„Die Abschaffung des Menschen“, von C. S. Lewis gelesen und ausgelegt von A. Loepfe1 I Der Mensch ohne Brust Lewis nimmt sich ein Oberstufenlehrbuch (für Aufsatzstil, Lebensphilosophie, Weltanschauung) vor. Darin wird ein Beispiel für Kritik der Urteilskraft gebracht. A steht vor einem Wasserfall und sagt: „Erhaben!“, B: „Hübsch.“. Die Autoren besagten Lehrbuches klären die Schüler darüber auf, dass es sich bei „Erhaben“ und „Hübsch“ um zwei subjektive Urteile handelt, dass es sich nicht um wesentliche Aussagen über den Wasserfall, sondern um den Ausdruck von Gefühlen handelt. Lewis macht darauf aufmerksam, dass die Gefühle von A nicht erhaben, sondern ehrfürchtig sind. [Ich interpretiere: nicht die Gefühle von A sind erhaben; A fühlt sich nicht erhaben, im Gegenteil „klein“]. Will man ’Das ist erhaben’ überhaupt auf eine Aussage über Gefühle des Sprechenden reduzieren, so hiesse die richtige Übersetzung ‚Ich habe demütige Gefühle’. Konsequent angewendet würde nämlich die geäusserte Ansicht zu offensichtlichem Unsinn führen. Die beiden sähen sich gezwungen, auch an der Behauptung festzuhalten, ‚Du bist verabscheuungswürdig’ bedeute ‚Ich habe verabscheungswürdige Gefühle’, also ‚Deine Gefühle sind verabscheungswürdig heisse ‚Meine Gefühle sind verabscheungswürdig’. [Sprachanalytik! Mir scheint aber, Lewis unterlaufe eine schleichende Unterstellung: Man muss unterscheiden zwischen der Qualität des Gefühls und dem Gegenstand des Gefühls. Umgangssprachlich wird das kaum gemacht. Insofern scheint mir ‚Meine Gefühle vor dem Wasserfall sind erhaben’ nicht falscher als ‚Meine Gefühle vor dem Wasserfall sind ehrfürchtig’. Gefühle sind adäquat oder nicht, aber nicht rot oder feige oder erhaben, auch nicht ehrfürchtig. In der Tat fühlt man sich vor „dem gestirnten Himmel über mir“ (Kant) erhaben gestimmt, da man, so klein man ist, von der Übermacht des Kosmos übermannt ist – und damit an dieser etwas wie Teilhabe empfindet. Mit ‚Du bist verabscheuenswürdig’ sagt man aber nicht, wie Lewis behauptet ‚Deine Gefühle sind verabscheuenswürdig’; ebenso heisst es eigentlich ‚Ich empfinde vor Dir das Gefühl zu Verabscheuung’. Wie auch immer, Lewis argumentiert da analytisch unsauber.] Der Schüler wird (gemäss Lehrbuch) zwei Behauptungen für wahr halten: erstens dass alle Sätze, die ein wertendes Prädikat enthalten, Aussagen über den Gefühlszustand des Sprechenden sind, und zweitens, unwichtig. [Frage: Geht es hier überhaupt um Aussagen à la ‚ Ich halte A für B’, nicht einfach um Weltauslegungen von Menschen, welche ihr Seinkönnen erschliessen?] Lewis geht auf ein weiteres Beispiel der Aufforderung zur Stilernüchterung ein, welches die beiden Autoren des Aufsatzlehrbuches bringen. Es handelt von einem Werbeprospekt, wo eine Kreuzfahrt mit den Worten angepriesen wird „ . . . über den westlichen Ozean dorthin fahren, wohin William Drake von Devon auf der Suche nach Indiens Schätzen sein Leben wagend gesegelt ist“. Besagte Autoren weisen auf die Übertreibungen der zu erwartenden Abenteuer, kurz: sie entmythologisieren. Lewis macht 1 kursiv = Zitat aus dem Buch [] = Reflexionen 1 einen Vorschlag (aus einem belletristischen Roman) für echten Enthusiasmus: „Wenig ist jener Mann zu beneiden, dessen Liebe zum Vaterland auf der Ebene von Marathon [Schlacht der Griechen gegen die Perser] nicht gestärkt wird, dessen Frömmigkeit sich nicht erwärmt angesichts der Ruinen von Iona.“ [Begeisterung ja, aber dieser mythologisierende Enthusiasmus ist uns Heutigen zum Glück zuwider. Patriotismus und geschwellte Märtyrerbrust? Lieber nicht, vor allem, wenn sich die erzählten Heldengeschichten wohl als Halblügen erweisen. Ich hege Verständnis für die übersachliche Nüchternheit, Poesiefeindlichkeit einer gewissen Aufklärung.] Es gibt zweierlei Menschen, denen man einen verlogenen Leitartikel über Patriotismus und Ehre umsonst vorsetzt: den Feiglingen und den ehrenhaften Patrioten. Gegen die besagte Anzeige sind gefeit: Menschen mit wirklichen Empfindungen und, auf der andern Seiten, die behosten Affen, die im Atlantischen Ozean nie etwas anderes sehen als Tausende von Tonnen kalten Seewasser. [Die nüchternen Techniker, blutleeren Rechner und Hedonisten und Sozialfunktionäre kriegens da ordentlich ab: Feiglinge und behoste Affen seid ihr! Ich mag diese ausfällige, diffamierende Sprache nicht. Man mag die Technomanen, Instrumentalrationalisten zu Recht verabscheuen: Reserviertheit gegen mythische Aufladungen und poetischen Enthusiasmus ist m. E. aber ebenso angebracht. Wer hat all die Schlachtengesänge und Oden an Eroberer