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15.05.2016
Samstag 03.02.2007
Die Katastrophe ist schon nah
KLIMA. UN alarmiert: Die Menschen zerstören die Umwelt. Dürre, Alpen ohne Eis, noch stärkere Orkane
und verheerende Hochwasser.
BERLIN/PARIS. Alarmstufe Rot für das globale Klima. Ein Temperaturanstieg um bis zu 6,4 Grad und die
Erhöhung des Meeresspiegels um mehr als einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts - das sind die
alarmierenden Prognosen des vierten UN-Klimaberichts, der die Verantwortung des Menschen für die globale
Erwärmung so deutlich herausstellt wie nie zuvor. "Jetzt sollten letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass wir
Menschen es sind, die die Klimaschraube überdrehen", sagte der Öko-Chefberater der Bundesregierung, Hans
Joachim Schellnhuber.
Bis in den frühen Freitagmorgen hatten in Paris die Autoren des Forschungsberichts an der Endfassung
gearbeitet. Nach den deutlich vorsichtigeren Berichten von 1990, 1995 und 2001 gilt der aktuelle Bericht als
ausdrückliche Warnung: Die Debatte, ob es einen Klimawandel gebe oder nicht und ob dieser von Menschen
erzeugt sei, "ist vorbei".
-1-
Laut Klimabericht hat sich die Erde bereits um 0,7 Prozent erwärmt und wird sich ohne durchgreifende
Maßnahmen künftig um 0,2 Grad pro Jahrzehnt weiter erwärmen. Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die letzte
Eiszeit: Damals sank die Temperatur nur um fünf Grad, und schon waren weite Teile Norddeutschlands vereist.
Eine Erhöhung um 5 Grad bedeutet laut Schellnhuber eine Ausdehnung der Sahara bis nach Berlin. Doch schon
bei zwei bis drei Grad Erderwärmung, wie derzeit zu erwarten, malen Fachleute ein düsteres Panorama: Die
deutschen Alpen würden etwa ab 2070 eisfrei sein, Ostdeutschland wäre versteppt, und die friesischen Inseln
hätten mit einem bis zu zwei Meter höheren Meeresspiegel zu kämpfen. Die Arktis dürfte bis zum Ende des
Jahrhunderts eisfrei sein. Verheerende Hochwasser und Orkane wie "Kyrill" werden die Regel.
"Wir haben schon sehr viel Zeit verloren", so Michael Müller, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Neben
effektiven Maßnahmen zum Klimaschutz müsse man jetzt auch über andere Folgen sprechen: Industrienormen
etwa müssten den neuen Wetterverhältnissen angepasst werden - zum Beispiel beim Hochbau oder beim
Küstenschutz.
Der Chef des UN-Umweltprogramms, Achim Steiner, rief die Regierungen auf, die festgefahrenen Verhandlungen
über die langfristige Verringerung des Schadstoffausstoßes wiederzubeleben. "Es ist beinahe schon 5 nach 12".
(NRZ) Forum zum Thema: www.nrz.de
02.02.2007
JULIA EMMRICH
NRZ
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Samstag 03.02.2007
KOMMENTAR
Samstag 03.02.2007
Die Nordsee verschlingt Sylt
UN-Klimareport: Es wird alles noch schlimmer
Man hätte es wissen müssen, denn Anzeichen in der Natur und Warnungen der Wissenschaftler hat es zur
Genüge gegeben. Dennoch überrascht die Wucht der Prognosen im UN-Weltklima-Report: Es wird alles noch
schlimmer werden, die Erderwärmung ist nicht mehr aufzuhalten, der Mensch kann nur noch
Schadensbegrenzung versuchen.
Wahrscheinlich haben die Experten Recht, die nicht die atomare Katastrophe für die existenzielle Bedrohung des
Menschen halten, sondern die Klima-Apokalypse. Jedenfalls steht fest: Wer jetzt noch den Kopf in den Sand
steckt, in der Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm werden, der hat nichts verstanden.
Es ist ja auch nicht so einfach, Revolutionäres zu denken und revolutionär zu handeln. Das hieße nämlich: global,
solidarisch Verantwortung zu übernehmen und nicht den Schwarzen Peter anderen zuzuschieben und sich selbst
herauszureden.
Die Industriestaaten verweisen auf ihr Umwelt-Know-How und das, was sie alles schon für die Umwelt getan
haben. Wer das Leben als Energie-Junkie gewohnt ist, produziert und verbraucht immer schneller immer mehr,
weil er nicht anders kann oder glaubt, dass es nicht anders geht.
-2-
Die Schwellenländer ihrerseits pochen auf ihren Nachholbedarf bei Wachstum und Wohlstand, den man ihnen
nicht verwehren dürfe und der eben nur mittels enormer Steigerungsraten beim Energieverbrauch zu erreichen
sei. Und so ringt man um jedes Gramm Treibhausgas und betreibt einen Ablasshandel mit
Luftverschmutzungsrechten.
So lässt sich der Super-Gau bestimmt nicht abwenden.
Skepsis ist angebracht, dass die Menschheit entwicklungsgeschichtlich gesehen schon so weit ist, über mehrere
Generationen hinweg global zu denken. Weg vom Ich, Ich, Ich. Religionskriege und ethnische Konflikte sprechen
derzeit eine andere Sprache.
Die Nachrichten müssen wohl erst noch schlechter wer- den, ehe sie besser werden. Wie wäre es mit: Kein
Schnee mehr in den Alpen unterhalb von 2500 Metern, Sylt von der Nordsee verschlungen. .
JOACHIM RINDFLEISCH [email protected]
NRZ
Samstag 03.02.2007
Wer jetzt noch nicht wach wird . . .
KLIMAWANDEL. Ohne Kurskorrektur droht der Erde bis Ende des Jahrhunderts eine Klimaerwärmung um
bis zu 6,4 Grad Celsius.
Eine Eisbärmutter mit ihren beiden Kleinen. Was so friedlich und idyllisch aussieht, sind die ersten Anzeichen der bedrohlichen Erderwärmung. Das Eis
schmilzt, die Bären verlieren den Boden unter den Füßen, ihre Jagdreviere werden kleiner. (Foto: dpa)
PARIS. Den Klimawandel-Zweiflern ist die Grundlage entzogen. Der neue Bericht des UN-Klimarats IPCC macht
die globale Erwärmung von der Vermutung zur Gewissheit. Und die Menschheit muss sich auf die
unabwendbaren Folgen einstellen. "Wer etwas anderes behauptet, kann nicht länger die Wissenschaft als
Argument benutzen", erklärt Sir Martin Rees, Präsident der renommierten britischen Wissenschaftsakademie
Royal Society. Damit weist die neue UN-Analyse den Entscheidern automatisch den Weg: "Wer jetzt noch nicht
wach ist, der muss sich fragen, was denn eigentlich passieren muss, damit man den Ernst der Lage erkennt",
betont der frühere Chef des UN-Umweltprogramms und ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer.
Es geht um unzählige Menschenleben
"Jeder Regierungschef, der in seinem Amtseid geschworen hat, Schaden von seinem Volk abzuwenden, ist jetzt
zu einer ernsthaften Klimapolitik verpflichtet", urteilt auch der Geschäftsführer der Umweltorganisation
Germanwatch, Christoph Bals. Es geht nicht zuletzt um unzählige Menschenleben. Der Erde droht bis Ende des
Jahrhunderts eine Klimaerwärmung um bis zu 6,4 Grad Celsius. Dieser plakative Höchstwert aus dem Bericht
des Zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate Change; IPCC)
steht für die vielen Details.
Das Eis am Nordpol schmilzt. Winde und Meeresströme ändern sich. Rund ums Mittelmeer wird es wärmer.
Extreme Wetterereignisse wie Dürren, schwere Niederschläge, Hitzwellen und die Intensität tropischer Zyklone
haben zugenommen. Die Liste lässt sich fortsetzen. Jeder einzelne ihrer Punkte bedroht Hunderttausende.
Während die Alarmglocken der Tausenden von Klimawächtern lauter schrillen denn je, verlangt der französische
Präsident Jacques Chirac eine vollwertige UN-Umweltorganisation nach dem Vorbild der
Weltgesundheitsorganisation WHO. "Es ist Zeit für eine Revolution: Die Revolution des Bewusstseins, die
Revolution der Wirtschaft, die Revolution des politischen Handelns", sagte Chirac am Tag der Veröffentlichung
des UN-Klimaberichts vor 200 Delegierten aus rund 50 Staaten in Paris. "Der Tag rückt näher, an dem der
Klimawandel jeder Kontrolle entgleitet. Wir sind an der Schwelle der Unumkehrbarkeit."
