Interview Besserfahrer.ch „Senioren wollen mobil sein“ Weshalb lebenslange Bildung auch im Verkehr wichtig ist, erklärt Bernhard Müller, Dozent am Institut Alter der Berner Fachhochschule. Bernhard Müller, Sie forschen und lehren zum Thema Bewegung und Mobilität im Alter. Wie alt sind Sie? Ich werde 53. Ich bin daher genau in dem Alter, in dem man spätestens beginnen sollte, sich mit dem Thema Alter auseinanderzusetzen. Das Alter ist eine wichtige und lange Lebensphase, man sollte sich deshalb gezielt auf sie vorbereiten. Wie wichtig ist Seniorinnen und Senioren das Autofahren? Sehr wichtig. Sie wollen mobil sein. Und zwar bis ins hohe Alter. Dies hat sich in der Evaluationsstudie zur Präventionskampagne routinier.ch des ACS bestätigt. Autofahren bedeutet für ältere Menschen Autonomie, Unabhängigkeit und die Freiheit, ihr Leben selbst zu gestalten. Wenn sie nicht mehr Autofahren können oder dürfen, fühlen sie sich in ihrem Alter sehr eingeschränkt. Sind ältere Personen im Verkehr besonders gefährdet? Ja! Denn bei den meisten nehmen mit zunehmendem Alter die notwendigen Fähigkeiten wie Informationsverarbeitung, Aufmerksamkeit und Konzentration ab. Dadurch wird die Reaktion schlechter, Gefahrensituationen werden später erkannt und die Fahrer werden schneller müde. Senioren bewegen sich daher im Verkehr häufiger im Gefahrenbereich als jüngere Fahrer. Es gibt allerdings geschlechterbedingte Unterschiede. Welche? Für die Männer das eigene Risikoverhalten. Sie fahren eher an der Grenze des Möglichen. Sie fahren weiter, auch wenn sie schon ermüdet sind. Sie merken womöglich, dass sie abgelenkt werden, tun aber nichts dagegen. Auch überschätzen sie ihre Fähigkeiten häufiger als Frauen. Und für die Seniorinnen? Für sie ist die Dichte und Komplexität des Verkehrs häufig ein Problem. Sie fahren eher vorsichtiger als Männer, aber sie haben häufig weniger Routine. Dies kann in kritischen Situationen – oft ausgelöst durch andere Verkehrsteilnehmer – gefährlich werden. Inwiefern schränkt sie das Alter beim Auto- und E-Bike-Fahren sonst noch ein? Die Sehleistung nimmt ab, vor allem im Dunkeln. Wird auch das Hören schlechter, fokussiert man noch stärker auf das Visuelle. Die akustischen Signale, beispielsweise die Tramglocke, werden da plötzlich überhört. Dazu kommt die verminderte Beweglichkeit: Der Winkel der Aufmerksamkeit wird kleiner, der Blick zurück beschwerlicher, das schnelle Schauen schwieriger. Welche Folgen hat dies? Das alles führt dazu, dass die Reaktionsfähigkeit noch mehr abnimmt und die Fahrer unsicher werden und in komplexen Verkehrssituationen schneller überfordert sind. Wer permanent am reagieren statt am agieren ist, ist immer etwas zu spät und im Stress . Da schleicht sich die Angst ein, nicht rechtzeitig reagieren zu können. Die Angst wiederum verschlechtert die Reaktion noch mehr. Das kann gefährlich werden. Sind sich Senioren dessen bewusst? Manche gestehen sich nicht gerne ein, dass diese Fähigkeiten abnehmen. Auch ich war erschüttert, als sich beim Hörtest zeigte, dass ich die hohen Töne nicht mehr höre. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die frühe Sensibilisierung ist daher sehr wichtig. In unserer Studie zeigten älter werdende Autofahrer, Männer und Frauen, jedoch ein starkes Bedürfnis nach Weiterbildung! Was bringt ein Fahrsicherheitskurs? Wer sich weiterbildet, fährt selbstbewusster. Und er kann positive praktische Erfahrungen machen, auch in kritischen Situationen. Das verbessert die Reaktionsfähigkeit stark. Auch lernt er, sich selbst besser einzuschätzen und merkt, dass man im Alter nicht einfach schlechter wird, sondern dass man etwas dagegen tun kann. Was genau? Mit mehr Pausen, regelmässigen Seh-, Hör- und Reaktionstests, körperlicher Fitness sowie Praxis und Theorie. Es sollte selbstverständlich sein, dass man nicht nur für die Apps auf seinem Handy, sondern auch für sich selbst regelmässig ein Update macht. Und das möglichst früh und nicht erst, wenn ein Unfall passiert ist. Wer sagt, er habe das nicht nötig, belügt sich selbst. Zur Person: Bernhard Müller (53) aus Bern ist Dozent am Institut Alter der Berner Fachhochschule. Sein Schwerpunktthema in Weiterbildung und Forschung ist Bewegung im Alter.