Exzerpt zu Jan Chr. Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament Erster Hauptteil: Quellen und Methoden § 1. Quellen § 1.1. Prolegomena -Im Alten Testament, das durchgängig als literarisches und theologisches Kunstwerk bezeichnet werden kann, geht es darum, die eigene Vergangenheit auf dem Hintergrund von Gottes Gegenwart zu deuten und die eigene Gegenwart zu verstehen, um die Zukunft zu gestalten. -Nur unter Vorbehalt ist das AT eine zuverlässige Quelle für historische oder religionsgeschichtliche Fragen -Das AT entwirft die Geschichte des Gottesvolkes, eingebettet zwischen dem Anbeginn der Schöpfung der Welt zu Anfang aller Zeit (Gen 1) und ihre Neuschöpfung am Ende der Zeiten (Jes 60,19), vom Exodus aus Ägypten über den Einzug ins Gelobte Land bis zur Wiederherstellung des Jerusalemer Tempels nach dem Exil (Esra 1-6,18) und dem Aufstand der Makkabäer (1Makk 4,52-59; 2Makk 10,1-8) -Der geographische Raum, in dem sich diese Geschichte abspielt, hat seinen Fokus in der Levante (damals eher Peripherie als Zentrum der Welt) -Palästina und Syrien waren innerhalb der Mittelmeerwelt seit dem 3. Jt.v.Chr. mehr und mehr zum Randgebiet geworden, während sich Ägypten im Süden, Anatolien im Norden, Mesopotamien im Osten und mit den phönizischen Küstenstädten im Westen zunehmend Metropolen und Reiche bildeten, die die Weltpolitik und -wirtschaft bestimmten. -Für viele Autoren des AT spielen die religiösen wie politisch-sozialen Vorgänge innerhalb der Levante keine Rolle, da sie für sie keine Relevanz bezüglich der Glaubensgeschichte mit JHWH besaßen. -Deshalb ist es nötig, andere Quellen hinzuzuziehen, um erkennen zu können, was den atl. Autoren am Herzen lag und was sie späteren Generationen übermitteln wollten -Erkenntnisgewinn liefern u.a. die Geschichtswissenschaft, die Biblische Archäologie, die Palästinaarchäologie und die ikonographischen Quellen -Generell gilt: Je mehr man bereit ist, verschiedene Quellenbereiche (archäologische Befunde, biblische und außerbiblische Texte, Bilder), Methoden und die daraus erarbeiteten Interpretationen miteinander ins Gespräch zu bringen, desto differenzierter, plastischer und dichter wird die vergangene Kultur und Gesellschaft Palästinas zu beschreiben sein. § 1.2. Die Quellen und ihr Verhältnis zueinander -Die Hierarchie der Quellen gliedert sich in: Primärquellen: Diese sind mit archäologischen Methoden datierbare Quellen, die dem Ereignis zeitlich nahe stehen, auf welches sie sich beziehen -Briefe, Verträge, Urkunden etc. Sekundärquellen: Diese stehen den Ereignissen ferner, sei es, dass es sich um Kopie, sei es, um Exzerpte von Primärquellen oder Kommentarwerke handelt. Beziehen sich auf Quellen, deren Echtheit sie nicht mehr überprüfen können Tertiärquellen: Zeitlicher Abstand noch größer als bei Sekundärquellen Quartärquellen: Diese verarbeiten Sekundär- oder Tertiärquellen, ohne ihren Quellenwert noch kritisch nachprüfen zu können -Diese Einteilung der Quellen sagt jedoch nichts über deren qualitative Relevanz aus 1 -Oft initiieren die Autoren des AT theologisch-programmatische und eben keine historischdeskriptiven Aussagen -Biblische Texten scheiden als Primärquellen für historische Fragestellungen weitgehend aus, da sie (hier ist jedoch von Fall zu Fall zu unterscheiden) in beträchtlichem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen geschrieben wurden, von denen sie erzählen. Die Erzählzeit (Zeit des Erzählers/Schreibers) ist von der erzählten Zeit (Zeit der Handlung) zu unterscheiden. -Hinzu kommt, dass viele Texte redaktionell überarbeitet wurden und selten eindeutig datierbar sind -Dennoch kann nicht generell auf das AT als Quelle im Blick auf historische Fragen verzichtet werden, da auch Sekundär-, Tertiär- oder Quartärquellen ihre Berechtigung und ihren Wert haben. Insbesondere in den jungen Schriften, in denen Erzählzeit und erzählte Zeit recht nahe rücken, sind wertvolle Informationen über die sozialen und politischen Verhältnisse der nachexilischen Zeit bewahrt. § 1.2.1. Die biblischen Quellen -Hier sind nur Texte enthalten, die den Glauben an JHWH und im Bezug auf die Verkündigung von Belang waren -Vorteil ggü. archäologischen Quellen ist die Überlieferung von Gedanken, Argumentationsstrategien, Theologien, sozialkritischen, königskritischen oder königsfreundliche Positionen sowie andere Vorstellungen der Menschen des 1. Jt.v.Chr. -Biblische Quellen stammen größtenteils aus der männlichen Oberschicht Jerusalems bzw. wurden dort redigiert -Perspektive des Nordreichs Israels, der Dörfer oder Landstädte kommt nur selten (z.B. in Micha), die von Frauen, Kindern oder Abhängigen fast nie zur Geltung 1. Der Text des AT, Umfang und literarische Gestalt der Schriften: -Der Text des AT wird von vielen antiken und mittelalterlichen Handschriften in vielerlei Sprachen bezeugt (=Textzeugen) -Textdifferenzen bestehen auch zwischen den modernen Ausgaben des Masoretischen Texts, des traditionellen Texts der Hebräischen Bibel, da sie auf verschiedenen Handschriften beruhen. -Grundfrage ist, ob anfänglich Einheit oder Vielheit stand. -Die Konzeption eines Urtexts, von dem alle anderen Textzeugen genetisch abhängen und abschrieben, ist ein theoretischen Konstrukt und wird von manchen Exegeten verworfen, die von mehreren gleich-ursprünglichen Urtexten nebeneinander ausgehen. -Eine neuere These ist, dass die verschiedenen atl. Bücher im Laufe ihrer Entwicklung in revidierten Fassungen je neu editiert wurden, auch dann, wenn ihr literarischen Wachstum bereits abgeschlossen schien und sie als endgültig akzeptierte Fassungen (für Godi, Schule etc.) in Umlauf gesetzt worden waren 2. Die Überlieferungen und Übersetzungen: -„Der“ Text des AT ist ein abstraktes Gebilde, das man aus versch. Textzeugen zusammengesetzt hat, die voneinander abweichen können. Die wichtigsten sind: Der Masoretische Text bzw. textus receptus -gilt in kritischen Editionen als Haupttext; Text wurde schon früh (1. Jh.n.Chr.) von einem Hauptstrom des Judentums (der die Ereignisse um 70 n.Chr. überlebt hatte) als alleiniger Text anerkannt; ein Einzeltext mit dem Namen „Masoretischer Text“ existierte aber nie; Endform mit Vokal- und Akzentzeichen geht auf das Mittelalter zurück; besser ist der Begriff Masoretische Textgruppe Der Samaritanische Pentateuch 2 -Samaritaner überliefern diesen Text in einer besonderen Form der althebräischen Schrift; entstand wohl um 100 v.Chr. als Ausgabe der samaritanischen Religionsgemeinschaft Texte aus der Wüste Juda (Qumran, Masada, Nahal Hever, Wadi Murabb’at) -in aramäischer, hebräischer und griechischer Sprache verfasste Texte; biblische und außerbiblische Inhalte; Texte aus Qumran stammen aus der Zeit 3. Jh.v.Chr. und dem 1. Jh.n.Chr. -Unter diversen Übersetzungen, nehmen allen voran die Septuaginta (LXX, Zielsprache griechisch), die Vulgata (Zielsprache lateinisch) und die Targumim (Zielsprache aramäisch) eine herausragende Stellung ein. -Textkritik versucht, aus den Übersetzungen die hebräischen Vorlagen zu (re-) konstruieren, die der jeweilige Übersetzer benutzte -hier gilt grundsätzlich: Lässt sich die Abweichung einer Übersetzung vom Text der Masoretischen Textgruppe nicht als Resultat theologischer oder didaktischer Auslegung oder übersetzungsimmanenter Verderbnis (z.B. Buchstabenverwechslung; Auslassung im Übersetzungstext) erklären, ist anzunehmen, dass die Übersetzung auf einer anderen hebräischen Vorlage beruht. -Die Übersetzung von biblischen Büchern begann in der Tat mit der Tora wohl in der ersten Hälfte des 3. Jh.v.Chr. in der jüd. Diaspora in Alexandria -LXX enthält neben der griechischen Übersetzung der 24 Bücher des hebräischen Kanons weitere Schriften (Apokryphen (ev.) bzw. deuterokanonische Bücher (röm.kath.)) -Vulgata wurde zwischen 390 und 405 n.Chr. von Hieronymus erarbeitet 3. Die Kanonisierung: -Schriften des AT bilden mit denen des NT nach klassisch-protestantischem Verständnis den Kanon, d.h. die maßgebliche Regel und Richtschnur für die christliche Theologie, Verkündigung und das christliche Handeln. -Idee der Kanonisierung, d.h. dem verbindlichen Ordnen von ausgewählten Schriften, ist seit dem Alten Orient bekannt. -Kanonisierung des hebr. Kanons vollzog sich in mehreren Etappen über mehrere Jahrhunderte -Eine genaue Datierung ist jedoch weitgehend unmöglich; zwei Orientierungspunkte: Jesus Sirach 44-50 (ca. 180 v.Chr.) enthält den Gedanken an eine festgelegte Sammlung der biblischen Bücher; Flavius Josephus ca. 93 n.Chr. formuliert den Gedanken an einen abgeschlossenen und unveränderlichen Bücherkorpus -Die 24 Bücher der Hebräischen Bibel sind in drei Teilen Tora (Gesetz), Nebiim (Propheten = Josua bis Maleachi) und Ketubim (Schriften) zusammengestellt, in denen sich die verschiedenen Stadien ihrer Aufnahme in den Kanon und ihr Verhältnis zueinander niederschlagen. -aus den drei Teilen ergibt sich das Wort TaNaK oder Tenakh, das den hebräischen Kanon bezeichnet -Die Gliederung der verschiedenen Bibeln unterscheidet sich (siehe Tabelle) -Deutsche Bibeln gliedern (nach der Lutherbibel) in: 1. Die Geschichtsbücher, 2. Die Lehrbücher, 3. Die Prophetischen Bücher, wodurch der Dreischritt Vergangenheit Gegenwart - Zukunft entsteht. Dieser lehnt sich an den Aufbau der LXX und der Vulgata an, die jedoch mehr Schriften (Apokryphen) enthalten. 3 Reihenfolge biblischer Bücher in verschiedenen Ausgaben: Hebräische Bibel LXX Vulgata Lutherbibel Tora/Gesetz Genesis Exodus Levitikus Numeri Deuteronomium Nebiim/Propehten Vordere Propheten Geschichtsbücher Genesis Exodus Levitikus Numeri Deuteronomium s.o. Pentateuchus Genesis Exodus Levitikus Numeri Deuteronomium Libri Historici Geschichtsbücher 1. Buch Mose 2. Buch Mose 3. Buch Mose 4. Buch Mose 5. Buch Mose s.o. Josua Richter Josua Richter Rut 1 + 2 Könige 3 + 4 Könige 1 + 2 Chronik Josua Richter Rut 1 + 2 Könige 3 + 4 Könige 1 + 2 Chronik (+ Gebet des Manasse) 1 Esra (= Esra) Josua Richter Rut 1 + 2 Samuel 1 + 2 Könige 1 + 2 Chronik 2 Esra (= Nehemia) [3 Esra] [4 Esra] Tobit Judit Ester + Zusätze Nehemia - 1 + 2 Samuel 1 + 2 Könige Hintere Propheten Jesaja Jeremia Ezechiel Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi Ketubim/Schriften Psalmen Ijob/Hiob Sprüche Rut Hoheslied Kohelet Klagelieder Ester Daniel Esra + Nehemia 1 + 2 Chronik - [1 Esra = 3 Esr der Vulgata)] 2 Esra (=Esr+Neh) Ester + Zusätze Judit Tobit 1 +2 Makkabäer [3+4 Makkabäer] Lehrbücher Psalmen [Oden Sal + Geb Ma] Sprüche Kohelet Hoheslied Ijob/Hiob Weiheit Jesus Sirach [Psalmen Salomos] Libri Didactici Ijob/Hiob Psalmen Sprüche Kohelet Hoheslied Weisheit Jesus Sirach Propheten Hosea Amos Micha Joel Obadja Jona Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi Jesaja Jeremia Baruch 1-5 Klagelieder Brief Jeremias (Bar 6) Libri Prophetici Jesaja Jeremia Klagelieder Baruch Ezechiel Daniel (+ Zusätze) Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi 1 + 2 Makkabäer - Ezechiel - Susanna Daniel + Zusatz Bel und der Drache Esra Ester Lehrbücher Ijob/Hiob Psalmen Sprüche Prediger/Kohelet Hoheslied - Propheten Jesaja Jeremia Klagelieder Ezechiel Daniel Hosea Joel Amos Obadja Jona Micha Nahum Habakuk Zefanja Haggai Sacharja Maleachi - 4 Terminologie: -Altes Testament: Vom NT hergeleitet; Bezeichnung durch Jer 31,31-34 vorbereitet, wo ein „neuer Bund“ verheißen wird. Dem hebräischen Wort berit „Bund, Vertrag“ entspricht das Griechische diatheke und das Lateinische testamentum -Hinwendung der Reformation zum hebräischen Urtext der Bibel (veritas hebraica) war ein zentrales Anliegen, da allein die Schrift (sola scriptura) Kriterium in Glaubensfragen sein sollte, so dass es von großer Bedeutung war, dem ursprünglichen Sinn des Texts in der Originalsprache möglichst nahe zu kommen. -Griechische Bibel/Septuaginta (LXX): Die frühe christliche Kirche hatte die Heilige Schrift der Juden in Gestalt dieser griechischen Übersetzung des AT übernommen; bis heute in der Ostkirche wichtig § 1.2.2. Die archäologischen Quellen aus Palästina -Als Überrest der Vergangenheit finden sich an Orten mit nachweisbarer menschlicher Aktivität (Siedlungs-, Kult-, Begräbnis- sowie temporäre Lagerplätze) in Palästina wie in den Nachbarregionen: Artefakte als von Menschen bearbeitete oder hergestellte Objekte verschiedenster Materialien und Techniken Ökofakte, also organisches Material und Bestandteile der natürlichen Umwelt -Generell wird der einzelne Fund von dem Ausgrabungs- und Fundzusammenhang, dem Befund, unterschieden. § 1.2.3. Die außerbiblischen Textquellen aus Palästina und den Nachbarkulturen -Texte in syllabischer Keilschrift (z.B. das Gilgamesch-Epos aus Begiddo, Briefe aus Taanach etc.) -Ägyptische Hieroglyphen (z.B. aus Bet-Schemesch, Bet-Schean) -Schriften von mesopotamischen, ugaritischen bzw. ägyptischen Nachbarn (in diversen Sprachen, u.a. Akkadisch, Sumerisch, Hethitisch, Ägyptisch, Elamisch, Phönizisch etc.) -Überliefert sind hier u.a. Feldzugberichte, Briefe an die Assyrerkönige, Berichte von israelitischen/judäischen/jüdischen Diasporagruppen -Alle hebräischen außerbiblischen Texte erlauben wichtige Einblicke in die chronologische Entwicklung der hebräischen Schrift und Sprache sowie in ihre geographischen Besonderheiten § 1.2.4. Die ikonographischen Quellen aus Palästina und den Nachbarkulturen -Umfassen gemalte, gezeichnete, skizzierte, gegossene, geschnitzte, gravierte, geritzte, eingehauene, skulptierte oder modelliert, aufwändig oder simpel hergestellte Darstellungen. -Im Laufe der Zeit hat sich die Biblische Ikonographie etabliert, die sich vornehmlich der Untersuchung von Bildmaterial aus oder über Palästina widmet. -Die wichtigsten Bildträger des Vorderen Orients einschließlich Palästina und Ägypten sind Fels- und Wandreliefs, Orthostatenreliefs (aufrecht stehende Basaltplatte), Stelen, Wandmalereien, Graffitis, Stempel- oder Rollsiegel bzw. Stempel- oder Rollsiegelabdrücke, Skarabäen, Konoide, rund- oder halbplastische Statuen oder Figurinen aus unterschiedlichen Materialien, Möbel, Gerät-, Inventar- oder Waffendekorationen, Schmuckelemente und ab der Perserzeit Münzen. 