geschrieben? Die Dichter. Sie haben nicht selten um die Gunst der Mächtigen in Politik, Kirche und Wirtschaft gebuhlt, nicht zuletzt der Aufträge wegen.] Ein weiterer Angriff auf die Ernüchterer und Totalanästhesierten: Da wird in einem Text von den Pferden gesprochen, wie diese willigen Diener den ersten Siedler in Australien bei der Kolonisierung halfen. Lewis: Vom Ruksch und Sleipnir und den weinenden Pferden Achills, Streitross im Buch Ijob (. . .) von der prähistorischen Pietät des Menschen unserm Bruder Ochs gegenüber (. . .) kein Sterbenswort [in der entmythologisierenden Lehrschrift]. Darin steht, Pferde seien an der kolonialen Ausbreitung nicht interessiert gewesen. [ Nun, auch hier nehme ich eindeutig Stellung für die Entmythologisierer. Lewis ist ein Patriot, Verteidiger des vaterländischen Heldentums und der englischen Kolonialpolitik, wenn er die rührenden Tierszenen aus der Literatur tel quel patriotischen Verherrlichungen beigesellt! Zudem: Wir Heutigen empfinden anders den Tieren gegenüber als unsere Ahnen. Der Ochs (oftmals kastriert) ist kein Bruder des Menschen, sondern ein degeneriertes genmanipuliertes Zuchtprodukt aus dem Auerochs.] Lewis ist bekümmert um das Gemütsleben der Schüler, welche solche Beispiele aus dem Stilistik-Lehrbuch lesen. Ihre Seele könnte Schaden nehmen. Etwas von der Freude an ihren eigenen Ponys und Hunden ist den Schülern dabei verlorengegangen. Dafür haben sie einen gewissen Anreiz zu Grausamkeit und Vernachlässigung mitbekommen; eine Art von Vergnügen an ihrer eigenen Schlauheit hat in ihrem Geist Platz ergriffen. [Entsakralisierung, Entmythologisierung bedeuten die Beschneidung des religiösmythischen Gefühlslebens, d’accord, das tut weh, wenn gefühls- und poesiebeladene Verhaltungen und Verhältnisse plötzlich nüchtern geprüft werden. Doch: ist das nicht immer wieder notwendig? Muss die Entweihung zur technisch-funktionellen Öde führen? Erfährt nicht gerade heute die wilde Natur eine neue Heiligung, die nur bedingt mit dem anthropomorphen und anthropozentrischen Götterhimmel der antiken und vorrationalen Kulturen mit ihren heiligen Haustieren, Pflanzen, Quellen, Naturgewalten zu tun hat?] Die richtige Abwehr gegen falsche Gefühle besteht in der Vermittlung echter. Wenn wir das Empfindungsvermögen unserer Schüler verkümmern lassen, machen wir sie zu einer leichteren Beute für Propagandisten. [Nur eben, was sind echte Empfindungen?] 2 Lewis glaubt an objektive Werte. Er nennt sie – Beispiele aus den verschiedenen Kulturen und Ethiken der Antike aufführend – das Tao. . . . der Glaube, dass gewisse Haltungen, bezogen auf das Wesen des Alls und auf das was wir selber sind, wirklich wahr sind und andere falsch. [Weiter unten ist für Lewis Tao, der richtige Lauf des Kosmos, gleich der Vernunft. Er erläutert nicht, wie das der Fall ist (in der hier vorliegenden Schrift vermeidet Lewis christliche Ansichten. In andern Schriften gibt er jedoch die Antwort: das sittliche Gewissen könnten wir nur von einem Übersubjekt haben, von Gott; das ist für ihn ein Gottesbeweis!). Gefühle sollen der Vernunft untergeordnet sein. Das ist uns in Fleisch und Blut übergegangene Logik: Es gibt eine grosse Ordnung (oder Idee des Guten, der kosmischen Weisheit, Weltseele, „des Seins“ etc.); diesem sollen wir in Denken, Fühlen und Handeln entsprechen, um „in der Wahrheit“ zu sein. Sein ist also gleich dem, was allem zu Grunde liegt, ist vorfindlich, ist, was „vorhanden“ ist, ist eh und je, gleich wie Alpha Centauri oder die Distanz zwischen Pult und Bank oder das statistische Mittel der Selbstmordrate. Diesem Vorhandenseienden stände ein Sein gegenüber, das sich nie als Vorhandenes versteht: der da-seiende Mensch, die Existenz, die Ich sagt. Es ist also eine Kluft aufgeworfen: dort die objektive Welt von Tao, hier ich, du, wir, sie: Subjekte. Wir halten dies fürs Erste einmal fest.] Lewis erläutert, das Beispiel vom Wasserfall wieder aufnehmend, wie von den Lehrbuchautoren die Gefühlswelt zu einer rein physiologischen Angelegenheit gemacht wird, die nicht die geringste Beziehung zur Umwelt hat. So betrachtet stehen sich die Welt der Tatsachen, ohne die mindeste Spur von Werten, und die Welt der Gefühle, ohne die geringste Spur von Wahrheit oder Irrtum, Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, gegenüber, und keinerlei Annäherung ist möglich. [Und in der Tat stellt sich die Frage: wie die Kluft zwischen Ich (Subjekt) und Kosmos (Objekt) überwinden? Besagtes Lehrbuch macht alles objektiv-tot. Und Lewis? Für ihn ist im Kosmos ein Geistiges: das