Gespräch bei der Erzieherfachschule der Bundeswehr - genial

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Gespräch bei der Erzieherfachschule der Bundeswehr), 8.10.99
Herrn Wilkening (stellv. Rektor)
1. Rahmenbedingungen/Kontext
Die Fachschule der Bundeswehr untersteht der Wehrverwaltung. In ihr werden seit zwei Jahren
Erzieher ausgebildet. Die Studierenden sind Zeitsoldaten, die sich für 12 Jahre verpflichtet haben. Im
Rahmen ihrer Verpflichtung ist ihnen berufliche Förderung zugesichert, d.h. für Soldaten des mittleren
Dienstes besteht die Möglichkeit, eine Erzieherausbildung zu durchlaufen, die den Ausführungsvorschriften und den Inhalten anderer staatlichen Fachschulen entspricht. Die Schule befindet sich auf
dem Gelände der Bundeswehr in Kladow. Sie hat zwei Klassen mit insgesamt 40 Studenten. Während
in anderen Bundeswehrfachschulen auch Frauen eingeschrieben sind – meist aus dem Sani-Dienst –
besuchen in Berlin ausschließlich Männer die Einrichtung. Die Ausbilder kommen per Ausschreibung
an die Schule. Ein Reihe von ihnen hat die Fachhochschule der Bundeswehr absolviert. Für
besondere Aufgaben (Fremdsprachenunterricht) werden externe Lehrkräfte engagiert. Die
Schulverwaltung liegt in den Händen eines ausschließlich für die Einrichtung der Bundeswehr
zuständigen Schulrats. Bei Prüfungen ist ein Senatsvertreter anwesend.
Inhaltlich fühlt sich die Schule den neuen Ausbildungszielen verpflichtet: Weil Soldaten in ihrem
beruflichen Alltag wegen häufiger Standortverlagerungen mobil sein müssen, weil sie Anleitungs- und
Führungspositionen bekleidet haben, bringen sie nach Angaben der Schulleitung aufgrund dieser
beruflichen Sozialisation wie selbstverständlich Fähigkeiten mit, die sie für Konflikt- und
Krisenmanagement für Entscheidungs- und Führungskompetenz qualifizieren. Dies seien auch die
Voraussetzungen dafür, dass die Absolventen in den Bereichen Randgruppenarbeit, Arbeit mit
gewaltbereiten Jugendlichen, Jugendgerichtshilfe und Resozialisierung gute Beschäftigungschancen
hätten. Die Arbeit der an der Bundeswehrschule Ausgebildeten findet kaum im Bereich der
Kindergartenerziehung statt. Trotz dieser produktiven Aspekte gäbe es jedoch Anpassungsprobleme
an die gesellschaftliche Realität. Nach 12 Jahren Bundeswehr müssten die Studierenden im Rahmen
ihrer Ausbildung „zivilisiert“ werden. Dabei habe das Curriculum, in welchem Spielpädagogik einen
wichtigen Anteil habe, große Bedeutung. Wir konnten nicht feststellen, wie weit der Ansatz
Spielpädagogik sich lediglich auf die Fähigkeit bezieht, Regelspiele im Arbeitsprozess einzusetzen,
oder aber ob man Spiel als Voraussetzung für Lebensäußerungen, als individuelle Freude, oder als
Kommunikationsform ansehe. Beklagt wurde der schlechte Ausbildungsstand in Fremdsprachen.
