BENJAMIN BRITTEN: WAR REQUIEM 5. Sinfoniekonzert des

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BENJAMIN BRITTEN: WAR REQUIEM
5. Sinfoniekonzert des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters
Opernchor und Extrachor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters
Mitglieder des Extrachores der Hamburgischen Staatsoper
Einstudierung: Bernd Stepputtis
Kinderchor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters
Einstudierung: Oxana Sevostianova
Anna Schoeck, Sopran | Junghwan Choi, Tenor | Joa Helgesson, Bariton
Dirigent: Peter Sommerer
Memento mori – 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs
My subject is War, and the pity of War. The Poetry is in the pity.
All a poet can do today is warn.
Mein Thema ist der Krieg und das Mitleid, das der Krieg bringt.
Die Poesie liegt im Mitleid.
Ein Dichter kann heute nur eines tun: warnen.
Dieses knappe Bekenntnis des englischen Kriegsdichters Wilfred Owen stellte Benjamin Britten als memento
mori seinem War Requiem voran – einem der ergreifendsten und persönlichsten Werke des englischen Komponisten.
Auch 70 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs hat die Komposition in ihrer politisch-moralischen
Aussage nichts an Kraft und Wahrheit eingebüßt hat. Am 8. Mai 1945 fand der Zweite Weltkrieg mit der Kapitulation
der deutschen Wehrmacht sein schreckliches Ende. Sechs Jahre Krieg hatten in Europa ein bis dahin ungekanntes
Ausmaß an Zerstörung ausgerichtet und mehr als 60 Millionen Opfer gefordert – gefallen an der Front, ermordet
in Konzentrationslagern, gestorben an Hunger, Kälte und Gewalt. Doch nicht nur den Toten des Zweiten Weltkriegs
gedenkt das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester, wenn es Brittens War Requiem in der historisch
bedeutsamen Spielzeit 2014/15 auf den Spielplan setzt. Am 28. Juli 1914 brach nach dem Attentat von Sarajevo
der Erste Weltkrieg aus. Niemals zuvor kämpften Armeen in solch gigantischen Größenordnungen gegeneinander,
und niemals zuvor war die Zivilbevölkerung derart direkt ins Kriegsgeschehen einbezogen. Am Ende befanden
sich drei Viertel der Weltbevölkerung im Kriegszustand.
Als monumentale Anti-Kriegserklärung widmete Britten sein War Requiem den Millionen und Abermillionen
von Toten zweier verheerender Weltkriege und schuf eine Komposition, aus der stille Trauer und laute Klage,
Wut und Verzweiflung, vor allem aber eines spricht: die unstillbare Sehnsucht nach Frieden.
Hörbeispiel: http://youtu.be/eBjgLkHXv5Y
Orchestra e Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia, Antonia Pappano (Dirigent) Anna Netrebko (Sopran), Ian Bostrodge (Tenor), Thomas Hampson (Bariton), Salzburger Festspiele 2013
Historischer Hintergrund: Erinnerung an Coventry
Während des Zweiten Weltkriegs legte die deutsche
Luftwaffe das mittelenglische Städtchen Coventry in
einem zehnstündigen Bombardement in der Nacht vom
14. auf den 15. November 1940 in Schutt und Asche.
Das ganze Ausmaß des Schreckens sollte sich am nächsten
Morgen offenbaren: Mehr als 30.000 Brandbomben
trafen die Stadt, 60.00 Gebäude wurden dem Erdboden
gleichgemacht, und auch die gotische Kathedrale
St. Michael‘s brannte bis auf ihre Grundfesten nieder.
Coventry wurde zum symbolträchtigen Ort der Zerstörung, aber auch des Neubeginns: Denn schon wenige
Stunden nach dem Angriff errichten die Überlebenden
im zerbombten Gotteshaus noch aus den Trümmern einen
Altar – und meißeln auf dessen Rückseite die Worte
„Father forgive“. Dies war der zaghafte Beginn eines
Wiederaufbaus, der insgesamt 22 Jahre dauern sollte.
Winston Churchill besichtigt die Ruine der Kathedrale Anfang der 50er Jahre wurde der schottische Architekt
Sir Basil Spence mit den Plänen für den Neubau beaufSt. Michael’s in Coventry
tragt, 1954 begannen die Bauarbeiten. Als sich 1958
die Fertigstellung der neuen Kathedrale näherte, beschloss das „Coventry arts comitee“ ein Requiem in
Auftrag gegeben, das den Toten von Coventry gedenken und ein Zeichen für Frieden, Verständigung und
Toleranz setzen sollte.