Gesetz. Dieses ist auch im Menschen: das moralische Gewissen, die Vernunft. Für die „Rationalisten-Objektivisten“ des Lehrbuches kann zwischen Subjekt und Objekt nur trial an error, oder darwinistische Anpassung, der Weg sein. Erziehung wird Zuckerbrot und Peitsche (Auswahl des fittesten Verhaltens am Zögling). Also Konditionierung. Oder kälteste Logik, Errechnen des besten Weges, um zu Nahrung, Streicheleinheiten, gesellschaftliche Reputation zu gelangen. Das Verhalten der traditionellen „Tao-Schule“ will die moralische Vernunft (also Vernunft nicht als die Schlauheit, wie zu etwas am besten gelangen, verstanden) im Zögling wecken, [will etwas Vorhandenes hervorholen, bei Sokrates die Erinnerung an die ideale Gerechtigkeit.] Wie der König mit Hilfe der Beamten regiert, so muss die Vernunft mittels muthaftem Element seine Triebe meistern. Der Kopf regiert den Bauch durch die Brust, das Gefühl, die eingeübte Gesinnung. Und nun amputieren Leute wie die Autoren des Stilistik-Lehrbuches ihren Zöglingen das Gemüt aus dem Leib! [Reduzieren den Menschen auf Rechner und körperliches Bedürfnissystem.] Lewis beklagt die Folgen: mangelnde Begeisterungsfähigkeit, hedonistisches Kalkulieren, Ego-Aktionärsverhalten. Dies wird etwa darin ersichtlich, dass die Soldaten nicht mehr durch Vaterlandsliebe und Appell an Ehre motivierbar sind. Kritisiert wird der herrschende Werte-Subjektivismus, den das kritisierte Lehrbuch vertritt. [Einverstanden bezüglich des Kultes der Wellness, des „bringt mir das etwas?“, des egoistischen Hedonismus. Nichteinverstanden bezüglich Verteidigung des imperialistischen englischen Vaterlandes, einer verrotteten kapitalistischen „Kultur“ mit ihren frommen Mythen.] 3 II Der Weg Die folgenden Überlegungen handeln vom Ethischen im Menschen. Es auf Trieb, Instinkt zurückzuführen ist unmöglich. Die Vorfindbarkeit des Tao – Sittengesetzes, also eines objektiven Wertesystems jenseits persönlichen Wünschens und Wollens – , ist zu evident, als dass sein Vorhandensein bestritten werden könnte. [Das ist der Grundtenor der Ethik aller klassischen Philosophie und Religionen, dass es einen ewigen common sense gibt, der unter Androhung von Selbstvernichtung jeder Gemeinschaft - zeitlich und örtlich von den Menschengruppen variiert - eingehalten werden musste und muss. Ohne Opferbereitschaft, Ehrgefühl, Verlangen nach Gerechtigkeit, Treue, Ehrlichkeit etc. geht letztlich nichts. Und doch stellen wir fest: es ist all die vergangenen Jahrtausende hindurch sehr schlecht gegangen und heute stehen wir vor dem möglichen Aus. Wenn die Frage nach dem ewigen Tao die falsche Frage wäre? Wenn die Klagen wegen ethischen Zerfalls und Aufrufe zur Rettung im Tao ebenso fruchtlos wären wie die Beschwörungen einer Erlösung im Paradies der Güte und Gerechtigkeit? (Und sind wir die irdischen und überirdischen Paradiesverheissungen nicht über?) Was ist nicht alles schon für ethisch akzeptabel erklärt worden! Imperialismen, Ausrottung von Schädlingen, Atombombenversuche, dass ganze Nationen zu Sündenböcken erklärt worden sind, die Forschung am CERN, Genmanipulation, Krebsforschung, Kampagnen gegen den Welthunger, für Bildung, für Freizügigkeit für alle, Philanthropie etc.; was alles ist nicht schon für unsittlich erklärt worden: Feigheit vor dem „Feind“ und vor der Lohnarbeit, Familienplanung, Verweigerung von Schlachthäusern, Ablehnung des HolocaustMärchens, die Sprengung von Hochspannungsmasten, die Ekelerklärung vor gewissen religiösen Praktiken, ehrliche Glaubensverweigerung, die Infragestellung der Dispositionsmacht des Menschen über die Natur etc. Es sperrt sich vieles in einem dagegen, alles auf eine Ethikfrage zu reduzieren (und dazu tendieren die traditionellen Erbverwalterinnen der Ethik: die Religionen). Die Frage ist die Frage nach dem Sinn von Sein (und nach der radikalen Endlichkeit von Dasein). Einen überzeitlichen ewigen Tao fordern, fördert die Flucht aus der Zeit in ein uneigentliches Jenseits vom In-der-Welt-Sein.] Lewis zeigt, worauf die Argumentation der Entmythifizierer hinausläuft: darauf, dass Tao keine Referenz mehr darstellt. War Tao – so deren Rede – eine historische Notwendigkeit, die sich aus den ökologischen, ökonomischen und psychologischen Zwängen ergab, so schwindet diese Notwendigkeit in dem Massstab, wie der Mensch Herr seiner natürlichen Umwelt, seiner physischen Konstitution, seines Seelenlebens und der „Sozialphysik“ (der gesellschaftlichen Bedingungen) wird. Damit wäre – mit Marx zu sprechen – „das Reich der Freiheit“ angebrochen, der Mensch vollständig Herr seiner selbst geworden. 