dem Prinzip der Regeneration antagonistisch gegenübersteht. Wenn wir also die in Kulturgüter "eingebaute" Zeit im Unterschied zu den Eigen- und Systemzeiten von ökologischvernetzten Organismen und ehemaligen Lebensprozessen in den Blick nehmen, werden wir direkt auf solche Theorieansätze aufmerksam, die sich aus ökologischen und feministischen Diskursen kommend den Aspekten der Endlichkeit, der Transzendenz und der Zukunft widmen. Feministinnen haben hervorgehoben, daß die Herstellung von Artefakten das männliche Prinzip sei, Endlichkeit zu überwinden, sich der Unsterblichkeit zu versichern. Ausgehend von diesen Überlegungen konnten sie zeigen, daß und inwieweit männliche Transzendenz und die daraus resultierende Form der Naturbeherrschung unmittelbar mit den Umweltproblemen in Zusammenhang stehen10. Im Unterschied zu diesem durch die menschlichen Kulturen hindurch geformten Begriff von Kontinuität, dem die re-produktiven Prinzipien des Lebendigen und der ineinander wirkenden ökologischen Beziehungen fremd sind, ist der Prozeß der Geburt eine Veräußerung die nicht mit Entfremdung und fixierender Objektivierung einhergeht. Dies ist die Ausgangsüberlegung, von der aus O'Brien (1981, 32 f.) die Transzendenz der Endlichkeit in ihrer technologisch-abstrakten Bedeutung dem weiblichen Prinzip von Kontinuität durch Geburt und Tod gegenüberstellt. Es geht hier deutlich um weibliche und männliche Prinzipien und nicht um 9 Vgl. Griffin 1981 und Merchant 1980. Vgl. z.B. Griffin 1981, Merchant 1980, Plant (Hg.) 1989. 10 7 Prozesse Aktivitäten die ausschliesslich von Frauen oder Männern ausgeführt werden (vgl. O'Brien 1981, 32 f.)11. Die Unterscheidung zwischen den zwei Prinzipien, mit anderen Worten, darf nicht in einen Gegensatz zwischen männlichen und weiblichen Praxen übergehen denn dies würde zwangsläufig in eine dualistische und naturalistische Sichtweise einmünden. Wir liefen Gefahr, einen Begriff von der weiblichen Ergebenheit in die Kontinuität des schöpferischen Körpers im Gegensatz zu der des Mannes in die Kräfte seines analytischen Verstandes und seiner Hände aufzubauen bzw. diese Sichtweise aufrechtzuerhalten. Dies ist nicht der Sinn.Was wir aber festhalten können, ist, daß die Fähigkeit, Sterblichkeit zu transzendieren, auf zwei unterschiedlichen Prinzipien beruht die verschiedentlich fokussiert sind: auf Endlichkeit, Tod und Entropie zum einen und auf Leben, Geburt und Re/generation zum anderen. Beide dieser gendered Prinzipien können von Frauen und Männern aktiviert werden. Der Unterschied zwischen diesen Prinzipien wurde von Feministinnen theoretisch reflektiert. So bezeichneten und kritzierten Luce Irigaray und Mary O'Brien12 Heideggers Terminus "Das Sein zum Tode" als eine maskuline Denkweise: Weil die Erfahrung der Geburt und die zeit-entfaltende Fähigkeit des Erschaffens von Leben in Heidegger’s Theorie ausgeklammert blieben, komme weder die menschliche Zeit noch das zeitliche Verhältnis zwischen Mensch und Natur adäquat zum Ausdruck. Ja, den Prozeß des Geborenwerdens und des Gebärens als eine wesentliche, den Menschen eigene Dimension in das gesellschaftliche Verständnis von Zeit zurückzuholen und sie einzubinden, würde sicher in entscheidendem Maß zur Erneuerung des Begriffs von Kontinuität beitragen. Denn in dem Maße in dem eine "... durch den Tod vorbestimmte Zukunft von einer durch die Geburt vorbestimmten Zukunft abgelöst würde" (Foremann 1989, 7), rücken die Aspekte des Lebens in ihren spezifischen Bindungen an die Zeit und an die Natur in den Vordergrund. Natürlich