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2009 – 2014
EUROPÄISCHES PARLAMENT
Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
5.9.2012
ARBEITSDOKUMENT 1
über die Lage der Grundrechte: Standards und Praktiken in Ungarn (gemäß der
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. Februar 2012) –
Unabhängigkeit der Justiz
Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Berichterstatter: Rui Tavares
Frank Engel (Ko-Berichterstatter)
DT\911918DE.doc
DE
PE491.186v02-00
In Vielfalt geeint
DE
I. Einleitung
Dieses Arbeitsdokument enthält einen Überblick über das rechtliche Rahmenwerk, das die
Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn regelt. Es wird Bezug genommen auf die Bestimmungen
des Grundgesetzes1 zur Justiz und der folgenden Schwerpunktgesetze: Gesetz CLXI/2011
über die Organisation und Verwaltung der ungarischen Gerichte (Gesetz CLXI/2011), Gesetz
CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von ungarischen Richtern (Gesetz
CLXII/2011) und Gesetz CLI/2011 über das ungarische Verfassungsgericht2. Diese Gesetze
werden vor dem Hintergrund bestehender europäischer Standards über die Unabhängigkeit
der Justiz untersucht, und zwar der Empfehlung (2010) 12 des Ministerkomitees des
Europarats und der Europäischen Charta über das Richterstatut, gemäß Artikel 6 der
Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)3 und der relevanten Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sowie Artikel 47 Absatz 2 der EUGrundrechtecharta4. Die Stellungnahmen der Venedig-Kommission 614/2011 über drei im
Verlauf der Ausarbeitung des neuen Grundgesetzes aufgekommene Fragen, 621/2011 über
das neue ungarische Grundgesetz und 663/2012 über die oben genannten Schwerpunktgesetze
sowie die Position der ungarischen Regierung zur erwähnten Stellungnahme 621/20115 und
angekündigte Änderungen wurden ebenfalls miteinbezogen.
II. Verfassungsrechtliche Bestimmungen betreffend die Justiz
Auf verfassungsrechtlicher Ebene wird die Unabhängigkeit der Justiz hauptsächlich aus dem
Prinzip der Gewaltenteilung gemäß Artikel C Absatz 1 abgeleitet: „Die Tätigkeit des
ungarischen Staates beruht auf dem Prinzip der Gewaltenteilung.“ Die Unabhängigkeit der
einzelnen Richter ist in Artikel 26 Absatz 1 festgelegt: „Die Richter sind unabhängig und nur
dem Gesetz unterstellt, in ihrer richterlichen Tätigkeit können ihnen keine Weisungen erteilt
werden.“ Artikel 25 Absatz 5 legt fest, dass die Organe der richterlichen Selbstverwaltung bei
1
Für eine allgemeine Übersicht über die rechtlichen Probleme, die die ungarische Verfassung aufwirft, sowie
über Probleme im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Grundgesetzes (im Hinblick auf Transparenz und
Integration), siehe Venedig-Kommission, Stellungnahme 614/2011, Randnummern 14-19 und Stellungnahme
621/2011, Randnummern 10-13, sowie die Entschließung des Parlaments vom 5. Juli 2011 zu der geänderten
ungarischen Verfassung (P7_TA-PROV (2011)0315).
2
Das vorliegende Arbeitsdokument befasst sich mit der Justiz im Sinne von Richtern und Gerichten. Für einen
Überblick über die Defizite bei den Rechtsvorschriften für die Staatsanwaltschaft siehe Venedig-Kommission,
Stellungnahme 668/2012, zum Gesetz CLXIII/2011 über die Staatsanwaltschaft und zum Gesetz CLXIV/2011
über den Status des Generalstaatsanwalts, von Staatsanwälten und Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft sowie der
Laufbahn als Staatsanwalt.
3
Laut EGMR muss zur Beurteilung der Unabhängigkeit eines Gerichts unter anderem die Art und Weise der
Ernennung der Mitglieder und deren Amtszeit in Betracht gezogen werden, sowie die Existenz von Garantien
gegen Druck von außen und die Frage, ob das Organ den Eindruck der Unabhängigkeit vermittelt; in Bezug auf
Unparteilichkeit ist der EGMR der Auffassung, dass es bei dieser Anforderung zwei Aspekte zu berücksichtigen
gelte. Erstens müsse das Gericht aus subjektiver Sicht frei von persönlichen Vorurteilen oder
Voreingenommenheit sein. Zweitens müsse es aus objektiver Sicht unbefangen sein, das heißt, es müsse
ausreichende Garantien bieten, um jegliche berechtigte Zweifel in dieser Hinsicht ausschließen zu können, wobei
die Konzepte der Unabhängigkeit und der objektiven Unbefangenheit eng verbunden seien. Siehe etwa
Findlay/Vereinigtes Königreich vom 25. Februar 1997, Slg 1997-I, S. 281, § 73.
4
Artikel 47 Absatz 2 der Charta: Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen,
unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb
angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
5
Position der ungarischen Regierung in Bezug auf die Stellungnahme zur neuen ungarischen Verfassung, 6. Juli
2011.