Die "Routine der Verhandlungen auf Beamtenebene" bringe die Welt nicht weiter, meint auch der Direktor des
UN-Umweltprogramms, Achim Steiner. Er fordert in einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" (Samstag)
einen Weltklimagipfel der Staats- und Regierungschefs. Nach Ansicht der Klimaexperten kann es jetzt nur noch
darum gehen, die Erderwärmung durch rigorose Einschnitte bei den Treibhausgasemissionen auf zwei Grad
Celsius zu begrenzen. "Wenn das erreicht wird, gibt es zwar erhebliche Konsequenzen, aber das wäre sicherlich,
so die Wissenschaftler, noch zu bewältigen", sagte Töpfer dem Westdeutschen Rundfunk.
Dieses Ziel ist vor allem die Aufgabe jener Länder, die den Löwenanteil der Klima schädigende Gase ausstoßen.
Das sind die Industriestaaten - und die mächtigen Schwellenländer China, Indien oder Brasilien.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) verlangt die EU-weite Reduktion der Treibhausgase bis 2020 um 30
Prozent. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) kündigte 255 Millionen Euro für ein
Forschungsprogramm zum "intelligenten Technologiewandel" an. Ein Patentrezept gegen den Klimawandel ist
allerdings nicht zu haben. "Es gibt nicht den Königsweg, es gibt nur ein Bündel von Maßnahmen", sagte die
-3-
Klimaexpertin Regine Günther von der Umweltstiftung WWF. "Weg von Kohle und Öl, langfristig auch vom Gas
und hin zu erneuerbaren Energien", fordert die Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim World Wide Fund for
Nature. Nach ihrer Einschätzung bleiben höchstens noch 15 Jahre, um die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad
Celsius zu halten. (dpa)
NRZ
Samstag 03.02.2007
Der Weltklima-Rat
UNO. Alle fünf bis sechs Jahre Bilanz gezogen
PARIS. Der Zwischenstaatliche Ausschuss zum Klimawandel (Intergovernmental Panel an Climate Change IPCC) bündelt alle fünf bis sechs Jahre im Weltklimabericht die weltweiten Forschungsergebnisse zur Erwärmung
der Erde. 1988 gegründet, soll er durch die Auswertung tausender Studien eine verlässliche Grundlage für
Entscheidungen der Politik schaffen. Eigene Forschungen betreibt der IPCC nicht. Bisher veröffentlichte das
Gremium 1990, 1995 und 2001 drei Berichte. Sie bildeten die Basis für die Beschlüsse des UN-Gipfels von Rio
1992 und führten zur Verabschiedung des Kyoto-Protokolls von 1997.
Das IPCC besteht aus drei Arbeitsgruppen. Die erste beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zum
Klimawandel, die zweite mit Folgen für Natur, Wirtschaft und Gesellschaft und die dritte mit der Begrenzung der
Emission von Treibhausgasen. Gestern wurde der Bericht der ersten Arbeitsgruppe veröffentlicht. Die Ergebnisse
der anderen Arbeitsgruppen werden im April in Brüssel und im Mai in Bangkok publiziert. (afp)
NRZ
Samstag 03.02.2007
Der Winter wird kürzer, der Frühling länger
KLIMAWANDEL. Derzeit liegen die Temperaturen fünf Grad über dem Durchschnitt. Und es wird noch
schlimmer, prognostiziert Klimaforscher Seiler.
GARMISCH-PATENKIRCHEN. Es ist Februar, und das Thermometer zeigt 10 Grad. Doch nicht nur in den letzten
Wochen ist es viel zu warm, wie Prof. Wolfgang Seiler, Leiter des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung,
im Gespräch mit der NRZ betonte.
"Seit September liegen die Mittelwerte rund 5 Grad über dem Durchschnitt", so der Experte. Ihm machte kürzlich
ein Rundflug über die Alpen die Ausmaße deutlich. "Viele braune Flecken" konnte er auf den sonst so
schneeweißen Abfahrtspisten selbst in über 2000 Metern Höhe ausmachen. In Zukunft werden Wintersportfans in
immer größere Höhen aufsteigen müssen, um ihrem Hobby nachzugehen.
Denn der Klimaexperte prognostiziert: In den nächsten Jahren werde sich der Wintereinbruch immer weiter nach
hinten verschieben. Die kalte Saison werde kürzer, der Frühling werde früher beginnen. "Das heißt aber nicht,
dass kein Schnee mehr fallen wird", betont Seiler. Nur wird "die Zeit mit Schneebedeckung immer kürzer." Zudem
-4-
würden die frühere Schneeschmelze und stärkere Regenfälle die Hochwassersituation im Frühjahr
verschlimmern.
Neben großen wirtschaftlichen Problemen, die der zukünftige Schneemangel für alle Wintersportregionen mit sich
bringt, sind auch die Folgen für die Natur unabsehbar. Pflanzen beispielsweise tauchen heute schon in Regionen
auf, die sonst viel zu kalt waren, und es gibt zu viele Schädlingspopulationen. "Dabei erleben wir gerade erst die
Folgen des CO2-Gehalts in der Atmosphäre von etwa 1970." Das sei gerade mal die Hälfte des heute wirksamen
Treibhauseffekts.
Der Klimawandel in den nächsten 30 Jahren ist also pogrammiert, wird sich nicht mehr aufhalten lassen. In
diesem Zeitraum werden die Temperaturen im globalen Durchschnitt noch einmal um ein Grad steigen, "das
können wir relativ genau prognostizieren."
Doch der Temperaturanstieg erfolgt regional unterschiedlich. Hier im Westen der Republik werden die
Temperaturen zwischen einem und anderthalb Grad ansteigen, im Alpenraum dagegen schon um zwei Grad.
Doch auch, wenn sich diese Entwicklung nicht mehr aufhalten lässt, "wir müssen noch viel mehr und schneller
etwas für den Klimaschutz tun, um das zukünftige Klima auf einen noch einigermaßen tolerierbaren Wert
stabilisieren zu können."
Deswegen sind die Forderungen des Experten klar. "Wir dürfen nicht nur über CO2-Vermeidungsstrategien
diskutieren, sondern müssen uns ernsthaft mit Anpassungsstrategien beschäftigen." (NRZ)
02.02.2007
MAREN GIESE
NRZ
Samstag 03.02.2007
Düstere Aussichten: UN-Klimabericht mahnt zum Handeln
Paris/Hamburg (dpa) - Düstere Aussichten für das Weltklima: Ein Temperaturanstieg um bis zu 6,4 Grad
und die Erhöhung des Meeresspiegels um mehr als einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts.
Das sind die alarmierenden Prognosen des vierten UN-Klimaberichts.
(Text wie im nächsten Bericht)
NRZ
Samstag 03.02.2007
US-Regierung begrüßt Klima-Bericht
New York/Washington/Paris (dpa) - UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat als Reaktion auf den Bericht der
Vereinten Nationen zur Erderwärmung einen entschlosseneren Kampf gegen den Klimawandel gefordert.
In einer in New York verbreiteten Erklärung der Vereinten Nationen verlangte Ban eine weltweite Antwort.
Blick auf die Wüste in Ejina Qi im Norden Chinas, die sich immer weiter ausdehnt (Archivbild).
Angesichts der bedrohlichen Geschwindigkeit, die der vom Menschen verursachte Klimawandel angenommen
habe, müsste »schneller« und »mit größerer Entschiedenheit« gehandelt werden.
Die US-Regierung begrüßte den am Freitag in Paris vorgestellt UN- Klimabericht. Die zentralen Erkenntnisse der
Untersuchung seien »eine wertvolle Informationsquelle für politische Entscheidungsträger«, betonte die USDelegationsleiterin beim UN-Umweltgremium IPCC, Sharon Hays, in einer vom Weißen Haus verbreiteten
Erklärung.