reden wir hier nicht über eine Frage, in der wir irgendeine Wahl hätten: Natur oder Kultur, natürliche Umwelt oder Technik, lebendige oder konstruierte Zeit. Diejenigen, die Zeit geben, entfalten und gestalten, leben zugleich in der Zeit. Ja, sie sind gar einem komplexem Geflecht verschiedener Zeiten unterworfen - Zeiten, die nicht nur an Kalendern, Uhren und an kulturelle Riten angebunden, sondern auch durch die verschiedensten natürlichen und sozialen Rhythmen geprägt sind. Mit Blick auf die eigene Zeitlichkeit erinnern wir, daß wir in rhythmischer Weise leben, atmen und essen - daß wir selbst "Zeitgeber" sind, die mit den Rhythmen unseres Planeten pulsieren. Wir sind verkörperte Urzeit und dennoch bewegen wir uns zugleich auf dem Boden der gesellschaflichen Uhrzeit, einer abstrakten Taktzeit die nicht im Einklang mit den Rhythmen der Erde schwingt und ihnen doch verbunden ist. Es gilt also, die Anteile des einen im anderen theoretisch zu reflektieren. Auf diese Weise erst kann Erkenntnis über die Verbindung "Zeit-Artefakt-Technik" wirklich dazu beitragen, daß wir die prägenden dualistischen Tendenzen in unserem theoretischen Verständnis aufdecken und sie schließlich überwinden können. Ein weiterer Aspekt der gender-Zeit-Natur Konstellation bezieht sich auf jene Prozesse welche weibliche Reproduktionszeiten in den Schatten der gesellschaftlich dominanten Uhrzeit verdrängen. Diese re-generativen Zeiten finden ihren Ausdruck nicht nur in dem unmittelbaren Prozeß der Geburt sondern insbesondere auch in zeitgebender Arbeit die sich nicht in das ökonomische Zeitschema Zeit = Geld zwängen lässt. Es ist diese Zeit der Liebe und Sorge, der Vorsorge und Nachhaltigkeit die auf Grund ihrer Nichtanpassung an die Zeit des Marktes in der Sphäre der Unsichtbarkeit verloren geht13. In der Wertestruktur von Industriegesellschaften ist es immer die ökonomische Zeit der Production die Vorrang hat über die generativen Zeiten der Reproduction wie auch über die rhythmischen Zeiten der Natur. Wichtig ist es anzuerkennen daß die schöpferische Dimension der Urzeiten nicht isoliert existiert. Sie ist vielmehr eingebunden in der ungleichen Wechselbeziehung mit Uhrzeit und der Zukunftsgestaltung durch Dinge und Geld, durch Artefakte und das symbolische System, durch wissenschaftliche Erkenntnis und die Strukturen des Marktes. Es ist deshalb nötig zu erfassen auf welche Weise zeit-erschaffende, zeit-entfaltende, rhythmische und zukunfsoffene Urzeitaktivitäten dem Paradigma des Zeitkonsums unterworfen, ihm untergeordnet und im Kontext der ökonomischen Zeit entwertet werden. Diese Erkenntnis ist wichtig auch wenn solch ein Inzusammenhangsetzen von gendered Zeit und Naturzeit für Feministinnen ein rotes Tuch ist: ohne die Zusammenhänge zwischen Produktion and Reproduktionszeiten in all ihren Formen ist die ökologische Krise nicht in ihren gendered Prinzipien zu erkennen. Im Englischen würde man sagen: ‘It is time to stop pussyfooting around’. Es ist an der Zeit die Hintergründe ausleuchten vor denen reproduktive Lebendigkeit, Geschichtlichkeit und Vorsorge im Schatten der sogenannten “produktiven Welt” definiert sind. Und wir müssen die Ursachen solcher Verschleierungen verstehen. Diejenigen, die Zeit erschaffen, 11 Vgl. hierzu auch Brodribb 1992 und ausführlicher Adam 1995. Vgl. Irigaray 1983 und O'Brien 1989. 13 Vgl. Davies 1990. 