1 I. Einleitung Die arabische Kultur und die Beziehung zwischen Christen und Moslems auf der Iberischen Halbinsel zeigt sich symptomatisch in einer Vielzahl von arabischen Wörtern, die ins Spanische vorgedrungen sind. Diese Arbeit verfolgt die Absicht, eine Zeit zu fassen und Begleiterscheinungen anzugeben, unter denen spanische Arabismen entstanden sind. Folgende Analyseschritte sollen zu diesem Ziel führen: 1. Um die Arabismen in einen historischen Kontext einordnen zu können, beginne ich mit einem Abriß über die Conquista und die Reconquista in Spanien. 2. Der Umgang zwischen Arabern und Nichtarabern soll dargestellt werden. Möglicherweise könnte ein „eiserner Vorhang“ existiert haben, der Christen und Muslime voneinander abschottet. 3. Welche sozialen Gruppierungen der autochthonen Bevölkerung führen Arabismen in ihre Volkssprache ein? Von der Lebensweise auf der Iberischen Halbinsel sollen Rückschlüsse gezogen werden auf den historischen Sprachkontakt von einander so fremden Sprachen wie der romanischen Volkssprache und dem Arabischen. 4. Mit Hilfe von Beispielen aus der Onomastik will ich den Grad der Arabisierung in Spanien veranschaulichen und historisch reflektieren. 5. Die Form des speziellen Sprachkontaktes soll herausgearbeitet werden. Es stellt sich die Frage welche Rolle eine Zweisprachigkeit hierbei übernimmt. Das wissenschaftliche Interesse hat sich dieser Aufgabenstellung bereits zugewendet. Deshalb wird auf die Auswertung von historischen Quellen verzichtet; die Basis meiner Arbeit besteht aus sprachwissenschaftlicher und historischer Forschungsliteratur. Als besonders hilfreich haben sich Reinhold Kontzis Aufsatz „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“ sowie Gustav Edmund von Grunebaums Abhandlung „Der Islam“ erwiesen. II. Der historische Hintergrund Die Geschichte der maurischen Herrschaft in Spanien soll unter dem Gesichtspunkt der territorialen Ausdehnung beschrieben werden. Im Jahre 711 leitet der muslimische Sieg über die Westgoten die Conquista ein; schon 718 ist die Iberische Halbinsel bis auf wenige nördliche Gebiete von den Arabern erobert worden. 2 711 unternahm ein Unterführer des Mūsà, sein Berber-»Klient« Tāriq, einen Beutezug in das südliche Spanien, der ... binnen weniger Jahre zur Eroberung von etwa vier Fünfteln der Halbinsel führen sollte.1 Um 720 beginnt die Reconquista; sie breitet sich keilförmig nach Süden aus und endet erst 1492 in Granada. So steht einer nur wenige Jahre dauernden ... Conquista eine sich letztlich über fast 8 Jahrhunderte erstreckende ... Reconquista gegenüber.2 Unter dem nach Norden geflüchteten Westgoten Pelayo (ca. 718 bis 737) haben die Christen in einer fast unzugänglichen asturischen Felsengegend3 „bei Covadonga ... einen ersten eher symbolischen als folgenreichen Sieg gegen die erfolgsgewohnten Moslems“4errungen. Die arabische Herrschaft in Spanien stabilisiert sich, als die Omajaden von Córdoba einen mächtigen Staat gründen, der seine höchste Blüte im 10. Jahrhundert erreicht. In ihm wächst „die maurische Kultur und Zivilisation zu Eigenständigkeit und Glanz empor“5. Im 8. Jahrhundert ist das kaum bevölkerte Tal des Duero noch eine Art Niemandsland zwischen Asturien und Al-Andalus gewesen, doch „die gotischen Spanier [gewinnen] mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends für immer die Duerolinie: Galizien, Asturien, Leon, Castilien, ... Navarra, Aragon, Catalonien ... wurden selbständig.”6 Aufgrund von Bürgerkriegen endet die omajadische Epoche im Jahre 1031, und der bisher zentral regierte maurische Herrschaftsbereich zerfällt in kleine Emirate, sog. Taifas.7Dies vermittelt der Reconquista neue Schubkraft. Die Eroberung Toledos durch König Alfons VI. von Kastilien und León im Jahre 1085 ... stellte ... den übrigen Fürsten kraß ihre Unsicherheit vor Augen. Mu’tamid von Sevilla, dessen Territorium das Ziel Alfons’ sein mußte, verband sich mit den Fürsten von Badajoz und Granada und rief die Almoraviden um Hilfe an.8 Grunebaum, Gustav Edmund von: „Der Islam“. S. 70. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 160, 161. 3 Vgl. Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 515. 4 Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 161. 5 Lautensach, Hermann: Maurische Züge im geographischen Bild der Iberischen Halbinsel. S. 34. 6 Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 516. 7 Vgl. Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 6. 8 Grunebaum, Gustav Edmund von: „Der Islam“. S. 160. 