Die grüne Gefahr – oder: wenn Gras Schmerzen verursacht! Das Frühjahr kommt. Sonne, Gras und schmerzende Hufe – Albert Schweizer hat sich durch zahlreiche Bücher und Fachartikel gelesen und versucht Zusammenhänge zwischen Fütterung und Hufrehe darzustellen. Der Beitrag von Dr. Stoll in die ESELPOST Heft Nr. 52 hat mir geholfen, erste Zusammenhänge zwischen Fütterung und Hufrehe zu verstehen. Wir haben selber einen Esel, der chronische Hufrehe hatte. Diese konnten wir so weit ausheilen, dass Lilo uns als Tragtier wieder auf mehrtägigen Wanderungen begleiten und auch vor die Kutsche gespannt werden kann. Das Nachfolgende kann kein Leitfaden sein, Hufrehe sicher zu vermeiden. Ich möchte aber Eselfreunde dazu animieren, sich mit diesem komplexen Thema auseinander zu setzen und Hufrehe bei ihren Tieren zu vermeiden. Unsere Esel waren von ihrer Evolution her nicht für Deutschland oder Österreich vorgesehen. Als Exoten leben sie bei uns in einem Sch1araffenland und werden bei der um uns herum erlebten Realität der gängigen Eselhaltung krank und kurzlebig. Gefährliche Rehe Hufrehe ist bei unseren Eseln leider eine sehr stark verbreitete Wohlstandskrankheit. Sie ist für das Tier äusserst schmerzhaft und führt in der Regel zu bleibenden Schäden. Bei schweren Fällen ist eine Heilung kaum mehr möglich und Tiere müssen euthanasiert werden. Das Fatale an Hufrehe ist, dass die eigentliche Erkrankung von Eselhaltern erst dann erkannt wird, wenn es bereits zu einer schweren Schädigung der Hufe, meist mit einer Veränderung der Lage des Hufbeins in der Hornkapsel, gekommen ist. Auslösemechanismen, Krankheitsprozesse, Symptome, Behandlung und Vorbeugemassnamen sind bei Eseln nicht gravierend anders als bei leichtfuttrigen Mulis oder Pferderassen. Hufrehe (Laminitis) ist eine nicht eitrige Entzündung der Huflederhaut, in deren Folge der Aufhängeapparat des Hufbeins gelockert werden kann. Dies kann zu Hufbeinabsenkung/rotation, im Extremfall Durchbruch durch die Hufsohle und_Ausschuhen (Totalablösung der Hornkapsel) führen. Die Ursachen können verschiedenartig sein. Entsprechend unterscheidet man auch verschiedene Rehearten, worauf ich in diesem Beitrag aber nicht näher eingehen möchte. Hier will ich zum Verständnis der häufigsten Art beitragen: Der Fütterungsrehe, deren Ursachen der Eselhalter durch Futter- und Weidemanagement beeinflussen kann. Vergegenwärtigen wir uns, etwas vereinfacht, den Schichtaufbau eines Hufes. Die mit Blutgefässen und Nervenbahnen durchzogene Huflederhaut hüllt das Hufbein zum Teil im vorderen und seitlichen Bereich ein. Sie ist das Organ zur Bildung der Hornkapsel des Eselhufes. Im Hufwandbereich ist die Lederhaut steg- und rinnenartig ausgeformt und über ihre grosse Oberfläche mit dem Wandhorn verzahnt (Blättchenlederhaut - Blättchenhorn). Diese ineinander greifende Struktur ist an der Sohle als weisse Linie (korrekter eigentlich: Weisse Zone - Zona alba) sichtbar. Die unmittelbare Grenzschicht zwischen Lederhaut und Horn ist die Basalmembrane, auf der eine Hornbildende Zellschicht sitzt. Der Huf insgesamt und die Lederhaut im Besonderen gehören zu den am besten durchbluteten Organen des Eselkörpers. Was passiert bei einer akuten Rehe? Die eigentlichen Vorgänge rund um die Entzündung im Huf sind wissenschaftlich grösstenteils noch nicht abgesichert. Es gibt dazu verschiedene Theorien. Wobei für mich die