Brief des BER zur Streichung der Mittel für OWEN: An alle Abgeordneten Im Abgeordnetenhaus zu Berlin Niederkirchnerstr.5 10111 Berlin Betr.: Haushaltstitel 694 06, Ziffer 19 Projekt OWEN in Höhe von 161.060 Euro Sehr geehrte Damen und Herren, wie uns aus dem Pressedienst der PDS-Fraktion bekannt wurde, wurden im Rahmen der 2. Lesung des Hauptausschusses am 06.06.2002 die Haushaltmittel zur Förderung des Ost-WestEuropäischen FrauenNetzwerkes (Titel 694 06, Ziffer 19) komplett gestrichen. Diese Entscheidung löst nicht nur bei den betroffenen Frauen und deren Partnerinnen, sondern auch bei uns Unverständnis und Empörung aus. Die Tätigkeit von OWEN e.V., einem Netzwerk verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die auf Initiative von ostdeutschen Frauen aus der oppositionellen DDR-Friedensbewegung 1992 gegründet wurde, ist besonders auf die Stärkung der gesellschaftspolitischen Interessenvertretung von Frauen mit geringen Partizipationschancen in Mittel- und Osteuropa sowie von russischsprachigen ZuwanderInnen innerhalb der BRD gerichtet. Im Mittelpunkt der Inlands- wie Auslandsaktivitäten steht die Bildungsarbeit, die Unterstützung, der Austausch, die Zusammenarbeit und die Vernetzung von Strukturen der lokalen Selbstorganisation von Frauen in den Regionen Berlin/Brandenburg, Polen, Ukraine und Russland. Austausch bedeutet in diesem Zusammenhang auch die Nutzung und der gegenseitige Erfahrungsaustausch aus emanzipatorischen Basisbewegungen in Westeuropa und außerhalb Europas. In Berlin wurde von OWEN mit einem langfristigen Bildungsprogramm für Multiplikatorinnen begonnen, das sich an russischsprachige Zuwanderinnen richtet. Dieses Programm zielt auf die Förderung der aktiven Integration von Zuwanderinnen durch Stärkung ihres bürgerschaftlichen Engagements innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft. Das Zuwanderinnenprogramm wird über das Aktionsprogramm "Aktiv gegen Hass - Jugend für Toleranz und Demokratie gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" gefördert. Bereits in der Vergangenheit haben teilweise erhebliche Reduzierungen der Zuwendungen durch die Länder Berlin und Brandenburg diese Arbeit gefährdet, dennoch ist es OWEN gelungen, vor allem durch verstärktes ehrenamtliches Engagement, die Projekte weiter zu führen. Die nunmehr komplette Streichung des erwähnten Haushaltstitels für OWEN e.V. bedingt, dass alle Eigenprojekte sowie Kooperationsvorhaben mit anderen europäischen Partnern eingestellt werden müssen. Diese Entscheidung kann aus unserer Sicht nicht mit notwendigen Sparmaßnahmen begründet werden, sie ist Ausdruck des politischen Willens seitens der politischen Entscheidungsträger der Hauptstadt des vereinigten Deutschlands, sich der Verantwortung als gesamteuropäische Metropole und Brücke zwischen Ost und West für die tatsächliche Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteurinnen und Strukturen am Prozess des europäischen Zusammenwachsens zu entziehen. Wie passt das zu den in der Koalitionsvereinbarung getroffenen Aussagen? Wie lässt sich diese politische Entscheidung mit dem Anspruch, Berlin zur Drehscheibe zwischen Ost und West zu gestalten, vereinbaren? Und wie glaubwürdig sind die Versprechungen des PDS-Senators Gysi, es werde keine Kürzungen bei Frauenprojekten geben? 1 Wirtschaftssenator Gysi betont gerade heute, am 7.Juni 2002 in einem Artikel der Berliner Zeitung die exzellenten Beziehungen der Hauptstadt zu ost- und mitteleuropäischen Ländern, die für ganz Deutschland genutzt werden könnten. Dieses kulturelle Erbe aus DDR Zeiten haben die Frauen von OWEN aufgegriffen, gepflegt und weiterentwickelt. Es ist ein Schatz, den die Stadt mit Recht erhalten und sogar verstärkt nutzen sollte, wie der Senator betont. Doch den politischen Aussagen steht die politische Realität gegenüber: während in der Öffentlichkeit die vielseitigen Kontakte zum Osten und Berlin als die Schnittstelle zwischen Ost und West hervorgehoben wird, wird zur gleichen Stunde die Arbeit eines der wenigen Netzwerke zerstört, die nicht nur darüber reden, sondern diese Schnittstelle bereits mit Leben füllen. Können solch eklatanten Widersprüchlichkeiten nur mit Sparzwängen begründet werden? Es scheint ja keineswegs eine rein finanzielle Entscheidung zu sein: schließlich leistet sich das Land Berlin zum Beispiel weiterhin die Finanzierung der Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA) mit mehr als 750.000 Euro . Eine geringfügige Erhöhung der Standgebühren, die für die beteiligten Unternehmen aus der Portokasse zu bezahlen wären, würde diesen Betrag für die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement, zum Beispiel von OWEN, freisetzen. Wir bitten Sie dingend, Ihren Einfluss geltend zu machen, um die am 6. Juni - vielleicht auch unter großem Zeitdruck und ohne die Möglichkeit einer tatsächlichen Abwägung der Folgen getroffene Entscheidung rückgängig zu machen. Es geht nicht um eine Einzelfallentscheidung, sondern um eine grundlegende politische Weichenstellung. Der rot-rote Senat ist schlecht beraten, gewachsene zivilgesellschaftliche Basisbewegungen leichtfertig zu ruinieren! Es geht auch um die Rolle Berlins als Brücke zwischen Ost und West. Mit freundlichen Grüßen, i.A. des BER e.V.: Annette Berger (Geschäftsführerin) und Willi Volks (Vorstandsmitglied). 2