70 Jahre Hiroshima : Gerechtfertigt? Kriegsentscheidend? Gerade an „runden“ Jahrestagen wie in diesem Jahr fällt das Gedenken an die beiden Schicksalstage, an denen die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen, umfangreicher aus als zu anderen Zeiten. Und so wird natürlich auch und gerade jetzt, 70 Jahre nach dem Geschehen, wieder die Frage gestellt, was von der offiziellen amerikanischen Nachkriegsversion zu halten ist, wonach die Bomben Hunderttausende Leben amerikanischer Soldaten gerettet hätten, weil erst durch die apokalyptischen Szenen in Hiroshima und Nagasaki das japanische Kaiserreich zur Kapitulation habe bewegt werden können. In der Rückschau wird man sagen können, dass diese Argumentation nicht zu halten ist. Nur sagt das erst einmal nichts darüber aus, vor welcher Situation Präsident Harry Truman und seine Berater im Sommer 1945 standen. Welche Informationen hatten sie? Unter welchem, zum Beispiel innenpolitischen, Druck standen sie? Es war auch den Zeitgenossen schon völlig klar, dass Japan den von ihm im Dezember 1941 mit dem Überfall auf Pearl Harbor begonnenen Krieg nicht mehr würde gewinnen können. Und so wie heutzutage gesagt wird, Deutschland sei eigentlich nach dem Ende der eingekesselten Armee in Stalingrad im Februar 1943 schon geschlagen gewesen, so könnte man sagen, dass die große Seeschlacht bei Midway im Jahre 1942 die kriegsentscheidende Wende im Pazifikkrieg gewesen sei. Nur hatten die amerikanischen Militärs im Sommer 1945 drei Jahre Erfahrungen mit einem Gegner gesammelt, der sich auch in hoffnungsloser Lage noch buchstäblich bis zur letzten Patrone und bis zum letzten Mann aufopferte, was auch die amerikanischen Verluste in die Höhe schießen ließ. Die amerikanische Taktik des „Inselspringens“ hatte schon unfassbar viele Opfer gefordert. Besonders frisch waren die Erfahrungen aus den Schlachten um Iwo Jima und Okinawa. Daraus schlossen viele Militärs, dass ein Angriff auf die japanischen Hauptinseln ein Vielfaches an Toten fordern würde. Das waren Hochrechnungen, die allerdings für viele überaus plausibel klangen. Wenn in einer solchen Situation plötzlich eine Waffe zur Verfügung steht, die eine langwierige und überaus blutige Eroberung überflüssig machen kann, ist die Versuchung groß, sie auch einzusetzen. Hinzu kam, wie man heute weiß, auch ein Element wissenschaftlicher Neugier. Nuklearwaffen waren etwas Neues. Die Wirkung der Bombe konnten Wissenschaftler zwar theoretisch berechnen. Aber der Praxistest stand noch aus. Die Entscheidung zum Einsatz fiel jedenfalls. Und schon kurz danach erschraken nicht Wenige in Amerika darüber, was ihre Regierung da angerichtet hatte. Die Regierung zog sich dann aber auf die Position zurück, ihr seien amerikanische Leben wichtiger gewesen als japanische. Und es sei nun einmal klar, dass durch die rechtzeitige Kapitulation Japans vielen Amerikanern der Tod in der Schlacht erspart geblieben sei. Damit wollte sich Washington auch gegen Vorwürfe wappnen, der Einsatz der Atombomben sei moralisch nicht zu rechtfertigen gewesen. Jenseits aller Moral gilt heutzutage erstens als gesichert, dass Japan so erschöpft war, dass eine Kapitulation nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Als mindestens so kriegsentscheidend wie die Atombomben wird der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg am 8. August 1945 angesehen. Damit hatte Japan offenbar nicht oder zumindest nicht so schnell gerechnet. Schließlich hatte die Sowjetunion, obwohl mit den Vereinigten Staaten und Großbritannien im Bündnis gegen Hitler, während des gesamten Krieges am Nichtangriffspakt mit Japan festgehalten. Nun aber erfüllte Stalin das auf der Potsdamer Konferenz gegebene Versprechen, sich am Krieg gegen das fernöstliche Kaiserreich zu beteiligen. Spätestens mit der Eröffnung dieser neuen Front war klar, so sehen Historiker die Dinge heute, dass Japan geschlagen war. Immer wieder ist auch spekuliert worden, dass der amerikanische Präsident Truman die Atombombenabwürfe auch als Signal an den sowjetischen Verbündeten ansah, dem er – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Franklin D. Roosevelt – nicht traute. Wie weit mit dieser Argumentation Szenarien des Kalten Krieges, die so richtig erst einige Jahre später eintraten, unzulässig vorweggenommen werden, ist allerdings eine durchaus legitime Frage. Aus der Perspektive des Historikers ist es leicht, Urteile über Akteure zu fällen. Wer hätte in der Haut Harry Trumans stecken wollen? Eine unter allen Umständen „richtige“ Entscheidung konnte er wohl nicht fällen. Er hat das aus seiner Sicht kleinste Übel gewählt. Peter Sturm https://www.faz.net/aktuell/politik/70-jahre-kriegsende/war-der-atombombenabwurf-wirklichnoetig-13736898.html Hiroshima-Gedenken Auftakt zur Apokalypse Im Sommer 1945 ist Japan besiegt - aber der Kaiser und seine Generäle geben nicht auf. Seit Monaten fordern die Alliierten die bedingungslose Kapitulation. Doch erst durch das "Manhattan Project" zwingen sie das Kaiserreich endgültig in die Knie. Hiroshima, 6. August 1945, 8.15 Uhr. Akihiro Takahashi sieht einen Bomber am Himmel, doch das ist nicht ungewöhnlich. Es gibt Wichtigeres, auf das er in diesem Moment achten muss -den Schulappell. Der 14-Jährige steht auf dem Hof der Städtischen Oberschule. Er ist zusammen mit 59 Klassenkameraden und anderen Schülern angetreten. Die Lehrer verlassen soeben das Gebäude. Militärische Disziplin herrscht an den Lehranstalten -schließlich befindet sich das Kaiserreich seit über dreieinhalb Jahren (und eigentlich noch viel länger) im Krieg. Der Schüler ist groß geworden mit Triumphmeldungen: Soldaten haben schon 1910 das Banner der aufgehenden Sonne in Korea aufgepflanzt, dann in den 1930er Jahren in der Mandschurei und in China. Am 7. Dezember 1941 dann der Angriff auf die USA in Pearl Harbor; später in Singapur und den Philippinen Siege über die Amerikaner und deren Alliierte. Ferne Schlachten. Vor sechs Monaten aber ist der Krieg in Akihiro Takahashis Heimat gekommen. Seither greifen Hunderte amerikanischer B-29-Bomber japanische Städte an. Im Regen der Spreng- und Brandbomben sind 60 Prozent der 60 größten Städte des Landes untergegangen, Hunderttausende Menschen gestorben und etwa zehn Millionen obdachlos geworden. Fast alle bedeutenden Städte des Kaiserreiches sind getroffen worden, allerdings nicht Hiroshima. Die Stadt scheint unantastbar Millionen Flugblätter haben feindliche Piloten abgeworfen, um die Bevölkerung vieler namentlich aufgeführter Städte vor weiteren Angriffen zu warnen. Hiroshima jedoch fehlt auf der Liste. Dabei ist es ein ideales Ziel: "Große Insel" bedeutet der Name der Stadt, und tatsächlich erstreckt sich Hiroshima über sechs ausgedehnte Eilande im Mündungsdelta des Ota-Flusses im Südwesten der Hauptinsel Honshu. Eine dicht besiedelte Ebene, umgeben von bewaldeten Bergen. 365000 Menschen leben in der 400 Jahre alten Stadt, der achtgrößten Japans. Sie wohnen in eng verschachtelten, hölzernen Häusern. Nur wenige Gebäude ragen aus dem Dächermeer heraus: die 1915 im klassizistischen Stil errichtete, von einer metallenen Kuppel bekrönte IndustrieAusstellungshalle etwa oder der Tempel an der Aioi-Brücke. Kirschbäume säumen die Flussufer und vier mächtige Kampferbäume, fast so alt wie die Stadt selbst. Seit 1868 ist sie Militärbasis, rund 8000 Soldaten sind hier stationiert. Weshalb dann dieser seltsame Frieden inmitten des Bombenregens? Gerüchte laufen um in der Stadt: Womöglich hat der Feind etwas Besonderes vor mit Hiroshima. Seit rund drei Wochen erscheint an jedem Morgen eine B-29 am Himmel. Der schwere Bomber kreist einige Minuten über der Stadt, dann verschwindet er wieder Richtung Pazifik. Kein japanischer Abfangjäger steigt je auf, um ihn abzuschießen. Kampfflugzeuge sind kostbare Waffen in dem verwüsteten Land, die Armeeführung will sie nicht vorzeitig riskieren, befürchtet doch jeder die baldige Invasion der Amerikaner. Keine Angst vor "Herrn B" Und wozu sollten Jagdflugzeuge starten? Niemals ist etwas geschehen. Die Menschen haben sich an den Anblick der B-29 gewöhnt. "B san" nennen sie spöttisch den Flieger, "Herr B". Also achtet Akihiro Takahashi nicht mehr auf die B-29, die neuneinhalb Kilometer über seinem Kopf dahinfliegt. Er blickt auf die Lehrer, bereit zum Appell. Noch 43 Sekunden, dann wird die Welt untergehen. Japan ist im Sommer 1945 ein besiegtes Land -aber noch immer ein fürchterlicher Gegner. Denn in den sechs