2. Transnationale Praxis
Die Kollegen der Fachschule organisieren selbst eine interne Fortbildung. In diesem Kontext wurde
zwar über die Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses (Institutionenkunde, Verträge von
Maastricht und Amsterdam) gesprochen, jedoch nicht darüber, dass Europa für die berufliche
Ausbildung und Praxis eine unmittelbare Relevanz haben könnte. Das mit der europäischen Einigung
auch der Arbeitsmarkt Europa entstehe, dass die neuen Freiheiten auch für Menschen gelten
müssten, und dass Ausbildung auf diese Bedingungen einzugehen hatte, vermochte unser
Gesprächspartner wohl als Notwendigkeit zu sehen, es gebe jedoch ordnungspolitisch keine
Möglichkeit die durch Stundentafeln vorgegebenen Grenzen zu verändern. Theoretisch könne man
unterstellen, dass Auslandstudienaufenthalte oder Praktika für die Persönlichkeitsentwicklung, für die
fachliche Orientierung und für den Zugewinn an fremdsprachlichen Fähigkeiten auch für politisches
Lernen und interkulturelle Kompetenz bedeutungsvoll seien. Es existierten aber keine
Voraussetzungen derartige Projekte zu realisieren. Eine finanzielle Ausstattung gebe es nicht und weil
man darüber hinaus nicht einmal über Informationen verfüge, sei es müßig darüber nachzudenken,
wie Auslandserfahrungen Teil der Erzieherausbildung werden könnten. Bisher wisse kein Kollege
etwas über EU-Programme und eine systematische Beobachtung der europäischen Bildungs- und
Ausbildungssysteme gebe es auch nicht. Die Studierenden reklamierten überhaupt nicht in ihrer
Ausbildung über das Arbeitsfeld Europa informiert oder für den europäischen Markt qualifiziert zu
werden. Unser Gesprächspartner beklagte, dass es keine Zertifizierung europäischer Maßnahmen
gebe und somit sei eine neue Praxis nicht zu entwickeln. Er tat das, was andere in diesem Kontext
auch häufig äußern. Sie sprechen paradoxerweise über Euro-Pässe oder Zertifizierungen, ehe sie
überhaupt daran denken, eine Praxis herzustellen, die einer Zertifizierung angemessen wäre. Weil
man Ergebnisse von Maßnahmen, die man nicht macht nicht fixieren kann, deshalb macht man keine
Maßnahmen.
3. Erfolgsfaktoren
Die studierenden Soldaten verfügen aufgrund ihrer beruflichen Sozialisation über bestimmte
Schlüsselqualifikationen. Mobilität ist aufgrund des häufigen Standortwechsels selbstverständlich,
Konfliktfähigkeit unumgänglich, wenn man sich in einer Armeestruktur behaupten will. Führungs- und
Entscheidungskompetenz sich unabdingbar für diejenigen, die als Ausbilder oder als Kompaniechefs
sich behaupten wollen. Weil allerdings die Bundeswehr trotz aller ziviler Orientierung (innerer
Führung) eine von der Gesellschaft weitgehend getrennte Institution ist, muss in der Ausbildung eine
Orientierung auf die Zivilität hin erwirkt werden. Die beschriebenen Dispositionen seien gute
Voraussetzungen für zukünftige transnationale Arbeit. Nutzbar für die Anbahnung von Kontakten sei
die gute technologische Ausstattung der Einrichtung sowie das transnationale Kontaktnetz der
Bundeswehr.
4. Hemmnisfaktoren
Die Ausbildungsordnung folgt bestimmten Regelungen. Sie ist an Stundentafeln gebunden und lässt
kaum Veränderungen zu. Eine Diskussion um die Veränderung der Curriculums in Hinsicht auf die
Etablierung von Lernfeldern findet nach Auskunft von W. augenblicklich nicht statt. Ein wesentliches
Problem bestehe darüber hinaus in der Tatsache, dass das fremdsprachliche Vermögen der
Studierenden unentwickelt sei. Könne man noch von gewissen Russisch-Kenntnissen der
Studierenden sprechen, die in der DDR zur Schule gegangen seien, so seien bei diesen, wie auch bei
denen aus dem Westen keine nennenswerten Englischkenntnisse festzustellen. Die Bundeswehr
müsse immer dann, wenn Versetzungen ins Ausland anstünden externe Lehrer einstellen, um in
Crash-Kursen ein in etwa funktionales fremdsprachliches Vermögen herzustellen. Für ein
Berufspraktikum beispielsweise bestehe diese Möglichkeit nicht. Es gäbe kein Budget für
Fachexkursionen oder Praktika, man verfüge nicht über Informationen, wisse nichts über die
Mobilitätsprogramme der Union. Infolgedessen sei man unfähig, Mittel aus diesem Kontext zu
akquirieren. Die Schulaufsicht sei in ihrem Selbstverständnis darauf angelegt, die Ausbildung im
gegebenen Kontext funktional zu halten, als dass sie selbst Innovation, also auch transnationale
Öffnung unterstützen würde.
