Medizinische Fakultät Heidelberg: Pressemitteilungen

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Ursache für akutes Leberversagen bei Kleinkindern entdeckt
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Nummer: 82 / 2015 vom 02.07.2015
Ursache für akutes Leberversagen bei Kleinkindern entdeckt
Mutationen verursachen zelluläre Transportprobleme / Gemeinsame Pressemeldung der Technischen
Universität München (TUM), des Helmholtz Zentrums München und des Universitätsklinikums
Heidelberg
Akutes Leberversagen ist bei Kleinkindern eine seltene, aber lebensgefährliche Erkrankung. Problematisch ist
dabei vor allem, dass sie häufig sehr plötzlich zum Beispiel bei Fieber auftritt. Die genauen Ursachen hierfür
sind aber in rund 50 Prozent der Fälle ungeklärt. Wissenschaftler einer internationalen Kooperation unter
Federführung der Technischen Universität München (TUM), des Helmholtz Zentrums München und des
Universitätsklinikums Heidelberg haben jetzt durch eine genomweite Sequenzanalyse Mutationen in einem
bestimmten Gen entdeckt, die mit dem Auftreten der Krankheit zusammenhängen. Betroffen war dabei der
Stofftransport in der Zelle.
Als seltene Erkrankungen gelten laut EU-Definition Krankheiten, an denen weniger als fünf von 10.000
Menschen leiden. Trotz niedriger Patientenzahlen sind diese Erkrankungen, zu denen auch das
wiederkehrende akute Leberversagen gehört, in den letzten Jahren in den Fokus der Forschung gerückt. Der
Grund: Viele sind erblich bedingt und haben eine genetische Ursache, die Wissenschaftler ermitteln können.
Diese Erkenntnisse können auch wichtige Rückschlüsse auf Stoffwechselabläufe in gesunden Menschen
liefern oder als Modellsystem für andere Erkrankungen dienen.
Sequenzanalysen decken genetische Defekte auf
Prof. Georg Hoffmann von der Kinderklinik in Heidelberg betreut seit 20 Jahren mehrere Patienten, die
bereits im Kindesalter wiederholt Anfälle von akutem Leberversagen hatten. Aufgrund der ähnlichen Verläufe
vermutete er eine gemeinsame Ursache für die Erkrankungen. Dr. Tobias Haack und Dr. Holger Prokisch vom
Institut für Humangenetik der TUM und des Helmholtz Zentrums München haben nun bei 4 erkrankten
Kindern nach der genetischen Grundlage für akutes wiederkehrendes Leberversagen bei Fieber gesucht. "Wir
haben mit unserer Studie zunächst nach genetischen Gemeinsamkeiten bei diesen Kindern gesucht, um eine
mögliche Ursache für ihre Krankheit zu finden", so Haack.
Die Wissenschaftler verwendeten die Methode der Exom-Sequenzierung, d. h. sie sequenzierten alle
Abschnitte der Patienten-DNA, die Informationen für die Herstellung von Proteinen beinhalten. Zusätzlich
untersuchten sie auch die DNA von nahen Angehörigen. Sie entdeckten dabei immer wieder fehlerhafte
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Ursache für akutes Leberversagen bei Kleinkindern entdeckt
Veränderungen in einem bestimmten Gen. "Bei insgesamt 11 Patienten fanden wir Mutationen im NBAS-Gen.
Damit können wir dieses Gen erstmals in Zusammenhang mit Lebererkrankungen bringen, was auch für
andere Krankheitsbilder interessant sein könnte.", ordnet Prokisch die Ergebnisse ein.
Mutationen verursachen fehlerhafte Transportprozesse
Doch wie beeinflussen diese Mutationen zelluläre Abläufe? Um das zu klären, führten die Wissenschaftler
anschließend molekularbiologische Experimente durch. Es zeigte sich, dass Mutationen im NBAS-Gen dazu
führten, dass das Protein NBAS nur noch in geringer Menge gebildet wurde. NBAS ist an Transportprozessen
in der Zelle beteiligt, bei dem Proteine in Bläschen verpackt und von einem Zellkompartiment zum nächsten
transportiert werden. "Wir konnten zeigen, dass das fehlerhafte Protein stärker hitzeanfällig ist und somit bei
Fieber weniger Protein für die Koordinierung der Transportprozesse zur Verfügung steht. Das wiederum
könnte in der akuten Situation die Stoffwechselprozesse in der Leber negativ beeinflussen.", so Prokisch.
Das Ziel der Wissenschaftler ist vor allem, die Diagnose von seltenen Krankheiten wie dem akuten
Leberversagen im Kindesalter zu verbessern, um eine gezielte Behandlung zu ermöglichen. Haack sieht in den
Ergebnissen der Studie einen wichtigen Anknüpfungspunkt: "Wenn bei Kindern Fälle von Leberversagen im
Zusammenhang mit Fieber auftreten, können wir jetzt gezielt das NBAS-Gen untersuchen."
Hoffmann erklärt: "Die Diagnose hat inzwischen auch entscheidende therapeutische Konsequenzen. Wir
haben bereits über die Jahre für diese Patienten empirisch einen erfolgreichen Therapieansatz entwickelt, mit
speziellen Medikamenten sowie Zucker- und Fettinfusionen. Dieser steht den frisch diagnostizierten Patienten
sofort zur Verfügung und kann jetzt weiter verbessert werden."
Originalpublikation
T. B. Haack, C. Staufner, M. G. Köpke, B. K. Straub, S. Kölker, C. Thiel, P. Freisinger, I. Baric, P. J.
McKiernan, N. Dikow, I. Harting, F. Beisse, P. Burgard, U. Kotzaeridou, J. Kühr, U. Himbert, R. W. Taylor,
F. Distelmaier, J. Vockley, L. Ghaloul-Gonzalez, J. Zschocke, L. S. Kremer, E. Graf, T. Schwarzmayr, D. M.
Bader, J. Gagneur, T. Wieland, C. Terrile, T. M. Strom, T. Meitinger, G. F. Hoffmann und H. Prokisch,
Biallelic Mutations in NBAS Cause Recurrent Acute Liver Failure with Onset in Infancy, American Journal of
Human Genetics, June 2015.
DOI: 10.1016/j.ajhg.2015.05.009
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