www.BikeSite.de 1 Bike your dream! Eine Radtour im Südwesten der USA schwirrte mir schon einige Zeit im Kopf herum. Nach Lektüre des GEO-Specials „Canyonlands“ Anfang 1999 stand der Entschluß fest: Dieses Jahr geht’s in den „Wilden Westen“! Geradelt bin ich schließlich im Juni von Salt Lake City nach Las Vegas via Arches National Park, Monument Valley und Grand Canyon. Inklusive zwei Tage „Warmradeln“ in Deutschland waren es rund 2100 km. Viel Spaß beim Lesen! Auf ins Canyonland! Die diversen „warm ups“ sind endgültig vorbei. Es geht bergauf. Ich radle eine schier endlose Steigung hinauf nach Souldier Summit und habe Zeit, mir den Auftakt der Tour noch mal durch den Kopf gehen zu lassen... Flughafen Frankfurt. Der Trouble beginnt beim check in. Lufthansa und United Airlines sind sich nicht einig, ob mein Fahrrad nun in den Karton muß oder nicht. Es muß, paßt aber nicht. Nachdem ich meinen kompletten Lenkervorbau abmontiert habe, paßt es dann doch. Fahrrad und ich dürfen in den Flieger... Umstieg in Chicago. Fahrrad und ich müssen durch den Zoll. Ein Fahrrad im Karton läßt sich nicht schieben und paßt samt restlichen Gepäck nur quer auf den Gepäckkuli. Doch leider paßt der Gepäckkuli mit einem querbeladenen Fahrrad durch keinen Durchgang mehr. Daß ich meinen Anschlußflug bekomme, wundert mich selbst... Inlandsflug nach Salt Lake City. Es gibt einen Hamburger als Imbiß. Ich verspeise den Salat zuerst. Schmeckt zwar etwas fad ohne Dressing, aber er ist frisch. Er bleibt mir im Hals stecken, als meine Nachbarin das Grünzeug grinsend auf Ihren Hamburger packt. Hallo Amerika... Ankunft in Salt Lake City. Ich bin da, mein Fahrrad nicht. Außerdem fehlt eine der Fahrradtaschen. Ich mache ein ziemlich doofes Gesicht und fahre per Taxi ins Zentrum. Am Abend der Anruf der Fluggesellschaft. Rad und Tasche werden noch in der Nacht ins Hotel geliefert. Erleichterung... Inzwischen habe ich Souldier Summit auf rund 2500 m Höhe erreicht. Es besteht nur aus einer Tankstelle. Viel bemerkenswerter ist, daß sich auf den nächsten flachen Kilometern Wetter und Landschaft ändern. Es wird wärmer, der Himmel strahlend blau. Das Grün weicht einer spärlichen Vegetation. Es geht ins Canyonland! Die Abfahrt durch den grandiosen Price-Canyon läßt erahnen, was in den nächsten drei Wochen auf mich zukommt. Die neue Dimension des Radfahrens... Erstes Highlight der Tour soll die Gegend um Moab werden, wo ich mich für drei Tage einmieten möchte. Auf der Fahrt dahin lerne ich zwischen Price und Green River Radfahren in einer neuen Dimension kennen: Auf einer Strecke von fast 100 km gibt’s keinen Ort, kein Haus und keinen Baum. Nur die Straße und in der Ferne die ersten Felsen bestimmen das Panorama. Irgendwie sprengt das die Vorstellungskraft eines Mitteleuropäers. Die Weite des Landes und die für Radfahrer gigantischen Dimensionen werden für mich zu einem beeindruckenden Erlebnis. © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme www.BikeSite.de 2 Auf in den Schnee! Der erste Ausflug von Moab aus führt mich in die La Sal Mountains. Die Tour beginnt mit einer herrlichen Fahrt durch das Tal des Colorado Rivers. Links und rechts erheben sich faszinierende Felsen. Das Licht des frühen Morgens läßt die roten Felsen erglühen. Dazu strahlt die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel. Nach rund 25 km fahre ich vom Fluß ab ins Castle Valley. Es beginnt ein 30 km langer Aufstieg in die La Sal Mountains. Das Tal öffnet sich. Es wird breiter und gibt die Sicht frei auf den gigantischen Castle Rock und die Felsen „Priest and Nuns“. Die Szenerie ist gigantisch. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Immer wieder bleibe ich stehen und genieße die Aussicht auf die Felsen, das Castle Valley und die Berge. Unabläßlich schlängelt sich die Straße bergauf. Inzwischen bin ich so hoch, daß sich die Umgebung im üppigsten Grün zeigt. Es wird kühler. Das „Salz“ der La Sal Mountains ist jetzt fast zum Greifen nah: Die Gipfel sind selbst im Sommer mit Schnee bedeckt. Bis Moab, dem staubtrockenen und heißen Ausgangspunkt meiner Tour sind es keine 60 km. Es geht bis auf rund 2700 m hinauf durch schönsten Bergwald. Hier und da kann ich noch einen Blick ins Castle Valley erhaschen, bevor ich in einer atemberaubenden Abfahrt zurück nach Moab rausche. Long Canyon Trail Moab, zweiter Tag. Wieder beginnt der Ausflug im Tal des Colorado Rivers, doch diesmal flußabwärts. Der „scenic byway“ macht seinem Namen alle Ehre: Die Festformationen sind noch beeindruckender als gestern. Wie Kathedralen türmen sich ummittelbar neben der Straße gigantische Felsen auf. Mal schroff und zerklüftet, dann wieder weich und rund. Es geht vorbei an alten Felszeichnungen der Indianer und dem „Jungle Arch“, einem filigranen Felsbogen. Auch heute biege ich nach einer Weile in ein Seitental ab: Der „Long Canyon Trail“ ist wirklich nur ein Pfad. Eine holprige Piste führt ein enges Tal hinauf. Abermals bin ich vollkommen von der Landschaft begeistert. Es ist absolut ruhig. Nicht einmal die leichte Brise des Windes ist zu hören. Hoch oben vor der Felskante zieht ein Greifvogel seine Bahnen und hebt sich vom Blau des Himmels ab. Die Begeisterung läßt allerdings etwas nach, als die Steigung so stark wird, daß ich nicht mehr fahren kann. Obwohl ich nur mit der „Minimalausrüstung“ und reichlich Wasser beladen bin, bekomme ich bald sogar mit dem Schieben Schwierigkeiten. Während ich schweißgebadet mit größter Mühe versuche, mein Fahrrad und mich bergauf zu bekommen, frage ich mich, ob sich die Einstufung dieser Piste als „moderate“ in der Mountainbikerkarte nicht auf die Gegenrichtung bezieht. So was ähnliches fragt sich die Fahrerin, die mir verkrampft hinter dem Lenkrad Ihres Jeeps im Schrittempo entgegenkommt, wohl auch gerade. Eine Mischung aus Entsetzen und Überraschung steht uns beiden ins Gesicht geschrieben. Ein kurzes Lächeln und für beide geht der Kampf mit dem Berg weiter. Es war übrigens das einzige Auto auf der Piste während des gesamten Aufstiegs... Es ist geschafft! Ich habe den „Tucker Pass“ erreicht und radle über eine Hochebene zum „Dead Horse State Park“. Von dort aus hat man eine grandiose Aussicht auf das Tal des Colorados und die Ausläufer des Canyonlands Nationalpark. Felsbögen ohne Ende Moab, dritter Tag. Heute geht’s in den Arches-Nationalpark, nur wenige Kilometer von Moab entfernt. Nach einer ordentlichen Bergauffahrt radelt man durch eine spektakuläre Felskulisse. Im Park gibt es mehrere Sektionen, die auf Straßen erreichbar sind und mit beeindruckenden Felsbögen