Der UN-Klimabericht prognostiziert einen Temperaturanstieg um bis zu 6,4 Grad und die Erhöhung des
Meeresspiegels um mehr als einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts. Das Dokument stellt die
Verantwortung des Menschen für die globale Erwärmung so deutlich heraus wie nie zuvor. »Mit dem nun
vorliegenden Bericht sollten letzte Zweifel ausgeräumt sein, dass wir Menschen es sind, die die Klimaschraube
überdrehen«, sagte der Klima-Chefberater der Bundesregierung, Hans Joachim Schellnhuber, zu dem am Freitag
in Paris veröffentlichten Dokument des UN-Klimarats IPCC.
Der Report des zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (Intergovernmental Panel on Climate
Change; IPCC) präsentiert sechs Szenarien für die Erderwärmung bis zum Jahr 2100. Im besten Fall ist demnach
mit einer Temperaturerhöhung von 1,1 bis 2,9 Grad Celsius zu rechnen, im schlimmsten Fall mit 2,4 bis 6,4 Grad.
-5-
Der Anstieg des Meeresspiegels beträgt im besten Szenario 18 bis 38 Zentimeter, im schlimmsten 26 bis 59
Zentimeter.
Elf der vergangenen zwölf Jahre seien unter den zwölf wärmsten seit dem Beginn der Aufzeichnungen Mitte des
19. Jahrhunderts, heißt es in dem Dokument weiter. Demnach steigt die Temperatur in den nächsten zwei
Jahrzehnten alle zehn Jahre um 0,2 Grad. Der von 2500 Forschern in sechs Jahren ausgearbeiteten Studie
liegen rund 400 Klimasimulationen und hunderte weitere Untersuchungen zu Grunde. Zwischen 1850 - dem
Beginn der Aufzeichnungen - und dem Jahr 2005 sei die Temperatur bereits um 0,76 Grad gestiegen.
Angesichts dieser Daten kann es Experten zufolge nur noch darum gehen, die Folgen des Klimawandels
abzumildern - aufhalten lässt er sich nicht mehr. Selbst wenn die Konzentration der Treibhausgase im Jahr 2000
auf dem damaligen Stand eingefroren worden wäre, wäre auf einige Zeit ein Temperaturzuwachs von 0,1 Grad
Celsius pro Jahrzehnt zu erwarten, hieß es in Paris.
Der Direktor des UN-Umweltprogramms UNEP, Achim Steiner, schlug einen Weltklimagipfel der Staats- und
Regierungschefs vor. An diesem sollten unter anderen auch US-Präsident George W. Bush und die politischen
Führer der Schwellenländer China, Indien und Brasilien und strenge Auflagen für die Industrie erreichen. Als erste
Schritte müssten fossile Brennstoffe effizienter genutzt und die Verwendung alternativer Energien mit Hilfe von
Förderprogrammen vorangetrieben werden, verlangte WWF-Klimaschutzexpertin Regine Günther.
Die Folgen der vom Menschen verursachten Erderwärmung seien in Deutschland bereits heute eindeutig
nachweisbar, sagte einer der Hauptautoren des Berichts, der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf. »In
Deutschland beobachten wir einen Trend hin zu größerer Trockenheit im Sommer, insbesondere im östlichen
Teil.« Folgen zeigten sich zudem an Nord- und Ostseeküste. Dort werde im Vergleich zum globalen Mittelwert
künftig sogar ein überdurchschnittlicher Anstieg des Meeresspiegels erwartet.
Im April und Mai werden zwei weitere IPCC-Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse über »Auswirkungen, Anpassung
und Verletzlichkeit« sowie über die »mögliche Entschärfung des Klimawandels« vorlegen.
03.02.2007 dpa
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Samstag 03.02.2007
Klima: 40 Staaten fordern UN-Umweltorganisation
Paris/Berlin (dpa) - Einen Tag nach dem dramatischen UN-Klimabericht haben mehr als 40 Staaten einen
Vorstoß zur Gründung einer schlagkräftigen neuen Umweltorganisation der Vereinten Nationen
unternommen. Den Kern bilden dabei die EU-Staaten.
Ein Kraftwerk in Spanien: Weltweit werden Maßnahmen gegen den Klimawandel gefordert
Diese »Pioniergruppe« wolle die Idee bei einem Treffen in Marokko vorantreiben, heißt es in einem »Pariser
Aufruf«, der zum Abschluss der Internationalen Umweltkonferenz am Samstag in Paris beschlossen wurde. UNGeneralsekretär Ban Ki Moon forderte unterdessen einen
entschlosseneren Kampf gegen den Klimawandel. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas warf Deutschland eine
zu zögerliche Haltung vor. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verwies dagegen auf das Erreichte.
Der am Freitag auf der Pariser Konferenz vorgestellte UN- Klimabericht prognostiziert einen Temperaturanstieg
um bis zu 6,4 Grad und die Erhöhung des Meeresspiegels um bis zu 59 Zentimeter bis Ende des Jahrhunderts.
Als Konsequenz warnte Umweltbundesamt- Präsident Andreas Troge bereits vor der Ausbreitung in Deutschland
unbekannter Krankheiten. In der »Neuen Osnabrücker Zeitung« (Samstag) riet er, den öffentlichen
Infektionsschutz zu verstärken.
Die neue UN-Umweltorganisation soll nach dem Vorbild der Weltgesundheitsorganisation WHO ein eigenes
Budget haben und mit seinen Analyse- und Entscheidungsbefugnissen weit mehr Kompetenzen erhalten als das
bestehende UN-Umweltprogramm. Die USA und China sehen das Projekt bisher skeptisch.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte die Unterstützung Berlins zu.
Die Umweltkonferenz rief alle Staaten dazu auf, sich anzuschließen und außerdem eine »universelle Erklärung
der Umweltrechte und - pflichten« zu beschließen. Das Modell des Wirtschaftens auf der Basis »zügelloser
Verschwendung der Naturressourcen« müsse einem Modell nachhaltigen und ökologischen Wachstums weichen.
UN-Generalsekretär Ban verlangte als Reaktion auf den Klimabericht eine weltweite Antwort. Angesichts der
bedrohlichen Geschwindigkeit, die der vom Menschen verursachte Klimawandel angenommen habe, müsste
-6-
schneller und mit größerer Entschiedenheit gehandelt werden. Bundesminister Gabriel forderte in der »Welt«
(Samstag) einen Welt-Klimagipfel aller Staats- und Regierungschefs der UN.
Vor dem Hintergrund des seit Monaten andauernden Streits zwischen EU und Deutschland über die Höhe
zulässiger Kohlendioxid-Emissionen attackierte Umweltkommissar Dimas Berlin mit deutlichen Worten. Die
Bundesrepublik unternehme zwar »ehrliche Bemühungen, ist aber leider derzeit keineswegs Vorreiter beim
Klimaschutz«, sagte er der »Bild am Sonntag«. Andere Staaten seien bereits näher an ihrem Kyoto-Ziel, etwa
Großbritannien und Schweden. »Andere wiederum verstecken sich hinter Deutschland. Erst wenn Deutschland
den schönen Reden Taten folgen lässt, können auch die anderen sich nicht mehr verstecken.«
Demgegenüber betonte Bundeskanzlerin Merkel in dem Blatt: »Schon heute erbringt Deutschland allein 75
Prozent der in der EU insgesamt zwischen 2008 und 2012 zu erbringenden Senkung der Treibhausgase.« Sie
beharrte auf der deutschen Position: »Wir brauchen ein international abgestimmtes Vorgehen. Die EU soll sich
daher verpflichten, den CO2-Ausstoß bis 2020 insgesamt um 30 Prozent zu verringern. Wir werden dabei
zunächst 20 Prozent anbieten, 30 Prozent bieten wir an, wenn auch Länder wie die USA mitmachen.«
Merkel plädierte zudem erneut dafür, in der EU nach Autogröße gestaffelte Abgasgrenzwerte einzuführen. In der
Kommission selbst ist umstritten, ob dabei pauschale oder nach Fahrzeuggröße gestaffelte Werte gelten sollen.
Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) mahnte in der Berliner »B.Z. am Sonntag«: »Das darf weder Arbeitsplätze gefährden noch das Autofahren teurer machen. Deshalb brauchen wir Zeit, um Festlegungen zu treffen.«
Die Grünen warfen der Kanzlerin »pure Heuchelei« vor. Statt auf Vorleistungen anderer Länder zu hoffen, solle
sich Deutschland eine CO2-Minderung um 40 Prozent bis 2020 zum Ziel setzen. »Dann wird eine EU-weite
Schadstoff-Verringerung um 30 Prozent möglich«, argumentierte Fraktionschefin Renate Künast.
