Eberhard Klunker eilt der Ruf eines Meistergitarristen und Improvisationsvirtuosen voraus. Der heute sowohl in Fachkreisen wie bei seinem Publikum hoch angesehene Musiker kann auf eine so eigenwillige wie beachtenswerte Karriere und Lebensgeschichte zurückblicken. Dabei zeichnet ihn, neben seiner musikalischen Virtuosität aus, dass er seinen Blick stets nach vorne gerichtet hält und auch heute unverändert neugierig Richtung Zukunft blickt. Klunker, 1952 in Herzberg geboren, ist zunächst Autodidakt und wird 1971, mit kaum neunzehn Jahren, Nachfolger des Gitarristen Hansi Biebl bei der Modern Soul Band. Daneben erwirbt er einen in der damaligen DDR begehrten Berufsausweis als Profi-Musiker in der Musikschule Friedrichshain. Durch die Modern Soul Band lernt er Klaus Lenz kennen und unternimmt mit dessen Bigband zahlreiche Tourneen durch die DDR, bei denen auch die Sängerinnen Veronika Fischer, Christiane Ufholz und Uschi Brüning sowie der Sänger Klaus Nowodworski mitwirken. 1974 wechselt er zur Hansi Biebl Blues Band, mit der er 1975 die LP Savannah aufnimmt. Er gehört nun mit zur Elite der ostdeutschen Rock-, Jazz- und Fusionszene, er spielt mit Größen wie Ernst-Ludwig Petrowski, Conny Bauer und Ulli Gumpert – sein musikalischer Stern strahlt hell, sein Weg scheint klar vorgezeichnet... Doch Eberhard Klunker will etwas anderes für sein Leben. Anfang September 1975 unternimmt er mit seinem Freund, dem Schlagzeuger und Gitarristen Olaf Wegener, der ebenfalls zur Hansi Biebl Blues Band gehörte, eine spektakuläre Flucht aus der DDR. Beide rudern mit einem Schlauchboot bei Einbruch der Dunkelheit in sechszehn Stunden von der Insel Poel bis zur Lübecker Bucht, wo sie am folgenden Tag in der Nähe von Dahme wieder an Land gehen. Der damals erst 23-Jährige beginnt sein Leben und seine musikalische Karriere noch einmal neu, in West-Berlin, das ihm seit dem zur Heimat geworden ist. Hier gründet er mit anderen Ex-DDR-Musikern Windminister. Er nimmt u.a. in den RIAS-Studios auf (auch mit Klaus Renft, Christiane Ufholz, Klaus Lenz, Pete Wyoming Bender) und trifft später Bluesgrößen wie Chris Farlowe und Alexis Corner. Zu seinen musikalischen Wurzeln kehrt er 2010 zurück, als er mit seiner langjährigen Mitstreiterin Christiane Ufholz das Album Live 2010 aufnimmt, das für den „Deutschen Schallplattenpreis“ nominiert wird. In West Berlin findet Eberhard Klunker, der sich im Laufe seiner musikalischen Entwicklung ganz der akustischen Gitarre zugewandt hat, auch die Herausforderung und Anregungen zu seinem neuesten Solo-Album Lietzensee. „Auf der Suche nach einem gut klingenden Raum für Aufnahmen fand ich 2013 die Kirche Am Lietzensee. Mein Ziel war es, den Gitarrensound sehr natürlich aufzunehmen. Zwei Mikrofone nehmen den direkten Gitarrensound und in Abstimmung dazu den Raumkang auf.“ , so Klunker zu dieser Produktion, und weiter „In meiner Musik hat die Improvisation einen sehr großen Stellenwert. Einige Stücke sind ohne jegliche Vorgabe vollständig improvisiert. Andere wiederum entwickeln ihre Form um ein Thema herum aus der spontanen Situation heraus. Jedes Stück ist unwiederholbar in seiner Gestaltung.“ Fragt man Eberhard Klunker nach der Intention und dem musikalischen Background der Kompositionen auf Lietzensee, wird sehr schnell klar, dass hier eines das andere bedingt. Dass die einzelnen Stücke auseinander hervorgehen und, so sehr ein jedes auch als Solitär für sich bestehen kann, sie alle feinnervig miteinander verbunden sind. Mit Solo-Gitarre und nur sparsam punktuell eingesetztem Scat-Gesang zeichnet er wahre Klanglandschaften, die sich als hörbare Essenz von filigranen Tongespinsten bis hin zu percussiven up-tempo Nummern dreidimensional entwickeln. Im ersten Stück bindet er das Sechsuhrläuten der Kirche am Lietzensee mit ein. Gibt diesem Glockenläuten am Klanghorizont gar die Hauptrolle, in dem er dazu frei improvisiert und seine Gitarre durch die Luft schwingt um den Effekt zu verstärken. Ein schöneres „akustisches Portrait“ eines Aufnahmeortes kann es nicht geben! Eberhard Klunker – er ist ein Visionär und in vielen musikalischen Genres zuhause. Einer, der weder als Mensch noch als Musiker Brüche scheut und sich und seinem Instrument doch stets treu bleibt. Einer der so hochsensibel wie fordernd mit seinen Kompositionen und Improvisationen auf der Gitarre ganze Welten neu entstehen lässt und Bestehendes neu miteinander verknüpft. Einer, der seinen Klängen all die Freiheit gibt, die er sich als junger Mann und Musiker zu holen getraut hat. Eberhard Klunker zu den einzelnen Aufnahmen des Albums: 1. Prelude At 6 Da das Album in einer Kirche aufgenommen wurde, war auch mit Glockenläuten zu rechnen. Ich dachte mir, wenn die Glocke um 6 Uhr läutet, werde ich dazu frei improvisieren bis sie wieder verklingt. Dieses Vorspiel soll den Klang der Gitarre und die Akustik der Kirche vorstellen. Um den Effekt zu unterstreichen, habe ich die Gitarre glockenartig in der Luft geschwungen. 