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der Verwaltung der Gerichte mitwirken. Bedeutende Faktoren, die die Unabhängigkeit der
Richter stützen, etwa Unabsetzbarkeit, garantierte Amtszeit oder die Struktur und
Zusammensetzung der Leitungsgremien, sind nicht in der Verfassung geregelt, sondern –
zusammen mit detaillierten Regelungen im Hinblick auf die Organisation und Verwaltung der
Justiz – in Schwerpunktgesetzen festgelegt. Somit wird in der Verfassung durch allgemeine
und vage Formulierungen nur ein sehr allgemeiner Rahmen für die Tätigkeit der Justiz
geschaffen, während ein Großteil der konkreten Fragen durch Schwerpunktgesetze geregelt
ist. Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rahmen hat die Venedig-Kommission
spezifische Fragen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Auslegung von
Gesetzen1, der Beschränkung von Befugnissen des Verfassungsgerichts in Steuer- und
Haushaltsfragen2 und lebenslanger Haftstrafen ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen
Haftentlassung3 aufgeworfen und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass einige dieser Fragen
im Grundgesetz und nicht durch ein Schwerpunktgesetz geregelt sein sollten.4
III. Schwerpunktgesetze betreffend die Justiz
Die Venedig-Kommission hat auf die Problematik des Verweises auf Schwerpunktgesetze
anstelle der Regelung bestimmter Fragen im Grundgesetz (50 Verweise im neuen
Grundgesetz in Zusammenhang mit 26 Themen) hingewiesen.5 Gleichzeitig wies die
Venedig-Kommission darauf hin, dass etwaige Mängel oder unklare Formulierungen im die
Justiz betreffenden Teil des Grundgesetzes die äußerst umsichtige Ausarbeitung in einem
Schwerpunktgesetz erfordern. Trotzdem gaben zwei angenommene Schwerpunktgesetze6, das
Gesetz CLXI/2011 und das Gesetz CLXII/2011, Anlass zur Besorgnis im Hinblick auf die
Unabhängigkeit der Justiz im Allgemeinen sowie im Hinblick auf die Garantien für einzelne
Richter, insbesondere bezüglich der Rolle des Präsidenten des Landesgerichtsamts, das
Ernennungsverfahren und die Probezeiten, die Versetzung von Richtern und die Verweisung
Artikel R Absatz 3: „Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind im Einklang mit deren Zielen, mit dem darin
enthaltenen Nationalen Bekenntnis und mit den Errungenschaften der historischen Verfassung auszulegen“.
Artikel 28: „Die Gerichte legen in ihrer Rechtsanwendung den Text der Rechtsvorschriften in erster Linie im
Einklang mit deren Ziel und mit dem Grundgesetz aus. Bei der Auslegung des Grundgesetzes und der
Rechtsvorschriften ist vorauszusetzen, dass diese einem dem gesunden Menschenverstand und dem Gemeinwohl
entsprechenden moralischen und wirtschaftlichen Ziel dienen.“ Siehe in diesem Zusammenhang VenedigKommission, Stellungnahme 621/2011, Randnummern 28-30, 110 und 149, sowie eine Antwort der Regierung,
die einerseits erklärte, dass der Verweis auf die historische Verfassung als eine Quelle für die Auslegung des
neuen Grundgesetzes bloßen symbolischen Charakter habe, die aber andererseits der Verfassung mehr als nur
symbolischen Charakter einräumt, indem sie hinzufügte, dass es die Pflicht des Verfassungsgericht sein werde,
den genauen Inhalt der Errungenschaften der historischen Verfassung zu bestimmen.
2
Venedig-Kommission, Stellungnahme 621/2011, Randnummern 120-127 und 146.
3
Artikel IV der Verfassung . Siehe Venedig-Kommission, Stellungnahme 621/2011, Randnummern 69-70.
4
Siehe Venedig-Kommission, Stellungnahme 621/2011, Randnummer 147: „Zudem wird für Schlüsselbereiche,
wie etwa der Justiz, nur ein eher allgemeiner Rahmen geschaffen… Garantien für wesentliche Grundsätze, die
sich auf wichtige Fragen beziehen, sind in der Regel in der Verfassung verankert, insbesondere, wenn
umfangreiche Reformen geplant sind, wie im Fall der ungarischen Justiz.“
Siehe auch Venedig-Kommission, Stellungnahme 614/2011, Randnummern 51-53.
5
Venedig-Kommission, Stellungnahme 621/2011, Randnummern 22-27.
6
Sie werden in Bezug auf weite Teile beider Gesetze (§ 175 Gesetz CLXI/2011 und § 237 Gesetz CLXII/2011)
als Schwerpunktgesetze betrachtet. Die Venedig-Kommission sprach die Frage der übermäßigen Anwendung
von Schwerpunktgesetzen in Bezug auf mehrere Aspekte beider Gesetze an – Stellungnahme 621/2011,
Randnummern 18-20.