5 § 2. Methoden § 2.1. Exegetische Methoden -Ziel der exegetischen Untersuchung: atl. Texte mithilfe begründeter und kontrollierbarer Klärungen in seinem eigenen Wort und Gegenüber selbst zur Sprache zu bringen -dem ursprünglichen, historischen Sinn so nahe wie möglich kommen -Ausgangspunkt: Mehrzahl der biblischen Bücher wurden weder von einem einzigen Autor noch in einem kurzen Zeitraum (vielfach auch nicht am selben Ort) verfasst. Im Laufe der Zeit wurden Kompositionen und Redaktionen erarbeitet und zusammengestellt § 2.1.1. Diachron orientierte Methoden: Die Arbeitsschritte der historisch-kritischen Methode -Besonderer Wert liegt darauf, Textschichten abzuheben, Datierungsfragen zu klären und den Text bzw. die (re-)konstruierten Textstufen und ihre Zusammenführung in den jeweiligen geistes-, zeit-, kultur-, sozial- und ereignisgeschichtlichen Kontext einzuordnen. -Die historisch-kritische Methode gliedert sich in folgende Schritte: Textkritik: stellt Überlegungen bezüglich des vermuteten Urtexts an, ausgehend von verschiedenen Textzeugen; Wichtig sind hierbei die verschiedenen Lesarten, die von einem als Haupttext angenommenen Text abweichen (Varianten) und andere Texttraditionen repräsentieren → diese werden im kritischen Apparat verzeichnet; es geht nicht um die literarische Entstehung („das Schreiben“), sondern um das, was danach („beim Abschreiben“) mit den Texten geschah. Ziel ist es, den „Urtext“ herauszufiltern bzw. diesem möglichst nah zu kommen; in der Kritik stehen Grundregeln wie solche, die die kürzere oder schwierigere Lesart (lectio brevior potior/lectio difficilior praeferende) vorziehen Literarkritik: geht ebenfalls vom Studium der Textzeugen aus, befasst sich aber mit dem Werdegang eines Textes; Abgrenzung eines Abschnittes wird ermittelt und dann auf literarische, konzeptionelle und inhaltliche Einheitlichkeit hin überprüft → dies können sein: Dopplungen, Widersprüche, Textinkonsistenzen. Ergebnis der Analyse ist die kleine Einheit, d.h. das literarisch als einheitlich (re-)konstruierte ursprüngliche Textstück, dessen Einheitlichkeit und Charakteristika erst in den anschließenden Methodenschritten geklärt werden. Spätere Hinzufügungen sind sekundäre, tertiäre usw. Zusätze Redaktionsgeschichte: Hier stellt man zusammen, welche der abgetrennten Textteile einer Hand zuzuweisen sind und bietet eine relative Chronologie der Textgenese, die alle Textstufen und Prozesse der Zusammenfügung der einzelnen schriftlichen Textbestandteile bis zur heute vorliegenden Endgestalt nachzeichnet; verschiedene Entwicklungsstufen des literarischen Wachstums der Texte wird erarbeitet; Redaktorenintentionen - soweit möglich - überprüfen auf soziopolitische oder geschichtliche Entwicklungen Formgeschichte: Regeln der mündlichen Überlieferung und schriftlichen Vorgeschichte bestimmter literarischer Formen oder Gattungen, deren feststehende gattungstypische Sprachstruktur („Gattungsstil“) und die hinter ihnen stehende typische Kommunikationssituation („Sitz im Leben“) zu bestimmen; Gattung ist eine geprägte sprachliche Gestalt, z.B. Totenklage, die unabhängig vom Einzeltext eine ähnliche Struktur und einen ähnlichen Sitz im Leben hat; Kritik an diesem Methodenansatz verstärkt, viele Änderungen in den letzten Jahren Gattungsgeschichte: untersucht - im Anschluss an die Gattungskritik - die diachrone Entwicklung einer Gattung; Bezeichnungen einer Gattung sind meist keine atl. Begriffe (sondern lit.wiss.), Ausnahme masal („Spruch“) Überlieferungsgeschichte: schwierig herauszuarbeiten, deshalb marginale Stellung 6 Traditionsgeschichte: Selbstständig tradierte Einzelstoffe, -vorstellungen und Motive, die in einen Text eingearbeitet wurden, werden in diesem Methodenschritt isoliert und untersucht (z.B. durch Wortfeldanalysen); Intertextuelle Bezüge oder innerbiblische Exegesen können hier analysiert werden § 2.1.2. Synchron orientierte Methoden: Canonical Approach, Strukturanalyse und “new literary criticism” -Sehnsucht nach objektiv nachprüfbaren Inhalten stieg; feste Fundamente in der Exegese sollten herausgearbeitet werden; B.S. Childs formulierte eine Exegese im Kontext des Kanons, bei welcher es darum geht, die Kanongestalt der einzelnen Bücher und Texte auszulegen, weil sie in dieser Gestalt bei den Gemeinden in Gebrauch waren und sind („canonical approach“). -Diachrone Fragestellungen (insb. Redaktions- und Traditionsgeschichte) werden nicht völlig abgelehnt, jedoch spielt die Kanongestalt (Endgestalt) die ungleich bedeutendere Rolle, da sie seines Ermessens als jüngere Deutung ggü. den älteren Vorformen größeren Reichtum und größere Vielfalt besitzt. -Vor allem aus dieser (bezweifelbaren) Annahme leiten sich ein wachsendes Desinteresse an der historischen Tiefendimension der Texte und eine Tendenz ab, diese mehr oder minder nachzuerzählen und so auf einen eindeutigen Einzelsinn zu reduzieren. -Noch ausgeprägter synchron angelegte Ansätze der Exegese sind mit der linguistischen Strukturanalyse und der Erzählanalyse entstanden. -vorliegender Text wird als formalisiertes Sprachphänomen beschrieben (Formalsaspekte); daran anschließend Kontur des Aussagegehalts zur abschließenden Inhaltsbestimmung (Inhaltsaspekte) -Erzählanalyse steht in engem Zusammenhang mit dem „new literary criticism“. Es gilt, in die Welt des Texts einzutauchen, seine Signale aufzunehmen und ihnen zu folgen. Text wird auf seine sprachliche Gestalt, die rhetorische Formation von Sätzen, Episoden und Szenen und den in ihm vorliegenden, als untrennbar angesehenen Zusammenhang von Form, Inhalt und Aussageintention hin untersucht § 2.1.3. Anwendungsorientierte Methoden: Feministische, sozialgeschichtliche und befreiungstheologische Fragestellungen -stehen nicht in Konkurrenz zu diachronen und synchronen Exegesen -Fragerichtungen können feministisch, sozialgeschichtlich, befreiungstheologisch oder auch kulturanthropologisch gestellt werden -Prüfkriterium, inwieweit die Ergebnisse jeweils intersubjektiv kritisch nachprüfbar sind § 2.2. Methoden der Biblischen Archäologie/Archäologie Palästinas -beschäftigt sich mit den materiellen Hinterlassenschaften aus Palästina -Methoden: Archäologie, Luft- und Satellitenbildanalysen, Kartographie, Vermessungstechnik, Oberflächenuntersuchungen, Tiefgrabungen usw. § 2.3. Methoden der Arbeit der Hebräischen Epigraphik -beschäftigt sich mit den außerbiblischen hebräischen Schriftzeugnissen -Methoden der hist.-kritischen Methoden kommen hierbei teilweise zum Tragen § 2.4. Methoden der Biblischen Ikonographie/Ikonographie Palästinas -widmet sich der Sammlung, Dokumentation, Beschreibung, Analyse, Kontextualisierung und Auswertung des vorhandenen Bildmaterials aus Palästina, das entweder durch den archäologischen Fundkontext, Beischriften oder datierbare Vergleichsstücke (C14 Methode) zeitlich eingeordnet werden kann 7 Zweiter Hauptteil: Geschichte und Religionsgeschichte des antiken Israels § 3. Geschichte und Religionsgeschichte „Israels“: Grundlegungen § 3.1. Voraussetzungen: Israels versus Kanaan, JHWH versus Baal und der Alte Orient als Verstehenshorizont biblischer Schriften -Die frühere Forschung ging davon aus, dass Palästina ursprünglich von einer einheimischen Urbevölkerung besiedelt gewesen sei und sich erst später (zuerst durch Kanaanäer, dann ab 1200 v.Chr. Israeliten, die als neue ethnische Gruppen einwanderten) durch neue Völker einschneidende Veränderungen bezüglich Palästinas Kultur, Geschichte und Religion durchsetzen. -Aufgrund neuerer Erkenntnisse kann hiervon kaum noch ausgegangen werden. Die scharfe Trennung zwischen Ethnien („Völkern“) hat in der neueren Diskussion einem komplexeren Verständnis Platz machen müssen. -Veränderungen müssen nicht zwangsläufig an die Einwanderung neuer Völkergruppen gebunden sein, sondern können auch durch soziale Verschiebungen in einzelnen Bevölkerungsschichten entstehen -Das AT geht davon aus, dass „Israel“ in „Kanaan“ eingewandert sei. Die beiden Völker waren sich - so das AT - fremd, gar feindlich -Heute geht man davon aus, dass (wenn überhaupt) nur eine kleine Gruppe Asiaten um einen Mann mit dem ägyptischen Namen Mose aus Ägypten nach Palästina (rück-?/ein-?)wanderte -innerhalb des dort lebenden Volker ergaben sich schon Veränderungen, die in der Folgezeit zur Entstehung „Israels“ führen. -Die These der Existenz eines beduinen-nomadischen wüstenbewohnenden und ins kanaanäische Kulturland eingewanderten vorstaatlichen „Israels“ lässt sich nicht mehr halten. An seine Stelle tritt vielmehr eine bäuerliche und kleinviehzüchtende Stammesgesellschaft unterschiedlichster Ausprägung. Eine Synthese zwischen eher städtischen und eher ländlichen Bevölkerungsteilen ist anzunehmen. -Die neueren Landnahmetheorien betrachten die Entstehung Israels als Ergebnis eines komplexen gesamtgesellschaftlichen Prozesses innerhalb eines kulturellen Systems, so dass „Israel“ zum größten Teil in und aus „Kanaan“ entstanden ist. Israeliten sind folglich Kanaanäer. -Bei Israel und Kanaan handelt es sich wahrscheinlich nicht um zwei verschiedene Ethnien -Der Gegensatz „beider“, den das AT aufbaut, wird als Distanz zum eigenen Lebensraum, der eigenen Sprache und ethnischen Zugehörigkeit verstanden. Das AT ist davon geleitet, den Kultgemeinden der (frühesten Exilszeit) Kriterien der Abgrenzung nach außen und Identitätsstiftung nach innen vorzugeben. -Dieses sog. „Israel-versus-Kanaan-pattern“ führte in der Religionsgeschichte zu einer Trennung beider Völker und deren religiösen Praktiken. Hierbei stand: Israel (monotheistisch, jahwistisch, Wüstenbewohner) Kanaan (polytheistisch, magisch, baalistisch, Kulturlandbewohner) gegenüber. -Die neuere Forschung hat auch gezeigt, dass der ursprünglich südlich von Palästina beheimatete Wettergott JHWH, als Gott des vorderorientalisch nachgewiesenen Baal-Hadad-Typus teilweise Baal genannt wurde. Deshalb waren JHWH und Baal partiell ein und derselbe Gott! (in bestimmten Kreisen und Regionen) 8 -Palästina ist Durchgangs- und Schwellenland -Benachbarte Reiche (Nordreich Israel, Südreich Juda, Moab, Ammon, Edom) griffen auf die wirtschaftlich, politisch und militärisch wichtige Region zu -Südliche Levante war während eines Großteils der Geschichte keine unabhängige politische Einheit, sondern entweder in kleine Einheiten eingeteilt, oder aber Kolonie, Vasallenstaat oder Provinz einer fremden Großmacht -Die Geschichte und Religionsgeschichte Palästinas ist eng mit den Vorgängen und Entwicklungen im Land, jedoch auch mit denen in der näheren (syrisch-phönizischarabischen) oder ferneren (ägyptisch-mesopotamisch-griechischen) Umgebung vernetzt! Gebiet der Levante: § 3.2. Terminologische Grundlagen § 3.2.1. Die Begriffe Kanaan, Israel/Israelit, Juda/Judäer, Jehud, Judäa, Jude, Samaritaner und Palästina Kanaan: als Volksname Kanaanäer seit dem 18. Jh.v.Chr. bezeugt; Bezeichnet ein Gebiet, dessen genaue Ausdehnung nicht bekannt ist. -kann die ägypt. Provinz des 14.