2. Some Sambal Nach dem eher getragenen Intro sollte ein rhythmisches Stück folgen. Diese frei und ohne Vorgabe improvisierte Samba stellt erstmalig auf dem Album das percussive Element heraus. Obwohl das Stück tonal an „Prelude At 6“ anschließt bildet es mit seiner up tempo Frische einen guten Kontrast. 3. Swallows In „Swallows“ wird zum ersten mal ein komponiertes Thema vorgestellt, das dann verschiedene Metamorphosen durchläuft. Das rhythmische Konzept ist hier die Übertragung eines swingenden Jazzwaltz von einem Band Arrangement auf die Möglichkeiten der Gitarre. Man hört Bass, Drums und Harmoniefunktion als Grundlage für die darüberliegende Melodie. Der flamencoartige, furiose Schluss bereitet jetzt ein balladeskes Stück vor. 4. Danny Boy Dieses traditionelle Volkslied wurde schon von vielen großartigen Jazzmusikern interpretiert. Herausragend sind für mich die Versionen von Bill Evans und Keith Jarrett. Ich habe mich dafür entschieden, die wunderschöne Melodie nicht zu unterbrechen und nur leicht zu variieren. Lediglich die Klangfarbe und Tonalität der Begleitung verändern sich. Wie bei den meisten Aufnahmen des Albums handelt es sich bei „Danny Boy“ um einen first take. 5. St. Thomas Mit St. Thomas von Sonny Rollins nimmt die Musik wieder Tempo auf. Es kommt zum ersten mal die Stimme als Unisono-Scat zur Gitarrenphrasierung zum Einsatz. Der Schluss verlangsamt das Tempo wieder und leitet schon zum Mid-tempo Swing des nächsten Stückes über. 6. Fredy Das Stück ist meinem Freund Fredy gewidmet. Er ist ein großer Fan von Bigband-Jazz und so enthält „Fredy“ auch Bigband-typische Stilmittel, wie und die harmonischen Sätze im Themenvortrag und die von Percussion unterbrochenen Stoptimes. 7. 13 Diese Komposition basiert weitgehend auf einem 13/8 Takt. Auch die beim Jazz oft angewandte Praxis des Vorstellens der einzelnen Instrumente findet hier ihren Platz. So kommt erst das Schlagzeug, dann der Bass und auch eine Melodiegitarre zum Einsatz. Natürlich ist alles nur einmal und auf einer Gitarre gespielt. 8. Resolution Meine Verbeugung vor dem großen John McLaughlin und seinem Mahavishnu Orchestra. Das Stück Resolution von Album „Birds Of Fire“ ist in seiner erhabenen Strenge eine Herausforderung für einen Gitarristen. Aber die bitonale Harmonik und der eindringliche Rhythmus ermöglichen einen neuartigen Blick auf die großartige Komposition. 9.Bluesette Eine Hommage an Jean Toots Thielemanns und sein Jazz-Evergreen „Bluesette“. Es gibt natürlich viele gute Versionen des Stückes. Mein Favorit ist noch immer seine eigene Einspielung von 1961. Ich habe das Stück improvisierend durch verschiedene Tonarten geführt, ohne mich allzu weit von dem den jazz waltz Grundcharakter zu entfernen. 10. Stop,Stop,Go! Bei „Stop,Stop,Go!“ war als Vorlage lediglich ein durch die Stimme unterstütztes Thema vorhanden, der Rest ist wiederum eine first take – Improvisation. Gegen Ende steigert sich die rhythmische Spannung durch spontane stoptimes derart, dass nur eine völlig unerwartete Schlußwendung das Stück beenden kann. 11. Mr. Hope Meine Komposition „Mr.Hope“ findet sich in einer anderen Version bereits auf dem Album „Bootsmann“ von Windminister (2004). In der „Lietzensee“-Version gibt es viel neues Material für Variation und Improvisation. Bemerkenswert ist hier das für mich völlig unerwartete Einsetzen des Läutens der Kirchenglocken gegen Ende des Stücks, was mich spontan zur Änderung des musikalischen Ablaufs inspiriert hat. Das sind unwiederholbare Momente, die einem Album eine zusätzliche Spannung verleihen. 12. Nuages „Nuages“ von Gitarrengenie Django Reinhardt ist als letztes Stück des Albums eine Hommage an den großen Musiker . Das lässig, lakonische Pfeifen des Themas erzeugt eine Stimmung, die für „Nuages“ sicher überraschend wirkt. Die ruhige Grundstimmung setzt eine gute Schlusswirkung für das gesamte Album. VÖ: April 2015 Vertrieb: New Arts, Finetunes Label: Mons Records - LC06458