Die wahren Abenteuer Nachlese: Das Gehirn – Ein Beziehungsorgan, Von der verkörperten Psyche zur Ökologie psychischer Krankheit (Vortrag und Workshop von Prof. Thomas Fuchs), 20.03. und 21.03.2014 in Linz System-Umwelt-Beziehungen sind eine komplexe Sache. Sie zu beforschen und anschaulich zu vermitteln, benötigt einen schlauen Fuchs. Einen solchen, nämlich Prof. Dr. Thomas Fuchs, hat das Systemische Institut Linz im März 2014 nach Oberösterreich gelotst. Fuchs ist Professor für Philosophie und Psychiatrie und leitet die Forschungsabteilung „Phänomenologische Psychopathologie“ an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg. Die Einladung zu einem abendlichen Vortrag nahmen über 100 Besucher an. Auch der Workshop am folgenden Tag traf auf breites Interesse. Inhaltlich geht es Thomas Fuchs um die Darstellung der dynamischen Zusammenhänge zwischen Gehirn, Körper und Umwelt. Ganz in der Tradition der Embodiment-Forschung folgt er der These, dass das Bewusstsein einen Körper braucht, der in enger Interaktion mit dem Gehirn und der Umwelt steht. Die Vorstellung, dass Gedanken, Gefühle und Erleben entweder im Gehirn oder in der Psyche entstehen, ist für Fuchs nicht plausibel. Damit widerspricht er sowohl dem neurobiologischen Determinismus als auch zentralen Ideen der klassischen Psychologie. Bewusstsein ist aus seiner Sicht als Integral zu denken, das nur im übergreifenden System von Organismus und Umwelt entsteht. Wenn man Bewusstsein verorten will, dann am ehesten zwischen uns. Als Beleg für diese Thesen zieht Fuchs Ergebnisse aus der Forschung an Kleinkindern heran. Bereits sehr kurz nach der Geburt besteht die Fähigkeit zur Ausdrucksimitation, wofür wir offensichtlich weder ausgeprägte Gehirnfunktionen noch höhere kognitive Fertigkeiten benötigen. In sehr kompakter Form feuert Fuchs seine Thesen in das staunende Publikum: Die Welt ist nicht im Kopf. Das Subjekt ist nicht im Gehirn. Im Gehirn gibt es keine Gedanken. Für ihn ist das Gehirn ein Vermittlungsorgan für die Beziehungen des Lebewesens zu seiner Umwelt. Grundlage des Psychischen ist nur das „Gehirn-im-Lebensvollzug“, in Verbindung mit dem Körper, mit der Umwelt und mit anderen Menschen. Nur in Beziehung zum Körper und zur Umwelt, vermittelt das Gehirn die Erfahrung der Welt. Dabei verändert es sich fortwährend. Es kann so als biographisch, sozial und kulturell geformtes Organ begriffen werden. In Bezug auf diese Thesen präsentiert Fuchs ein ökologisches Konzept psychischer Krankheit. Ärzte und Psychotherapeuten, so Fuchs, sind ständig konfrontiert mit einem kranken Körper, also organischen Funktionsstörungen und einem kranken Leib, sprich Lebensäußerungen von Patienten hinsichtlich Leiden, Ängsten oder Schmerzen. Er beschreibt dies als personalen Doppelaspekt. So sollte sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie ein „Entweder-Oder“ vermieden werden. Jeder Zustand eines Menschen kann als seine Lebensäußerung und als eine Konfiguration physiologischer Prozesse beschrieben werden. Die in der Vergangenheit von Neurowissenschaftlern artikulierte Hoffnung psychische Krankheiten neurobiologisch erklären und somit rein medikamentös behandeln zu können, muss (darf) daher aufgegeben werden. Medikamente wirken nur so lange sie verabreicht werden. Sie können jedoch nicht zu einer nachhaltigen Veränderung oder gar „Heilung“ einer Krankheit beitragen. Vielmehr ebnen sie oft den Boden, auf dem Menschen dann im Rahmen einer Psychotherapie Veränderungen vollziehen können. Unterm Strich bietet Fuchs ein ökosystemisches Modell an, das nicht zuletzt durch seine Nachvollziehbarkeit und Plausibilität besticht. Auch liefert er unzählige Studienergebnisse, die zum Verständnis der Thematik beitragen. Gute Vortragende liefern nicht nur Antworten, sie regen beim Zuhörer neue Fragen an. So bleibt nach den zwei Tagen noch genug zum Weiterdenken übrig: Wen der Mensch, das Individuum, die Person, das Lebewesen denkt und erlebt, vom wem sprechen wir da eigentlich? Wie können wir das Wissen über die Bedeutung des Körpers für die psychotherapeutische Praxis nutzen? Schenken wird der Sprache in der Psychotherapie zu viel Aufmerksamkeit? Was genau ist unter einer interpersonalen Beziehung zu verstehen und welche Aspekte fördern sie? Ist das in die biologische Hirnforschung eingesetzte Geld, gut investiert? Und ganz profan: wie begegnen wir eigentlich in Zukunft dem Hellerschen Liedtext „Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, so sind sie nirgendwo.“? Mag. Christian Zniva, April 2014