-12. Jh. v.Chr bzeichnen, als Selbstbezeichnung Phöniziens stehen und wird im AT für die Vorbewohner des verheißenen Landes verwandt, von dem sich das Gottesvolk Israel abgrenzt (Dtn 1,7; Jos 5,1; Ri 1,27ff.). Hierbei haben nachexilische Texte als Prototyp eines „Kanaanäers“ häufig den Phönizier vor Augen. Israel: erstmals taucht der Begriff in einem Bericht des Pharao Merenptah (1213-1203 v. Chr) auf, wo er eine Volksgruppe/einen Stamm/eine Stammesgruppe bezeichnet -Israel wurde im 1. Jt. für das Nordreich gebraucht, das sich nördlich von Jerusalem bis Dan erstreckt hat (Grenze variabel) -Im AT wird Israel für das Gesamtgebildes Nordreich „Israel“ und Südreich „Juda“ bezeichnet -Nach assyrischer Eroberung bestand nur noch Juda, doch der Name „Israel“ lebte weiter und konnte später auch für das Südreich gebraucht werden (Jer 17,13) Juda: südliches Nachbarkönigsreich Israels mit der Hauptstadt Jerusalem und Königsdynastie, die sich auf David beruft; nach Ende des Königsreichs wurde Juda 9 vllt. Name der babylonischen Provinz, die als persische Provinz den Namen Jehud trug und in hell.-röm. Zeit als Judäa bestand. Jehud: persische Provinz, die seit Mitte des 5. Jh. bezeugt ist, wo sie Teile des ehemaligen Staatsgebiets Judas umfasste Judäa: römische Provinz, die 135 n.Chr. in „provincia syria palaestina“ umbenannt wurde. Jude: leitet sich von Juda/Jehud/Judäa ab und bringt bis heute die Zugehörigkeit zu einem Volk, das sich als Glaubensgemeinschaft versteht, zum Ausdruck Samaritaner: geht auf Ortsnamen Samaria zurück; wird für Einwohner der Stadt und Provinz Samaria (2 Kön 17,29) gebraucht. -mittlerweile Terminus Samarier gebräuchlich, um sie von einer religiösen Gemeinschaft, die bis heute in der Gegend um den Berg Garizim lebt, unterscheiden zu können -lebten wohl in der Zeit nach dem Exil; persische (Esra 4,1-5), frühe hellenistische (A. der Große; Flav.Jos) und hasmonäischen (128 v.Chr.; Zerstörung des Tempels in Sichem durch Johannes Hyrkan) Zeit kann als Rahmen angesehen werden -Im AT (2Kön 17,24-28) finden sich ebenso wie in der rabbinischen Literatur antisamaritanische Bemerkungen, die den Samaritanern die gemeinsame Wurzel im „Volk Israel“ und die Legitimität des JHWH-Kults streitig machen. Glauben aber an JHWH als einzigen Gott, Mose als (allerdings einzigen) Propheten sowie die Tora als das einzige Gesetz Gottes; Unterschied: Nicht Jerusalem, sondern Berg Garizim ist der erwählte Ort Gottes. Palästina: ursprünglich Siedlungsgebiet der Philister (Teil der „Seevölker“) in der südl. Küstenebene; seit Herodot ist „palästinisches Syrien“ belegt; ab dem 4. Jh. n.Chr. als abgekürzter Provinzname „palaestina“ üblich. Achtung: Verschiedene Begriffsdefinitionen von „Israel“ und „Kanaan“ beachten! § 3.2.2. Geschichte, Geschichten, Geschichtsschreibung und Geschichtenerzählen -In biblischen Texten wird die Abgrenzung zwischen Geschichte (history) und Geschichten (story), Geschichtsschreibung und Geschichtenerzählen, nicht scharf vollzogen, während es in der heutigen Forschung kaum möglich ist, dies außer Acht zu lassen. -Im Alten Orient und auch im AT fand Geschichtsschreibung im Geschichtenerzählen, Geschichte in Geschichten, statt. -Geschichtsschreibung gab es im Alten Orient, im staatlichen Israel und in Juda in Form von Annalen § 3.2.3. Die Begriff Monotheismus, Polytheismus, Monolatrie, Henotheismus, Polyjahwismus Monotheismus: neuzeitliches Kunstwort (erstmals 1660) -Bezeichnet die Überzeugung, dass es nur einen einzigen Gott gibt, der auch nur als einziger verehrt werden kann. -exklusiver Monotheismus: Polemik gegen die Götter (=Götzen) und ihre Diener -inklusiver Monotheismus: bleibt ggü. polytheistischen Vorstellungen tolerant Polytheismus; seit Philo von Alexandrien [ca. 25 v. bis 25 n. Chr.] -Bezeichnet eine (nach oben offene) Vielzahl von Gottheiten existiert, die man auch verehren kann; die Götter in sich bilden eine Einheit o Monolatrie: andauernde (praktische) Verehrung nur eines Gottes trotz der (theoretischen) Überzeugung, dass noch andere Gottheiten existieren o Henotheismus (1860 erstmals erwähnt) oder auch monarchischer Polytheismus: Glaube an einen einzelnen Gott, dem im Kontext vieler 10 Götter zeitweise Suprematie (Vorrang) zugesprochen wird. Ihm als höchstem Gott ist das restliche Pantheon unterstellt, wobei an der Spitze Wechsel stattfinden können Polyjahwismus (H. Donner 1973) ruht auf der These, dass es im Nordreich und Juda der Königszeit eine Vielzahl von lokalen Manifestationen von JHWH-Göttern gegeben habe. o Beispiele: JHWH von Samaria als Staatsgott des Nordreiches; JHWH von Jerusalem als Staatsgott Judas evtl. richtet sich das Schma Jisrael in Dtn 6,4 gegen diesen religionsinternen Pluralismus innerhalb des JHWH-Glaubens § 3.3. Die Menschen und ihre Götter: Offizieller Kult, Lokaler Kult, Persönliche Frömmigkeit/Hauskult, Alltagskult und Festkult -Kult ist als praktische Seite der Religion Dienst an den Göttern unter Einsatz der möglichen Kodierungsformen religiöser Symbolsysteme (=Sprache, Bilder, Handlungen) -Unterschieden wird zwischen dem zentralen, überregionalen, stadt- und staatsgebundenen offiziellen Kult und der dezentralen persönlichen und familiären Frömmigkeit, die um die Ebene des lokalen Kults erweitert wurde. offizieller Kult -wurde vom König bezahlt -fand an zentralen Kultstätten mit Altar, Tempelgebäude(n) und festangestellter Priesterschaft statt -Stadt- oder Staatsgott wurde hier ge- bzw. verehrt lokaler Kult -von Familien-, Sippen-, Stammesverbünden organisiert -fand an regional bedeutenden Freilichtheiligtümern, Kultplätzen mit Altären etc. statt -keine festangestellte Priesterschaft -Lokalität: Höhenheiligtum: (hebr. bamot) familiäre Frömmigkeit -fand im Wohnhaus einzelner Familien statt -dem persönlichen Gott oder den Ahnen (die als Götter verehrt wurden) gewidmet) -Feste wurden auch hier gefeiert, wie bspw. Hochzeiten, Bestattungen, Beschneidungen -Weiter ist zwischen dem Alltagskult und dem Festkult zu unterscheiden: Alltagskult -von Routine geprägt -„Alltags“liturgie, kein „besonderer“ Festcharakter Festkult -an Festtagen und Festzeiten -besondere Festliturgien -Tempel entstehen im Verlauf der Zeit: im Chalkolithikum (5800-3300 v.Chr): Doppeltempel (Megiddo, Arad), Breitraumtempel (Hirbet ez-Zeraqon,) Tempel des Langraumtyps (Mesopotamien, in Palästina erst seit der Mittelbronzezeit II), dreigliedriger Landhaustyp (Syrien und Palästina häufig) -Verschiedene Götter- und Göttinnendarstellungen belegen eine gewisse Vielfalt -es gab lokale JHWH-Manifestationen und „JHWH und seine Aschera“, die epigraphisch belegt sind -offizieller Kult kam mit der Zerstörung der Hauptstädte Samaria und Jerusalem weitgehend zum Erliegen; lokaler und persönlicher Kult stabilisierte sich jedoch; nach 587/6 11 v.Chr. entstanden auch in Juda wieder lokale Kultgemeinden, insbesondere in Gebieten und an Tempeln, die von den babylonischen Eroberern nicht zerstört worden waren. -Mizpa und Bet-El scheinen Zentren gewesen zu sein, die in der Exilszeit überregionale Bedeutung hatten und den kultischen Traditionszusammenhang aufrecht erhielten -nach Exil konnte um den Zweiten Tempel in Jerusalem u.a. mit persischer Hilfe ein neuer offizieller Kult formiert werden, der sich, da kein König im Amt war um das eine zentrale Heiligtum in Israel (Dtn 12), um den dort allein zu verehrenden Gott JHWH rankte. (Kultzentralisation: wird aufgrund von 2 Kön 22f. häufig in die Zeit des judäischen Königs Joschija datiert (Ende des 7. Jh.) -nach Wiederaufnahme des Kults traten diverse soziale, politische und theologische Konflikte auf: um 450 v.Chr: Gründung eines eigenen kultischen Zentrums der Samaritaner auf dem Berg Garizim evtl. Bau eines JHWH-Tempels im transjordanischen ‘Araq el-Emir „Kultreform“ des Seleukiden Antiochus IV. Epiphanes (175-164 v.Chr), der den Brandopferalter im Jerusalemer Tempel durch einen Aufsatz für Zeus Olympius entweihte o Aufstand des Priestergeschlechts der Makkabäer hasmonäisches Königtum, in dem nun wieder der König Hohepriester war Gründung der Gemeinschaft von Qumran, die einen Gegenkult zum Jerusalemer Tempel entwickelten (1QS „Sektenregel“) Exkurs A. Feste, B. Neumonde und Sabbat A: -aus dem AT sind verschiedene Festkalender bekannt -aus dem Festkalender in Ex 23,14-17; 34,18.22f. und Dtn 16,1-17 ergeben sich folgende Jahresfeste in Israel/Juda: 1. Mazzot-Fest -Erntefest des Frühlings 2. Wochen-Fest -ursprünglich eintägiges Erntedankfest -Ritus der Darbringung der Erstlinge (Dtn 26) wird später ersetzt (Dtn 16,9-12) 3. Lese-, Herbst-, Laubhüttenfest -anlässlich der Weinlese und Olivenernte im Herbst gefeiert -Laubhüttenfest war das größte Jahresfest, sodass später wichtige Ereignisse daran gebunden wurden (z.B. Tempelweihe 1Kön 8,2; Bundeserneuerung Dtn 31,10; Neh 8,14f.; Altarweihe durch die Heimkehrer Esra 3,4) 4. Pascha-Fest -ist ursprünglich Familienfest, das mit Viehzucht, dem nichtsesshaften Hirtenleben und der Abwehr von Dämonenangriffen zu tun hat -Anlass: Opfer der Erstgeburt des Viehs (nach J. Wellhausen) -Anlass: jährlicher Weidewechsel (nach L. Rost) -Anlass: Feier der Vollmondnach nach dem Frühjahrsäquinoktium (E. Otto) -Ritus: Schlachten eines Lamms (Ex 12,21-23); nächtliches gemeinsames Verzehren des Lammbratens; Blutritus (Blut des Lammes wird an die Türpfosten gestrichen) B: -Neben Jahresfesten (A.) werden Neumond und Sabbat als Festtage genannt (Am 8,4f.; 2Kön 4,23; 1Sam 20,5ff.; Ps 81,4 u.a.) -Sabbat gliedert den Alltag in wiederkehrende Kurzzeitzyklen von sieben Tagen -in dtn Theologie: Sabbat als Gedenktag der Sklaverei in Ägypten (Dtn 5,12-15) -in priesterschr. Theologie: Sabbat als Schöpferhandeln JHWHs (Gen 2,2f.; Ex 20,11) 12 § 3.4. Die Menschen und ihre Toten/Ahnen: Grab, Begräbnis/Bestattung, Totenversorgung/Totenpflege, Nekromantie, Totenkult/Ahnenverehrung und Auferstehungshoffnungen -Üblich war die Körperbestattung, die Verbrennung der Leiche ist deutlich seltener belegt -Grabformen in beachtlicher Vielfalt -Wahl der Bestattungsart lag anscheinend an lokalen Gegebenheiten (Höhlen in Berglagen, Gruben in Ebenen) -Gruben-, Fels-/Höhlen- und Kammgräber -Sarkophage in ägyptischer und assyrischer Tradition -Bestattung war Teil eines Rituals, das folgendermaßen ablief: (ideal) Vorbereitung auf den Tod des Angehörigen Behandlung nach Tod: Waschen, Salben, Bekleiden, Schmücken ggf. Aufbahren Überführung zum Grab Grablegung Platzierung der Grabbeigaben (Amulette, persönliche Gegenstände, Nahrung, Getränke, Kleidung) Verschließen des Grabes Trauerritus (1Sam 31,13); weitere Riten: Zerreißen der Kleider, Anziehen eines härenen Trauergewands, Fasten, Bestreuen des Kopfs mit Asche oder Staub, Raufen/Scheren der Haare, Klage, Einritzen der Haut -man interagierte nach der Bestattung mit dem Toten durch: Fragen (1Sam 28), Gedenkrituale, Versorgungsopfer -Das AT steht solchen Praktiken, die aus Syrien oder Mesopotamien gut belegt sind, durchweg ablehnend ggü. Doch zeigt die biblische Polemik gegen Nekromantie (Heraufrufen eines Toten aus der Unterwelt) und Totenopfer (Dtn 26,14), dass es in „Israel“ und Juda wohl seit/in der vorexilischen Zeit durchaus üblich war, die Toten in nekromantischen Ritualen herbeizurufen und um Rat bzw. Hilfe zu bitten. -Inwieweit es göttliche Ahnen auch in „Israel“ gab, ist umstritten -Glaube an Auferstehung des Einzelnen ist erst in hell. Zeit im äthiopischen Henochbuch und im Rahmen der apokalyptischen Texte Dan 12,2,f.; Jes 26,19 belegt. -2Makk7 spricht von der leiblichen Auferstehung zum ewigen Leben und der Unsterblichkeit der Seele (2Makk 7,9.14). Sadduzäer und Pharisäer stritten um die Auferstehung: Sadduzäer verneinten sie (wie auch Koh 3), Pharisäer bejahten diese. § 3.5. Der Raum: Geographische Charakteristika Palästinas -im Westen durch das Mittelmeer abgegrenzt -Norden: Abhänge des Libanon und Berg Hermon (natürliches Hindernis) -Osten: Steppe (wegen des West-Ost-Gefälles), später Wüste -Süden: Steppe (wegen Nord-Süd Gefälle der Niederschlagsmenge); Landwirtschaft (ohne künstliche Bewässerung) nur bis in das Gebiet um Beerscheba möglich -Palästina zerfällt in diverse Regionen, die sich in Beschaffenheit, infrastrukturellen Möglichkeiten u.a. sehr voneinander unterscheiden -Flusstäler und Gebirgszüge gliedern die Landschaften und Lebensräume in kleine regionale Einheiten -Möglichkeit für Siedlungen nimmt von Nord nach Süd, von West nach Ost tendenziell ab -Als Durchgangsland zwischen Syrien/Anatolien/Mesopotamien und Ägypten kam in Palästina der Nord-Süd Verbindung eine herausragende Bedeutung zu -in Friedenszeiten von Händlern, in Kriegszeiten von Armeen genutzt 13 -wichtigste Verbindungen: via maris, Königsweg, Gebirgsstraße im Westjordanland -von Ost nach West lief die sog. Weihrauchstraße § 3.6. Die Zeit: Kalender, Zeitrechnung und (nochmals) Chronologie -einige Kulturen legten primär die Mondmonate (z.B. Mesopotamien), andere das Sonnenjahr (z.B. Ägypten) zugrunde -Rekonstruktion des altisraelitischen bzw. judäischen Kalenders schwierig, da das AT keine solchen enthält und auch mehrere Systeme der Monatsbezeichnungen wie Jahresanfänge (im Herbst oder Frühjahr) kennt; ausgeschlossen werden kann auch nicht, dass Nord- und Südreich unterschiedliche Systeme zugrunde legten -Regierungsjahren von Königen werden - auch im AT - oft für die Zeitangabe herangezogen -ebenfalls mit Unsicherheiten behaftet, da Koregentschaften (Zeitpunkt Tod des alten König, Antritt des neuen Königs) etc. nicht eingeschlossen sind -AT kennt Datierung der israelitischen oder judäischen Königen (Jer 25,1.3; 26,1), die der babylonischen Könige (Nebukadnezzar II, 2Kön 24,12; 25,8; Jer 25,1; Ewil Merodach; 2Kön 25,27; Jer 52,31) oder die der persischen Herrscher (Hag 1,1; Sach 1,1) wodurch sich innberbiblisch bereits eine synchronistische Chronologie ergibt Generell: Unsicherheit bei den Daten für Palästina (1. Jt.v.Chr. einige Jahre, im 2. Jt. v.Chr. bis zu wenigen Jahrzehnten; im 3. Jt. v.Chr. bis zu 100 Jahren mit für die älteren Epochen stark ansteigender Tendenz) § 4. Geschichte und Religionsgeschichte „Israels“: Historischer Abriss § 4.1. Die (ausgehende) Spätbronzezeit § 4.1.1. Wirtschaft und Gesellschaft: Das Ende der ägyptischen Herrschaft über die Provinz Kanaan und der Stadtstaatenkönigreiche -Spätbronzezeit (SBZ) (1550-1200/1150 v.Chr.) -anfängliche Blüte (Verstädterung Palästinas); nachher Niedergang der ägyptisch dominierten palästinischen Stadtstaatenkönigreiche; Niedergang der Imperien (Hethiter, Ägypter, Mitani), die den Vorderen Orient in der 2. Hälfte des 2. Jt. dominierten -im Bergland lebten Banden mit sozial deklassierten Bevölkerungsgruppen -diese übernahmen Dörfer; lebten in Subsistenzwirtschaft von Viehzucht/Ackerbau -nach Schlachten verblieben gem. der ägyptischen Deportationspraxis einige Bauern und Viehzüchter zurück, die in der folgenden Eisenzeit die Väter und Mütter der Flächenstaaten Israel und Juda wurden. -während des 13. Jh. traten neue Bevölkerungsgruppen auf, die die Ägypter und Hethiter in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelten -weitere Destabilisierung der Region § 4.1.2. Religion und Kult: Die Internationalität der Götterwelt und Dominanz männlicher Gottheiten in den Stadtpanthea und Stadttempeln -In der SBZ finden sich Tempelanlagen in Städten und Dörfern, offene Kulturplätze und Privatkult in Wohnhäusern -architektonisch von Fortführung alter Tradition und Aufnahme neuer Gebräuche geprägt -Langhaustempel mit Untergliederung des Innenraums -Ägyptische Herrschaft prägte die Provinz Kanaan und ihren Kult, aber auch Prägung der Ägypter durch palästinische Götter -Ägyptisierung u.a. durch starke Präsenz ägyptischer Gottheiten -Tempel der Hathor (Göttin der Schänheit, Liebe und Fremdländer) in Timna 14 -interkulturelle Kontakte führten zum Austausch von Göttern, der Ägyptisierung ursprünglich syro-palästinischer Gottheiten, Kanaanisierung/Syrisierung ursprünglich ägyptischer Gottheiten, Gleichsetzung verschiedener Gottheiten miteinander (z.B. Baal mit Seth) -kriegerischer Aspekt der Gottheiten wird ikonographisch betont -Während der offizielle Kult der Städte und Stadtstaaten stärker von ihrer Allianz mit männlichen Gottheiten geprägt wurde, behaupteten die Göttinnen dieser Epoche nur noch im lokalen und privaten Kult ihre ehedem herausragende Position Das nordwestsemitische Pantheon des 2. Jt. -In der Panthea der Stadtstaaten in Syrien wurden im 3. und 2. Jt. verschiedene Gottheiten unterschiedlichsten Ursprungs verehrt. -Götterelternpaar El (Gott der Schöpfung und bewahrenden Kraft); Baal/Hadad (Gott des Wetters, Sturms, Regens) § 4.2. Von der Eisenzeit I bis zur Eisenzeit IIC (ca. 1200/1150-587/6 v.Chr.) § 4.2.1. Wirtschaft und Gesellschaft: Die Zeit der Deurbanisierung, des Siedlungswachstums, der Entwicklung von Stämmen, Städten, Territorialstaaten und Provinzen 1. Eisenzeit I (1200/150-1000 v.Chr.) -geschwächtes hethitisches Reich erfuhr durch Hungersnöte, interne Unruhen und rebellierende „Seevölker“ ein schnelles Ende -nord- und mittelsyrische Gebiete gingen verloren; Hauptstadt Hattusa wurde zerstört -Ägyptisches Reich konnte die Gefahr der Zerstörung unter den Pharaonen der 19. und 20. Dynastie bannen. Ramses III. (1187-1156 v.Chr.) siedelte die Philister (eine „Seevölkergruppe“) gegen nachrückende Seevölker an, womit er den eigenen Einfluss auf eine wirtschaftlich potente Region aufgab, so aber sein Reich schützte. -Philister übernahmen die Städte Gaza, Aschkelon, Aschdod, Ekron, Gat, Tell-Qasile -Die Städte der Philister dominierten in der Eisenzeit das Gebiet der südl. Küste und die Schefala, wo sie auch in der EZ I der fortschreitenden Deurbanisierung (=Stadtflucht) trotzen. -Zerstörung der ägyptischen Provinz Kanaan ca. 1150 v.Chr., Ramses VI. (1145-1137 v.Chr.) war noch in Megiddo, wie ein Statuensockel belegt; genaue Datierung folglich umstritten. -12. Jh. v.Chr (= EZ I A) war in Palästina eine Zeit des Rückzugs der Ägypter, eine Zeit der sich unterschiedlich vollziehenden Deurbanisierung, der Rezession und der allgemeinen Verarmung -Depression, die in der SBZ begonnen hatte, setzt sich hier fort -Menschen wechseln zunehmend in die halb- bzw. nichtsesshafte Lebensweise -Siedlungsspuren in den Bergen, Dörfern nehmen zu -In der Epoche der EZ verstärken sich alte sbzeitlich-städtische und neue ezeitlichdörfliche Traditionen, aber auch eine Differenzierung zwischen Mittel- und Nordpalästina einerseits und Südpalästina andererseits -Abzug der Ägypter, Ankunft der Philister im Süden, Ankunft der Aramäer im Norden Palästinas: Kennzeichen für die EZ 15 Exkurs: Exodus und Landnahme Exodus: -Israeliten, Philister und Aramäer tauchten etwa zur selben Zeit in der Geschichte auf (Am 9,7) entgegen Dtn 26,5: „Mein Vater war ein wandernder Aramäer.“ -ezeitliche Stämme Palästinas haben mit den Aramäern nichts, mit den Bewohnern der ehemaligen ägyptischen Provinz Kanaan sehr viel zu tun -Über das Auftauchen der Stämme gibt es versch. Hypothesen -Begriff: „Landnahme“; Landnahme des Volkes „Israel“ ist mit dem Exodus verbunden -ursprünglich wurde angenommen, dass - parallel zur Darstellung im AT - das Volk „Israel“ aus Ägypten durch die Wüste eingewandert sei. Inzwischen gilt, dass nur ein kleiner Teil des Volkes in Ägypten war und von dort floh. -Der Exodus ist eng mit der Person des Mose verbunden -Fluchtgruppe geht in späteren Stämmen auf; die Geflüchteten erzählen von ihrer Rettungserfahrung durch JHWH -evtl. auch nur Auszug aus ägyptisch beherrschtem Gebiet Landnahme: -verschiedene Modelle für die Landnahme sind im Laufe der Zeit herausgearbeitet worden 1. Eroberungs- und Einwanderungsmodell -kriegerische Ablösung der Stadtkultur durch die Dorfkultur in der Provinz Kanaan -Volk „Israel“ hat nichts mit den „Kanaanäern“ gemein; diverse Schlachten wurden - in göttlichem Auftrag - geführt -Widerspruch durch archäologische Funde in der SBZ und EZ I, aber auch innerbiblische Überlieferungen wie Ri 1,16-36 („negatives Besitzverzeichnis“) 2. Infiltrationsmodell (territorialgeschichtliches Landnahmemodell) -friedliche Ablösung der Stadtkultur durch die Dorfkultur in der Provinz Kanaan -Viehzüchtende Lokalnomaden wandern im Zuge des jährlichen Weidewechsels friedlich ein und werden an den Randzonen des Kulturlandes sesshaft (= „Israeliten“) -kriegerische Auseinandersetzungen erst später, als die Stämme stark genug waren -Widerspruch durch die These, dass im gesamten Bergland ein Siedlungsprozess nachweisbar ist, der rein numerisch nicht durch Nomadengruppen möglich ist 3. Revolutionäres Landnahmemodell -Unterschichten der sbzeitlichen Stadtbevölkerung weichen in das Bergland aus, um dort eine Dorfgesellschaft zu begründen; innerkanaanäische revolutionäre anti-urbane Bewegung wird durch Exodusgruppe verstärkt bzw. angeführt; Retter und Befreiungsgott JHWH wird anderen nahegebracht -Nachweise umstritten: archäologisch durchaus zutreffen, aber auch Problem, dass die eisenzeitlichen Siedlungen kaum nur auf der Grundlage der Fortsetzung der urbanen Kultur der SBZ gedeutet werden können. 4. Ausgangspunkt: innerpalästinische Verhältnisse der SBZ um Vorgänge in der EZ I zu klären; archäologischer Befund wichtig -Identität der Begründer der neuen Dorfkultur umstritten: -vllt. ehemalige Stadtbewohner (s. Nr. 3 ohne Revolutionshypothese) -vllt. nichtsesshaftes Bevölkerungselement (nicht zwingend aus Wüste), das die Kultur der Stadtstaaten in landen Perioden der vorhergehenden wirtschaftlichen Symbiose übernommen hat und nach dem Zusammenbruch der Stadtstaaten zur Sesshaftigkeit übergegangen ist -vllt. spielten die sozialpolitischen Entwicklungen der SBZ/EZ I A eine Rolle; Stadtflucht der einheimischen Bewohner aus den Ebenen in das Bergland, Siedlung mit anderen Bewohnern; in der EZ I bildeten sich landwirtschaftlich orientierte Sippen und Stämme, aus denen sich später Stammesstaaten entwickelten -bestanden größtenteils aus Bewohnern der Stadtstaaten, also „Kanaanäern“ -Prozess bis ins 10. Jh. -„Die Landnahme ist eine (Binnen-) Wanderung von den Ebenen in das Bergland und die Besiedlung desselben, eine Umschichtung von Menschen aus Städten in eine Vielzahl von Dörfern.“ 16 -Mit Siedlungswachstum in der EZ I B wuchsen die Niederlassungen zu Dörfern, die Dörfer zu regionalen Zentren -Sippen, Stämme, Stammesverbünde entstanden, die von Häuptlingen geführt wurden -Neue Bevölkerung führt das kulturelle Erbe weiter, das im Land Palästina entwickelt worden war -Richterbuch muss/kann auf diesem Hintergrund kritisch gelesen werden -bspw. könnten einzelne Häuptlinge (hebr. sofetim, meist als „Richter“ falsch üs.) zu ansehnlicher Macht kommen (Gideon; Ri 6-8) und sich kleinräumige Stammesstaaten entwickeln (Abimelech; Ri 9), die sich mit ihren Nachbarn arrangierten oder sich mit diesen auseinandersetzten -jeder Stamm war - entgegen des Ri-Buches - politisch wie militärisch auf die Initiative seines Führers angewiesen Die Organisation agrarischer Gesellschaften: -Familie als Abstammungsgemeinschaft -mehrere Familien bilden eine Sippe -regionale politische Zusammenschlüsse von Sippen bilden einen Stamm -politische Organisationsform nichtstädtischer Gesellschaften -Rechtsprechung findet auf der Grundlage von Gewohnheitsrecht statt, dessen Regeln allen Mitgliedern der Gemeinschaft von Kindheit an vermittelt werden (Inkulturation) -oberster Richter: Familien-, Sippen- oder Stammesvorstand; zentral organisierte Rechtsprechung gibt es nicht 2. Eisenzeit II A (1000-926/900 v.Chr. oder 950/900-800/785/748 v.Chr.) -Mesopotamien formierte sich - nach Zusammenbruch des mittelassyrischen Reiches im 11. Jh. v.Chr. - neu und begann mit Assur-dan II. (934-912 v.Chr.) mit dem Aufbau des neuassyrischen Reiches -stellte in dieser Phase noch keine Gefahr für den Westen dar -syrisches Binnenland war vom wachsenden Einfluss der Aramäer gekennzeichnet, die dort seit ihrem ersten Auftauchen schrittweise an Macht gewannen -Gründung verschiedener Stammeskönigreiche (= Aramäerstaaten) -in Palästina entstand um den See Gennesaret ein aramäisches Stammeskönigreich -am Nordende des Sees findet sich eine 6 ha große Stadt, deren Palastanlage, Kulteinrichtungen und Stadtbefestigung den Einfluss syrischer Kultur zeigen -geht wahrscheinlich auf den aram. Stammeskönig Geschur zurück -AT-Text ordnet das Gebiet dem Stamm Naftali zu, was jedoch nicht richtig ist (Jos 19,35); das Gebiet stand seit dem 10./9. Jh. v.Chr. unter aramäischer Kontrolle -Syrische und nordpalästinische Küste war weiterhin in phönizischer Hand -seit 1050 v.Chr. hatten die Phönizier durch Landerwerb in Palästina und Zypern, später durch Kolonisierung der Mittelmeerküste mittels Handelsniederlassungen und durch Städtegründungen begonnen, ein internationales, um das Mittelmeer zentriertes Wirtschaftssystem aufzubauen -Im 10. Jh. v.Chr. verbindet man insb. die Könige von Tyrus und Byblos hiermit -Südliche Küste Palästinas wurde weiter von philistäischen Städten dominiert -In der Archäologie Palästinas wird EZ II A insgesamt als Periode der Reurbanisierung (=Wiederaufnahme der Stadkultur) charakterisiert -Reurbanisierung begann in den Zentren = Küstenregion und Norden; Nord-SüdGefälle ist hierbei jedoch festzustellen -Aufgabe der Kleinsiedlungen im Bergland, einsetzende Städtegründungen, Ausbau der nordpalästinischen dörflichen Siedlungen zu Städten und Wiederaufnahme der sbzeitlichen Stadtkultur in Megiddo im 