1 2 3 1086 besiegen die nordafrikanischen Almoraviden Alfons VI. und schaffen die Kleinstaaterei ab; bis 1092 sind alle Reyes de Taifas abgesetzt, einige nach Marokko verbannt worden.9 Im 12. Jahrhundert verliert die Almoravidendynastie die Herrschaft über Al-Andalus an die marokkanischen Almohaden, wodurch die Christen von ihrem endgültigen Durchbruch nach Süden aufgehalten werden. Die Almohaden hatten schon 1145 begonnen, auf der Halbinsel Fuß zu fassen. Im nächsten Jahr fiel ihnen Cádiz zu. Dann aber verging mehr als ein Jahrzehnt, ehe Südspanien einschließlich Granadas in ihrer Hand zusammengefaßt und Almería den Christen wieder entrissen war. Sevilla wurde die spanische Hauptstadt der Almohaden ... .10 Im Jahre 1212 werden die Almohaden bei Las Navas de Tolosa entscheidend geschlagen, hier hat „die letzte große Schlacht der Muslime in al-Andalus“11 stattgefunden. Die vereinigten christlichen Heere12öffnen Kastilien den Weg zur Wiedereroberung Niederandalusiens. Als 1236 Córdoba und 1248 Sevilla zurückerobert worden sind, gelingt Kastilien unter König Alfons X. (Alfons der Weise, 1252 bis 1284) auch noch der Sieg in Cádiz (1262) und Murcia (1266).13Nur im äußersten Süden kann sich Granada als letztes maurisches Reich halten – allerdings noch zweieinhalb Jahrhunderte lang. Kastilien und Aragón annektieren es 1492.14 III. Die muslimische Kultur und ihr Einfluß in der spanischen Sprache Es stellt sich die Frage, inwiefern die muslimische Eroberung die Lebensweise auf der Iberischen Halbinsel prägt. Die kulturelle und zivilisatorische Durchdringung von Eroberern und Eroberten wird im folgenden besonders herausgearbeitet, da sie auch die sprachliche Beeinflussung erklären soll. 9 Vgl. Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 8. 10 Grunebaum, Gustav Edmund von: „Der Islam“. S. 167. 11 Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 9. 12 Es handelt sich hier um die vereinigten Streitkräfte Alfons VII. von Kastilien, Pedros II. von Aragón und Sanchos VII. von Navarra, die durch portugiesische, leonesische und französische Kontingente verstärkt worden sind. Vgl. Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 9. 13 Vgl. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 163. 14 Vgl. ebenda. 4 Auch wenn das „Heer, das Spanien eroberte, zum großen Teil aus halbwilden Berberkriegern bestand“15, muß die mitgebrachte muslimische Kultur als sehr hochentwickelt eingestuft werden. Das Arabische ist neben dem Berberischen die Sprache der Herrscher, seine Ausbreitung in Spanien ist von der Arabisierung der Städte und der Besiedlung des Landes abhängig. Ohne Zweifel hat die arabische Invasion anfänglich Verwüstung und Zerstörung angerichtet. Dennoch erreicht die islamische Kultur ab dem 9. und 10. Jahrhundert eine glanzvolle Blüte. In Al-Andalus messen sich die Omajaden Córdobas mit ihrem politischen Erzfeind: dem Kalifat der Abbasiden in Bagdad. Dementsprechend „tat ‛Abd ar-Rahmān III. … 929 den unerhörten Schritt, seinen Titel amir, »Befehlshaber«, gegen den eines Kalifen und amīr al-mu’minīn einzutauschen.“16Er erhebt sein omajadisches Emirat zum Kalifat, wodurch „das Freitagsgebet ... nun in seinem Namen, nicht mehr in dem des Abbasidenkalifen ... verrichtet“17wird. In der islamischen Welt hat sich herumgesprochen, daß in Bagdad eine hochstehende und eigenständige Kultur unter der Herrschaft der Abbasiden entstanden ist, da jeder Muslim in seinem Leben mindestens einmal nach Mekka wallfahren muß, wo er seine Glaubensgenossen aus aller Welt trifft.18Deshalb imitieren die Omajaden Bagdads orientalischen Lebensstil und versuchen ihn sogar zu übertreffen. Hierauf bezüglich erwähnt Reinhard Kiesler den „[irakischen] Musiker ‛Alī b. Nāfi ‛Ziryāb ..., der nach Córdoba gerufen wurde, um dort den Lebensstil des Hofes von Bagdad einzuführen.“19 Mit zunehmender Orientalisierung nimmt das Berberische in Al-Andalus eine bedeutungslose Rolle ein: Todo parece indicar que, una vez establecidos, estos beréberes de la península Ibérica se arabizaron rápidamente, hasta el punto de abandonar incluso sus dialectos de origen.20 Einzig das Arabische ermöglicht sozialen Aufstieg; es wird als Hoch- und Verwaltungssprache verwendet.21Nach Kieslers Ansicht machen die zum Islam konvertierten Einheimischen (im folgenden Muladíes genannt) die größte 15 Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. S. 249, 250. Grunebaum, Gustav Edmund von: „Der Islam“. S. 115. 17 Ebenda. 18 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 408. 19 Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 5. 20 Zitiert nach: ebenda. S. 25. 21 Vgl. ebenda. S. 25, 26. 