Bedeutung des Erfahrungsaustausches und der gewerkschaftlicher Zusammenarbeit für den nationalen sozialen Dialog im Lichte der Christlichen Soziallehre Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es freut mich sehr an der 25. Konferenz über die gewerkschaftliche Zusammenarbeit in Europa (KGZE) teil zu nehmen. Wir feiern in diesen Tagen das Jahrhundertviertel seit der 1. KGZE, und auch deshalb erlaube ich mir in einigen Sätzen nicht so ferne Ereignisse erwähnen. Die 1. Konferenz fand im Jahre 1989 statt, aber man darf nicht vergessen, dass die Aktivitäten der damaligen Organisatoren dieser Konferenz schon mit der Gründung der ersten unabhängigen Gewerkschaft der Ostblockländer verbunden sind. Es war die Solidarnosć, die in Polen im Jahre 1980 offiziell als Gewerkschaftsbewegung registriert wurde. Nachdem das Präsidium des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) eine Anregung des Vorsitzenden der Fraktion Christlicher Gewerkschaften (FCG) Hans Gassner zur Durchführung einer materiellen Unterstützungsaktion für Solidarnosć nicht akzeptiert hatte, entschied sich die FCG für selbständige Aktivitäten. Die Fraktionsdelegation geführt von dem damaligen Bundessekretär Günther Engelmayer übergab in der Danziger Schiffswerft Lech Walesa finanzielle Unterstützung und gleichzeitig wurde von der Fraktion Christlicher Gewerkschaften auch eine Spendenaktion gestartet.1 Dank der im Jahre 1980 einsetzenden und im Rahmen der Solidarnosć geeinten Oppositionsbewegung mit 10 Millionen Mitgliedern war Polen über lange Jahre, wenn auch mit einigen Rückschlägen, wie der Verhängung des Kriegsrechtes im Jahre 1981, der Vorreiter der demokratischen Reformen im Mittel- und Osteuropa. Die politische Wende im Ostblock kann aber erst im Jahre 1989 in dem die 1. KGZE - Konferenz stattfand. In Polen verhandelten im Februar 1989 die kommunistischen Machthaber und die Opposition erstmals am Runden Tisches. Zwei Monate später gaben die polnischen Kommunisten ihren Alleinvertretungsanspruch auf und am 24. August 1989 wurde Tadeusz Mazowiecki zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten der Nachkriegszeit gewählt. 1 Reichhold, Ludwig: Geschichte der Christlichen Gewerkschaften Österreichs, Wien: Verlag Österreichichen Gewerkschaftsbundes 1987, S. 799-880. Auch in Ungarn war die politische Entwicklung schon in den Jahren 1988/1989 durch einen tiefen Transformationsprozess charakterisiert. Im März 1989 wurde in Ungarn der Runde Tisch der Opposition ins Leben gerufen. Und Ungarn war das erste kommunistische Land, an dessen Grenze der "Eiserner Vorhang" fiel. Über die Grenze zu Österreich flüchteten im Sommer 1989 Hunderte DDR-Bürger und viele von uns erinnern sicher noch gut an den historischen Moment vom 27. Juni 1989 als der Österreichische Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten Alois Mock und sein ungarische Amtskollege Gyula Horn gemeinsam den "Eisernen Vorhang" an der Grenze durchschneiden. Die politische Entwicklung in Polen und in Ungarn hat auch in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas demokratische Umwälzungen eingeleitet. Die politische Entwicklungen in einigen Ländern war im Jahre 1989 aber noch immer sehr schwierig, was ist auch durch die Tatsache belegt, dass an der 1. KGZE damals nur sehr Wenige aus den Ostblockländern teil nahmen. Viele Vorkämpfer der Demokratie konnten daran nicht teilnehmen und einer der eingeladenen aus der Slowakei Jan Čarnogurský war noch im November 1989 vor dem Gericht. Die Konferenz, aber passt in die Ereignisse, die zum Fall des Eisernen Vorhangs führten. Obwohl jetzt die Ereignisse von 1989 in der Slowakei verschiedene Namen bekommen, mindest für eine kurze Zeit haben sie die Bedeutung des kulturellen Bewusstseins und des bürgerschaftlichen Engagements verstärkt. Die politische Wende in der Tschechoslowakei begann erst am 17. November 1989 nach der brutalen Niederschlagung eines Protestmarschs von Studierenden in Prag. Am 27. November 1989 wurde der Generalstreik ausgerufen, der