Geblendet vom Unheilsamen

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Jessica Wilker
„Greif zu, kauf dir das Glück!“
Geld und Gier – unheilsame Verbindung
Was heute die Welt regiert ist nicht Geld, sondern "noch mehr Geld" :
das Verlangen nach Profit. Der Buddha lehrt, dass Verlangen uns vom
Glücklichsein trennt. Gier ist keine Quelle der Lust, sondern des
Leidens. Verzicht und Grosszügigkeit bilden Wurzeln des Glücks.
Das Verlangen, einen stetig wachsenden Gewinn zu erreichen, ist der
Motor unserer Wirtschaftssysteme. Die Wirtschaft selber wiederum
muß ein Verlangen nach Konsum erzeugen, damit sie neue Märkte für
ihre Produkte schaffen kann. Um das Verlangen bei uns, den
Konsumenten, hervorzurufen, hat sie außerordentlich effektive
Bekehrungstechniken entwickelt: Ständig und überall drängt sie uns
Werbung auf. Diese überflutet uns mit der Erlösungsbotschaft: "Kauf
mich und du wirst glücklich." Einer solchen Verheißung erliegen wir
nur zu gerne; leicht sind wir zu überzeugen, daß die Befriedigung
unseres Verlangens Glück bringt.
So stellt das Verlangen eine zentrale Triebkraft unserer heutigen
Gesellschaft dar: ob Produzenten oder Konsumenten - was uns
beherrscht ist die Gier nach der Befriedigung unserer Begehren.
Davon versprechen wir uns Glück und Erfüllung.
Dem gegenüber steht die buddhistische Lehre und gießt kaltes Wasser
auf das Versprechen. Sie verkündet, daß Glück so nicht entsteht, ja,
daß Verlangen uns gar vom Glücklichsein trennt. Die Gier nämlich, so
lautet Buddhas Botschaft, ist keine Quelle des Lust, sondern eine des
Leidens.
Geblendet vom Unheilsamen
"Drei Wurzeln des Unheilsamen gibt es, ihr Mönche: Gier, Haß und
Verblendung."
Diese Worte Buddhas, die man so oder in ähnlicher Formulierung in
seinen Lehrreden vorfindet, sagen aus, welche Geisteszustände er als
die Verursacher von Leiden identifiziert hat.
Gier, Haß und Verblendung werden in seiner Lehre als die Wurzeln
von schädigendem, ungeschicktem und ungesundem (akusala)
Wirken angesehen. Der Begriff Wurzel (mula) drückt bildlich aus, daß
solche weit und tief reichen, wie auch die Zubringer von Nahrung
sind. So kann man sie verstehen als eine Bedingung und Ursache
unserer Geisteszustände, ebenso als eine aktive Unterstützung.
Es ist also klar, wie wir die Gier, die erste der unheilsamen Wurzeln,
betrachten sollten: bestimmt nicht als eine Quelle der Lust! Wir
dürfen uns nicht von ihr blenden lassen, so verführerisch sie sich
auch gibt.
Buddha selber hat sie als einen inneren Makel, einen inneren Feind
und Widersacher bezeichnet. Dafür können wir ihm dankbar sein. Er
hat sie für uns entblößt und ihre wahre Natur aufgezeigt; uns
dadurch erkennen lassen, wie Unheil fördernd und Schaden stiftend
sie in Wirklichkeit ist.
Der unstillbare Durst
Gier kann sich in milder Geneigtheit bis hin zur süchtigen
Besessenheit manifestieren. Doch im Grunde sieht sie immer gleich
aus: "Gier hat das Merkmal, einen Gegenstand zu ergreifen wie Leim.
Ihre Funktion ist das Anhaften so wie ein Stück Fleisch, in eine heiße
Pfanne gelegt, anklebt. Sie manifestiert sich als Unwilligkeit, ihr
Objekt aufzugeben, so wie Lampenruß schwer entfernbar ist."1 Gier ist
klebrig. Sie will an sich binden, behalten, besitzen. Das liegt in ihrer
Natur.