16 5 Bevölkerungsgruppe aus; sie erhalten einen besseren Status als die tributpflichtigen Christen und beherrschen neben ihrer eigenen romanischen die arabische Sprache.22 Sogar in der Zeit des politischen Niedergangs repräsentieren sich Kunst und Kultur in höchster Blüte. Als das omajadische Kalifat in kleine Hofhaltungen zerfallen ist, ist man in Al-Andalus auch unter den verschiedenen sich gegenseitig bekämpfenden Reyes de Taifas auf Verfeinerung des Lebens bedacht: Dabei wurden ... die kulturellen Interessen nicht nur von den meist kurzlebigen Dynasten gepflegt, sondern auch von einem klugen Mäzenatentum in bleibende Leistungen umgesetzt.23 Christian Seybold verweist auf eine „Masse arabischer Wörter, welche schon allein, selbst wenn wir keine geschichtlichen Nachrichten über die glänzende Herrschaft der Araber in Spanien hätten, uns zeigen würden, welches Volk einst das herrschende war“24. Viele Arabismen würden aus dem Bereich der arabischen Verwaltung stammen, so auch span. alcalde ‘Bürgermeister’, span. aduana ‘Zoll, Zollamt’ und span. alcazaba ‘Tribut’.25 Ferner ist eine große Zahl von Sachbezeichnungen der Agrikultur arabischen Ursprungs. Vollkommen neu für die einheimische Bevölkerung ist die Technik der Bewässerung mit dem Göpel, d. i. ein Schöpfrad. Mit nicht gekannten Techniken sind auch entsprechend neue Bezeichnungen entstanden. Reinhold Kontzi macht darauf aufmerksam, daß arabische Wasserwerke Ausgangspunkt für einen Aufschwung in der iberischen Landwirtschaft gewesen seien und stellt hierauf bezüglich u. a. diese Arabismen zusammen: span. aceña ‘Wasserschöpfrad’, span. noria ‘Wasserschöpfrad’, span. azud ‘Wasserpumpe, Wasserrad, Flußwehr’ und span. acequia ‘Bewässerungsgraben’.26 Die in Al-Andalus lebenden Christen heißen Mozárabes (entstanden aus arab. Mustacrab ‘arabisiert’).27Ihre Anzahl ist hoch, denn in religiösen Fragen sind die Araber 22 Vgl. Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 26, 27. 23 Grunebaum, Gustav Edmund von: „Der Islam“. S. 119. 24 Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 517. 25 Vgl. ebenda. 26 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 431. 27 Vgl. Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. S. 250. 6 recht tolerant gewesen. Dementsprechend behauptet Seybold, es habe allein im maurischen Toledo sechs Kirchen gegeben.28 Trotzdem „[kam es als] Reaktion auf die Orientalisierung ... zu einer verstärkten Selbstbehauptung von seiten der Mozaraber, ja zu Widerstand ... gegen den Islam. Darauf gingen die muslimischen Behörden schärfer gegen die Mozaraber vor.“29Kontzi berichtet, zahlreiche Mozárabes seien aus Al-Andalus in die christlichen Reiche Nordspaniens geflüchtet und dort sehr willkommen gewesen, denn das von den romanischen Fürsten einstweilen zurückeroberte Gebiet zwischen dem „Duero ... und dem Kantabrischem Gebirge ... [sei] ... eine große Wüstenei.“30 Antonio Tovar spricht hierauf bezüglich von „einer wirklichen »strategischen Wüste« (desierto estratégico)“31. Sie sei zunächst fast menschenleer gewesen, im 9. und 10. Jahrhundert dagegen „mit Leuten aus dem Norden und Flüchtlingen aus dem maurischen Spanien wiederaufgebaut“32worden. Die Mozárabes haben ihre romanische Mundart trotz der Orientalisierung im muslimischen Hispanien nicht verloren, aber den arabischen Lebensstil angenommen. Sie „waren zweisprachig, Träger der arabischen Kultur und besaßen viele technische Fertigkeiten.“33 Ihre Rolle als sprachvermittelnde Gruppe ist bewiesen. Gómez-Moreno hat in Dokumenten von Klöstern, die im besagten Gebiet der desierto estratégico gegründet worden sind, 170 Arabismen entdeckt: Span. alumnia ‘Garten mit Haus’ habe sich herausgebildet aus arab. al-munya; span. aldía, aldea ‘Bauernhof’ aus arab. ad-dayca ‘Domäne, kleines Dorf’; auch span. alcor ‘Hügel’, das entstanden sei aus arab. al-qūr, erscheint in den Dokumenten.34Diese Lehnwörter seien ins Kastilische gelangt durch die von der arabischen Sprache und Kultur durchdrungenen Mozárabes, die sich im dünnbevölkerten Norden Spaniens niedergelassen hätten.35 Vgl. Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 517. 29 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 409. 30 Ebenda. 31 Tovar, Antonio: Einführung in die Sprachgeschichte der Iberischen Halbinsel. S. 79. 32 Ebenda. 33 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 409. 34 Vgl. ebenda. S. 410. 35 Vgl. ebenda. 28 7 Die durch die Jahrhunderte langen Kämpfe zwischen Mohammedanern und Christen erzeugte Ablehnung darf nicht überschätzt werden; sie ist nicht stark genug, um die arabische Zivilisation zu verwerfen. Hermann Lautensach betont: Es kam gelegentlich vor, daß christliche Fürsten im Bündnis mit maurischen gegen andere christliche Fürsten zu Felde zogen.36 Er verweist auf einen „Bündnisvertrag (1302) zwischen Mohammed II. von Granada und Jakob II. von Aragonien gegen Kastilien“.37 Daß die Muslime eine findige Streitmacht gewesen sind, zeigt sich symptomatisch in einigen Arabismen des Militärwesens: Span. alcazaba ‘Zitadelle’ sei entstanden aus arab. al-qasába.38 Sicherlich ist eine maurische Burg neben einer Zitadelle, d. i. ein letzter Widerstandskern in einer Festung, auch mit einem Bergfried ausgestattet gewesen. Möglicherweise hat er einen bleibenden Eindruck auf die Christen hinterlassen; Kontzi jedenfalls hebt hervor, es handele sich bei span. atalaya ‘Warte, Wachturm, Aussichtsturm’ um einen Arabismus.39Diesbezüglich informiert er auch über arab. addarb ‘Weg, Gasse’, aus dem sich span. adarve mit der Bedeutung ‘Wehrgang’ ergeben habe.40 Als Toledo und das dazugehörige Gebiet 1085 zurückerobert worden sind, gelangt ein großes arabisches Kulturzentrum unter christliche Herrschaft.41Auch wenn die Muslime gezwungen werden, an den Stadtrand bzw. aufs Land zu ziehen, gibt man ihnen die Erlaubnis, in ihrem Heimatland zu bleiben. Man konnte und wollte sie nicht vertreiben, denn wie hätte Aragonien ein Land mit Christen besiedeln sollen, das fünfmal so groß war wie Aragonien vor den Eroberungen?42 Jahrhundertelang verfügen sie als sog. Mudéjares (span. mudéjar ‘Muslim unter christlicher Herrschaft’ sei entstanden aus arab. mudáğğan ‘dem erlaubt ist, zu bleiben’)43über eine maßgebende Bedeutung in der spanischen Gesellschaft. 