Monaten nach dem Überfall auf Pearl Harbor, als die US-Flotte vorübergehend gelähmt war, hatten die Truppen des Tenno ein mehr als 15 Millionen Quadratkilometer großes Gebiet erobert. Der Westpazifik von den Alëuten bis zu den melanesischen Inseln jenseits des Äquators war unter ihrer Kontrolle -sowie fast ganz Neuguinea, die Philippinen, Indonesiens Inseln bis wenige Kilometer vor Australiens Küste, Malaysia, Indochina, Thailand und Birma. In mehreren Seeschlachten hat die wieder erstarkte US-Marine 1942/43 zwar die japanische Flotte vernichtet. Doch die von den Japanern besetzten Länder mussten anschließend dennoch Insel für Insel befreit werden. Sechs Millionen japanische Soldaten verteidigen ihr Imperium; etwa fünf Millionen von ihnen sind in China und in Japan stationiert. Den rund eine Million Japanern auf den Pazifikinseln stehen etwa ebenso viele Amerikaner gegenüber. Und obwohl die US-Militärs zur See und in der Luft drückend überlegen sind, zahlen sie für die Eroberungen einen hohen Preis. Allein bei der am 19. Februar 1945 begonnenen Invasion der kleinen japanischen Insel Iwojima ist jeder dritte GI getötet oder verwundet worden. Der Generalstab befürchtet eine Million US-Opfer Der US-Generalstab plant für den Herbst 1945 die Invasion der südlichen japanischen Insel Kyushu (Deckname "Olympia") und für März 1946 den Angriff auf die Hauptinsel Honshu ("Coronet"). Kein Militärhistoriker hat bis heute herausgefunden, wer im US-Generalstab erstmals schätzt, dass die Eroberung des japanischen Kernlandes auf Seiten der Amerikaner "eine Million Mann Verluste" kosten würde (was nach gängiger Kriegserfahrung ungefähr 330.000 Tote und doppelt so viele Verletzte bedeuten würde). Diese Ziffer -oft sogar erhöht auf "eine Million Tote" -bestimmt jedenfalls ab Sommer 1945 die Invasionspläne. (Bis dahin beklagen die USA im Zweiten Weltkrieg an allen Fronten zusammen insgesamt rund 250.000 Tote und Verwundete.) Die Militärs präsentieren dem am 12. April 1945 ins Amt gekommenen Präsidenten Harry S. Truman die Pläne für die Operationen "Olympia" und "Coronet". Der vormalige Vizepräsident, der 1944 aus wahltaktischen Gründen nominiert worden war und ein versierter Innen-, jedoch wenig erfahrener Außenpolitiker ist, hat den Krieg von seinem im Amt verstorbenen Vorgänger Franklin D. Roosevelt geerbt -und muss nun damit rechnen, dass in seinem ersten Amtsjahr eine Million Amerikaner im Kampf fallen könnten, mehr als jemals zuvor in der Geschichte der USA. Allerdings, erfährt Truman von seinem Kriegsminister, gebe es da vielleicht noch einen anderen Weg, den Konflikt im Pazifik zu beenden: siegreich, schnell und ohne amerikanische Opfer. Durch eine neue Bombe. Im Dschungel lauern japanische Soldaten Marianeninsel Tinian, Flugplatz North Field, 26. Juli 1945. Das Eiland liegt rund 2700 Kilometer südöstlich Japans. Amerikanische Truppen haben es 1944 erobert und in den größten Flugplatz der Welt verwandelt. Hier starten und landen auf vier bis zu drei Kilometer langen Betonpisten fast Nacht für Nacht Hunderte von B-29-Bombern zu Angriffen auf japanische Städte. In der Nähe liegt ein Hafen, mit Pipelines, Tanks, Kais und Lagerhäusern zur Versorgung der Flieger. Die Soldaten leben in Nissenhütten: halbrunden Wellblechbaracken, in denen es in der schwülen Luft unerträglich heiß werden kann. Kaum jemand wagt sich weit vom Flughafen fort -im Dschungel auf der Insel halten sich noch immer rund 500 japanische Soldaten versteckt. Ein GI wurde bereits von ihnen erstochen. Abseits der anderen Crews, bewacht von Posten der Militärpolizei und des Geheimdienstes, stehen die Nissenhütten der 509th Composite Group. Die Piloten der 15 Bomber und ihre Besatzung sind vor gut acht Wochen aus den USA eingetroffen, doch haben sie noch nicht an einem der Massenangriffe gegen Japan teilgenommen. "Glory Boys" werden sie von den anderen Crews genannt, hektografierte Spottgedichte über die Neuankömmlinge machen die Runde. Der Hohn der Kameraden ist für die Männer der 509th Composite Group nur schwer erträglich -schließlich gehören sie zu den besten Piloten, Bombenschützen und Navigatoren der Air Force. Doch sie dürfen über ihre Mission nichts verraten. Und, was ihre Nerven noch ärger strapaziert: Sie könnten es auch gar nicht. Denn sie wissen nicht, welchen Einsatz sie fliegen sollen. Selbst die Japaner scheinen mehr zu ahnen. Ihr Propagandasender, deren Sprecherin, die "Rose von Tokio", auch bei den GIs beliebt ist, begrüßt die Männer jedenfalls ironisch auf Tinian. Die Bezeichnung des Geschwaders ist dem Feind ebenso bekannt wie das Datum seiner Ankunft. Der Kommandant der 509. hat wenigstens eine ungefähre Vorstellung vom Angriffsplan. Colonel Paul W. Tibbets jr. ist schon 1942 bei den ersten Angriffen gegen Deutschland mitgeflogen. Ende 1943 wurde er Testpilot für die neu entwickelte, schwierig zu fliegende B-29. Am 2. September 1944 hat der Oberst den Befehl bekommen, eine kleine Einheit für Angriffe mit einer "Spezialbombe" auszubilden. Mögliche Ziele: Deutschland und Japan. Tibbets hat es plötzlich mit Wissenschaftlern zu tun, die sich nicht vorstellen, ihm aber genaue Instruktionen geben: Hoch solle der Bomber am Angriffstag fliegen, über neun Kilometer. Schnell müsse er sein, fast halbe Schallgeschwindigkeit. Dennoch müsse die "Spezialbombe" nach Sicht abgeworfen werden -das heißt, der Bombenschütze soll mit Teleskop und Visier das Ziel anpeilen, nicht mithilfe des Radargerätes. Und das Seltsamste: Statt, wie üblich, nach Abwurf der Bombenlast geradeaus weiterzufliegen, muss die B-29 unmittelbar nach dem Ausklinken eine scharfe Kurve fliegen -ein halsbrecherisches Manöver in so großer Höhe. Tibbets fragt sich, wozu dies gut sein soll. Elitepilot Lewis stellt die falschen Fragen In einer abgelegenen Basis in der Wüste zwischen Utah und Nevada bildet er seine Crews aus. Alle haben sich ausgezeichnet, alle sind vom FBI auf ihre Zuverlässigkeit überprüft worden. Von den 1764 Soldaten unter Tibbets' Kommando - zwölf Soldaten pro B-29, der Rest sind Techniker, Sicherheitsleute und andere - versucht nur ein Einziger, mehr über ihren geheimnisvollen Einsatz herauszufinden: Captain Robert Lewis, ebenfalls ein ehemaliger Testpilot der B-29. Der fährt eines Tages zu einem Stützpunkt, auf dem einige der namenlosen Wissenschaftler arbeiten. Vergebens ein Sicherheitsoffizier fängt ihn am Eingang ab. Lewis wird trotzdem nicht, wie manche andere Soldaten, aus der Einheit entfernt, denn er ist der beste Pilot der Gruppe. Tibbets wählt im Laufe der Monate im Herstellerwerk 15 neue Maschinen aus. Die Boeing B-29 ist gut 30 Meter lang und hat eine Spannweite von etwa 43 Metern. Der aus Aluminiumelementen zusammengefügte, elegante Bomber schimmert silbern. Er ist die komplizierteste und teuerste konventionelle Waffe, die die USA in diesem Krieg entwickelt haben. Doch für Tibbets ist sie nicht gut genug: Er lässt in jede Maschine vier je 2200 PS starke Wright-R-3350-57-CycloneMotoren einbauen. Dazu verbesserte, verstellbare Propeller. Die Panzerung aber, die die Besatzung bei feindlichem Beschuss vor Splittern schützen soll, lässt er herausreißen. Ebenso, bis auf ein Zwillingsmaschinengewehr im Heck, die Maschinengewehre, mit denen der Flieger normalerweise bestückt ist. Die Männer fühlen sich in den Bombern schutzlos Seine Männer sehen das gar nicht gern: Sie fühlen sich in den Bombern nun schutzlos. Doch Tibbets weiß, dass die Maschinen durch das eingesparte Gewicht jetzt schneller und höher fliegen können. Im vorderen der beiden Bombenschächte lässt er zudem batteriegespeiste Heizungen installieren, damit der Zünder in der eisigen Höhe am Rand der Stratosphäre nicht einfriert - und eine neue Halterung einbauen: Fortan kann jede B-29 eine einzige gewaltige Bombe an nur einem Haken tragen. Im Mai und Juni 1945 fliegen die Männer der 509. nach Tinian. Auf der Pazifikinsel gehen die Übungseinsätze weiter - wenn auch erstmals gegen echte Ziele. Rota, eine andere Insel der Marianengruppe, ist so unbedeutend, dass man auf ihr keinen Flugplatz einrichten kann. Mithin ist sie uninteressant für die Amerikaner und deshalb bisher nicht erobert worden. Noch immer halten sich dort rund 3000 japanische Soldaten verschanzt. Tibbets lässt seine Crews nun zum Training 500-Kilo-Bomben aus großer Höhe auf dieses kleine Ziel werfen. Vom 20. Juli an geht es auf rund zwölfstündige Einsatzflüge gegen Japan. Einzeln sollen die B-29 verschiedene Städte im Kaiserreich anfliegen und aus großer Höhe jeweils eine Bombe auf ein vorbestimmtes Ziel abwerfen, etwa einen Bahnhof. Von 38 Sprengsätzen treffen 37 ins Ziel. Inzwischen haben die Männer von der "Superbombe" gehört, die zum Einsatz kommen soll. Alle wollen dabei sein. Am 26. Juli 1945 läuft der schwere Kreuzer "USS Indianapolis" in Tinian ein und legt an einem abgesperrten Kai an. An Bord ein mit Blei ausgeschlagener Stahlzylinder, 60 Zentimeter lang und 45 Zentimeter breit, einige hundert Kilo schwer. Ein Major und ein Wissenschaftler lassen ihn keinen Augenblick aus den Augen, als Matrosen ihn entladen und auf einem Lastwagen zum abgesperrten Teil der 509th Composite Group fahren. Im Inneren des Zylinders ruht das Material für die "Superbombe". 