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von Rechtssachen sowie im Hinblick auf Disziplinarverfahren.1
Selbstregulierung der Justiz und der Präsident des Landesgerichtsamts (Országos Bírósági
Hivatal - OBH)
Im Rahmen des neuen Gesetzes (Gesetz CLXI/2011) wurde das Landesgerichtsamt
geschaffen. Die zentralen Pflichten der Verwaltung der Justiz liegen nun beim Präsidenten des
Landesgerichtsamts als Einzelperson. Eine Auflistung der Kompetenzen des Präsidenten ist in
§ 76 des Gesetzes CLXI/2011 und in verschiedenen Paragrafen des Gesetzes CLXII/2011
enthalten. Wie weiter unten genauer beschrieben, sind diese Befugnisse sehr umfangreich,
und einige der Befugnisse befinden sich außerhalb des in den Mitgliedstaaten üblichen
Kompetenzrahmens des Leiters einer Justizverwaltung. Andere Befugnisse sind sehr
allgemein formuliert und ihre Anwendung ist nicht weiter geregelt.2 Ferner erfordert die lange
Amtszeit (9 Jahre mit Verlängerungsoption durch eine Zweidrittelmehrheit im Parlament –
§ 66 des Gesetzes CLXI/2011) in Kombination mit den erwähnten umfassenden
Kompetenzen des Präsidenten des Landesgerichtsamts ein hohes Maß an
Rechenschaftspflicht. In diesem Zusammenhang muss der Präsident alle sechs Monate vor
dem Landesrichterrat (Országos Bírói Tanács - OBT) und jedes Jahr vor dem Parlament über
seine Tätigkeiten berichten. Allerdings kann eine Berichterstattung – trotz ihrer Bedeutung für
die Transparenz – gemäß den in Mitgliedstaaten bestehenden Systemen nicht als ausreichend
erachtet werden. Zudem wurde der Landesrichterrat als ein mit der Überwachung des
Präsidenten des Landesgerichtsamts beauftragtes Organ von Vertretern der Justiz nicht mit
wirksamen Befugnissen ausgestattet: es setzt sich zusammen aus gewählten Richtern, die den
administrativen Maßnahmen des Präsidenten des Landesgerichtsamts unterliegen; das
Landesgerichtsamt gewährleistet die für die Arbeit des Landesrichterrat nötigen
Voraussetzungen, und der Präsident des Landesgerichtsamts nimmt an den unter Ausschluss
der Öffentlichkeit stattfindenden Treffen des Landesrichterrat teil. Gleichzeitig betrachtet die
Venedig-Kommission den Präsidenten des Landesgerichtsamts nicht als Organ der
richterlichen Selbstverwaltung.3
Ferner ist aus dem Wortlaut der Schwerpunktgesetze nicht klar ersichtlich, ob die
1
Die Venedig-Kommission erklärte in ihrer Stellungnahme 663/2012 (Randnummer 9), dass die Umsetzung
zahlreicher Gesetzgebungsmaßnahmen in einer kurzen Zeitspanne darauf hindeuten könne, dass einige Punkte in
den geprüften Schwerpunktgesetzen in der vorliegenden Stellungnahme nicht europäischen Normen entsprechen.
2
Seine Aufgaben umfassen mindestens 65 Vorrechte, einschließlich weitreichender Vorrechte in Bezug auf die
Unabhängigkeit von Richtern, wie etwa die Einleitung von Gerichte betreffenden Gesetzgebungsverfahren, die
Festlegung eines anderen Gerichts zur Urteilsfindung in einem angemessenen Zeitraum, die Anordnung einer
vorrangigen Urteilsfindung in Bezug auf Rechtssachen, die weite Teile der Gesellschaft betreffen oder auf
Rechtssachen, die von besonderer Bedeutung für das öffentliche Interesse sind, die Übermittlung von
Vorschlägen an den Präsidenten der Republik im Zusammenhang mit der Ernennung und Entlassung von
Richtern, die Annahme von Entscheidungen im Hinblick auf die Versetzung auf einer andere Stelle sowie
langfristige Versetzung von Richtern, die Empfehlung von Disziplinarmaßnahmen, die Anregung der Verleihung
von Titeln, die Zuweisung einer juristischen Position an ein anderes Gericht, die Änderung der
Bewertungsrangfolge von Kandidaten, die Ernennung von Gerichtspräsidenten. Siehe in Einzelheiten auch
Venedig-Kommission, Stellungnahme 663/2012, Randnummern 33-36.
3
Venedig-Kommission, Stellungnahme 663/2012, Randnummer 51: „Die bloße Tatsache, dass nur Richter für
den Posten des Präsidenten des Landesgerichtsamts infrage kommen, macht letzteren nicht zu einem Organ der
richterlichen Selbstverwaltung. Da der Präsident des Landesgerichtsamts vom Parlament gewählt wird, das heißt
aus Sicht der Justiz von einem außenstehenden Akteur, kann das Parlament nicht als Organ der richterlichen
Selbstverwaltung erachtet werden.“
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Stellungnahmen und Empfehlungen des Landesrichterrat für den Präsidenten des
Landesgerichtsamts verbindlich sind; zudem hat der Landesrichterrat nach Auffassung der
Venedig-Kommission eine schwache Position.1 Des Weiteren geben die verfahrensrechtlichen
Hindernisse bei einer Amtsenthebung des Präsidenten des Landesgerichtsamts zusätzlich
Grund zur Besorgnis. Der Präsident des Landesgerichtsamts kann nur aufgrund einer vage
formulierten Unwürdigkeit seines Amtes, entweder durch den Präsidenten der Republik oder
den Landesrichterrat , seines Amtes enthoben werden, gestützt auf eine Zweidrittelmehrheit
im Parlament. All diese Faktoren brachten die Venedig-Kommission zu der Schlussfolgerung
(Randnummer 26), dass in keinem Mitgliedstaat des Europarats einer Einzelperson derart
umfassende Befugnisse bei gleichzeitiger Abwesenheit ausreichender demokratischer
Kontrolle eingeräumt würden, und (Randnummer 36), dass der Präsident des
Landesgerichtsamts nicht nur ein starker Gerichtsverwalter sei, sondern auch durch das Recht
der Verweisung von Rechtssachen an ein anderes Gericht und durch seinen Einfluss auf
einzelne Richter sowie auf die interne Struktur der Justiz stark in die richterliche
Beschlussfassung eingreifen könne. Die Venedig-Kommission hat Ungarn aufgefordert, die
Rechenschaftspflicht des Präsidenten des Landesgerichtsamts auszuweiten.2
Auswahl und Ernennung von Richtern
Das Verfahren für die Ernennung von Richtern ist geregelt durch Gesetz CLXII/2011 (§ 3 30). Der Präsident der Republik ernennt einen der Kandidaten, die vom Präsidenten des
Landesgerichtsamts vorgeschlagen wurden. Ein Richtergremium hört die Kandidaten an und
bewertet sie auf Basis objektiver Kriterien (professioneller Eignungstest und andere Kriterien
hinsichtlich der akademischen und professionellen Erfahrung). Die Bewertungen sowie die
Bewerbungen werden an den Präsidenten des Landesgerichtsamts zur Prüfung übermittelt.