36 Lautensach, Hermann: Maurische Züge im geographischen Bild der Iberischen Halbinsel. S. 36. 37 Ebenda. 38 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 432. 39 Vgl. ebenda. S. 433. 40 Vgl. ebenda. 41 Vgl. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 149. 42 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 415. 43 Vgl. Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 29. 8 Arabischer Städte sind mit einem Luxus und einer Pracht ausgestattet, welche die Christen bewundern und nachahmen wollen. Die Mudéjares erweisen sich als in der arabischen Baukunst erfahrene und qualifizierte Handwerker; aufgrund ihres Knowhows und ihrer Kunstfertigkeit gelingt ihnen eine bestimmte Bauweise, die der Architektur maurischer Häuser nicht unterlegen ist: der sog. Mudéjarstil.44 Anhand zahlreicher Beispiele legt Kontzi dar, daß man im Laufe von Jahrhunderten „in Spanien im Mudéjarstil [gebaut hat.]“45Dies habe Anlaß zu zahlreichen Entlehnungen gegeben: span. albañil ‘Maurer’ sei entstanden vom arab. al-bannā, span. alarife ‘Baumeister’ aus arab. al-carif ‘der Sachverständige’, span. almocárabe ‘schmückender Stalaktit, der von Decken, Bögen oder Kuppeln herabhängt’ aus arab. muqarbas ‘geschnitztes Ornament’ usw.46In Toledo und anderen von den Romanen zurückeroberten Städten baue man weiterhin im muslimischen Stil – also im Stil der Besiegten: „Die Muslime waren besiegt und erobern mit ihrer Kultur nun die Sieger.“47Folgerichtig sei der Alcázar von Sevilla unter Peter I. (1350-1369) größtenteils von Baumeistern aus dem noch maurischen Granada hergestellt worden.48 IV. Die Toledaner Übersetzungsschule In den bisher geschilderten Fällen ist die autochthone Bevölkerung in ihrem gesamten Lebensraum mit Menschen arabischer Sprache konfrontiert gewesen. Jetzt wird am Beispiel der Übersetzungsschule von Toledo eine punktuelle Berührung zwischen dem Spanischen und dem Arabischen dargelegt. Der Sprachkontakt ergibt sich lediglich punktuell, d. h. er findet in einer gesellschaftlichen Schicht statt, nämlich bei den Gelehrten. Mit der Übersetzungsschule in Toledo sind zwei Generationen verbunden. Unter dem Erzbischof Raymond (1126 bis 1151) beginnt man mit der Übersetzung arabischer Bücher ins Lateinische.49Er bevorzugt Handschriften mit der Fachrichtung Medizin, Geometrie, Botanik und Philosophie.50 44 Vgl. Lautensach, Hermann: Maurische Züge im geographischen Bild der Iberischen Halbinsel. S. 54. 45 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 420. 46 Vgl. ebenda. 47 Ebenda. S. 416. 48 Vgl. ebenda. S. 419. 49 Vgl. ebenda. S. 417. 50 Vgl. ebenda. 9 Da ist in der Folge Alfons der Weise (1252 bis 1284) zu nennen; er läßt die arabischen Quellen auch ins Kastilische übersetzen.51Unter ihm kommen auch neue Themengebiete hinzu wie z. B. Ackerbau, Gesteinskunde, Astronomie, Mathematik, Brettspiele und Schöne Literatur.52 Die erste Generation ist also lateinisch orientiert, die zweite spanisch. Die Übersetzung unter Erzbischof Raymond geht folgendermaßen vonstatten:53 Jemand, der das Arabische beherrscht, liest das Werk auf spanisch übersetzt vor. Mit Hilfe der spanischen Fassung wird der Text von einer zweiten Person mit entsprechender Sprachkenntnis auf Latein redigiert. „Die Übersetzung [ins Spanische] war nur ein Hilfsmittel.“54Sie ist nicht veröffentlicht worden. Während des 13.Jahrhunderts fängt das Kastilische an, sich zu etablieren. Unter Alfons dem Weisen ist es „de facto zur Amtssprache des vereinigten Königreichs Kastilien-León geworden.“55In seiner königlichen Kanzlei wird auf Kastilisch verhandelt; entsprechend werden ihre fueros, das sind verbriefte Sonderrechte, in kastilischer Sprache verfaßt.56 Wie bereits gezeigt worden ist, macht die Reconquista in diesem Jahrhundert dank der Überlegenheit Kastiliens gewaltige Fortschritte.57Sicherlich ergibt sich auch aufgrund von militärischem Erfolg ein Prestigegewinn für das Kastilische. In der Toledaner Übersetzungsschule soll es unter Alfons dem Weisen einen höheren Stellenwert erhalten. Deshalb entscheidet er sich für eine andere Übersetzungstechnik: Eine Person übersetzte mündlich laut vom Arabischen ins Kastilische, die zweite Person übersetzte ins Lateinische wie bisher. Zugleich hielt ein weiterer Schreiber die Übertragung ins Kastilische schriftlich fest, so daß am Ende zwei schriftliche Übersetzungen vorlagen, eine lateinische und eine kastilische.58 Das Kastilische wird nun für würdig befunden, Sprache der wissenschaftlichen Prosa zu sein.59Das ist ein Novum und könnte bereits von einer Art Nationalstolz zeugen. Die Verfahrensweise unter Alfons dem Weisen ähnelt jedoch der des Erzbischofs Raymond in der Hinsicht, daß mehr nach dem beim Vorlesen gehörten Text als nach der Schrift Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 417. 