60 Kilo Uran U-235. Von Cay Rademacher, GEO Epoche Vernichtung, "sobald das Wetter es erlaubt" Im zweiten Teil der Artikelserie zum Atombombenabwurf über Hiroshima: Wie europäische Wissenschaftler die technischen Probleme der ersten Nuklearwaffe lösten, was Truman bewog, die Bombe einzusetzen - und warum nur Japan als Ziel in Frage kam. Die 60 Kilo Uran sowie einige Kilo Plutonium Pu-239 sind das Ergebnis von mehr als zwei Milliarden Dollar Kosten und vier Jahren Arbeit von 130000 Menschen, unter ihnen einige der brillantesten Physiker und Chemiker des 20. Jahrhunderts. Es ist die Ausbeute des geheimnisvollsten, teuersten und folgenreichsten Geheimprojektes des Zweiten Weltkrieges: des Manhattan Project. Begonnen hatte alles wenige Jahre zuvor. Ende 1938 gelang den Deutschen Otto Hahn und Fritz Strassmann die erste Kernspaltung, indem sie Urankerne mit Neutronen beschossen. Dabei zerplatzten die Kerne in mehrere Teile, die zusammen weniger Masse als der Ausgangskern hatten. Die Differenzmasse war in Energie umgewandelt worden. Leó Szilárd, ein jüdischungarischer Physiker, der 1933 das "Dritte Reich" verlassen hatte und schließlich in die USA emigriert war, erkannte, dass durch die Nuklearspaltung explosionsartig eine sich selbst in Gang haltende Kettenreaktion von Kernspaltungen entstehen kann, durch die innerhalb von weniger als einer Millionstel Sekunde eine ungeheure Energie freigesetzt wird. Eine Energie, welche das Naziregime in eine mörderische Waffe verwandeln könnte. Überzeugungshilfe vom Kollegen Einstein Aber wer sollte auf ihn, den unbekannten Exilanten, hören? Szilárd wählte den Umweg über Albert Einstein. Der berühmte Forscher war schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach Princeton gegangen. Der Ungar brachte seinen Fachkollegen dazu, US-Präsident Roosevelt in einem Brief vor der Gefahr einer deutschen Atombombe zu warnen. Dieser Brief war der Startschuss für das Manhattan Project - auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch niemand so nannte. 6000 Dollar flossen aus dem Etat der Navy an ein erstes Forschungsprojekt. Erst nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor wurden die wissenschaftlichen Anstrengungen potenziert: Jetzt arbeiteten Wissenschaftler in Dutzenden von Universitäten und Laboratorien an der Atombombe. Neben den US-Wissenschaftlern forschten Briten und einige der brillantesten Exilanten Europas - Leó Szilárd etwa oder der Italiener Enrico Fermi. Es waren vor allem drei Fragen, die die Forscher beantworten mussten: - Wie kann eine kontrollierte Kettenreaktion gesteuert werden? Noch immer waren viele theoretische Fragen nicht geklärt. Etwa: Welche Materialien sind nutzbar, und welche Mengen müssen von ihnen gewonnen werden? - Wie kann das fragliche Material in ausreichender Menge hergestellt werden? - Wie kann aus dem schließlich gewonnenen Material eine Waffe gebaut werden? Auf der Suche nach künstlichem Plutonium Bei der Lösung dieser Probleme konnten die Wissenschaftler zum Teil auf schon bestehende Hypothesen aufbauen. So hatte der dänische Atomforscher Niels Bohr bereits eine Theorie der Kernspaltung entwickelt, wonach bei Uran nur das Isotop U-235 spaltbar ist. Isotope sind Atomarten, deren Kerne gleiche Protonen-, aber unterschiedliche Neutronenzahlen aufweisen. Die chemischen Eigenschaften sind jeweils sehr ähnlich, doch die Masse ist unterschiedlich. 99 Prozent des natürlich vorkommenden Uranerzes bestehen aus dem Isotop U-238, nur knapp ein Prozent entfällt auf U-235. Zum Bau einer Bombe müsste man demnach U-235-Isotope isolieren. Der USChemiker Glen Seaborg schlug 1941 das Plutonium-Isotop Pu-239 vor. Doch das muss künstlich erzeugt werden, und zwar indem Uran 238 mit Neutronen beschossen wird. Das Prinzip war bei beiden Materialien gleich: U-235 und Pu-239 senden bei der Spaltung zwei bis drei Neutronen aus. Trifft eines dieser Neutronen einen anderen Atomkern, wird auch er gespalten, wobei abermals zwei bis drei Neutronen freigesetzt werden, die wiederum weitere Atomkerne spalten können, sodass, wie von Szilárd vorhergesagt, eine Kettenreaktion entsteht. Allerdings müssen dafür genügend große Mengen des Materials auf einem begrenzten Raum vereint sein - die so genannte "kritische Masse". Bei der Überschreitung dieser Masse steigt die Neutronenstrahlung so sehr an, dass eine Kettenreaktion entsteht. 1942 kalkulierten Wissenschaftler, dass sie für eine Bombe etwa 50 bis 100 Kilo U-235 und rund zehn Kilo Pu-239 benötigen würden. Das war die Theorie - wie aber ließen sich die radioaktiven Isotope in derartigen Mengen gewinnen? Ausbeute: Wenige Gramm Uran pro Woche Ab dem 17. September 1942 setzte Colonel Leslie Groves, General und Koordinator des Projekts, die theoretischen Erkenntnisse der Wissenschaftler in praktische Resultate um. Als Erstes ließ er in Oak Ridge, Tennessee, einen gewaltigen Industriekomplex errichten. Hier wurde ab 1943 U-235 hergestellt, das man auf komplizierte Weise vom schwereren U-238 trennte. Ausbeute pro Woche: wenige Gramm. Und hier wurde auch ein Reaktor zur Produktion von spaltbarem Plutonium gebaut. Den ersten funktionsfähigen Kernreaktor der Welt nahm der Physiker Enrico Fermi am 2. Dezember 1942 in einer Turnhalle der Universität Chicago in Betrieb. Fermi erzeugte damit die erste kontrollierte nukleare Kettenreaktion, indem er die Neutronen, welche die Uran-Isotope aussenden, mit Graphit abbremste. Mit dieser Form der Kernreaktion, die langsam und kontinuierlich ablief, konnte Plutonium Pu-239 hergestellt werden. 1943 wurde Julius Robert Oppenheimer zum wissenschaftlichen Direktor des Manhattan Projects ernannt. Die Forscher in den mehr als 30 Laboratorien und Produktionsstätten arbeiteten weitgehend isoliert von der Außenwelt. Keiner wusste: Wie weit waren die Deutschen? Nur Japan blieb als Angriffsziel übrig Was Groves und seine Männer nicht ahnten: Die deutschen Wissenschaftler um Hahn hatten nach 1938 nur noch geringe Fortschritte gemacht. Und das verwüstete Land war militärischindustriell längst nicht mehr in der Lage, spaltbares Material herzustellen und es in eine Atombombe zu packen. Das Rennen um die Atombombe hatten die Amerikaner bereits 1942 gewonnen. Im April 1945 war absehbar, dass bald ausreichend Material bereitstehen werde: Plutonium für zwei Bomben, Uran für eine Bombe. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Kapitulation des "Dritten Reichs" nur noch eine Frage von Tagen. Die Angst vor der deutschen Bombe, das wichtigste Motiv zum Start des Manhattan Projects, hatte sich in nichts aufgelöst. Blieb nur noch Japan. Am 16. April 1945 trafen sich im Pentagon General Groves, Colonel Tibbets sowie einige Offiziere und Wissenschaftler. Zweck der Konferenz: Ziele festzulegen für die Atombombe. Nach langer Diskussion einigte sich die Runde auf vier, später drei weitgehend unverwüstete Städte: Kokura, Nagasaki und, mit oberster Priorität, Hiroshima. An die Bomberverbände erging der Befehl, diese Städte auch fortan zu meiden. Die US-Militärs wollten die "Superbombe" auf unzerstörte Ziele abwerfen, um deren Wirkung besser studieren zu können. Da über Japan oft in 8000 bis 10000 Meter Höhe Schleierwolken ziehen, wurden Meteorologen befragt, wann mit bester Sicht zu rechnen sei. Ihr Rat: im August, am besten in der ersten Monatswoche. An jenem Tag in Washington - neun Tage, bevor Präsident Truman überhaupt von der Existenz der Atombombe erfuhr, und drei Monate, bevor erstmals ein Testexemplar gezündet wurde war das Schicksal von Hiroshima bereits besiegelt. Das neue Zeitalter begann am 16. Juli 1945 um 5.30 Uhr. In einer Wüstengegend New Mexicos, der die Militärs - auf Oppenheimers Vorschlag hin - den Codenamen "Trinity" gegeben