Hörfunk – Bildungsprogramm

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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann
WISSENSWERT
Alfred Wegener
und die Entdeckung der Kontinentaldrift
Von Utz Thimm
Sendung: 01.11.2005, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
Wiederholung: 24.10.2006, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2
05-142
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Alfred Wegener 1
Alfred Wegener war nicht der erste, dem auffiel, dass die Küstenlinien von Südamerika und
von Afrika beinahe perfekt zusammenpassen. Schon im 17. Jahrhundert hatte sich der englische
Philosoph Francis Bacon darüber gewundert und nach ihm noch viele andere.
O-Ton 1, Prof. Stefan Vogler, 34”:
“Die Erkenntnis war nicht neu, nur, die Konsequenzen daraus weiter zu denken, das
war neu an Wegener. Wegener hat das nicht nur beobachtet, sondern er hat gesagt:
Wenn das bedeutet, dass diese beiden Kontinente ursprünglich zusammengehörten, dann
muss es Verbindungen geben auf den Kontinenten, die zeigen, dass sie ursprünglich
nebeneinander lagen. Das heißt, es muss Verbindungen geben aus der Zeit, in der
sie noch aneinander grenzten und es keinen Atlantischen Ozean gab. Diese
Verbindungen, die hat er gesucht. Und diese Verbindungen sind natürlich gespeichert
in den Dokumenten der Geologie.”
Stefan Vogler ist Professor für Geologie an der Universität Marburg. Dass es solche
Verbindungen gibt, war auch den Geologen zur Zeit Wegeners schon aufgefallen. Sie gingen
aber davon aus, dass ganze Kontinentalblöcke – so genannte Landbrücken – zwischen den
heutigen Kontinenten abgesunken waren und damit Platz für die heutigen Ozeane gemacht
hatten. Deshalb setzten sich Strukturen auf den gegenüberliegenden Kontinenten fort, wie etwa
schon Alexander von Humboldt festgestellt hatte. Dass die Kontinente selbst sich bewegten,
wagte selbst ein Humboldt nicht zu denken. Allerdings war unter Geologen schon akzeptiert,
dass die Erde einmal als glutflüssiger Ball begonnen hatte.
O-Ton 2, Prof. Stefan Vogler, 23”:
“Die Theorie der Erdentstehung von früher ging dann aber in dem Sinne weiter, dass
man angenommen hat: Nun kühlte die Erde immer weiter, sie wurde fest und dann
fing sie an sich zusammenzuziehen, weil sie weiter abkühlte und sollte dann so wie
ein vertrocknender Apfel mehr und mehr verschrumpeln, also Gebirge bilden und Becken
bilden für Ozeane und ähnliches.”
Alfred Wegener 2
Die Gebirge wären also nur die Runzeln auf einem schrumpfenden Erdball gewesen. Alfred
Wegener war kein Geologe, und das machte ihm den Kopf frei von der herrschenden
Lehrmeinung in der Geologie. Würde die Erde sich gleichmäßig zusammenziehen, dann müsste
sie überall Runzeln aufwerfen, argumentierte er. Die Gebirge sind aber an bestimmten Orten
konzentriert und bilden Ketten.
O-Ton 3, Prof. Stefan Vogler, 39”:
“Darüber hinaus kann man erkennen, dass solche Gebirge zum Beispiel am Rand eines
Kontinents aufhören, aber auf dem gegenüberliegenden Kontinent eine Fortsetzung
finden. Da hat Wegener dann angesetzt, dass er eben geologische Strukturen zum
Beispiel über die Ozeane hinweg von einem Kontinent zum anderen verfolgt hat. Dazu
zählen auch Gebirge, dazu zählt das, was die Geologen 'alte Schilde' nennen, also
uralte Gesteinskerne, die auf der Erdoberfläche, die Kerne der Kontinente bilden, alles
das, setzt sich über die Ozeane von einem Kontinent zum anderen fort und wenn man
die Kontinente zusammenschiebt, dann passt es wieder zusammen.”
