Der Ehre willen Basel; 3. April 1180 Unter johlendem Beifall des zuschauenden Pöbels ritten die Ritter ein. In zwei Reihen trabten die gepanzerten Schlachtrösser schnaubend auf den kahlen Turnierplatz, wo sie von ihren Reitern vor die hohe Tribüne des Adels geführt wurden. Das Sonnenlicht wurde von den eisernen Rüstungen reflektiert, oder vom Stoff der weiten Helmtücher verschluckt. Die Helmzier wehte im sanften Wind des warmen Frühlings. Das einfache Volk, das hinter einer hölzernen Absperrung das Spektakel beobachtete, verging beinahe vor Ehrfurcht und Vorfreude. So viel Prunk und Pracht und edles Geblüt sah man selten, auch wenn sich dies in den letzten Jahren zum Guten wendete. Die Visiere der Ritter waren hochgeklappt, insofern die hohen Männer ihre Helme bereits aufgesetzt hatten. Theobald, der seinen Platz weiter am Rand der imposanten Gruppe gefunden hatte, strich mit den behandschuhten Fingern über die Rillen des Visiers. Sein Helm lag vor ihm auf dem Sattel seines Rosses, sodass sein wildes strohblondes Haar in sämtliche Richtungen geweht wurde, die jene Brise anschlug. Seine meerblauen Augen waren auf den Herzog von Basel gerichtet, der sich soeben von seinem Platz auf der Tribüne erhob und beide Hände hob. „Willkommen, ihr Ruhmsuchenden. Ihr Ritter aus allen Landen! Dem Römisch-Deutschen Reich, dem Königreich Böhmen, dem Königreich Arelat und dem Königreich Italien! Selbst Ritter aus dem Königreich Frankreich, ihr alle seid willkommen, bei diesem letzten Kampf unseres Turniers! Ihr werdet am heutigen Tag entweder die Ehre erhalten, die euch gebührt, oder als Niemand abtreten. Herolde! Lasst eure Nachricht verlauten!“ Eine Gruppe schmächtiger Männer und Jungen erklommen einen Podest neben der Tribüne und stellten sich nebeneinander auf. Ihre Kniebundhosen und Hemden hatten die verschiedensten Farben, doch alle hielten große Pergamentrollen in den Händen. Nacheinander riefen sie die Namen ihrer Schutzherren, bis ein Herold mit Hut vortrat und rief: „Im Namen des Herzog Konrads von Basel werden die zu führenden Waffen geprüft!“ Theobald seufzte leise und überreichte einem jungen Mann sein Langschwert und seinen Dolch. Nur kurz besah sich der Knappe mit geprüftem Blick die beiden Waffen und gab sie ihm mit einem Nicken wieder. „Stumpf, Herr, wie es sich gehört.“ Theobald schenkte ihm ein freundliches Lächeln. Der Knappe wandte sich an den nächsten Ritter, nachdem er unter dem Sattel und sämtlichen Stellen seiner Rüstungen geschaut hatte, in denen er weitere Waffen hätte verstecken können. Nach dieser Prozedur schrie der Herold erneut sein Anliegen heraus: „Gewinn des heutigen Turniers wird sein das Preisgeld von fünfhundert Mark Silber, sowie Ruhm und Ehre des Siegers!“ Theobald beobachtete den Herzog, wie dieser erneut aufstand. „Der Herr möge seine schützende Hand über diese tapferen Recken legen, auf das es keine Todesfälle gebe! Teilet euch!“ Der Ritter presste seine Schenkel in die Seite seines Rosses, um es zu wenden, ohne an den Zügeln zu zerren. Wie immer gehorchte es sofort und ohne Widerwillen, was nicht bei allen Teilnehmern des Turniers der Fall war. Gereizte Rufe hallten durch die Luft, als die Ritter sich in zwei Gruppen einander gegenüber aufstellten. Der Abstand von stillen hundert Fuß trennte beide Partien. Nachdem er seinen Sitz korrigiert und das zweischneidige Langschwert gezogen hatte, beugte Theobald sich in seinem Sattel vor, mit der linken die dunklen Lederzügel umklammernd. Er wartete auf den Ruf des Herzogs, der den Kampf eröffnen würde. Doch es dauerte noch einige Minuten, denn die Gegner bekamen blaue Bänder zur Helmzier gehängt, um die Gruppen unterscheiden zu können. Diese Zeit reichte dem jungen Ritter, um seinen unmittelbaren Nachbarn zu mustern. Ein ebenfalls junger Recke, der wohl vor kurzem erst seine Ritterwürde erhalten hatte. Krauses Haar fiel ihm die Schultern herab, während er sich den Helm aufsetzte und das Visier herunterklappte. Er bemerkte seinen Blick und lächelte. „Erich, mein Name. Von Konstanz.