hatten, "Dreifaltigkeit", zündeten Wissenschaftler eine der beiden Plutoniumbomben. Ein Feuerball, so hell wie tausend Sonnen, schmolz den Wüstensand zu Glas. Der Blitz und der Rauchpilz waren noch Dutzende Kilometer weit zu sehen, die Zerstörungskraft von Hitze und Druckwelle übertraf die kühnsten Erwartungen von Militärs und Wissenschaftlern. "Was für eine Explosion!" "Was für eine Explosion", meldete Groves an den Präsidenten in einem Memorandum. Der Satz ist, untypisch für einen militärischen Bericht, freigestellt, unterstrichen und mit einem Ausrufezeichen geschmückt. Und noch etwas zeugt vom Optimismus und von der Ungeduld der Männer des Manhattan Projects: Der Zylinder mit dem U-235-Kern für die Uranbombe hatte bereits am 14. Juli die Waffenfabrik in Richtung Tinian verlassen - zwei Tage vor dem ersten Test. Die Atombombe war einsatzbereit. Wie würde sich der Präsident entscheiden? Harry Truman befand sich an diesem Tag in Potsdam. Gemeinsam mit Winston Churchill und Josef Stalin entschied er in einer mehrwöchigen Konferenz über die Ordnung der Nachkriegswelt. Stunden nach der Explosion war ihm ein erster Rapport zugestellt worden. Andererseits hatte er drei Tage vor der Zündung von seinen Diplomaten erfahren, dass sich die japanische Regierung diskret nach den Friedensbedingungen erkundigte. Das Kaiserreich war bereit, sich zu ergeben. Die einzige Bedingung der Japaner: Der Tenno dürfe auf keinen Fall abgesetzt oder gar, wie auf alliierter Seite gefordert, vor ein Gericht gestellt werden. Die Bombe als Alternative zur Invasion? Doch weder Truman noch Churchill oder Stalin dachten daran, diese Bitte zu erfüllen. Seit 1943 schon hatten die Alliierten die "bedingungslose Kapitulation" Deutschlands und Japans verlangt. Wenn Tokio dies nicht akzeptiere, so sah es Truman, dann werde ab Herbst 1945 die US-Invasion anrollen. Die wiederum, das versicherten ihm seine militärischen Berater, würde eine Million amerikanische Opfer fordern. Wäre es da nicht geradezu human, die Atombombe einzusetzen? Die Bombe als Alternative zur Invasion? Die nukleare Explosion, die im Bruchteil einer Sekunde vollbringt, was sonst nur durch einen monatelangen Landkrieg erreicht werden könnte? Nachbau von "Little Boy": Abgeworfen, weil sie da war? Lieber einige zehntausend Opfer durch einen Blitz als einige hunderttausend durch einen Feldzug? So dachte Truman, so zumindest hat er bis zum Ende seines Lebens argumentiert. Und doch waren seine Motive - und die der Militärs - möglicherweise sehr viel komplexer. Oder sehr viel simpler. Komplexer, weil sich Truman schon kurz, nachdem er von der Existenz des Atombombenprogramms erfahren hatte, Ratschläge geben ließ. Er berief ein Komitee aus Wissenschaftlern und Politikern ein, um sie zu fragen, ob die Bombe eingesetzt werden solle. Die Männer, unter ihnen Oppenheimer und Fermi, votierten dafür, Japan ohne Vorwarnung anzugreifen. Andere Atomforscher dagegen, etwa Leó Szilárd, sahen nach der deutschen Kapitulation keine Notwendigkeit mehr für einen Einsatz. In einem Memorandum vom 11. Juni 1945 rieten sie, japanische Beobachter zu einer Testexplosion einzuladen, damit die sich von der schrecklichen Wirkung der Waffe überzeugen konnten. Die US-Militärs lehnten diesen Vorschlag ab: Was wäre, wenn diese erste Explosion einer nie zuvor getesteten Waffe scheitern würde? Statt Japan zu entmutigen, hätte eine Fehlzündung den Kampfeswillen des Feindes gestärkt. Ein mögliches weiteres Motiv für Trumans Entscheidung: Der spätere Außenminister James Byrnes hatte bereits am 3. März 1945 in einer Denkschrift daran erinnert, dass das Manhattan Project zwei Milliarden Dollar verschlungen hatte - und zwar aus Geheimfonds. Diese Ausgaben waren vor dem US-Kongress verheimlicht worden. Zudem waren zwei für das Projekt wichtige Firmen von staatlichen Ermittlungen wegen Kartellbildung verschont worden. "Wenn das Projekt ein Fehlschlag wird", warnte Byrnes, "wird es zu gnadenlosen Untersuchungen und zur Kritik führen." Mit anderen Worten: Wenn die Regierung ein Vermögen heimlich ausgibt, ohne dafür ein überzeugendes Resultat präsentieren zu können, riskiert sie ihre politische Existenz. Der Sowjetherrscher zeigte sich freundlich interessiert Zudem dachten manche amerikanische Politiker bereits nicht mehr an Japan - sondern an die UdSSR. Der US-Präsident hatte Stalin am 24. Juli in Potsdam eher nebenbei über die Existenz einer "neuen Bombe" informiert, der Sowjetherrscher hatte sich freundlich interessiert, aber nicht weiter beeindruckt gezeigt. US-Kriegsminister Henry Stimson dagegen hatte bereits einen Tag zuvor in seinem Tagebuch notiert, dass die Sowjetunion ohne einen amerikanischen Einsatz der Atombombe im Pazifik ungeheuren Einfluss gewinnen werde. Die Bombe sollte also nicht in erster Linie Japan niederzwingen, sondern die UdSSR aus dem Fernen Osten heraushalten. Vielleicht waren Trumans Motive aber auch viel simpler: Die Atombombe wurde abgeworfen, weil sie da war. Schließlich setzten im Zweiten Weltkrieg alle Kontrahenten fast jede Waffe, die einsatzfähig war, auch tatsächlich ein. Und warum sollte man ausgerechnet auf die Japaner Rücksicht nehmen, die den Krieg im Pazifik ja schließlich mit dem Angriff auf Pearl Harbor begonnen hatten - einem infamen Überfall ohne Kriegserklärung, der 2500 Amerikaner das Leben gekostet hatte? Der britische Premier Winston Churchill jedenfalls, dem am 17. Juli ein codiertes Telegramm mit der Nachricht von der Atombombenexplosion ("Babys problemlos geboren") überreicht worden war, schrieb später über die entscheidenden Tage von Potsdam: "Nicht für einen Augenblick gab es eine Diskussion darüber, ob man die Atombombe einsetzen sollte oder nicht." Ob nun nach sorgfältigem Abwägen oder ohne lange nachzudenken: Am 25. Juli 1945 gibt Truman der Strategischen Luftflotte im Pazifik den Befehl, die "Spezialbombe" nach dem 3. August einzusetzen, "sobald das Wetter es erlaubt". Das Wort "Atombombe" fällt im Briefing nicht Tinian, North Field, Samstag, 4. August 1945, 15.00 Uhr. Sechs Crews der 509th Composite Group haben die Order, sich im Versammlungsraum einzufinden. In der Nissenhütte ist es stickig von Zigarettenqualm. Captain William Sterling Parsons, ein Marinetechniker, erhebt sich. "Ich habe an der Bombe, die Sie bald abwerfen werden, mitgearbeitet", beginnt er. Dann zeigt er Bilder der ersten Atombombenexplosion in New Mexico, die er selbst an Bord eines Beobachtungsflugzeuges miterlebt hat. Er gibt eine kurze Einführung in das Projekt. Das Wort "Atombombe" benutzt er nicht. Die meisten Männer in der Baracke wissen immer noch nicht genau, was sie bald abwerfen sollen. Doch immerhin dies: Parsons schätzt, dass die Sprengkraft ihrer Bombe der von 20 Kilotonnen TNT gleichkommt. Das entspricht der Zerstörungskraft zweier 1000-Bomber-Angriffe. Dann werden neue Bilder an die Wand geworfen - und jetzt geht erstmals ein Raunen durch die Reihen. Luftaufnahmen einer unzerstörten japanischen Stadt! Niemand hätte es für möglich gehalten, dass es noch unverwüstete Orte beim Feind gibt. "Das ist Hiroshima", sagt Tibbets. Stundenlang werden die Soldaten von Offizieren und Wissenschaftlern eingewiesen: Drei B-29 werden vorausfliegen, je eine nach Hiroshima, Kokura und Nagasaki. Es sind die Pfadfinder, die das Wetter und mögliche Flugabwehrreaktionen über den Zielstädten auskundschaften sollen. Eine Stunde später wird ihnen die B-29 mit der Atombombe folgen, begleitet von einer weiteren Maschine, welche Messinstrumente abwerfen soll, und einer dritten, von der aus Film- und Fotoaufnahmen gemacht werden. https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/bombenabwurf-auf-hiroshima-das-inferno-unddie-ueberlebenden-a-352277.html Warum Truman den Abwurf der Atombombe befahl Während man in Potsdam um die Neuordnung Europas rang, entschied US-Präsident Truman den Atomwaffen-Einsatz. Das militärische Ziel war Japan, aber der eigentliche Adressat war ein anderer. Von Johann Althaus Der General bestand auf einem schriftlichen Befehl: „Man berichtet mir, ich soll losziehen und da draußen das ganze südliche Ende der japanischen Inseln in die Luft jagen“, sagte Carl Spaatz, der Chef der strategischen US-Bomber im Pazifik, zu Thomas Handy, dem stellvertretenden Stabschef der US-Streitkräfte, und fuhr fort: „Bei Gott, ich habe noch kein Stück Papier bekommen, und ich finde, ich brauche ein Stück Papier.