Themengottesdienst „Ich kann so schwer vergeben!“ „Das verzeihe ich dir nie!“ – vielleicht haben Sie, als Sie das Thema dieses Gottesdienstes gehört haben, sofort an eine bestimmte Person denken müssen. Ich muss sagen, mir ist das so gegangen. „Das verzeihe ich dir nie!“ –vielleicht hat ein Mensch Ihnen diese Worte schon einmal gesagt: „Das verzeihe ich dir nie“. Oder: „Das verzeihe ich dir nie“ kam von Ihren Lippen. Oder oft ist es ja auch so, dass wir das gar nicht aussprechen – vielleicht nicht mal vor uns selbst eingestehen – aber in unserem Unterbewusstsein befinden sich diese harten Worte gleich neben dem Namen eines Menschen. Um „Verzeihen“ und „Vergeben“ geht es auch heute bei uns in diesem Gottesdienst. Und dieses Thema passt sehr gut in einen Gottesdienst, weil es auch ein sehr großes Thema in der Bibel ist. „Vergebung“ ist ein großes Thema bei Gott. Ihm ist es sehr wichtig, dass wir Menschen miteinander gut auskommen. Und zum „gut auskommen“ gehört eben auch das Verzeihen. Mehrmals fordert er uns in der Bibel dazu auf, zu vergeben, wenn uns jemand etwas Böses getan hat. Eine Situation: Eines Tages kam Petrus zu Jesus und fragt Jesus „Herr, wie oft muss ich meinem Mitmenschen vergeben, wenn er Böses gegen mich getan hat? Reicht es 7 Mal?“ Wahrscheinlich war er da ganz stolz auf sich selbst, als er das Jesus so gefragt hat. Er wird sich gedacht haben: „7 Mal – da wird Jesus stolz auf mich sein, dass ich bereit bin, gleich 7 mal zu vergeben“ Was sagt Jesus aber dazu? „ Petrus, ist schon mal ein guter Anfang. Aber es wäre dann doch besser, wenn es 70 mal 7 mal wäre.“ Jesus sagt mit dieser Zahl 70 mal 7 „Petrus, immer wieder neu sollst du vergeben! Es gibt keine Grenze, wo Vergebung aufhört.“. Und was er hier Petrus sagt, sagt er auch immer noch heute uns. Aber die Sache mit der Vergebung scheint eine der Sachen zu sein, von denen Jesus und die Bibel überhaupt oft spricht, die aber im tatsächlichen Leben nie so richtig funktioniert. Ich weiß das – und vielleicht wissen Sie das auch – wie schwer es manchmal ist, Menschen zu vergeben. Dazu kommt noch: Viele Menschen wissen auch gar nicht genau, was mit „verzeihen“ oder „vergeben“ gemeint ist. Ich meine, dass ist auch keine leichte Frage. Was ist denn Vergebung genau? Wie sieht denn das aus, Vergebung? Wie weiß ich denn, ob ich einer Person vergeben habe oder nicht? Das sind Fragen, die ich mir immer wieder mal stelle und auch weiß, dass andere sie sich stellen. Und darum möchten wir uns jetzt erst einmal kurz anschauen, was Vergebung denn NICHT ist. Erstens bedeutet Vergebung nicht dasselbe wie „etwas entschuldigen“. Wir entschuldigen tollpatische Skifahrer, die uns über den Haufen fahren, wenn wir merken: es handelt sich hier um einen Anfänger. Was soll`s – Anfängerfehler, das ist mir auf der Piste auch passiert. Diese Situation ist auf jeden Fall ent- schuldbar. Aus vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen trifft den Skianfänger keine Schuld, er ist ent- schuldigt. Und wenn mich keine Schuld trifft, brauche ich dafür auch keine Vergebung mehr. Vergebung ist nämlich erst dann gefordert, wenn das Böse, dass mir von einem Menschen angetan wurde, eben nicht ent- schuldigt oder wieder gut- gemacht werden kann. Wenn etwas nicht mehr ent- schuldbar ist – dann kann es nur noch vergeben werden. Zweitens ist vergeben nicht vergessen. „Vergeben und vergessen“ ist ein landläufiger Spruch. Aber der Spruch ist falsch. Stellen Sie sich eine junge Frau vor, die in ihren jungen Jahren vergewaltigt wurde. Sehr wahrscheinlich wird sie diese Situation ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Wer könnte das auch schon von ihr verlangen? Und doch kann sie vergeben. Vergeben und vergessen ist nicht dasselbe. Vergeben heißt, die Schuld steht nicht mehr zwischen uns – auch wenn sie der Schuldige immer noch tragen muss. Vergeben heißt: trotz der Schuld ist ein Neuanfang, eine neue Beziehung möglich. Auch