Die Ernennung durch eine Einzelperson ist zwar mit europäischen Normen vereinbar,
allerdings verfügt der Präsident des Landesgerichtsamts im Rahmen des Gesetz CLXII/2011
über beträchtliche Ermessensbefugnisse. Nach Vorlage der Bewertungsrangfolge der
Kandidaten durch das Richtergremium kann der Präsident des Landesgerichtsamts nach
eigenem Ermessen entscheiden, von der Bewertungsrangfolge abzuweichen und den
Kandidaten auf den zweiten oder dritten Listenplatz für die Stelle vorzuschlagen, wobei keine
gerichtliche Kontrolle vorgesehen ist (§ 18 Absatz 3). Deshalb kam die Venedig-Kommission
zu dem Schluss, dass das neue System (Randnummer 61) zu einer Verminderung der
Garantien für eine objektive Auswahl von Kandidaten führe.
1
Deshalb kam die Venedig-Kommission, ebd., zu dem Schluss (Randnummer 50), dass der Landesrichterrat
kaum über wesentliche Befugnisse verfüge und seine Rolle bei der Verwaltung der Justiz unerheblich sei.
2
Die ungarischen Behörden signalisierten in ihrem Dokument vom 14. März 2011 in Bezug auf die
Stellungnahme der Venedig-Kommission die folgenden gesetzgeberischen Lösungen: Übertragung mehrerer
Befugnisse vom Landesgerichtsamt zum Landesrichterrat, wie etwa die Möglichkeit einer vorrangigen
gerichtlichen Urteilsfindung; eine strengere Berichtsverpflichtung mit der Möglichkeit eines schriftlichen Frageund Antwortverfahrens; statt des Rechts, neue Rechtsakte vorzuschlagen, eine diesbezügliche Möglichkeit;
Abweichungen von der Bewertungsrangfolge der Kandidaten nach vom Landesrichterrat festgelegten Kriterien
und mit dem Einverständnis des Landesrichterrats; Einverständnis des Landesrichterrats bei der Ernennung eines
Gerichtspräsidenten in bestimmten Fällen.
3
Siehe auch Venedig-Kommission, Stellungnahme 663/2012, Randnummer 54-61, worin betont wird, dass das
System nicht mit Randnummer 47 der Empfehlung (2010)12 vereinbar sei, in dem der Forderung nach einer
unabhängigen und zuständigen Behörde Ausdruck verliehen wird, die im Wesentlichen aus Teilen der Justiz
besteht und die befugt ist, Empfehlungen auszusprechen oder Stellungnahmen abzugeben, an die die relevante
Anstellungsbehörde in der Praxis gebunden ist.
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Richterliche Amtszeit und Unabsetzbarkeit
Laut Empfehlung (2010)12 sind Sicherheit der Amtszeit und Unabsetzbarkeit zentrale
Elemente der Unabhängigkeit von Richtern. Gemäß Gesetz CLXII/2011 werden Richter
zunächst für eine Probezeit von drei Jahren ernannt (§ 23 Absatz 1). Ein Richter, der auf
befristete Zeit ernannt wird, kann beantragen, die Amtszeit auf unbefristete Zeit auszuweiten.
In diesem Fall muss sich der jeweilige Richter einer Bewertung seiner fachlichen Leistungen
unterziehen (§ 24). Auch ist die Möglichkeit wiederholter Probezeiten vorgesehen (§ 25
Absatz 4). Im Gesetz ist weder eine Obergrenze für aufeinanderfolgende Probezeiten
vorgesehen, noch enthält es bestimmte Sicherungsregelungen in Bezug auf die Entscheidung
über eine unbefristete Ernennung. Die Venedig-Kommission hat darauf hingewiesen, dass
Probezeiten im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit im Allgemeinen problematisch
sind, da Richter sich unter Umständen unter Druck gesetzt fühlten, Rechtssachen auf
bestimmte Art und Weise zu entscheiden, obwohl Probezeiten in einigen Staaten zur
Anwendung kommen. Deshalb müssen derartige Systeme objektive Kriterien mit
verfahrensrechtlichen Sicherungsregelungen und eine ausdrückliche Obergrenze für
aufeinanderfolgende Probezeiten enthalten.1
In Bezug auf Unabsetzbarkeit besagt Empfehlung (2010) 12 Ziffer 52, dass ein Richter ohne
seine Zustimmung kein neues Amt erhalten oder in eine andere Justizbehörde versetzt werden
sollte, außer im Falle von Disziplinarmaßnahmen oder einer Reform der Organisation des
Justizsystems. Der Gerichtspräsident kann Richter ohne deren Einverständnis für einen
befristeten Zeitraum alle drei Jahre für ein Jahr im dienstlichen Interesse versetzen, und der
Präsident des Landesgerichtsamts hat die Befugnis, eine befristete dienstliche Versetzung
anzuordnen (§ 33). Stimmt der betroffene Richter einer derartigen Versetzung nicht zu, wäre
er automatisch vom Dienst freigestellt und seine Amtszeit wäre beendet (§ 94). Nach
Auffassung der Venedig-Kommission ist ein derartiges System zu streng und muss es klare
und verhältnismäßige Regeln für solche Maßnahmen sowie einen Rechtsbehelf geben.2
Zuweisung von Rechtssachen
Um richterliche Unabhängigkeit zu gewährleisten, sollte die Zuweisung von Rechtssachen
innerhalb eines Gerichts objektiven, zuvor festgelegten Kriterien folgen (Empfehlung
(2010)12), die im Voraus gesetzlich geregelt wurden. Obwohl im Rahmen des Gesetzes
CLXI/2011 spezifische Kriterien für die Zuweisung von Rechtssachen festgelegt wurden
1
Venedig-Kommission, Stellungnahme, 663/2012, Randnummern 66-68. Die ungarischen Behörden
signalisierten in ihrem Dokument vom 14. März 2011 die folgenden gesetzgeberischen Lösungen: eine
Beschränkung der Probezeiten auf zwei Amtsperioden (zweimal drei Jahre).
