Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde St. Gallen C Pfarramt Riethüsli-Hofstetten Pfr. Virginio Robino Gerhardtstrasse 9 9012 St. Gallen 071 278 37 20 Predigt über das Thema: „Die Bedeutung der Wolke, die Jesus aufnahm“ Samstag, 15. Mai + Sonntag, 16. Mai 2010 (Wochenende nach Himmelfahrt) Kirche Riethüsli – Hofstetten und Kirche St. Mangen, St. Gallen Text: Apostelgeschichte 1, 6 - 11 Liebe Gemeinde Es ist wirklich ein ganz spezieller Moment in der Geschichte der Himmelfahrt Christi. Da kommt eine Wolke und mit dieser wird Jesus in den Himmel gehoben. So, wie wenn die Raumfähre „Atlantis“ mit Astronauten an Bord von Cape Canaveral aus ins All startet. Bei diesem Start, der gerade gestern erfolgt ist, wissen wir, was geschieht. Die Raumfähre wird zur Raumstation ISS gebracht und wird dann nach einiger Zeit von dort wieder zurückkehren. Wir wissen, dass das geht, dass ein Weggehen von der Erdoberfläche möglich ist und ein Einschwenken in eine Erdumlaufbahn, von welcher man dann wieder zur Erde zurückkehren kann. Wir wissen weiter, dass auch ein weiteres Vordringen in den unendlichen Weltraum möglich ist. Die Weltraumsonde „Voyager 2“ beispielsweise ist seit über dreissig Jahren unterwegs in diesem All und hat gerade in diesen Tagen rätselhafte Signale, die übrigens der Wissenschaft einiges zu denken geben, aus einer Entfernung von –zig-Milliarden Kilometern, gesendet. Auch damit können wir umgehen. Wir haben gelernt, gerade im Blick auf den Kosmos, in grösseren Räumen zu denken, auch wenn uns der Gedanke an sich an eine unendliche Ausdehnung des Weltalls ein nicht zu bewältigendes Kopfzerbrechen bereitet. Das ändert aber nichts daran, dass wir, gegenüber früheren Generationen über einen enormen Kenntnisgewinn verfügen. Gerade, weil das aber so ist, und wir somit über ein anderes Weltbild – oder sagen wir besser, Universumsbild – verfügen, will uns das mit der Wolke und dem physisch entrückten Jesus nicht so recht in den Kopf. Da streitet unser ganzer Verstand dagegen. Die Wolke ist uns ein echtes Problem. Diese kann ja irgendwie gar nicht sein, müssen wir uns sagen. Wohin wäre sie auch gegangen? Sie hätte nicht, quasi irgendwo im oberen Bereich, eine Andokstation gefunden. Sie hätte sich spätestens in höheren Sphären aufgelöst. Wo wäre Jesus dann geblieben? Irgendwo im Weltraum? Gar im Himmel? Dort oben? Wäre aber die Wolke von einer Beschaffenheit gewesen, dass sie sich nicht aufgelöst hätte, dann wäre sie mit Jesus immer noch unterwegs, irgendwo in einer fernen Galaxie, aber sicher nie am Ende des Universums. Denn diese Begrenzung gibt es ja tatsäch- lich gar nicht und niemand kann eigentlich wissen, wie wir mit einer solchen Erkenntnis umgehen sollen. Jesus „oben“ im Himmel? Vergessen wir es schnellstens! Damit kommen wir nicht klar. Diese Wolke ist uns wirklich ein Problem und eine Lösung dieses Problems ist weithin nicht erkennbar. Die Jünger damals hatten auch ein Problem mit dieser Wolke, aber aus einem ganz anderen Grund. Sie mussten mit ansehen, wie diese Wolke Jesus vor ihren Augen wegtrug und verschwand. Fassungslos mussten sie dieses Geschehen über sich ergehen lassen. Dass Jesus Christus, der Auferstandene, nun unwiderruflich weg war und sie allein zurückblieben – das war ihr Problem. Eben waren sie noch von Freude erfüllt durch die Tatsache, dass Jesus nach seiner Kreuzigung, via Auferstehung, wieder bei ihnen war. Ihre Erleichterung darüber musste grenzenlos gewesen sein und sie waren froh, ihn wieder bei sich zu haben. Aber nun diese neuerliche Wendung. Jesus wurde mit der Wolke weggehoben und verschwand endgültig aus ihrem Lebenskreis. Soweit hatten sie verstanden, auch wenn sie es nicht nachvollziehen konnten. Der Vorgang an sich war für sie, im Gegensatz zu uns heute, kein echtes Problem. Im Gegenteil, der passte zu ihrem Weltbild. Unten die Erde, oben der Himmel. Dorthin musse er gegangen sein. Damit hatte es sich für sie. Zurück zu ihrem Problem, das für sie wirklich eines war: Dass sie nun wirklich und unwiderruflich ohne Jesus auskommen mussten. Das war keine Kleinigkeit. Genau das hatte sie schon nach der Kreuzigung masslos erschreckt und ratlos gemacht. Man muss sich das vergegenwärtigen. Wie sollten sie sich nun verhalten? Wie sollten sie sich noch zurechtfinden in einem ihnen damals absolut feindlich gestimmten Umfeld. Sie fühlten sich überall bedroht. Angesichts der Gegenwart Christi konnten sie damit umgehen, fühlten sie sich durch ihn mit seinen göttlichen Kräften geschützt. Damit konnten sie leben. Aber nun