03.02.2007 dpa
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Samstag 03.02.2007
EU-Kommissar heizt Klima-Streit mit Berlin weiter an
Brüssel/Berlin (dpa) - Nach dem dramatischen UN-Bericht zur Erderwärmung hat die EU-Kommission im
Klimaschutz-Streit mit der Bundesregierung nachgelegt. EU-Umweltkommissar Stavros Dimas sagte in der »Bild
am Sonntag«, die Bundesrepublik unternehme zwar »ehrliche Bemühungen, ist aber leider derzeit keineswegs
Vorreiter beim Klimaschutz«.
Demgegenüber betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in dem Blatt: »Schon heute erbringt Deutschland
allein 75 Prozent der in der EU insgesamt zwischen 2008 und 2012 zu erbringenden Senkung der
Treibhausgase.« Die Grünen sprachen von »purer Heuchelei«. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD)
forderte als Konsequenz aus dem UN-Bericht einen Welt-Klimagipfel.
Der am Freitag vorgestellte UN-Klimabericht prognostiziert einen Temperaturanstieg um bis zu 6,4 Grad und die
Erhöhung des Meeresspiegels um bis zu 59 Zentimeter bis Ende des Jahrhunderts. Umweltbundesamt-Präsident
Andreas Troge warnte in der Folge vor der Ausbreitung bisher in Deutschland unbekannter Krankheiten. In der
»Neuen Osnabrücker Zeitung« (Samstag) riet er, den öffentlichen Infektionsschutz zu verstärken.
Die Bundesregierung streitet mit der EU seit Monaten über die Höhe der Kohlendioxid(CO2)-Emissionen. EUKommissar Dimas forderte mit auffallend deutlichen Worten mehr Anstrengungen. »Wenn Deutschland sich quer
stellt, macht der Rest Europas nicht mit. Und wenn Europa nicht mitmacht, macht die ganze Welt nicht mit. Dann
können wir alle einpacken.« Andere Staaten seien bereits näher an ihrem Kyoto-Ziel, etwa Großbritannien und
Schweden. »Andere wiederum verstecken sich hinter Deutschland. Erst wenn Deutschland den schönen Reden
Taten folgen lässt, können auch die anderen sich nicht mehr verstecken.«
Merkel beharrte auf der deutschen Position: »Wir brauchen ein international abgestimmtes Vorgehen. Die EU soll
sich daher verpflichten, den CO2-Ausstoß bis 2020 insgesamt um 30 Prozent zu verringern. Wir werden dabei
zunächst 20 Prozent anbieten, 30 Prozent bieten wir an, wenn auch Länder wie die USA mitmachen.« Sie hob
auch die Hilfe Deutschlands beim Klimaschutz nichteuropäischer Länder hervor. »Wir unterstützen Indien und
China mit moderner Kraftwerks- Technologie, die klimafreundlich arbeitet.«
Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen hält Merkel unter Klima-Gesichtspunkten nicht für nötig:
»Viele Autobahnen haben Beschränkungen, sind mit Verkehrsleitsystemen ausgestattet oder auf
Richtgeschwindigkeiten ausgerichtet. Das dient dem Klimaschutz.« Dagegen hatte der CDU-Umweltbeauftragte
Ole von Beust kürzlich ein Tempolimit nicht ausgeschlossen. Merkel plädierte zudem erneut dafür, in der EU nach
Autogröße gestaffelte Abgasgrenzwerte einzuführen.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast verlangte: »Statt auf Vorleistungen der USA und anderer Länder zu
hoffen, muss Deutschland eine CO2-Minderung um 40 Prozent bis 2020 als nationales Klimaschutz- Ziel sofort
festschreiben. Dann wird eine EU-weite Schadstoff- Verringerung um 30 Prozent möglich.« Der GrünenVorsitzende Reinhard Bütikofer forderte bei »Spiegel-Online«, »nicht weiter Kohlekraftwerke (zu) bauen, solange
die CO2-Abscheidungstechnik nicht funktioniert«.
Gabriel forderte in der Zeitung »Die Welt« (Samstag), »dass sich die Vereinten Nationen auf der Ebene der
Staats- und Regierungschefs sowie in der UN-Generalversammlung mit dem Klimawandel auseinander setzen«.
Die Lösung des Problems könne nicht alleinige Aufgabe von 189 Umweltministern und 5000 Experten sein, wie
auch die Weltklimakonferenz in Nairobi gezeigt habe.
03.02.2007 dpa
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Samstag 03.02.2007
Treibhauseffekt: Wie Meteorologen das Klima simulieren
Eine Mitarbeiterin des Potsdamer Instituts für Klimaforschung (PIK) erläutert an einer Computersimulation das Szenario der globalen Erwärmung (Archivbild).
Hamburg (dpa) - Dem neuen UN-Klimabericht liegen insgesamt fast 400 Simulationen zu Grunde. Eine der
aufwendigsten stammt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Entwickelt wurde das Klimamodell
über Jahre unter der Federführung von Erich Roeckner, der den Ablauf einer solchen Simulation erklärt.
Im ersten Schritt haben unter anderem ÖKONOMEN im Auftrag des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate
Change) geschätzt, wie sich der Energieverbrauch in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich entwickeln wird,
wie viele Menschen leben werden, welche Techniken sie nutzen und wie viel Öl und Gas sie dabei verfeuern.
»Daraus ergeben sich 30 so genannte Emissionsszenarien - man beschreibt also für jedes Jahr der Zukunft die
Menge an Treibhausgasen, die vermutlich in die Luft gelangen werden«, sagt Roeckner.
Daraufhin berechnen zum Beispiel KOHLENSTOFF-KREISLAUFMODELLE, wie viel Kohlendioxid (CO2) in
jedem der künftigen Jahre in der Luft bleiben wird, denn der Ozean und die Pflanzen nehmen einen Teil dieser
Gase auch wieder auf. Ergebnis ist eine voraussichtliche jährliche CO2-Konzentration, die in die späteren
Rechnungen eingeht.
Zudem kalkulieren die Forscher den STRAHLUNGSTRANSFER durch die Erdatmosphäre: Sonnenlicht dringt
durch die Luftschichten, trifft auf die Erde und erwärmt sie. Ein Teil dieser Energie wird nicht ins All
zurückgestrahlt, sondern von Treibhausgasen zurückgehalten. Je mehr Treibhausgase vorhanden sind, um so
stärker erwärmt sich die Atmosphäre. »Hier sind alle Klimamodelle eng beieinander: Bei gleicher Änderung der
CO2-Konzentrationen liefern sie mehr oder weniger die gleichen Strahlungsänderungen«, sagt Roeckner.
Die höheren Temperaturen haben vielfältige Folgen, etwa für das Meereis. »Wenn es schmilzt, wird seine helle
Oberfläche durch die dunkle des Wassers ersetzt. Eis strahlt bis 70 Prozent der einfallenden Sonnenstrahlung
zurück, Wasser nur 10 Prozent. Die Differenz erwärmt das Wasser und schmilzt weiteres Eis - eine positive
RÜCKKOPPLUNG«, sagt der Max-Planck-Forscher. In einer wärmeren Atmosphäre wird zudem mehr
Wasserdampf gespeichert. »Wasserdampf ist noch vor CO2 das wichtigste Treibhausgas. Dadurch bekommen
wir eine weitere Erwärmung.«
Probleme machen den Forschern besonders die WOLKEN. Einerseits reflektieren Wolken Strahlung der Sonne
ins All zurück, andererseits halten Eiswolken in hohen Schichten Wärme auf der Erde zurück. Weil ihre Rolle im
geänderten Klima nicht genau bekannt ist, liegen die Temperaturberechnungen der verschiedenen Klimamodelle
häufig auseinander.
Das Handwerkzeug der Klimaforscher ist die SIMULATION. Die Vorgänge in der Atmosphäre und im Ozean
lassen sich mathematisch beschreiben und damit im Computer nachbilden. Dafür wird die Erde jeweils mit einem
gedachten Gitternetz überzogen. Im Hamburger Atmosphärenmodell beträgt dessen Gitterweite etwa 200
Kilometer - so entstehen auf der Erdoberfläche 18 432 Punkte.