In Bezug auf Probezeiten siehe auch die gemeinsame Stellungnahme der Venedig-Kommission und der
Direktion für Zusammenarbeit innerhalb der Generaldirektion Menschenrechte und Rechtsangelegenheiten des
Europarats 550/2009 vom 16. März 2010 über die fünfjährige Probezeit in der Ukraine (Randnummer 39):
„Werden Probezeiten als unabdingbar betrachtet, sollten sie zwei Jahre nicht überschreiten. Eine Probezeit von
fünf Jahren kann nicht als hinnehmbar betrachtet werden. Eine derartige Probezeit hätte zur Folge, dass eine
bedeutende Anzahl von Richtern zu keinem Zeitpunkt Klarheit über ihre Zukunft hätte.“
2
Siehe Venedig-Kommission, Stellungnahme 663/2012, Randnummer 79. Die ungarischen Behörden
signalisierten in ihrem Dokument vom 14. März 2011 die folgenden gesetzgeberischen Lösungen: eine
Versetzung ist nur möglich, wenn es die gleichmäßige Verteilung der zu bearbeitenden Rechtssachen zwischen
den Gerichten oder die berufliche Entwicklung des Richters erforderlich machen.
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(§ 9), beruhen die dazugehörigen Ausnahmen nach Auffassung der Venedig-Kommission auf
äußerst vagen Kriterien und geben deshalb im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die
richterliche Unabhängigkeit Grund zur Besorgnis. Der Präsident des Landesgerichtsamts kann
ein anderes als das angerufene Gericht mit der Bearbeitung einer Rechtssache beauftragen,
wenn dies wegen des Ziels der Entscheidung von Rechtssachen innerhalb einer angemessenen
Frist notwendig ist (§ 76), dafür gibt es jedoch keine klaren und objektiven Kriterien1.
Renteneintrittsalter
Im Rahmen des Gesetz CLXII/2011 und der Übergangsbestimmungen des Grundgesetzes ist
festgelegt, dass die Altersobergrenze mit dem Renteneintrittsalter (62 Jahre) zusammengelegt
wird, mit der Folge, dass Richter, die das Renteneintrittsalter erreichen, in den Ruhestand
gehen müssen. Die plötzliche Änderung der Altersobergrenze hat zur Folge, dass fast zehn
Prozent der ungarischen Richter innerhalb einer kurzen Zeitspanne in den Ruhestand geht.2
Die Venedig-Kommission weist in diesem Zusammenhang aufgrund der großen Zahl von
Richtern, die in den Ruhestand gehen, auf die Problematik der Rückwirkung und der
Wahrnehmung von Unabhängigkeit hin.3 Gleichzeitig ist Altersdiskriminierung am
Arbeitsplatz im Rahmen der EU-Rechtsvorschriften zur Gleichbehandlung in Beschäftigung
und Beruf, wie in Richtlinie 2000/78/EG dargelegt, verboten. Nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs muss eine Regierung für eine Herabsetzung des
Renteneintrittsalters für eine einzelne Berufsgruppe eine objektive und verhältnismäßige
Erklärung liefern. Nach Ausstellung eines Aufforderungsschreibens der Europäischen
Kommission vom 17. Januar wurde von Ungarn eine Klausel vorgeschlagen, die eine
Verschiebung des Renteneintrittsalters eines Richters in Einzelfällen über 62 Jahre hinaus
ermöglicht, wenn der jeweilige Richter eine Bewertung seiner beruflichen Leistungen und
seines gesundheitlichen Zustands durch den Landesrichterrat besteht. Nach Auffassung der
Kommission ist dieser Vorschlag nicht mit EU-Recht vereinbar, da derartige Verschiebungen
unter Umständen willkürlich sein können, nur in Einzelfällen zur Anwendung kommen und
keinerlei Auswirkung auf den Hauptkritikpunkt der Kommission haben: die ungleiche
Behandlung von Richtern gegenüber anderen Berufsgruppen. Deshalb kam die Kommission
zu dem Schluss, dass Ungarn keine objektive Begründung für die Herabsetzung des
gesetzlichen Renteneintrittalters für Richter, Staatsanwälte und Notare vorgelegt hatte, und
übermittelte am 7. März 2012 eine mit Gründen versehene Stellungnahme, die zweiten Stufe
des Vertragsverletzungsverfahrens, und rief am 25. April 2012 den Gerichtshof der
Europäischen Union in der Sache an.