Mit der Komposition wurde der erklärte Pazifist und Kriegsdienstverweigerer Benjamin Britten betraut. Bereits 1942
erklärte dieser vor einem Kriegstribunal: „Da ich davon überzeugt bin, dass jeder Mensch vom Geist Gottes erfüllt ist, bin
ich außerstande, menschliches Leben zu vernichten. Mein
ganzes Dasein ist schöpferischer Arbeit gewidmet, da ich den
Beruf eines Komponisten ausübe, und ich vermag mich nicht
an zerstörerischen Handlungen zu beteiligen.“ Zum Zeitpunkt
der Auftragsvergabe trug sich Britten schon lange mit der Idee
mit seinen Mitteln der Unsinnigkeit von Krieg und Gewalt ein
musikalisches Mahnmal zu setzen: Bereits 1945 hatte er über
ein Oratorium mit dem Titel „Mea Culpa“ nachgedacht, einer
Art Totenmesse, die den Opfern von Hiroshima gewidmet sein
sollte.
Benjamin Britten (1913 – 1976)
Die Erbärmlichkeit des Krieges
Um dem Leid und der menschenverachtenden Grausamkeit des Krieges Ausdruck zu verleihen, beschloss
Britten in seinem War Requiem nicht nur – wie für ein Requiem sonst üblich – die Worte der römischkatholischen Totenmesse Missa pro defunctis zu vertonen. Er ergänzte die lateinischen Verse der mit neun
Gedichten des englischen Lyrikers Wilfred Owen, der als Soldat im Alter von gerade einmal 25 Jahren in
den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs fiel.
Owen wurde 1893 in der englischen Grafschaft
Shropshire geboren. Da die Eltern ihm kein Studium
bezahlen können arbeitete er eine Zeit lang als
Pfarrgehilfe in Oxfordshire. Wenig später ging Owen
als Englischlehrer nach Südfrankreich. Im Sommer
des folgenden Jahres meldete er sich zur Grundausbildung der britischen Armee. Im Winter 1916
erlebte er zum ersten Mal an der Somme den Krieg
in den Schützengräben und dem Niemandsland
zwischen den Fronten. Im Mai 1917 war er einem
Zusammenbruch nahe, nachdem er zu lange unmittelbar neben den „disiecta membra“, den verstreuten
Gliedmaßen eines Freundes ausharren musste. Diese
Erfahrung hatte ihn wie so viele andere junge Männer
Europas verwandelt und versehrt. Nach einem längeren
Lazarettaufenthalt in der Heimat kehrte er noch im
September 1918 zu seinen Kameraden zurück. Wegen
besonderer Tapferkeit (er überwältigte ein deutsches
Maschinengewehrnest und nahm 20 Gefangene)
Wilfred Owen (1893 – 1918)
wurde er im Oktober 1918 ausgezeichnet und zum
Kompanieführer befördert. Eine Woche vor Kriegsende fiel Captain Wilfred Owen am Ufer des
Sambre Kanals, südlich von Valenciennes.
In eindringlichen Worten verarbeitet Owen in seiner Dichtung die traumatischen Erlebnisse, die an der
Front auf ihn einstürmten. Seine Gedichte erzählen nicht von Heldentum, Männlichkeit und Vaterlandsliebe. Sie berichten vom Grauen der Schützengräben, von zermürbenden Märschen, unmenschlichem
Schlachten, verheerenden Gaseinsätzen, entstellten Toten – und dem Menschen im feindlichen Gegenüber.
In ihrer erschütternden Gesamtheit bilden sie das literarische Zeugnis einer enthumanisierten Kriegswirklichkeit, fernab von patriotischer Verherrlichung und hohlem Pathos.
Im War Requiem verarbeitete Gedichte Wilfred Owens:
Anthem for Doomed Youth
Bugles Sang
The Next War
Sonnet. On Seeing a Piece of Our Heavy Artillery
Futility
The Parable of the Old Man and the Young
The End
At a Calvaray near the Ancre
Strange Meeting
Zwischen Wucht und Intimität
Diese ergreifenden Verse Owens überantwortet Britten im War Requiem den Tenor- und Bariton-Soli.