Wie die Schalen einer Zwiebel wölben sich darüber 31 Luftschichten, jede wiederum mit 18 432 Punkten. So
ergeben sich 571 392 Gitterpunkte, an denen acht Gleichungen unter anderem Temperatur, Wind sowie den
Wasser- und Eisgehalt beschreiben. Jeder Wert an einem einzelnen Punkt wirkt sich zu jeder Zeit auf seine
Nachbarn aus. Ein ähnlicher Aufwand wird für den OZEAN getrieben - nur dass die Schichten hier in die Tiefe
des Wassers ragen und dass statt Luft Wasser strömt. Beide Modelle beeinflussen einander.
Der Computer kalkuliert nun die entstehenden Änderungen und verwendet den jeweiligen Endpunkt als Anfang
der neuen Rechnung. Das deutsche IPCC-Modell simuliert das Klima im 12-Minuten-Rhythmus bis zum Jahr
2100. Die riesigen Datenmengen füllen große Bandarchive.
Letztendlich berechnen die Klimaforscher mit alledem den STRAHLUNGSFLUSS durch die Atmosphäre, der von
Wolken, CO2, dem Wasserdampf und vielem mehr bestimmt wird, sowie die daraus resultierenden
Klimaänderungen. Die Variationsmöglichkeiten sind dabei so gigantisch, dass Klimaforscher auf der Basis der
insgesamt 23 IPCC-Modelle nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen können. Exakte Vorhersagen können die
Modelle prinzipiell nicht liefern.
www.mpimet.mpg.de/fileadmin/grafik/presse/Klimaprojektionen2006.pdf
03.02.2007 dpa
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Samstag 03.02.2007
Reportage: Polareis schmilzt, Eisbären sterben aus
Kopenhagen/Nuuk (dpa) - Für die Inuit in Ilulissat ist die Klimakatastrophe vor zehn Jahren Wirklichkeit
geworden. Seither gibt es wegen des kräftigen Temperaturanstiegs kein Treibeis mehr in der Diskobucht
vor Grönlands drittgrößtem Städtchen.
Eisbär im arktischen Meer: Schon jetzt sinken die Bestandszahlen der Eisbären durch das schmelzende arktische Eis massiv, weil die Tiere entweder
verhungern oder auf der Jagd nach Fischen ertrinken.
Die Fischer können nicht mehr mit ihren Hundeschlitten losziehen, um vom Eis aus durch gehackte Löcher
Heilbutt zu fangen. Während die Menschen sich aber noch mit neu angeschafften Booten behelfen können, sieht
es für die Eisbären schlechter aus.
Die Riesenraubtiere verlieren mit dem Verschwinden des Treibeises buchstäblich den Boden unter den Füßen.
Schon jetzt sinken die Bestandszahlen massiv, weil Eisbären entweder verhungern oder bei der Jagd ertrinken.
2040 wird es im arktischen Sommer überhaupt kein Treibeis mehr geben, sagen die Klimaforscher voraus. Das
bedeutet akute Gefahr für den ohnehin dünnen Bestand der Bären.
Solche Schreckensgeschichten rund um den Klimawandel hat die Arktis seit Jahren reichlich zu bieten. Die Erderwärmung vollzieht sich hier etwa doppelt so schnell wie anderswo. Das dabei freigesetzte Schmelzwasser gilt
für den ganzen Planeten als Bedrohung. Mit den schwindenden Eismassen der Arktis befasst sich daher auch der
vierte Bericht des UN-Klimarates (IPCC), den das Gremium am Freitag (2. Februar) in Paris präsentieren wird.
Dass man im Süden Grönlands nun Kartoffeln ernten könne und die Rieseninsel ihrem von der Farbe Grün
kommenden Namen demnächst alle Ehre machen werde, gehört zu den gern erzählten, vermeintlich positiven
Auswirkungen des massiven Klimawandels in der Arktis. Doch die Aussichten sind - wie das Klima - komplex und
überwiegend bedrohlich. »Wir müssen uns schon jetzt sehr praktisch umstellen, obwohl wir in vielen Belangen
noch gar nicht wissen, was genau auf uns zukommt«, schreibt Jens Napatok in einer Broschüre des
Umweltamtes mit Ratschlägen an die Bevölkerung zur »Vorbereitung Grönlands auf den Klimawandel«.
Die Eisfischer von Ilulissat trainieren nun das Manövrieren mit ihren kleinen Booten im nicht ganz ungefährlichen
Gewirr von Eisbergen vor der Küste. Was aber können sie tun, wenn die Erwärmung um geschätzte fünf bis zu
sieben Grad Celsius auch den Permafrostboden aufweicht, auf dem ihre Häuser gebaut sind? Alle 400 000
Ureinwohner der Arktis zwischen Sibirien und Kanada seien in ihrer Kultur, traditionellen Lebensweise und
letztlich auch existenziell gefährdet, warnt die deutsche Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen.
Sie lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf Effekte der Erderwärmung, die andere als Segen betrachten: »Die Arktis
schmilzt nicht nur, sie wird auch geplündert.« Durch den Temperaturanstieg lassen sich die gigantischen
Bodenschätze unter dem Polargrund technisch leichter und vor allem billiger ausbeuten. Während die knapp 50
000 Ureinwohner der Arktis im halbautonom zu Dänemark gehörenden Grönland dies wohl eher als Chance auf
mehr Wohlstand betrachten dürften, sieht es für bettelarme Jakuten, Evenen, Tschuktschen und andere kleine
Bevölkerungsgruppen im politisch und wirtschaftlich brutaleren Russland sehr viel bedrohlicher aus.
Aber auch in Dänemark freuen sich einflussreiche Kräfte über bestimmte Folgen des arktischen Klimawandels,
die andere als apokalyptische Bedrohung empfinden. »Es ist doch herrlich, dass wir bald durch eine eisfreie
Nordostpassage schippern können«, meinte ein Vertreter des Industrieverbandes im Fernsehen. Die größte
Containerflotte der Welt wird von der Kopenhagener Reederei Maersk betrieben. Hier plant man schon fleißig für
die Zeit, wenn sich durch eisfreie Passagen nördlich von Sibirien viel Zeit und Geld für den Transport billiger
asiatischer Massenprodukte zur konsumhungrigen europäischen Kundschaft sparen lässt.
02.02.2007 dpa
NRZ
Samstag 03.02.2007
Reportage: Südsee-Paradiese versinken im Meer
Singapur (dpa) - Nichts ist mehr so wie es früher war auf den Carteret-Inseln. Nur noch von weitem sehen
die Atolle wie ein Südseeparadies aus. An Land nicht: Dort, wo bis vor wenigen Jahren blühende
Obstbäume standen, sind nur noch stinkende Wasserlachen übrig.
-9-
Südsee-Paradiese werden unbewohnbar: Der durch die schmelzenden Eisberge und Gletscher steigende Wasserspiegel des Pazifik lässt die ersten Inseln
versalzen und unfruchtbar werden.
Die Brunnen sind mit Salzwasser gefüllt. Verlassene Hütten, die einst am Strand standen, liegen nun als Ruinen
im Wasser. »Die Flut im vergangenen Juni war die schlimmste, die je einer erlebt hat«, sagt Paul Tobasi, einst
Carteret-Bewohner und heute bei der Provinzregierung auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Hauptinsel
Bougainville für die Atolle zuständig.
Das Inselparadies, zwei Flugstunden von der Hauptstadt Papua-Neuguineas, Port Moresby, und weitere sieben
Stunden im Fischerboot entfernt, versinkt im Meer. Die 2500 Menschen haben Mangroven gepflanzt, um den
Boden in Strandnähe zu festigen. Diesem Zweck dienen auch riesige Wellenbrecher aus Muschelschalen. Aber
der Kampf gegen den Ozean ging verloren.
Ein Schicksal, das auch das Pazifik-Inselreich Tuvalu fürchtet, und Kiribati. Und die Cook-Inseln. Und Fidschi. Der
Wasserspiegel des Pazifik steigt und steigt. Die etwa 2500 Einwohner leben in Angst. »Sie müssen noch in
diesem Jahr umgesiedelt werden«, sagt Tobasi. »In 15 bis 20 Jahren sind die Inseln verschwunden.« Nach 400
Jahren Besiedlung, fügt er hinzu.