wesentlich zum Fall der kommunistischen Herrschaft beigetragen hat. Auf dem Kongress aller Verbände und Gewerkschaften von 2. bis 3. März 1990 in Prag wurde die alte Einheitsgewerkschaft (ROH) aufgelöst und die Gründung der Konföderation der tschechoslowakischen Gewerkschaftsverbände beschlossen. Innerhalb dieser Dachzentrale entstanden die Tschechisch-Mährische Kammer der Gewerkschaftsverbände (ČMKOS) mit etwa 2 Millionen Mitgliedern in 35 Fachverbänden und in der Slowakei die Konföderation der Gewerkschaftsbünde (KOZ SR) mit 800 000 Mitgliedern, die auch nach dem Zerfall des gemeinsamen Staates im 1993 in der Gewerkschaftsbewegung in der Slowakischen Republik eine eindeutig dominierende Rolle spielt. Einige Vertreter dieser Konföderation, die das ganze Vermögen des ROH erbte, haben sich zwar zum Zeitpunkt ihrer Entstehung auch mit dem Thema der christlichen Soziallehre beschäftigt, aber KOZ SR war von anfangs an sozialistisch orientiert. Für die Entstehung der christlich-sozial orientierten Gewerkschaftsbewegung suchte man auch deswegen einen Raum außerhalb der KOZ. Bereits im Jahr 1990 sind die ersten christlichen Arbeiter-Clubs entstanden. Überwiegende Mehrheit derjenigen, die sich in diesen christlichen Arbeiter-Clubs engagierten, hatte aber fast keine Kenntnisse über die christliche Soziallehre als auch über eine konkrete gewerkschaftliche Arbeit. Zur Entwicklung der christlich-sozialen Bewegung und Erweiterung der Kenntnisse über die christliche Soziallehre in der Slowakei haben vor allem unsere Gewerkschaftsfreunde aus Österreich beigetragen. Die Entwicklung, die zur Bildung der Unabhängigen Christlichen Gewerkschaft der Slowakei geführt hat, war sehr schwierig. Der Gründungskongress dieser Christlichen Gewerkschaft fand erst im Juni 1993 statt und bereits im nächsten Jahr dank des Mutes und des Vertrauens des damaligen ÖGB-Vizepräsidenten und FCG-Vorsitzenden Fritz Neugebauer und des damaligen Generalsekretärs des Europäischen Zentrum für Arbeitnehmer Fragen Joachim Herudek waren wir Mitorganisatoren der 6. Konferenz über die gewerkschaftliche Zusammenarbeit in Europa. Auf der Konferenz nahmen viele Persönlichkeiten sowohl aus der Slowakei als auch aus Ausland teil, unter ihnen auch schon erwähnte Ján Čarnogurský und der Österreichische Außenminister Alois Mock. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir, wenigstens ein paar Worte des damaligen Österreichische Außenminister zu erwähnen. Auf dieser Konferenz sagte er, dass die Stabilität der Slowakei teilweise auch die Stabilität des Österreichs ist. In diesem Zusammenhang Mock betonte, dass die positive Entwicklung der Slowakei sowohl eine Frage der grundsatzpolitischen Solidarität als auch des eigenen Interesse Österreichs ist, denn "ein starker, stabiler, solider Nachbar ist für Österreich sehr wichtig“. In seiner Rede erwähnte er auch die Frage der Europäischen Integration und verwies auf die Risiken, die uns nicht gleichgültig lassen dürfen. Abschließen Mock sagte: "Ich glaube, dass die Dämonen der Vergangenheit… waren gelegentlich im Schrank abgestellt und bei der falschen Politik werden sie wieder aktiviert... Und daher brauchen wir diesen Einsatz, brauchen die Demokratie, den Kampf der Demokraten gegen die Extremisten von Rechts und Links, brauchen die Arbeitnehmer, die strukturell die Mehrheit immer mehr darstellen der Gewerkschaft und brauchen letztlich auch ihr Land in einem zukünftigen Europa des Friedens."2 Der Prozess der europäischen Integration hat sich im Grunde von Anfang an auf die Herausforderungen der individuellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereiche konzentrieren. Die Idee der Menschenwürde und des Gleichgewichts zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Dimensionen, die den westlichen Teil unseres Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg angesprochen hat, inspirierte auch die Bürger des ehemaligen Ostblocks. Nach den Ereignissen, die zum Fall der kommunistischen Herrschaft konnte man zusammen mit dem