“ Handy, der formal als Generalleutnant sogar einen Rang unter dem Viersternegeneral Spaatz stand, antwortete: „Ja, da gebe ich Dir recht. Ich glaube, Du brauchst ein Stück Papier, und ich nehme an, ich bin der Dumme, der es Dir geben soll.“ So kam am 25. Juli 1945 der Befehl zustande, der direkt zum Abwurf von zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki führte: Spaatz forderte ihn, und Handy stellte ihn aus. Thomas T. Handy hatte als stellvertretender Chef des US-Generalstabes eine Schlüsselstellung „Die 509. Bomber-Gruppe wird ihre erste Spezialbombe nach dem 3. August 1945, sobald wie das Wetter einen Angriff auf Sicht ermöglicht, abwerfen auf eines der folgenden Ziele: Hiroshima, Kokura, Niigata oder Nagasaki“, lautete die eigentliche Weisung. Ferner hieß es im selben Befehl: „Weitere Spezialbomben werden auf die genannten Ziele abgeworfen, sobald der Projektstab sie fertig gestellt hat.“ US-Kriegsminister Henry Stimson hatte die grundsätzliche Entscheidung nach Washington durchgegeben, nachdem ihn früher an diesem 25. Juli 1945 der seit gerade einmal drei Monaten amtierende Präsident Harry Truman angewiesen hatte, die ersten Atombomben einzusetzen. Truman befand sich an diesem Tag in Potsdam-Babelsberg, in einer scherzhaft „Little White House“ genannten Villa oberhalb des Griebnitzsees. Seit einer Woche konferierte der US-Präsident mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin und dem britischen Premier Winston Churchill über die künftige Weltordnung. In sein Tagebuch schrieb Truman an diesem Mittwoch: „Ich habe Stimson angewiesen, die Bombe so zu benutzen, dass militärische Anlagen, Soldaten und Seeleute die Ziele sind, nicht Frauen und Kinder.“ Und er fügte hinzu: „Auch wenn die Japaner wild, ruchlos, unbarmherzig und fanatisch sind – wir als Führer der freien Welt können diese furchtbare Waffe nicht auf die alte Hauptstadt abwerfen oder auf die neue.“ Darin stimmte ihm, laut seinem Tagebuch, Stimson ausdrücklich zu. Das Ziel solle „rein militärisch“ sein. Außerdem wollte Truman den Japanern vor dem Abwurf eine unmissverständliche Warnung zukommen lassen. Doch weder Hiroshima noch Kokura, weder Niigata noch Nagasaki waren „rein militärische“ Ziele. Im Gegenteil hatten sie zwischen 150.000 und 300.000 Einwohner, vor allem Familien. In allen Städten lagen zwar Kasernenanlagen und Rüstungsfabriken, in denen Zehntausende – meist koreanische – Zwangsarbeiter schuften mussten, doch stets überwog der zivile Anteil. Das wusste vermutlich auch Truman. Manches spricht dafür, dass die Notiz vom 25. Juli in seinem Tagebuch vor allem für die Nachwelt gedacht war. Denn natürlich wusste der US-Präsident, dass spätere Generationen jede seiner Handlungen kritisch durchleuchten und bewerten würden. Seit 70 Jahren wird nunmehr über Trumans Entscheidung gestritten, tatsächlich Atombomben einzusetzen und damit zwei Städte einzuäschern. Mindestens 125.000 Menschen starben bei den Angriffen sofort, wahrscheinlich aber knapp doppelt so viele. Über die Zahl der langfristigen Opfer wird heftig gestritten. Warum aber befahl Truman den Abwurf der beiden Bomben? Vordergründig eine leicht zu beantwortende Frage: Die Kämpfe zwischen US-Marines und japanischen Verteidigern auf den Pazifikinseln Iwo Jima und Okinawa hatten deutlich gemacht, mit welchem Fanatismus eine Invasionsarmee auf den Hauptinseln Japans rechnen musste. Mit Verlusten von mehreren Hunderttausend GIs war zu rechnen. Wiederholt hatten die USA Japan zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert, doch das stolze Land weigerte sich. In dieser Lage war die Entscheidung, die ungeheure Gewalt der am 16. Juli 1945 erstmals getesteten Kernspaltungswaffe tatsächlich einzusetzen, nachvollziehbar: Sie diente dem Schutz der eigenen Soldaten. Mindestens genauso wichtig aber war die politische Dimension. Denn die Entscheidung für den Abwurf der beiden Atombomben fiel nicht, wie in normalen militärischen Fragen, in einem Generalstab. Im Gegenteil waren führende Offiziere wie Generalstabschef George Marshall höchstens beratend beteiligt – oder erfuhren wie Carl Spaatz, immerhin oberster Chef aller USBomberverbände, erst im Nachhinein von dem Entschluss. Denn Truman, der erfahrene Kriegsminister Stimson und der neue Außenminister James F. Byrnes hatten gemeinsam den Einsatz beschlossen. Und sie hatten dabei nicht nur Japan im Blick, sondern auch die Sowjetunion. Seit dem Tod von Franklin D. Roosevelt am 12. April 1945 hatte sich die Stimmung in der US-Regierung deutlich gewendet. Die imperialistische Macht unter Stalin war dabei, ein Kolonialreich in Ostmittel- und Südosteuropa zu errichten. In allen von der deutschen Besatzung befreiten Ländern wurden kommunistisch gelenkte Regimes etabliert. Bis an die Elbe reichte das von der Roten Armee beherrschte Territorium bereits; die Staaten West- und Südeuropas waren akut gefährdet von ihrem Expansionsstreben. Mit der Atombombe hatte Truman die passende Waffe, um Stalin von weiterem Vordringen abzuschrecken. Am frühen Abend des 24. Juli 1945 hatte Truman am Ende der Verhandlungsrunde im Potsdamer Schloss Cecilienhof den sowjetischen Diktator beiseite genommen. „Ich erwähnte Stalin gegenüber beiläufig, dass wir eine neue Waffe von ungeheuerlicher Zerstörungskraft hätten. Der russische Premier zeigte kein besonderes Interesse. Alles, was er sagte, war, er freue sich, das zu hören, und hoffe, wir würden ,guten Gebrauch davon gegen die Japaner machen‘.“ Nach dieser extrem beherrschten Reaktion konnte Truman nicht mehr anders, als die Atombomben tatsächlich einzusetzen. Wahrscheinlich war er vorher schon entschlossen, doch nun gab es keine andere Möglichkeit mehr. Der Befehl von Thomas T. Handy an Carl Spaatz, zwei Atombomben auf Japan abzuwerfen Quelle: Wikimedia / Public Domain Doch längst nicht alle Verantwortlichen in der Führung der USA und ihres Militärs sahen das ähnlich. Deshalb verlangte General Spaatz den formalen, schriftlichen Befehl von General Handy. Nun konnte nur noch eine sofortige, bedingungslose Kapitulation Japan vor der atomaren Urkraft verschonen. Am 26. Juli 1945 richteten Truman und Churchill genau diese Forderung an Tokio. Sollte Japan nicht aufgeben, würde eine „unermesslich größere Gewalt“ als gegen Nazi-Deutschland eingesetzt. Es gehe um die völlige Vernichtung des japanischen Militärs und die Verwüstung des ganzen Landes. Zwei Tage später erfolgte die Antwort von Premierminister Kantaro Suzuki: Die Erklärung sei es nicht wert, beraten zu werden. Nichts konnte jetzt den Untergang von mindestens zwei japanischen Städten noch aufhalten: Carl Spaatz schickte sich an, „das ganze südliche Ende der japanischen Inseln in die Luft zu jagen“. https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article144345676/Warum-Truman-denAbwurf-der-Atombombe-befahl.html Als die Atombomben fielen, lag Japan schon am Boden Klaus Scherer im Gespräch mit Nana Brink Am 6. und 9. August jähren sich die Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zum 70. Mal. Nach offizieller amerikanischer Lesart waren der Einsatz der Bomben nötig, um den Krieg gegen Japan zu beenden. Der Journalist Klaus Scherer widerspricht. Unmittelbar nach Kriegsende hätten hohe US-Militärs darüber geklagt, dass die Atombomben strategisch nicht notwendig und moralisch nicht gerechtfertigt gewesen seien, sagte der ARDReporter Klaus Scherer im Deutschlandradio Kultur. In der Wochenschau hieß es 1945, dass Japan „am Boden“ gewesen sei, und zwar „lange bevor die Atombomben fielen“. „Ein Jahr danach, in der gleichen Wochenschau, dann die gegenteilige These: Das Land war hochgerüstet, kampfentschlossen, die erste Bombe brachte es zum Nachdenken, die zweite zur Kapitulation. Das war die verklärte Variante, mit der man sich wohler fühlte.“ Scherer hat über die Atombombe auf Nagasaki einen Film gedreht und seine Recherchen zudem in einem Buch festgehalten. „Mein Ursprungsfrage war: Warum gab es eigentlich eine zweite Bombe, hätte nicht eine gereicht?“ Die Antwort habe sich schnell ergeben, so Scherer: „Es gab zwei, weil es zwei Rohstoffe dafür gab, Uran und Plutonium. Deswegen sollten auch beide fallen. Aber nötig waren sie nicht.