Begleitet von einem zwölfköpfigen Kammerensemble geben sie mit Tönen voll Bitterkeit und Empörung
den unzähligen anonymen Opfern des Krieges Gesicht und Stimme. Im scharfen Kontrast dazu ordnet
Britten die lateinischen Worte der Totenmesse dem Solosopran, gemischten Chor und vollbesetzten
Orchester zu und lässt aus ihnen eindrucksvoll die Monumentalität und Dramatik der Geschehnisse
sprechen, aber auch die Unmittelbarkeit der menschlichen Klage und Selbstanklage. Als dritte, unabhängige musikalische Instanz verbreiten die Knabenstimmen gemeinsam mit der Orgel als weit über
den Schlachtfeldern schwebender Engelschor die Botschaft von Trost und Vergebung.
Mit dem Unheil verkündenden Intervall des Tritonus, Totenglocken aus der Ferne und einem Chor, dessen
flehentlicher Sprechgesang um ewige Ruhe bittet, lässt Britten sein War Requiem beginnen: „Requiem
aeternam dona eis domine!“ – „Ewige Ruhe schenke ihnen, o Herr!“ Doch kaum ist das Gebet verklungen,
klagt das expressive Tenor-Solo mit den desillusionierenden Worten Owens an: „What passing-bells for these
who die as cattle?“ Zu deutsch: „Was für Totenglocken gebühren denen, die wie Vieh sterben?“ Das folgende
Dies irae erscheint musikalisch als kriegsreale Schilderung der Apokalypse: Mit expressiven Klangbildern,
die an Geschützdonner und Bläserfanfaren erinnern, und seinem stotternden Siebenvierteltakt wirkt
dieser Satz wie ein Sinnbild der angstvoll in die Schlacht marschierenden Menge. Das Offertorium wird
verheißungsvoll vom Knabenchor begonnen. Der lateinische Text erinnert an Gottes Versprechen, Abraham
und seine Kinder durch den Erzengel Michael zum Heil zu führen – von Britten in einer Fuge vertont. Doch
die Solisten setzen dem die groteske Realität entgegen: Abraham opferte entgegen der Anweisung nicht einen
Widder, sondern entschied sich, seinen eigenen Sohn zu töten – und mit ihm die Jugend halb Europas.
Was anschließend im Sanctus leuchtet ist demzufolge auch nicht die himmlische Pracht, sondern der blutrote Himmel, erleuchtet von Front-Feuer und Häuser-Brand. Im Unterschied zu allen anderen Sätzen
des War Requiems eröffnet Britten das Agnus Dei nicht mit dem liturgischen Text, sondern mit einem
Ausschnitt aus Owens Dichtung „At a Calvary Near the Ancre“, in dem der Dichter in grimmigem Sarkasmus
konstatiert: In solch einem Krieg würde selbst das Lamm Gottes – verlassen von seinen Jüngern – nicht
ungeschoren davonkommen. Meisterhaft führt Britten alle musikalischen Sphären im letzten Satz, dem
Libera me, zusammen. Er hebt an mit einem stillen Trauermarsch, der sich jedoch schon bald in Tempo und
Intensität steigert. Noch während der Chor in chromatisch aufsteigenden Linien um Erlösung fleht, erhebt
der Solo-Sopran seine Stimme und schreit die überbordende Angst der menschlichen Seele buchstäblich
mit seinem hohen C heraus. Doch plötzlich brechen mit aller Gewalt die Blechfanfaren des Krieges hinein,
bis es zur Explosion kommt. Danach ebbt das musikalische Geschehen nach und nach ab. In dieser Stille
nach den Schüssen lässt Britten Owens wohl bedeutungsvollstes Gedicht „Strange Meeting“ erklingen:
Fernab von Schlachtengetümmel und Kriegsgeschrei treffen sich darin zwei gefallene Soldaten im Jenseits
wieder – und erkennen im Feind von gestern, den Freund im gemeinsamen Leid. Begleitet zunächst vom
ätherischen Gesang des Knabenchors, zu dem sich auch der gemischte Chor und Sopran gesellen, finden
beide schließlich in friedlichem F-Dur zur ewigen Ruhe.
Versöhnung
Mehr noch als auf die Ächtung von Krieg und militärischem Töten kam es Britten darauf an, mit seiner Komposition
ein Zeichen der Versöhnung zu setzen: Für die Uraufführung des War Requiems am 30. Mai 1962 plante er die
solistischen Partien symbolisch mit Sängern aus drei der im Zweiten Weltkrieg verfeindeten Staaten zu besetzen:
einem Engländer, einem Deutschen und einer Russin.