4 III Die Abschaffung des Menschen . . . dass ich nichts an dem herabsetzen will was an dem als ‚Sieg des Menschen über die Natur’ bezeichneten Prozess wahrhaft wohltätig ist, erst recht nicht die echte Hingabe und Aufopferung, die ihn ermöglicht haben. Aber nachdem das gesagt ist, muss ich diese Ansicht einer genaueren Prüfung unterziehen. In welchem Sinn besitzt der Mensch zunehmend Macht über die Natur? Lewis nimmt drei Beispiele: das Flugzeug, den Rundfunk, die Verhütungsmittel. Man kann entsprechende Produkte oder Dienste kaufen. Übe ich damit individuelle Macht über die Natur aus? Nein. Wenn ich jemanden dafür zahle, dass er mich trägt, so bin ich deswegen nicht selbst ein starker Mann. Es kann sein, dass mir der Träger seinen Christophorus-Dienst versagt. Eigentlich ist dieser Träger der Mächtige, nicht ich mit dem Geld in der Tasche. Das gilt auch für Flugzeug und Rundfunk: mächtig sind ihre Erbauer. Überdies können diese in ihrer Macht die Dienste von Flugzeug und Rundfunk unbequem einsetzen: als Bomber und Propagandamittel zum Beispiel. Und die Empfängnisverhütungsmittel? Da sind die Leidtragenden die künftigen Generationen . . . . denen ihre Existenz vorenthalten wird von den jetzt Lebenden! [Soweit. Geht es nur mir so? Ich finde diese Darstellung ein chaotisches Gemisch von wahr, halbwahr und absurd. Ich versuche möglichst gewaltlos diesen heillosen gordischen Knoten zu entwirren: 1. Wenn von der Macht über die Natur gesprochen wird, ist nicht unmittelbar der einzelne Mensch, sondern dieser als Mitglied einer Gesellschaft gemeint. 2. Der einzelne Mensch ist immer in Gesellschaft (oder Gemeinschaft). 3. Diese ist ein Verband der Kooperation, im Kapitalismus einer durch Kapital (freien Markt, Industrialismus, Unternehmertum, Ausbeutung von Arbeitskraft und Natur) vermittelten. 4. Der Einzelne hat vermittelt durch die Gemeinschaft Anteil an der gesellschaftlichen Macht der Naturbeherrschung. Die Arbeitsteilung ist historisch jung. Schon Jäger und Sammlerinnen vermochten jedoch nichts als „Robinsone“: nur schon das Wissen, die Sprache war Gemeinbesitz. 5. Lewis’ robinsonhafte Kritik: um zu leben, bin ich ja von andern abhängig! Ist folglich als Kritik an Kooperation lächerlich. 6. Sie hat aber unter kapitalistischen Verhältnissen der technischen Zivilisation ihre Berechtigung: Der Einzelne steht vor einem industriellen Gesamtkomplex, als Arbeiter in der Welt der automatischen Giga-Produktion, als Konsument vor dem Giga-Warenhaus, was seinen produktiven Anteil, seine Konsummacht letztlich als null und nichtig erscheinen lässt. 7. in der kapitalistischen Giga-Dynamik der machinalen Raserei liegt die Macht in diesem Gesamtkomplex, es wird aber dem Einzelnen der Schein vermittelt, er sei unersetzliches und verantworliches Subjekt. In Tat und Wahrheit sind alle als Einzelne Nobodies, Nichtsen, allerdings insgesamt für den besagten Komplex notwendige. 8. Der Kondomhersteller ist ein Fachidiot, die Benutzer sind in ihrem Job Fachidioten – und alle sind Konsumenten. Jeder für sich und der Giga-Apparat für alle. 9. Wegen des Gebrauchswertes der drei aufgeführten Güter: jedes Produkt kann missbraucht werden. Der Flugzeughersteller will zudem im Kapitalismus nicht Dinge zum Fliegen, auch nicht bombenabwerfende, herstellen, sondern sein Kapital verwerten, im vorliegenden Fall durch Flugzeugherstellung und Verkauf von 5 Flugzeugen. Lenin hat gesagt, der Kapitalist würde mit Profit die Stricke herstellen (lassen), womit er aufgehängt werden soll. 10. Besagte drei Güter sind Waren, Partikelform von Kapital. Natürlich kann ein Verkäufer einen Verkauf verweigern, das ist aber Privatsache. Im Kapitalismus gelten nicht persönliche Ranküne und Sentimentalität, gilt nur business. 11. Was wir die Macht des Menschen nennen, ist in Wirklichkeit Macht in den Händen Einzelner. Lewis schaut die Dinge (Technokratie, Kapitalismus) viel zu nahe an, als persönliches Ich-Du-Verhältnis. Wir leben jedoch nicht mehr im Feudalismus, wo Gessler mich kleinen Tell zwingen konnte, den Hut vor ihm, dem Herrn hoch zu Ross, abzunehmen. Die Macht Einzelner ist in den modernen Gesellschaften gering. Alle sind letztlich Funktionäre von Technokratie und Kapital. 12. Interessant: die Herrschaft der Heutigen über die nachfolgenden Generationen. In der Tat stellt sich die ökologische Frage: Welche Folgen haben Produktion und Konsum von Gütern räumlich und zeitlich auf die Natur und die Gattung Mensch? Lewis bringt dazu das Beispiel des Kondoms. 