52 Vgl. ebenda. 53 Vgl. ebenda. 54 Ebenda. S. 418. 55 Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 167. 56 Vgl. ebenda. 57 Vgl. S. 3. 58 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 418. 51 10 übersetzt wird. Dadurch gelangen zahlreiche Entlehnungen aus der arabischen Wissenschaft ins Kastilische, weil ein großer Teil des arabischen Fachwortschatzes übernommen wird. Daß erstmals in diesem Zeitraum eine außerordentliche Menge an spanischen Arabismen belegt ist, bestätigt Kiesler mit seiner Untersuchung. Darin stellt er 400 arabische Lehnwörter vor und kommt bezüglich ihrer Chronologie zu dem Resultat, daß „[die] absolut höchste Zahl von Erstbelegen ... für das Spanische ... im 13. Jahrhundert [liegt]“60. Dies bekräftigt William T. Pattersons Ergebnis: „Half of the Arabic loan words are attested in the 13th century“61. Stellvertretend für zahlreiche wissenschaftlichen Ausdrücke, die auf gelehrtem Wege aus dem Arabischen ins Kastilische vorgedrungen sind, sollen abschließend jeweils zwei Arabismen aus der Astronomie und der Mathematik genannt werden:62 Aus arab. samt ‘Scheitelpunkt’ sei span. cenit ‘Zenit’, aus arab. auğ ‘höchster Punkt’ span. auge ‘Erdferne’ entstanden.63 Span. cifra ‘Ziffer’ leite sich ab aus arab. şifr ‘leer, null’.64Span. álgebra ‘Algebra’ gehe zurück auf arab. al-ğabr, was wörtlich übersetzt ‘Wiederherstellung, Einrenkung’ bedeute;65es sei entstanden aus dem arab. Ausdruck cilm al-ğabr wa-l-muqābala ‘Wissenschaft der Reduktionen und Vergleiche’.66 V. Arabismen aus der Onomastik Wie bereits dargelegt worden ist, breitet sich die Reconquista Schritt für Schritt gen Süden aus.67Je weiter man also nach Süden gelangt, desto länger haben die Regionen Spaniens zur islamischen Welt gehört. Im folgenden wird eine Abfolge von Arabismen 59 Vgl. ebenda. Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 78. 61 Zitiert nach: ebenda. 62 Die Aufzählung arabischer Fachtermini, die das Spanische entlehnt hat, ließe sich beliebig lang fortsetzen. Vgl. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 152. Vgl. Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 521. 63 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 418. 64 Vgl. ebenda. S. 419. 65 Vgl. Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. S. 251. 66 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 418. 67 Vgl. S. 2. 60 11 aus dem Bereich der Onomastik vorgestellt. Auch wenn sie bei weitem nicht vollständig ist, soll sie die Intensität der Arabisierung auf der Iberischen Halbinsel veranschaulichen. Im Norden Spaniens fließt der Duero durch die Region Castilla y León. Gustav Ineichen betont, es handele sich hier um einen rein romanischen Flußnamen; in der Zeit der Besatzung durch die Römer habe der Strom entsprechend ähnlich lat. Durius geheißen.68Der Name Duero ist nicht arabisiert. Dies hat historische Gründe, die Tovar erklärt: Die Ebenen von León und Kastilien, für die arabische Eroberer immer von geringer Anziehungskraft, waren von Anfang an den Angriffen der Christen ausgesetzt und blieben menschenleer, wie uns die Chronisten berichten. Die Mozaraber suchen Zuflucht in Galicien und in den kantabrischen Bergen; die Mauren ziehen sich nach Süden zurück.69 Im mittleren Teil der Iberischen Halbinsel fließt der Guadiana. Carlo Tagliavini macht deutlich, daß Guad- in spanischen Flußnamen arab. wādī ‘Fluß, Tal’ zur Grundlage habe.70Ineichen informiert, der römische Name von Guadiana laute lat. Anas.71 Hierbei handelt es sich also um eine Verbindung von arab. wādī mit der lateinischen Bezeichnung des Flusses.72Der Name Guadiana ist arabisiert, in ihm durchdringt sich das Arabische mit dem Romanischen.73 Im heutigen Andalucía durchkreuzt der Guadalquivir Córdoba. Lautensach stellt fest, dieser Flußname sei eine rein arabische Bildung aus arab. wādī al-kabīr ‘der große Fluß’.74 Schon an diesen drei Beispielen aus der Hydronymie zeigt sich symptomatisch der Grad der Arabisierung in Spanien. Auch anhand von Toponymen läßt sich aufführen, daß die Dichte arabischer Lehnnamen mit der Dauer der Herrschaft des Islam nach Süden zunimmt. Es ist bereits belegt worden, daß es sich bei span. atalaya um einen Arabismus handelt.75Lautensach ist aufgefallen, daß Atalaya gerade als Ortsname ungemein häufig 68 Vgl. Ineichen, Gustav: Arabisch-orientalische Sprachkontakte in der Romania. S. 24. Tovar, Antonio: Einführung in die Sprachgeschichte der Iberischen Halbinsel. S. 79. 70 Vgl. Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. S. 256. 71 Vgl. Ineichen, Gustav: Arabisch-orientalische Sprachkontakte in der Romania. S. 24. 72 Vgl. ebenda. 73 Lautensach spricht diesbezüglich von hybriden Namen: „Die hybriden Namen ... setzen sich aus einem arabischen und einem nichtarabischen Element zusammen.“ Lautensach, Hermann: Maurische Züge im geographischen Bild der Iberischen Halbinsel. S. 14. 74 Vgl. ebenda. S. 30. „Der lateinische Name war BAETIS.“ Ineichen, Gustav: Arabisch-orientalische Sprachkontakte in der Romania. S. 24. 75 Vgl. S. 7. 69 12 sei. In Spanien komme dieser Lehnname aus dem Arabischen insgesamt 31 mal vor:76 „Die Häufigkeit ... nimmt aber ... nach Süden sehr stark zu.“77 In Granadas Gibraltar hat die arabische Herrschaft mit etwa 780 Jahren am längsten gedauert.78Dort sei nach Tāriq – jenem Feldherrn der Araber, der mit seinem Sieg über die Westgoten die Conquista begonnen hat79– ein Felsen benannt worden. Seybold behauptet, daß Tāriq auf diesen „Felsen von Gibraltar (Ğebel Tāriq) die Fahne des Propheten aufgepflanzt“80habe. Der Lehnname span. Gibraltar gehe zurück auf arab. ğebel Tāriq ‘Tāriq-Berg’.81 VI. Das Arabische als Adstrat Die bereits herausgearbeitete zivilisatorische Durchdringung von Eroberten und Eroberern sowie die durch sprachliche Beeinflussung entstandenen Arabismen sollen nun Einblick in die besondere Form des historischen Sprachkontakts zwischen dem Arabischen und dem Mozarabischen geben. Man könnte zunächst annehmen, die Einheimischen gäben wegen des größeren Prestiges der arabischen Sprache ihre eigene auf. Im folgenden wird jedoch deutlich, daß die Orientalisierungsbestrebungen82weder zur Verdrängung der romanischen Dialekte noch zur Aufgabe des Arabischen geführt haben. Schon beim Eindringen arabischer Elemente ins Spanische erweist sich die Zweisprachigkeit als entscheidender Faktor. Die Gruppen, welche wesentlichen Anteil an der gegenseitigen Beeinflussung des Arabischen und der iberoromanischen Sprachen haben, sind zweisprachig. So wird das Mozarabische, jene romanische Mundart im Bereich des muslimischen Hispanien, „nicht nur von den Christen in Al-Andalus verwendet, sondern auch von den Muladíes und z. T. sogar von den Arabern“83: 76 Vgl. Lautensach, Hermann: Maurische Züge im geographischen Bild der Iberischen Halbinsel. S. 21. 77 Ebenda. 78 Vgl. S. 2, 3. 79 Vgl. S. 2. 80 Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 515. 81 Vgl. Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. S. 255. 82 Vgl. S. 4. 83 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 407. 13 Al-Andalus war damals zweisprachig, fast jeder Bewohner des Landes konnte Arabisch und Mozarabisch. Auch die Juden verwandten diese beiden Sprachen.84 Auf der Iberischen Halbinsel hat sich ein religiös nicht diskriminierter Bilinguismus herausgebildet. Daher geben die Romanen selbst dann das Mozarabische nicht auf, wenn sie konvertieren. Wie vertraut ihnen das Arabische gewesen ist, zeigt sich in der verzweifelten Scheltrede von Alvarus Paulus, die etwa 860 geschrieben worden ist: Meine Glaubensgenossen lesen die Gedichte und Erzählungen der Araber gern. Sie studieren die Schriften der Theologen, nicht um sie zu widerlegen, sondern um an ihnen einen guten Stil zu lernen. Alle durch ihre Begabung hervorragenden jungen Christen kennen nur die arabische Sprache und Literatur. Sie lesen und studieren mit dem größten Eifer arabische Bücher. Sie geben viel Geld aus für riesige Bibliotheken und verkünden überall, wie wunderbar diese Literatur sei ...Welch ein Jammer!85 Doch darf dieser Ausbruch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Romanische trotzdem seinen Platz behalten hat. Die arabische und die mozarabische Sprache stehen zueinander in keinem Dominanzverhältnis, denn praktisch sind beide Volksgruppen zweisprachig. Deshalb läßt sich diese Form des Sprachkontaktes mit dem durch M. Valkhoff eingeführten Fachbegriff Adstrat umschreiben.86 Diese Adstratsituation bleibt lange Zeit stabil. Kontzi macht darauf aufmerksam, daß „die Reconquista in den ersten dreieinhalb Jahrhunderten nur ganz langsam voranschritt“87, so daß „sich die muslimische Bevölkerung ... immer rechtzeitig absetzen [konnte.]“88 Auch die desierto estratégico nördlich des Duero bis zum mittleren Ebro könnte dazu beigetragen haben, daß sich das Adstratverhältnis stabilisiert, da sie vorerst den maurischen Herrschaftsbereich vom christlichen getrennt hat.89 Als der Reconquista im Jahre 1085 mit der Zurückeroberung Toledos ein großer Durchbruch gelungen ist, geraten Gebiete unter christliche Herrschaft, in denen eine Vielzahl von Muslime wohnt.90 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 412. 85 Zitiert nach: ebenda. S. 408. 86 „Man sollte von Adstrat sprechen, wenn eine Berührung und Beeinflussung nicht zu einem Dominanzverhältnis wird, bei dem die eine Sprache mit der Zeit aufgegeben wird.“ Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 140. 