Grundrechte im DDR-Sozialismus. Der Kommentar eines Juristen zum Entwurf der neuen DDR- Verfassung 1968 5 10 15 20 25 30 35 40 Auch eine Charakterisierung des Wesens der sozialistischen Grundrechte und Grundpflichten des Bürgers muß stets mit der Frage verbunden sein, wer die politische und ökonomische Macht ausübt und wem sie zu dienen hat. Weil aber unter sozialistischen Bedingungen die Macht der Werktätigen auch den Inhalt der Grundrechte und Grundpflichten, ihrer Verankerung, Verwirklichung und Gewährleistung bestimmt, widerspiegeln auch sie in ihrer Gesamtheit alle wesentlichen Seiten der Stellung des Bürgers in der sozialistischen Gesellschaft. [...] So zeigt und verbürgt der Verfassungsentwurf mit den Grundrechten und Grundpflichten jedem Bürger reale Wege, wie er durch sein bewußtes Handeln gleichermaßen zur Entwicklung der Gesellschaft und seiner Persönlichkeit beitragen kann und soll. Jedes Grundrecht und jede Grundpflicht verkörpert ein objektives Erfordernis für diese sich wechselseitig bedingende Entwicklung. Die Verfassungskonzeption wendet sich entschieden gegen die verlogene bürgerliche Fiktion von einer angeblich staatsfreien Sphäre, die durch die Bürgerrechte gesichert sein soll. Der sozialistische Staat ist das Machtinstrument der Werktätigen; sie brauchen nicht vor der Macht geschützt zu werden, die sie selbst revolutionär geschaffen haben und nach ihrem Willen und Interesse ausüben. Die Inanspruchnahme und Verwirklichung der Grundrechte durch die Bürger führt nicht zu ihrer Isolierung von der Gesellschaft, sondern läßt sie als Glieder der sozialistischen Menschengemeinschaft bewußt handeln. [...] Eine wesentliche Erkenntnis, die sich im Entwurf der Verfassung durchgängig widerspiegelt, besteht darin, daß die sozialistischen Grundrechte aus den gesellschaftlichen Verhältnissen des Sozialismus selbst erwachsen, keine bloße Weiterentwicklung bürgerlicher Grundrechte sind. Das ist ohnehin evident für die Freiheit von Ausbeutung, Unterdrückung und wirtschaftlicher Abhängigkeit (Art. 18 Abs. 3)1, die keine bürgerliche Verfassung zu regeln und zu sichern vermag. Sie ist erst in der sozialistischen Gesellschaft mit der Überwindung des Privateigentums an Produktionsmitteln möglich und bildet überhaupt die entscheidende Voraussetzung für die Freiheits- und Persönlichkeitsentfaltung aller Bürger, für die Gleichheit ihrer Grundrechte, für die sozialistische Qualität und Sicherung dieser Rechte. [...] Einschränkungen, die es bei einigen von ihnen gibt, liegen im objektiv begründeten Interesse der Gemeinschaft und der Bürger selbst. Niemand kann daran interessiert sein, daß beispielsweise unter Vortäuschung freier Meinungsäußerung nach Art. 232, anstatt konstruktive Meinungen über die Lösung der gesellschaftlichen und staatlichen Aufgaben und Probleme auszutauschen oder selbst Lösungen zu finden, anstatt sachliche Kritik an auftretenden Mängeln zu üben, destruktiv und absichtlich die sozialistische Demokratie, der Aufbau des Sozialismus geschädigt wird. Poppe, Eberhard: Der Verfassungsentwurf und die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger. In; Staat und Recht 17(1968)4, S. 532-542. Aus: Mathias Judt, DDR-Geschichte in Dokumenten, Berlin 1998, S.80f. 1 Dieser Artikel des Entwurfs entspricht Art. 19, 3 der verabschiedeten Verfassung vom 6.4.1968: »Frei von Ausbeutung. Unterdrückung und wirtschaftlicher Abhängigkeit hat jeder Bürger gleiche Rechte und vielfältige Möglichkeiten, seine Fähigkeiten in vollem Umfange zu entwickeln [...] 2 Entspricht Art. 27, l der Verfassung vom 6.4.1968: »Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik hat das Recht, den Grundsätzen dieser Verfassung gemäß seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Dieses Recht wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt. Niemand darf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Die Regierung als Ausführungsorgan der SED - das Ministerratsgesetz 16. Oktober 1972 § l (1) Der Ministerrat ist als Organ der Volkskammer die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Er arbeitet unter Führung der Partei der Arbeiterklasse im Auftrage der Volkskammer die Grundsätze der staatlichen Innen- und Außenpolitik aus und leitet die einheitliche Durchführung der Staatspolitik der Deutschen Demokratischen Republik. Der Ministerrat organisiert die Erfüllung der politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen sowie der ihm übertragenen Verteidigungsaufgaben der Deutschen Demokratischen Republik, des sozialistischen Staates der Arbeiter und Bauern. [...] § 2 (1) Der Ministerrat erfüllt seine Aufgaben in Verwirklichung der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer. [...] § 3 (1) Der Ministerrat leitet unter Ausnutzung der ökonomischen Gesetze des Sozialismus die Volkswirtschaft entsprechend den Direktiven der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, den langfristigen Plänen, den Fünfjahr- und Jahresplänen und sichert die planmäßige proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft. Er legt die Grundrichtung und die Hauptaufgaben zur Verwirklichung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts fest und sichert das dafür erforderliche Forschungs- und Entwicklungspotential. [...] § 5 (1) Der Ministerrat leitet die Durchführung der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik auf der Grundlage der Beschlüsse der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Die Tätigkeit des Ministerrates ist darauf gerichtet, die günstigsten äußeren Bedingungen für den weiteren Aufbau des Sozialismus in der DDR zu schaffen. [...] § 14 (1) Die Minister und die Leiter der anderen zentralen Staatsorgane leiten die ihnen übertragenen Verantwortungsbereiche nach dem Prinzip der Einzelleitung. Sie sind verpflichtet, die Durchführung der Beschlüsse der Partei der Arbeiterklasse, der Gesetze und anderer Rechtsvorschriften in eigener Verantwortung zu sichern und die hierzu erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Oktober 1972. In: GB1.1,5,253-256. Aus: Mathias Judt, DDR-Geschichte in Dokumenten, Berlin 1998, S.81.