Weitere Warnungen werden am Freitag erwartet, wenn die mehr als 2500 Wissenschaftler des UN-Klimarates
(IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) am Freitag (2. Februar) nach sechs Jahren Arbeit ihre
neuen Klima-Vorhersagen vorlegen. Die sieben Millionen Insulaner der 22 Pazifik-Nationen ahnen nichts Gutes:
Schon 2001 warnte der Rat, dass der Meeresspiegel bis Ende dieses Jahrhunderts um bis zu 88 Zentimeter
steigen wird, größtenteils verursacht durch die von Menschen produzierten Treibhausgase, die die Atmosphäre
aufheizen, die Eisberge und Gletscher schmelzen lassen.
Die Einwohner von Carteret, wo die höchste Erhebung gerade einmal 1,70 Meter hoch ist, sollen auf Bougainville
eine neue Bleibe finden. Möglichst in diesem Jahr, wenn das Geld für die Umsiedlung und Land gefunden sind.
Die Insulaner wissen, dass es eilt, sagt Tobasi. Das Leben dort ist kaum mehr auszuhalten. Das Essen wird
knapp. »Sie leben nur noch von Fischen und Kokosnüssen«, sagt Tobasi. »Früher wurden noch süße Kartoffeln,
und im Sumpf Wasserbrotwurzel angepflanzt - das ist alles weg, der Boden ist völlig versalzen.« In den Feldern
schwimmen bei größeren Fluten Stachelrochen und Haie.
Auch auf Tuvalu zwischen Australien und Hawaii sind die Gärten längst verkommen. Die Fischgründe sind durch
das Ausbleichen der Korallen stark dezimiert. Tuvalu hat auf seinen acht Inseln nur fünf Meter hohe »Berge«, und
die Regierung ist realistisch: Sie hat ein Abkommen mit Neuseeland getroffen, das die 11 600 Einwohner
aufnehmen will, wenn es brenzlig wird. In 50 Jahren, so fürchtet die Regierung, könnte das Inselreich
verschwunden sein. Die Vereinten Nationen rechnen bis 2010 mit 50 Millionen Umweltflüchtlingen.
Auf Kiribati haben die 100 000 Einwohner als Trinkwasser praktisch nur noch Regen. Die ohnehin nur flachen
Süßwasser-Reservoire versalzen durch den steigenden Meeresspiegel. Zu dem Inselreich gehörten auch die
unbewohnten Inseln Tarawa und Abanuea. Bis vor einigen Jahren. 1999 verschwanden sie in einem Sturm. Auch
auf den Malediven im Indischen Ozean herrscht Alarm. Einige der 1200 Korallen-Inseln standen nach dem
Tsunami 2004 tagelang unter Wasser. Damals ging das Wasser noch einmal zurück.
02.02.2007 dpa
NRZ
Samstag 03.02.2007
Analyse: Der Klimawandel ist Realität geworden
Paris (dpa) - Den Klimawandel-Zweiflern ist die Grundlage entzogen. Der neue Bericht des UN-Klimarats
IPCC macht die globale Erwärmung von der Vermutung zur Gewissheit. Und die Menschheit muss sich
auf die unabwendbaren Folgen einstellen.
Staubig: Ein Arbeiter schaufelt grobkörnige Kohle in die Mühle einer Kohlefabrik in Peking (Archivfoto).
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»Wer etwas anderes behauptet, kann nicht länger die Wissenschaft als Argument benutzen«, erklärt Sir Martin
Rees, Präsident der renommierten britischen Wissenschaftsakademie Royal Society. Damit weist die neue UNAnalyse den Entscheidern automatisch den Weg: »Wer jetzt noch nicht wach ist, der muss sich fragen, was denn
eigentlich passieren muss, damit man den Ernst der Lage erkennt«, betont der frühere Chef des UNUmweltprogramms und ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer.
»Jeder Regierungschef, der in seinem Amtseid geschworen hat, Schaden von seinem Volk abzuwenden, ist jetzt
zu einer ernsthaften Klimapolitik verpflichtet«, urteilt auch der Geschäftsführer der Umweltorganisation
Germanwatch, Christoph Bals. Es geht nicht zuletzt um unzählige Menschenleben.
Der Erde droht bis Ende des Jahrhunderts eine Klimaerwärmung um bis zu 6,4 Grad Celsius. Dieser plakative
Höchstwert aus dem Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (Intergovernmental Panel
on Climate Change; IPCC) steht für die vielen Details. Das Eis am Nordpol schmilzt. Winde und Meeresströme
ändern sich. Rund ums Mittelmeer wird es wärmer. Extreme Wetterereignisse wie Dürren, schwere
Niederschläge, Hitzwellen und die Intensität tropischer Zyklone haben zugenommen. Die Liste lässt sich
fortsetzen. Jeder einzelne ihrer Punkte bedroht Hunderttausende.
Während die Alarmglocken der Tausenden von Klimawächtern lauter schrillen denn je, verlangt der französische
Präsident Jacques Chirac eine vollwertige UN-Umweltorganisation nach dem Vorbild der
Weltgesundheitsorganisation WHO. »Es ist Zeit für eine Revolution: Die Revolution des Bewusstseins, die
Revolution der Wirtschaft, die Revolution des politischen Handelns«, sagte Chirac am Tag der Veröffentlichung
des UN-Klimaberichts vor 200 Delegierten aus rund 50 Staaten in Paris. »Der Tag rückt näher, an dem der
Klimawandel jeder Kontrolle entgleitet. Wir sind an der Schwelle der Unumkehrbarkeit.«
Die »Routine der Verhandlungen auf Beamtenebene« bringe die Welt nicht weiter, meint auch der Direktor des
UN-Umweltprogramms, Achim Steiner. Er fordert in einem Interview mit der »Frankfurter Rundschau« (Samstag)
einen Weltklimagipfel der Staats- und Regierungschefs. Nach Ansicht der Klimaexperten kann es jetzt nur noch
darum gehen, die Erderwärmung durch rigorose Einschnitte bei den Treibhausgasemissionen auf zwei Grad
Celsius zu begrenzen. »Wenn das erreicht wird, gibt es zwar erhebliche Konsequenzen, aber das wäre sicherlich,
so die Wissenschaftler, noch zu bewältigen«, sagte Töpfer dem Westdeutschen Rundfunk.
Dieses Ziel ist vor allem die Aufgabe jener Länder, die den Löwenanteil der Klima schädigende Gase ausstoßen.
Das sind die Industriestaaten - und zunehmend die mächtigen Schwellenländer China, Indien oder Brasilien.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) verlangt die EU-weite Reduktion der Treibhausgase bis 2020 um 30
Prozent. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) kündigte 255 Millionen Euro für ein
Forschungsprogramm zum »intelligenten Technologiewandel« an.
Ein Patentrezept gegen den Klimawandel ist allerdings nicht zu haben. »Es gibt nicht den Königsweg, es gibt nur
ein Bündel von Maßnahmen«, sagte die Klimaexpertin Regine Günther von der Umweltstiftung WWF in einem
dpa-Gespräch. »Weg von Kohle und Öl, langfristig auch vom Gas und hin zu erneuerbaren Energien«, fordert die
Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim World Wide Fund for Nature (WWF). Nach ihrer Einschätzung
bleiben höchstens noch 15 Jahre Zeit, um die Klimaerwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu halten.
02.02.2007 dpa
NRZ
Samstag 03.02.2007
Hitze, Stürme, Dauerregen: Deutschland bleibt nicht verschont
Hamburg (dpa) - Der globale Klimawandel erfasst unausweichlich auch Deutschland und wird die
Temperaturen bis zum Jahr 2100 je nach Szenario um bis zu vier Grad Celsius steigen lassen.
Schneemangel im Januar als Normalität: Menschenleer und grün ist ein Skihang mit Sessellift bei Winterberg im Sauerland
»Deutschland muss sich spätestens zur Mitte des Jahrhunderts auf die Zunahme extremer Wetterereignisse wie
starker Sommergewitter oder längerer Trockenperioden einstellen«, erklärt Daniela Jacob vom Hamburger MaxPlanck-Institut für Meteorologie. So genau wie sie hat hier zu Lande noch niemand hingeschaut: Jacob schuf
zusammen mit ihren Kollegen die bislang umfassendste Klimasimulation für Deutschland. Unter dem Namen
Remo (Regionalmodell) füllt sie riesige Festplattenstapel.