12 8 entfalten und erhalten sind auch Teilhaber/innen an der dominierenden Zeit; sie tragen zugleich dazu bei, daß jene sich als ein kollektives Konstrukt erhält: Unentwirrbar eingebaut in das kommerzielle Treiben werden Zeitschöpfer und Zeit-geber unvermeidlich zu Verschworenen der warenförmigen Zeitverhältnisse - ökonomische Zeitverhältnisse in denen sowohl Geschwindigkeit, Zeitraffung und das Non-Stop Prinzip als auch Präzision, Wiederholung des Gleichen und Vorhersagbarkeit Höchstbewertungen erzielen. Im Schatten jener technologischökonomisch bewerteten Welt werden urzeitliche, generative und reproduktive Prozesse am Maßstab der abstrakten und standardisierten Uhrzeit gemessen. Dies gilt, wie schon angedeutet, nicht nur für die Anthroposphäre und die Arbeitswelt der Industriegesellschaften sondern auch für die Ökosphäre. Da Zeiterzeuger/innen und Zeit-geber/innen ihre eigenen Aktivitäten an Kriterien zu messen haben, die einem endlichen, ressourcenbezogenen Zeitbegriff verpflichtet sind, ist es für siie extrem schwierig ihre Ideen zu nachhaltigem und vorsorgendem Handeln und zu Entschleunigung zu verteidigen. Ganz offensichtlich sind weder die Kunst, mit einer Vielzahl von Zeiten zu jonglieren, noch etwa das Erzeugen und Geben von Zeit, das mit fürsorgenden, heilenden, liebenden oder erziehenden Tätigkeiten in Verbindung gebracht wird, alleinige Vorrechte von Frauen. Auch Männer müssen integrieren können, was häufig nicht in einen festumrissenen Zeitplan hineingepreßt werden kann. Auch ihre Zeit ist zum Teil in einen unberechenbaren Zusammenhang eingebunden und daher mit Blick auf die Zeitdauer nicht kalkulierbar, fällt also aus der Rationalität quantifizierbarer, warenförmiger und kontrollierbarer Zeit heraus. Ebenso läßt sich sagen, daß die Diskrepanz zwischen "männlichen" und "weiblichen" Zeitprinzipien gleichermaßen auf Lebensabschnitte wie Kindheit, Ausbildungszeiten, Arbeitslosigkeit und Ruhestand - also auf alle jene Zeiten außerhalb der direkten Kontrolle des Arbeitsmarktes - zutrifft. Daher stehen sowohl die Zeiten, die beide Geschlechter miteinander teilen, als auch die Unterschiede zwischen ihnen in einem komplexen Verhältnis zueinander: Sie sind niemals einfach, niemals vereinzelt und niemals dualistisch. Indem sie über derartige Paradoxien, Diskrepanzen und über die darin enthaltenen Gemeinsamkeiten gearbeitet und geschrieben haben, haben Feministinnen dem Unsichtbaren eine Gestalt gegeben. Indem sie ihre Aufmerksamkeit gerade auf die nicht beachteten Aspekte des westlichen, kommerzialisierten gesellschaftlichen Umgangs mit Zeit gelenkt haben, haben sie wesentlich dazu beigetragen, daß eine Balance zwischen zwischen Ur- und Uhrzeit zwischen der Konsumtion und Regeneration von Zeit, zwischen der Zeit außerhalb des Gleichklangs mit der "Natur" und jenen Zeiten, die in das kreative Geben-und-Nehmen der ökologischen Prozesse eingebettet sind. Es ist daher auch nicht überraschend, daß "Weiblich-Sein" mit "Kein-einfachesVerhältnis-zu-Zeit-haben" identifiziert wird (Forman 1989, 1). Wie auch immer, es kann nicht die Lösung sein, einen neuen Dualismus zwischen "männlichen" und "weiblichen" Zeiten zu begründen. Es gilt statt dessen, die dem dominierenden Zeitverständnis zugrunde liegenden Merkmale ebenso gut zu verstehen wie die Wesenszüge jener Zeiten, die aus dem Einflußbereich dieses Zeitverständnisses und Umgangs mit der Zeit herausfallen. Das Zusammenwirken der beiden Zeitsysteme zu entmystifizieren und als eine selbstverständliche, allgegenwärtige Problematik anzuerkennen, könnte zu einer unserer wichtigsten Aufgabe werden. Indem wir uns dieser Aufgabe annehmen, legen wir die Potentiale für neue Visionen und