Mittwoch, 21 Mai 2008

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Komm - In Petite Flamme Deutschland
Kommunikation und Information über unser Kongo-Projekt
Astrid-Juliane Müller
Henning Bess
e-mail: [email protected]
Internet: www.petite-flamme.de
Militärlager, „Schule unter dem Baum“: Camp Tshatshi
Donnerstag, 22. Mai 2008
E-mail-Nachricht von Henning, meinem Mann. Betrifft: die Patenschaft, die ihm einer seiner Soldaten-Mitarbeiter quasi zum Geschenk gemacht hat, zu seinem Geburtstag. Chiara, das kleine Mädchen von den Drillingen (Emmanuel, Giovanni+Chiara), die bei unserer Amisa im St. Joseph-Hospital geboren wurden und deren Mutter bei der Geburt verstorben ist, wird gerne akzeptiert und freudig als Patenkind willkommen geheißen. Nun warten die neuen Paten dringend auf Bilder von
mir. Auch wenn ich noch keine Bilder habe, so antworte ich noch schnell.
Heute fahren wir nach Camp Tshatshi und es geht erst etwas später los. Die Lage in diesem riesigen Militärlager ist seit einiger Zeit sehr schwierig und etwas unübersichtlich: viele Soldaten werden in die kriegerischen
Regionen im Osten verlegt. Ihre Familien verschwinden dann auch sehr oft über Nacht. Mal kommen die einen,
mal andere Kinder in die Schule. Jetzt, so sagte mir Monika-Maria, sind sie dabei eine neue Struktur aufzubauen um dem Wechsel der Kinder (und der schlechten Übersicht) entgegen zu wirken. Bis jetzt sind noch alle
Kinder, die wir vermittelt haben, immer mal gesehen worden. Was heißt denn „immer mal“, frage ich erschreckt.
Die Kinder sind oft krank, kommen tagelang, wochenlang nicht in die Schule. Die Waisenkinder werden auch
innerhalb der Erziehungsfamilie hin und her geschoben. Aber es sind noch alle da. Es wird dringend nach Stabilisierung gesucht.
(im August, höre ich, dass sich viel getan hat im Camp, viel Hilfe angekommen ist und es sehr gut in der Schule
funktioniert. Sie haben ein gutes Ferienprogramm durchgeführt, mit großer Beteiligung).
In Camp Tshatshi, so hat man mir erklärt, sind wir auch zum Essen eingeladen. Ach du liebe Zeit! Ich kann mich
noch gut an letztes Jahr dort erinnern: in diesem finsteren, schmuddeligen Raum, der Sakristei der Kirche, wo
ein umfangreiches kongolesisches Essen schon gleich auf die Teller gehäuft wurde. Damals ahnte ich es nicht
und war auch noch unvorbereitet. Und heute? Da muss ich wohl durch! Nach dem Frühstück gehe ich noch mal
rüber in mein Zimmer. Es ist immer etwas zu sortieren oder zu organisieren. Mir bleibt sogar noch Zeit mich
hinzulegen, was auch gut tut und wirklich wichtig ist, um gesund zu bleiben. Die Hitze, -heute scheint die Sonne
schon um 9 Uhr- , überhaupt das Klima, dann diese schlechte Luft in der Stadt und besonders hier am Boulevard, konzentriertes Programm und vor allem ständiges Kommunizieren strengt doch wirklich sehr an. Ich kriege aber alles mit Ruhe hin, wasche sogar zwischendurch noch schnell Handwäsche. Als ich in das Haupthaus
zurückkomme, ist Dada schon da, Monika-Maria hat uns einen Espresso gemacht. Der tut jetzt richtig gut. Um
10 Uhr geht es dann los nach Tshatshi. Wie gewohnt, mit Remond als Fahrer, Papa Takashi vorne, MonikaMaria, Dada und ich hinten. Auf der Ladefläche die Kartons voller Spenden aus dem Container. Als wir dann ins
Camp abbiegen müssen, -soweit ist die Straße ja o.k.-, muss ich schon gleich den Atem anhalten: wir müssen
einen Abwassergraben überqueren, über den zwei völlig durchgebogene und extrem schmale Metallschienen
führen. Die herumwuselnden Menschen bleiben stehen und gucken, am Straßenrand sitzende Männer geben
ihre schlauen Kommentare ab. Remond peilt, wie er diese äußerst wackelige Konstruktion anfahren muss.
Wenn er diese durchgebogene Schiene mit Schwung überfahren wird, könnte sie nach dem Überfahren mit den
Vorderreifen unter den Wagen knallen und die Hinterreifen kriegen sie dann vielleicht nicht mehr zu fassen.