Verfassungsgericht
1
Die Venedig-Kommission verwies auf neun Fälle, in denen bereits eine Verweisung von Rechtssachen an ein
anderes Gericht stattgefunden hatte. Siehe Venedig-Kommission, Stellungnahme 663/2012, Absätze 86-94. Die
ungarischen Behörden signalisierten in ihrem Dokument vom 14. März 2011 die folgende gesetzgeberische
Lösung: der Landesrichterrat wird eine Empfehlung herausgeben, die für den Präsidenten des
Landesgerichtsamts bindend ist.
2
Venedig-Kommission, Stellungnahme 663/2012, Randnummern 102-110.
3
Die ungarischen Behörden signalisierten in ihrem Dokument vom 14. März 2011 die folgenden
gesetzgeberischen Lösungen: Modifizierung der Übergangsbestimmungen in Abstimmung mit der Europäischen
Kommission.
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Die Venedig-Kommission1 prüfte auch das Gesetz CLI/2011 über das ungarische
Verfassungsgericht und wies unter anderem auf die folgenden Punkte hin:
- die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts sowie der Status der Richter sollte im
Grundgesetz und nicht nur im Verfassungsgerichtsgesetz garantiert sein;
- im Hinblick auf den Ausschluss eines Mitglieds des Gerichts sollten zusätzliche
verfahrensrechtliche Sicherungsvorkehrungen eingeführt werden;
- die zwei individuellen Beschwerdeverfahren sollten klarer geregelt werden;
- eine Ausnahme im Hinblick auf das Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs sollte für
alle Fälle möglich sein, in denen die Einhaltung dieser Bestimmung möglicherweise
irreparable Schäden für Einzelpersonen nach sich ziehen könnte;
- fehlende Bestimmungen über Prozesskostenhilfe;
- die Bestandteile im Gesetz, die „Schwerpunkte“ in Bezug auf ein Schwerpunktgesetz im
Sinne des Grundgesetzes darstellen, sollten auf Grundprinzipien beschränkt sein;
- die Beschränkung der Kontrollbefugnisse des Verfassungsgerichts in Haushaltsfragen sollte
beseitigt werden.
IV. Wahrnehmung von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, der EUGrundrechtecharta und des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung
Jegliche Zweifel über die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit von Richtern im
Zusammenhang mit systematischen Mängeln in der Verfassung und einzelstaatlichen
Gesetzen könnte beträchtliche Auswirkungen auf die laufende Zusammenarbeit im
gemeinsamen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts auf Basis des Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung gemäß Artikel 81 AEUV (Zivilsachen) und Artikel 82 AEUV
(Strafsachen) haben. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, auf die Vorrechte der EU im
Bereich des Strafrechts hinzuweisen; in diesem Bereich wurden bereits weitreichende, auf
gegenseitiger Anerkennung basierende Instrumente eingeführt, in deren Rahmen gerichtliche
Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten mehr oder minder automatisch anerkannt werden
und die von der Auslieferung verdächtigter oder verurteilter Personen (Europäischer
Haftbefehl) über Bewährungsmaßnahmen bis hin zur Beweisbeschaffung (Europäische
Beweisanordnung und die vorgeschlagene Europäische Ermittlungsanordnung) reichen.
Deshalb könnten jegliche Probleme mit der Wahrnehmung der Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit von Richtern die gesamte bestehende Struktur des gegenseitigen Vertrauens
gefährden. Gleichzeitig könnte jegliche grenzübergreifende Angelegenheit bei der Umsetzung
von Unionsrecht unmittelbar zur Anwendung von Artikel 47 Absatz 2 der Charta in
Verbindung mit Artikel 52 Absatz 3 der Charta in Bezug auf die gleiche Bedeutung und
Tragweite von Rechten, die auch von der EMRK gewährleistet werden, führen.
V. Änderungen der Schwerpunktgesetze betreffend die Justiz
Am 2. Juli 2012 nahm das ungarische Parlament den Legislativvorschlag Nr. T/6393 zur
Änderung des Gesetzes CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte und
des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern an. Die
Venedig-Kommission überprüft gegenwärtig die ändernden Bestimmungen. Die Veröffentlichung
ihrer entsprechenden Stellungnahme wird für Oktober 2012 erwartet. Eine Zusammenfassung des
neuen Gesetzes wird unten dargestellt.
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Venedig-Kommission, Stellungnahme 665/2012.
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Neuverteilung der Befugnisse zwischen dem Präsidenten des Landesgerichtsamts und dem
Landesrichterrat
Mit Blick auf die Beschränkung der Befugnisse des Präsidenten des Landesgerichtsamts und
der Einführung von Kriterien für ihre Ausübung, werden im neuen Gesetz zahlreiche
Kompetenzen auf den Landesrichterrat übertragen, sowohl im Bereich Personal als auch in
der Gerichtsverwaltung.
Was die Verfahren der Ernennung der Richter anbelangt, wurde dem Landesrichterrat die
Verantwortung für die Bestimmung der Grundsätze übertragen, die vom Präsidenten des
Landesgerichtsamts anzuwenden sind, wenn eine freie Stelle an den Bewerber auf dem
zweiten oder dritten Listenplatz der Rangliste vergeben wird. Dem Landesrichterrat wurde
auch das Recht verliehen, der Entscheidung über die Bewerbungen von Richtern
zuzustimmen, wenn der Präsident des Landesgerichtsamts die Reihenfolge der
Richterkandidaten ändert. Die Zustimmung des Landesrichterrats ist auch im Fall der
Ernennung der Gerichtspräsidenten erforderlich, wenn der Kandidat nicht durch die Mehrheit
des prüfenden Richtergremiums unterstützt wird. Der Landesrichterrat veröffentlicht jährlich
seine Stellungnahme zu der Praxis des Präsidenten des Landesgerichtsamts und des
Präsidenten der Kurie in Bezug auf die Bewertung der Bewerbungen der Richter und
Gerichtspräsidenten1.