Wegener selbst führte sein entscheidendes Aha-Erlebnis auf das Jahr 1911 zurück. Damals
las er eine paläontologische Arbeit über die frühere Landverbindung zwischen Brasilien und
Afrika. Er begann selbst eifrig nach Beispielen zu suchen. Nur ging er anders als die Geologen
seiner Zeit davon aus, dass die Kontinente selbst sich bewegen können. Wenn man zum
Beispiel Südamerika, Afrika, Indien, Australien und die Antarktis zusammenschiebt, dann bilden
sie einen Superkontinent namens Gondwana, und dass das nicht nur ein Glasperlenspiel ist,
spiegelt sich in den überlieferten Fossilien, erzählt Professor Fritz Steininger, der ehemalige
Direktor des Senckenberg-Museums. Glossopteris ist so eine urtümliche Pflanze, deren
Fossilien sowohl in Brasilien, als auch in Afrika gefunden werden.
O-Ton 4, Prof. Fritz Steininger, 41”:
“Glossopteris ist also eine jener Pflanzenarten, die interessanterweise zu den
Nadelbäumen gehören, obwohl er eigentlich Blätter hat, die aussehen als wäre er eine
Blütenpflanze. Glossopteris war weltweit verbreitet. Und Glossopteris ist auch sicher zum
Alfred Wegener 3
Beispiel eine der Hauptnahrungsquellen der Saurier gewesen. Dann gab es eine Reihe
von Reptilformen, die auch im gesamten Gondwana-Bereich verbreitet waren. Die finden
Sie faktisch von Südamerika über Afrika in den Fossilablagerungen bis Australien und
bis Indien.”
Reptilien, die ganz bestimmt nicht schwimmen konnten, und das gilt auch für die Regenwürmer,
deren Fossilien man sowohl an der Ostküste Amerikas, wie in Europa und in Asien findet.
Solche Fossilfunde schließen immer noch nicht aus, dass nicht doch eine Landbrücke im Atlantik
versunken sein könnte. Was sich aber mit einer Landbrücke einfach nicht mehr erklären lässt,
das sind die Spuren einer früheren Eiszeit an der Wende vom Perm zum Karbon vor 290
Millionen Jahren. Gletscher transportieren viel Gestein und lassen es liegen, wenn sie sich
zurückziehen.
O-Ton 5, Prof. Fritz Steininger, 57”:
“Man kannte auch damals natürlich schon diese Sedimente, diese geschrammten Oberflächen, die Geschiebemergel. Dadurch, dass diese Gondwana-Kontinente heute alle
völlig voneinander getrennt liegen, konnte man eigentlich daraus keinen Sinn erkennen.
Denn diese Reste dieser paläozoischen Vereisung lagen verstreut am indischen
Subkontinent, am australischen Kontinent, am afrikanischen, auf der Antarktis und so
weiter. Und erst dadurch, dass Wegener eben zeigen konnte, dass alle diese Kontinente
einen großen Südkontinent, eben dieses Gondwana-Land gebildet haben, hat sich
gezeigt, dass, wenn man das zusammenfügt, dass das eine riesige polare
Vergletscherung bildet, wo man sogar die Eisströme aufgrund der Schrammen, aufgrund
der Ausrichtung dieser Mergel kann man sogar die Eisstromrichtungen rekonstruieren.”
direkt darauf: O-Ton 6, Prof. Stefan Vogler, 31”:
“Wenn solche Gesteinsblöcke im Eis transportiert werden und über den Untergrund
schaben, dann ziehen tiefe Rillen in den Boden; das sind die so genannten
Gletscherschrammen. Und jetzt kommt das Interessante dazu, dass sich das Eis auf
den Polen immer vom zentralen Punkt weg bewegt nach außen. Das heißt, wir haben
eine Bewegung weg vom Pol in alle Richtungen, in alle Himmelsrichtungen. Radial weg
vom Pol bewegt sich das Eis und dementsprechend sind auch die Gletscherschrammen
angeordnet, indem sie wegzeigen vom Pol ganz gleich, wo man sich befindet.”