5. Entwicklungsperspektiven
Die Schulleitung sieht grundsätzlich ein, dass sich die Notwendigkeit zeigt, auf den erweiterten
Arbeitsmarkt Europa konzeptionell zu reagieren. Augenblicklich jedoch existierten außer verstreuten
Kenntnissen über die Ausbildungssysteme anderer europäischer Länder ein fachlicher oder
praktischer Austausch vorbildhafter Vorgehensweisen nicht. Selbst die begriffliche Konnotation von
Good-Practice als Option der Gemeinschaft, die ja die Subsidiarität der berufsbildenden Systeme
synergetisch durch Good-Practice anreichern möchte, ist unbekannt.
Gleichwohl kann man sich eine Koordinationsagentur, die für Information, Hilfe, Begleitung einer neu
zu etablierenden Praxis zur Verfügung stände, gut vorstellen. Man erwarte Hilfe bei der Akquirierung
von Mitteln, bei der Anbahnung von Kontakten, bei der Auswertung von Projekten bis hin zu
Verfahren, die den fachlichen Zugewinn feststellen könnten, um ihn der Ausbildung systematisch
hinzuzufügen. Neue Netze müssen für Praxiskontakte ausgelegt werden. Man selbst könne
überlegen, in wieweit die Bundeswehr-Werkstätten z.B. für Praktikumsplätze junger Leute aus
anderen EU-Ländern zur Verfügung gestellt werden könnten. Es sei generell von Vorteil, wenn
nachweisbar wäre, welchen fachlichen, politischen und sprachlichen Zugewinn europäische Projekte
zeitigten. Das wäre eine gute Argumentation für den Sinn transnationaler Qualifizierungsaspekte.
6. Transfer
Gebe es eine Wahrnehmung von Good-Practice in anderen Ländern, dann seien Fachexkursionen
von Kollegen sinnvoll. Erst dann stelle sich die Frage nach Transfer. Denkbar wäre es, eine TransferOrientierung im Rahmen der von den Kollegen selbst organisierten internen Fortbildung zu
diskutieren.
7. Conclusio
Nach dem eineinhalbstündigen Interview ergaben sich in der Reflexion zusätzliche Fragen. Diese
beziehen sich vor allem darauf, ob man ein identischen Verständnis über Begriffe hat, die man
gemeinsam benutzt (Persönlichkeitsentwicklung, Schlüsselqualifikationen, Spielpädagogik, Animation,
Marktchancen u.a.m. ). Von welchen Einstellungen hängt es ab, wenn Absolventen der
Bundeswehrfachschule leicht Beschäftigung finden? Liegt das an der guten Ausbildung, oder an der
soldatischen Sozialisation? Auch darauf hätte internationale Qualifizierung anzugehen.
Als wir darum baten, Informations- und Werbematerial über die Fachschule zu erhalten, schickte man
uns jugendgemäße Werbeschriften der Bundeswehr. Es ist also offensichtlich nicht notwendig über
den internen Ausbildungskontext hinaus, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wenn ein besonderer
nationaler Markt für die Absolventen der Bundeswehr besteht, dann ergibt sich nicht notwendig ein
Zwang für internationale Qualifizierung.
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