locken. Insgesamt hat der Park rund 2000 Felsbögen zu bieten. Einige Bögen sind von der Straße aus oder nach kurzen Spaziergängen zu sehen. Will man andere aus der Nähe sehen, wie z.B. den berühmten © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme www.BikeSite.de 3 „Delicate Arch“, muß man schon eine längere Wanderung auf sich nehmen. Auch im Park geht’s einige Berge rauf und runter. Aber die grandiose Landschaft entschädigt für alle Mühen. Nach drei Tagen in Moab radle ich weiter. Dabei hätte ich sicherlich noch drei Wochen in Moab bleiben können, so viele lohnenswerte Ziele für Radfahrer gibt es in der näheren und weiteren Umgebung. Moab gibt sich gern als das Weltzentrum der Mountainbiker. Auf jeden Fall hat Moab viele tolle Bike Trails zu bieten, darunter auch den wohl weltweit berühmtesten Kurs, den „Slickrock Bike Trail.“ Monticello liegt auf einer erstaunlich grünen Hochebene auf rund 2300 m. Die Fahrt dahin durch die teilweise nicht so spannende Landschaft wird durch die vielen Erdmännchen am Straßenrand aufgelockert. Während sie an Autos gewöhnt sind, halten sie Radfahrer für eine Bedrohung und alarmieren ihre Sippe. Daraufhin flitzen oft 5 bis 10 Tiere mit Alarmgeschrei aus allen Winkeln in den Bau. Auf der weiteren Fahrt Richtung Süden gibt’s allerhand zu sehen: Die verschlafene, aber historisch interessante 150-Seelen Gemeinde „Bluff“ blufft nicht und hat nicht nur die markanten „Twin Rocks“, sondern auch eine Menge Charme zu bieten. Das „Valley of The Gods“ läßt sich über eine Piste abseits des Highways erkunden. Faszinierende Ausblicke auf die Felsen und eine wahrhaft göttliche Ruhe machen die Fahrt zum Erlebnis. Das etwas trostlose Kaff „Mexican Hat“ bietet Steaks erster Klasse vom Schwenkgrill im „cowboy-size“: Ein 600 Gramm Steak mit Bohnen soviel man mag kommen einem ausgehungerten Radfahrer gerade recht. Für normale Menschen gibt’s aber auch die etwas harmlosere „cowgirl-size“-Variante. Der Höhepunkt: Monument Valley Nachdem man die Steigung hinter Mexican Hat gemeistert hat, zeichnet sich bereits in der Ferne die Skyline von dem ab, was sich als Höhepunkt der Tour herausstellt. Die Anfahrt zum Monument Valley übertrifft meine schönste Vorstellung einer Radtour durch den Südwesten der USA: Ein langer Highway führt genau durch imposante Tafelberge hindurch. Dazu gibt’s blauen Himmel und Country-Musik vom lokalen Radiosender. Ich genieße die Fahrt auf der Traumstraße in vollen Zügen. Je näher man dem Monument Valley kommt, um so mehr begreift man, warum für die Navajo-Indianer das Land heilig ist. Gigantische Tafelberge erheben sich in der Ebene des Tals. Roter Feld zeichnet sich vor dem blauen Himmel ab. Man glaubt, sich in einer perfekt gestalteten Filmkulisse zu bewegen. Viele Filmregisseure haben diese Landschaft als Kulisse für ihre Film gewählt. Einzig störend sind die relativ vielen Autos, die sich mit mir die staubige Piste durch den von den Navajos verwalteten Park teilen. Nur schwer finden sich abseits der Piste auch ruhige Orte, wo man die Landschaft in Ruhe und in vollen Zügen genießen kann. Kilometerfressen bis Flagstaff Die Landschaft vom Monument Valley bis Flagstaff hat Schwierigkeiten, mit den Highlights der letzten Tage seit Monticello mitzuhalten. So hat man auf den