“ Nana Brink: Es sind Bilder, die man nicht vergisst, keiner, der sich mit dieser Geschichte schon einmal beschäftigt hat, sie gehören sozusagen für unsere Generation zu unserer historischen DNA: der riesige Bombenpilz der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki, die Mondlandschaft ohne Menschen oder das, was die Überlebenden sehen mussten. Vor 70 Jahren, am 6. und 9. August 1945, warfen die USA die ersten und bislang einzigen nuklearen Waffen der Kriegsgeschichte über einem Land ab, nämlich dem Gegner Japan, mit dem erklärten Ziel, den Krieg zu beenden. Über 200.000 Menschen starben sofort oder in den folgenden Monaten, und nicht erst seit gestern mehren sich die Zweifel, ob dieser Einsatz der beiden Atombomben – und das kann man wirklich nur in Anführungszeichen sprechen – „nötig“ war. Der Fernsehreporter Klaus Scherer hat einen Film und auch ein Buch darüber geschrieben: „Nagasaki: Der Mythos der entscheidenden Bombe“. Es erscheint heute. Guten Morgen, Herr Scherer! Klaus Scherer: Guten Morgen! Brink: Was ist denn dran an dieser These, diesem Mythos, muss man vielleicht sagen, die Atombomben hätten den Krieg beendet? Hohe US-Militärs betrachtet den Bombenabwurf als unnötig Scherer: Also was auffällt, ist, dass unmittelbar nach Kriegsende zum Teil sogar Leute aus der Militärführung – Generäle, Admiräle, die ja zum Teil auch nicht informiert waren, so geheim war das Projekt –, dass die beklagten und sagten, die war militärisch nicht nötig, strategisch nicht nötig, Japan war am Boden, und sie war auch moralisch nicht gerechtfertigt. Und es gibt Wochenschauen unmittelbar nach dem Kriegsende aus Amerika, in denen der Satz fällt, im O-Ton, über das zerbombte Japan, über die ersten Bilder, dass Japan am Boden war, lange bevor die Atombomben fielen. Ein Jahr danach in der gleichen Wochenschau dann die gegenteilige These: Das Land war hoch gerüstet, kampfentschlossen, die erste Bombe brachte es zum Nachdenken, die zweite zur Kapitulation. Das war die verklärte Variante, mit der man sich wohler fühlte. Brink: Wie konnten Sie diese These aufstellen, die Sie uns gerade erzählt haben, welche Quellen konnten Sie auswerten? Scherer: Ich bin kein Historiker, ich bin Reporter, aber wir haben mit Zeitzeugen und vor allen Dingen mit namhaften Historikern sowohl in Japan als auch in Amerika gesprochen, die auch russische Archive miteinbezogen haben in ihre Recherchen. Und die sind sehr eindeutig am formulieren, dass sie sagen, mindestens die Nagasaki-Bombe war ein Feldtest, ein Menschenversuch sozusagen, wenn nicht beide Bomben unnötig waren. Meine Ursprungsfrage war, warum gab es eigentlich eine zweite, hätte nicht eine gereicht, und die Antwort war relativ schnell: Es gab zwei, weil es zwei Rohstoffe dafür gab, Uran und Plutonium, deswegen sollten auch beide fallen – aber nötig waren sie nicht. Brink: Waren die Amerikaner von dieser Wunderwaffe, die sie entwickelt hatten, so geblendet? Scherer: Na ja, es gab schon eine Eigendynamik. Die hat viel Geld gekostet, selbst nach heutigen Maßstäben – Milliardensummen. Sie war fertig und sie bot Präsident Truman die Gelegenheit, wie er glaubte, den Krieg zu beenden, ohne dass Russland noch eintritt. Das hatte er vorher gewollt, um Japan in die Knie zu zwingen. Er wusste, Japan wird kapitulieren, wenn Russland den Krieg erklärt. Das wollte er dann nicht mehr, sobald klar war, er hat die Bombe. Insofern gab es da tatsächlich Triebkräfte, die Bombe dann auch einzusetzen. Man hatte Sorge, wenn es weitere Tote gibt, auch auf amerikanischer Seite, die Öffentlichkeit erfährt, es gab eine Bombe, aber sie würde nicht eingesetzt, davor hatten Ratgeber Trumans Angst. Es gab aber auch andere, die sagten vorher schon, gib Japan das Signal, dass sie den Kaiser behalten können, dann kapitulieren sie. Das hat er bewusst aus dem Entwurf der Kapitulationsforderung streichen lassen. Brink: Sie haben ja in Ihrem Buch wenig Fotos, vor allem wenige, die das wirkliche Ausmaß dieser Katastrophe zeigen, aber Sie haben mit Zeitzeugen in Japan gesprochen, die als Kinder diesen Abwurf der Bomben überlebt haben, das nimmt einen sehr breiten Raum ein in Ihrem Buch. Wie haben Sie denn diese Treffen erlebt? Die Überlebenden verdienen Respekt – man sollte ihr Schicksal kennen Scherer: Nun, das gehört dazu, diese Menschen verdienen den Respekt, dass man ihre Geschichte kennt. Sie sind jetzt 70, 80 Jahre alt, und man wird nicht lange mehr mit ihnen reden können. Ich habe sie sehr aufgeräumt erlebt, sogar mit sehr viel Augenmaß. Ich hatte erwartet, dass gerade die sagen, die Amerikaner haben uns als Versuchskaninchen missbraucht, trotzdem kommt gerade aus der Ecke der beiden Städte und der Opfer der Satz: Wir fühlen uns als Opfer zweier Nationen, unserer eigenen Kriegsregierung damals, die den unsinnigen Krieg begonnen hat und auch versäumt hat, ihn früher zu beenden, und der Amerikaner, die uns nutzten, um ihre beiden Waffen zu testen. Brink: Ich muss aber ganz ehrlich sagen, als ich diese Kapitel gelesen habe in Ihrem Buch, das fällt ja schon schwer, das auszuhalten, und ich stelle mir jetzt vor, Sie sind diesen Menschen gegenüber gesessen. Scherer: Ich mache seit 20 Jahren Interviews als Reporter, mir ging noch nie etwas so nahe wie diese Gespräche, das stimmt. Ich kannte die Fakten – Bomben, Zerstörung, es gab Überlebende, die Kinder haben mit viel Glück in Schutzhöhlen überlebt –, aber was danach kam, hatte ich mir nie ausgemalt. Die Stunden danach, die Tage, die Nächte danach, wen haben die gesehen, als sie nach draußen kamen, wie haben die Angehörige gefunden, wer hat ihnen überhaupt geholfen, war überhaupt jemand da, gab es Hilfe. Und ich hab gelernt, das ging wirklich noch jahrelang so weiter. Man muss wirklich alle Hochachtung haben vor dem Überlebenswillen dieser zwei, drei, vier Leute, die wir getroffen haben. Brink: Wie überlebt man so was? Scherer: Na ja, sie hatten Glück. Sie waren nicht im Zentrum dieser Explosion, wo ja alles binnen einen Wimpernschlages wirklich nur verdampft ist, da blieb von Menschen auch nur der Schatten auf dem Boden übrig. Sie waren in einem Schutzraum geblieben, obwohl es Entwarnung gab. Die Luftabwehr hat diese einzelnen Flieger gar nicht als Angreifer gedeutet, zumindest nicht als Bomber. Und deswegen sind sie in der Höhle geblieben und sind nicht verbrannt und haben danach auch zwar ihre Krebsraten und so weiter gehabt, aber sie sind die wenigen, von denen es jetzt vielleicht noch ein, zwei Dutzend gibt, die so alt werden durften. Brink: Sie haben – und wir wechseln jetzt die Seiten – auch den letzten Überlebenden der amerikanischen Bomberbesatzung getroffen, der die Bombe tatsächlich abgeworfen hat. Was hat der Ihnen erzählt? Scherer: Der hatte etwas Mühe, sich mit uns zu verabreden. Er ist 94, er ist krank, er war auch nicht sehr offen, aber er erzählt natürlich seine Geschichte. Er war Wehrpflichtiger, er wurde eingezogen, er war ein junger Kerl, er war natürlich gerne bei der Luftwaffe – das war toll, diese Flugzeuge zu fliegen –, und er war Radarspezialist. Er sagte, wir wussten, das ist eine neue Art Bombe, die Flugzeuge wurden extra umgebaut, aber was es war, wussten wir nicht. Er lebt natürlich wie viele mit der Legende: Ich bin stolz darauf, dass wir den Krieg beendet haben, dass wir durch den Abwurf der Bombe verhindert haben, dass noch mehr Menschen sterben. Das ist die offizielle Variante, die muss man einem 94-Jährigen auch nicht mehr ausreden, wenn er nicht willig ist dafür, aber es zeigt, wie zurechtgelegt und wie erfolgreich diese These 70 Jahre lang war. Brink: Wie beschäftigt man sich denn in Japan und in den USA mit diesem, wie Sie sagen, offensichtlichen Mythos, also mal abgesehen von der offiziellen Version, diese Bomben seien wirklich zur Beendigung des Krieges eingesetzt worden? Gibt es da irgendwie einen Denkprozess, eine Veränderung der Wahrnehmung? In Japan ist die Kriegsschuld noch immer ein Tabuthema Scherer: Ich hoffe, es dreht sich noch mal. Anfangs war es ja im Grunde näher an der Wahrheit als später, als die verklärte Variante anfing. Es gibt Historiker – diejenigen, die wir befragt haben, allemal –, die in Amerika auch veröffentlichen und sehr an der These rütteln. In Japan ist es andersrum: Seit Kriegsende ist sowohl der Krieg als auch die Kriegsschuld und vor allen Dingen der Kaiser Tabuthema. Das beklagen die japanischen Professoren, die wir befragt haben, und natürlich: Es kam dem Kaiser und der damaligen Regierung auch gelegen, zu sagen, na ja, den Krieg konnte man ja nicht mehr gewinnen gegen die Atombombe. Das war einfach auch da die opportunistisch gesehen bessere Variante. Ansonsten hätte man den Leuten sagen müssen, ja, wir haben euch ins Verderben geführt, das Land hungert, die Wirtschaft ist darnieder, die Städte sind zerstört, tut uns