13. Eigenartig ist aber die diesbezügliche Schadensfeststellung: Menschen wird die Existenz vorenthalten. Nun, das ist auch ohne Kondom möglich, zum Beispiel durch sexuelle Enthaltsamkeit. Wie aber ein Recht auf künftige Existenz fordern? Meines Erachtens spielt hier eine unausgesprochene Überlegung Lewins hinein: es soll in den Vorsehungsplan Gottes (des Schöpfers und Verwalters des Alls) nicht hineingeflickt werden. Jedes Menschenwesen ist von Gott gerufen, gewollt, sagen die Christen. Auch als künftiges Kanonfutter? als Zombi mit I-Phone? als NanoTech-Ingenieur? als erbgeschädigte Rollstuhlfahrerin? Gottes Ratschluss ist unerforschlich, jedoch menschenfreundlich, heisst es. Wie steht es aber mit dem Schicksal? Hat das Gott „im Griff“? (Achtung: Theodizee! Alarm, die Fragen werden verzweifelt!)] Die Klage, die Menschen hätten bisher die ihnen von der Wissenschaft verliehene Macht schlecht und gegen ihre Mitmenschen eingesetzt, ist gewiss ein Gemeinplatz. (. . .) Ich bedenke nur, was eine Macht des Menschen über die Natur jederzeit und wesenhaft sein muss. Ohne Zweifel würde das Bild sich ändern, wenn Rohstoffe und Fabriken öffentlicher Besitz wären und wissenschaftliche Forschung einer offiziellen Kontrolle unterstellt würden. Aber solange es keinen Weltstaat gibt, würde dies abermals die Macht einer Nation über andere bedeuten. Und selbst innerhalb eines Weltstaates (. . .) würde es grundsätzlich die Macht von Mehrheiten über Minderheiten und konkret die einer Regierung über das Volk besagen. [Regierungen widerspiegeln i. A. Mehrheitsverhältnisse; insofern regiert die Mehrheit des Volkes über die Minderheit: soweit meine Korrektur am letzten Satz von Lewis. Lewis ist nicht gerade ein scharfer Analytiker, eher ein Mann der mitunter durchaus treffenden Intuitionen . . Lewis spricht sich also im Prinzip für das sozialistische Projekt aus. Nur hindert ihn sein Pessimismus daran, an dieses zu glauben. Er nimmt einen menschliche Natur an, die prinzipiell auf die gegenseitige Vergewaltigung und Unterjochung unter individuellpartikuläre Botmässigkeit ausgerichtet ist.] Und alle Machtausübung auf lange Sicht, besonders im Hinblick auf den Nachwuchs, ist notgedrungen Macht der früheren Generationen über die spätere. [Übermächtigung, Unterdrückung scheinen naturgegeben zu sein, hier am Beispiel des Generationenverhältnisses dargestellt. Schüchtern wagt man den Einwand, ob die natürliche Vormundschaft der Eltern über den unmündigen Nachwuchs denn Unterdrückung, böse Macht sein muss, ob es nicht auch gute Macht gebe? Nach Augustinus ist der Mensch von Natur aus korrupt, ein Mängelwesen (in Sünde gezeugt)). 6 Doch, generell ist Lewis nach dem heutigen Stand der Dinge Recht zu geben: es ist ein totales Debakel „mit den Menschen“. Mir scheint das Problem allerdings weniger in den Menschen, seien es Habende oder Nichthabende, Wissende oder Unwissende etc., als in der Verfallenheit der Menschen an Technik, Kapital und Aktiengesellschaft (genannt „Demokratie“), also in der Verlorenheit an eine vernichtende Dynamik zu liegen, die vor allem jedes Leben und jede Vitalität auf Terra abtötet (übrigens: Lewis spricht, vollständig anthropozentrisch wie alle Christen, nur vom Menschen).] Jede Generation übt Macht über ihre Nachfolger aus; und jede widersetzt sich der Macht ihrer Vorgänger und begrenzt sie in dem Masse, wie sie die ererbte Umwelt verändert und sich gegen die Tradition auflehnt. Wir haben also Befreiung von der Tradition, Umweltveränderung, angeblich zunehmende Macht. Falls ein bestimmtes Zeitalter dank der Eugenik und einer wissenschaftlichen Erziehung die Macht erlangte, seine Nachkommen nach Belieben herzustellen, so sind eben in Wirklichkeit alle nachfolgenden Menschen dieser Macht unterworfen. Sie sind schwächer, nicht stärker. (. . .) . . . je näher eine Generation dem Zeitpunkt des Erlöschens der Gattung lebt (. . .) weil die Zahl ihrer Untertanen abnimmt. (. . .) Die Letzten Menschen werden ( . . .) vielmehr der toten Hand der grossen Planer und Konditionierer am gründlichsten ausgeliefert sein. [Lewis postuliert hier eine Theorie der notwendigen Ablösung von der Tradition und des technischen Fortschritts – anscheinend eine unausweichliche Gesetzmässigkeit. Nun: während 2 Millionen Jahren Menschheitsgeschichte gab es keinen eigentlichen technischen Fortschritt, obwohl Eltern immer die Macht über ihre Kinder ausgeübt haben . . . Ablehnung des Alten ist frühestens seit 2500 Jahren als Idee aufgetaucht, behauptete hier ich einmal. Was wissenschaftliche Menschenzucht anbelangt, kann man Lewis, vom heutigen Stand der Dinge aus