87 Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 415. 88 Ebenda. 89 Vgl. S. 6. 84 14 Doch auch hier sind die Romanen nicht in den Arabern aufgegangen, und das Arabische ist auch nicht durch das Mozarabische verdrängt worden: Es ist bemerkenswert, daß die Mozaraber in Toledo noch während zwei Jahrhunderten nach der Rückeroberung das Arabische auch als Schriftsprache benutzten.91 Letztendlich wird das Mozarabische durch das aus dem Norden keilförmig vorrückende Kastilische verdrängt, da die Mozárabes in den kastilischen Reconquistadores aufgehen.92 Mithin bildet das Mozarabische das Substrat des Kastilischen und das Adstrat des Arabischen. Mit dem dargestellten Bilinguismus ist ein Code-switching verbunden; es findet seine Entsprechung in der Dichtung, und zwar in den Harğas aus Al-Andalus. Harğa ist die Bezeichnung für den mozarabisch abgefaßten Endrefrain eines in arabischer oder hebräischer Sprache formulierten Strophengedichts, das Muwaššah genannt wird.93 In der arabischen Lyrik sind ursprünglich Strophen mit Refrain nicht üblich gewesen: „Das klassische arabische Gedicht kennt nur den das ganze Gedicht durchlaufenden Reim.“94In Al-Andalus ist die arabische Dichtung von den Gedichten der Einheimischen angeregt worden, so daß eine besondere lyrische Gattung entsteht, in der sich romanische und arabische Elemente vermischen: das Muwaššah.95 „Der erste Muwaššah-Dichter war Muhammad ibn Mucafā aus Cabra bei Córdoba, der um 900 lebte.“96Daher kristallisiert sich die Diglossie in Al-Andalus auch in den Strophengedichten heraus. VII. Abschließende Bemerkungen Die in jeder Hinsicht, in Kultur und Wissenschaft, nicht nur im Krieg überlegenen Araber üben einen außergewöhnlichen Einfluß auf Sprache, Bildung und Lebensweise Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 7. 91 Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 27. 92 Vgl. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 150. 93 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 414. 94 Ebenda. 95 Vgl. ebenda. 96 Ebenda. 90 15 der Romanen aus. Die von Alvarus Paulus kritisierte Anziehungskraft des Arabertums als einer der romanischen Überlieferung überlegenen Kultur zeigt sich in dem Fehlen rein romanischer Literaturdokumente. Die Harğas „bieten ... uns ... Beispiele einer volkssprachlichen Dichtung, die die älteste der Romania ist“97, doch stellen sie lediglich einen Bestandteil eines hispanomuselmanischen Gedichtes dar: „Der ganze Gedichtteil vor der Harğa ist hocharabisch.“98Daher sind in ihr besonders oft Arabismen zu finden.99 Damit die kulturelle Einwirkung des Arabertums im Romanischen ihren Ausdruck finden kann, muß sie über ein hohes Ansehen in der Gesamtbevölkerung verfügen. Wie sehr das Sprachliche in einen großen Kulturzusammenhang hineinverwoben ist, wird deutlich, als die von der arabischen Zivilisation durchdrungenen Mozárabes aus Al-Andalus in den kulturell kaum entwickelten Norden flüchten. Sie werden dort als Träger der muslimischen Kultur für überlegen gehalten, deshalb imitiert man ihre Sprach- und Lebensgewohnheiten. Dabei spielt das Prestige des Arabertums eine entscheidende Rolle. Eminent wichtig für die Entstehung von Arabismen ist auch der Bilinguismus. Alle sozialen Gruppierungen, die an dem Sprachkontakt zwischen der romanischen Volkssprache und dem Arabischen beteiligt gewesen sind, zeichnen sich durch ihre Zweisprachigkeit aus. Die sprachliche Beeinflussung geschieht dort, wo Menschen verschiedener Sprache gemeinsam leben. Dies führt zur Zweisprachigkeit, die wesentlich zur Arabisierung des Romanischen beigetragen hat. Die Arabismen häufen sich in bestimmten Begriffsfeldern, insbesondere bei den Bezeichnungen der Verwaltung, des Handels100, der Agrikultur, des Militär- und Wohnungswesens sowie der (vorzugsweise exakten) Wissenschaften und der Onomastik. Die arabische Sprache hat lediglich den Wortschatz des Spanischen angereichert: Grammatik und Aussprache sind ... ganz unberührt geblieben, was nach dem zu verschiedenen Genius beider Sprachen und der Sprachstämme, denen sie angehören, dem semitischen und indogermanischen, leicht erklärlich ist; und wenn man von ... »maurischer Färbung des Spanischen« gesprochen hat, so sind das blosse [sic] Phantasien.101 97 Tovar, Antonio: Einführung in die Sprachgeschichte der Iberischen Halbinsel. S. 70. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 414. 99 Vgl. ebenda. 100 Kontzi benennt viele Arabismen, die dem Bereich des Handels zuzuordnen sind. Vgl. ebenda. S. 432. 101 Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 517. 98 16 Die Ausstrahlung der muslimischen Kultur führt dazu, daß auf der Iberischen Halbinsel neben den zahlreichen durch die Araber eingeführten Gegenständen auch deren Bezeichnungen übernommen werden. Die Entstehung der Arabismen im Spanischen erweist sich als Folge der Übernahme einer Sachkultur. Vorwiegend werden Bezeichnungen konkreter Begriffe entlehnt, „welche die Spanier von den namentlich in materieller Kultur so weit überlegenen Arabern mit den Sachen von diesen übernommen haben. ... Direkt aufgenommene Verben sind sehr selten.