leid. Das war natürlich die bessere Ausrede, um davonzukommen, um auch sich diese Diskussion zu ersparen. Brink: Vielen Dank, Klaus Scherer, und sein Buch „Nagasaki: Der Mythos der entscheidenden Bombe“, es erscheint heute, wenn Sie mehr darüber erfahren wollen. Danke, Klaus Scherer, für das Gespräch! Scherer: Gerne! Klaus Scherer: Nagasaki – Der Mythos der entscheidenden Bombe https://www.deutschlandfunkkultur.de/hiroshima-und-nagasaki-als-die-atombomben-fielen-lagjapan.1008.de.html?dram:article_id=326508 Invasions- und Abwurfpläne des US-Militärs Japan beherrschte bis zum Kriegsende noch riesige Gebiete in Asien, darunter NiederländischIndien und weite Teile Chinas. Allerdings war es durch Luftangriffe der US-Amerikaner auch schon erheblich geschwächt – seit Februar 1945 besaß die strategische US-Bomberflotte die völlige Lufthoheit über Japan. Ihre intensivierten Luftangriffe mit Brandbomben nach britischem Vorbild hatten bereits zwei Drittel der japanischen Großstädte zu etwa 60 Prozent zerstört. Zudem hatte Japan bis dahin seine größte Flotte (Kidō Butai) fast komplett verloren, ebenso den Hauptteil der Luftstreitkräfte. Das rohstoffarme Japan hatte seine Rohstoffzufuhr verloren. Deshalb waren die United States Army Air Forces von der zermürbenden Wirkung ihrer Luftangriffe überzeugt und erwarteten bei unvermindert fortgesetzten konventionellen Luftangriffen eine Kapitulation Japans bis Dezember 1945. Sie glaubten, dessen Regime könne nur noch auf günstige Friedensbedingungen unter Beibehaltung der staatlichen Souveränität hoffen. Jedoch hatten die Schlacht um Okinawa im Juli 1945 und die Schlacht um Iwojima den ungebrochenen Kampfeswillen der Japaner demonstriert: Nur ein Bruchteil ihrer Soldaten war dort bereit zu kapitulieren, die übrigen kämpften bis zum Tod. Bei der Eroberung Okinawas starben etwa 12.500 US-Soldaten; insgesamt waren bis dahin etwa 70.000 US-Soldaten im Pazifikkrieg gefallen. Auf der japanischen Seite fielen während der Schlacht um Okinawa 74.000 bis 107.000 Soldaten, und etwa 122.000 Zivilisten kamen um – und damit ca. ein Drittel der Zivilbevölkerung. Die United States Army rechnete bei einer Landung auf Kyūshū, besonders im Fall verzögerter Vorbereitungen dafür, mit starkem Widerstand von bis zu zehn japanischen Divisionen. Bei einer Landung auf Honshū und Hokkaidō (Operation Downfall) seien Verluste von 25.000 bis zu 268.000 US-Soldaten zu erwarten. Die USA rechneten mit bis zu 300.000 weiteren eigenen Todesopfern. Das US-Militär plante die Eroberung der japanischen Hauptinseln erst für November 1945. Am 4. Juli 1945 beriet seine Führung mit derjenigen Großbritanniens über das weitere Vorgehen im Pazifik. Die britische Regierung war in die Fortschritte des Atombombenbaus eingeweiht und stimmte einem Einsatz zu. Vorübergehende Überlegungen, die fertigen Bomben nur als „Warnschuss“ über unbesiedeltem japanischem Gebiet zu zünden, wurden nicht weiter verfolgt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die USA nach dem Trinity-Test nur noch über zwei einsatzfertige Bomben verfügten. Einsatzbefehl und Ultimatum Ab Mitte Juni trafen die ersten B-29 der 509th Composite Group auf dem North Field in Tinian ein. Am 9. Juli hatte der japanische Botschafter Satō Naotake in Moskau bereits um Friedensverhandlungen gebeten. Der sowjetische Außenminister Molotow sollte diese Bitte den Teilnehmern der bevorstehenden Potsdamer Konferenz der Alliierten (17. Juli bis 2. August 1945) überbringen. Diese Konferenz beriet über das weitere Vorgehen der Siegermächte USA, Sowjetunion und Großbritannien in Europa und im Krieg gegen Japan. Truman erfuhr zu Beginn der Konferenz, am 16. Juli, dass die Testbombe in der Wüste im USBundesstaat New Mexico erfolgreich gezündet worden war (Trinity-Test). Die zweite Bombe Little Boy wurde gleichzeitig zur Insel Tinian im Pazifik verschifft, wo sie einsatzfertig gemacht werden sollte. Winston Churchill erfuhr am selben Tag von dem Testerfolg und notierte in seinen Erinnerungen, wie befreiend er die Nachricht angesichts der Aussicht auf verlustreiche Landschlachten erlebte: „Jetzt war mit einem Mal dieser Albtraum vorüber, und an seine Stelle trat die helle und tröstliche Aussicht, ein oder zwei zerschmetternde Schläge könnten den Krieg beenden […] Ob die Atombombe anzuwenden sei oder nicht, darüber wurde überhaupt nicht gesprochen.“ Auch General Dwight D. Eisenhower berichtete später, die Entscheidung zum Einsatz der beiden Atombomben habe am 16. Juli bereits festgestanden. Er hatte Truman davon abgeraten, weil die Japaner schon Kapitulationsbereitschaft signalisiert hätten und die Vereinigten Staaten solche Waffen nicht als erste einsetzen sollten. Doch Truman schrieb in sein Tagebuch: „Ich glaube, dass die Japsen klein beigeben werden, ehe Russland eingreift.“ Erst am Abend des 24. Juli eröffnete Truman Stalin beiläufig, man habe einen neuen Bombentyp entwickelt, der geeignet sei, den japanischen Kriegswillen zu brechen. Stalin habe, so notierte Truman in sein Tagebuch, die Nachricht äußerlich unbewegt aufgenommen und den Vereinigten Staaten zugeraten, die Waffe für gute Zwecke einzusetzen. Man nimmt jedoch an, dass Stalin durch den Mitarbeiter des Manhattan-Projekts Klaus Fuchs über die Fertigstellung der USAtombomben informiert war, denn noch am selben Abend veranlasste er seinen Geheimdienstchef Lawrenti Beria, den Bau einer sowjetischen Atombombe, der 1943 begonnen hatte, zu beschleunigen. Am 25. Juli erteilte Truman General Carl A. Spaatz, dem auf Tinian stationierten Oberbefehlshaber der U.S. Strategic Air Forces in the Pacific, den Befehl, den Einsatz der ersten „Spezialbombe“ bis zum 3. August vorzubereiten. Dabei überließ er dem General die Zielauswahl. Auf dringendes Anraten seines Kriegsministers Stimson hatte er aber Kyōto von der Liste der möglichen Ziele streichen lassen. Am 26. Juli 1945 gab Truman im Namen der Vereinigten Staaten, der Republik China unter Chiang Kai-shek und des Vereinigten Königreichs die Potsdamer Erklärung ab, in der er die japanische Führung zur sofortigen und bedingungslosen Kapitulation aufforderte. Dies war nicht mit der Sowjetunion abgesprochen. Molotow hatte die Vereinigten Staaten vergeblich darum gebeten, das Ultimatum noch einige Tage zurückzuhalten, bis seine Regierung ihren Nichtangriffspakt mit Japan gekündigt habe. Doch der Kriegseintritt der Sowjetunion war für die US-Regierung nun unerwünscht. Die Erklärung ging heraus: „Die volle Anwendung unserer militärischen Macht, gepaart mit unserer Entschlossenheit, bedeutet die unausweichliche und vollständige Vernichtung der japanischen Streitkräfte und ebenso unausweichlich die Verwüstung des japanischen Heimatlandes.“[ Man werde Japan vollständig besetzen, Demokratie einführen, Kriegsverbrecher bestrafen, Japans Gebiet auf die vier Hauptinseln begrenzen und Reparationen fordern. Die japanische Industrie werde erhalten und ihr später wieder Teilnahme am Welthandel erlaubt werden. Die Alternative für Japan sei sofortige und völlige Zerstörung. Jeder konkrete Hinweis auf den geplanten Einsatz einer neuartigen Waffe und deren Ziel fehlte. Flugblätter, die in den Monaten vorher über 35 japanischen Städten, darunter Hiroshima und Nagasaki, abgeworfen worden waren, hatten deren Bevölkerung vor kommenden Luftangriffen gewarnt und Zivilisten aufgefordert, die Städte zu verlassen. Sie enthielten aber keinen Hinweis auf Atombomben und deren Wirkung. Ein Grund für das Unterlassen einer konkreten Vorwarnung war die Annahme, die Japaner würden Kriegsgefangene als menschliche Schutzschilde in die gewarnten Städte verlegen. Da die US-Invasion der japanischen Hauptinseln erst drei Monate später beginnen sollte, nahm die japanische Führung an, das Ultimatum sei das übliche Drohritual zur Demoralisierung der Japaner. Zugleich hoffte sie immer noch, Stalin werde die Westalliierten zur Annahme der eingeleiteten Friedensinitiative bewegen. Besonders die verlangten Gebietsverluste schienen unannehmbar. So lautete die Antwort von General Suzuki Kantarō: „Die Regierung findet nichts von bedeutsamem Wert an der gemeinsamen Erklärung, und sieht daher keine andere Möglichkeit, als sie vollständig zu ignorieren und sich entschlossen für die erfolgreiche Beendigung des Krieges einzusetzen.