wenn die Schuld ihre Spuren hinterlassen hat. Vergeben ist genau das, was getan werden muss, wenn wir nicht vergessen können. Drittens bedeutet Vergebung auch nicht, ein Fehlverhalten zu tolerieren. Zu vergeben bedeutet nicht, alles Unrecht das mir geschieht, stillschweigend hinzunehmen. Vergebung macht ein schädliches Fehlverhalten nicht plötzlich positiv. Ich darf meinen Mund auftun und liebevoll aber konsequent sagen, was meiner Meinung nach nicht in Ordnung ist – um meinetwillen, aber auch um des anderen willen. Vergebung bedeutet nicht, ein Fehlverhalten zu tolerieren. Viertens ist Vergebung nicht gleich Versöhnung. Manchmal denkt man, wenn man jemandem vergibt, müsse man sich um jeden Preis wieder mit ihm vertragen – nach dem Motto: Vergebung ist gleich Versöhnung. Aber auch das ist ein Irrtum. Es stimmt – die Folge von Vergebung kann Versöhnung sein, aber Vergebung und Versöhnung sind nicht ein und dieselbe Sache. Versöhnung ist nämlich erst dann möglich, wenn beide Parteien einen Schritt aufeinander zu gehen. Zur Versöhnung gehören immer zwei. Zur Vergebung nicht. Vergeben kann ich auch dann, wenn mein Mitmensch nicht zur Versöhnung bereit ist (oder das vielleicht auch gar nicht mehr kann, weil er bereits verstorben ist). Jetzt haben wir geklärt, was Vergebung nicht ist. Jetzt können wir uns langsam der Frage nähern, wie wir überhaupt auf die „Straße der Vergebung“ kommen können. Und dabei gibt es eine Aussage, die eine ganz wichtige Vorbedingung ist. Er lautet: „Gestehe es dir ein!“ Gefühle der Wut - der Enttäuschung. Gefühle der Verletzung und Trauer. Wir alle hatten solche Gefühle schon einmal einem Menschen gegenüber. Sie und ich, wir kennen diese Gefühle: den Eltern gegenüber, den Kindern, dem Ehepartner, einem Freund/einer Freundin. Es gibt Menschen, die sind Profis im Unterdrücken dieser Gefühle. Sie können diese Gefühle einfach beiseite schieben oder schnell herunterschlucken wie ein verdorbenes Stück Fleisch. Es gibt Menschen die fressen alles in sich hinein. Aber was passiert mit einem Menschen, der zu viel verdorbenes Fleisch herunterschluckt? Er wird krank. Und genauso ist es, wenn man die Verletzung einfach herunterschluckt. Man wird krank – vielleicht nicht körperlich (obwohl das auch manchmal sein kann, das nennt man dann psycho- somatisch), aber mit Sicherheit wird man innerlich krank. Die Realität ist nämlich: ich habe solche Gefühle und ein Mensch hat bei mir solche Gefühle ausgelöst. Da gibt es nichts wegzuargumentieren oder herunterzuschlucken. Das muss ich mir eingestehen und das darf ich vor Gott eingestehen. Die Bibel ist ein ehrliches Buch. Sie spricht von solchen Gefühlen. Besonders ist das der Fall bei den Gebeten und Liedern, die uns in der Bibel überliefert sind – die so genannten Psalmen. Menschen der Bibel drücken ihre Verletzung und ihren Schmerz in Worten aus. Zwei Kostproben: „Denn nicht ein Feind höhnt mich, sonst würde ich es ertragen. Nicht ein Hasser hat groß getan gegen mich, sonst würde ich mich vor ihm verbergen. Sondern du, ein Mensch meinesgleichen, mein Freund und mein Vertrauter. Ohne Vorwarnung hole der Tod diese meine Feinde! Mitten aus dem Leben sollen sie gerissen werden, denn ihre Bosheit herrscht in ihren Herzen und Häusern.“ so in Psalm 55. Oder noch eine Stufe extremer in Psalm 139: „Mein Gott! Wie sehr wünsche ich, dass du alle tötest, die sich dir widersetzen! Herr, wie hasse ich alle, die dich hassen. Ich hasse sie mit grenzenlosem Hass.“ Diese Gebete in der Bibel lehren mich: Ich darf meine verletzten Gefühle, meine Enttäuschung und meine Wut vor Gott bringen. Wir dürfen uns nicht einbilden, dass Gott sagt: „Du darfst diese Gefühle nicht haben.