britischen Historiker Timothy Garton Ash sagen: "Nie zuvor in der Geschichte ist Europa dem Ideal der 'Einheit in Freiheit' so nahe gekommen. Wenn man darauf nicht stolz sein darf, worauf denn sonst?"3 Ereignisse der letzten Jahre jedoch erfüllen viele Leute mit Enttäuschung. Die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung steckt heutzutage in vielen europäischen Ländern in einer großen Krise, die neben anderem zeigt, dass auch die demokratische Gesellschaft viele Schwächen hat. Im Zusammenhang mit der steigender Arbeitslosigkeit und anderen negativen Auswirkungen der Krise, die in einigen EU-Ländern zur Spannungen und chaotischen Zuständen führt, öffnet sich die Frage, "ob eine solche Gemeinschaft über genug Flexibilität, Legitimität und Zusammengehörigkeitsgefühl verfügt, um einen derartigen Konflikt zu überstehen".4 Eine legitime Frage der Gegenwart ist auch die Frage, welche Position hat hier die Gewerkschaftsbewegung. Ich will jetzt nicht mehr die historischen Ereignisse in Erinnerung rufen und es ist sicher nicht notwendig sich mit der Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung in der Slowakei und anderen Mittel- und Osteuropäischen Ländern näher zu beschäftigen. Trotz vielen Unterschieden in der Entwicklung in einzelnen Ländern sieht man aber schon einige Jahre die Flucht fast aus allen Verbänden, was im Zusammenhang mit den Gewerkschaften sicher auch deswegen verbunden ist, dass man die Krise des Sozialstaates erlebt. Abschlussbericht der 6. Konferenz über die gewerkschaftliche Zusammenarbeit in Europa. Častá Papiernička 1994, S. 33-39. 3 Ash, Timothy Garton: Svobodný svět. Praha - Litomyšl: Paseka 2006, S. 51. (Freie Welt. München: Hanser, 2004). 4 Mak, Geert: Was wenn Europa scheitert. München: Pantheon, 2012, S. 130. 2 Fast 26 Millionen Männer und Frauen sind nach Berechnungen von Eurostat in dem EU-27 Arbeitslos.5 Das ist mehr als Slowakei, Österreich und Ungarn zusammen Einwohner haben. Von diesen drei Ländern verzeichnet Österreich mit 4,3% die niedrigste Arbeitslosenquote (Deutschland 5,4%). In Ungarn war es Ende voriges Jahres 10,9%, in Polen 10,6% und in der Tschechischer Republik 7,5%6 wo aber im ersten Monat dieses Jahres die Arbeitslosigkeit auf 8% angestiegen ist. Viel schlimmer ist es in der Slowakei, wo die Arbeitslosenquote anfangs dieses Jahres ein Rekordniveau erreicht hat. Ohne Arbeit sind gegenwärtig beinahe 15% der Menschen Man muss ehrlich zugeben, dass vor allem die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bei der jüngeren Generation keinen verantwortungsvollen Politiker ruhig schlafen lassen sollte. Die Jugendarbeitslosigkeit in den EU-Ländern ist in den letzten Jahren kräftig angestiegen. In der Europäischen Union sind mehr als 5.700 Millionen Personen im Alter unter 25 Jahren arbeitslos.7 In meinem Lande ist schon jetzt jeder dritte Junge arbeitslos. In diesem Zusammenhang ist es legitim auch die Frage einer stärkeren Einbeziehung der Sozialpartner in die Arbeitsmarktpolitik zu öffnen. Als ich schon erwähnte im sozialen Dialog in der Slowakei spiel als Vertreter der Arbeitnehmer eine dominante Rolle die Konföderation der Gewerkschaftsbünde die auch als der einzige Vertreter der Gewerkschaften in der Tripartität wirkt. Unabhängige Christliche Gewerkschaften der Slowakei sind aktiv auf der Branchenebene und direkt am Arbeitsplatz. Die Struktur der Sozialpartnerschaft in den Mitteleuropäischen Ländern ist zwar sehr unterschiedlich, aber Gewerkschaften sind überall unersetzbar. In allen Ländern verlieren aber die Gewerkschaften ihre Mitglieder egal ob dort die Gewerkschaftspluralität stärker wie z.B. in Ungarn oder viel schwächer wie z.B. in der Slowakei ist. Und überall sind die Gewerkschaften oft kritisiert auch deswegen, dass sie unfähig sind, auf neue Herausforderungen rechtzeitig zu reagieren. Sie befinden sich aber immer zwischen zwei Mühlsteinen nämlich zwischen Radikalisierung und Unterordnung der politischen Macht. 