“ Historischer Diskurs Befürworter der Abwürfe Die Befürworter der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki argumentieren unter anderem damit, dass Japan im Krieg gegen China bereits selbst biologische und chemische Waffen eingesetzt hatte sowie an eigenen Atombomben arbeitete. Anfang 1945 wartete es auf notwendiges Material, das per U-Boot aus Deutschland kommen sollte. die Atombombenabwürfe die ansonsten unvermeidliche Invasion (Operation Downfall) unnötig machten. Dadurch wurde schätzungsweise einer Viertelmillion alliierter Soldaten und mehreren Millionen Japanern das Leben gerettet. Die geplante Operation Downfall bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil, die Operation Olympic, sah eine gewaltige amphibische Landungsoperation auf der japanischen Insel Kyūshū vor. Der zweite Teil, die Operation Coronet, sah die gewaltigste Invasion der Menschheitsgeschichte in der Bucht von Tokio vor. Mit einer vollständigen Eroberung Japans wurde erst für 1947 oder 1948 gerechnet. Zum Zeitpunkt des Nuklearwaffeneinsatzes hatte die Japanische Armee über 10.000 Flugzeuge bereit, die bei Invasionsbeginn bereitstanden, von Kamikazepiloten in Schiffe gesteuert zu werden. Dadurch, dass die Piloten darauf trainiert waren, sich auf Flugzeugträger und Truppentransporter mit tausenden Soldaten an Bord zu stürzen, wären die alliierten Verluste überproportional groß ausgefallen. Bevor der alliierte Planungsstab der Armee überhaupt von der Existenz des Atombombenprojekts wusste, schätzte er im April 1945 die Zahl der alliierten Verluste auf 456.000 Opfer, darunter 109.000 Tote bei einer Dauer von 90 Tagen für die Operation Olympic. Nach weiteren 90 Tagen und abgeschlossener Operation Coronet insgesamt 1,2 Millionen Opfer, darunter 267.000 Tote. Die Zahl der japanischen Todesopfer wird auf mehrere Millionen geschätzt. Diese Zahlen scheinen umso realistischer, wenn man bedenkt, dass die Eroberung der kleinen japanischen Insel Okinawa (siehe Schlacht um Okinawa) mit nur ca. 450.000 Einwohnern unter den US-Truppen 12.510 Tote und 39.000 Verwundete gefordert hatte. Die japanische Armee verlor 107.000 Mann. Unter der Zivilbevölkerung, welche sich zu Tausenden von den weißen Kalkfelsen stürzte, gab es 42.000 bis 122.000 Tote. Nicht zuletzt aufgrund des heftigen Widerstands der Japaner auf Okinawa rechnete der Planungsstab der Alliierten bei einer Eroberung der mit 75 Millionen Menschen dichtbevölkerten japanischen Hauptinseln mit über einer Viertelmillion toter US-Soldaten und sieben Millionen toten japanischen Soldaten und Zivilisten. Man rechnete mit so vielen Opfern, dass in US-Fabriken bereits über 500.000 Purple Heart Verwundetenabzeichen hergestellt worden waren. Weitere waren schon bestellt. Gegner der Abwürfe Als erster bekannter Historiker stellte Gar Alperovitz die Begründung der US-Regierung für die Abwürfe in Frage. Die Rettung von US-Amerikanern sei nur ein Vorwand gewesen. Die Abwürfe hätten keine Invasion in Japan vermeiden, sondern die Sowjetunion von weiterem Vorrücken in Fernost abschrecken und ihr die Macht der USA vorführen sollen. Die 1945 erwarteten Verluste bei einer Invasion der japanischen Hauptinseln werden durch verschiedene Quellen in Frage gestellt. Die US-Verluste seien nach übereinstimmender Geschichtsforschung vor den Abwürfen viel niedriger geschätzt als danach: Das Militär sei anfangs von 25.000 bis 46.000 toten US-Soldaten bei einer Invasion Japans ausgegangen. Da Japans Kapitulation auch ohne diese absehbar gewesen sei und es zudem noch weitere Alternativen zur Beendigung des Krieges gegeben habe, sei die offizielle These, der Atombombeneinsatz habe vielen US-Amerikanern das Leben gerettet, falsch. Dass die Atombombeneinsätze militärisch nicht sinnvoll und notwendig waren, meinten bereits einige der damals führenden US-Militärs wie General Dwight D. Eisenhower, General Douglas MacArthur, Flottenadmiral William D. Leahy, General Carl Spaatz und Flottenadmiral Chester W. Nimitz.[62] Andere Forscher erklären die Abwurfbefehle damit, dass der Einsatz die hohen Entwicklungskosten der Atombomben (zwei Milliarden Dollar) habe rechtfertigen oder ihre Wirkungsweise an realen Zielen testen sollen. Auch rassistische Beweggründe werden genannt, bis hin zur Darstellung der Einsätze als Völkermord. So war besonders der Einsatz der Atombombe in Nagasaki laut Martin Sherwin „bestenfalls sinnlos, schlimmstenfalls Völkermord“. Folgende Alternativen zum Atombombeneinsatz führt Barton Bernstein an:[66] das Warten auf den Kriegseintritt der Sowjetunion eine Test-Demonstration der Atombombe entweder über unbewohntem Gebiet oder gegen ein militärisches Ziel Friedensverhandlungen mit Unterhändlern veränderte Kapitulationsbedingungen eine weitere Belagerung Japans mit konventionellen Streitkräften Nach Tsuyoshi Hasegawa kapitulierte Japan in erster Linie nicht wegen der Atombombeneinsätze, sondern wegen des Kriegseintritts der Sowjetunion. Denn schon die Luftangriffe auf Tokio, die in zwei Stunden mehr Opfer forderten als der Atombombeneinsatz in Hiroshima, hätten keine entscheidende Auswirkung auf die Beendigung des Krieges gehabt. Vermittelnde Position Zwischen Gegnern und Befürworten gibt es Historiker, die versuchen, die Entscheidung zum Atombombenabwurf aus Sicht der damaligen US-Führung nachzuvollziehen. Sie argumentieren, dass die Atombombe damals als legitime Waffe im Kampf gegen den Feind gesehen wurde und diese Annahme ungeprüft von Truman übernommen wurde. Truman somit die Atombombe als legitimes Mittel sah, um den Krieg schnell zu beenden, eventuelle zukünftige Invasionen zu vermeiden und Japan für Pearl Harbor zu bestrafen, sodass andere Alternativen erst gar nicht bedacht wurden. die Abschreckung der Sowjetunion oder die Rechtfertigung der Finanzierung der Atombombe wichtige, aber sekundäre Motive (Bonus) für den Einsatz der Atombomben waren. Bekanntester Vertreter dieses Lagers ist Barton J. Bernstein. Bernstein geht von zwei Gründen aus, derentwegen Alternativen zum Atombombeneinsatz, die den Krieg bis November hätten beenden können, nicht gewählt wurden. Erstens erschienen die Japaner aus der Sicht der US-Regierung dazu entschlossen, trotz der aussichtslosen Situation (nahezu vollständiger Verlust der japanischen Streitkräfte, Verlust der Rohstoffzufuhr) weiterzukämpfen, und zwar mindestens bis zum Zeitpunkt der geplanten Invasion im November. Bernstein zitiert japanische Führer, die die unbedingte Bereitschaft Japans, im Falle einer Invasion bis zu 20.000.000 Leben zu opfern, betonen. Die US-Führung habe daher die Atombombe als wichtiges und legitimes Mittel gesehen, um das Kriegsende zu beschleunigen oder auch eine Landung zu vermeiden, selbst wenn diese „nur“ 25.000 US-Amerikaner das Leben gekostet hätte. Ein weiterer Hauptgrund für den Einsatz der Atombombe ist Bernstein zufolge, dass in den USA gegen Kriegsende moralische Skrupel erodiert waren. Bewertung in den USA In den USA wird der Abwurf der Bomben heute nach wie vor oft als gerechtfertigt angesehen. So sagte US-Präsident George Bush senior 1991, dass „die Abwürfe Millionen von Leben gerettet haben“. J. Samuel Walker sieht diese öffentliche Meinung durch Schulbücher geprägt, die die Alternativen zur Kriegsbeendigung auf Atombombeneinsatz oder Invasion Japans reduzierten und zudem die möglichen und wahrscheinlichen US-Opferzahlen einer Invasion übertrieben. Dass einige US-Historiker die traditionelle Begründung der Abwürfe seit 1960 wegen damals veröffentlichter Dokumente der US Air Force und der Diplomatie zunehmend kritisch beurteilen, hat das allgemeine Geschichtsbild kaum beeinflusst. Bis heute hat keine Regierung der USA eine offizielle Entschuldigung gegenüber den zivilen Opfern der Abwürfe und ihren Angehörigen abgegeben. Der Bomberpilot Paul Tibbets hat den Abwurf nie bereut. Bewertung in Japan Unmittelbar nach Ende des Krieges unterlagen jegliche Berichterstattungen, Fotografien und Filmaufnahmen über die Folgen der Atombombeneinsätze strenger Zensur durch die USamerikanische Besatzungsmacht. Erst 1948 begannen Details an die Öffentlichkeit zu gelangen. Die Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges ist in Japan jedoch bis heute kontrovers. Die Atombombenangriffe spielen dabei eine wesentliche Rolle. Japan sieht sich als Folge des Krieges zwar in der Verantwortung, eine Frieden stiftende Nation zu sein, gedenkt aber in erster Linie der eigenen Opfer.Doch auch später hat die japanische Regierung nie gegen die Atombombenabwürfe offiziell protestiert, noch versucht, die USA zu verklagen. https://de.wikipedia.org/wiki/Atombombenabw%C3%BCrfe_auf_Hiroshima_und_Nagasaki