10. Jh., Staatsgründung des Nordreichs Israel (erste Hälfte 9. Jh.; gefolgt von Ammon und Moab im Ostjordanland) können als 17 Folgen des ökonomischen Impulses vom Westen her gesehen werden, der Südpalästina zeitversetzt erreichte und dort zur Staatsgründung Judas ab Mitte/Ende des 9. Jh. v.Chr. führte -Entwicklung der Dorfkultur/Häuptlingstümern über Siedlungsballungen und die wiedererstehenden Städte zu Stammes- und Stammesverbundskönigtümern (Eisenzeit II A) und Staaten (Eisenzeit II B) in Palästina, resultiert aus mehreren Faktoren 1. Palästina war in dieser Zeit nicht unter der Herrschaft einer benachbarten Großmacht 2. Palästina profitierte vom phönizischen Wirtschaftsaufschwung 3. Reurbanisierung, Administration und Königtum könnten in verschiedenen Ortslagen an Traditionen der SBZ anknüpfen, die dort nie verloren gegangen waren -allerdings entstanden hier - im Ggs. zur SBZ - Flächenstaaten Die Staatenbildung des Nordreichs Israel und des Südreichs Juda: -in der EZ II A ging die Entwicklung von der Dorfkultur/Häuptlingstümern zu Siedlungsballungen und wiedererstehenden Städten vonstatten -Staaten entstanden erst im 9. Jh. v.Chr. -Jerusalem war in der EZ II A nur 4 ha groß (etwa 1000 Einwohner) -keine - wie biblisch angegeben - zentrale Hauptstadt, Großstadt etc.; archäologischer Befund steht biblischer Sicht eines frühen Königreichs Saul, der vereinigten Monarchien des Nord- und Südreichs unter David und Salomo im 10. Jh. mit Sitz in Jerusalem oder eines von hier aus beherrschten Großreiches entgegen -Pharao Schischak I zog nach eigenen Angaben (926) v.Chr. von Gaza über Geser nach Megiddo, ohne (anders 1Kön 14,25-28) Jerusalem, Rehabeam, David, Juda, Jerobeam I., „Israel“ oder ein rivalisierendes Königtum zu erwähnen! -Megiddo wurde in Besitz genommen (Nachweis durch Siegesstele) -Träger der Siedlungsballungen und Reubanisierung waren die Stämme der jeweiligen Regionen unter Leitung des Häuptlings des führenden Stammes -Häuptling eines Stammes erweiterte seinen Häuptlingshof zu einem fürstlichen Haushalt in einem Palast in der Stadt -städtisches Zentrum war als Stadtstaat organisiert -Ausgangspunkt, von welchem aus andere Stammesgebiete bzw. deren Siedlungen angegriffen wurden, sofern diese nicht friedlich adaptiert wurden -Stammesführer nannte sich entweder Häuptling oder König -von einem Territorialstaat ist erst zu sprechen, wenn durch den Zusammenschluss verschiedener Städte und ihres Umlands ihre zentrale Organisation und Administration in der Hauptstadt (= Sitz des Herrschers) ein städteübergreifendes Gebilde entstanden ist, was erst in der EZ II B gelang -in den Stadtstaaten wurden teilweise Hapiru-Söldner aufgenommen -evtl. Verweis in 2Sam 2,9 (Darstellung des Saul in Gibea/Häuptling über Benjamin, Efraim und Gilead) -David praktizierte ebenfalls diese Variante und wurde Sauls Rivale -AT ist für diese Periode keine zuverlässige Quelle -„Haus Davids“ spricht jedoch dafür, dass das Südreich (wenigstens in der 2. Hälfte des 9. Jh. v.Chr.) ein Stammes(verbunds)königtum war, das sich - lokal begrenzt um die starke Häuptlingspersönlichkeit eines David bildete -Stammesverbund Juda berief sich in der Folgezeit auf David als Dynastiegründer 18 Die Entstehung des Königtums in „Israel“: -1Sam 8,4f.20 suggeriert, dass Königtum eine fremde Institution sei, die aus anderer „Umwelt“ übernommen wurde -Bedrohung der Stämme durch Philister -Einführung des Königtums in Palästina, ob in „Israel“, Juda oder Moab, war eine Rückkehr zur sbzeitlichen landesüblichen Institution, wenn nun auch die Könige der EZ bestrebt waren, ihr Herrschaftsgebiet von einem Stadtstaat mit Hinterland in einen Flächenstaat umzuwandeln -keineswegs äußerlicher Druck; These muss als überholt betrachtet werden -über die Person des Salomo liegen keine historisch gesicherten Informationen vor -Mangel an außerbiblischen Quellen kann durch (Re-) Konstruktionen nicht ausgeglichen werden Salomo könnte als Jerusalemer Stadtstaatenkönig sbzeitlicher Tradition beschrieben werden, der judäisches Stammeskönigtum integrierte -seine Versuche, nach Norden auszugreifen (1Kön 4,7-19) wären u.a. an Tyrus (da größere Stadt/Großstadt) gescheitert Salomo könnte eine Art Vasall des Königs Hiram I. von Tyrus gewesen sein Salomo könnte gänzlich eine legendarische Gründerfigur gewesen sein -vom davidischen und vom salomonischen Reich fehlt archäologisch und epigraphisch jegliche Spur; auch für das AT sind die Regierungsdaten von Salomo, Saul und David unbekannt - es existierte keine Annalenschreibung -die jeweils 40 Jahre währenden Herrschaften von David und Salomo (1Kön 2,11; 11,42) ersetzen die Unkenntnis durch eine runde, ideale und programmatische Zahl: 40 Jahre umgreifen eine Generation und sind ein Symbol der Fülle 3. Eisenzeit II B (926/900 - 722/700 v.Chr. oder 800/785/748 - 722/700 v.Chr.): -Gekennzeichnet ist die Epoche durch: Feldzug des Pharao Schischak I. (926 v.Chr. oder 920/917) -kostete den letzten Stadtstaat der SBZ - Megiddo - die Existenz -Küstenlinie wurde weiterhin von südphönizischen Stadtstaaten (Tyrus und Sidon Norden und Mitte) kontrolliert Eroberung Samarias (722/1) Eingliederung des Nordreichs Israel in das assyrische Provinzialsystem -in Syrien erstarkte Aram-Damaskus im 9. Jh. v.Chr. weiter und dehnte sich u.a. nach Nordpalästina aus -Stammeskönigreich von Geschur um den See Gennesaret fiel ihm zum Opfer -größte Gefahr für syrisch-palästinischen Staaten entwickelte sich in Mesopotamien -Erstarken des neuassyrischen Reiches -König Adad-nerari II. (912-891 v.Chr.; Feldzüge gegen Babylonier und die Aramäer) und weitere entwickelten imperiale Tendenzen -mit Assurnasirpal II. (884-858 v.Chr.) strebten sie nach Westen -Da die Assyrer bis bei ihren Westfeldzügen mit ihren unmittelbaren Nachbarn, den Aramäern, beschäftigt waren, konnte sich im 9. Jh. v.Chr. in der Abgeschiedenheit des West- und Ostjordanlandes die Kleinstaatenwelt entwickeln: Israel (Staatsgott JHWH) Juda (Staatsgott JHWH) Moab (Staatsgott Kemosch) Ammon (Staatsgott Milkom) -alle arch. Funde aus diesen Kleinstaaten kennzeichnet die Verwaltungssprache als Zeichen der Staatlichkeit 19 -Im Westjordanland prägte die EZ II B weiter das Nord-Süd-Gefälle in Palästina -Norden hatte Teil am kulturellen, ökonomischen und politischen Einfluss der Nachbarn (Phönizier und Aramäer) und überflügelte den Süden -Zugang zu Handelswegen zwischen Nord- und Südpalästina waren ungleich verteilt -Dauerhaft etablieren sich statt Stadtstaaten mehr und mehr Flächenstaaten -Zur Effizient der administrativen Ansätze der jungen Staaten ist kaum eine Aussage möglich -Tendenziell: Königtum des Nordens verfügt über größeres militärisches, wirtschaftliches und politisches Potential; südl. Juda hat vllt. nie den Charakter eines königlichen Stammesstaates Juda-Jerusalem der Davididen mit administrativen Ansätzen und zentralistischen Planungen aufgegeben Der Norden: -Jerobeam I. hat nach AT die nördl. Stämme vereint und als König den Staat „Israel“ gegründet, der sich um verschiedene Residenzen im Bergland (Sichem, Penuel, Tirza) konzentrierte (1Kön 12,25) -Stammesoberhäupter, die sich in Sichem versammelten, haben bei der Gründung des Stammesverbundskönigtums eine entscheidende Rolle gespielt -Aus Juda wurde ein Kleinstaat (1Kön 12,20) bestehend aus Jerusalem und dem Stamm Juda -übrige Stämme folgten Jerobeam I. -geographisches Herrschaftsgebiet (nach AT): zentrales Bergland (Efraim, Benjamin, Manasse) Jesreel-Ebene (Issachar) Galiläa (Sebulon, Naftali, Ascher) Dan Transjordanien (Manasse, Ruben, Gad) -an Historizität von Jerobeam I. als König der Nordreichstämme kann kaum Zweifel zu bestehen (Einsetzen der Annalenschreibung) -hingegen ist umstritten, wie das Königreich aussah und was es umfasste -ab 9. Jh. v.Chr. wurde Aram-Damskus ständiger Gegenspieler von „israelitischen“ Ansprüchen -Galiläa und Jesreelebene wurden immer wieder abwechselnd beherrscht oder beansprucht -Israel Jerobeams I. stellt sich als zentralpalästinischer Stammesverbundsstaat bestehend aus Bergbauern- und Viehzüchtern dar. -Änderungen durch Heerführer Omi (882/878-871/0 v.Chr.) -gründete in Samaria (1Kön 16,24) eine königliche Residenz -in seine Zeit erst fallen Anzeichen von territorialer Staatlichkeit -der Bergstaat „Israel“ wuchs zum Territorialstaat „Israel“ -Omris Sohn Ahab (871/0-852/1 v.Chr.) setzte die expansive Politik zu Beginn mit Erfolg fort (Mescha-Inschrift) -erkannte die Gefahren von außen von Norden her -stellte sich 853 v.Chr. mit Hadad-Eser von Damaskus und u.a. den phönizischen Städten dem Assyrer Salmanassar III. (858-824 v.Chr.) bei Qarqar entgegen -Bündnis bröckelte in den Folgejahren zunehmend auseinander (Regierungswechsel in Aram-Damaskus von Hadad-Eser zu Hasael, kriegerische Vorstöße, Ermodrung der Könige Joram von Israel und Ahasja von Juda) 20 -assyrischer Druck ließ ab 838 v.Chr. auf Aram-Damaskus spürbar nach -Hasael drang 837 v.Chr. in den Norden Palästinas vor; Zerstörung Megiddo; Jesreel und Galiläa ging an die Aramäer verloren -Dan, Hazor, Betsaida wurden nach Eroberung zu aramäischen Zentren -Eroberungen laut 2Kön 10,32f.; 12,18f. Gilead, drang bis Gat vor; verlangte von Joasch von Juda (840-801 v.Chr.) Tribut -erst als die Aramäer vom Osten her durch den Assyrer Adad-neradi III. (809-781 v.Chr.) unter verstärkten Druck gerieten, konnte sich das samarische Königtum über das Kernland in den Bergen hinaus formieren und konsolidieren -Entwicklung zum zentralen Staat gelang -Entwicklung zu einer internationalen Ökonomie wurde vorangetrieben (unter Joasch und seinem Sohn Jerobeam II. -Kriegerische Erfolge des Joasch und Jerobeam II. (2Kön 14,25; Am 6,13f.) änderten nichts daran, dass das Nord- und Ostufer des See Gennesarets bis zum Ende von Aram-Damaskus 732 v.Chr. durch die Assyrer unter aramäischer Kontrolle standen -Dennoch Regierungszeit der beiden Könige für das Nordreich Zeit der wirtschaftlichen Blüte: Ausbau von Megiddo zu staatlichem Funktionalort Sozialer Unfriede und prophetische Sozialkritik: -trotz der Entwicklung blieben die sippenbäuerlichen Strukturen (entstanden in der EZ I) auch in der EZ II erhalten -führte zu Koexistenz der städtisch-staatlichen und ländlich-sippenbäuerlichen Ordnungen -Streitpunkt Landbesitz (Besitz der Familie vs. Kapitalanlage) -Streitpunkt Handel (Lokalhandel vs. Fernhandel) -Streitpunkt Finanzierung des Verwaltungsapparat -sozial- und gesellschaftskritische Prophetie des Amos (2,6-8; 3,9-15; 4,1-3; 5,7.10-12) -sippenbäuerliche Subsistenzwirtschaft geriet in den Sog der Marktwirtschaft -Kritik an Hofhaltung, Luxus, Prachtbauten wird ebenfalls in Amos 1,1 spürbar, der selbst der ländlichen Oberschicht entstammte -Zeit der Schwäche des neuassyrischen Reichs währte bis Tiglat-Pileser III. (745-726 v.Chr.) der nach Babylonien und Syrien vorstieß -Tiglat-Pileser III. war in der Folgezeit mit Kämpfen im Norden und Osten beschäftigt -Herrscher im Westen nutzten dies für die Reorganisation des Widerstands -Syrisch-efraimitischer Krieg wurde ausgelöst, von dem im Wesentlichen die Assyrer profitierten 732 v.Chr. Fall von Damaskus; wird zur assyrischen Provinz Galiläa, Jesreelebene, Megiddo, Dor und Transjordanien gehen an die Assyrer; verwandeln das Gebiet in die assyrischen Provinzen Megiddo (Dor, Jesreel und Galiläa) und die Provinz Karnajim -König Pekach von Israel wird von Assyrern durch Hoschea ersetzt -Hoschea war nun Vasall der Assyrer -zahlte anfänglich Tribut; ließ sich später nach Tod des Tiglat-Pileser III. (727 v.Chr.) zu einem Aufstand verleiten (2Kön 15,29f.; 17,1-6), den dessen Nachfolger Salmanassar V. (726-722) routiniert niederschlug -er nahm Hoschea gefangen (2Kön 17,4) -Eroberung Samarias 722/1 v.Chr. -Deportationen der Bewohner Samarias und des umgehenden Berglands 21 -Salmanassar V. starb 722/1 v.Chr; Organisation der Provinz nahm sein Nachfolger Sargon II. (722-705 v.Chr.) in Angriff -wandelt Samaria in eine assyrische Provinz um (2Kön 17,5f.); Hauptstadt wurde Samaria -baute Megiddo weiter aus, da es für die assyrische Expansion in Richtung Mittelmeerküste und Ägypten in der Folgezeit ein wichtiger Stützpunkt werden sollte -Nordpalästina war nun in das assyrische Provinzialsystem integriert -kein Nachteil; intensive Bautätigkeiten -assyrische Deportationspolitik änderte das ehem. Nordreich nicht so sehr, wie es 2Kön 17 darstellt -Mehrheit der Israeliten blieb - entgegen 2Kön 17,6.24-41 - im Land Der Süden: -Nach 1Kön 12,20 wurde aus Juda ein Kleinstaat bestehend aus Jerusalem und Stamm Juda -übrige Stämme folgten Jerobeam I. -Rehabeam gebot über Benjamin (1Kön 12,21) -Konflikte