“ „Theobald.“ Der junge Ritter wartete kurz, dann fragte er: „Nur Theobald? Seid Ihr fahrender Ritter?“ Theobald nickte. „Franke bin ich.“ Erich zog sein Schwert. „Und Schwabe ich. Setzt Ihr Euren Helm nicht auf?“ Theobald griff danach und zog ihn sich über den Kopf. „Welch Tor wäre ich dann.“ Sein Gegenüber wollte etwas erwidern, da hallten die Worte des Herzogs über das weite Feld: „Möge das Turnier beginnen!“, und beide Partien gaben ihren Rössern die Sporen. Ehe beide Ritter reagieren konnten, preschten die anderen an ihnen vorbei. Erich hob sein Schwert zum Gruß und rief: „Auf einen guten Kampf!“ Theobald erwiderte den Gruß und trieb sein Ross an. Das Langschwert nach vorn gerichtet visierte er seinen ersten Gegner an. Die Hufe seines Reittieres wirbelten den Staub der Erde auf und ließen sie vibrieren. Die unheimliche Kraft der Dutzenden Ritter auf ihren Pferden, die aufeinander eindroschen, schwang als fesselnde Aura durch die Luft, dass der Pöbel vor Ehrfurcht aufstöhnte. Schon zerrissen erste Schmerzenschreie die Wand des Schlachtgebrülls und schwere Körper schlugen am Boden auf. Lautes Wiehern erschrockener Rösser erklang, als sie die gefallenen Ritter zertrampelten, oder an deren Rüstungen abrutschten und stürzten. Die blauen Bänder der Gegner flatterten wild umher. Theobald trieb sein Pferd an, welches über einen Verletzten sprang. Der Ritter brüllte nicht, wie alle anderen. Stumm stieß er sein Schwert nach vorn, doch die Spitze rutschte am Harnisch des feindlichen Ritters ab und verlor sich im Leeren. Der junge Recke musste den Kopf unter einem Hieb hinwegducken, um nicht enthauptet zu werden. Kraftvoll griff er ein zweites Mal an, von der Seite. Nun hatte er mehr Glück. Die stumpfe Klinge brach zwei Rippen des blaubändigen Feindes, auf dass dieser das eigene Schwert fallen ließ und sich stöhnend aus dem Gemetzel zu befreien suchte. Theobald hatte wenig Mitleid mit ihm. Sein Angriff war leicht zu durchschauen gewesen und das Gesicht seines Gegenübers zeichnete Erfahrung in tiefen Furchen um die braunen Augen. Übermut angesichts eines so jungen Recken hatte den Alten unvorsichtig werden lassen. Doch dies war ein Krieg und ein solcher bestrafte Übermut mit dem Tod. Ein Seitenblick verriet ihm, dass sein neuer Freund Erich sich in seiner wilden Jugend erstaunlich gut schlug. Besser, als er selbst noch. Theobald ließ die Zügel fallen und packte das Langschwert mit beiden Händen, um mehr Kraft in seine Hiebe zu legen. Sein Ross lenkte er zwischen zwei kämpfenden Partien hindurch und hielt auf einen Hünen von einem Ritter zu, der soeben einen anderen mit bloßen Händen aus dem Sattel warf und lange Federn als Helmzier trug. Durch die Spalten seines Visiers sah Theobald, dass auch er bemerkt worden war. Beide gingen mit einer Wucht aufeinander los, die ihnen die Schläge die Arme bis zu den Schultern hinauf spüren ließ. Theobald befürchtete mit angestrengtem Gesicht, dass ihm die Gelenke aus den Ellbogen springen würden, wenn er sich weiter auf diesen Kampf einließ und so lenkte er sein Ross in einem flinken Halbkreise um seinen Gegner herum. Seine Muskeln spannten sich zum Zerreißen, als er mit seiner Klinge die Luft durchschnitt. Laut schepperte Metall auf Metall, als er den Schild des feindlichen Ritters traf und eine tiefe Kerbe hinterließ. Sofort zog er sein Schwert zurück und blockte einen Angriff ab. Ein zweiter folgte innerhalb kurzer Augenblicke und ehe er sich versah, schnellte der Schild flach auf ihn zu und traf ihn am Kinn. Der Helm fing den Schlag auf, doch der Schmerz schoss dennoch durch seinen Kopf und trieb ihm Tränen in die Augen. Sein Gleichgewicht verlierend stürzte er aus dem Sattel und knallte mit dem Rücken auf den harten Boden. Alle Luft wich aus seinen Lungen. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen. Glücklicherweise verlor er nicht das Bewusstsein, sondern zog sich den Helm ab und rollte sich herum, bis er auf Knien lag und sich mit den Händen abstützte. Keuchend richtete er sich auf und fluchte einmal mehr über das Gewicht des Harnischs und des Kettenhemdes, die er über einem wollenen Unterkleid trug. Darüber lag der dünne Waffenrock, ganz in weiß mit einem Falkenkopf, als Ornament. Er blinzelte und suchte den Boden nach seinem Schwert ab. Es lag hinter ihm, halb unter einem anderen Ritter begraben. Theobald stürzte zu ihm, wobei er beinahe von einem Ross überrannt wurde, und ließ sich fallen. Der Verletzte war ohnmächtig und hatte mehrere gebrochene Glieder. Rasch zog er ihm den Helm vom Kopf und befreite ihn von seinem Harnisch. Nur kurz stockte der junge Ritter überlegend. Sein Blick schweifte dabei über das Feld. Der Kern der Schlacht hatte sich bereits zersprengt und nun jagten die Ritter einzeln ihren Gegnern nach. Nur wenige Minuten waren seit Beginn vergangen, doch schon begann die letzte Phase des Kampfes. Dies zeugte von vielen unerfahrenen Kämpfern, die sich leicht vom Pferd drängen ließen, aber Theobald, der sich wieder auf sein Ross, gerade auf ihn zutrottend, hätte schwingen und in die Schlacht zurückkehren hätte können, steckte seine Waffe in die Scheide und packte den Bewusstlosen. Unter einigem Kraftaufwand hob er ihn auf sein Pferd und führte es über das Feld an den Rand, wo die Knappen der Verletzten bereits auf ihren Herrn warteten. Sie dankten ihm überschwänglich. Jeder wusste, dass dieser sonst in seiner Rüstung erstickt wäre. „Herr, der Kampf wütete noch. Ihr könnt den Ruhm noch für Euch gewinnen!“, rief einer der beiden Knappen und Theobald blickte sich um. Der Junge hatte Recht. Ein halbes Dutzend Ritter kämpfte erbittert um den Sieg des Turniers. Ohne zu Zögern trat er in den Steigbügel seines Rosses und schwang sich hinauf. In vollem Galopp zog er sein Schwert und beugte sich tief über den Hals seines Tieres, um noch mehr Geschwindigkeit auf zu nehmen. Im Heranreiten erkannte er den jungen Erich erbittert gegen gleich zwei Gegner fechten. Noch ein zweiter Ritter der bandlosen Partei wehrte sich gegen die Übermacht und Theobald wusste, dass es schlecht um sie stand. Wenn ihnen das Glück nicht hold war, so würden sie vom Feind gefangen genommen und all ihr Besitz ginge an jenen über. Dann war selbst der stolzeste Ritter nicht mehr, als eine arme Kirchenmaus. Vom Schwung getragen würde er vorbeireiten und dabei einen der Gegner vom Pferd reißen. Dieses Vorhaben glückte mit einem zerreißenden Donner. Sein Ross schnaubte, als es wendete und einen neuen Ansturm antrat. Dieses Mal waren alle noch Verbliebenen auf ihn vorbereitet, doch während Theobalds Hieb abgefangen wurde, stieß Erich den Gegner von hinten zu Boden, wo die Hufe des eigenen Pferdes auf den Ritter einschlugen und ihn verstummen ließen, noch ehe er Luft zum Schrei holen konnte. Nun stand es drei Bandlose gegen zwei Blaubändige. Von fern hörte man den johlenden Pöbel, der sie lautstark anfeuerte. Theobald umklammerte den Griff seiner Waffe fester und schlug nach vorn. Als beide Klingen aufeinanderprallten, schoss ein heißer Schmerz durch seinen Arm und ein qualvoller Schrei entrang seiner Kehle. Den Hieb gegen seine Brust spürte er kaum durch den Schleier des Peins. Er krümmte sich zusammen und ließ sein Ross davontraben. Er bemerkte nicht einmal, wie Erich stürzte und auch der letzte seiner Partie unterlag. Plötzlich spürte er etwas Kaltes an seiner Kehle und blickte unter Tränen auf. „Ergebt Ihr Euch, oder kämpft Ihr?