wirksame Handlungsfelder frei. Das Bemühen um die Unsichtbarkeit, so effektiv von Feministinnen erarbeited, steht nun auch in der ökologischen Theorie an. 5 Eisberg-Phänomene Aus der Perspektive der industriellen Zeit ist die zeitliche Wirkwelt von Tempo, Intensität und Zeitlichkeit als das Rhythmische und Veränderliche unsichtbar. Erst als Produkt oder als Auswirkung wird Zeit in ihren vielen Fassetten fassbar, wird sie zur Merkwelt14. Doch die meisten der ökologischen Probleme unserer Zeit lassen sich gerade nur auf Grundlage der verschiedenen unsichtbaren zeitlichen Prinzipien verstehen. Sie bleiben daher außerhalb der Reichweite dieser eingeschränkten Uhrzeitkonzeption: nur die Spitze des Eisbergs ist sichtbar; seine Masse unterhalb der Oberfläche unsichtbar und unerreichbar. Ob wir mit chemischen Prozessen, mit der Zerstörung der Ozonschicht in der Atmosphäre, mit Luft- und Wasserverschmutzungen, mit Radioaktivität oder mit neuen Krankheiten wie BSE konfrontiert sind, wir haben es jedesmal mit industriell erzeugten Phänomenen zu tun die sich durch ihre Unsichtbarkeit und Latenz auszeichnen. Die Folgen unserer Handlungen wirken ausserhalb unseres Wahrnehmungsbereiches bis sie sich in Form von Symptomen materialisieren - allerdings ohne, daß jene etwa noch zurückverfolgt, das heißt, mit Gewißheit auf ihre ursprünglichen Verursachungsmomente rückbezogen werden könnten. Mit anderen Worten: nur anhand der Symptome werden sie erkennbar, werden sie Teil der Merkwelt, und dies schließlich auch nur 14 Der Underschied zwischen Merk-und Wirkwelt wurde von v. Uexküll und Kriszat (1934) in der ersten Hälfte dieses Jahrhundert’s entwickelt. 9 dann, wenn sie einmal das Schlupfloch des wissenschaftlichen Denkens passiert haben und identifiziert werden konnten. Diese Überlegung läßt sich am Beispiel der nuklearen Strahlung veranschaulichen. Radioaktivität ist ein Verhängnis, das wir mit allen Wesen dieser Erde teilen. Nukleare Strahlung wirkt leise und unsichtbar auf der Ebene der Zellen. Unsere Zellen, nicht unsere Sinne, erkennen ihr Wirken. Und so ist sie stetig außerhalb dessen, was wir sinnlich wahrnehmen können (zumindest dann, wenn wir nicht über wissenschaftliche Meßinstrumente verfügung). Sie bedingt unsere Gegenwart ebenso wie sie die Zukunft unserer und anderer Lebewesen’s Töchter und Söhne über Tausende von Jahren durchdringt. Die Folgen von Nuklearer Strahlung sind weder zeitlich noch räumlich begrenzbar - ja, eines ihrer wichtigsten Merkmale ist gerade ihre ungeheuer komplexe, in die verschiedensten Raum-Zeit-Konstellationen eingebundene Reichweite in der Zeit. Die Verweildauer von Radioaktivität reicht von Nanosekunden bis zu Jahrmillionen. Das bedeutet, daß ihre Zeithorizonte die des menschlichen Denk- und Handlungsvermögens bei weitem überschreiten. Hinzu kommt, daß ihre Strahlen vor keinen Grenzen haltmachen: ob Haut, Kleidung oder Wände, ob Städte oder Nationen oder auch die Materialität der verschiedenen Elemente - es gibt keine Grenzen, die sie nicht überschreiten, keine Materie, die sie nicht durchdringen könnten. Als solches ist Radioaktivität eines der herausragendsten Beispiele für jene unsichtbaren Phänomene und Prozesse, die sich jenseits sinnlichen Erfahrbarkeit vollziehen und sich sowohl dem industriellen Zeitbegriff als auch den herkömmlichen Formen der Erkenntnis und des Umgangs mit der materiellen Welt prinzipiell entziehen. Wenn also dieser physikalisch-räumliche, objektivistisch und entkontextualisierte Zeitbegriff in Bezug auf urzeitliche und ökologische