Komm - In Petite Flamme Deutschland Kommunikation und Information über unser Kongo-Projekt Astrid-Juliane Müller Henning Bess e-mail: [email protected] Internet: www.petite-flamme.de Militärlager, „Schule unter dem Baum“: Camp Tshatshi Donnerstag, 22. Mai 2008 E-mail-Nachricht von Henning, meinem Mann. Betrifft: die Patenschaft, die ihm einer seiner Soldaten-Mitarbeiter quasi zum Geschenk gemacht hat, zu seinem Geburtstag. Chiara, das kleine Mädchen von den Drillingen (Emmanuel, Giovanni+Chiara), die bei unserer Amisa im St. Joseph-Hospital geboren wurden und deren Mutter bei der Geburt verstorben ist, wird gerne akzeptiert und freudig als Patenkind willkommen geheißen. Nun warten die neuen Paten dringend auf Bilder von mir. Auch wenn ich noch keine Bilder habe, so antworte ich noch schnell. Heute fahren wir nach Camp Tshatshi und es geht erst etwas später los. Die Lage in diesem riesigen Militärlager ist seit einiger Zeit sehr schwierig und etwas unübersichtlich: viele Soldaten werden in die kriegerischen Regionen im Osten verlegt. Ihre Familien verschwinden dann auch sehr oft über Nacht. Mal kommen die einen, mal andere Kinder in die Schule. Jetzt, so sagte mir Monika-Maria, sind sie dabei eine neue Struktur aufzubauen um dem Wechsel der Kinder (und der schlechten Übersicht) entgegen zu wirken. Bis jetzt sind noch alle Kinder, die wir vermittelt haben, immer mal gesehen worden. Was heißt denn „immer mal“, frage ich erschreckt. Die Kinder sind oft krank, kommen tagelang, wochenlang nicht in die Schule. Die Waisenkinder werden auch innerhalb der Erziehungsfamilie hin und her geschoben. Aber es sind noch alle da. Es wird dringend nach Stabilisierung gesucht. (im August, höre ich, dass sich viel getan hat im Camp, viel Hilfe angekommen ist und es sehr gut in der Schule funktioniert. Sie haben ein gutes Ferienprogramm durchgeführt, mit großer Beteiligung). In Camp Tshatshi, so hat man mir erklärt, sind wir auch zum Essen eingeladen. Ach du liebe Zeit! Ich kann mich noch gut an letztes Jahr dort erinnern: in diesem finsteren, schmuddeligen Raum, der Sakristei der Kirche, wo ein umfangreiches kongolesisches Essen schon gleich auf die Teller gehäuft wurde. Damals ahnte ich es nicht und war auch noch unvorbereitet. Und heute? Da muss ich wohl durch! Nach dem Frühstück gehe ich noch mal rüber in mein Zimmer. Es ist immer etwas zu sortieren oder zu organisieren. Mir bleibt sogar noch Zeit mich hinzulegen, was auch gut tut und wirklich wichtig ist, um gesund zu bleiben. Die Hitze, -heute scheint die Sonne schon um 9 Uhr- , überhaupt das Klima, dann diese schlechte Luft in der Stadt und besonders hier am Boulevard, konzentriertes Programm und vor allem ständiges Kommunizieren strengt doch wirklich sehr an. Ich kriege aber alles mit Ruhe hin, wasche sogar zwischendurch noch schnell Handwäsche. Als ich in das Haupthaus zurückkomme, ist Dada schon da, Monika-Maria hat uns einen Espresso gemacht. Der tut jetzt richtig gut. Um 10 Uhr geht es dann los nach Tshatshi. Wie gewohnt, mit Remond als Fahrer, Papa Takashi vorne, MonikaMaria, Dada und ich hinten. Auf der Ladefläche die Kartons voller Spenden aus dem Container. Als wir dann ins Camp abbiegen müssen, -soweit ist die Straße ja o.k.