betrachtet, nicht widersprechen. Eugenik, gerade von konservativen Kreisen, besorgt über die Degeneration des Proletariates und der Grossstadtbevölkerung, als Gesundheitsmassnahme gefordert (z. B. vom Katholiken Max Scheler!), hätte eigentlich ebenso eine Förderung der Gattungsnatur zum Ziel gehabt, wie eine andere Erziehung, welche die schwarze Pädagogik ablöste, eine Förderung der charakterlichen Stärke der Menschen. Heute haben wir in Aussicht oder schon praktisch ausgeübt: Gentherapie, künstliche Sexualität, Abrichtung der Kinder auf Techno-Zombitum. Lewis nimmt offenbar an, mit den Empfängnisverhütungsmitteln werde die Bevölkerung abnehmen. Auch darin hat er teilweise Recht, was die Industrienationen und oberen Schwellenländer betrifft. Nun, die Weltbevölkerung lag 1950 bei 3 Milliarden: schon damals viel zu viele Menschen für ein gutes, richtiges, gesundes Leben der Menschen, viel zu viele für die wilden Lebewesen, welche Terra ebenfalls bewohnen. Empfängnisverhütung war also schon aus ökologischen Gründen seit langem angesagt. „Wachset und vermehret euch¨“, war aber Ausdruck des menschlichen Willens zur Macht, keinesfalls ein ethisch akzeptierbares Gebot!] Die Eroberung der Natur durch den Menschen bedeutet (. . .) die Herrschaft von ein paar hundert Menschen über Abermillionen von Menschen. [Die Menschen können sich das Übel offenbar nie anders als moralisch vorstellen: als übles Tun von A gegenüber B. Das Übel wird immer personalisiert: die bösen Tyrannen, die bösen Demagogen, Kapitalisten, Ausbeuter, Herren, Wissenschafter. Immer wird, gerade heutezutage, das Bild von (oftmals hinter der Bühne) die Fäden ziehenden Mächtigen ausgemalt, welche ihre Machenschaften inszenieren. Auf der Bühne: die Opfer, Gegängelten, 7 Ausgesaugten, die nur das Beste beabsichtigen und unwillentlich zu ihrem Untergang Vorarbeit leisten oder zum Bösen manipuliert werden. Gut und Bös heisst dann: die Guten und die Bösen. Dieses simplistische Bild hat sein Pendant im Bild vom Satan, dem Widersacher Gottes, des (allmächtigen?), allwissenden absolut guten Wesens. Lägen die Verhältnisse doch so einfach! Könnte man doch hinter allem Bösen böse Absicht, schlechten Willen, also eine niederträchtige Person entdecken! Ich glaube nicht an eine Verschwörergruppe, die je den Gang der Geschichte (z. B. den kapitalistisch-technologischen Prozess) bewusst geplant und organisiert hätte. Natürlich gab es immer politisch-ökonomische Strategen am Rande des Gesamtprozesses. Dieser schaukelt mal diese, mal jene gesellschaftliche Gruppe an die Spitze, oder bildet sie neu. Bewusst geschieht da jedoch nichts. Und diese Herrschaft von ein paar hundert Menschen . . . das ist typische Verschwörungsphantasie von geistig überforderten Hilfs-Denkern, die nur Dinge, nicht Verhältnisse und existenziell angelegte Tendenzen kennen. Es ist wahr: die industriell-technologische Revolution hat die Menschen nur in gewisser Hinsicht befreit und mächtig gemacht, insgesamt jedoch in grauenhafte Sachzwänge geführt. Wir stecken in der Sackgasse. Wir sind gezähmt, der Vitalität beraubt, entbehren der Lebensintensität. Ob daraus eine Minderheit für sich ihr zynisch-nihilistisches Vergnügen gewinnt, ist Nebensache. Doch glaube ich, Lewis würde mir da wohl zustimmen.] . . . denn es wird, mit der Herrschaft des Menschen über die Natur und die eigene Natur des Menschen, das Zeitalter der totalen Konditionierung anbrechen. Und die Konditionierer werden zwangsläufig ebenfalls konditioniert! Konditionierung heisst aber: die Macht des Tao wird ausgehebelt, alle Bedingungen des Menschseins sind in der Macht des Menschen selbst. Schwierig, sich die Konditionierer vollständig selbst konditioniert vorzustellen, ein innerer Widerspruch taucht da auf. Lewis glaubt, dass ein Rest der Idee von Pflicht und „gut“ in ihnen übrig bleiben muss. Nur, was hält dieser Rest von Tao in der herrschenden Klasse der Konditionierer am Leben? Sie müssten ja an Tao glauben, wo sie doch Tao abschaffen! In der Tat: letztlich bleibt nur noch der leere Wille zur Macht. Was Inhalt des Machtwillens sein wird? Der Zufall der willkürlichen Regung. [Heisst es nicht in der Bibel: „Macht euch die Erde untertan!