“102 Die Arabismen bezeichnen Sachen, welche die Romanen zunächst nicht gekannt haben. Deshalb handelt es sich vorwiegend um entlehnte Substantive. Sie weisen viele Ableitungen auf, daher ist die Anzahl der Arabismen nicht einfach zu bestimmen: Nach Solà-Solé ... kennt das Spanische etwa 850 direkte Arabismen, die gleiche Zahl nennt Lapesa ... , nach dem es zu diesen direkten Arabismen etwa 780 spanische Ableitungen gibt; wenn man dazu noch die formalen Varianten, noch nicht gesicherte Arabismen und die Ortsnamen – über 1000 sichere und fast 500 wahrscheinliche – zählt, kommt man auf die häufig mißverstandene Zahl von über 4000 »Arabismen« im Spanischen ... .103 Die Ableitungen richten sich alle nach den Regeln der spanischen Wortbildung. Entsprechend läßt sich von dem Arabismus span. azúcar ‘Zucker’ durch Anhängen eines spanischen Suffixes das Verb azucarar ‘zuckern’ ableiten.104 Auffallend ist auch, daß das jeweilige arabische Substantiv zusammen mit dem arabischen Artikel al- entlehnt und in den spanischen Arabismus integriert wird.105 Diese funktionslose Agglutination mit dem Artikel fehle bei italienischen und französischen Arabismen: „So haben wir z. B. it. zucchero, frz. sucre, aber sp. azúcar“106. Viele der zitierten Arabismen sind heute selbst Spaniern fremd, weil diese Wörter zu selten benutzt werden. Der direkte Sprachkontakt mit dem Arabischen ist abgebrochen; seitdem die Mudéjares nach einer Zeit der Unterdrückung und Zwangsbekehrungen im Jahre 1609 ausgewiesen worden sind.107Diese zum Christentum gezwungenen Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern“. S. 517, 518. 103 Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen. S. 69. 104 Vgl. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 150. 105 „[Dabei] wird l nach einer gemeinarabischen Regel vor einigen Konsonanten assimiliert“. Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. S. 256. 106 Ebenda. 107 Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 422. 102 17 Mudéjares werden Moriscos genannt, die meisten von ihnen sind in die nordwestafrikanischen Barbereskenstaaten geflohen.108Die durch die Araber in Spanien bekannt gewordenen Techniken wie z. B. deren Wasserschöpfeinrichtungen sind damals fortschrittlich gewesen, gehören aber gegenwärtig zu den Fertigkeiten, die ihrerseits wiederum erneuert worden sind. Nur wenige Arabismen sind wie der Arabismus span. azafata ‘Kammerfrau’ durch die moderne Technik aktiviert worden; mit dem Entstehen der modernen Luftfahrt hat er die neue Bedeutung ‘Stewardess’ erhalten.109 108 Kontzi verweist hierauf bezüglich auf die von den Moriscos in Spanien zurückgelassene Aljamiado-Literatur, die viele Arabismen enthält. Vgl. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. S. 422. 109 Vgl. Dietrich, Wolf, Geckeler, Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. S. 150. 18 VIII. Literaturverzeichnis Dietrich, Wolf, Geckeler Horst: Einführung in die spanische Sprachwissenschaft. Ein Lehr- und Arbeitsbuch von Wolf Dietrich und Horst Geckeler. 2. , durchgesehene Auflage. Berlin: Erich Schmidt 19932. Grunebaum, Gustav Edmund von: „Der Islam“. In: Mann, Golo (Hg.), Nitschke, August (Hg.): Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte. Bd. 5: Islam. Die Entstehung Europas. Berlin, Frankfurt am Main: Propyläen 1986, 21-180. Ineichen, Gustav: Arabisch-orientalische Sprachkontakte in der Romania. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Tübingen: Max Niemeyer 1997 (Romanistische Arbeitshefte 41). Kiesler, Reinhard: Kleines vergleichendes Wörterbuch der Arabismen im Iberoromanischen und Italienischen von Reinhard Kiesler. Tübingen, Basel: Francke 1994. Kontzi, Reinhold: „Das Zusammentreffen der arabischen Welt mit der romanischen und seine sprachlichen Folgen“. In: Kontzi, Reinhold (Hg.): Substrate und Superstrate in den romanischen Sprachen. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1982, 387450. Lautensach, Hermann: Maurische Züge im geographischen Bild der Iberischen Halbinsel. Bonn: Ferd. Dümmler 1960 (Bonner Geographische Abhandlungen 28). Seybold, Christian: „Die arabische Sprache in den romanischen Ländern von Christian Seybold“. In: Gröber, Gustav (Hg.): Grundriß der romanischen Philologie. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Bd. 1. Straßburg: Karl J. Trübner 19052, 515-523. Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie. Aus dem Italienischen übertragen von Reinhard Meisterfeld und Uwe Petersen. Tübingen, Basel: Francke 19982. Tovar, Antonio: Einführung in die Sprachgeschichte der Iberischen Halbinsel. Das heutige Spanisch und seine historischen Grundlagen. Übersetzt und herausgegeben von Hansbert Bertsch. Tübingen: Gunter Narr 19893.