-, muss ich schon gleich den Atem anhalten: wir müssen einen Abwassergraben überqueren, über den zwei völlig durchgebogene und extrem schmale Metallschienen führen. Die herumwuselnden Menschen bleiben stehen und gucken, am Straßenrand sitzende Männer geben ihre schlauen Kommentare ab. Remond peilt, wie er diese äußerst wackelige Konstruktion anfahren muss. Wenn er diese durchgebogene Schiene mit Schwung überfahren wird, könnte sie nach dem Überfahren mit den Vorderreifen unter den Wagen knallen und die Hinterreifen kriegen sie dann vielleicht nicht mehr zu fassen. Fährt Remond zu langsam, hängen die Vorderreifen in der Kuhle der Schiene und nichts geht mehr. Papa Takashi springt raus und weist ein – so wie andere Herumstehende. Nun würde ich am liebsten aussteigen und zu Fuß über den Graben springen, doch wir „Mondele“ erregen schon genug Aufsehen, aussteigen ist keine gute Idee. Remond guckt noch mal vorsichtig und fährt los. Es gibt einen heftigen Ruck. Die Vorderräder knallen durch die Kuhle im Blech. Ich halte die Luft an, ob die Hinterräder die Schiene treffen? Ein zweiter Ruck, das Blech hinter uns scheppert und wir sind drüber. Utsch. Geschafft. Die Straße dahinter hat diesen Namen nicht verdient, diese Motocross ähnliche Piste erinnert an Makala. Aber man gewöhnt sich ja schnell an vieles. Schon sitze ich wieder entspannt und weiß ja inzwischen, dass ich unserem Fahrer wirklich vertrauen kann. In der Piste sind Löcher, in der manchmal die vor uns fahrenden Autos so tief verschwinden, dass wir nur noch gerade die obere Dachkante sehen. Die Aussicht hier oben ist aber, wenn man nicht gerade in einem der Löcher versinkt, wunderschön: man sieht viel Grün und weite Landschaft. Es weht ein angenehmer Wind. Die Häuser hier oben, die mal wirklich schön gewesen sein müssen, sind aber in einem grauenhaft erbärmlichen Zustand. Und, wie wir wissen, hausen sie ja mit einer solchen Vielzahl von Menschen darin, dass es für uns einfach unvorstellbar ist. Letztes Jahr hätte ich nicht für möglich gehalten, dass der Zustand der Häuser sich noch verschlechtern kann ohne dass sie komplett zusammenbrechen! Wahnsinn. Wie erbärmlich leben diese armen Menschen! Nein, darüber darf ich jetzt gar nicht nachdenken, denn Hoffnungslosigkeit lähmt bekanntlich. Also, 1/ 9 an die Weite, den Wind und die gute Aussicht denken, dann geht es wieder. Schließlich kommen wir an der kleinen kaputten katholischen Kirche an. Leichte Hektik bricht aus. Wir sind offenbar überraschend früh, die Kinder noch nicht aufgestellt, rennen hin und her. Ich bin ganz froh darüber, kann mich selbst sammeln, mit der Situation vertraut machen. Erwartungsvoll, doch ruhig sitzt eine Gruppe Frauen unter dem Baum. Monika-Maria erklärt mir, das sind Mütter, die bei Petite Flamme sehr erfolgreich alphabetisiert worden sind. Das finde ich ganz toll! Sie sind auch sehr dankbar – und stolz darauf! Es dauert nicht lange und die Kinder sind formiert und marschieren, im wahrsten Sinne des Wortes, ein. „Soldatenkinder im Soldatencamp eben“, sagt MonikaMaria mit einem leichten Seufzer. Ich muss schon tief Luft holen und bin sehr betroffen über diesen kunterbunten Haufen Schüler aller Altersklassen. Mit verrissen und zerschlissenen Schuluniformen. Sie haben hier oft gar keine private Kleidung und tragen immer nur diese eine Schulkleidung. Monika-Maria erzählt mir, was ich eigentlich weiß, aber was gut ist, jetzt noch einmal ins Gedächtnis gerufen zu bekommen: alles Waisen oder Halbwaisen. Traumatisiert durch den Krieg. Und so sind auch ihre Auffüh- rungen: das Elend, die bittere Not, die schlimmen Krankheiten finden sich in allen Beiträgen wieder und sind vorherrschendes Thema. Die rötliche Färbung in den eigentlich schwarzen Haaren der Kinder verrät den Proteinmangel. Die dicken Bäuche mancher Kinder, so sagt mir Monika-Maria, deuten meist auf Anämie SS hin. Dürr sind sie alle, auch die mit den dicken Bäuchen. Papa Jean-Bosco macht hier einen guten und nicht leichten Job, aber heute schwitzt er sehr, ist aufgeregt, meint Monika-Maria. Er hatte ihr im Vorwege unseres Besuches einiges gebeichtet, wozu ihn sein Bruder bewegt hat. Er weiß wohl auch, dass ich eingeweiht bin. Ein Punkt war, dass er seine (sehr intelligente) Tochter Issa zur Patenvermittlung als Waise ausgegeben hat, die bei der Tante lebt. Er wollte