Zudem ist sie unersättlich. Dies kommt daher, daß Gier ein Symptom
der Bedürftigkeit ist, des Mangels – ein unangenehmer Zustand, der
durch Befriedigung des Verlangens beseitigt werden will. Der in den
Lehrreden benützte Ausdruck tanha, Durst, drückt diese Dynamik gut
aus.
Gier will – das ist ihre Energie. Tatsächlich kann sie gar nicht
aufhören zu wollen. Es ist uns Menschen nämlich nicht möglich, in
einem bedürfnislosem Zustand zu bleiben. Im Gegenteil - unsere
Bedürfnisse sind unendlich. Kaum ist das eine befriedigt, kommt
schon das nächste. So bleibt die Gier durstig. Sie, die bleibende
Erfüllung sucht, findet niemals Erlösung. Nichts kann sie behalten,
nichts bleibt ihr, da in der Wirklichkeit alles wieder vergeht.
Man ist beinahe versucht, sie zu bemitleiden. Aber nur beinahe. Denn
die Gier ist nicht nur klebrig und unersättlich, sondern dazu noch
blind und unwissend. Sie sieht die Wirklichkeit verzerrt, beurteilt sie
falsch. Oft überschätzt sie deshalb das Angenehme, oder sie meint
Wertloses sei kostbar. Und sie unterliegt einer noch schlimmeren
Täuschung: sie sieht Beständigkeit, wo Vergänglichkeit ist; Glück, wo
Leiden ist und ein beharrliches Selbst in dem, was leer ist. Gier ist, in
einem Wort gesagt, verblendet.
Wie entsteht Gier?
"'Was ist, Brüder, die Ursache und die Bedingung, durch die
unaufgestiegene Gier aufsteigt und aufgestiegene Gier stärker und
machtvoller wird?' 'Ein anziehendes Objekt', wäre zu erwidern. 'Denn
in dem, der einem anziehendem Objekt unweise Aufmerksamkeit
schenkt, wird unaufgestiegene Gier aufsteigen und bereits
aufgestiegene Gier stärker und machtvoller werden.'"2.
Ein begehrenswertes Objekt – sei dieses materiell oder ideologisch –
setzt die Bedingung für das Auftreten von Gier. Das ist der Anfang.
Die Reaktion darauf, die Art der Aufmerksamkeit, die dem Objekt
geschenkt wird, läßt die Gier sich manifestieren. Oder nicht. Beides
1
Freie Wiedergabe nach Visuddhi Magga in Nyanaponika, "Die Wurzeln von Gut und Böse", Christani
Konstanz, 1981
2
Anguttara Nikaya, Dreier Buch, Nr. 69
ist möglich und genau an diesem Punkt entscheidet es sich: Hier
gabelt sich der Weg in eine heilsame oder unheilsame Richtung.
Wir Menschen haben die Wahlfreiheit, das Angenehme zu ergreifen
oder eben nicht. Gier ist nicht unausweichlich. Sie mag zwar stark
sein und uns heftig bedrängen, aber wir müssen ihr nicht nachgeben.
Ja, ihr eben keinen freien Lauf zu lassen - genau dies ist Buddhas
Ratschlag an uns.
Wirtschaftliche Funktion der Gier
Buddhas
Ratschlag,
angenehme
Objekte
einer
weisen
Aufmerksamkeit zu unterziehen; seine Aufforderung, genau zu prüfen
was wir wollen; sein Hinweis, sich die Folgen des Ergreifen vor Augen
zu führen – solchen Anweisungen wird in der heutigen
Konsumgesellschaft kaum Folge geleistet. Im Gegenteil – hoch
gepriesen wird die Befriedigung und ein ungezügeltes Nachgeben jedes
nur erdenklichen Bedürfnisses kultiviert.