Fährt Remond zu langsam, hängen die Vorderreifen in der Kuhle der Schiene und nichts geht mehr. Papa
Takashi springt raus und weist ein – so wie andere Herumstehende. Nun würde ich am liebsten aussteigen und
zu Fuß über den Graben springen, doch wir „Mondele“ erregen schon genug Aufsehen, aussteigen ist keine
gute Idee. Remond guckt noch mal vorsichtig und fährt los. Es gibt einen heftigen Ruck. Die Vorderräder knallen durch die Kuhle im Blech. Ich halte die Luft an, ob die Hinterräder die Schiene treffen? Ein zweiter Ruck, das
Blech hinter uns scheppert und wir sind drüber. Utsch. Geschafft. Die Straße dahinter hat diesen Namen nicht
verdient, diese Motocross ähnliche Piste erinnert an Makala. Aber man gewöhnt sich ja schnell an vieles. Schon
sitze ich wieder entspannt und weiß ja inzwischen, dass ich unserem Fahrer wirklich vertrauen kann. In der
Piste sind Löcher, in der manchmal die vor uns fahrenden Autos so tief verschwinden, dass wir nur noch gerade
die obere Dachkante sehen. Die Aussicht hier oben ist aber, wenn man nicht gerade in einem der Löcher versinkt, wunderschön: man sieht viel Grün und weite Landschaft. Es weht ein angenehmer Wind. Die Häuser hier
oben, die mal wirklich schön gewesen sein müssen, sind aber in einem grauenhaft erbärmlichen Zustand. Und,
wie wir wissen, hausen sie ja mit einer solchen Vielzahl von Menschen darin, dass es für uns einfach unvorstellbar ist. Letztes Jahr hätte ich nicht für möglich gehalten, dass der Zustand der Häuser sich noch verschlechtern kann ohne dass sie komplett zusammenbrechen! Wahnsinn. Wie erbärmlich leben diese armen
Menschen! Nein, darüber darf ich jetzt gar nicht nachdenken, denn Hoffnungslosigkeit lähmt bekanntlich. Also,
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an die Weite, den Wind und die gute Aussicht denken, dann geht es wieder. Schließlich kommen wir an der
kleinen kaputten katholischen Kirche an.
Leichte Hektik bricht aus. Wir sind offenbar überraschend früh, die
Kinder noch nicht aufgestellt, rennen hin und her. Ich bin ganz froh
darüber, kann mich
selbst sammeln, mit
der Situation vertraut
machen.
Erwartungsvoll, doch
ruhig sitzt eine Gruppe
Frauen unter dem
Baum. Monika-Maria
erklärt mir, das sind
Mütter, die bei Petite
Flamme sehr erfolgreich alphabetisiert worden sind. Das finde
ich ganz toll! Sie sind auch sehr dankbar – und stolz darauf!
Es dauert nicht lange und die Kinder sind formiert und marschieren, im wahrsten
Sinne des Wortes, ein. „Soldatenkinder im Soldatencamp eben“, sagt MonikaMaria mit einem leichten Seufzer.
Ich muss schon tief Luft holen und bin sehr
betroffen über diesen kunterbunten Haufen
Schüler aller Altersklassen. Mit verrissen
und zerschlissenen Schuluniformen. Sie
haben hier oft gar keine private Kleidung
und tragen immer nur diese eine Schulkleidung.
Monika-Maria erzählt mir, was ich eigentlich weiß, aber was gut ist, jetzt
noch einmal ins Gedächtnis gerufen zu bekommen: alles Waisen oder
Halbwaisen. Traumatisiert durch den Krieg. Und so sind auch ihre Auffüh-
rungen: das Elend, die bittere Not, die schlimmen Krankheiten finden sich in allen Beiträgen wieder und sind
vorherrschendes Thema.
Die rötliche Färbung in den eigentlich schwarzen Haaren der Kinder verrät den Proteinmangel. Die dicken Bäuche mancher Kinder, so sagt mir Monika-Maria, deuten meist auf Anämie SS hin. Dürr sind sie alle, auch die mit
den dicken Bäuchen.
Papa Jean-Bosco macht hier einen guten und nicht leichten Job, aber heute schwitzt er sehr, ist aufgeregt,
meint Monika-Maria. Er hatte ihr im Vorwege unseres Besuches einiges gebeichtet, wozu ihn sein Bruder bewegt hat.
Er weiß wohl auch, dass ich eingeweiht bin. Ein
Punkt war, dass er seine (sehr intelligente)
Tochter Issa zur Patenvermittlung als Waise
ausgegeben hat, die bei der Tante lebt. Er wollte natürlich, dass Issa versorgt ist und zur
Schule gehen kann. Als Schulleiter darf er für
seine eigenen Kinder keine Paten haben, denn
unsere Lehrerkinder werden nicht vermittelt.