5 Gegenüber Dezember 2011 nahm die Zahl der Arbeitslosen in der EU-27 um 1,763 Millionen und im Euroraum um 1,796 Millionen zu. 6 http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/3-01022013-BP/DE/3-01022013-BP-DE.PDF 7 Die niedrigsten Quoten im Dezember 2012 verzeichneten Deutschland (8,0%), Österreich (8,5%) und die Niederlande (10,0%), und die höchsten Quoten meldeten Griechenland (57,6% im Oktober 2012) und Spanien (55,6%). Die gegenwärtige Krise ist aber auch eine neue Herausforderung für diejenige, die sich dessen bewusst sind, dass jede vernünftige politische Tätigkeit mit einer Bürgernäher Sozialpolitik verbunden sein sollte und dass in die Entscheidungsprozesse auch Bürger eingebunden werden müssen, damit sie in die wichtigen Fragen, die sie berühren auch mitreden können. Die Demokratie in einem parlamentarischen System kann sich nämlich nur dann gesund verwirklichen, wenn die Bürgerrechte auch wirklich bestimmt sind. Die Rufe nach mehr Demokratie sind selbstverständlich legitim aber sie vergessen sehr oft, dass es dabei auch um die Verantwortlichkeit geht. Die demokratische Ordnung kann nur dann legitim sein, wenn sich alle Prinzipien und Werte der Demokratie im Gleichgewicht befinden und sich gegenseitig ihre Grenzen aufzeigen. Der Versuch, eines dieser Prinzipien zu verabsolutieren und andere diesem unterzuordnen, stört und bedroht das beabsichtigte Ziel als Ganzes. Aufrichtiges Bemühen um eine stärkere Demokratisierung ist mir aber natürlich sehr sympathisch. In der Krise kann unser Kontinent neue Impulse finden und hier sehe ich auch eine Herausforderung für die Christliche Soziallehre. Es ist klar, dass nach zwei gewaltigen Systeme, die den Menschen total zu vereinnahmen versucht haben und mit denen sie schmerzliche Erfahrungen hatten, jetzt vor allem die Junge Generation viel vorsichtiger gegenüber allem ist, was uns total in Anspruch nehmen will. In dieser tragischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts muss auch jeder ehrliche Christ erkennen, dass er nicht der Besitzer der absoluten Wahrheit ist. Er sollte der Wahrheit eher dienen und auch den Mut haben, die Wahrheit durch gemeinsame Diskussion zu suchen. Die Kritik der demokratischen Gesellschaft, die mit der negativen Wahrnehmung der praktischen Anwendung der Politik zusammenhängt, ist sicher in vielen Fällen begründet, aber gelegentlich fehlt dieser Kritik eine rationale Grundlage. Christen müssen für die Entwicklung der politischen Lage unseres Kontinents und der Länder, in denen sie leben, Mitverantwortung tragen und „in die Welt gehen“, um überall, wo sie sich engagieren wollen, Konkurrenzfähigkeit zu beweisen. Dass sich christliche Werte im Leben der Gesellschaft entfalten können, ist immer vor allem auf das Verhalten und die Wirkung glaubwürdiger Persönlichkeiten zurückzuführen, die mit ihrer Autorität dem Christentum ein positives Image verleihen. Die Wirksamkeit des gesellschaftlichen Beitrags der Christen hängt sowohl von der Kompetenz, Verantwortlichkeit und Ehrlichkeit unseres Glaubens als auch von unserem gesellschaftlichen Dienst ab. Eine große Hilfe ist dabei die christliche Gesellschaftslehre. Für die Entwicklung des Rechtes und der Humanität ist es in der demokratischen Gesellschaft sehr wichtig, dass sich ihre Bürger für die Sozialpolitik stark engagieren. Einer der Hauptziele der Sozialpolitik sollte die Schaffung von Gerechtigkeit sein und somit steht Sozialpolitik immer unter einem ethischen Anspruch. Von verschiedenen Seiten hört man, dass in unserer Zeit das einzig Beständige die Veränderung ist und dass unsere Zeit auch durch die Veränderungen der Werte charakterisiert sei. Eher ist aber wahr, dass sich nicht die Werte ändern, sondern unsere Beziehungen zu ihnen. Dass sich christliche Werte im Leben der Gesellschaft entfalten könnten, ist vor allen auf das Verhalten und auf die reale Wirkung der politisch, wirtschaftlich und sozial engagierten Leute zurückzuführen, die ein positives Image dem Christentum verleihen. Wenn für uns die Veränderung eine Herausforderung bedeuten soll, und