vielen Kilometern Zeit, das Gesehene zu verarbeiten. Bis Flagstaff stehen zwei lange Etappen auf dem Plan, die zudem mit etlichen Höhenmetern und Gegenwind garniert sind. Wiedereinmal erfahre ich die irrsinnigen Dimensionen dieses Landes. Bemerkenswert sind die letzten Kilometer vor Flagstaff. Es geht mal wieder schier endlos bergauf. Doch innerhalb weniger Kilometer verwandelt sich die Landschaft von einer trostlosen Wüste in einen üppigen Bergwald. Selbst als Radfahrer im Schneckentempo bergauf vollzieht sich der Wechsel rasant. © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme www.BikeSite.de 4 Flagstaff Flagstaff ist der einzige größere Ort weit und breit. Die Altstadt macht einen sympathischen Eindruck: Es gibt einen alten Bahnhof und in Backstein gemauerte Häuser mit Cafés und kleinen Geschäften. Es weht ein wenig das Flair der vergangenen Tage durch die Straßen. Nach den anstrengenden Etappen verbringe ich hier einen Tag mehr oder weniger faulenzend. Grand Canyon Da mir etwas die Zeit davongelaufen ist und zudem die Sache mit den Unterkünften im Grand Canyon während der Hauptsaison nicht so einfach ist, beschließe ich, mit der historischen Eisenbahn zum Grand Canyon zu fahren. Zunächst geht’s mit dem Bus nach Wilson, wo bereits Horden von Fahrgästen auf die Abfahrt des Zuges warten. Nach den Tagen in der Einsamkeit der Wüste sind die Menschenmassen etwas ungewohnt. Vor und während der Fahrt muß man ein komplettes Unterhaltungsprogramm mit Sheriffs, Cowboys und gespielten Schießereien über sich ergehen lassen. Doch die Amerikaner scheinen auf das Showprogramm voll abzufahren. Insbesondere Scott, unser Steward im Waggon, ist mit seinen Sprüchen und Spielchen der Held der Unterhaltung. Nach knapp drei Stunden habe ich aber auch das überstanden und ich stehe an der Kante des Grand Canyon. Obwohl sich die Konturen im Mittagslicht nicht so stark abzeichnen, bin ich vom Anblick begeistert. Die Größe des Tals läßt einen die Dimensionen vergessen. Bis zur Kante auf der anderen Seite sind es rund 20 Kilometer. Der Colorado River fließt rund 1500 Meter weiter unten. Nur von einer Stelle kann ich den Fluß sehen. Ich spaziere ein gutes Stück die Kante entlang und genieße die sich ständig wechselnden Perspektiven und Aussichten in die Seitentäler. Wie intensiv müssen erst die Eindrücke sein, wenn man den Grand Canyon während einer mehrtägigen Wanderung erlebt. Leider habe ich dazu keine Zeit. So ergeht es mir nicht besser als den meisten der jährlich sechs Millionen Besuchern: Es bleibt bei einem kurzen, aber großartigen Eindruck. Route 66 Hinter Flagstaff muß ich ein Stück die Interstate, das Pendant unserer Autobahnen, fahren. Alles kein Problem. Auch hier nehmen die Autofahrer und insbesondere die Trucks viel Rücksicht. Sie weichen oft sogar auf die zweite Spur aus, obwohl ich auf dem breiten Seitenstreifen schon mehr Platz als genug habe. Nach knapp 100 km geht’s dann ab auf die „Historic Route 66“ parallel zur Interstate. Hier radelt es sich auf geschichtsträchtigem Asphalt völlig unbelästigt von Autos. Nur selten begegnen einem ein paar Nostalgiker im Auto oder auf dem Motorrad, die den Umweg über die Route 66 in Kauf nehmen. Die kleinen Ortschaften entlang der Route 66 haben ihren eigenen Charme. Man findet