um das Gebiet des Stammes Benjamin (1Kön 14,30; 15,6.16-22) -Historizität von Rehabeam als König von Jerusalem und Juda ist kaum bezweifelt -umstritten ist, wie dieses Königtum aussah und welches Gebiet es umfasste -Juda entwickelte sich, basierend auf arch. Funden, erst sehr spät zu einem Staat, da aus dem 10./9. Jh. v.Chr. keine Hinterlassenschaften zu finden sind -Monumentalarchitektur oder Festungsbauten (2Chr 11) fehlen -Küsten-Hinterland Juda war ein kleinkammeriges Bergland -Bauern und Viehzüchter -Subsistenzwirtschaft -Stammeskönige Judas hatten wohl seit David ihren Sitz in Jerusalem und waren zeitgleich Stadtkönige über ein städtisches Zentrum (sbzeitliche Tradition) -Das Juda Rehabeams stellt sich folglich als Stammesstaat einer Bergbaueren und Viehzüchtergesellschaft um Jerusalem, also als ein Kleinstaat des Berglands dar -Geographisch ist das Gebiet Judas schwer zu umreißen, fest steht jedoch, das Juda nach Westen durch die philistäischen Städte, nach Norden durch das Nordreich Israel begrenzt war -Juda wie seine Nachbarn hatten Interesse am Gebiet der Schefala, da dies sehr fruchtbares Land war -ein Erfolg diesbezüglich gelang immer nur dann, wenn die übrigen Nachbarn schwächer waren als Juda selbst (z.Z. des Ausgreifens der Philister nach Osten oder der Dominanz der Assyrer war dies nicht möglich) -AT schildert, dass die Beziehungen zwischen „Israel“ und Juda anfänglich konfliktreich waren (1Kön 14,30; 15,6.16) -erst mit Omriden (ca. 880-843 v.Chr.) änderte sich die Lage: friedliche Koexistenz (1Kön 22,45) gemeinsames außenpolitisches Handeln (1Kön 22,4ff.; 2Kön 3,7ff.; 8,28f.) Verschwägerung der Königshäuser (2Kön 8,18.26) gemeinsame Ermordung der Könige von Israel (Joram) und Juda (Ahasja) durch Jehu (2Kön 9,16-29) -mit Atalja (843-838 v.Chr.) kam sogar eine Omridin für kurze Zeit zur Herrschaft (2Kön 11) -innen- und außenpolitische Lage Judas ist in dieser Zeit schwierig einzuschätzen -Ab Mitte des 9. Jh. v.Chr. könnte sich Juda allmählich zum Staat entwickelt haben (bedingt nicht zuletzt durch Omriden und den phönizisch-philistäischen Küstenhandel) -Gefahr der Aramäer „vor der Haustür“ d.h. in unmittelbarer Umgebung 22 -AT berichtet, dass Ataljas Nachfolger Joasch (838/7-799 v.Chr.) Opfer eines Attentats (2Kön 12) wurde -Amasja (799-771 v.Chr.) wurde sein Nachfolger, in Kriegsgeschehnisse verwickelt (2Kön 14,8-14) und zur Zeit des israelitischen Königs Jerobeam II. in Lachisch ermordet -Die über 50-jährige Regentschaft Usijas (785 [Mitregent]/ 771-734 v.Chr.) und seines Sohnes und Koregenten Jotam (757-742 v.Chr.) war eine Zeit der Konsolidierung für Juda -obwohl beide Herrscher im AT nur kurz erwähnt (2Kön 15,1-7.32-38) werden, fällt doch ihre Regierungszeit mit der Blüte des Nordreichs unter Jerobeam II., dem Aufkommen eines wirtschaftlichen Aufschwungs in Juda und ersten Hinweisen auf die Ausbildung zentral geplanter staatlicher Funktionsstädte in der materiellen Kultur Judas zusammen -evtl. war Juda wieder vom Nordreich unter Jerobeam II. abhängig -Die sozio-ökonomische Entwicklung zur territorialen Staatlichkeit hatte Juda in der 1. Hälfte des 8. Jh. endgültig erreicht (wenn auch deutlich später als der Norden) -Lachisch wurde urbanes Zentrum der Schefala und Ende des 9./8. Jh. v.Chr. zur Garnisons- und Residenzstadt -In Bet-Schemesch ist im 9. Jh. v.Chr. eine Eisenwerkstatt nachgewiesen, die die wachsende Wichtigkeit der Eisentechnologie belegt. -Städte des Südreichs waren trotz des Aufschwungs deutlich kleiner als die im Norden und erreichten deren urbanen Standard nicht -Juda blieb im Wesentlichen ein Stadtstaat Jerusalem mit je mehr oder weniger Hinterland -entging weitgehend aramäischer Bedrohung und auch dem ersten Vordringen der Assyrer -ändert sich unter Ahas von Juda (742 [Mitregent]/ 734-723 v.Chr.), der laut 2Kön 16 Tiglat-Pileser III. um Militärhilfe gegen die antiassyrische Koalition von Israel und Aram Damaskus bat (s.o.) -mit Ahas ist erstmals der Begriff „Juda“ als Bezeichnung für das etablierte Staatswesen des Südreichs außerbiblisch belegt -Jerusalem expandierte von 12 ha im 8. Jh. v.Chr. auf über 50 ha gegen Ende desselben und im 7.Jh. v.Chr. -nach 2Kön 18,8 soll Hiskija bis Gaza ausgegriffen haben, was bisher nicht belegt werden konnte -Zeit Hiskijas war eine Zeit der Blüte und territorialen Ausdehnung Judas -Tod Sargons II. (705 .Chr.) mag denn auch den judäischen König dazu verleitet haben, den Assyrer die Stirn zu bieten (2Kön 18,7) und die Tributzahlungen einzustellen -Sanherib (705-681 v.Chr.) führte Strafexpeditionen durch -Konflikt führte zum Krieg; Lachisch III (2Kön 18,13f.) und viele andere Ortslagen wurden 701 v.Chr. vernichtet -Deportationen judäischer Bevölkerungsteile waren die Folge -vor Jerusalem musste das Heer der Assyrer die Belagerung abbrechen (2Kön 18,17; Jes 36,2; 2Chr 32,9) und aus unbekannten Gründen (Mäuseplage, Seuche im Lager, Unruhen in Assyrien) nach Assyrien zurückkehren -Biblisch handelte es sich hierbei um ein Wunder, das auf das direkte Eingreifen JHWHs (vermittelt durch den Propheten Jesaja) zurückzuführen war (2Kön 19; Jes 37) -Hiskija hat dem assyrischen König den Tribut hinterher gesandt (2Kön 18,14-16) und so seinen Rumpfstaat um die Stadt Jerusalem erst einmal vor neuen Angriffen bewahrt 23 -Schefala blieb dennoch verloren; wurde unter den assyrientreuen philistäischen Vasallenkönigen von Aschdod, Ekron und Gaza aufgeteilt -Ekron blieb bis zum Ende des assyrischen Reiches loyaler Vasall, was insbesondere der Generation der Regierungszeit des Manasse (694-640 v.Chr.) eine stabile und prosperierende Zeit schenkte, die biblisch in der dtr. Geschichtsdeutung nicht als solche gewürdigt wird 4. Eisenzeit II C (722/700-587/6 v.Chr.): -Eisenzeit II C gekennzeichnet durch das politische Ende des Nord- und Südreichs -außenpolitisch ist diese Zeit äußerst wechselhaft: -Höhepunkt und Untergang des neuassyrischen Reichs -Entstehen des neubabylonischen Reichs -Revitalisierungsbestrebungen der ägyptischen Vorherrschaft in der Levante -Erst mit dem Sohn von Sanherib (705-681), Asarhaddon (681-669 v.Chr.) erreichte das assyrische Reich Ägypten (671 v.Chr) und damit seine größte Ausdehnung -Assubanipal (669-628/7 v.Chr.) stellte sich zunächst erfolgreich den Aufständen Ägyptens entgegen -verlor nachher unter Psammetich I. Ägypten kampflos -Nach 640 v.Chr. zeigten sich erste Anzeichen des Verfalls des assyrischen Reichs, der nach dem Tod des Großkönigs voranschritt -Begründer der chaldäischen Dynastie (General Nabopolassau (626-605 v.Chr.) erkämpfte sich den babylonischen Thron und griff zusammen mit dem Mederkönig Kyaxares Assyrien an -Eroberung der Hauptstadt Assur 614 v.Chr -Eroberung der politischen Residenz Ninive (Nah 2,2-3,19) -Der verbleibende assyrische Rumpfstaat fand 609/8 v.Chr. sein Ende -Erbe der Herrschaft über den Westen wurde kurze Zeit Ägypten, dann aber das neubabylonische Reich, das sich erst mit Nebukadnezzar II. (695-562 v.Chr.) endgültig formierte -Entscheidungsschlacht bei Karkemisch (605 v.Chr.) -Ägypter wurde geschlagen; Syro-Palästina fällt an die Babylonier -Neubabylonisches Reich war von kurzer Dauer -bereits in der Zeit des letzten neubabylonischen Königs Nabonid (556-539 v.Chr.) Ende erkennbar, um ca. 539 v.Chr. durch Kyros II. vom persischen Reich gelöst -Das ehemalige Nordreich wurde in der Zeit des Abstiegs des neuassyrischen Reiches teilweise schon als Station für ägyptische Truppenoperationen (so Megiddo) genutzt (vgl. 2Kön 23,29f.) -die babylonischen Eroberungen haben die ehamligen assyrischen Provinzzentren in Nordpalästina nur wenig getroffen -Samaria, Galiläa und Siedlungen unmittelbar nördlich von Jerusalem blieben von Zerstörung durch die Babylonier weitgehend verschont -Juda war assyrischer Vasall -trotz des Verlusts der landwirtschafs-ökonomisch potenten Gebiete (s.o.) prosperierte in der EZ II C Juda -Grund war auch Manasses (694-640 v.Chr.) assyrienfreundliche Politik -Jerusalem erlebte Blüte -Manasses Sohn Amon (640-638 v.Chr.) fiel nach 2Kön 21,23f. einer Palastrevolte zum Opfer -Einsetzung des minderjährigen Joschija (638-609/8/7 v.Chr.) als König -nach dem Untergang des assyrischen Reiches kam es zu einer ägyptischen Renaissance in Palästina -Schefala kam später wieder in judäische Hand 24 -Lachisch wurde neu aufgebaut und befestigt -auch der Negev blieb zur Zeit Joschijas in judäischer Hand -Joschija fand in Megiddo durch Pharao Necho II. seinen Tod (2Kön 23,29f.) -mangelnde Rücksicht auf ägyptische Interessen ließen seine Expansionsbestrebungen scheitern -genaue Umstände des Todes sind unklar -Zwischen 609 und 605 v.Chr realisierten die Ägypter Ansprüche in Palästina und dominierten Juda -Necho II war es, der Joschijas dynastischen Nachfolger Joahas (609/8 v.Chr.) nach drei Monaten Regentschaft absetzte, nach Ägypten deportierte und an seiner Stelle Eljakim/Jojakim (609/8-598/7 v.Chr.) einsetzte (2Kön 23,31-35) --- Tributverpflichtet -nach der ägyptischen Vasallität folgte die babylonische -Jojakims Beendigung der Tributzahlungen führte zum Feldzug Nebukadnezzar II. nach Jerusalem, wo in zwischen Jojachin König war, der die Stadt übergab -598/7 v.Chr. fand die erste Eroberung Jerusalems statt (2Kön 24,1-16) -Babylonier plünderten die Stadt, deportieren einen Teil der Oberschichte nach Babylonien -Zu den Deoportierten gehörte auch der Davidide Jojachin (2Kön 24,14) und der Prophet Ezechiel (Ez 1,1-3) -Für die Deuteronomisten war Zidkija (598/7-587/6) der letzte legitime König von Juda -hatte seine Regierung den Babyloniern zu verdanken, kam aber seiner Vasallität nicht mehr nach; (Jer 37,5-11) -Jerusalem wurde belagert, erobert, Zidkija als flüchtiger und abtrünniger Vasall schwer bestraft und geblendet nach Babylonien deportiert (2Kön 25,7). Jerusalem und sein Tempel wurden geplündert, zerstört und verbrannt, eine weitere Deportation (2Kön 25,8ff.) folgte. Jeremia, dessen Unheilsprophetie dem antibabylonisch agierenden Zidkija als probabylonische Propaganda und demoralisierend (Jer 38,4.24f.) erschienen war, wurde von den Babyloniern anscheinend als Kollaborateur gewürdigt und freigelassen (Jer 40,4-6) -2Kön 25,22-26; Jer 40,7-41,18 berichtet von einem judäischen Reststaat rund um Mizpa -eingesetzer König/Statthalter wurde später ermordet (582 v.Chr.) -Babylonische Eroberung Ammons und Moabs, dritte Deportation von Judäern (Jer 52,30) und Flüchtlingswelle nach Ägypten (2Kön 25,26; Jer 41-43) § 4.2.2 Religion und Kult: Lokalpanthea, Freilichtheiligtümer, Nationalgötter und kaum Stadttempel 1. Eisenzeit I (1200/1150-1000 v.Chr.) -Kultgebäude der Eisenzeit (EZ I) weisen diese Periode als Mischkultur aus Elementen unterschiedlicher Herkunft und als Übergangszeit aus, in der einerseits sbzeitliche Traditionen weiterlebten und andererseits auch Innovationen entstanden -nur wenige Kultgebäude bekannt -Tradition des Stadttempels wurde weitergetragen -Traditionen der SBZ lebten nur in den Küstengebieten (z.B. Geser) weiter -In dörflichen Siedlungen der frühen EZ sind keine Tempel gefunden worden -auf gemeinschaftlichen („offiziellen“) Tempelkult wurde anscheinend verzichtet -stattdessen wohl lokaler Kult sowie Open-Air-Heiligtümer -Abzug der Ägypter machte sich bemerkbar: Ägyptische Gottheiten (Ptah, Hathor) traten stark zurück -Metallstatuen der EZ I zeigen nahezu ausnahmslos männliche Gottheiten des thronenden Eloder des schlagenden Baal/Hadad-Typs -Charakter der Gesellschaft der EZ prägt auch die Götterhimmel 25 Städte sind den Traditionen der BZ verpflichtet palästinische Dorfkultur: andere Gegebenheiten o Pantheon weniger ausdifferenziert o Vielfalt kleiner lokaler Götterfamilien -Die in einzelnen Stämmen organisierte Gesellschaft des Landesinneren Palästinas war keine „gesamtisraelitische“ Kultgemeinschaft, sondern jeder Stamm, jede Sippe und jede Familie war in Sachen Kult auf die eigenen Traditionen und deren Pflege angewiesen -Vollzug kultischer Verrichtungen oblag Familien-, Sippen- oder Stammesvorstand -evtl. sind auch wandernde Priester zu denken 2. Eisenzeit II A (1000-926/900 v.Chr. oder 950/900-800/785/748 v.Chr.) -städtische Tempelanlagen fehlen - trotz Zeit der Siedlungsballungen und Wiederaufschwung -evtl. vernachlässigte man die Sakralbauten der Städte zugunsten des offiziellen Staatskult -evtl. waren solche Stätten überhaupt nicht nötig, da die meist aus dem Bergland stammende Bevölkerung, die sich in den Städten ansiedelte, ohnehin lokalen Kult und Familienkult vorzog -Festzuhalten bleibt also: 1. die religiösen Traditionen der Stadtstaaten der SBZ wird in der EZ II nicht mehr fortgesetzt 2. die religiösen Traditionen der sbzeitlichen/eisen-I-zeitlichen zogen mit den Menschen in die Städte ein (kein Staatskult nötig etc.) -archäologisch deckt sich diese Intention: Funde von häuslichem Kultinventar (Räuchertassen, Statuenschreine, Miniaturschreine aus Terrakotta etc.) -Verhältnis der verschiedenen Lokalgottheiten spielte dann eine Rolle, wenn sich die Sippen zu Stämmen oder die Stämme zu Stammesverbünden zusammenschlossen -Frage nach dem gemeinsamen göttlichen Schutzpatron -Die Gottheit der führenden Familie/Sippe/Stamm kam wohl zum Tragen -In Stammesverbundskönigtümern wurde meist derjenige zum Schutzgott erklärt, der dem stärksten Stamm (dessen Häuptling den Zusammenschluss betrieben hatte) zugehörig war -es existierten jedoch auch weiterhin die Lokalgottheiten -hierarchische Ordnung der Götter Der Name JHWH -epigraphisch hwhy mit unbekannter Vokalisierung -belegt seit Inschriften des Moabiters Mescha (9. Jh.) -verschiedene Kurzformen: JHW = Jaho/Jahu JW = Jaw/Jau/Jo JH = Ja JHH = Jaho -mögliche Bedeutungen des Namens: Ex 3,14 - masoretische Vokalisation: hebr. Wurzel HYY „sein, werden“ hebr. Wurzel HWY „wehen“ -LXX schreibt meist kurioj -die heute meist gebrauchte Namensform „Jahwe“ beruht auf der Erschließung der Aussprache aufgrund vereinzelter spätantiker Zeugnisse (z.B. Clemens von Alexandria 3. Jh. n.Chr.) -vermutet wird, dass der Kult des JHWH den in Palästina ansässigen Stämmen durch eine bestimmte Gruppe vermittelt wurde, die im Laufe der Geschichte in „Israel“ aufging Flüchtlingsgruppe um Mose könnte den Namen mitgebracht haben -JHWH war ursprünglich ein Wettergott 26 -Geschichte des JHWH im 10. Jh. v.Chr. in einem „Israel“ und Juda, das sich aus vereinzelt zentralisierten Stammesgesellschaften zusammensetzte ist klar divergent zum biblisch überlieferten Bild, das von dem bildlosen JHWH als dem einzigen Mittelpunkt des offiziellen Tempelkults eines organisierten davidisch-salomonischen Staatswesens mit Sitz in Jerusalem erzählt -erst Salomo - und nicht etwa die ersten Könige Saul und David - baut einen Tempel zu Ehren der Gottheit (1Kön 5f.) -für das Nordreich ist kein Tempel des offiziellen Kults belegt, da der Jerusalemer Tempel von den biblischen Autoren und Redaktoren als einzig legitimer Kultort des Nord- und Südreichs gezeichnet ist -folglich findet sich nur die „Sünde Jerobeams“ in 1Kön 12 (Stiergott in Bet-El) Der 1. Jerusalemer Tempel bis zum Exil: -im AT gilt der Jerusalemer Tempel als DER Sakralbau des judäischen Staates, der von Salomo (1Kön 6f.; 2Chr 2-4) für JHWH als Staatsgott der vereinten Monarchie errichtet wurde -genaue Lage nicht mehr feststellbar (wohl nördlich des heutigen Felsendoms) -Tempelentwurf der Ezechiel (Ez 40-42) wohl eine Fiktion, die theologisch geprägt ist (z.B. Osttor) -atl. Darstellung ist historisch/archäologisch nicht verifizierbar, besitzt jedoch, da sie den syropalästinischen Bautraditionen für Stadttempel (Langhausbauten seit der MBZ II) entspricht, eine gewisse Plausibilität -Tempelbetrieb wurde vom König gestiftet (1Kön 7,51; 8,62-65) -Tempel wurde zusammen mit dem Palast 587/6 v.Chr. von den Babyloniern geplündert und zerstört (2Kön 25,9), was jedoch nach Jer 41,4f. und Ez 33,24ff. nicht das Ende des JHWHKults im Land bedeutete -biblische Verbindung der Königsdynastie „Haus Davids“ mit der Residenz Jerusalem und dem Dynastiegott JHWH scheint darauf hinzuweisen, dass JHWH erst mit dem Dynastiegründer David in die Davidsstadt einzog -Stammesgott wurde folglich zu einem Stadtgott -nicht zu klären ist, welche Gottheit(en) vor JHWH in Jerusalem verehrt wurde -Anwesenheit der Aramäer ist nicht zu unterschätzen: das religiöse Zentrum war seit 1050 v.Chr. Haran in Norwestmesopotamien, wo sich mindestens seit dem 18. Jh. v.Chr. eine Kultstätte des Mondgottes Sin befand -seine Symbolik fanden früh in Palästina Eingang und setzten sich in der Folgezeit durch 3. Eisenzeit II B (926/900 - 722/700 v.Chr. oder 800/785/748 - 722/700 v.Chr.): -Entwicklung zur Staatlichkeit bedingte die Entwicklung der ehemaligen lokalen Götter einzelner Sippen/Stämmen zu Dynastie-, Residenz- oder Flächenstaatsgöttern -Folgende Götter sind nachweisbar und für die einzelnen Staaten bekannt: Milkom von Ammon Kemosch von Moab Qos/Qaus von Edom JHWH von Israel/Samaria JHWH von Juda/Jerusalem -Religionsgeschichtliche Entwicklung des JHWH und sein Aufstieg zum höchsten Gott und König im 10.-9. Jh. v.Chr. ist recht einheitlich verlaufen 27 Der Aufstieg des Gottes JHWH: -im Zuge der Staatenbildung muss der Aufstieg JHWHs zum höchsten Gott im Nordreich vorangegangen sein -In der Königszeit ist JHWH im Nord- und Südreich zweifellos der mächtigste und höchste Gott -kultische Realität bestand aus Polytheismus (Baal, Aschera, Bes, Horus) und Polyjahwismus -verschiedene Ausprägungen: JHWH als Gott Jerusalems mit Anspruch auf die Berge Judas und das ganze Land (Hirbet Bet Layy) JHWH vom Zion (Ps 99,2) JHWH von Hebron (2Sam 15,7) -frühestens nach dem Ende der Staatlichkeit des Nordreichs kam es zu dem theologischen Konstrukt der Identität der JHWH-Verehrung im Süd- und im Nordreich führte zur ausschließlichen Verehrung JHWHs in seiner am Zweiten Tempel in Jerusalem geprägten Form und letztlich zum Monotheismus -neben dem offiziellen Kult gab es in der EZ II B weiterhin auch lokale bzw. familiäre Kulttraditionen Das Nordreich Israel: -lokale Verbreitung des Kults des JHWH von Israel/Samaria ist mit dem Herrschaftsbereich der Könige des Nordreichs in Zusammenhang zu setzen -JHWH war zunächst nur der höchste Gott des Stammesverbundsstaats einer zentralpalästinischen Bergbauern- und Viehzüchtergesellschaft, also der Nationalgott eines Kleinstaats des Berglands (siehe 1Kön 20,23.28) -zur Zeit Omris wuchs der Gott des Bergstaats „Israel“ aus seinem Kernland heraus -unter den territorialen Eroberungen und Kriegen wurde auch der Kult beeinflusst, wobei nicht anzunehmen ist, dass mit jedem Herrschaftswechsel auch die Götter „ausgetauscht“ wurden -ob die Verehrung JHWHs in Abgrenzung zu Hadad/Baal Wurzeln schlagen konnte, ist schwer zu sagen -im Raum steht bspw. die Frage, inwieweit der Kult des JHWH in Dan, einem traditionellen Quellheiligtum, in der kurzen Zeit israelitischer Hegemonie wirklich Fuß fassen konnten -Das AT nennt dennoch zwei Heiligtümer mit überregionaler Bedeutung: 1. Samaria -Sitz des Dynastiegottes für den offiziellen Kult -Vermischungen zwischen Baal („Herr“) und JHWH möglich 2. Bet-El -Belege in 1Kön 12,26ff.; Hos 4,15; 6,10; 10,5; Am 4,4; 5,5; 7,10f. -evtl. Grenzheiligtum (Am 7,10-17) -Jerobeam I. könnte mit der Aufstellung eines Stierbildet in Bet-El (1Kön 12,26ff.) an alte Kulttraditionen angeknüpft haben und so Bet-El vom lokalen Heiligtum in den Status eines königlichen Staatstempels (Am 7,13) erhoben haben -Wallfahrten und Prophetenschulen werden im AT mit dem Ort verbunden (2Kön 2,2f.; 2,23; Amos; Hosea) -archäologisch ist dies alles kaum überprüfbar; Bet-El der EZ II ist ein relativ bescheidener Ort 28 JHWH, Baal und der Sonnengott im Nordreich: -AT ist in weiten Teilen von scharfer Polemik gegen Baal gekennzeichnet (Elija-ElischaErzählungen, 1Kön 18; 2Kön 10; Hosea, Num 25,1-5; Dtn 4) ruft wiederholt auf sich für JHWH und gegen Baal zu entscheiden hierdurch entsteht unversöhnlicher Gegensatz beider Gottheiten -JHWH sind, so der Stand der Forschung, eng miteinander verwandt gewesen und hatten als Wettergötter ähnliche Kompetenzen -JHWH wurde teilweise mit dem Symbol der Sonne verknüpft -offizieller JHWH-Kult des Nordreiches scheint - ebenso wie der der anderen Götter, mehrheitlich an außerstädtischen Heiligtümern stattgefunden zu haben -Archäologie der Eisenzeit II B weist nur selten Stadttempel auf -Die Plünderung des kultischen Equipments des JHWH im ostjordanischen Nebo durch Mescha von Moab spricht dafür, dass es im israelitischen Territorium den offiziellen Kult des Staatsgottes JHWH auch außerhalb der Hauptstadt/Residenz gab. -Steinschneidekunst (Glyptik) und Kunsthandwerk weist Nordreich als ein Land aus, das verschiedene religiöse Symbolsysteme rezipierte und auch lokalen Traditionen verhaftet blieb -ägyptisches religiöses Symbolsystem ist im Norden wie im Süden weiter präsent (Amulette) -insbesondere der Sonnengott fand großen Anklang in Palästina Der Süden: -JHWH wurde als Nationalgott des Kleinstaates des Berglandes verehrt -Grenzen des JHWH-Kults nach Norden wären interessant, da hier eine Verschmelzung von Nord- und Südreich festzumachen wären -JHWH war im Süden (im Ggs. zum Norden) nur an eine königliche Dynastie gebunden -JHWH des Nordens war vllt. stärker als Baal/Baal-samem (Himmelsherr) konzipiert -JHWH des Südens hatte Züge des Jerusalemer Stadtgottes (evtl. Sonnengottheit) -in den Grenzregionen (Schefala) etc. blieb wahrscheinlich der Lokalkult erhalten, unabhängig davon, wer gerade die politische Hegemonie beanspruchte/ausübte. Außerdem wurden neue Götter einfach in das bestehende Pantheon integriert -über religionspolitische Maßnahmen der Könige Judas erzählt das DtrG (und die Chr.) nur wenig (Historizität hierbei zweifelhaft) -Königinmutter Maacha habe eine Aschera (Frau JHWHs) im Jerusalemer Tempel errichten lassen, was sie ihr Amt gekostet hätte (1Kön 15,13) -Joasch führte Kollekte ein, um den Jerusalemer Tempel zu renovieren (2Kön 12) -Ahas habe einen Altar her- und aufstellen lassen (2Kön 16,10-16) -Hiskija führte Kultreform durch, die gegen die lokalen Höhenkulte, Mazzeben, Ascheren u.w. gerichtet gewesen sei (2Kön 18,4) -dies weist evtl. auf die Kultreform des dtr Idealkönigs Joschija in hin (2Kön 22f.) -weitere formelhafte Verweise auf den Kult an den Höhen (2Kön 15,4.35; 16,4 etc.) -2. Hälfte des 8. Jh. war die Zeit der judäischen Propheten Jesaja und Micha, die in Bezug auf Jerusalem und den Zion unterschiedliche Positionen vertraten -dennoch waren beide im Bezug auf die Verkündigung auf die Hauptstadt (Jerusalem) fixiert -Micha war Landjudäer, der das wirtschaftlich prosperierende Jerusalem dem Untergang geweiht sah -Jesaja war vllt. Prophet am Hof der Könige Usija bis Hiskija, der die außenpolitische Lage Arams, Israels (Jes 8,1-4), Philstäas (Jes 20) und Judas realistisch einschätzte, vor Kriegsvorbereitungen und falschen Bündnissen mit Ägypten warnte und trotz 29 drastischer Gebietsverluste Judas und wiederholter Gefährdungen die Bewahrung Jerusalems ankündigte (Jes 1,7f.) -materielle Kultur Judas weist (außer Jerusalem) keine Stadttempel aus -dennoch archäologische Zeugen von Kultbetrieb in Beerscheba, Hazor und Tell BetMirsim -in judäischer Ikonographie findet sich seit dem 9. Jh. v.Chr. starke Rezeption ägyptischer Herrschaftssymbolik auf -König von Jerusalem orientierte sich offenbar am ägyptischen Pharao -auch im AT spiegeln sich theokratisch überhöhte Königsideologien wieder, wenn der König als Sohn des JHWH erscheint (Ps 2; 110) -Juda stand im Bann des religiösen Symbolsystems Ägyptens, so dass geflügelte Uräen (mit vier Flügeln) und Sonnensymbolik breit belegt sind -JHWH von Jerusalem erhielt klar solche Züge (Dtn 33,2; Hab 3,3ff.; Zef 3,5) 4. Eisenzeit II C (722/700-587/6 v.Chr.): -Zeit der wechselnden Oberherrschaften (Assyrer, Ägypter, Babylonier) -hinterließen ihre religiösen Spuren -Traditionen blieben parallel erhalten -wachsende wirtschaftliche und kulturelle Internationalisierung führte im palästinischen Götterhimmel zu Zuwachs aus ehedem fremden Ländern -Stadttempel blieben dennoch auch in dieser Epoche die Ausnahme -Nordreich und seit 701 v.Chr. als Rumpfstaat existierende Juda gingen weiterhin religionsgeschichtlich getrennte Wege -Nordreich: Kult des Nordreiches und des Königshauses war mit dem politischen Ende des Reichs um Samaria beendet Israeliten blieben - entgegen 2Kön 17 - dennoch im Land o Kult des JHWH wurde folglich fortgeführt Wenn 2Kön 13,15 (Joschijas Bet-El-Überfall) historisch greifbar wäre, ist es denkbar, dass Bet-El trotz assyrischer Präsenz weiterhin lokales Zentrum des JHWH-Kults war -Juda: Kult des JHWH bestand am Tempel in Jerusalem weiter Bindungen an den Sitz JHWHs in Jerusalem und die davidische Dynastie blieben trotz Verkleinerung des Landes auf das Bergland und den Negev hin erhalten verschiedene Einflüsse durch andere Gottheiten (bedingt durch Vermischung der Völker) -in Jerusalem traten verschiedene Religionen zu den diversen Sprachen und Schriften -nach 2Kön gab es proassyrische und antiassyrische (z.B. Joschija und seine Ratgeber) Formierungen -dtr Interpretation ist aus Retrospektive des Untergangs Judas gestaltet (antiassyrisch) -Assyrienfreundliche Politik des davidischen Königs Manasse (694-640 