wir die Werte der christlichen Gesellschaftslehre als Inspiration anbieten wollen, müssen wir sie in unserer geschichtlichen Phase verständlich machen und in den Dialog mit den Menschen und Gruppen in unserer Gesellschaft einbringen. Die Menschen unserer Zeit fordern berechtigterweise Mitwirkung, Mitbestimmung und Mitverantwortung in der Politik, im sozialen Leben und in anderen Bereichen des Lebens und es ist sicherlich im Einklang auch mit den Sozialprinzipien der Christlichen Soziallehre. Der Versuch die Werte der christlichen Soziallehre in der Praxis anzuwenden sollte keine hartnäckige Durchsetzung unerschütterlicher Sicherheiten sein sondern ein Angebot der Hoffnung für ein menschenwürdiges Leben in der Zeit in der das Europa an der Glaubwürdigkeit verliert. Ich möchte mich nicht näher mit den Grundprinzipien der Christlichen Soziallehre jetzt beschäftigen. Dennoch finde ich es für wichtig zu betonen, dass der persönlichen Entwicklung des Einzelnen, dem zum Personsein andere Personen unverzichtbar sind, entsprechen sicherlich gerade diese Grundprinzipien. Während des Kommunismus war in unserem Lande fast völlig unbekannt vor allem Subsidiaritätsprinzip, das Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen im gesellschaftlichen Leben schützt. Es geht um die selbstverantwortliche Freiheit. Die Freiheit soll aber keine Willkür sein, sondern sie braucht zu ihrer Verwirklichung eine Ordnung. Nach dem Fall des „Eisernen Vorhang“ hat sich die Situation so verändern, das in den letzten Jahren dieser große Wert missverstanden ist und man sieht immer öfter wie die Freiheit sehr leicht in Egoismus ausarten kann. Wenn uns wirklich um eine gesunde Bürgergesellschaft geht, die von der Balance zwischen Solidarität und Verdienst geprägt ist, sollten wir das Risiko des zunehmenden Egoismus nicht unterschätzen, denn solche Entwicklung könnte sich zerstörerisch auswirken. Sowohl in den alten als auch in den neuen Demokratien wird die individualistische Lebensgestaltung immer stärker. Dieser moderne Lebensstil hat allmählich die ganze Gesellschaft durchdringt. Das betone ich vor allem deswegen, weil meiner Meinung nach die Rolle der Familie auch in der Bürgergesellschaft sehr unterschätzt wird. Es ist klar, dass die Familie nicht von selbst existiert, sondern dass man sie als Grundstein der Gesellschaft stärken muss. Das ist eine Frage der Zukunftsinvestition, denn Familien muss zunehmende Bedeutung als ein Schwerpunkt der gegenwärtigen Politik zukommen. Das ist eine Botschaft die ich von meinem verstorbenen Freund Josef Steurer geerbt habe. Der langjährige Obmann des Dr.Karl-Kummer-Institut für Sozialpolitik und Sozialreform in Wien, hat mir sehr oft gesagt: "Die Familienpolitik muss im Mittelpunkt der christlichen Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts stehen". Gewerkschaften als auch andere Organisationen, die sich für die sozial schwächeren Gruppen engagieren, die fähig sind, die Staatsmacht zu kontrollieren, oder die sich an der Schaffung von demokratischen Institutionen beteiligen, z. B. durch die Verteidigung der Soziallrechte, haben und müssen auch in der Zukunft eine sehr wichtige Bedeutung haben. Wir beginnen sehr schnell zu vergessen, dass der politische und soziale Friede in jedem Lande nicht naturhaft gegeben ist, sondern muss geschaffen werden. Das beste Mittel zur Bekämpfung von totalitären oder oligarchischen Ansprüchen jeder Art sehe ich sowohl in dem von unten ausgehenden Engagement von Bürgern als auch in dem Engagement von vertrauenswürdigen Organisationen. In einer pluralistischen Gesellschaft müssen Sie für das Vertrauen selbstverständlich kämpfen. Es darf aber keineswegs um einen Kampf der „absoluten Wahrheiten“ gehen. Die Erfahrungen aus der Geschichte beweisen, dass jedes Bemühen einer politischen Macht, Patente auf die Wahrheit zu beanspruchen, einen Raum der Gewalt und dem Totalitarismus öffnet. Als ich das schon erwähnt habe, auch Christen müssen beim Suchen der Wahrheit sehr vorsichtig sein und vor allem zwischen