Weitere neue Kompetenzen des Landesrichterrats im Bereich der Personalverwaltung sind
unter anderem: – die auf der Grundlage eine persönlichen Gespräches abzugebende vorläufige
Stellungnahme zu Personen, die als Präsident des Landesgerichtsamts und als Präsident der
Kuria nominiert sind; – die Möglichkeit, im Fall der Amtsniederlegung von Richtern, einer Frist
der Amtsniederlegung zuzustimmen, die kürzer als drei Monate ist, und den Richter von den mit
seiner Arbeit verbundenen Pflichten für die gesamte Frist der Amtsniederlegung oder einen Teil
dieser Frist zu entbinden2.
Im Bereich der zentralen Verwaltung der Gerichte wurden dem Landesrichterrat folgende
neue Verantwortungen übertragen: – der Landesrichterrat genehmigt die Verfahrensordnung
des Dienstgerichts und veröffentlicht diese auf der zentralen Website3; – der Landesrichterrat
kann in besonders gerechtfertigten Fällen in Bezug auf Rechtssachen, die weite Teile der
Gesellschaft betreffen oder auf Rechtssachen, die von besonderer Bedeutung für das öffentliche
Interesse sind, die vorrangige Entscheidung von Rechtssachen anordnen4; – der Landesrichterrat
legt die vom Präsidenten des Landesgerichtsamts anzuwendenden Grundsätze für den Fall der
Bestimmung eines anderen Gerichts als das angerufene Gericht fest, wenn dies wegen des
Ziels der Entscheidung von Rechtssachen innerhalb einer angemessenen Frist notwendig ist5.
Änderungen mit dem Ziel der Stärkung der Rechenschaftspflicht des Präsidenten des
Landesgerichtsamts
1
§ 7 Absatz 4 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
Die vollständige Liste der Befugnisse des Landesrichterrats im Bereich der Personalverwaltung findet sich in
§ 7 Absatz 4 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
3
§ 7 Absatz 2 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
4
§ 7 Absatz 3 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
5
Ebd.
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Das neue Gesetz verkürzt die Amtszeit des Präsidenten des Landesgerichtsamts (9 Jahre)
nicht. Die Möglichkeit die Amtszeit des Präsidenten des Landesgerichtsamts nach Zeitablauf
zu verlängern, wenn das Parlament keinen neuen Präsidenten wählt, wird jedoch abgeschafft1.
Im Fall der Verhinderung oder in dem Fall, dass die Stelle unbesetzt ist, wird der Präsident
des Landesgerichtsamts durch den allgemeinen Vizepräsidenten des Landesgerichtsamts
ersetzt. Im Fall der Abwesenheit der zur Stellvertretung Bevollmächtigten werden die
Pflichten des Präsidenten des Landesgerichtsamts durch den Präsidenten des Landesrichterrat
wahrgenommen2.
Im Hinblick auf die Verbesserung der Kontrolle der vom Präsidenten des Landesgerichtsamts
wahrgenommenen Tätigkeiten verstärkt das neue Gesetz dessen Berichtspflichten und die
Begründungspflichten. Die Verpflichtung des Präsidenten des Landesgerichtsamts, jährlich
dem Parlament Bericht zu erstatten wurde mit der Pflicht ergänzt – einmal zwischen den
Jahresberichten – auch dem Justizausschuss des Parlaments zu berichten3. Darüber hinaus
sind in allen Entscheidungen des Präsidenten des Landesgerichtsamts in der Ausübung seines
Amtes je nach Sachlage die Gründe seiner Entscheidung anzugeben4.
Änderungen mit dem Ziel der Stärkung der Unabhängigkeit des Landesrichterrats
Während die Zusammensetzung des Landesrichterrats (er besteht nur aus Richtern) nicht
geändert wird, sichert das neue Gesetz – zusätzlich zum Präsidenten des Landesgerichtsamts
und zum Justizminister – dem Generalstaatsanwalt, dem Präsidenten der
Rechtsanwaltskammer, dem Präsidenten der Notarkammer sowie vom Präsidenten des
Landesrichterrats eingeladenen Vertretern der Zivilgesellschaft und sonstiger
Interessengruppen die Teilnahme an den Sitzungen des Landesrichterrats mit beratenden
Rechten. Der Präsident des Landesgerichtsamts und andere Personen mit beratenden Rechten
können jedoch nicht länger an Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit teilnehmen, es
sei denn, dies wird vom Landesrichterrat genehmigt5.
Das neue Gesetz sieht auch das Recht des Landesrichterrats vor, im Einvernehmen mit dem
Präsidenten des Landesgerichtsamts, seinen eigenen Haushalt innerhalb des Haushalts des
Landesgerichtsamts festzustellen6. Das Landesgerichtsamt stellt jedoch weiterhin die
logistischen und technischen Voraussetzungen für den Landesrichterrat bereit.
Änderungen in Bezug auf die Ernennung für befristete Zeiträume und die Versetzung von
Richtern
Das neue Gesetz schafft die in § 25 Absatz 4 Gesetz CLXII/2011 vorgesehene Möglichkeit
der wiederholten Probezeit7 ab, wonach ein Richter wiederholt für einen befristeten Zeitraum
von drei Jahren ernannt wird, wenn er eine Bewertung erhält, die auf „geeignet, Nachprüfung
1
§ 14 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
§ 6 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
3
§ 4 Absatz 4 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
4
§ 5 Absatz 1 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
5
§ 10 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
6
§ 8 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
7
§ 29 Absatz 2 des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern.
