Griechenland: Rettungsschirme als Krieg gegen das Volk? Von der autoritären Wende in Europa Von Mag. Sepp Wall-Strasser MAS Bereichsleiter für Bildung und Zukunftsfragen ÖGB Drei Anläufe brauchte es zur Einleitung dieses Artikels, um damit halbwegs aktuell zu bleiben: In Windeseile ändern sich derzeit dramatisch die politischen Rahmenbedingungen in europäischen Ländern. Am Beispiel Griechenland: zunächst nahm der griechische Premier Papandreou zähneknirschend neue demütigende Auflagen für ein weiteres „Rettungspaket“ hin, dann schlug er– in Anbetracht dessen, dass er wusste, dass diese nie Akzeptanz finden würde - eine Volksabstimmung über dieses Verhandlungsergebnis an. Das offizielle Europa reagiert mit Entsetzen und Panik, die Börsen mit Kursstürzen. Es war selten so gefährlich wie in diesen Zeiten, den Souverän – die BürgerInnen - zu fragen. Einige Tage später wurde er von den Machthabern gezwungen, die Volksabstimmung abzusagen und in Konsequenz davon auch zurückzutreten. In Windeseile wurde ein Notenbanker gefunden, das Land aus der Krise zu führen. Vorübergehend zumindest. Beinahe zeitgleich dazu passierte das Gleiche in Rom. Zwar ist die Figur Berlusconi in keiner Weise vergleichbar mit Papandreou, der neue Premierminister Mario Monti ist aber genau so wenig politisch legitimiert wie sein neuer Amtskollege Papademos. Zufrieden reagieren „die Märkte“. Zumindest vorerst. Eine „Expertenregierung“ traut man doch viel mehr zu als einer durch das Volk gewählten Parteienregierung. Vor unseren Augen spielte sich in den letzten Jahren in Europa eine massive Entdemokratisierung und damit ein eklatanter Rechtsruck ab, eingeleitet und ausgeführt von den etablierten (Volks)Parteien links und rechts der Mitte, die dem Diktat des Marktes folgten, ihm die nötige Freiheit verschafften, und jetzt – nach der Selbstentsorgung der Politik – wie der Zauberlehrling auf das Unwesen starren, das sie losgeschickt haben.1 Der „Fall Griechenland“ (im doppelten Sinne) veranschaulicht dies par excellence. Nach zwei „Rettungsschirmen“ und vor einem „freiwilligen Haircut“, sieht es im Lande wie folgt aus: die Rezession der griechischen Wirtschaft wird heuer laut Prognosen 5 bis 7 Prozent betragen, und dies nach der gewaltigen Rezession von 4,5Prozent im Jahr 2010. Insgesamt ist die griechische Wirtschaft seit 2008 um etwa 13 Prozent 1 Niemand geringerer als die Financial Times konstatierte das jüngst ebenfalls in einer nüchternen Feststellung: „In effect, eurozone policymakers have decided to suspend politics as normal in two countries because they judge is to be a mortal threat to Europe’s monetary unity, a project more than 50 years in the making, is of such overriding importance that politicians accountable to the people must give way to unelected experts who can keep the show on the road.” FT, Enter the technocrats, 12th/13th November, S 7, 2011. geschrumpft. Man sagt, dass es eine so schwere Rezession in Griechenland seit dem Zweiten Weltkrieg in keinem westlichen Land gegeben hat.2 Im Durchschnitt betragen die Einkommensverluste griechischer ArbeitnehmerInnen bis dato rund 3 Monatslöhne, die PensionistInnen erleiden eine Kürzung ihrer Pensionen um 20 bis 35 Prozent. Die Arbeitslosenrate liegt bei 17%, das sind über 800 000 Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit nähert sich der 50%-Marke an. Wie viele Menschen aber derzeit in Griechenland ohne Beschäftigung sind, kann in Wahrheit niemand so recht sagen, denn zur offiziellen Zahl kommen mittlerweile eine große Anzahl an ehemals selbständigen KleinunternehmerInnen, die ihr Geschäft schließen mussten, aber keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben. Trotz zum Teil massiver Anhebung der Mehrwertsteuer gehen die Steuereinnahmen zurück, und der Schuldenstand steigt unaufhörlich. „Die Arbeits- und Lebensbedingungen werden an die der so genannten Dritten Welt herangeführt“, sagte Christos Triantafillou3 beim diesjährigen Forum Jägermayrhof im September in Linz. Denn neben den unmittelbaren finanziellen Einbussen wird hier die immer geforderte „Strukturreform“ beinhart durchgezogen. Im Bereich der ArbeitnehmerInnen- und