Probleme so jämmerlich versagt und wenn außerdem die Spaltung der Welt in Natur und Kultur sich sinnvoll nicht mehr aufrecht erhalten läßt, ist es dann nicht an der Zeit eine Sichtweise zu entwickeln, die es uns einerseits erlaubt, Umweltprobleme als komplexe, kontextgebundene und zeiten-abhängige Phänomene zu begreifen und uns andererseits aber auch dazu befähigt, das traditionelle dualistische Denken - das Denken in Gegensätzen, wie Zeit und Raum, Natur und Kultur, Erscheinung und Prozeß - endlich zu überkommen. Die Entwiklung einer “timescape”- Perspektive ist ein Weg zu diesem Ziel. 6. Timescape Um ein Gefühl dafür zu vermitteln, was ich mit dem Begriff "Timescape" verbinde, wende ich mich zunächst seinem räumlichen Äquivalent zu: dem vertrauteren Begriff der "Landschaft". Wenn wir eine Landschaft betrachten sehen wir weit mehr als unsere Sinne uns mitteilen: Wir ‘sehen’ den Einfluss von Wind, Wetter und Klima, von den Wachstumszyklen der Natur, von dem Leben der Tiere und der Menschen. Übereinstimmend schief gewachsene Bäume, zum Beispiel, zeigen Küstenwinde und die Nähe des Meeres an. Hecken und Steinwälle ‘berichten’ über die Lebensweise und Art der Landwirtschaft der Menschen die dort leben und lebten, und dies auch dann, wenn weder sie noch ihre Behausungen sichtbar sind. Die Steinwälle geben Aufschluss über die geologischen Verhältnisse in dem Gebiet, über die Geschichte der Bewirtschaftung und die Tiere deren Lebensräume wir hier vorfinden. Die Art, wie die Steinwälle errichtet sind und wie sie erhalten werden, lassen uns außerdem auf die aktuellen menschlichen Tätigkeiten und über die gegenwärtige wirtschaftliche Situation der im Gebiet angesiedelten landwirtschaftlichen Betriebe schließen. Die Landschaft ist eine Chronik der Lebensweisen und der Gewohnheiten15. Wir können sie ‘lesen’ wie geschichtliches Dokument in dem Aktivitäten in Zeit und Raum festgehalten sind. Ja, es läßt sich sagen, daß das sichtbare Phänomen "Landschaft" all jene unsichtbaren Einflußfaktoren, die es konstituiert haben, in sich birgt, denn Landschaft ist immer auch das, was räumlich und zeitlich abwesend ist. Eine Landschaft erzählt die Geschichte von unsichtbaren Kräften, von den sich wechselseitig bedingenden Prozessen, aus der ihre Existenz hervorgegangen ist. Im Blick der Betrachter aber kann Landschaft natürlich niemals etwas sein, das objektiv und absolut gegeben ist: Was jene sehen, hängt prinzipiell von ihrem Vorwissen, von ihren Fähigkeiten Schlüsse zu ziehen und von ihrer Vorstellungskräften ab. Es ist die Einheit von sichtbaren Phänomenen und unsichtbaren Prozessen, von Beobachtern und Beobachtetem, welche die jeweils besonderen Räumlichkeiten - ob als Landschaft, cityscape or seascape16 - hervorbringt und definiert. Zusammenfassend lassen sich vier wichtige Punkte hervorheben: 15 Vgl. hierzu Shama 1995. The scape ist schwierig ins Deutsche zu übersetzen da “Schaft” nicht den gleichen eigenwertigen Sinn hat wie ‘the scape’: Stadtschaft und Seeschaft sind Worte die nicht in Benutzung sind. Man mußte deshalb cityscape and seascape mit Stadtlandschaft und Seelandschaft übersetzen. 