Peter Pears, Dietrich Fischer-Dieskau und Galina Wischnewskaja
Den Tenorpart übernahm Brittens Lebensgefährte Peter Pears; als Bariton fragte der Komponist Dietrich FischerDieskau an, der sofort zusagte. Für die Sopranpartie war die russische Sopranistin Galina Wischnewskaja vorgesehen,
die mitten im Kalten Krieg – welch Ironie der Geschichte – von den sowjetischen Kulturbehörden keine Ausreiseerlaubnis erhielt. „Die Sowjets haben mir meinen wunderbaren russischen Sopran vorenthalten“, klagte Britten in
einem Brief. „Die Verbindung von Kathedrale und Aussöhnung mit Westdeutschland war zu viel für sie.“ So musste
kurzfristig die irische Sopranistin Heather Harper einspringen – eine äußerste erfahrene Britten-Interpretin, die
sich die Partie innerhalb von 10 Tagen aneignete. Brittens Traum einer musikalischen Völkerversöhnung erfüllte sich
erst ein halbes Jahr später bei der Ersteinspielung des War Requiems.
I am the enemy you killed, my friend. I knew you in this dark; for so you frowned yesterday through me as you jabbed and killed. I parried; but my hands were loath and cold.
Ich bin der Feind, den du getötet hast, mein Freund.
Ich erkannte dich in dieser Dunkelheit, denn mit diesem finsteren Blick
durchbohrtest du mich auch gestern, als du zustießt und tötetest.
Ich parierte, aber meine Hände waren unwillig und kalt.
Let us sleep now. Lass uns nun schlafen.
Wilfred Owen
Anna Schoeck erhielt früh Gesangs- und Geigenunterricht und entschied sich für ein Gesangsstudium an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin. Ihr professionelles Bühnendebüt
gab sie 2007 an der Komischen Oper Berlin und stand bereits ein Jahr später auch auf der
Bühne der Deutschen Oper Berlin. Dort war sie von 2007 bis 2011 Stipendiatin der FranzJoseph-Weisweiler-Stiftung und arbeitete mit namhaften Dirigenten wie Donald Runnicles,
Lothar Zagrosek oder Ulf Schirmer zusammen. Weitere Rollen und Gastspiele führten sie
u.a. an die Staatsoper unter den Linden, Oper Leipzig, das Stadttheater Bremerhaven und
nach Bayreuth. Seit September 2012 ist sie festes Mitglied im Ensemble des SchleswigHolsteinischen Landestheaters.
Junghwan Choi begann seine Gesangsausbildung in Korea an der Hanyang University in Seoul
und kam 2004 nach Deutschland, um an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin zu
studieren. Im gleichen Jahr gewann er den ersten Preis beim Go Tea Gook Gesangwettbewerb
und machte sich als Opernsänger und Konzertsolist u.a. als Ferrando in Mozarts „Cosí fan
tutte“, Riccardo in Verdis „Un Ballo in maschera“ oder Bacchus in Richard Strauss „Ariadne auf
Naxos“ sowie in Puccinis „Messa di Gloria“ oder Mozarts „Krönungsmesse“ einen Namen.
Generalintendant Peter Grisebach entdeckte den jungen Tenor in Regensburg und holte
ihn 2010 ans Schleswig-Holsteinische Landestheater, wo er seitdem viele Hauptpartien mit
Charme und tenoralem Glanz ausgestattet hat.
Joa Helgesson studierte am University College of Opera in Stockholm Gesang und vervollständigte seine Ausbildung in London am National Opera Studio. Engagements führten ihn
u.a. an die Königliche Oper in Stockholm, die Göteborger Oper, die Garsington Opera sowie
die Kammeroper Konstanz. Als Mitglied des Internationalen Opernstudios Zürich arbeitete
Helgesson 2010 bis 2012 mit Musiktheatergrößen wie Bernhard Haitink, Ingo Metzmacher und
Peter Konwitschny zusammen. Joa Helgesson ist auch als Konzertsänger international gefragt
und trat als Solist in verschiedenen Konzertsälen Schwedens, Großbritanniens, Deutschlands
und der Schweiz auf. Zur Saison 2012/13 wurde Helgesson als festes Ensemblemitglied am
Schleswig-Holsteinischen Landestheater engagiert.
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