natürlich, dass Issa versorgt ist und zur Schule gehen kann. Als Schulleiter darf er für seine eigenen Kinder keine Paten haben, denn unsere Lehrerkinder werden nicht vermittelt. Die Vorführungen der Kinder, so stelle ich mit Freude fest, haben gute Fortschritte gemacht –und das sage ich auch in meiner Rede zum Abschluss. Natürlich gebe auch ich ihnen meine kleine Vorführung, also Issa und ein größer Junge, Owen, bekommen ein Papa-Amiral-T-Shirt geschenkt und ich singe das Lied QUE NOS ROUTES und führe es vor. 2/ 9 Witzig, eine Mutter später dazu kommt und das Bild von Papa Amiral auf der Brust von Owen sieht, ruft sie ganz erfreut: „Mbote Papa Amiral!“ Wir drehen uns lachend zu ihr um. Nach der Vorführung erhalten wir große Geschenke: eine große Stange Zuckerrohr, von der ich erst einmal gar nicht weiß, was das ist, eine ganze Lage Eier, eine große Tüte Papaya und eine mit Apfelsinen. Damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet und bin völlig sprachlos. Welch ein Glück, dass wir nun die Kartons mit den Spenden vom Auto holen können und so auch etwas haben! Außerdem habe ich für jedes Kind eine Traubenzuckerkette, die ich jedem Kind einzeln über den Kopf ziehe. Leider fehlt am Ende eine Kette und weil MonikaMaria darum die letzte Kette teilen will, zerreißt sie sie – und alle Traubenzuckerperlen fallen in den Sand! So gingen Owen und Issa leer aus, doch sie hatten ja die T-Shirts. Ich gebe ihnen schnell noch je ein Gummitwist. 3/ 9 Von links: Angele, Owel, Dada, Maman Julie, Atilongo, Manegabe, Balegaza, Elongo, Issa. Wir machen viele schöne Fotos, oben mit unseren Patenkindern und hier mit den alphabetisierten Müttern (rechts ist Remond, unser guter Fahrer). 4/ 9 Petite Flamme Camp Tshatshi: Lehrer und Schulleiter. Rechts Papa Jean Bosco, links neben ihm sein Bruder Papa Theodor Endali 5/ 9 Owen und Issa 6/ 9 7/ 9 Ich möchte noch einmal durch die Kirche gehen. Dieselben kaputten Bänke wie letztes Jahr, jetzt in noch schlechterem Zustand, logisch. Es ist ein Trauerspiel. Dann steigen wir ins Auto ein, denn wir essen heute nicht in der Sakristei –welch ein Segen- sondern zu Hause bei Papa Jean-Bosco. Auch sein Haus ist eines der alten, furchtbar heruntergekommenen Häuser der Belgier, mindestens 8 Kinder auf der stark brüchigen Treppe davor. Türen gibt es nicht, nur Vorhänge. Ich folge Jean-Bosco in den großen Raum, der mal sehr schön gewesen sein muss. Später schätze ich ihn:12-14 m lang, 8 m breit, schwarz-weiße, jetzt natürliche kaputte, Fliesen. Ein kaputter offener Kamin, von dem das Mauerwerk bröselt. Ein mit Brettern vernageltes Fenster neben der Vorhangtür zur Terrasse. Rechts davon eine Kühltruhe, die uns eine angenehm temperierte Cola bereitstellt. Eine Polstersitzgruppe und ein Esstisch für 6 Personen sowie eine Anrichte – das ist alles in diesem großen Raum. „Was glaubst Du wohl, mit wie vielen Leuten aus ihrer Familie die hier nachher wieder sind, hier wohnen?!“ wird Monika-Maria später zu mir sagen. Wir nehmen erst einmal in der Polstergruppe Platz und Papa Jean-Bosco unsicher eine Cola an. Kaum haben wir sie, sollen wir aufstehen und zu Tisch gehen. Seine Frau und eine Tochter, sowie servieren uns, Dada, Monika-Maria und mir, das Essen: Huhn, Reis, gegrillte Bananen und das leckere Grüngemüse Lenga-Lenga. Ich nehme Reis, Lenga-Lenga und ein Stück Banane, womit ich selig bin. Alles lecker und bekömmlich. Monika-Maria bittet Jean-Bosco mit uns zu essen, was im Kongo nicht üblich ist: der Gastgeber isst nicht mit am Tisch sondern hinterher. Er isst mit großem Appetit, aber äußerst sparsam: „ da draußen warten noch viele Münder auf etwas zu essen“, sagt er, was mich etwas betreten macht. Er erzählt von den dem schwierigen Leben der Soldaten hier. Bevor wir gehen, möchte er uns gerne noch mit auf