Von einem Bauernkind aus Lothringen zur französischen Nationalheiligen. Viele Dramatiker befassten sich mit der Geschichte der Johanna von Orléans – von Schiller bis Shakespeare, und Verdi komponierte sogar eine Oper für sie. Die internationale Sopranistin Anna Netrebko singt in diesem Jahr bei den Salzburger Festspielen die Giovanna d‘Arco in einer konzertanten Aufführung. Im Gespräch mit salon spricht der sympathische Weltstar über das Konzert zum 100. Geburtstag von Benjamin Britten, über ihre Zusammenarbeit mit Plácido Domingo und ihren Sohn Tiago. PETER ELFERT: Anlässlich des 100. Geburtstages von Benjamin Britten singen Sie in diesem Jahr das War Requiem. Welche Rolle spielt Benjamin Britten, der englische Pazifist, für Sie? ANNA NETREBKO : Benjamin Britten ist ohne Zweifel einer der bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts, ein AllroundGenie. Er war ja nicht nur Komponist, sondern gleichzeitig Dirigent und ein hervorragender Pianist und Begleiter. Das War Requiem werde ich mit Antonio Pappano und der Accademia Nazionale di Santa Cecilia aufnehmen und ich freue mich, es bei den Salzburger Festspielen zum ersten Mal ’live‘ zu singen. Es ist ein enorm wichtiges Werk. Die Uraufführung 1962 in der wieder aufgebauten Kathedrale von Coventry muss sehr beeindruckend gewesen sein. PE: In der Felsenreitschule verkörpern Sie eine charismatische Rolle mit großen patriotischen Gefühlen. Was denken Sie über Jeanne d’Arc? AN: Johanna von Orleans war eine mutige, großartige Frau und ein tolles Vorbild für Frauen weltweit. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Bauernmädchen, nicht einmal zwanzig Jahre alt, das im Hundertjährigen Krieg die Franzosen gegen die Engländer und Burgunder führt. Ihr Glaube und ihre Überzeugungskraft müssen unfassbar groß gewesen sein und sollten uns alle inspirieren. Leider ist die Oper viel zu selten zu hören, trotz der großartigen Musik, die Verdi dazu geschrieben hat. Umso mehr freue ich mich auf die Salzburger Aufführungen. PE: In Ihrer Rolle als Giovanna d’Arco von Giuseppe Verdi werden wir Sie nicht auf dem Schlachtfeld sterben sehen. Was ist für Sie das Besondere an konzertanten Aufführungen? AN: Konzertante Aufführungen geben uns Sängern die Möglichkeit, Möglichkeit, uns sehr auf den musikalischen Aspekt der Aufführung zu konzentrieren, da man sich nicht zusätzlich auf die Szene einlassen muss. Andererseits ist es natürlich auch in einer konzertanten Aufführung wichtig, die dramatischen Aspekte, die Geschichte zu erzählen. Wir werden uns also auch ohne Bühnenbild oder Kostüme bemühen, Giovanna d’Arco überzeugend zu spielen. Und auch, wenn ich nicht auf dem Boden liege und sterbe, hoffe ich trotzdem, dass dieser bewegende musikalische Moment das Publikum beeindruckt. PE: Was bedeutet es für Sie, wieder mit Plácido Domingo zu arbeiten? AN: Plácido Domingo ist einer der ganz großen Künstler unserer Zeit. Er ist ein ganz toller Kollege. Wir verstehen uns auf der Bühne und privat blendend, und ich freue mich sehr, dass er die Rolle von Giovannas Vater Giacomo singen wird. PE: Im Frühjahr feierten Sie einen großen Erfolg in einer Ihrer wichtigsten Partien, als Mimì in La Bohème an der Lyric Opera of Chicago. Jede neue Inszenierung stellt einen Sänger vor neue szenische Herausforderungen. Wann macht das Spaß und wann ist es lästig? AN: La Bohème in Chicago war eine relativ traditionelle Produktion, insofern gab es keine ganz neuen Aspekte, mit denen ich mich befassen musste. Ich habe nichts gegen moderne Inszenierungen, im Gegenteil, ich liebe es, Rollen, die ich schon sehr oft gesungen habe, wie z.B. die Mimì, in einem neuen Kontext zu erarbeiten und neue Facetten zu entdecken. Aber wenn eine Inszenierung modern ist, muss sie interessant und ästhetisch sein. Das gilt auch für die Kostüme. Verrückt oder traditionell spielt dabei keine Rolle. PE: Vor rund einem Jahr sagten Sie, dass Sie ohne E-Mail und Computer leben. Hat Sie in den letzten 300 Tagen jemand für die digitale Welt begeistern können? AN: Nein, ich habe immer noch keinen Computer und kein E-Mail. Ich vermisse das gar nicht. Ich habe wirklich genug zu tun und kommuniziere am liebsten persönlich oder über das Telefon. PE: Sie leben ein internationales Leben in unterschiedlichen Städten. Halten Sie besondere Momente fest? Haben Sie immer eine Kamera dabei? AN: Ja, ich mache sehr gerne Bilder, vor allem mit meinem Handy. Die verschicke ich dann an meine liebsten Freunde überall auf der Welt. PE: Welche Erinnerungen haben Sie an das Shooting mit Ruven Afanador? AN: Das war ein fantastisches Shooting. Ruven Afanador gehört zu den besten Fotografen auf der Welt, und das merkt man einfach. Er arbeitet hochprofessionell. PE: Ihren Durchbruch hatten Sie mit Don Giovanni bei den Salzburger Festspielen 2002. Erscheint Ihnen das lange her oder als wäre es gestern gewesen? AN: Wenn ich daran denke, dass es wirklich schon elf Jahre her ist, kommt es mir lang vor, ja. Die Zeit vergeht so schnell, ich erlebe unglaublich viel. Salzburg habe ich ganz viel für meine internationale Karriere zu verdanken, deswegen ist es immer schön, dorthin zurückzukehren. Und trotz meines vollen Terminkalenders bin ich fast jedes Jahr dort. PE: Ihr Sohn Tiago ist fünf. Er hört Russisch von Ihnen, Spanisch von seinem Vater Erwin Schrott und wahrscheinlich auch Englisch. Wenn er sein Kinderzimmer aufräumen soll, dazu aber keine Lust hat, in welcher Sprache protestiert er? AN: Tiago protestiert meistens auf Englisch. Aber natürlich versteht er auch, wenn ich mit ihm Russisch spreche. PE: Gibt es eine Anna, die mit dem iPod und Kopfhörern im Ohr durch Österreichs Straßen läuft, und wenn ja, was hören Sie? AN: Nein, ich höre unterwegs nie Musik. Aber wenn ich zu Hause Musik höre, dann Klassik, Pop, Rock – alles gemischt. 898 wörter/4876 Zeichen/5694 mit LZ