Alfred Wegener 4
Alfred Wegener war damals Privatdozent an der Universität Marburg, aber eben nicht in der
Geologie, wie man denken sollte, sondern als Meteorologe in der Physik. Bereits nach einem
Jahr, 1912, glaubte er genügend Indizien gesammelt zu haben, um an die Öffentlichkeit zu
gehen.
O-Ton 7, Prof. Stefan Vogler, 28”:
“Wegener hat diese Arbeiten, also die Arbeiten an der Kontinentaldrift, in der Marburger
Zeit abgeschlossen und ist 1912 das erste Mal damit an die Öffentlichkeit gegangen
zunächst mit einem Vortrag vor der Geologischen Vereinigung. Das ist eine der führenden
Vereinigungen der Geowissenschaftler in Deutschland auch damals gewesen. Das war
in Frankfurt. Dort hat er einen Vortrag gehalten über die Entstehung der Kontinente
und Ozeane. Allerdings ist er dort auf wenig Gegenliebe getroffen.”
Die Geologische Vereinigung tagte in Frankfurt im Senckenberg-Museum. Das Protokoll der
Tagung verzeichnet Unmutsbezeugungen nach Wegeners Vortrag. Eine gründliche
wissenschaftliche Auseinandersetzung musste erst mal verschoben werden, denn 1912/13
unternahm Wegener eine Grönlandexpedition, dann kam der Erste Weltkrieg dazwischen und
Wegener musste Kriegsdienst leisten. Irgendwie schaffte er es 1915 noch, wenigstens eine
dickere Broschüre über seine Theorie zu verfassen. Jedenfalls kann man nicht davon sprechen,
dass die Geologen den Außenseiter ignoriert hätten, denn nach dem Kriege fanden in
Deutschland zwei Konferenzen zur Kontinentalverschiebung statt, in den Vereinigten Staaten
eine weitere Konferenz. Hier stellten die Gegner Wegeners die entscheidende Schwäche seiner
Theorie heraus: Auch ein Wegener konnte nicht angeben, was das für eine Kraft war, die
ganze Kontinente verschieben sollte. So entstand allgemein der Eindruck, dass an der Theorie
von der Kontinentalverschiebung doch nichts dran war.
O-Ton 8, Prof. Fritz Steininger, 8”:
“Als ich studiert habe, das war also in den 60er-Jahren, hat kein Mensch von Wegener
oder von Plattentektonik gesprochen.”
Alfred Wegener 5
... erinnert sich Fritz Steininger, der ehemalige Direktor des Senckenberg-Museums. Die Wende
kam, als eben zu dieser Zeit – in den 60er-Jahren – das größte Gebirgssystem der Welt
entdeckt wurde.
O-Ton 9, Prof. Fritz Steininger, 21”:
“Man muss sich vorstellen: Man hat früher ja keine Ahnung davon gehabt, dass von
dem Tiefseeboden, der so im Mittel bei 4000 Meter liegt, plötzlich Gebirge bis fast
an die Oberfläche des Meeres aufsteigen. Das ist ein amerikanischer Forscher, Heezen,
gewesen, der das visualisiert hat und damit der Allgemeinheit zugeführt hat.”
Bruce Heezen hatte sich mit Schäden an den transatlantischen Telefonkabeln beschäftigt. Dabei
stellte er fest, dass die Telefonkabel bevorzugt auf halbem Wege zwischen Europa und Amerika
kaputt gingen. Der Meeresboden zeigte hier im Querschnitt immer wieder dasselbe aufgeworfene
Profil, wie zuerst einer Mitarbeiterin von Heezen, Mary Tharp, auffiel. Sie fertigte eine Karte
von diesem so genannten mittelozeanischen Rücken an. Entlang der mittelozeanischen Rücken
quillt Magma empor. Schon lange war bekannt, dass glutflüssiges Gestein beim Abkühlen die
Richtung des irdischen Magnetfelds speichert. Nun wechseln die magnetischen Pole in
unregelmäßigen Abständen ihre Lage. Was heute unser magnetischer Nordpol ist, wird einmal
zum magnetischen Südpol werden und umgekehrt. Das Gestein hat aber die Richtung des
irdischen Magnetfelds gespeichert zu dem Zeitpunkt, an dem es abgekühlt ist.