Die Vorführungen der Kinder, so stelle ich mit
Freude fest, haben gute Fortschritte gemacht –und das sage ich auch in
meiner Rede zum Abschluss. Natürlich gebe auch ich ihnen meine kleine Vorführung, also Issa und ein größer Junge, Owen, bekommen ein Papa-Amiral-T-Shirt geschenkt und ich
singe das Lied QUE NOS ROUTES und führe es vor.
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Witzig, eine Mutter später dazu kommt und das Bild von Papa Amiral auf der Brust von Owen sieht, ruft sie
ganz erfreut: „Mbote Papa Amiral!“ Wir drehen uns lachend zu ihr um. Nach der Vorführung erhalten wir große
Geschenke: eine große Stange Zuckerrohr, von der ich erst einmal gar nicht weiß, was das ist, eine ganze Lage
Eier, eine große Tüte Papaya und eine mit Apfelsinen. Damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet und bin
völlig sprachlos.
Welch ein Glück, dass wir nun die Kartons mit den Spenden vom Auto holen können und so auch etwas haben!
Außerdem habe ich für jedes Kind eine Traubenzuckerkette, die ich jedem Kind einzeln über den Kopf ziehe.
Leider fehlt am Ende eine
Kette und weil MonikaMaria darum die letzte
Kette teilen will, zerreißt sie
sie – und alle Traubenzuckerperlen fallen in den
Sand! So gingen Owen
und Issa leer aus, doch sie
hatten ja die T-Shirts. Ich
gebe ihnen schnell noch je
ein Gummitwist.
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Von links:
Angele,
Owel, Dada,
Maman Julie,
Atilongo,
Manegabe,
Balegaza,
Elongo, Issa.
Wir machen viele schöne Fotos, oben mit unseren Patenkindern und hier mit den alphabetisierten Müttern
(rechts ist Remond, unser guter Fahrer).
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Petite Flamme Camp Tshatshi: Lehrer und Schulleiter. Rechts Papa Jean Bosco, links neben ihm sein Bruder Papa Theodor Endali
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Owen und Issa
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Ich möchte noch einmal durch die Kirche gehen. Dieselben kaputten Bänke wie letztes Jahr, jetzt in noch
schlechterem Zustand, logisch. Es ist ein Trauerspiel.
Dann steigen wir ins Auto ein, denn wir essen heute nicht in der Sakristei –welch ein Segen- sondern zu Hause bei Papa Jean-Bosco.
Auch sein Haus ist eines der alten, furchtbar heruntergekommenen
Häuser der Belgier, mindestens 8 Kinder auf der stark brüchigen Treppe davor. Türen gibt es nicht, nur Vorhänge. Ich folge Jean-Bosco in
den großen Raum, der mal sehr schön gewesen sein muss. Später
schätze ich ihn:12-14 m lang, 8 m breit, schwarz-weiße, jetzt natürliche
kaputte, Fliesen. Ein kaputter offener Kamin, von dem das Mauerwerk
bröselt. Ein mit Brettern vernageltes Fenster neben der Vorhangtür zur
Terrasse. Rechts davon eine Kühltruhe, die uns eine angenehm temperierte Cola bereitstellt. Eine Polstersitzgruppe und ein Esstisch für 6
Personen sowie eine Anrichte – das ist alles in diesem großen Raum.
„Was glaubst Du wohl, mit wie vielen Leuten aus ihrer Familie die hier
nachher wieder sind, hier wohnen?!“ wird Monika-Maria später zu mir
sagen. Wir nehmen erst einmal in der Polstergruppe Platz und Papa
Jean-Bosco unsicher eine Cola an. Kaum haben wir sie, sollen wir aufstehen und zu Tisch gehen. Seine Frau
und eine Tochter, sowie servieren uns, Dada, Monika-Maria und mir, das Essen: Huhn, Reis, gegrillte Bananen
und das leckere Grüngemüse Lenga-Lenga. Ich nehme Reis, Lenga-Lenga und ein Stück Banane, womit ich
selig bin. Alles lecker und bekömmlich. Monika-Maria bittet Jean-Bosco mit uns zu essen, was im Kongo nicht
üblich ist: der Gastgeber isst nicht mit am Tisch sondern hinterher. Er isst mit großem Appetit, aber äußerst
sparsam: „ da draußen warten noch viele Münder auf etwas zu essen“, sagt er, was mich etwas betreten macht.