der politischen und religiösen Wahrheit unterscheiden. Politische Lösungen zu suchen bedeutet, einen Modus Vivendi zwischen den sich gegenseitig konkurrierenden Interessen zu suchen8. Die christlichen Aktivitäten im Rahmen der bürgergesellschaftlichen Organisationen sollten beim Umgang mit der politischen Macht stets mit Vorsicht erfolgen, weil praktische Erfahrungen 8 L. Diamond, “Toward Democratic Consolidation”. In: Journal of Democracy 5, No. 3, July/August 1994, S. 11. beweisen, dass eines der lukrativen Geschäften der politischen Macht „das Geschäft mit der Seele“ ist. Jetzt – in der Zeit der stärker werdenden Finanzkrise, die sicher auch in vielen Europäischen Ländern ihre Spuren hinterlässt – wird die Sehnsucht nach Sicherheit, sozialem Rückhalt und emotionaler Unterstützung sicher wachsen. Die Menschen stehen heute vor neuen Herausforderungen, „die Koordinaten ihres Sicherheitsgefühles neu auszurichten“9. Die Menschen reagieren auf die Bedrohungen ihres Sicherheitsgefühls unterschiedlich: mit Aggressivität, Resignation, aber viele sehnen sich auch „nach einem Leben, das stärker geprägt ist von einer Einbindung in soziale Lebensnetze, die in dieser Situation Halt und Geborgenheit versprechen“10. Wen ich in der letzten Zeit meiner alten Freunde begegnete, die nach dem Fall des „Eisernen Vorhanges“ sehr begeistert für die Entwicklung der Christlichen Sozialpolitik waren, höre ich immer öfter, das in dieser wilden Welt, die von Egoismus und Profit beherrscht ist, die Werte der Christlichen Soziallehre keine Zukunft haben. Vor einer Woche nahm ich mit meinen GPA-Freunden an den Kramsacher Gesprächen teil. Unser Treffen fand in einem gemütlichen Familienhotel statt, dessen Motto ist: "Geht nicht, gibt´s nicht" ("Not possible, does not exist"). Ein Leben in Würde, Frieden und Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Die Bewahrung der Menschenwürde ist eine globale Aufgabe, die sich immer wieder neu stellt. Und wer soll der Träger der Hoffnung sein, wenn nicht die Christen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Christliche Gewerkschaften auch in unserem 21. Jahrhundert Europa sehr viel im Kampf für eine sozial gerechte Gesellschaft zu sagen haben werden. Es sollten aber langfristige Strategien entwickelt werden, die sich mit frischem Schwung an die Menschen dieses Jahrhunderts wenden. Man braucht zur Durchsetzung der berechtigte Ansprüche sicher sowohl die Kampfbereitschaft als auch die Toleranz zusammen mit der Fähigkeit, den anderen im Dialog als Partner zu akzeptieren. Es sind auch in der Gegenwart einige positive Beispiele die die Fähigkeit beweisen, den anderen im Dialog als Partner zu akzeptieren. "Der hohe Wert des sozialen Friedens bringt es mit sich, dass Solidarität auch zwischen den Interessenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer von großer Bedeutung ist... Daraus wird die große Bedeutung einer 9 G. Steger, Die neue Sehnsucht nach sozialer Verwurzelung (Kirche und Gesellschaft 347). Köln 2008, S. 8. A. a. O. S. 9-10. 10 Sozialpartnerschaft ersichtlich, für die Ősterreich in der Zweiten Republik ein eindrucksvolles Beispiel gesetzt hat, das auch vorbildlich für andere Länder wurde."11 Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass auch in heutiger wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Krise die Christlichen Gewerkschaftler für eine Welt stehen, in der jeder Mensch mit persönlicher Würde und unveräußerlichen Rechten als "Gesamtkunstwerk" wahrgenommen wird und für eine lebendige Demokratie, an der sich Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen. 12 Ich wünsche Ihnen in Ihrer verantwortungsvollen Arbeit viel Erfolg und danke für Ihre Aufmerksamkeit. Univ.Prof. PhDr. Milan Katuninec 11 Klose, Alfred: Wirtschaftsordnung und Sozialpartnerschaft. In Ingeborg Gabriel (Hrsg.) Fireiheit und Verantwortung der Kirche in der Gesellschaft. Wien: Verlag Herold, 1995, S. 72-73. 12 7 gute Gründe für die FCG. Wien: Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB.