Integrationspolitik und Integrationsmassnahmen

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Sektion B1: Sprache und Integration
Leitung: Claudio Nodari, Cornelis Tuk
Anlässlich der Internationalen Deutschlehrertagung (IDT) in Graz vom 1. bis 6. August 2005, an der 2150 Lehrpersonen aus aller Welt
teilnahmen, beschäftigte sich eine Sektion mit der Frage „Wieviel Deutsch braucht’s für die Integration?“ Während den ca. 12 Stunden
Sektionsarbeit haben rund 20 Teilnehmende aus Deutschland, Österreich, Kirgisien, Usbekistan, Holland und der Schweiz
unterschiedliche Konzepte präsentiert, Erfahrungen ausgetauscht, Problemfelder diskutiert. Fest stand für alle, dass für jedes erfolgreiche
Sprachenlernen im deutschsprachigen Raum viele Faktoren ausschlaggebend sind. Folgende Thesen und Forderungen wurden
verabschiedet.
Integrationspolitik und Integrationsmassnahmen
Für eine Integrationspolitik, die auf Partizipation und Integration von Migrierten abzielt, sind gute Voraussetzungen für den Erwerb der
Ortssprache unabdingbar. Voraussetzungen dazu sind:
A – Motivation zum Spracherwerb
Spracherwerb kann durch gesetzliche Vorgaben und entsprechende Massnahmen zwar gefördert, sicher aber nicht verordnet werden. Eine
Integrationspolitik, die auf Sanktionen bei Nichterfüllen der gesetzlichen Vorgaben (in z.B. Österreich im Rahmen der Integrationsvereinbarung) abstützt, verfehlt bereits im Vornherein das Ziel.
Die Motivation zum Spracherwerb wird unterstützt durch
differenzierte Lernangebote für Zielgruppen mit unterschiedlichem Bildungs- und sozialem bzw. kulturellem Hintergrund
(Akademiker, Frauen, Analphabeten, Handwerker, Pflegepersonal usw.).
angemessene Rahmenbedingungen (Kinderbetreuung, Unterstützung durch die Arbeitgebenden, zeitliche Flexibilität, Nähe des
Kursortes, Beratung und Zielabklärung vor Kursbeginn usw.).
Perspektiven für einen sozialen Aufstieg (Zugang zum Arbeitsmarkt, Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung, Anerkennung
von Diplomen und vorhandener Qualifikationen)
Erleichterung bei der Erlangung der Aufenthaltsberechtigung und der politischen und gesellschaftlichen Partizipation
spracherwerbs- und integrationsfördernde Wohnraumpolitik und Wohnraumgestaltung
B - Lernangebote
Lernangebote für unterschiedliche Zielgruppen bedürfen einer seriösen konzeptionellen und curricularen Planung seitens der
Bildungsbehörden. Ein Wildwuchs von Kursangeboten für neu Zugewanderte würde unweigerlich zu einer Verschwendung von
kostbaren Ressourcen und Chancen führen. Die Planung von unterschiedlichen Lernangeboten bedarf mindestens einer
gesamtheitlichen Koordination, einer fachwissenschaftlichen Begleitung, einer seriösen Evaluation. Die Durchführung der
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Lernangebote muss qualifizierten Institutionen anvertraut werden.
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Angemessene Aus- und Weiterbildung sowie entsprechende Bezahlung und vertraglicher der Lehrpersonen
Entwicklung von geeigneten Lehr- und Lernmaterialien für unterschiedliche Zielgruppen mit Inhalten zur politischen Kultur
Aufbauende Lernangebote und Sicherung der Nachhaltigkeit (regelmässige Treffen, Lernberatung, Mediatheken)
Qualitätskontrolle der Lernangebote (Evaluation, Supervision)
Präsenz von SozialarbeiterInnen in den öffentlichen Schulen
Unterschiedliche Zertifizierung bzw. Nachweis von erworbenen Sprachkompetenzen je nach Zielgruppe (Portfolio, Tests,
mündliche Formen).
C - Selektion
Kompetenzen in der deutschen Sprache dürfen vor allem in der schulischen Aus- und Weiterbildung nicht weiter mit den landläufigen
Kriterien von Korrektheit in Rechtschreibung und Grammatik beurteilt werden. Vor allem Schulen und Arbeitgebende müssen lernen,
verschiedene Stufen von Deutschkompetenzen wahrzunehmen, zu würdigen und darauf aufzubauen. Selektionen (z.B. beim Eintritt in die
Sekundarstufe II oder bei der Stellenbewerbung), die sich vor allem nach erstsprachlichen Kriterien richten, sind diskriminierend und
demzufolge zu vermeiden.
D – Förderung der Herkunftssprachen
Integration von Migrierten bedeutet unter anderem die Anerkennung und Förderung der Herkunftssprachen seitens der
Aufnahmegesellschaft. Diese Sprachen bilden ein wertvolles Potenzial für die Aufnahmegesellschaft und liefern einen substantiellen
Beitrag zu der von Europarat geforderten Mehrsprachigkeit. Für die migrierte Person ist der Erhalt ein wichtiger identitätsstiftender
Faktor.