nachfolgend wiedergegebene trivial verständlich erscheint. Die Huflederhaut ist mit einem sehr dichten Netz feinster Blutgefässe ausgestattet. Hier strömt das vom Herzen herangepumpte, am tiefsten Körperpunkt unter hohem Druck stehende Blut über Kapillaren in das venenseitige System. In diesem Kapillarbereich sind Arterien und Venen schon vor den kleinsten Kapillaren durch “Ventile” (AVA = arteriovenöse Anastomose) verbunden. Diese AVA’s leiten den Blutfluss bei bestimmten Bedingungen (z.B. zur Verstärkung der Durchblutung, um Erfrierungen bei starker Abkühlung des Hufes zu vermeiden) vor den Kapillaren in das Venensystem um. Dieser Mechanismus kann auch in Verbindung mit frei gesetzten Zellgiften (Endotoxine - zu deren Entstehung weiter unten) ausgelöst werden. Bleibt diese Umleitung über einen längeren Zeitraum (ca. 18 Stunden) aufrecht, erfolgt ein schädlicher Blutmangel im Kapillarsystem der Lederhautblättchen. Dabei tritt Entzündungsflüssigkeit aus diesem Kapillarsystem aus und sammelt sich zwischen der Huflederhaut und dem Wandhorn. Der daraus entstehende überhöhte Innendruck führt zu grossflächigen Zerreissungen der Basalmembranen und zum Ablösen des Wandhornes von der Huflederhaut. Dieser Prozess ist für ein Tier extrem schmerzhaft! Je nach Grösse dieser Entzündungsausbreitung und -dauer kann es zur erwähnten Hufbeinrotation oder Hufbeinabsenkung kommen. Wie entstehen diese Gifte? (Endotoxine) Die weitaus häufigsten Ursachen zur Bildung von Endotoxinen sind Störungen der Dickdarmflora. Dabei handelt es sich um ein billionenfaches Massensterben von Darmmikroben mit Freisetzung von Leichengiften. Bei diesem Massensterben wird der Eselorganismus schlagartig mit Gift überschwemmt. Endotoxine gelangen über die Darm wand in die Blutbahn und können den beschriebenen Mechanismus der Hufrehe auslösen. Was kann solche Verdauungsstörungen auslösen? Eine stabile Darmflora hat eine ausreichend hohe Anzahl an “gesunden’ Dickdarmmikroben. Beim Pferd soll diese bei reiner Heufütterung 400 mal höher als bei Kraftfutterfütterung sein (beim Esel wird dies wohl ähnlich liegen). So eine massenhafte Zahl an “gesunden’ Darmmikroben verhindert im Normalfall ein unkontrolliertes Wachstum von “krank machenden” Keimen, die in einem anderen Säureniveau (pH Wert) leben. Esel (wie auch Pferde) haben Mägen mit relativ kleinem Fassungsvermögen. Im Magen erfolgt der Aufschluss des Nahrungsbreies zum Teil mit Salzsäure und zum Teil mikrobiell. In der ansch1iessenden doch relativ kurzen Passagezeit durch den Dünndarm folgt ein enzymatischer Aufschluss. Kommen nun grössere Mengen an Kohlehydraten (Zucker oder auch Stärke) in den Magen, führt eine vermehrte Milchsäurebildung zum Absinken des pHWertes des Nahrungsbreies. In der kurzen Zeit im Dünndarm kann die Verdauung überhöhter Mengen an solchen Nahrungsstoffen, die enzymattisch aufgeschlossen werden müssten (Zucker, Stärke, Eiweiss, ), nicht bewerkstelligt werden. Es können unverdaute Nahrungsbestandteile den Dickdarm plötzlich überfluten. Für diese ist er nicht gerüstet. Der Kollaps im Dickdarm Im Dickdarm findet eine mikrobielle Verdauung der Nahrung statt. Gelangen nun größere Mengen unverdauter Bestandteile wie Zucker, Stärke oder Eiweiß aus den vorderen Verdauungstrakten in den Dickdarm, geschieht Folgendes: Die Bildung von Bakterien welche leicht aufschließbare Kohlehydrate (z.B. Stärke, Zucker) verwerten können, geschieht rasend schnell. Sie explodiert förmlich. Dabei produzieren diese Mikroben in ihrem Stoffwechsel Milchsäure. Dadurch sinkt der pH - Wert im Darm rapide ab und die ‘gesunde Normalflora stirbt ab und scheidet Endotoxine ans. Durch die Säure wird die Darmwand geschädigt und Endotoxine gelangen ins Blut. Das Leiden nimmt seinen Lauf Plötzlicher Futterwechsel Wenn uns die zuvor geschilderten Vorgänge bewusst sind, verstehen wir auch, dass plötzlicher Futterwechsel Hufrehe auslösen kann. Ein langsames Absterben einer ‘gesunden‘ Mikrobenflora bei einer allmählichen Futterumstellung wird diesbezüglich weniger gefährlich sein. So sind auch altbekannte Erfahrungen und Tipps zu verstehen: * Langsames Anweiden im Frühjahr * Esel nicht hungrig auf die Weide stellen, sondern vorher ausreichend mit Heu futtern * Kein unkontrollierter Zugang zur Haferkiste (Esel benötigen im Normalfall überhaupt kein Kraftfutter!) Grüne Gefahr? In vielen Literaturstellen wird die übermäßige Aufnahme von eiweißhaltigen Futtermitteln als Ursache von Reheschüben genannt Wie wir gesehen haben, kann aber auch Stärke (Hauptbestandteil von Körnerfutter: Getreide, Mais, Kraftfutter) den Kollaps im Dickdarm auslösen. Und dies kann auch Zucker! Hier ist das (zu Recht) verpönte Zuckerwürfel-Leckerli keine Gefahr, sondern grosse Mengen an Zucker. Aber Zuckersäcke stehen doch nicht in unseren Eselställen? Vor wenigen Jahren haben britische Forschungsarbeiten die Equidenfachwelt aufhorchen lassen und interessante Fakten aufgezeigt, die durchaus auch bei der Eselfütterung beachtet werden können: Zucker im Gras! Süßes Gras! Der größte Anteil unserer Gräser besteht aus Zellulose (neben Hemizellulosen, Lignin und Pektin). Wir erinnern uns, dass grüne Pflanzen mit ihrem Chlorophyll das in der Luft vorhandene Kohlendioxid in einer Fotosynthese, also mit der Energie des Sonnenlichtes, in Zellsubstanz (wie Zellulose) umwandeln. Zellulose ist eine Form von Zucker (nicht süße, aber zu einer langen Faserkette zusammengereihte Moleküle — wir kennen sie als Papierfaser). Auf die Verdauung dieser Zuckerart sind Eselmägen und -därme bestens eingestellt. Die Fotosynthese liefert aber zuerst kurzkettige Zuckerarten, die in der Pflanze erst zu großmolekularen Zellsubstanzen umgebaut werden müssen: die Pflanze wächst. Die britischen Forscher haben nachgewiesen, dass Weidegräser eher kurzkettigen Zucker in großen Mengen in Form der Zuckerart FRUKTAN zwischenspeichern, wenn durch Sonnenlicht zwar die Fotosynthese läuft, die Gräser aber durch andere Umstände nicht wachsen können. Und diese süßen Gräser sind eine Gefahr für unsere Esel: Ihr Zuckergehalt führt zum Kollaps im Dickdarm und ist ein Reherisiko. Wann wird Fruktan gebildet und gespeichert? Die Bildung des Wachstumszwischenspeichers Fruktan erfolgt entsprechend intensiver, je besser die Fotosynthese läuft. Also ist die Fruktanproduktion hoch bei sonnigem, warmem und feuchtem Wetter. Unter solchen Bedingungen wird es andererseits umgehend für das Pflanzenwachstum verbraucht. Ist das Gras aber am Wachstum behindert, wird Fruktan in der Pflanze eingelagert. Zu einem späteren Zeitpunkt kann es für das Wachsen der Pflanze wieder abgebaut werden. So können dann bei feuchten, warmen Nächten, nach kalten sonnigen Tagen, Gräser förmlich in die Höhe schießen. Je nach Temperatur, Sonnenstrahlung, Tages- und