“, fragte der Ritter, dessen blaues Band um seinen Hinterkopf flatterte. Theobald verkrampfte sich. „Ich… ergebe mich“, presste er hervor und hielt sich den verletzten Arm. „Dann seid mein Gefangener.“ Die Zügel seines Rosses wurden gepackt und unter begeistertem Beifall des Pöbels führte der Sieger ihn vom Platz. Die Plane des Zeltes wurde beiseite geschoben und ein junger Mann mit ungebändigtem Haar trat ein. „Theobald? Wie geht es Euch?“, fragte Erich. Er ging auf eine gebeugte Gestalt zu, die ihren Kopf in eine Hand gestützt hatte, während die andere in einer Schlinge hing. „Setzt Euch, Erich. Ich kann Euch leider nichts anbieten. Meine Habe verlor ich an diesem Tage.“ Der junge Recke blieb stehen und musterte Theobald. „Ich habe gute Nachricht, mein Freund. Ihr habt das Leben des Randwig gerettet. Er ist Euch sehr dankbar und hat Eure Habe von Leopold zurückgekauft.“ Theobald sah auf. Lange musterte er den Recken vor sich und grübelte. „Das ist wahrlich eine gute Nachricht“, bemerkte er schließlich. Dann rückte er etwas zur Seite, um Erich Platz zu machen. „Bitte, setzt Euch.“ Diesmal folgte der Ritter seiner Aufforderung. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und sah sich um. Das Zelt war klein und bot nur Platz zum nächtigen und zur Aufbewahrung von Rüstung und Waffen. Im Moment jedoch war es bis auf das Holzbett, welches vom Herzog von Basel verliehen worden war, leer. Durch den Spalt in der Plane leuchtete eine warme Abendsonne herein und teilte das Bett zwischen ihm und dem geschlagenen Theobald, der mit stummem Blick auf seine Stiefel starrte. „Ihr seid nicht geschlagen worden“, bemerkte Erich und lockerte die Riemen seines Armschutzes. Lange Zeit schwieg sein Gegenüber. Dann, als er schon dachte, Theobald antworte nicht mehr, erklärte dieser: „Es ist eine alte Verletzung. Sie ist nie richtig geheilt und bereitet immer in den ungünstigsten Momenten Schmerz und Pein.“ Erich musterte ihn. „Woher stammt sie?“ Diesmal erhielt er keine Antwort. Stattdessen erhob Theobald sich und ging zum Ausgang. „Ich danke Euch für die Kunde, die Ihr mir brachtet, Erich. Ihr hättet auch einen Knappen schicken können.“ „Ich wollte nach Euch sehen. Und mich für Eure Hilfe auf dem Turnierplatz bedanken“, gestand der junge Recke. Auch er war aufgestanden. „Wohin wird Euch Euer Weg nun führen?“ Theobald lächelte leicht. Seine Augen begannen zu leuchten. „Habt ihr von dem Turnier in Freiburg gehört?“ Erich lachte auf. „Freilich! Es ist das größte Turnier in diesem Frühjahr! Der Preis sind tausendfünfhundert Mark Silber und sämtliche Frauen werden anwesend sein! Habt Ihr vor, daran teilzunehmen?“ Theobald nickte. „Dort erwartet mich das Abenteuer meines Lebens.“ Er wandte sich an Erich. „Und Ihr?“ Der junge Ritter schmunzelte. „Die Pflicht ruft. Mein Herr braucht meine Hilfe. Ich beneide Euch, Theobald. Als fahrender Ritter seid ihr frei.“ „Aber auch ohne Unterstützung. Hadert nicht mit Eurem Los, es ist nicht so schlecht, wie Euch dünkt. Wir sehen uns sicher irgendwann wieder. Vielleicht als Gegner, vielleicht auch wieder als Kampfgefährten.“ Erich reichte ihm die Hand. „Viel Glück, mein Freund.“ Theobald schlug ein. „Auch Euch alles Glück der Erde.“