seine Terrasse nehmen: dort sitzen eine ganze Reihe Menschen, sehr, sehr Bedürftige mit großer Not: da sitzt eine noch gar nicht alte Frau, die gerade und plötzlich erblindet ist, mit ihre Tochter. Ein kleiner, sehr alter Mann wird uns vorgestellt. Er ist Krankenpfleger und wird noch dringend gebraucht, kranke Kinder mit ihren jungen Müttern…Ich weiß gar nichts zu sagen und halte mich immer nur dicht hinter Monika-Maria, die für jeden gute Worte findet, während ich mit meinem Kloß im Hals kämpfe. Kurz, aber sehr freundlich begrüßt sie die Wartenden und verabschiedet sich auch gleich wieder. Auf der anderen Seite steht unser Wagen - und viele Kinder sind drum herum. Noch ein paar Fotos und dann bin ich froh, als wir in den Wagen steigen und über die Piste davonhoppeln. Viele beklemmende Eindrücke setzen sich fest und das Mitgefühl für diese bedauernswerten Menschen, die sich so bemühen, durch das Leben zu kommen. Dada neben mir hat das Tablett mit den Eiern auf dem Schoß. Wenn das man gut geht. Unser Fahrer Remond ist wirklich klasse und chauffiert uns prima durch Schlamm und Abfall, bis wir wieder vor dem Abwassergraben vor der Straße kommen. Die verformten Blechschienen werden wieder verrückt, die im Schatten sitzenden Männer geben wieder ihre Ratschläge. Remond steht der Schweiß auf der Stirn, was ich bei ihm noch nie gesehen habe. Mit Bedacht fährt er los. Genau in der Kuhle des Bleches über dem Kanal hängt die Vorderachse fest. Wenn er jetzt Gas gibt, fliegen vielleicht die Bleche weg und die Hinterachse plumpst in den Graben. Und er gibt Gas, - die Bleche knallen unter den Wagen, fallen zurück - und die Hinterachse folgt der Spur! Puuh! Wir sind wieder unbeschadet rüber gekommen, stehen jetzt aber quer zur Fahrtrichtung auf der viel befahrenen Straße. Zuhause marschiere ich erschöpft in meine Kammer. Doch statt mich hinzulegen und auszuruhen, fallen mir wieder 1000 Dinge ein, die ich für den morgigen Tag vorbereiten muss. So dauert es noch, bis ich nach meiner Eimerdusche zu einer Viertelstunde meine Koje aufsuchen kann. Als ich ins Haupthaus komme, empfängt mich Edi: Monika-Maria hat uns Kaffee gemacht! Oh, wie prima. Den nehmen wir mit und Edi und ich ziehen uns auf die Terrasse zurück um zu arbeiten: wir schreiben auf, was wir alles zu erledigen haben, sichten die mit dem Container angekommenen Pakete für die Beschenkung einzelner Kinder. Dabei stellen wir fest, dass wir eines nach Makala hätten mitnehmen müssen. Naja, reichen wir es nach. Wir packen und planen. Als wir endlich soweit sind, beziehen wir wieder meinen Lieblingsplatz auf der Einfahrt und klönen noch eine halbe Stunde bevor es Essen gibt. Spaghetti. Die sind lecker. Dazu möchte ich nun den neulich geschenktbekommenen Wein auf machen und zwar beide Flaschen für uns 6 Personen. So viel Askese ist mir jetzt zu viel. Edi wird nach einem halben Glas ganz kicherig, was ich lustig finde. Sie ist richtig nett beschwingt. Doch von mir unbemerkt 8/ 9 erhält sie ein Zeichen von Monika-Maria und ist plötzlich wieder ruhig. Später erzählt mir Monika-Maria lachend, dass sie ihr unter dem Tisch einen leichten Tritt gegeben hat. Ich freue mich, dass Anna schweigend auch ein zweites Glas genießt. Monika-Maria und Maria-Pia trinken nur ein halbes – und ich, zwei schöne volle Gläser des köstlichen Rotweins. Aber der volle Genuss ist es nicht, wenn alle so zurückhaltend sind. Was soll’s, danach bin ich auch schön „entspannt“. Nun der Abwasch. Ich bin noch gar nicht fertig, da steht Anna schon wieder lächelnd in der Tür um mit mir rüber zu gehen. Ich bin nicht gewohnt, meine Arbeit dann fallen zu lassen, die andere dann weiter machen müssen. Aber hier gibt es keinen Widerspruch. Also Abpfiff. Es ist kurz nach 20 Uhr. Karraffendusche und Berichtschreiben. 9/ 9