Gewerkschaftsrechte heißt das, dass z. B. im Bereich des öffentlichen Sektors nicht nur der 13. und 14. Monatsgehalt mehr oder weniger abgeschafft und Beamte einfach entlassen werden (am Tisch liegen geforderte 150 000 Entlassungen), sondern dass auch Tarifverträgen im Bereich des öffentlichen Verkehrs (als ein Modell für alle öffentlichen Unternehmen) einfach abgeschafft werden, und die Wochenarbeitszeit auf Diktat hin einfach auf 40 Stunden (derzeit 37,5 Stunden) erhöht wird. In der Privatwirtschaft werden – ohne Sozialpartnerverhandlungen – u. a. die Löhne für 3 Jahre eingefroren, - das System der Tarifverhandlungen ausgeschaltet und sieht die Möglichkeit von Tarifverträgen unter dem vereinbarten nationalen Mindestlohn vor. Dazu kommt der erzwungene Ausverkauf von Staatseigentum. Von Energie- und Wasserversorgung, Flughäfen, Häfen, Eisenbahnen bis Glücksspiel und Inseln steht alles auf der Verkaufsliste. Die großen internationalen Konzerne und chinesischen Investoren sind seit geraumer Zeit als Schnäppchenjäger unterwegs. Was soll der Sinn dieser Maßnahmen sein? Eine „Rettung“ ist es ja nun wohl nicht. Denn nichts von den offiziell angegebenen Zielen (Abbau des Staatsdefizits, Rückzahlen der Schulden, Wirtschaftswachstum) wird durch diese Maßnahmen erreicht. Im Gegenteil: die Wirtschaft schrumpft, die Ratings werden schlechter, die Situation immer auswegloser. Fazit: diese Politik ist ökonomisch dumm, sozialpolitisch verheerend, und demokratiepolitisch äußerst gefährlich. Die Maßnahmen gegen Griechenland – aber auch gegen alle anderen PIGS (so nennt man in „Fachkreisen“ nicht ohne Genuss die Staaten Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) – dienen als Labor für Sozialabbau in ganz Europa. Denn man nennt sie „Hausaufgaben“, und die werden über kurz oder lang von uns allen verlangt werden, denn wir gehen alle „in die gleiche Schule“. Frankreich, Belgien, und Österreich sind ja auch bereits „unter Beobachtung der Märkte“. Deshalb wird nun unter der politischen Führung Deutschlands von einer Elite an einer neuen Wirtschaftsregierung gebastelt, und der (gegen die Stimmen der 2 So der Berenberg-Ökonom Christian Schulz in der Financial Times Deutschland, 27. 10. 2011 3 Wirtschaftsexperte des griechischen Gewerkschaftsinstitutes INE_GSEE, Athen Sozialdemokraten und der Grünen) beschlossene „six-pack“ ist die erste der „Aufgaben“, die in Zukunft für uns alle angedacht werden. Eine gemeinsame Wirtschaftsregierung war einer der Träume von Jacques Delors, und Forderung von Gewerkschaften, SozialdemokratInnen und Linken in Europa. Ihr Ziel war eine soziale Union. Jetzt wird sie in ihr Gegenteil verkehrt: sie propagiert eine radikale Spar- und Lohnsenkungspolitik, die die bisher schon für den Euroraum schädlichen Leitlinien und monetaristischen Dogmen durch Recht versteinert und letztlich genau zu jenen Resultaten führen wird, die sie angeblich verhindern will. Was der Washington-Consensus einst für die Welt, dieser „Berlin-Consensus“ für Europa bedeuten. Dass daneben Ratingagenturen und „die Märkte“ weiterhin ihr Unwesen treiben, stört Merkel, Ackermann und Co nicht. „Das Ergebnis wird eine verarmte europäische Gesellschaft zum Wohle der Banken, Konzerne und der internationalen Spekulation sein. Derzeit richten sich die legitimen Proteste der BürgerInnen gegen ihre eigenen Herrscher, die fügsame Marionetten der Märkte sind. Werden sie ihre Wut morgen gegen die Europäische Union richten?“ Die Diskreditierung und Demontage der Demokratie ist wahrscheinlich die schlimmste aller Folgen der aktuellen Politik in Europa. Die Menschen in den aktuellen Krisenländern fühlen sich enttäuscht, von der Politik im Stich gelassen, ja verraten. Man führe sich das ebenfalls wieder am Beispiel Griechenlands vor Augen. Da wurde nach Jahren einer korrupten Regierungsepoche mit großer Mehrheit eine sozialistische Regierung gewählt, die mit dem Schlamassel aufräumen will. Privatisierungspläne werden rückgängig gemacht, die Finanzlage des Staates durchforstet, die Menschen fassen wieder Vertrauen in die Politik. Dann kommen die weltweit aktiven Spekulanten auf die Idee, nach den