“ Nein, im Gegenteil: Machen Sie es wie die Psalmbeter in der Bibel: Wenn Sie wütend, verletzt oder enttäuscht sind und selbst wenn ein richtiger Hass in Ihnen ist – dann kommen Sie im Gebet zu Gott und lassen alles einfach raus. Und das dürfen Sie glauben: Gott kann sehr gut mit Ihrem Zorn umgehen. Auch wenn da mal das ein oder andere Wort fällt, dass überhaupt nicht fromm ist. Gott weiß sowieso, was in Ihrem Herzen ist. Unterdrücken und herunterschlucken – das ist nicht der richtige Weg. Seien Sie ehrlich vor sich selbst und vor Gott. Und wenn Sie sich dafür die Zeit genommen haben, dann kommt die Zeit, in der Sie sich bewusst zu etwas entscheiden müssen. Sie haben zwei Möglichkeiten mit Ihrer Verletzung umzugehen. Für beide Möglichkeiten können wir selbst uns entscheiden: Die erste Möglichkeit ist: Wir verlangen Vergeltung und Rache für den Schmerz, der uns zugefügt wurde. Vergeltung und Rache können ganz unterschiedliche Gesichter haben. Sie können sich in Handgreiflichkeiten ausdrücken. Aber weil wir so „zivilisiert“ sind, ist das bei uns meist nicht der Fall. Bei den Meisten drückt es sich wohl anders aus: Die Person vor anderen schlecht machen, Böses wünschen, Schwachstellen des anderen finden und darauf rumhacken, den anderen mies behandeln, Vorwürfe machen, sich freuen wenn es dem anderen schlecht geht. Du kannst dich ja selber mal fragen: Was ist deine Vergeltungs- Taktik? Rache und nicht- vergeben- wollen laufen Hand in Hand. Rache und Vergeltung sind das genaue Gegenteil von Vergebung. Die zweite Möglichkeit, wie wir mit unserer Verletzung umgehen können, ist Vergebung. Vergebung ist letztlich nichts anderes als eine Entscheidung. Ich entscheide mich zu vergeben. Und darum kann uns Gott in der Bibel auch zur Vergebung auffordern. Vielleicht braucht es eine Zeit bis du so weit bist, aber wenn du vergeben möchtest, dann bist du auch irgendwann einmal so weit. Die Vergebung sagt: „Ich fordere keine Vergeltung für das, was du mir angetan hast. Es war falsch und du hast mir damit wehgetan. Aber ich rechne es dir nicht an. Ich habe deinen Schuldschein in meinem Kopf zerrissen. Es ist dir vergeben.“ Die Möglichkeit der Vergebung ist die weitaus bessere Möglichkeit. Nicht nur darum, weil das Gottes Wille ist – sondern auch darum, weil es das Beste für mich ist. Wenn ich nicht vergebe, bleibe ich lange Zeit - vielleicht mein Leben lang – ein Gefangener - Gefangener meines eigenen Schmerzes und meiner Wut. Das Eigenartige ist: Eigentlich wissen wir das. Und trotzdem haben wir Schwierigkeiten zu vergeben. Warum? Ganz einfach: Wenn ich dem anderen nicht vergebe, dann ist er mir noch etwas schuldig. Vielleicht lässt sich das Geschehene nicht wiedergutmachen, er hat mich so verletzt! Aber ich habe als Ausgleich diesen Vorwurf, und den lass ich so schnell nicht los. Das Problem dabei ist allerdings: Wenn ich nicht vergebe, behält der andere Macht über mich. Ich habe zwar diesen Vorwurf, aber ich muss, damit das funktioniert, immer wieder daran denken, was der andere mir angetan hat. Es ist so, als ob ich mich an den anderen kette. Und das tut weh. Der einzige, der dies ändern kann.. bin ich selbst. Indem ich sage: „Ich mache mich nicht mehr davon abhängig von dem, was der mir angetan hat.“ Warum soll ich das tun, was habe ich davon? Ganz einfach: Wenn ich den anderen in seinem Tun nicht loslasse besteht die große Gefahr, dass ich zu einem verbitterten Menschen werde. Verbitterte Menschen – das sind Menschen, die nicht vergeben konnten. Noch ein letzter Gedanke: Wenn „Vergebung“ heißt, den anderen im Angesicht seiner Taten dennoch lieben, was sagt dies über unser Verhältnis zu Gott? Denn immer wieder begegnen mir Menschen, die Gott etwas nicht vergeben können. So sagt mir eine Schülerin: „Seit mein Opa so schrecklich leiden musste vor seinem Tod kann ich nicht mehr an ihn glauben.“ Das vergibt sie ihm nicht. „Glauben“ heißt, Gott im Angesicht seiner Taten dennoch lieben. „Dein Wille geschehe.“ Ist das leicht? Nein. Aber es befreit ungemein: Gott, ich lege alles in Deine Hände. Vielleicht gehen Sie in den nächsten Tagen mal in Ruhe Ihr Leben durch, wo Bitteres ist und legen es ganz bewusst in Gottes Hände. Amen