Jahreszeit, sowie Beweidung schwankt der Fruktangehalt. Er kann binnen Stunden zwischen 10 und 100 Gramm pro Kilogramm Gras variieren. Eine Weide kann so am Vormittag gefährlich hohe Fruktankonzentration haben, am Nachmittag aber harmlos sein. Man kann also nicht sagen: “Eine Stunde Weidezeit ist zuviel für einen Esel, sondern es kommt auf unterschiedliche Faktoren an. Es kann bereits eine halbe Stunde zuviel sein oder der Esel kann problemlos den ganzen Tag ohne Gefahr einer Hufrehe weiden. Dürfen Esel nur mehr in der Nacht weiden? Grundsätzlich kann man sich darauf einstellen, dass der Fruktangehalt im Gras am niedrigsten ist, wenn eine normale Fotosynthese stattfinden kann und das Wachstum der Pflanzen nicht gebremst wird. Nachts, wenn fehlendes Licht keine Fotosynthese ermöglicht, ist der Fruktananteil auch gering. Gefährlich hoch steigen Fruktanwerte an, wenn das Graswachstum gebremst ist: z.B. wenn es sehr kalt ist (Frost), aber auch bei anderem Stress, wie nährstoffarmen Böden oder wenn das Gras ständig kurz abgefressen oder gemäht wird. Dabei wird Fruktan hauptsächlich in den Pflanzenstängeln angereichert. Besonders im Frühjahr und Herbst kommt es häufig zu Reheerkrankungen, weil die Sonneneinstrahlung die Fotosynthese anregt, das Gras aber durch die nächtliche Kälte kaum wachsen kann und Fruktan in hohen Mengen eingelagert wird. In dieser Jahreszeit sollten Esel nicht morgens auf die Weide geführt werden (hoher Fruktangehalt), Nachmittags dagegen sind die Fruktangehalte auf ca. die Hälfte abgesunken. Vorsichtiges Anweiden ist aber unabhängig davon auch zu beachten. Sind die Tage heiß und die Nächte warm (Hochsommer), ist der Fruktangehalt imGras niedrig. Nach einer kalten Nacht kann der Fruktanwert auf das 2OOfache des “normalen Wertes ansteigen. Daneben spielen auch Standort der Weide und die Grassorten der Weide eine Rolle. Was schließen wir daraus: * Vorsicht bei kurz abgefressenen Weiden bzw. frisch gemähten Wiesen * Vorsicht bei nährstoffarmen Böden * Vorsicht bei bzw. Stunden nach kalten Nächten * Vorsicht bei frostigem Wetter und strahlendem Sonnenschein * Geringe Rehegefahr bei bedecktem Himmel * Geringe Rehegefahr bei warmem feuchtem Wetter Zu guter Letzt Ich habe meinen Beitrag nach bestem Wissen aus verschiedenen Fachartikeln zusammen gestellt und hoffe, dass ich klar machen konnte, dass gerade jetzt im Frühjahr vorsichtig angeweidet werden muss. Generell werden die Erfahrungen der Eselhalter unterschiedlich sein. Bei rehegefährdeten Eseln, deren Huflederhaut durch vorangegangene Reheschübe bereits geschädigt ist, wird wesentlich mehr Vorsicht wahr genommen werden müssen, als bei“ Robusteseln“. Unter letzteren verstehe ich jene Tiere, deren wirklich stabile Darmflora „Fütterungsfehler“ verzeihen und deren Hufe nie geschädigt wurden. Persönlich glaube ich, dass ein ständig gut gepflegter Huf dessen Hufmechanismus bei viel Bewegung immer optimal funktionierte, genau so ein Schlüssel zur Vermeidung von Hufrehe ist, wie der Erhalt einer stabilen Darmflora. Informationen: IA AUSTRIA – Interessengemeinschaft Österreichicher Eselfreunde Dipl. Ing Albert Schweizer (Obmann) Pichlhofen 4 A-8756 St Georgen ob Judenburg Tel/Fax: 0043 3583 2928 Mailto: [email protected] Herzlichen Dank an Albert Schweizer für die Erlaubnis zur Publikation seines Beitrags über Hufrehe.! Handbuch Esel- Ernährung