16 10 "Landschaft" ist eine Aufzeichnung dessen, was tätig auf sie einwirkt. Diese Aufzeichnung enthält auch das, was abwesend ist. Sie wird erst aus dem Zusammenwirken von Natur und Kultur begreifbar - erst wenn beide Sphären sich in ihr zu einem einheitlichen Ganzen verbinden. Schließlich läßt sich Landschaft grundsätzlich nur in der Relation zum Blickwinkel derer die sie betrachten, verstehen17. Durch diese Merkmale unterscheidet sich die dem Landschaftsbegriff zugrunde liegende Sichtweise grundlegend von der dualistischen Konzeption, in der Natur und Kultur als einander ausschließende - gar als gegensätzliche Sphären gesehen werden: Kultur als menschliches Produkt, als ‘Nichtnatur’ und Natur als das, was sich ohne menschliches Zutun entwickelt, was unabhängig von menschlichen Zwecken und losgelöst von menschlicher Tätigkeit evolviert. Doch ein solcher Dualismus ist völlig nutzlos, wenn es darum geht, Phänomene der Umweltzerstörung zu verstehen18. Die Trennung zwischen Natur und Kultur ist obsolet geworden wenn der Einfluß menschlicher Aktivitäten sich von der Ozonschicht bis zu den Zellen aller Lebewesen erstreckt. Kultur ohne Natur was nie tragbar aber heute ist auch Natur ohne Einfluß von Kultur nicht mehr denkbar. Trotz der Geschichtlichkeit des Landschaftsraumes und des Antidualisms der Landschaftsperspektive ist die verzeitigte Landschaft noch kein “Timescape”. Gesellschaftlichbeeinflußte Natur ist als Zeitgestalt in Bezug auf ihre Zeitlichkeit zu verstehen. Das bedeutet auf allen Ebenen des Daseins ihre Rhythmizität und Zeitskalen, Tempi und Intensitäten, ihre Pausen und regenerativen Restperioden, ihre unvermeidliche Irreversibilität, ihre immanenten und latenten Prozesse, Eigenzeiten und Systemzeiten, ihre Symphonie von “timings” und Synchronisationen, Dauer und Sequenzen, ihre Interpenetration von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 19. Ich habe den Begriff "Timescape" theoretisch entwickelt um eine Sensivität für die zeitlichen Abhängigkeiten und Abwesenheiten der gesellschaftlichbeeinflußten Natur zu fördern auf deren Grundlage das Phänomen der Umweltzerstörung als ein einheitlicher Komplex von Zeitgestalten begreifbar wird. Da wir über kein Sinnesorgan für die zeitliche Dimension verfügen, enthält die "Timescape"-Perspektive einen veränderten Blickwinkel, der stärker noch als die mit dem Landschaftsbegriff verbundene Betrachtungsweise, darauf ausgerichtet ist, das, was unsichtbar und außerhalb der Reichweite unserer Sinne liegt, sichtbar zu machen. Die diesem Begriff zugrunde liegende Sichtweise verlangt geradezu nach Vervollkommnung unserer Sinne im Einklang mit unseren Vorstellungskräften - nach dem Zusammenhang von Merk- und Wrkwelt, von Natura Naturata und Natura Naturans. Wir können hierin erfahren, wie die Sinne eingebunden in unsere Körper und die Umwelt tätig werden. Eine timescape-Perspective macht deutlich daß sich Industriezeit und natürliche Zeiten auf konfliktträchtige Weise wechselseitig durchdringen und sich somit aktiv als Ganzes konstituieren. Die Konzeption, für die "Timescape" steht, umschließt alle jene Aspekte, die dieses in sich widersprüchliche Zeitganze ausmachen: Latenz und Immanenz, Verlauf und Intensität, Kontingenz und Kontext, Eigenzeiten und Zeitskalen von Veränderungsprozessen und schließlich den Einfluß auf die Gegenwart der Vergangenheit und der Projektion in eine unendliche Zukunft. Der Blick auf "timescapes” erlaubt uns in zeitlichen Perspektiven zu denken und zu leben. Auf der Wissensebene werden wir dazu befähigt, jene Sicht- und Herangehensweisen zu überwinden, die zentral mit der ökologischen Krise verwickelt sind. Es ist der Boden, auf dem die Wege des Verstehens klar und deutlich in Handlungen übergehen können wie weitegehend in dem Projekt der Tutzinger Akademie, ‘Ökologie der Zeit’, vorgeführt wird20. Abschließend können wir sagen, daß der Zugang zum Verständnis der sozialen Prozesse