HEPATOLOGIE • • • • • AKUTES LEBERVERSAGEN Definition: Akut auftretende Leberfunktionsstörung mit Koagulapathie und Ikterus bei Patienten ohne vorbestehende Lebererkrankung. Nach dem Abstand zwischen Beginn der Lebererkrankung und dem Auftreten einer hepatischen Enzephalopathie werden das hyperakute (<7 Tage), das akute (7-28 Tage) und das subakute Leberversagen (>28 Tage) unterschieden. Das akute Leberversagen ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die in einem Lebertransplantationszentrum behandelt werden sollte und bei der Diagnostik, Therapie und die Evaluation zur evtl. Lebertransplantation sofort erfolgen müssen. Ursachen: Regional sehr unterschiedlich, die häufigsten Ursachen sind Parazetamol-Intoxikation, Virushepatitis, medikamentös-toxische Genese. Seltene Ursachen sind Autoimmunhepatitis, Knollenblätterpilzvergiftung, akuter M. Wilson, Budd-Chiari-Syndrom, Schwangerschaftshepatopathien, andere Intoxikationen. In bis zu 30% lässt sich keine Ursache eruieren. Natürlicher Verlauf: Je nach Fallserie liegt die Mortalität ohne Lebertransplantation bei 65-90%, wobei das hyperakute Leberversagen die beste und das subakute Leberversagen die schlechteste Prognose haben. Bei Patienten, die ohne Transplantation überleben, kommt es i.d.R zur restitutio ad integrum. Diagnostik: Die Klärung der Genese hat größte Bedeutung, weil (1) bei bestimmten Erkrankungen eine spezifische Therapie existiert, welche die Prognose vermutlich verbessert (Tabelle 1), und (2) die Kenntnis der Ursache auch eine bessere prognostische Abschätzung ermöglicht (z.B. günstig bei akuter Hepatitis A, während Patienten mit akutem M. Wilson ohne LTx praktisch nie überleben). Tabelle 1: Spezifische Therapie bei akutem Leberversagen Ursache Therapie Parazetamolintoxikation Acetylcystein 300 mg/kg i.v. (Gesamtdosis): 150 mg/kg in 200 ml G5% über 15 min, 50 mg/kg in 500ml G5% über 4 h, 100mg/kg in 1000ml G5% über 16 h) Fulminante Hepatitis B Lamivudin (100mg/d, bzw. Nieren-adaptiert) Knollenblätterpilzvergiftung Aktivkohlespülung, Silimarin, Penicillin G Autoimmunhepatitis Glucokortikoide Drohende Komplikationen und deren Prävention Die bedrohlichsten Komplikationen beim akuten Leberversagen sind das Hirnödem und Infektionen. Hypoglykämien müssen vermieden werden; durch optimiertes Kreislaufmonitoring und Infusionstherapie soll das Risiko eines akuten Nierenversagens, das die Prognose mit oder ohne Lebertransplantation verschlechtert, gesenkt werden. Bei beginnender Bewusstseinstrübung sollte frühzeitig die Indikation zur Schutzintubation gestellt werden. Dies gilt insbesondere auch bei Verlegung von Patienten, die evtl. per Hubschrauber eingeflogen werden. • Hirnödem: Bis zu 80% der Patienten mit Enzepahopathie Grad IV entwickelt ein Hirnödem. Die Genese ist multifaktoriell, vermutlich sind eine Störung der Bluthirnschranke und toxische Metabolite beteiligt. Zur Diagnosestellung sollte ein craniales CT durchgeführt werden, das auch andere Ursachen der Bewusstseinsstörung, insbesondere intrakranielle Blutungen, ausschliessen kann. Finden sich Zeichen des Hirnödems, sollten folgende Maßnahmen erfolgen: - 20° Oberkörperhochlagerung - milde Hyperventilalation (pCO2 30-35 mmHg) - Mannitol 0,5-1,0 g/kg KG als Bolus, kann wiederholt werden bis zu einer Serumosmolaltät von 320 mosm/l - Experimentelle Verfahren: Barbituratkoma, Hypothermie, Leberersatzverfahren 123 HEPATOLOGIE • • • AKUTES LEBERVERSAGEN Wenn ein invasives