viel Kitsch, aber auch noch einige authentische Restaurants, kleine Hotels und Geschäfte. Dazu gibt’s einen Highway aus dem Bilderbuch. Und sogar aus dem Radio tönen die passenden alten Schinken aus den 60er Jahren. Nachdem ich am zweiten Tag auf der Route 66 bereits 100 km abgestrampelt habe, hat sich ein sturmartiger heißer Gegenwind eingestellt. Ich habe Mühe, so viel zu trinken, wie der Wind aus mir raussaugt. Jeder Meter auf dem Rad wird zur Qual und es sind noch rund 30 km bis Kingman zu fahren. Zudem sind plötzlich – mir völlig unverständlich – sehr viele Autos unterwegs. Ich komme ziemlich k.o. in Kingman an. © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme www.BikeSite.de 5 Die Wüste ruft... Am nächsten Tag schwinge ich mich erst nach Peilung der Windrichtung aufs Rad. Es sieht gut aus. Der Wind, der mir gestern nachmittag ins Gesicht blies, wird mich heute die rund 180 km durch die Mojave-Wüste nach Las Vegas treiben. Und tatsächlich strample ich die ersten 100 km dank des kräftigen Rückenwindes und der schnurgeraden flachen Strecke in Rekordzeit ab. Die Fahrt durch Weite der Wüste begeistert mich abermals. Nach rund 100 km wird es bergiger als es aus der Karte ersichtlich war. Es ist fast Mittag und die Hitze nimmt deutlich zu. Bis zum Hoover-Staudamm geht’s ganz schön rauf und runter. Am Damm selbst verweile ich nur kurz. Es ist irre, einen so riesigen Betonklotz mitten in die Wüste zu setzen und dahinter einen riesigen See aufzustauen. Unten am Damm fragt mich ein Amerikaner, ob er mich mit seinem Pickup mitnehmen soll. Ich lehne dankend ab, was ich später bereue. Denn nachdem ich den kilometerlangen Paß vom Damm aus bergauf gestrampelt habe, macht die Straße einen Bogen und dreht sich genau in den Gegenwind hinein. Und wenn Straßen hier einen Bogen machen, dann sind das mal eben 20 km. Zu allem Überfluß geht’s zwischendrin auch noch mal bergauf und die Meteorologen hatten mit ihrer Prognose recht: Die angekündigten 43 °C im Schatten hat es in der Mittagshitze mindestens. Nur Schatten gibt es hier nicht. Ich fahre am Limit meiner Kräfte und spiele mit dem Gedanken, die Etappe abzubrechen und mich von einem Auto mitnehmen zu lassen. Doch kurz vor Boulder City erscheint eine Tankstelle am Straßenrand. Ich mache eine längere Pause. Man muß mir die Erschöpfung wohl angesehen haben, denn der Tankwart kann gar nicht glauben, daß ich per Fahrrad unterwegs bin und wünscht mit ein sorgenvolles „Take good care“, als ich zur Weiterfahrt aufbreche. Doch die letzte Meile bis zur Anhöhe schaffe ich auch noch im Schneckentempo hinauf. Oben angekommen biege ich ab und die Straße dreht sich wieder aus dem Gegenwind heraus. Mit flottem Tempo eile ich Las Vegas entgegen. Ankunft in Las Vegas Die letzten 20 km geht’s durch die Vororte Las Vegas‘. Die Beine sind inzwischen schwer geworden. Die tiefstehende Sonne blendet und brennt noch immer im Gesicht. Nachdem ich mich zu allem Überfluß auch noch verfahren habe, erreiche ich dann doch irgendwann am frühen Abend den „Strip“, die Flaniermeile Las Vegas. Die Müdigkeit ist plötzlich weg und ich genieße den Abschluß meiner Radtour mit der Fahrt über den Strip in vollen Zügen. Der Portier vor dem Hotel „Sahara“ schaut ziemlich verdutzt, als ich mit dem Fahrrad