»Fast gesichert ist, dass sommerliche Starkniederschläge und Gewitter zunehmen«, sagt die Max-PlanckForscherin. Das gelte sowohl für deren Anzahl als auch für die Niederschlagsmenge. Eines der betroffenen
Gebiete ist etwa der gesamte Einzugsbereich der Elbe. Die Prognose sagt zudem doppelt so viele ein- und
zweiwöchige Niedrigwässer am Rhein voraus. Auch lange Hitzeperioden - etwa wie im Jahr 2003 - würden künftig
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wahrscheinlicher. Der Analyse zu Folge wird es von etwa 2020 oder 2030 an im Winter im Durchschnitt rund 10
nasse Tage mehr geben.
Für diese Vorhersage wurde Deutschland mit einem virtuellen Gitter überzogen, dessen Quadrate eine
Kantenlänge von zehn Kilometern haben. An den Gitter-Kreuzungen löst ein Supercomputer beständig rund 70
Gleichungen und bildet damit die Vorgänge des Klimas nach. Im Hamburger Großrechner ist das Netz über
Deutschland damit viel feiner gewebt als anderswo.
Dem Umweltbundesamt und vielen anderen Forschern helfen die Resultate, um sich auf das Kommende
einzustellen. »Diese schnellen und tief greifenden Veränderungen des Klimas in Deutschland können gravierende
Folgen für die Menschen und die Umwelt haben«, heißt es bei der Dessauer Behörde.
Der Blick in die Zukunft prophezeit für die Wintertemperaturen eine stärkere Zunahme als für die Sommerwerte.
»Wir müssen mit 20 bis 30 Prozent mehr Niederschlägen im Winter rechnen, ein Großteil davon als Regen«,
erklärt die Hamburger Forscherin. Am stärksten dürften sich der Süden und Südosten Deutschlands im Winter
erwärmen. Bis zum Jahr 2100 könnten die Winter dort um mehr als vier Grad wärmer werden als im Zeitraum von
1961 bis 1990. Stark rückläufig sind hingegen die Sommerniederschläge in Süd- und Südwestdeutschland sowie
in Nord- Ostdeutschland. Hier könnte es bis zum Ende dieses Jahrhunderts im Vergleich zu heute ein Minus von
bis zu rund 35 Prozent geben.
Stärkere Gewitter erwartet die Meteorologin besonders in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Brandenburg.
An der Westseite des Schwarzwalds könnten die Niederschläge etwas abnehmen. Im Schwarzwald und an
dessen Ostseite hingegen gibt es tendenziell mehr Niederschlag.
Mit dem Blick auf die deutschen Küsten fällt auf, dass bis zum Jahr 2100 die Erwärmung der Ostseeküste mit 2,8
Grad Celsius etwas stärker ausfallen könnte als die der Nordseeküste mit 2,5 Grad. Sonnehungrigen Touristen
wird gefallen, dass der Regen im Sommer um 25 Prozent zurückgehen könnte.
Die mit ähnlichen Vorhersagen befassten rund 15 europäischen Arbeitsgruppen kamen mit dem Hamburger
Verfahren zu vergleichbaren Resultaten: »Die Modelle unterscheiden sich nur noch in der Stärke, nicht darin,
dass etwas passieren wird«, erklärt Jacob.
www.mpimet.mpg.de/wissenschaft/ueberblick
02.02.2007 dpa
NRZ
Montag 05.02.2007
Klimawandel rückt bei den Grünen in den Vordergrund
Gast beim Neujahrsempfang: Der grüne Bundespolitiker Volker Beck. (Foto: Tim Foltin)
Einen bedrohlichen Blick in die Zukunft, der aber zugleich die politische Richtung der Grünen bestätigt, warf
gestern Volker Beck. Der Grünen-Politiker ist Geschäftsführer der Bundestagsfraktion und sprach beim
Neujahrsempfang der Duisburger Grünen. "Wir sind mitten drin im Klimawandel", so Beck, "auch Europa ist voll
betroffen." Beck sprach sehr konkret über die Ergebnisse des 4. UN-Klimaberichts, der am Freitag in Paris
vorgestellt worden war. Danach steigt die Durchschnittstemperatur, die Ozeane schwellen an und die
Wirbelstürme nehmen zu.
Beck: "Die Bundesregierung führt derzeit in der EU und bei der G 7. Sie muss 2007 weitreichende KlimaschutzZiele vereinbaren. Bei Kanzlerin Merkel passen Reden und Handeln nicht zusammen."
In der Grünen-Geschäftsstelle hatten sich rund 40 Teilnehmer versammelt, darunter Teile der grünen Ratsfraktion
sowie der OB. Vorstandsmitglied Susann Ulbricht kündigte an, dass die Grünen in diesem Jahr lokal das Thema
Klima und Ökologie nach vorn rücken wollen.
(ama) 04.02.2007
NRZ
Montag 05.02.2007
Am Anfang steht die Einsicht
Zur Debatte um Klimaschutz-Maßnahmen
Der UN-Klimabericht hat die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Und wie üblich in solchen Situationen verfallen die
Politiker in Aktionismus. Neue Gesetze, neue Gremien sollen her - schnell. Und es gibt Schuldzuweisungen - wie
zwischen Brüssel und Berlin. Das alles soll nur kaschieren, dass in der Vergangenheit effektiv zuwenig passiert
ist. Deutschland und die EU wollen Vorreiter beim Klimaschutz sein - tatsächlich sieht ihre Bilanz positiv aus.
Allerdings nur, wenn man sie mit den Klima-Sündern vergleicht. Zieht man dagegen in Betracht, was alles nicht
geschehen ist, fällt das Ergebnis ernüchternder aus.Stets gab es Gründe für die Unterlassung. Die Menschen tun
sich schwer damit, das Thema so ernst zu nehmen, wie es nötig wäre, weil dies einen Wandel der Lebensstile
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voraussetzt. Das beginnt bei der Entscheidung, welche Verkehrsmittel ich nutze und endet auf internationaler
Ebene, wenn Klimaschutz gegen Wettbewerbsfähigkeit abgewogen wird. Echtes Umsteuern setzt also zuerst
Einsicht voraus, und die muss von unten kommen. Die Menschen müssen bereit sein für die Veränderung - sonst
werden weder Gesetze noch neue UN-Gremien etwas bewegen.
04.02.2007
ANDREAS FETTIG
NRZ
Montag 05.02.2007
Wettrennen gegen den Klimawandel
UMWELT. Wie die veränderten Witterungsbedingungen weltweit die Landwirte unter Druck setzen. Sorge
um Reis-Anbau.
Reisanbau ist in ärmeren Staaten wie Laos noch echte Knochenarbeit - und extrem abhängig von Wasser. Das aber wird wegen des Klimawandels in den
kommenden Jahren zum Problem. Wissenschaftler entwickeln deshalb neue Reissorten. (Foto: dpa)
ESSEN. Wer vom Klimawandel spricht, hat in diesen Tagen vor allem die Bilder der Verwüstung im Kopf, die
Kyrill hinterlassen hat. Aber nicht nur Wälder leiden unter "extremen Witterungsereignissen" wie Fluten, Stürme
und Hitzeperioden: Es trifft auch die Felder - und das nicht zu knapp. Australien, bisher einer der wichtigsten
Getreideexporteure weltweit, leidet unter extremer Dürre - in einzelnen Regionen hat es seit Jahren nicht mehr
geregnet. Das Vieh verdurstet, Getreide verkümmert. Die Erträge sind um 30 % eingebrochen. Die Landwirte
gehen reihenweise pleite. Das Gleiche - allerdings weniger ausgeprägt - gilt für mehrere Regionen in Kanada und
den USA. Die Getreidepreise - etwa für Mais und Weizen - bewegen sich auf einem 10-Jahres-Hoch. Auch in
Spanien, Portugal, Griechenland und Südfrankreich ächzen die Bauern unter dem Klimawandel. Und für 2007
sind erneut Trockenperioden angekündigt.
Vegetationszonen verschieben sich
Das wird in der westlichen Welt nicht zu langfristigen Engpässen führen, wie der Agrar-Experte des Potsdam
Institutes für Klimafolgenforschung, Dr. Frank Wechsung, im Gespräch mit der NRZ erläutert. In hiesigen Breiten
verlagern sich lediglich die Vegetationszonen und mit ihnen die Anbauregionen: Südeuropa mag für die
Landwirtschaft künftig ausfallen. In Skandinavien und Großbritannien wird dagegen neuerdings Wein angebaut.
In Russland werden sich aufgrund des zurückgehenden Permafrosts die landwirtschaftlichen Nutzflächen deutlich
vergrößern.