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erforderlich“ lautet. In Fällen, in denen die Zeit der tatsächlichen richterlichen Arbeit des
Richters keine 18 Monate erreichte (Mindestzeitraum, der für die Bewertung erforderlich ist),
sieht das neue Gesetz die Verlängerung der Ernennung um drei Jahre anstelle einer erneuten
Ernennung für einen befristeten Zeitraum (so wie vor der Annahme der ändernden
Bestimmungen) vor. Die Ernennung eines Richters kann wiederholt verlängert werden bis die
tatsächliche richterliche Arbeit insgesamt die für die Bewertung mindestens notwendigen 18
Monate erreicht1.
Was die befristete Versetzung anbelangt, sieht das neue Gesetz weiter die Möglichkeit vor,
den Richter ohne dessen Einverständnis für einen befristeten Zeitraum alle drei Jahre für
höchstens ein Jahr auf eine Richterstelle auf einem anderen Dienstposten einzusetzen.
Diesbezüglich legt das neue Gesetz fest, dass die befristete Versetzung angeordnet werden
kann, um eine gleichmäßige Verteilung der zu bearbeitenden Rechtssachen zwischen den
Gerichten zu sichern2 (die vorher geltende Bestimmung bezog sich nur auf das „dienstliche
Interesse“).
Stellt ein Gericht seine Arbeit ein oder wird seine Zuständigkeit in einem Maße verringert,
dass die richterliche Arbeit eines Richters dort nicht länger möglich ist, sieht das neue Gesetz
die Verpflichtung des Präsidenten des Landesgerichtsamts vor, dem betroffenen Richter
Stellen in Gerichten auf derselben, der nächsthöheren oder der nächstniedrigeren Ebene des
Gerichtswesens anzubieten.
Gibt es keine Stelle, die angeboten werden kann oder entscheidet sich der Richter für keine
der möglichen Stellen, versetzt der Präsident des Landesgerichtsamts den Richter unter
gebührender Berücksichtigung der Interessen des betroffenen Richters an ein Gericht auf
derselben oder der nächstniedrigeren Ebene des Gerichtswesens3. Wie weiter unten
ausgeführt, können Richter im Fall einer Versetzung ein Verfahren in Bezug auf ihr
Dienstverhältnis vor einem Verwaltungs- und Arbeitsgericht einleiten.
Neue Möglichkeiten der richterlichen Überprüfung der Entscheidungen des Präsidenten des
Landesgerichtsamts
Das neue Gesetz verleiht Richtern das allgemeine Recht, sich in Bezug auf Entscheidungen
des Präsidenten des Landesgerichtsamts, wenn dieser Aufgaben der Personalverwaltung
wahrnimmt, an ein Gericht zu wenden. Darüber hinaus räumt das neue Gesetz Richtern die
Möglichkeit ein, Verfassungsbeschwerden in Bezug auf vom Präsidenten des
Landesgerichtsamts erlassene Regelungen einzuleiten4.
Darüber hinaus garantiert das neue Gesetz ein Recht auf gerichtliche Nachprüfung der
Ergebnisse der Bewerbungen um Ernennungen zum Richter. Ein Bewerber kann einen
Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über die Ernennung einlegen, wenn die rechtlichen
Voraussetzungen für die Ernennung des erfolgreichen Kandidaten nicht erfüllt werden oder
der erfolgreiche Kandidat nicht die in der Ausschreibung vorgesehenen Voraussetzungen
erfüllt. Der Rechtsbehelf ist beim Präsidenten des Gerichts einzulegen, bei dem die
Ernennung beantragt wurde; dieser leitet den Rechtsbehelf über den Präsidenten des
1
§ 18 des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern.
§ 19 des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern.
3
§ 20 des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern.
4
§ 5 Absatz 4 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
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Landesgerichtsamts an das ausschließlich zuständige Verwaltungs- und Arbeitsgericht
Budapest weiter1.
Im Hinblick auf Entscheidungen des Präsidenten des Landesgerichtsamts, im Interesse der
Entscheidung von Rechtssachen in einem angemessenen Zeitraum ein anderes Gericht zu
benennen, sieht das neue Gesetz für die davon betroffenen Parteien das Recht auf gerichtliche
Nachprüfung vor. Rechtsbehelfe der Parteien gegen die Entscheidung, ein anderes Gericht zu
benennen, werden von der Kuria entschieden. Die Kuria kann die Ermessensentscheidung des
Präsidenten des Landesgerichtsamts nur daraufhin überprüfen, ob der Präsident des
Landesgerichtsamts im Hinblick auf die Entscheidungsfindung Rechtsvorschriften verletzt
hat2.
Im Hinblick auf die Entscheidung des Präsidenten des Landesgerichtsamts, einen Richter an
ein anderes Gericht zu versetzen, wenn ein Gericht seine Arbeit einstellt oder seine
Zuständigkeit in einem Maße verringert wird, dass die richterliche Arbeit eines Richters dort
nicht länger möglich ist, sieht das neue Gesetz das Recht auf gerichtliche Nachprüfung vor.
Richter können im Fall einer Versetzung ein Verfahren in Bezug auf ihr Dienstverhältnis vor
dem Verwaltungs- und Arbeitsgericht einleiten3.
1
§ 17 des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern.
§ 3 Absatz 2 der Änderungen zum Gesetz CLXI/2011 über die Organisation und Verwaltung der Gerichte.
3
§ 20 des Gesetzes CLXII/2011 über die Rechtsstellung und die Vergütung von Richtern.
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