Statement Griechenland – was läuft falsch, was muss

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Deutschland – Totengräber der Währungsunion?
Die Weigerung der deutschen Bundesregierung, Griechenland in der sich seit Monaten
zuspitzenden Schuldenkrise unter die Arme zu greifen, hat die griechische Krise zu einer
europäischen Krise werden lassen. Mehr noch, mittlerweile steht die Zukunft der
Währungsunion auf dem Spiel. Darüber entscheiden wird maßgeblich das Verhalten der
deutschen Politik.
Das vor allem in Deutschland – aber auch in Österreich – verbreitete Griechenland-Bashing
und das kaum verhohlene Wiederaufleben anti-griechischer Ressentiments, ist nicht nur
ökonomisch gefährlich, sondern wird die kulturelle Kluft zwischen den Mitgliedsstaaten der
EU vertiefen und damit die Fundamente einer weitergehenden politischen Integration
aushöhlen. Wer am Projekt Europa festhalten will, sollte gerade in der Krise nicht
populistischen Verkürzungen erliegen, sondern eine ausgewogene Ursachenforschung
betreiben. Das bedeutet zum ersten, anzuerkennen, dass es hausgemachte Fehler der
griechischen Wirtschaftspolitik der letzten 10 Jahre gegeben hat – so war das Budgetdefizit
vor Ausbruch der Krise bei hohen 5%. Die derzeitige Höhe des Defizits (13%) ist aber
maßgeblich auf den Ausbruch der globalen Finanzkrise zurückführen. Es kann nicht als
Versagen des griechischen Staats gelten. Die Griechen sind auch entgegen vorherrschender
Vorurteile nicht faul. Das Produktivitätswachstum Griechenland überstieg das deutsche um
das Doppelte seit Einführung des Euro im Jahr 1999. Die Griechen sind auch das Volk mit der
längsten jährlichen Arbeitszeit in Europa.
Zum Zweiten muss man ganz klar sagen, dass Deutschland selbst eine Geschichte als
Budgetsünder hat. So wurde in den Jahren 2001-2005 das Defizitkriterium des Stabilitätspakts
regelmäßig verletzt. Auf maßgebliches Drängen der deutschen Regierung ist es 2005 zu einer
Aufweichung des Stabilitätspakts gekommen. Übrigens ist die deutsche Bundesregierung
damals kläglich mit dem Versuch gescheitert, sein Budget durch Sparprogramme zu sanieren.
Genau das wird jetzt aber von Griechenland verlangt. Die Regierung Merkel misst also mit
zweierlei Maß, wenn es jetzt Griechenland und anderen EU-Staaten brutale Sparprogramme
aufzwingen will.
Drittens hätte es gar nicht soweit mit Griechenland kommen müssen. Die regelrechte
Verzögerungstaktik der Bundesregierung während der letzten Monate bei der Ausarbeitung
des Hilfspakets hat zu einer massiven Verunsicherung auf den Finanzmärkten geführt und
Spekulanten auf den Plan gerufen, die auf einen Staatsbankrott Griechenlands gewettet haben.
Daher das Explodieren der Risikoaufschläge auf griechische Staatsanleihen der letzten
Wochen. Bei einer raschen Rettungsaktion wäre eine solche Dynamik erst gar nicht
entstanden.
Viertens verstellt der herrschende wirtschaftspolitische Diskurs in Deutschland den Blick auf
die ökonomischen Funktionsbedingungen einer Währungsunion. Der erste Grundsatz lautet,
dass die makroökonomische Stabilität einer Währungsunion nur dann gewährleistet werden
kann, wenn es zu einer realen Konvergenz von Preisen und Löhnen kommt. Hierbei spielt die
Lohnpolitik eine zentrale Rolle. Nur wenn die Lohnabschlüsse in den Mitgliedsstaaten sich an
der Zielinflationsrate der EZB und dem nationalen Produktivitätswachstum orientieren, kann
verhindert werden, dass es zu einer Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten kommt.
Gelingt dies nicht, kommt es unweigerlich zu Veränderungen der preislichen
Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Exportindustrien, die dann wiederum zu steigenden
Handelsbilanzungleichgewichten führen. Genau das ist in der Währungsunion passiert.