Dies ist zu einem großen Teil wirtschaftlich bedingt. Ohne Gier könnte
eine kapitalistische Marktwirtschaft nämlich kaum überleben. Um
neue Bedürfnisse zu wecken werden deshalb Milliarden in die
Werbung investiert. Daß dadurch die Gier geschürt wird, ist
erwünscht. Denn so strebt das künstlich erzeugte Verlangen der
Konsumenten nach Befriedigung, will "Neues", "Besseres", "mehr
davon" - was wiederum erlaubt, "noch mehr" zu produzieren und den
Profit zu steigern.
Vor Gier gewarnt wird also von einer Wirtschaft, die selber nach
Profitmaximierung giert, nicht. Statt dessen verführt sie uns mit
Gütern, die unser Begehren wecken. Mit deren Besitz, verspricht sie
uns, kommt die Erlösung vom Mangelgefühl. "Greif zu, kauf dir das
Glück" - lautet ihre Propaganda.
Der Wert des Geldes
Das Versprechen, daß der Besitz eines begehrenswerten Objektes
Glück bringe, wird dann besonders verführerisch, wenn Geld das
begehrte Gut darstellt. Nichts nimmt in unserer Gesellschaft einen
höheren Stellenwert ein, nichts scheint mehr Befriedigung zu
versprechen als Geld, nichts unsere Bedürfnisse besser decken zu
können.
Wie kam es nun aber dazu, daß heutzutage dem Geld, welches
ursprünglich nicht mehr als ein bequemes Tauschmittel darstellte,
derart viel Wert zugeschrieben wird? Sicher hat es damit zu tun, daß
wir heute das Geld dazu benutzen, Wert zu definieren.
Lassen Sie uns diese Behauptung anhand eines kleinen Experimentes
überprüfen. Holen Sie dafür ihre Geldbörse und nehmen Sie daraus
die höchste Banknote. Betrachten Sie diese ganz genau. Sie werden
feststellen, daß sie ein farbiges Stück Papier ist, auf dem Ziffern und
Zeichnungen aufgedruckt sind. Ein Stück Papier – mehr nicht. Nun
nehmen Sie ein Feuerzeug zur Hand und verbrennen Sie die
Banknote. Beobachten Sie, was dabei in Ihnen vorgeht. Sie werden
bestimmt erkennen können, wieviel und welchen Wert Sie diesem
Papierfetzen zuschreiben.
Geld repräsentiert für uns Überleben, die Sicherung unserer
grundlegenden Bedürfnisse nach Nahrung, Unterkunft und
Gesundheit. Es ist kein Wunder zögerten Sie, die Banknote zu
verbrennen. Das ginge uns allen so!
Die Bedeutung des Geldes indessen geht für uns weit über die
Garantie des materiellen Überlebens hinaus; symbolisiert es doch
Status, Macht, Prestige, Vergnügen, Luxus, Abenteuer, Schönheit –
kurz, all das was des Menschen Herz begehrt. Als Symbol besitzt Geld
die einzigartige Fähigkeit sich in alles zu verwandeln und scheint so
unsere sämtlichen Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte erfüllen zu
können.
Als reiche Leiche glücklich sein?
Angesichts dieser Tatsache ist es nicht erstaunlich, daß gerade Geld
die Gier magnetisch anzieht. Kein Wunder kann es sie in jeglicher
Form - von der sinnlichen über die Habgier bis zur Machtgier entfachen.
Geld und Gier gehen folglich oft Hand in Hand und, wie wir feststellen
können, ist diese Beziehung meist eine verhängnisvolle. Wir brauchen
nur die Zeitung aufzuschlagen um zu sehen, wie viele Untaten aus
Gier nach Geld begangen werden. Millionenfach wird betrogen,
gelogen, gestohlen, übers Ohr gehauen, verschuldet, gewuchert,
bestochen, gedroht und gemordet. In einem gierigen Geisteszustand
tendieren Menschen dazu vor nichts Halt zu machen, jedes Mittel
scheint ihnen recht zu sein, ethische Fragen stellen sie keine.
Offensichtlich wird, wer dem Geld unweise Aufmerksamkeit schenkt,
blind für die Folgen, die sein egoistisches Ergreifen haben könnte.