kam diese Wolke und hat ihn unerbittlich nach oben getragen. Machtlos, fassungslos, orientierungslos standen sie da. Ihre Sinne waren getrübt angesichts des beispiellosen Ereignisses. Zwei Männer in weissen Kleidern stehen dabei und reissen sie aus ihren Gefühlen der Fassungslosigkeit. Sie helfen ihnen, ihre nach oben gerichteten Blicke wieder zur Erde zu richten und damit – sinnbildlich – auf ihre weitergehende Existenz auf dieser Erde. – Er werde wiederkommen, wie er weggegangen sei, wird ihnen kurz und knapp beschieden. Ob sie das in diesen Augenblicken begreifen konnten, bleibe dahingestellt. Für sie blieb der mit der Wolke entschwebte Jesus das Ereignis, das sie im Moment fesselte. Es gab ja da schon früher eine so seltsame Geschichte, die sie mit Jesus erlebt hatten. Da waren sie auf einen Berg gestiegen (Mt 17, 1ff.), wo ihnen auch ein einzigartiges Ereignis zuteil wurde. Sie wurden Zeugen der Verklärung Jesu; auch ein so schwierig einzuschätzender Vorgang. Er stand da mit leuchtendem Angesicht und in einem weissen Kleid. Mit dabei war eine Begegnung mit den für Israel historischen Figuren Mose und Elia, die mit Jesus ins Gespräch kamen. Seltsam. Aber damit ein Ereignis, das die Verbindung über alle Zeiten hinweg zum Ausdruck bringen wollte. Die Jünger hatte das beeindruckt und ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit und der Geborgenheit erfasste sie. Sie wollten darum gleich dort oben bleiben und allen eine Hütte bauen. „Hier ist gut sein“, hatten sie festgestellt. Nun, auch in dieser schon etwas älteren Geschichte spielte dann wiederum eine Wolke eine bedeutende Rolle. Aus dieser sprach seltsam eine Stimme: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören“. Ein eindrückliches Ereignis, mit welchem die Legitimation Jesu Christi durch Gott selbst festgehalten werden sollte. Es musste eindrücklich gewesen sein. Aber auch auf jenem Berge konnten sie nicht bleiben. Sie mussten von diesem schönen Ort hinunter ins Tal, quasi in die Tiefen des Lebens. Beiden Ereignissen ist gemeinsam: Es braucht für uns oft ganz eindrückliche Ereignisse und Erfahrungen, die uns unauslöschbar der Inhalte und Gewissheiten des Glaubens versichern. Das kann zu einem neuen Anfang im Leben oder auch zur Stärkung im Glauben führen. Da und dort durchaus auch in einer Art Euphorie. Man vergisst solches dann nie mehr. Solche Erfahrungen (es müssen aber nicht immer auch so spektakuläre sein) prägen uns dann für ein ganzes Leben. Trotzdem müssen wir wieder „herunterkommen“ in die Realitäten des Lebens. Unser Leben soll „Bodenhaftung“ haben. Aber er braucht auch Hintergründe und Substanz, die uns des Wertes dieses Glaubens gewiss machen. Wir werden ihn so jedenfalls nie mehr missen wollen. Es geht aber jedenfalls immer um eine Art Wechselspiel zwischen eindrücklichen Erlebnissen einerseits und der Gestaltung des Lebens in dieser Welt andererseits. Wir beziehen aber aus diesem Wechselspiel die Kraft Gottes, die wir zur Bewältigung des Lebens brauchen. Im Erleben der Jünger haben dabei immer mal Wolken eine ganz bestimmte Rolle gespielt, so wie in unserem Text mit der Himmelfahrt Christi. A propos Wolke. Gibt es eine Lösung für das am Anfang genannte Problem mit der Wolke? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich braucht es aber auch gar keine, weil es diese Wolke, ebenso wahrscheinlich, gar nie gab. Bei legendenhaften Erzählungen gibt es oft solche Erscheinungen. Wichtiger ist etwas anderes: Ein anderes und flexibles Denken ist gefordert. Ein Denken, das die Dinge unter dem Aspekt eines sich immerzu erweiternden Weltbildes und angesichts immer weitergehender Entwicklungen betrachtet. So bleibt man zeitgemäss und zeitbezogen und findet angepasste Antworten. Da sind wir auch von der Theologie her gefordert. Damit wir in der Lage sind, die Sache des Glaubens angemessen zu denken und zu interpretieren. Das darf aber nie dazu führen, dass dabei, wie es leider heute oft einmal geschieht, gleich auch Gott selbst über Bord geworfen wird. Weil er quasi nicht mehr in unser fortschrittliches Weltbild passen würde. Gott bleibt, und er passt in alle Zeiten hinein. Was auch bleibt: Gott hat sich in Jesus Christus geoffenbart und hat uns damit ein wunderbares Evangelium vermittelt. Dieses Evangelium bleibt, auch wenn Christus selbst nicht mehr hier ist. Seine Botschaft ist überzeitlich und überweltlich. Durch dieses Evangelium behält auch unser Glaube seinen Wert, auch wenn er selbst – nach der „Himmelfahrt“ – nicht mehr anwesend ist. Amen St. Gallen, 27.05.10/VR