aufkreuze. Doch dann wird mein Fahrrad mit aller Professionalität verstaut und ich kann mir endlich die Salzkruste von der Haut duschen... In Las Vegas treffe ich Wulf, einen guten Freund, der aus Atlanta nach Las Vegas gekommen ist. Doch zu mehr als einem Bier und Imbiß reicht es heute abend bei mir nicht mehr. Las Vegas‘ Nachtleben muß bis morgen abend auf uns warten... Abschluß der Tour Las Vegas ist der Punkt auf dem „i“ der Radtour. So eindrucksvoll wie die Landschaft in den vergangenen Wochen, so irrsinnig ist diese Stadt. Hier kann man in einem Tag Paris, Venedig, New York und die altägyptischen Pyramiden besuchen. Daß die Sphinx den Kopf von Tut Anch Amun trägt, stört nur wenig. Gondeln fahren auf künstlichen Kanälen und eine Achterbahn flitzt um die Spitze des Fernsehturms. Und das alles mitten in der Wüste! Abends erwacht die Stadt richtig zum Leben. Es © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme www.BikeSite.de 6 gibt Wasserspiele auf künstlichen Seen und feuerspeiende Vulkane, dazu Kasinos, Shows, Büffets und Hochzeiten Tag und Nacht. Egal wie man zu dem Irrsinn steht, man muß Las Vegas einmal gesehen haben. Praktische Tips: Die Tour gehört sicher zu den anstrengendsten Touren, die ich je gefahren bin. Die langen Etappen, die großen Höhenunterschiede und die Hitze machen das Radeln nicht einfach. Und wenn auch noch Gegenwind dazukommt, wird’s wirklich hart. Trotzdem lohnen sich alle Anstrengungen. Denn diese Tour gehört auch zu den schönsten Touren, die ich in den letzten 18 Jahren gefahren bin. Das Naturerlebnis auf dem Fahrrad ist einfach grandios und unmittelbar. Die Landschaft ist archaisch und spektakulär. Ich kann ich eine Fahrradtour im Südwesten der USA jeder und jedem empfehlen, die bzw. der ein ordentliches Maß Ausdauer mitbringt und Erfahrung mit dem Radeln in heißen Gebieten hat (sofern man nicht dort im Winter durch den Schnee fährt...). Neben der grandiosen Naturlandschaft hat die beschriebene Tour auch kulturell einiges zu bieten (was mir bei der Planung der Tour noch gar nicht so bewußt war). Die Route führt durch mehrere Indianer-Reservate. Auch wenn man nicht so einfach und direkt Kontakt zu den Amerikanern indianischer Abstammung wie die zu den „weißen“ Amerikanern bekommt, kann man doch sehr viel über deren Kultur lernen. Eine gute Einführung in die indianische Kultur bietet das „Museum of Nothern Arizona“ in Flagstaff. Wenn man nicht zeltet und wie ich auf Unterkünfte angewiesen ist, sind die Etappen oft durch die Ortschaften mehr oder weniger vorgegeben. Mit Zelt ist man flexibler. Die Gegend ist – abgesehen von den Ballungszentren - relativ dünn besiedelt. Dafür gibt es in der Regel aber auch in dem kleinsten Ort ein einfaches Motel und was zum Essen. Ein (Gewichts-) Problem kann der Wasserbedarf werden. Meine persönlichen Erfahrungen (auch aus anderen Wüstenfahrten) sind, daß man mindestens eine große Trinkflasche à 0,7 Liter pro Stunde auf dem Rad einplanen sollte. Mit einem ganzen Liter ist man auf der sicheren Seite. Ich bin sicherheitshalber immer mit drei großen Trinkflaschen à 0,7 Liter und einem Wassersack mit 3 bis 4 Liter Wasser losgefahren und hatte keine Wasserprobleme. In der Regel kommt man während der Fahrt an einem kleinen Ort oder einer Tankstelle