“? Und ist nicht das ganze Ethikprogramm des Tao die Übereinstimmung mit dem Grossen kosmischen Gesetz, wobei der Platonismus (und mit ihm das Christentum) die Beherrschung der menschlichen Natur (Triebe, Impulse, Instinkte, unwillkürlichen Regungen, der spontanen Vorstellungen etc.) durch den Geist, die Vernunft in den Vordergrund stellen? Ist hierbei nicht der Ansatz zur Macht über die Natur, auch die menschliche gegeben? Und ist Herrschaft, Kontrolle nicht am besten durch Konditionierung gewährleistet? Man sieht also, mit der Zweiteilung des Menschen in Körper und Geist (mit der vermittelnden Seele) ist ein Macht-, ein Herrschaftsverhältnis vorgegeben. Was staunt da Lewis noch, dass die Konditionierung Konditionierer (Kopf, Geist im Gesellschaftskörper) fordert? Das Problem liegt also in einem Menschen-, ja Weltbild, das zweigeteilt ist: hie Materie, Natur, dumpfer Trieb, da ordnender, regulierender, steuernder, kontrollierender Geist.] Bäume sind für uns keine Dryaden oder auch nur schöne Gegenstände mehr im Moment, da wir sie zu Balken zersägen. Der erste Mensch, der dies tat, mag den Preis noch heftig empfunden haben und die blutenden Bäume bei Vergil und Spenser sind wohl ein fernes 8 Echo auf dieses ursprüngliche Verspüren der Pietätslosigkeit. Die Sterne haben mit der Entwicklung der Astronomie ihre Göttlichkeit eingebüsst . . . [Das sind wunderbare Zeilen. Lewis sieht, wozu die Entheiligung der Natur geführt hat. Nun malt er uns vor Augen, was die Reduktion des Menschen zu einem manipulierbaren psycho-physiologischen Gegenstand für Folgen hat. Wie nicht mit ihm übereinstimmen: die Aufklärung und in ihrem Gefolge, die Entmythologisierung und Rationalisierung haben „die Welt entzaubert“ (M. Weber). Aber, aber: Waren nicht die Einsetzung des ganz übernatürlichen Jahwe, die Ausrottung der Naturgottheiten, die Verdammung von Magie, Mantik und Devination im Judentum der erste grosse Schritt zu dieser Entheiligung der nichtmenschlichen Natur? War nicht die Eindämmung seelischer Ergriffenheit, von Emotionalität und spontaner Regung, der scheele Blick auf das Triebleben, kurz: die Disziplinierung des Leibes, das Pendant der Unterjochung der menschlichen Natur? Und bedeutete das Christentum diesbezüglich einen Bruch? Vielleicht. Der Sohn Gottes ist immerhin Fleisch geworden, hat irdisch gelebt und gelitten, ja. Gott ist also irdisch geworden, Himmel und Erde haben sich im Christentum vermählt. Dann aber: die Himmelfahrt, das Jenseits, das engelhafte überirdische Dasein (eigenartig asexuell und doch mit auferstandenem Leib; wie das?) Für mich stellt das Christentum der Versuch dar, die Kluft zwischen Immanenz und Transzendenz zu überwinden, ein gescheiterter Versuch, denn der alte Dualismus hat letztlich doch den Sieg davongetragen. Lewis Fluch gegen die humanistisch-technologische Anmassung, die Geworfenheit der menschlichen Existenz entwerfend aufzurollen, diese unglaubliche Vermessenheit des Projekts der heutigen Zeit (zu Lewis’ Zeiten wie heutzutage getragen von sozialistischen Technokraten, liberalen Aufklärern, libertären Progressiven) ist tausendfach zu unterschreiben. Er hinterlässt aber den schalen Geschmack der Inkonsequenz. Das Christentum hat Scholastik, Reformation und Aufklärung hervorgebracht, Francis Bacon, die wissenschaftsfreundlichen Renaissancepäpste, Mendel, Teilhard de Chardin, Ratzinger, der das CERN besucht hat . . . ] Entweder sind wir vernunftbegabter Geist und für immer dazu verpflichtet, den absoluten Werten des Tao zu gehorchen, oder wir sind blosse Natur, dazu da, in neue Form geknetet und gehauen zu werden, je nach der Willkür der triebgesteuerten Herren. (. . .) Ein dogmatischer Glaube an den objektiven Wert ist Voraussetzung für die Idee einer Herrschaft, die nicht Tyrannei, und eines Gehorsams, der nicht Sklaverei ist. [Hier wieder: der alte Dualismus zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Natur. Dieser Dualismus ist die Voraussetzung eben dieses Prozesses der Eroberung und Unterjochung der Natur, den Lewis so vehement ablehnt! Das Vernunftgesetz namens Tao repräsentiert das zur Herrschaft gelangende Subjekt. Es fordert die Herrschaft über die Natur, bricht den Widerstand der Natur – und erkennt mit Schrecken, dass die vollerlangte Herrschaft sein eigenes Ende darstellt.] Solange wir innerhalb des Tao reden, können wir vom Menschen sagen, er habe Macht über sich selbst in einem wahrhaft analogen Sinn zur Selbstbeherrschung des Einzelnen. Sobald wir aber hinaustreten und das Tao als eine bloss subjektive Erfindung betrachten, geht diese Möglichkeit verloren. [Es stellt sich die Frage nach der Objektivität von Werten, nach einer vorhandenen Welt der Idee von Gerechtigkeit, wie das Sokrates postuliert hat- Diese überirdisch-zeitlose Welt zu leugnen scheint zwangsläufig auf einen Relativismus (Relativismus heisst: jeder hat 9 seine eigene Moral, bzw. zum Zusammenleben müssen wir unsere Moralen gegenseitig