O-Ton 10, Prof. Stefan Vogler, 48”:
“Und zwar ausgehend von mittelozeanischen Rücken zu beiden Seiten hin hat man die
Magnetisierung gemessen und dabei mehr zufällig sehr schnell erkannt, dass es dort
Streifenmuster gab. Parallel liegend zu den mittelozeanischen Rücken sind also die
Ozeanböden, die ozeanische Kruste magnetisiert und zwar auch immer im Wechsel.
Wenn man sich also wegbewegt vom mittelozeanischen Rücken zunächst in der heutigen
Magnetisierung, wie das Erdmagnetfeld jetzt angelegt ist, aber dann gleich daneben in
einem umgepolten Erdmagnetfeld, weiter außen wieder umgepolt in die heutige Richtung
und dann wieder zurück und so weiter – und das in bestimmten zeitlichen Abständen,
Alfred Wegener 6
sprich in bestimmten Breiten der ozeanischen Kruste. Und damit war klar, dass sich
der Ozeanboden sich bewegt,”
direkt darauf: O-Ton 11, Prof. Fritz Steininger, 34”:
“Und dieses Streifenmuster ist durch die ganzen Ozeane hindurch verfolgbar gewesen.
Und dann kam dazu: Man hat damals ja die ersten Tiefseebohrungen durchgeführt. Und
man musste feststellen, dass die Sedimente, die nun über diesem Ozeanboden
abgelagert wurden, also am ozeanischen Rücken waren sie ganz jung, das heißt, sie
sind faktisch gestern abgelagert worden, während gegen die Kontinente hin wurden sie
immer älter. Das hat also auch gezeigt, dass dieses Muster etwas mit Zeit zu tun haben
muss.”
Das Magma, das an den mittelozeanischen Rücken aus dem Erdinneren quillt, schiebt den
Meeresboden beiseite. Hier steckt die Quelle der Kraft, die auch die Kontinentalplatten
verschiebt.
Die Kontinente treiben auf einem Meer von glutflüssigen Magma. Auf den Kontinenten gibt
es Gesteine, die einige Milliarden Jahre alt sind. Solche Gesteine wird man auf dem
Meeresboden vergeblich suchen.
O-Ton 12, Prof. Fritz Steininger, 16”:
“Alle unsere heutigen Ozeane sind nicht älter als ungefähr 145, 150 Millionen Jahre.
Das ist also geologisch gesehen wahnsinnig jung, wenn Sie daran denken, dass die
feste Erdkruste vor vier Milliarden Jahren sich zu konsolidieren begonnen hat.”
Schon Alfred Wegener hat daran gedacht, die Bewegung der Kontinente direkt zu messen.
Zu seiner Zeit gab es jedoch keine ausreichend genaue Messmethode. Erst in unseren Tagen
ist es gelungen, die Kontinentalbewegung tatsächlich direkt zu messen, berichtet der Präsident
der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig, Professor Ernst Göbel. Man
verwendet dazu je ein Radioteleskop, das in Nordamerika und in Europa steht, und richtet
sie auf einen Stern, einen so genannten Quasar, der Radiowellen aussendet. Wenn sich die
Alfred Wegener 7
Laufzeiten der Radiowellen ändern, dann muss sich der Boden unter den Radioteleskopen
bewegt haben.
O-Ton 13, Prof. Ernst O. Göbel , 21”:
“Und so beobachtet man oder hat man über inzwischen mehr als zwanzig Jahre die
Kontinentaldrift zwischen der amerikanischen tektonischen Platte und der europäischen
tektonischen Platte verglichen mit einer Unsicherheit, die im Zentimeterbereich liegt.
Zwischen '84 und heute haben sich die beiden Platten um 20 Zentimetern – 18,3
Zentimeter genau – auseinander bewegt.”
Zwanzig Zentimeter in zwanzig Jahren, also ein Zentimeter pro Jahr – das ist immerhin so
schnell wie Fußnägel wachsen. Alfred Wegener hat nie daran gezweifelt, dass er mit der
Kontinentalverschiebung recht behalten würde, aber gefreut hätte ihn dieses Ergebnis doch.
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