Mit einem gierigen Geist hat man zudem weitere blinde Flecken: so
überschätzt man das Geld, verkennt seinen wahren Wert und
verwechselt ihn mit dem symbolischen. Man täuscht sich über die
Gesetze der Wirklichkeit, ist, anderes gesagt, verblendet. Deshalb
kommt es zum Beispiel dem Habgierigen nicht in den Sinn, daß er
den gehorteten Besitz spätestens auf dem Sterbebett wieder verlieren
wird. Deshalb erkennt der Statusgierige nicht wie wenig Sinn es
macht, die wohlhabendste Leiche auf dem Friedhof zu werden.
Die Verblendung prägt natürlich nicht nur das Anschaffen von Geld,
sie färbt ebenso auf das Ausgeben ab. In einem gierigen
Geisteszustand ist es nicht von Bedeutung ob man das, was man
kauft, wirklich braucht. Ob es einem gar schaden könnte, will man
ebenfalls nicht wissen. Hauptsache der unmittelbare Mangel läßt sich
beseitigen.
So kauft man, gierig nach Sinnengenuß, noch mehr Alkohol, Süßes,
Zigaretten, Porno. Gierig nach Prestige gibt man das Zehnfache für
einen Markenartikel aus, obschon derselbe Artikel ohne Marke die
gleiche Funktion erfüllen würde. Oder, aus Gier maßlos geworden,
verschuldet man sich.
Wahrlich - gehen Geld und Gier Hand in Hand, so laufen sie ins
Verderben!
Grosszügig losslassen und verdient geniessen
"Drei Wurzeln des Heilsamen gibt es, ihr Mönche: Gierlosigkeit,
Hasslosigkeit und Unverblendung." Wie uns die Worte des Buddhas
aufgezeigt haben, welche Geisteszustände Leiden verursachen, so
geben sie uns auch zu erkennen, welche es verhindern können.
Gierlosigkeit, sagt er, befreit uns vom Leiden. Selbstlosigkeit,
Großzügigkeit, Opferbereitschaft, Verzicht und Entsagung sind
diejenigen Geisteszustände, die Heilsames bewirken.
Um also in unserem Umgang mit Geld Gutes zu bewirken, sowie uns
vor der unheilsamen Verflechtung von Geld und Gier zu schützen,
können wir Buddhas Ratschlag folgen und uns Mühe geben, mit Geld
möglichst gierlos umzugehen.
Konkret würde das heißen, Geld mit weiser Aufmerksamkeit zu
betrachten:
● Wenn wir etwas kaufen, sollten wir uns überlegen, ob wir dies
wirklich brauchen. Wir sollten uns darüber klar sein, welches
Bedürfnis wir damit zu befriedigen versuchen.
● Bevor wir etwas erstehen, müßten wir darüber nachdenken, ob
diese Anschaffung uns oder unserer Mitwelt schaden könnte.
● Es darf uns nicht egal sein wie wir uns unser Geld verdienen.
Ethische Fragen sollten uns am Herzen liegen.
● Und schließlich können wir unsere Gierlosigkeit festigen, indem wir
selbstlose Großzügigkeit und Gebefreudigkeit üben. Loslassen wird
damit zum Gegengewicht des gierigen Anhaften.
Bei all unseren Bemühungen, gierlos mit Geld umzugehen, sollten wir
aber auf keinen Fall vergessen, uns gegenüber auch großzügig zu
sein. Es ist unnötig streng und kleinlich zu werden, uns nichts mehr
zu gönnen, an Materiellem keine Freude zu haben. Angemessener
ist's, auf dem mittleren Weg zu laufen – da dürfen wir auch geniessen,
was wir uns redlich verdient haben.
Freie Wiedergabe nach Visuddhi Magga in Nyanaponika, "Die Wurzeln von Gut und
Böse", Christani Konstanz, 1981
Anguttara Nikaya, Dreier Buch, Nr. 69
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