abstimmen, sie zeitlich-örtlich in Übereinstimmung definieren) hinauszulaufen (also auf Demokratie). Damit wäre jedem Wahnsinn Tür und Tor geöffnet, wie wir das heute erleben. Tao soll ewiges, objektives Gesetz sein. Was anders als ein Produkt von Theorie ist es, von Weisen formuliert, von göttlich Inspirierten aufgeschrieben? Wertend-einschätzend und ordnend-verstehend ist aber jedes gemeinsame Dasein, das sein In-der-Welt-sein besorgt. Kein Künstler studiert Ästhetik, um zu malen, komponieren, zu bildhauern. Keine menschliche Gemeinschaft entwickelt oder empfängt von Gott einen Tao und lebt danach in Frieden und Eintracht zusammen. Liegt Tao immer „in der Luft“ und wird spontan gefunden, da eh vorhanden? Und wenn Tao im menschlichen endlichen gemeinsamen Dasein implizit wäre? (Wenn die Substanz in der Existenz läge?) Gott hat kein Tao, ewige Götter brauchten kein Tao, denn sie haben keine Freiheit, ihre Existenz zu verfehlen oder sie richtig zu leben. Gott oder Göttern ist kein Dasein aufgetragen, worin sie ihre echten oder falschen Möglichkeiten entwerfen. Sie kennen keine Schuld: die Unschuld des In-die–Welt-Geworfenseins und der schuldbeladene Auswahl unter den unendlich vielen Möglichkeiten, deren Grund sie sind.] Für die Weisen der Vergangenheit hatte das Hauptproblem darin bestanden, die Seele mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen, und die Lösung hatte gelautet: Einsicht, Selbstbeherrschung und Tugend. Für die Magie so gut wie für die Naturwissenschaft heisst das Problem, die Wirklichkeit den Wünschen der Menschen gefügig zu machen: die Lösung liegt in der Technik. Und beide sind bereit, Dinge zu tun, die man bis anhin für widerlich und ruchlos betrachtete, wie etwa das ausgraben und Verstümmeln von Leichen. [Zweifellos fand mit der Renaissance ein Subjektivierungsschub statt: die Magie des Gebetes z. B. (noch von den Reformatoren als garantierte Wunscherfüllungsmaschine beschrieben), genügte nicht mehr. Man begann in der Natur nicht das Beispiel, sondern die versteckten Möglichkeiten der Selbststeigerung zu sehen. Das Himmelreich wurde vom Himmel auf die Erde herabgeholt, die Transzendenz vom Jenseits in die Utopie der Geschichte. Das Prinzip Hoffnung auf die Zukunft blieb indessen en vogue, durchherrscht noch heute die gottlose Welt der high-tech. Nichts hat sich geändert.] Eine erneuerte Naturwissenschaft, wie sie mir im Sinn liegt, würde nicht einmal mit Mineralien und Pflanzen verfahren, wie die moderne Naturwissenschaft mit dem Menschen zu verfahren droht. Wenn sie erklärt, würde sie nicht weg-erklären. Wenn sie von Teilen spräche, behielte sie das Ganze im Auge. Während sie sich mit dem Es beschäftigte, würde sie nie vergessen, was Martin Buber die Du-Situation nennt. Die Analogie zwischen dem Tao des Menschen und dem Instinkt der Tiere wäre für sie neues Licht auf das unbekannte Ding, den Instinkt. Und dies dank der innerlich erfahrenen Realität des Gewissens und nicht aufgrund einer Reduktion des Gewissens auf den Instinkt. [Schöne Worte wider die versachlichende, reduktive Wissenschaft des Lebens, z. B. Evolutionstheorie mit ihrem rein funktionellen Kriterium des Überlebens des am besten an die sich wandelnde Umwelt Angepassten. Doch was wissen wir über Leben, das Umwelt, nicht Welt wie wir hat? (Homo kann nicht vom animal (rationale) aus gedacht werden.) Es liegt auf der Hand: Lewis suggeriert hier seinen Hörern (es handelt sich in der hier vorliegenden Schrift um eine aufgezeichnete Vorlesung) ein sinngebendes Über-Wesen, das hinter Tao und Instinkt, ja hinter aller Ordnung und Gesetzmässigkeit in der Natur zu vermuten ist und überzeitlich, überirdisch ist. (Lewis ist nicht weniger stiller Mentor als die Autoren des eingangs kritisierten Stilistik-Lehrbuches!) 10 Das ist Spekulation, etwas wie Zurückschrecken vor der Zeitlichkeit unseres Daseins, ein Projizieren von eigentlichem Dasein, das man in der Welt verpasst, auf ein Jenseits.] Ohne eine Lehre von der Unsterblichkeit ist kein Raum für die Wertschätzung eines ehrenvollen Todes [wie man sie in Sittencodices aller Völker und Zeiten findet]. [Und wenn das Gegenteil gälte? Ohne den Tod (des Individuums im Schosse seiner Mit-Welt) gäbe es keine Ehre. Wäre unsere Existenz unendlich, gäbe es keine Geschichte, kein Schicksal, keinen Sinn von Sein, keine Existenz, kein Miteinander, keine Gefühle, keine Gedanken, keine Sprache, keine Befindlichkeit, keine Lehre, keine Bedürfnisse . . . nichts. Kein Zufall, dass Nietzsche die Lehre von der Unsterblichkeit Nihilismus genannt hat!] Mai 15 11