USA Europa abzugrasen. Griechenland bietet sich da als erstes an, und mit der nötigen Stimmungsmache von den „faulen PIGS“ liefern sie es als erstes Schwein dem Schlachtmesser aus. Und jetzt muss diese junge Regierung Schritt für Schritt ausführen, was IWF, die Hardliner der EU und die dahinter liegenden Kapitalinteressen verlangen. Selbst gegen streikende Kleinbetriebe wie Taxiunternehmen und LKW-Fahrer wird mit Polizei, Militär und Notverordnungen vorgegangen. Bislang hat es solche einschneidenden Maßnahmen nur unter Diktaturen oder nach verlorenen Kriegen gegeben. Die politische und wirtschaftliche Elite vollzieht unter dem Vorwand, Europa zu retten, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Sie hat sich zu einem Regieren gegen die Mehrheit der Bevölkerung entschieden. Das Ganze nennt sich nicht von ungefähr „Austeritätspolitik“. Auch dieser Ausdruck kommt aus Griechenland und bezeichnet unter anderem jene Herrscher, die ihr Land streng - mit eiserner Faust – regieren. Wer sagt aber, dass dies schon alles ist? Das Ganze kann noch einen sehr viel höheren Preis haben. Die politische Rechte kann sich derzeit entspannt zurücklehnen, weil die etablierte Politik ihnen die schmutzige Arbeit besorgt, kann umso effektiver an ihrem eigentlichen Ziel, der Machtübernahme in Europa, arbeiten. Was sie auch tut. Ein paar Beispiele dazu: In Griechenland erhielten bei den letzten Kommunalwahlen rechtsextreme ausländerfeindlichen Parteien großen Zulauf4, die ehemals von großer Toleranz und Fortschritt geprägten Niederlande haben die größte Not mir der erstarkten rechten Partei Geert Wilders, Belgien zerfällt fast am nationalistischen Flaams Belang, in Italien ist Neofaschismus nichts Verbotenes, sondern ein moderner attraktiver Markenname, ihre VertreterInnen sitzen in allen nationalen- und regionalen Parlamenten, der regierende Bürgermeister von Rom ist ein bekannter Rechtsextremer, Bombenwerfer und Sargträger der rechtsextremen Attentäter von Bologna, der steirische FP-Obmann und Mitglied der steirischen Landesregierung Gerhard Kurzmann ärgert nicht nur das politische Establishment in Österreich mit kriegerischen Minarettspielen, er ist auch Mitglied der Kameradschaft IV der Waffen-SS und trifft sich regelmäßig mit den Neofaschisten in Italien, eine Strache-FPÖ bekommt schön langsam die höchsten Umfragewerte, im Nachbarland Ungarn marschieren die Jobbik-Schlägertrupps in Paraden landesweit auf und ab, Roma werden verfolgt, gejagt, ermordet, in Schweden sitzen die „Schwedendemokraten“ im Parlament, die mit dem bisherigen sozialen und demokratischen Schweden aber schon gar nichts zu tun haben, und zu schlechter Letzt ermordet ein Rechtsextremer in Oslo achtundsiebzig JungsozialistInnen – es ist bekannt, dass sein Ziel die Vernichtung der (norwegischen) Sozialdemokratie war. Die Trägerrakete ihrer politischen Machtübernahme war bisher immer das die Angstmache durch die von ihnen eingeführte „Ausländer- und Asylantendebatte. Nun gewinnen sie immer mehr Zulauf mit ihrer nach außen hin kapital- und bankenkritischen Rhetorik. Sie kanalisieren Frustration, Wut der einfachen Bevölkerung und das dumpfe Gefühl, dass „wir von denen da oben gelegt werden“. Alle Umfragen weisen darauf hin, dass die extreme Rechte in absehbarer Zeit in den genannten Ländern mit bis zu 30% der Wählerstimmen rechnen kann. Und jeder Tag, an dem die derzeitige Politik die Bevölkerung mit diesen stümperhaften Sparprogrammen drangsaliert, treibt sie dieselbe noch weiter nach rechts. Von der Finanz- über die Wirtschaftskrise schlittern wir immer mehr in eine Gesellschaftskrise. Viele leben noch immer in der Welt des wohlfahrtstaatlichen Europas des letzten Jahrhunderts und glauben, diese sei grundsätzlich gesichert, man habe nur ein bisschen übertrieben. In Wahrheit stehen wir vor einem neuen, jedoch sehr kalten, von enormer wirtschaftlicher Dummheit geprägten, sozial und politisch immer mehr verarmenden Europa. Vor einem undemokratischen, autoritären, politisch äußerst rechtem Austerity-Europa. Ein Meister der Verdrängung, wer’s nicht wahrhaben will. 4 Vgl. Le Monde Diplomatique, deutsche Ausgabe, 10. 12. 2010