Erzbischof Dr. Ludwig Schick Schlusswort Sehr verehrte Damen und Herren! 1. Ich darf das Schlusswort dieses Forums „Christen in Syrien“ sprechen. Das Forum findet statt am „Tag der Menschenrechte“; der 10. Dezember wurde von den „Vereinten Nationen“ als „Internationaler Tag der Menschenrechte“ bestimmt. Das ist ein glückliches Zusammentreffen! Wenn wir uns mit den Christen in Syrien befassen, ihre derzeitige Situation bedenken und für sie eintreten, dann tun wir das im Rahmen der Menschenrechte. Der Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 lautet: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“ Das fordern wir für die Christen in Syrien und in der ganzen Welt. Aber weil wir uns für die Christen in Syrien und weltweit im Rahmen der Menschenrechte einsetzen, gilt unser Einsatz grundsätzlich allen Religionen und Weltanschauungen. Wir setzen uns für die Christen nicht „exklusiv“, sondern „eemplarisch“ ein, das heißt, was ihnen zukommen soll – Bekenntnisfreiheit, Kultusfreiheit und Aktionsfreiheit –, soll auch allen anderen Religionen zuteilwerden. 2. Warum setzen wir uns so intensiv für die Religionsfreiheit ein? Die Religionsfreiheit ist das „Herzstück“ der Menschenrechte. Warum das „Herzstück“? Als Antwort möchte ich zwei Gründe anführen: • Der erste ist ein „innerer“. Die Menschenrechte sind im Kern dazu da, die Würde eines jeden Menschen anzuerkennen und zu schützen sowie zu garantieren, dass jeder Mensch sich frei entfalten kann. Kein Menschenrecht ist so mit der Würde und dem Wesen des Menschen verbunden wie die Religion. Die Religion berührt das Selbstwertempfinden des Menschen. Die Religion ist für die Beziehungen des Menschen zur Natur und Schöpfung sowie zu seinen Mitmenschen und vor allem zu Gott entscheidend. Die Religion fördert die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen. Wer seine Religion nicht frei bekennen und praktizieren kann, der wird in all seinen Lebensbezügen eingeschränkt. Die Religion ist das „Herzstück“ der Menschenrechte, weil die Religion die Seele des Menschen am tiefsten berührt. • Der zweite Grund, warum die Religionsfreiheit das „Herzstück“ der Menschenrechte ist, ist ein „formaler“. Explizit wird, wie eben gesagt, die Religionsfreiheit im Artikel 18 der „Allgemeinen Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen“ behandelt. Indirekt kommt die Religionsfreiheit aber in sehr vielen der insgesamt 30 Artikel vor. So berührt z. B. das Recht auf freie Meinungsäußerung die Religionsfreiheit (Artikel 19); das Recht auf Koalitionsfreiheit gilt auch für die Gläubigen jeder Religion (Artikel 20); das Recht, im öffentlichen Leben Zugang zu Schulen und allen Bildungseinrichtungen, zu allen Berufen und Ämtern zu haben, gilt für die Angehörigen aller Religionen (Artikel 21, Abs. 1 und 2; Artikel 23, Abs. 1; Artikel 26, Abs. 1); das Recht auf Freiheit 1 bei Eheschließung und Familiengründung berührt die Religion (Artikel 16); das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 26, Abs. 2) gilt für die Gläubigen aller Religionen. Die Religionsfreiheit ist aus „inneren“ und „formalen“ Gründen das „Herzstück“ der Menschenrechte. Deshalb betont Papst Benedikt XVI. sinngemäß immer wieder: Wer sich für die Religionsfreiheit einsetzt, setzt sich damit zugleich für alle Menschenrechte ein. 3. Das Menschenrecht der Religionsfreiheit in der Menschenrechtserklärung wird erst in der letzten Zeit von vielen Akteuren in unserer Gesellschaft wieder neu thematisiert. Davor spielten die Pressefreiheit, das Recht auf Arbeit, Freizügigkeit und gerechte Gerichtsbarkeit für jedermann die überragende Rolle. Viele meinten, Religion sei ein Phänomen der vorwissenschaftlichen Zeit; sie werde mit der fortschreitenden Aufklärung, den physikalischen, biologischen und chemischen Erkenntnissen, den sozialen Errungenschaften und den Einsichten in die psychologischen und soziologischen Zusammenhänge der Menschen und der Gesellschaft verschwinden. Heute ist weitgehend wieder anerkannt, dass Religion und Religiosität zum Wesen des Menschen gehören und „unausrottbar“ sind. Und noch mehr: Es wird immer deutlicher wahrgenommen, dass Religion gut ist für den einzelnen Menschen und die Gesellschaft! So bekennt der Philosoph Jürgen Habermas, dass Religion eine Ressource für die Humanität in der Gesellschaft ist. Religion helfe den Menschen, mit den Kontingenzerfahrungen umzugehen und sie zu akzeptieren, so stellt ein anderer Philosoph, Hermann Lübbe, fest. Religion helfe, die Endlichkeit des Menschen zu akzeptieren, und trage somit zu der notwendigen Entschleunigung und Selbstbescheidung in unserem Leben bei, so schreibt die Soziologin Marianne Gronemeyer. Religion ist eine Quelle ethischen Lebens und baut entscheidend an einer Zivilisation des Gemeinwohls mit. Religion setzt viele Kräfte für die Gesellschaft frei; keine gesellschaftliche Gruppe bringt so viel Engagement im sogenannten Ehrenamt hervor wie die Religion, ganz besonders das Christentum. Schließlich hält die Religion die Sehnsucht des Menschen nach Geborgenheit, dauerhafter Gerechtigkeit, bleibendem Frieden und nach ewigem glückseligen Leben wach, was sich zwar erst in der Ewigkeit erfüllt, sich aber schon jetzt positiv auf das Leben der Menschen in dieser Erdenzeit auswirkt. 4. Damit, sehr verehrte Damen und Herren, sind wir beim Advent oder der vorweihnachtlichen Zeit. Die Engel in Betlehem verkündeten: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14). Mit dem Christentum, aber auch mit vielen Gruppen des Islam, des Judentums, des Buddhismus und anderer Religionen können Gerechtigkeit, Friede und Gemeinwohl gefördert werden. Dafür muss auch der interreligiöse Dialog verstärkt gepflegt werden, der den Glauben an den einen, einzigen und wahren Gott, zum Hauptthema hat, bzw. haben muss. Er soll auch jeden Religionsvertreter vor Machtmissbrauch und die Religionen vor der Verzweckung für politische Zielsetzungen bewahren. Der Glaube an den einen Gott schließt alle Menschen im Bewusstsein zusammen, dass sie Kinder des einen Vaters im Himmel und deshalb untereinander Geschwister sind. Die Adventszeit zeigt auf diesen Gott hin, der Friede und Liebe unter allen Menschen ermöglichen kann. So wünsche ich Ihnen, Ihren Angehörigen und Freunden sowie allen Menschen weltweit eine besinnliche Adventszeit, ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein friedvolles neues Jahr 2013! 2