vorbei, wo man Wasser „nachtanken“ kann. Aber Vorsicht: Einige kleine Orte, die in der Karte verzeichnet sind, gibt es nicht (mehr). Wem morgens beim Losfahren 5 bis 6 Liter Wasser zu viel Gewicht sind, kann sich sicher auch auf die vielen Camper verlassen, die auf den Hauptstraßen rumfahren und in der Regel einen großen Wasservorrat dabei haben. Ich bin mir sicher, die werden jedem Radfahrer Wasser abgeben. Auf Pisten abseits der Straßen muß man in jedem Fall selbst für Wasser sorgen! Was die Rücksichtnahme der Autofahrer gegenüber Radfahrern angeht, habe ich das Autofahrerparadies USA als Paradies für Radreisende kennengelernt. Das gilt auch für die Großstädte Salt Lake City und Las Vegas, die ich durchradelt habe. Man fährt für deutsche Verhältnisse langsam und sehr defensiv. Insbesondere die Trucks halten einen sehr großen Abstand ein. Zudem haben fast alle Straßen einen mehr oder weniger breiten Seitenstreifen, so daß man wirklich ungestört und sicher radeln kann. Selbst auf den Interstates (entsprechen unseren Autobahnen) habe ich mich nicht unsicher gefühlt (obwohl es schon ein merkwürdiges Gefühl ist, auf einer Autobahn radzufahren). Abseits der Ballungszentren war zudem das Verkehrsaufkommen meistens sehr gering. Die Gegend „bergelt“ ganz schön. Flache Etappen sind die Ausnahme. Die Hitze im Sommer macht oft vergessen, wie hoch man sich eigentlich befindet. Selbst die „Tiefen“ liegen noch immer rund 1400 m hoch. Der Rand des Grand Canyon kommt immerhin auf 2000 Höhenmeter. Höchster Punkt meiner © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme www.BikeSite.de 7 Tour war in den La Sal Mountains bei rund 2700 m. Alle Steigungen auf Hauptstraßen sind „well graded“, da man viel Platz hat und die Amerikaner auch mit ihren Caravans noch den Berg raufkommen müssen. Als Radfahrer konnte ich auch mit Gepäck alle Berge (außer der besagten Piste bei Moab) ohne Schieben herauf fahren. Da man trotzdem große Höhenunterschiede überwinden muß, bedeutet das aber auch manchmal sehr lange Bergauffahrten. Mehrmals ging’s 20 bis 30 km nur aufwärts. Noch ein Wort zum Fahrradtransport: Das Netz der öffentlichen Verkehrsmittel ist in dem Gebiet – wenn überhaupt vorhanden – sehr spärlich. Grundsätzlich muß das Fahrrad in den USA immer verpackt werden, egal ob man mit dem Flugzeug, Bus oder Zug unterwegs ist. Das macht die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sehr mühsam: Erst bekommt man nur mühsam eine passende Verpackung und dann wird man sie nicht mehr los. Bei kürzeren Strecken, die man nicht radeln will oder kann, sollte man vielleicht lieber versuchen, sich von einem der vielem Camper oder einem Einheimischen mit Pickup mitnehmen zu lassen. Mein Tip für den Hinflug: Wenn Ihr in den USA umsteigen müßt, dann sucht Euch möglichst eine Fluggesellschaft, die das Rad ohne Verpackung (und natürlich zum Pauschalpreis) mitnimmt. Bei europäischen Gesellschaften ist das die Regel, amerikanische bestehen immer auf einer Verpackung, sofern sie überhaupt Räder mitnehmen. Man muß grundsätzlich im ersten Flughafen in den USA durch den Zoll. Und ein Fahrrad im Karton (und zusätzlichem Gepäck) ist wirklich unhandlich... In diesem Sinne: Bike your dream! © 1999 Ingo Harrach, Köln Powered by: Ingo Harrach Informationssysteme