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Wertschätzung und Nutzung der vorhandenen sprachlichen Ressourcen
Voll integrierte Förderung der Herkunftssprachen auf allen Stufen der öffentlichen Schule (vom Kindergarten bis zur Abitur)
Einführung von zweisprachigen Schulen, in denen auch monolinguale Deutschsprechende hohe Kompetenzen einen
Migrationssprache erreichen können
Angebote für die vorschulische Sprachförderung
Elternberatung in Bezug auf die zwei- und mehrsprachige Erziehung
Präsenz der Migrationssprachen in den Medien und in der Öffentlichkeit
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Forderungen an verschiedene Gremien
A - An Entscheidungsträger in Bildung und Politik
Klare und transparente Richtlinien für Nostrifikation von im Ausland erworbenen Diplomen
Transparente Standards für Deutschprüfung/en durch qualifizierte PrüferInnen
Lernangebote sind auch als Begegnungsangebote zu verstehen, z.B. im religiösen Bereich (hier sind religiöse Institutionen der
Aufnahmegesellschaft und der Herkunftskulturen mit einzubeziehen).
Ziel: Der Einbezug wesentlicher Lebensbereiche (z.B. Tod und Bestattungsrituale) führt zu einer wechselseitigen Akzeptanz
(Toleranz)
Stadtteilbezogene Netzwerke schaffen, die Eltern mit der Schule und ihrem Umfeld verbinden (z.B. Initiativen, Begegnungsstätten,
Sprach- und Alphakurse etc.)
Eine Klärung des Berufsfeldes "Deutschlehrender" in Abgrenzung zu Berufsfeldern "Sozialarbeiter", "Psychologe" etc. ist notwendig.
Angst und Druck sind schlechte Lehrende.
Der Erwerb der Ortssprache muss durch positive Anreize und passende Massnahmen hinsichtlich Zeit, Didaktik, Kosten,
Erreichbarkeit in Bezug auf Familie & Beruf, adäquate Öffentlichkeitsarbeit etc. unterstützt werden.
Ausreichende Orientierung & Information in der Muttersprache sind nötig.
Lehrende in DIK (Deutsch-Integrations-Kurse) benötigen ausreichende und adäquate Einschulung für die Arbeit mit der Zielgruppe
und laufende Super- / Intervision.
Spracherwerb im Rahmen von Integration darf nicht durch Testverfahren behindert werden. Wenn DIK mit aufenthaltsrechtlichen
Belangen gekoppelt sind, ist von Prüfungen jedenfalls Abstand zu nehmen. Sprachpädagogen werden sonst für fremdenrechtliche
Belange instrumentalisiert.
B - An Ausbildungsinstitutionen von Lehrpersonen
Sprachaufmerksamkeit / Sprachförderung in allen Fächern lehren
- > Integrierte Sprachförderung v.a. auch im schriftlichen Bereich (kooperatives Schreiben etc.)
Alle LehrerInnen mit deutscher Unterrichtssprache brauchen
Kenntnisse über Spracherwerb und Fertigkeiten, diesen zu unterstützen, z.B. Didaktisieren von Texten
Kontinuierliche interkulturelle Selbstreflexion (und entsprechende Ressourcen)
C - An Institutionen
Förderung interner Netzwerke:
Austausch von Methoden, Material & Erfahrungen
Mediation / Evaluation / Feedback
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Fortbildung und Interesse daran
Eltern anregen, ihre Kinder spielerisch in die Schriftwelten einzuführen
Von Anfang an aktive Integration von Familien in die Schule
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D - An Forschung / Lehre
Entwicklung einer Sprachdidaktik DaM / DaF / DaZ und deren Integration in der LehrerInnenbildung: Alle Stufen, alle Schultypen,
alle Fächer.
Weiterentwicklung im Bereich Forschung und Lehre in DAZ mit dem Ziel: Qualifiziertes Lehrpersonal und Erforschung der
speziellen Bedingungen des Zweitsprachenerwerbs (Erwachsene), um eine fundierte Basis für den Unterricht DaZ zu erlangen.
E - Betreffend Migrations- & Arbeitsmarktpolitik
"Berufsbegleitende" Deutschkurse
Bewusstseinsbildung bei Arbeitgebern -> finanzielle Unterstützung und flexible Arbeitszeitgestaltung, um Kursbesuche zu
ermöglichen.
Motivation zum Deutschlernen über Grundkenntnisse hinaus
F - Forschung
Netzwerk für DaZ gründen, in dem PraktikerInnen und Forschende gemeinsam arbeiten und öffentlich Standpunkt beziehen.
Politisch fachliche Einmischung der Forschenden und Lehrenden aus dem universitären Bereich in didaktischen Fragen in DAZ
(Integrationskurse).
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