über die Analyse der Umgangsweise mit Zeit, d. h. eine “timescape”-Perspektive, uns notgedrungen mit einer Reihe von Konsequenzen konfrontiert: Das Denken in hierarchischen Gegensätzen wird untermauert und die in jedem einzelnen Moment enthaltene Komplexität tritt in den Vordergrund - Zeit wird nicht entweder gekauft oder gegeben wird, sondern zugleich genutzt, zugeteilt, vermarktet, gemessen, gelebt, erschaffen und konstruiert, und all dies geschieht gleichzeitig. Wir bekommen Einblick in die Weise wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich 17 Für eine ausführliche Ausarbeitung des Konzeptes verweise ich auf Adam 1997. Siehe Adam 1993 und 1997. 19 Vgl. Adam 1997; Adam et al. 1997; Held und Geißler 1993 und 1995; Schneider et al. 1995; und Stüttgen 1988. 20 Vgl. Adam et al. 1997; Held und Geißler 1993 und 1995; Schneider et al. 1995. 18 11 gegenseitig durchdringen. Wir werden uns klar darüber, auf welche Art die produktiv-reproduktiven, die öffentlich-privaten und die industriell-häuslichen Lebensweisen von Frauen sich alle gegenseitig zum Inhalt haben und gegenseitig konstituieren. Zweitens sehen wir Machtverhältnisse mit anderen Augen. So erkennen wir beispielsweise die Uhrzeit als eine Form des industriellen Imperialismus. Wir verstehen die damit einhergehende Entwertung aller jener Zeiten, die nicht quantifizierbar und in Geldwerte transformierbar sind, so wie wir auch die der Geschwindigkeit anhaftende Aufwertung, wie sie sich bei allen kolonisierenden Rationalisierungsprozessen Geltung verschafft, verstehen. Drittens verstehen wir jetzt einen der elementaren Gründe, weshalb Frauen und Natur innerhalb des dominanten Diskurses der Newtonschen Wissenschaft und innerhalb der cartesianischen Philosophie als das "Andere" konstruiert sind. Auf diesem Wege verstehen wir dann auch, daß alles was nicht kulturelltechnologisch objektivierbar, quantifizierbar und tauschbar ist - alles was aus dem Rahmen des rationalistischen Denkens der Aufklärung herausfällt - im Schatten der industriellen Werte negiert und verschwiegen wird. Schließlich bemühen wir viertens darum, mit dem Blick auf die komplexe, kontextgebundene Zeitlichkeit des Lebens die Folgen des abstrakten, nicht eingebundenen, "körperlosen" historischen Denkens und die hierin zum Ausdruck kommende Beziehung zur Uhrzeit als "Zeit an sich" überschauen zu können. Auf diesem Weg der konzeptionellen Besinnung und Dekonstruktion beginnen wir selbstbewußt mit der Rekonstruktion von unserem Umgang nicht nur mit der Zeit sondern auch mit der Mitwelt. So Schreibt Elisabeth Ermarth (1992:2) daß wir auf Grund dieses Umdenkens “unsere gedanklichen Manöver als Eingriffe erkennen die nicht mehr als 'neutral' oder als 'natürliches Verhalten' bezeichnet werden können, sondern statt dessen als Übung in Verantwortung und Freiheit zu verstehen sind." Die “timescape”-Perspektive bringt Verantwortung mit sich für einen expliziten und reflektierten Umgang mit Zeiten und für die Gestaltung nicht nur unserer Gegenwart und Vergangenheit, sondern, viel wichtiger noch, die Verantwortung für die langzeitliche Erzeugung von Zukunft - der zukünftigen Gegenwart unserer Nachkommen. Literatur Adam, B. (1989), Feminist Social Theory Needs Time. Reflections on the Relation between Feminist Thought, Social Theory and Time as an Important Parameter in Social Analysis, in: Sociological Review, 37. Jg., 458 -473 Adam, B. (1990), Time and Social Theory. Cambridge (UK), Philadelphia Adam, B. 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