Dennoch spüren die Landwirte den Anpassungsdruck des Klimawandels. Die deutschen Bauern hatten 2003 und
2006 mit schweren Ertragsverlusten zu kämpfen. So ist im vergangenen Jahr die Kartoffelernte miserabel
ausgefallen - die Pommes werden kleiner und teurer. Das ist bitter für die Verbraucher, aber nicht
besorgniserregend. Wie Martin Schraa, Getreide-Experte bei der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle in
Bonn, berichtet, reagieren die deutschen Landwirte bereits auf die veränderten Witterungs- und
Marktbedingungen: Weizen- und Maisanbau verschiebt sich gen Norden, in Brandenburg - künftig die trockenste
Region Deutschlands - wird verstärkt Roggen angebaut, der weniger empfindlich für Hitzeperioden ist. Es gibt
hier also Möglichkeiten, die klimatischen Veränderungen zu kompensieren.
In anderen Regionen der Erde geht der Klimawandel dagegen an die Lebensgrundlagen.
Ganz düster sieht es in Afrika aus: Südlich der Sahara - jetzt schon die Zone mit den schwierigsten klimatischen
Bedingungen für Landwirtschaft - wird sich die Situation durch die Klimaerwärmung weiter verschärfen.
Verheerend. Aufgrund zunehmender Trockenheit werden weite Teile Afrikas unbewohnbar. Was das heißt, wird
deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass bisher bereits 24 afrikanische Staaten auf Nahrungsmittelhilfen
angewiesen sind.
Der Klimawandel trifft jedoch auch Regionen, die in den vergangenen Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung
ohnegleichen erlebten: Für die mehr als 3,1 Milliarden Menschen der bevölkerungsreichsten Weltregion ist Reis
DAS Nahrungsmittel schlechthin. Laut Angaben der UN-Ernährungsorganisation deckt das weiße Korn in einigen
asiatischen Staaten 80 % des Kalorienbedarfs. Dabei galt bisher im Grundsatz: Der angebaute Reis blieb
weitgehend im Land. Export fand nur in kleinem Rahmen statt: "ein Binnenmarkt", so Agrarexperte Wechsung.
Der europäische Markt wiederum wird zum Großteil aus den USA versorgt.
3000 Liter Wasser für ein Kilogramm Reis
Umso alarmierender werten Beobachter die Tatsache, dass China mittlerweile Reis zukaufen muss. Das gleiche
gilt erstmals auch für die Philippinen. Die Preise steigen bereits deutlich. Die weltweite jährliche Produktion liegt
derzeit bei rund 600 Millionen Tonnen (davon werden rund 85 % in Asien konsumiert). Aber die Nachfrage steigt
angesichts der wachsenden Bevölkerung ständig. Das Internationale Reisforschungsinstitut (IRRI) in Manila hat
- 13 -
errechnet, dass die Produktion bis 2050 sogar verdoppelt werden müsste, um den Bedarf zu decken. Doch
derzeit ist das Gegenteil der Fall: 2004 veröffentlichte ebenfalls das IRRI beunruhigende Ergebnisse einer
Langzeitstudie: Demnach sinken die Reis-Erträge mit jedem Grad Erderwärmung um 15 %, weil die Pflanzen
aufgrund des Hitzestresses weniger schnell wachsen. Als Minimum nehmen die Klimaforscher derzeit jedoch an,
dass die mittlere globale Temperatur um 2 Grad Celsius ansteigt. Bereits jetzt, so der Bericht, sei die Ernte pro
Hektar um 10 % gesunken. Hinzu kommen - in China, Indien, Bangladesch und Vietnam - erhebliche Verluste an
Farmland durch Zersiedelung und Umweltzerstörung.
Eine Ausweitung der Anbaugebiete ist unter den jetzigen Voraussetzungen schwierig: 80 % der globalen ReisErträge werden im sogenannten Nassanbau geerntet. Um ein Kilogramm Reis auf diese Weise zu zu produzieren
braucht es 3000 Liter Wasser. Aufgrund der klimatischen Veränderungen, Abholzung der Wälder und
Bevölkerungswachstum wird Wassermangel aber zunehmend zum Problem der asiatischen Staaten.
Große Hoffnung setzen die Forscher des IRRI daher auf die Entwicklung neuer Sorten: Im Blickpunkt steht vor
allem Hochlandreis, der im Trockenanbau gedeiht - aber derzeit noch deutlich weniger Erträge bringt. Die ReisWissenschaftler arbeiten nun fieberhaft daran, sie zu steigern, um das Wettrennen gegen die absehbare
Ernährungslücke zu gewinnen. Gelingt es nicht, geraten die asiatischen Staaten in Abhängigkeit von
Getreideimporten aus dem Westen. (NRZ)
04.02.2007
ANDREAS FETTIG
NRZ
Montag 05.02.2007
Gefahr erkannt - gebannt ist aber nichts
UMWELT. Die Folgen der Klimaveränderung werden mittlerweile wahrgenommen - doch der Mensch
bleibt "Nutzenoptimierer".
Das wäre doch mal klima-konsequentes Handeln: Auto stehen lassen und radeln. Auf der Autobahn geht das aber nur bei Einweihungen neuer Teilstücke.
(Foto: dpa)
KASSEL. Der Mensch erkennt zwar die langfristigen Gefahren der globalen Erwärmung, handelt aber kaum
danach. Das Verdrängen der Klimawandelfolgen ist dabei nach Darstellung des Kasseler Umweltpsychologen
Prof. Andreas Ernst Teil des natürlichen menschlichen Verhaltens. "Wir sind - da ähneln wir Ratten - von der
Evolution darauf festgelegt, unsere Vorteile zu suchen und sie wahrzunehmen", sagte der Sprecher der
Fachgruppe Umweltpsychologie in der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. "Wir sind Nutzenoptimierer.
Kurzfristige Erfolge sind uns daher lieber als langfristige."
Weil das vom Menschen geschaffene Klimaproblem erst mit vielen Jahren Verzögerung sichtbar werde, sei ein
kurzfristiges Umdenken in den Industrieländern daher nicht zu erwarten, betonte Ernst. Die bloße Kenntnis der
Probleme reiche leider nicht aus, um dieser "Zeitfalle" zu entgehen. "Junge Menschen wissen heute sehr viel
über ökologische Zusammenhänge, aber sie leben nicht danach und haben keine Sparkultur. Verzicht ist auch
nicht sexy, das ist kein politisches Programm, mit dem man einen Blumentopf gewinnen könnte", ergänzte der
Psychologe.
Auch bedeute ein ernst gemeinter Verzicht paradoxerweise zunächst einmal Investitionen in neue
Sparmaßnahmen, etwa in die nachhaltige Energieversorgung. Zudem müsse der Individualverkehr
zurückgeschraubt und der öffentliche Transport ausgebaut werden. Das alles trage erst später Früchte. "Darüber
herrscht sogar weitgehend Einigkeit, aber es gibt dennoch eine große Resistenz gegen Veränderungen. Das
wohnt dem Menschen inne", sagte Ernst. Ohne "glasklare Aussagen der Politik" werde dieser Prozess noch
problematischer.
Ohne Beharrlichkeit kein Wandel
Um dennoch zumindest zu einem langsamen Wandel im Verhalten zu kommen, sei aber gerade ein beharrliches
politisches Engagement nötig. So könne die EU "scheibchenweise die Daumenschraube der höheren Preise oder
niedrigeren Grenzwerte anziehen", um weniger Klima schädliche Produkte durchzusetzen. Probleme wie jüngst
mit dem Sturm Kyrill und seinen großen wirtschaftlichen Folgen könnten das Problem weiter ins Bewusstsein der
Menschen tragen. "Nur das alles zusammen kann einen breiten gesellschaftlichen Lernprozess auslösen",
ergänzte Ernst.
"Ich hoffe, dass das ohne allzu große Katastrophen abgeht." Einen Weg zu mehr Klimaschutz sieht der
Umweltpsychologe unter anderem in einer umfassenden Umweltbildung. "Ein schlechtes Gewissen ist auch sehr
hilfreich und eine Motivation, das eigene Verhalten zu ändern". Hinzu kommen müsse aber eine Gesetzgebung,
die allen Menschen die gleichen Kosten für ihr Klima schädigendes Verhalten auferlege. "Das würde allen
Beteiligten die gleichen Pflichten auferlegen." (dpa)
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Samstag 03.02.2007
Umweltpsychologie: Warum der Mensch nicht handelt
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