Er erzählt von den dem schwierigen Leben der Soldaten hier. Bevor wir gehen, möchte er uns gerne noch mit
auf seine Terrasse nehmen: dort sitzen eine ganze Reihe Menschen, sehr, sehr Bedürftige mit großer Not: da
sitzt eine noch gar nicht alte Frau, die gerade und plötzlich erblindet ist, mit ihre Tochter. Ein kleiner, sehr alter
Mann wird uns vorgestellt. Er ist Krankenpfleger und wird noch dringend gebraucht, kranke Kinder mit ihren
jungen Müttern…Ich weiß gar nichts zu sagen und halte mich immer nur dicht hinter Monika-Maria, die für jeden
gute Worte findet, während ich mit meinem Kloß im Hals kämpfe. Kurz, aber sehr freundlich begrüßt sie die
Wartenden und verabschiedet sich auch gleich wieder. Auf der anderen Seite steht unser Wagen - und viele
Kinder sind drum herum. Noch ein paar Fotos und dann bin ich froh, als wir in den Wagen steigen und über die
Piste davonhoppeln. Viele beklemmende Eindrücke setzen sich fest und das Mitgefühl für diese bedauernswerten Menschen, die sich so bemühen, durch das Leben zu kommen. Dada neben mir hat das Tablett mit den
Eiern auf dem Schoß. Wenn das man gut geht. Unser Fahrer Remond ist wirklich klasse und chauffiert uns
prima durch Schlamm und Abfall, bis wir wieder vor dem Abwassergraben vor der Straße kommen. Die verformten Blechschienen werden wieder verrückt, die im Schatten sitzenden Männer geben wieder ihre Ratschläge.
Remond steht der Schweiß auf der Stirn, was ich bei ihm noch nie gesehen habe. Mit Bedacht fährt er los. Genau in der Kuhle des Bleches über dem Kanal hängt die Vorderachse fest. Wenn er jetzt Gas gibt, fliegen vielleicht die Bleche weg und die Hinterachse plumpst in den Graben. Und er gibt Gas, - die Bleche knallen unter
den Wagen, fallen zurück - und die Hinterachse folgt der Spur! Puuh! Wir sind wieder unbeschadet rüber gekommen, stehen jetzt aber quer zur Fahrtrichtung auf der viel befahrenen Straße.
Zuhause marschiere ich erschöpft in meine Kammer. Doch statt mich hinzulegen und auszuruhen, fallen mir
wieder 1000 Dinge ein, die ich für den morgigen Tag vorbereiten muss. So dauert es noch, bis ich nach meiner
Eimerdusche zu einer Viertelstunde meine Koje aufsuchen kann. Als ich ins Haupthaus komme, empfängt mich
Edi: Monika-Maria hat uns Kaffee gemacht! Oh, wie prima. Den nehmen wir mit und Edi und ich ziehen uns auf
die Terrasse zurück um zu arbeiten: wir schreiben auf, was wir alles zu erledigen haben, sichten die mit dem
Container angekommenen Pakete für die Beschenkung einzelner Kinder. Dabei stellen wir fest, dass wir eines
nach Makala hätten mitnehmen müssen. Naja, reichen wir es nach. Wir packen und planen. Als wir endlich
soweit sind, beziehen wir wieder meinen Lieblingsplatz auf der Einfahrt und klönen noch eine halbe Stunde
bevor es Essen gibt. Spaghetti. Die sind lecker. Dazu möchte ich nun den neulich geschenktbekommenen Wein
auf machen und zwar beide Flaschen für uns 6 Personen. So viel Askese ist mir jetzt zu viel. Edi wird nach einem halben Glas ganz kicherig, was ich lustig finde. Sie ist richtig nett beschwingt. Doch von mir unbemerkt
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erhält sie ein Zeichen von Monika-Maria und ist plötzlich wieder ruhig. Später erzählt mir Monika-Maria lachend,
dass sie ihr unter dem Tisch einen leichten Tritt gegeben hat. Ich freue mich, dass Anna schweigend auch ein
zweites Glas genießt. Monika-Maria und Maria-Pia trinken nur ein halbes – und ich, zwei schöne volle Gläser
des köstlichen Rotweins. Aber der volle Genuss ist es nicht, wenn alle so zurückhaltend sind. Was soll’s, danach bin ich auch schön „entspannt“. Nun der Abwasch. Ich bin noch gar nicht fertig, da steht Anna schon wieder lächelnd in der Tür um mit mir rüber zu gehen. Ich bin nicht gewohnt, meine Arbeit dann fallen zu lassen,
die andere dann weiter machen müssen. Aber hier gibt es keinen Widerspruch. Also Abpfiff. Es ist kurz nach 20
Uhr. Karraffendusche und Berichtschreiben.
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