Hirndruckmonitoring verfügbar ist, sollten ein Hirndruck unter 20-25 mmHg und ein zerebraler Perfusionsdruck von >50-60 mmHg angestrebt werden. Häufig ist aber aufgrund der Koagulopathie die Anlage einer Hirnddrucksonde nicht möglich, so dass man nur engmaschige klinischneurologische Überwachung und bei drohender Verschlechterung eine Wiederholung des CCT heranziehen kann. Infektion: Bis zu 80% der Patienten entwickeln eine bakterielle Infektion, bis 32% eine Pilzinfektion. Mit 50% sind Pneumonien am häufigsten. Bei den Bakterien überwiegen gram-positive Keime (70%), davon die Hälfte S. aureus. Bei den gramnegativen Keimen führt E. coli, bei den Pilzen Candida spp. Systemische Prophylaxe kann die Infektionsrate auf 20% senken. Daher sollten alle Patienten eine systemische antibakterielle Prophylaxe mit z.B. Piperacillin/Tazobactam oder einem Carbapenem, kombiniert mit oralem Amphotericin B, erhalten. Eine selektive Darmdekontamination bringt darüber hinaus keinen zusätzlichen Nutzen. Eine prophylaktische Fluconazoltherapie wird nicht generell empfohlen. Bei allen Patienten muss eine engmaschige Infektionssurveillance mit Abstrichen und Kulturen (Sputum, Urin, Blutkulturen, Hautabstriche) durchgeführt werden und die Behandlung entsprechend angepasst bzw. erweitert werden. .Hypoglykämie: Häufige Messung des Blutzuckerspiegels, auf ausreichende Ernährung bzw. Infusionstherapie achten. Nierenversagen: optimiertes Kreislaufmonitoring (ZVD), Infusionstherapie, Vermeidung nephrotoxischer Substanzen, ggf. Nierenersatzverfahren. Management Jeder Patient mit Verdacht auf ein akutes Leberversagen sollte mit dem Lebertransplantationshintergrund der Medizinischen Klinik II besprochen werden. Anfragen von auswärtigen Kliniken sollten ebenfalls mit dem Hintergrunddienst besprochen werden. In der Primärevaluation sollten insbesondere spezifisch behandelbare Ursachen identifiziert oder ausgeschlossen werden (siehe Tabelle 1). Als Verlaufsparameter für die Leberfunktion sind als Laborwerte vor allem der Quick und der Faktor V (wegen der kurzen Halbwertszeit) geeignet, klinisch muss ein engmaschiges neurologisches Monitoring erfolgen. Die supportiven Maßnahmen zielen auf die Prävention von Komplikationen (Hypoglykämie, Hirnödem, Infektionen, Nierenversagen). Eine frühzeitige Verlegung auf die Intensivstation, auch bei noch stabilem Kreislauf und Atmung, ist empfehlenswert. Kontraindikationen für eine Lebertransplantation (siehe Kapitel Lebertransplantation) sollten rasch abgeklärt werden. Falls keine Kontraindikationen vorliegen, sollte die Möglichkeit einer Lebertransplantation mit dem Patienten möglichst vor dem Auftreten einer signifikanten Enzephalopathie besprochen werden, um das prinzipielle Einverständnis einzuholen. Die Prognoseabschhätzung erfolgt anhand der bekannten Scores (King’s College Score, Clichy-Kriterien, Wilson-Score) und zusätzlicher neu identifizierter Parameter (Serumlaktat, -phostphat, Apache III-Score). Man muss allerdings bedenken, dass diese Scores zwar eine hohen positiven aber eine schlechten negativen prädiktiven Wert besitzen. Die Entscheidung, wann ein Patient bei Eurotransplant gemeldet wird und wann ein Organangebot angenommen wird, ist immer eine schwierige Einzelfallentscheidung und wird gemeinsam mit Transplantationshintergrund und den Kollegen der Chirurgie und Anästhesie getroffen. Das Langezeitüberleben nach Lebertransplantation liegt bei diesen Patienten bei 60%. 124