Länder wie Griechenland hatten in den letzten 10 Jahren zu hohe Lohnabschlüsse mit
dementsprechend negativen Effekten auf ihren Handelsbilanzsaldo (-14% 2008). In Ländern
mit unterdurchschnittlichen Lohnabschlüssen, allen voran Deutschland, kam es zu einem
regelrechten Exportboom mit hohen Außenhandelsüberschüssen. Das heißt, beide Seiten
haben gegen die Regeln verstoßen, die einen mit zu hohen Lohnabschlüssen, die anderen mit
zu niedrigen. Wenn kleine Länder wie Österreich über Exporte wachsen wollen, mag das
noch verkraftbar sein. Wenn das aber die Wachstumsstrategie der größten Volkswirtschaft der
EU ist, muss dies zu massiven außenwirtschaftlichen Verwerfungen führen. In einer
Währungsunion fällt aber das wirtschaftspolitische Mittel der Wahl zum Abbau von
Handelsbilanzungleichgewichten, nämlich eine Währungsabwertung, weg. Der Abbau des
Ungleichgewichts geht nur über eine reale Ab- bzw. Aufwertung. Mit anderen Worten:
Griechenland muss seine Preise und Löhne senken, Deutschland diese erhöhen. Der derzeitige
Lösungsansatz von EU und IWF konzentriert sich allerdings einseitig auf ersteres, zweiteres
wird ignoriert. Schlimmer noch: das deutsche Establishment weigert sich beharrlich, seinen
Teil der Verantwortung an der Krise anzuerkennen und die notwendigen strukturellen
Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im Gegenteil: am Dogma, dass die Erhöhung der preislichen
Wettbewerbsfähigkeit durch niedrige Lohnabschlüsse immer und überall die richtige
wirtschaftspolitische Strategie darstellt, wird hartnäckig festgehalten.
Das in der Diskussion strapazierte moralische Argument, kein Land dürfe über seine
Verhältnisse leben und mehr Schulden aufnehmen als es zurückzahlen kann (und müsse daher
bei Zahlungsunfähigkeit durch strenge Sparauflagen bestraft werden), sieht nicht nur von der
moralischen Verantwortung des Gläubigers ab, sondern zeugt von ökonomischem
Masochismus und politischer Kurzsichtigkeit. Wenn Griechenland – und in weiterer Folge
andere von Schuldenkrisen bedrohte Länder wie Portugal, Spanien oder Irland, jetzt auf Jahre
zu strenger Sparpolitik gezwungen werden, leidet zuallererst die größte europäische
Exportnation, indem für deutsche Exportprodukte Absatzmärkte weg brechen. Zum zweiten
wird damit jede Wachstumsdynamik in den Schuldnerländern abgewürgt, und in Folge dessen
die Fähigkeit zur Rückzahlung der Schulden erst recht wieder in Frage gestellt. Zahlreiche
Schuldenkrisen der jüngeren Geschichte haben gezeigt, dass ein Land sich aus seinen
Schulden nicht heraussparen, sondern nur herauswachsen kann. Entscheidend für die
Zahlungsfähigkeit Griechenlands wird daher sein, dass es rasch auf einen Wachstumspfad
zurückkehren kann. Dafür braucht es kurzfristig Überbrückungskredite von EU und IWF
sowie eine Umschuldung mit einer substanziellen Reduktion der Schuldenlast zulasten der
Gläubiger griechischer Staatsanleihen. Darüber hinaus muss es aber eine partielle Rücknahme
bzw. zeitliche Streckung der überzogen strengen Sparauflagen geben. Nur so kann
Griechenland in die Lage versetzt werden, Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit seiner
Wirtschaft zu tätigen und die schlimmsten sozialen Auswirkungen der Krise auf seine
Bevölkerung abzumildern. Wer in Deutschland und anderswo daran interessiert ist, dass das
europäische Projekt eine politische Zukunft hat, sollte gerade den letzten Punkt nicht aus den
Augen verlieren.
Dr. Werner Raza ist Ökonom und Studiengangsleiter an der FH des bfi Wien.
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