v.Chr.) brachte ihm im DtrG eine denkbar schlechte Bewertung ein -kultische Vergehen des Manasse (Wiedereinführung des Höhenkults, Bau von Altären für Baal etc.) -2Kön 21 -Amon, der Sohn Manasses wird nach bibl. Bericht ermordet (2Kön 21,23) 30 Die assyrische Krise der judäischen Religion? -mit Ausnahme von Deportation von Tempelinventar und Kultbildern sind keine direkten Eingriffe in den Kult der Besiegten Völker belegt -Glaube an assyrische Götter wurde nicht verlangt, wohl aber Unterwerfung unter die assyrische Königsideologie -nur wenige assyrische Götter sind in Palästina nachgewiesen -festzuhalten bleibt abschließend dennoch, dass die Anwesenheit der Assyrer in Palästina in der Religionsgeschichte der Region tiefe Spuren hinterlassen hat. -in 2Kön 22f. tritt der dtr idealisierte und antiassyrisch-national eingestellte König Joschija auf -er realisiert die dtr Ziele der Kultuseinheit und Kultusreinheit -Reform begann mit der Renovierung des Jerusalemer Tempels -Buchfund, dann Bundesschluss (2Kön 23,1-3) zwischen JHWH, König und Volk -Kultreform (2Kön 23,4ff.) beginnt, die mit feierlichem Paschafest (2Kön 23,21-23) begangen wurde Joschijas Kultreform (622/1 v.Chr.): -in vorexilischer Zeit war die Religion Israels und Jas polytheistisch und polyjahwistisch -Propagierung der alleinigen JHWH-Verehrung begann evtl. mit Elija im 9. Jh. v.Chr. oder mit Hosea im 8. Jh. v.Chr. -mit Kultreform Joschijas meint man den Fixpunkt erreicht zu haben, an dem 1. alleinige JHWH-Verehrung 2. Kultzentralisation 3. Bildlosigkeit des Gotteskults festgemacht werden kann -Frage ist redaktionsgeschichtlich, ob Kultreform überhaupt stattgefunden hat, und falls ja, in welcher Form Buchfund evtl. Urform des Dtn? -archäologischen Beweis der Reform gibt es nicht -zuerst („JHWH-allein-Bewegung“) war die Alleinverehrung JHWHs noch auf Monolatrie ausgerichtet, wurde erst in exilischer Zeit zum theoretischen Monotheismus und in nachexilischer Zeit durchsetzungsfähig -mit dem Zusammenbruch Assyriens schien für Joschija die Zeit gekommen, sein Programm durchzusetzen -fiel in assyrisches Herrschaftsgebiet ein -eignete sich vllt. in Bet-El religiöse Traditionen (Hosea, Amos) an -markierte den Anspruch das Erbe des Nordreichs anzutreten -in der materiellen Kultur Palästinas des ausgehenden 7./6. Jh. ist kein grundsätzlicher Paradigmenwechsel zur Monolatrie, zum Anikonismus (Verzicht auf bildlich-figürliche Darstellung im kultischen Kontext) oder zur Kultzentralisation Jerusalems zu finden -Joschijas Aktivitäten wurden von den Pharaonen der 26. Dynastie mitbestimmt -nach Ende der ägyptischen Vasallität und dem Wechsel zur babylonischen um 605 v.Chr. kam es zur Zeit des Jojakim (und seiner Nachfolger) in Jerusalem zur Neuauflage des Konflikt zwischen proägyptischen (=antibabylonischen) und antiägyptischen (=probabylonischen) Parteien (Jer 28) -Prophetengruppen spielen hier eine zentrale Rolle -Streitpunkt wahre und falsche Prophetie (Jer 37, 17-21; 23,9ff.) -erst im Nahhinein feststellbar (Dtn 18,21f.) -antybabylonische Partei konnte ihre Politik zwar durchsetzen, doch gab die Katastrophe von 598/7 und 587/6, die auf den sinnlosen Aufstand gegen Babylonien folgte, den Protagonisten der probabylonischen Gegenpartei Recht 31 -Unheilsprophetie Jeremias und Ezechiels machte beide zu wahren Propheten -Offizieller Kult des JHWH fand nach Untergang des davidischen Königtums sein Ende -Kult konnte durch die im Land Verbliebenen in Tempelruinen in Jerusalem, an lokalen Heiligtümern (Mizpa, Bet-El) und in Häusern weitergeführt werden -Mit Ende der politischen Eigenständigkeit Judas hatte sich Verehrerschaft JHWHs gespalten -archäologisch und ikonographisch sind verschiedene Götterbilder aus anderen Kulturen überliefert (Mondgott von Haran [höchster Gott des Westens für die Assyrer]) -Zunahme astraler und lunarer Kulte § 4.3 Die babylonisch-persische Zeit (587/586-333/2 v.Chr.) § 4.3.1. Wirtschaft und Gesellschaft: Die Zeit des Exils, der partiellen Rückkehr, des Neubeginns und der Konflikte mit den Landesbewohnern 1. Überblick: -mit Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezzar II. 598/7 bzw. 587/6 v.Chr. begann in Juda babylonische Zeit, die etwa 50 Jahre später mit dem letzten neubabylonischen König Nabonid (556-539 v.Chr.) ihr Ende fand -Neuerungen (auch religiöser Art) waren umstritten und bei den Traditionalisten heftig umstritten; Aufstände und Diffamierung Nabonids war die Folge -Kyros gelang es, Babylonien weitgehend kamplos 539 v.Chr. zu erobern -Babylonierreich wurde vom Perserreich abgelöst -Perserreich hatte danach etwa 200 Jahre Bestand -erst durch Alexander den Großen ging es 333/2 v.Chr. unter -persisches Reich war Weltreich aufgeteilt in Groß- und Untersatrapien mit Provinzen und Vasallenkönigtümern -Kyros II. (558-530) übernahm nach seinen Eroberungen die vorgefundenen Verwaltungsstrukturen -Umschwung fand insofern statt, als dass Kyros Maßnahmen des Nabonid rückgängig machte und Tempel und Städte rekultivierte -bestehende lokale Herrschaften, Rechtstraditionen sowie traditionell autochthone Kulte wurden unterstützt (Konförderation wurde unterstützt) -d aus der Unterstützung des Regionalismus in kultisch-kultureller Hinsicht bei gleichzeitiger Unterordnung unter das gesamtpersische Reichsinteresse ergab sich die für die Epoche typische Prägung durch regionalen Partikularismus bei gleichzeitigem gesamtreichsorientiertem Universalismus -Der Sohn von Kyros, Kambyses (530-522 v.Chr.) setzte Kriegserfolge des Vaters fort, eroberte 525 v.Chr. Ägypten; ließ sich als Pharao der 27. Dynastie inthronisieren -plötzlicher Tod Kambyses in Syrien führte zur Königskrönung von Gaumata, der sich als Bruder des Kambyses ausgab -Aufstände führte zu dessen raschem Tod -Darius I Hystaspes (522-486 v.Chr.) folgte ihm nach, brauchte drei Jahre um seine Herrschaft zu etablieren und das Reich zu befrieden (522-519 v.Chr.) -hiernach Verwaltungs- und Steuerreform -Darius I. Hystaspes wurde in schwere Konflikte verwickelt mit den Griechen (490 v.Chr); Schlacht bei Marathon -weitere persische Herrscher folgten bis letztlich Darius II (424-404 v.Chr.) den Thron bestieg -auch hier wieder ständige Auseinandersetzungen (v.a. mit Athen) -Nachfolger von Darius II. wurde Artaxerxes II. Mnemon (404-359/8 v.Chr.) -Auseinandersetzungen zwischen Persern und Phöniziern einerseits und Persern und Griechen andererseits prägten die folgenden Jahre -Rückeroberung Ägyptens (343/2 v.Chr.) durch Artaxerxes III. Ochos 32 -Münzherstellung erlebte in dieser Zeit enormen Aufschwung -Todesumstände Artaxerxes III. Ochos durch Bagoas unklar -Darius III. Kodomannos (336-331 v.Chr.) wurde Nachfolger -er unterlag dem Makedonen Alexander III. in der Schlacht bei Issos (333 v.Chr.) -nachdem 332 v.Chr. der letzte persische Satrap Ägypten kampflos an Alexander übergeben wurde und 331 v.Chr. die Schlacht bei Gaugamela verloren ging, begann für den Vorderen Orient die hellenistische Zeit -Wirtschaft, Kultur, Religion, Kunst und Gesellschaft sind in der babylonisch-persischen Zeit von ausgeprägter Internationalisierung gekennzeichnet -unter Herrschaft der Babylonier beschleunigte sich der politische und ökonomische Aufstieg der phönizischen Küstenstädte -ihnen kam aufgrund der guten westlichen Küstenlage militärisch enorme Bedeutung zu -Perser profitierten vom Reichtum der Küstenstädte, die sie gegen die Babylonier erobert hatten -Aramäisch war inzwischen lingua franca -dem Handel waren - in sprachlicher Hinsicht - folglich keine Grenzen gesetzt -städtebauliche Entwicklung ging an dem samarischen und judäischen Bergland vorbei, das als Hinterland nicht direkt am internationalen Handel beteiligt war -Kulturelle, wirtschaftliche und religionsgeschichtliche Verhältnisse an der Küste und in Galiläa sind v.a. auf dem Hintergrund der phönizischen Präsenz zu verstehen und kaum mit der Situation in Samaria oder Jerusalem gleichzusetzen 2. Palästina in babylonischer Zeit: -Palästina war nach dem ersten Auftauchen der Babylonier im Westen zum Schauplatz der Streitigkeiten zwischen diesen und den Ägyptern um das assyrische Erbe geworfen -Babylonier bauten auf den Strukturen von den Assyrern auf -übernahmen folglich die assyrische Provinzialorganisation -zeigt das Desinteresse der Babylonier an homogener Verwaltungsstruktur im Großreich -den babylonischen Gebieten im Westen war es aufgrund der Kriegszüge zwischen 604 und 587/6 nicht möglich, sich wirtschaftlich zu stabilisieren (Gegner: Ägypten) -Juda wurde wahrscheinlich auch nicht zur Provinz umgestaltet (AT und archäol. Funde weisen nichts aus) -Eroberungen Nebukadnezzar II. waren nicht so einschneidend, wie es das AT aussagt -Bibl. Schreiber verfolgte die Intention, dass nach den Katastrophen von 598/7 und 587/6 Gott sein Volk verstoßen hatte, dass die Gabe des Landes verspielt war und es nun als entvölkerte Wüste existierte -archäologische Funde widersprechen diesem (theologisch-geprägtem) Bericht -kultureller Abbruch hielt sich in Grenzen -Städte wie Bet-El und Gibeon waren in babylonisch-persischer Zeit sogar bewohnt -die beiden babylonischen Eroberungen Jerusalems 598/7 und 587/6 trafen nicht alle Regionen Palästinas gleichermaßen hart -Selbst in Jerusalem ging das Leben schnell wieder ohne einen materiellen Umbruch normal weiter -Jerusalem war in der Exilszeit also keine Geisterstadt, sondern bewohnt und zwar u.a. von einer Oberschicht, die den finanziellen Hintergrund hatte, sich Luxuswaren zu leisten -Folgende Ereignisse um 600 v.Chr. hatten für Juda einschneidende Gebietsverluste zur Folge: Negev, südliche Schefela und südliche Teile des judäischen Gebirges kamen unter Herrschaft der Edomiter und der arabischen Stämme 33 Exilierung und Auswanderungen der Bewohner des Südreichs Juda: 1.) Assyrische Deportation -judäische Bevölkerung aus Schefala wurde mit Sanheribs Feldzug von 701 v.Chr. deportiert -exilierte Judäer leisteten den Assyrern Frondienste, als Packarbeiter oder in der königlichen Garde 2.) Babylonische Deportationen -drei Deportationen von Judäern durch Babylonier (598/7; 587/6; 582 v.Chr.) -Jer 52,30; Jer 40,5-43,7 -Gebiete der babylonischen Deportationen blieben den Zurückgelassenen allein übrig -ca. 20 % der Bevölkerung wurde deportiert -Exilsgemeinde war offenbar um Älteste organisiert (so Jer 29,1; Ez 8,1; 14,1; 20,1) -Exilsgemeinde sah sich dennoch ihrem letzten legitimen König Jojachin von Juda verbunden, dessen Schicksal in Babylonien (Begnadigung im Jahr 562 v.Chr.) genau beobachtet wurde Jojachin von Juda war nicht mehr König von Juda, hört aber niemals auf, König der Judäer zu sein -außerbiblische Texte zeigen, dass die Judäer in Babylonien ein komfortables Leben führten -Unbehinderte Religionsausübung war gewährleistet 3.) Freiwillige Auswanderung nach Ägypten -Jer 43,7-44,30 berichtet, dass Judäer 582 v.Chr. nach Ägypten flohen -offenbar waren Judäer also vor Nebukadnezzars Verwüstungen in Palästina nach Ägypten geflohen, ausgewandert oder als Söldner oder Händler dort „hängen geblieben“ -AT gibt keine fortlaufende Darstellung der Exilszeit: Lediglich die das zwangsweise babylonische Exil und die freiwillige ägyptische Diaspora finden Erwähnung. Auch das Ende des Exils wird noch geschildert -sonst nur Begnadigung Jojachins und vermutete Eroberung Ägyptens durch Nebukadnezzar II., die jedoch nicht stattfand -nach atl. Darstellung setzt die in der babylonischen Zeit stillstehende „Geschichte“ erst wieder 539 v.Chr. mit den Büchern Esra und Nehemia ein -582 v.Chr. war für Juda offenbar nochmals schicksalhaft, da die Ermordung des Gedalja bei Babyloniern und Judäern endgültig die Hoffnung zerstörte, das Gebiet könnte befriedet werden 3. Palästina in persischer Zeit: -Fall Babylons 539 v.Chr. -Palästina war für Kyros Randgebiet der Großsatrapie „Babylonien und Transeuphratene“ -eigentlicher Einschnitt in der Kultur Palästinas setzte um 520 v.Chr. mit der Herrschaft Darius I. ein [vielleicht aber auch erst 450/400 v.Chr.], der neue Verwaltungs- und Wirtschaftsstrukturen schuf -Perserzeit muss in eine Perserzeit I (539/8-450/400 v.Chr.) und eine Perserzeit II (450/400 v.Chr.-333/2 v.Chr.) eingeteilt werden -internationale Verflechtungen kennzeichneten das persische Großreich -wirklicher Aufschwung in der Besiedlungsdichte und -struktur ist erst mit Beginn der Perserzeit II festzustellen -in der Perserzeit I lässt sich nachweisen, dass Jehud recht ärmlich und spärlich besiedelt war; Jerusalem war ein Landstädtchen mit ca. 500 Einwohnern -460/50 wächst Jerusalem auf ca. 1500 Einwohner -Administrativer Status Judas in der Perserzeit I wird kontrovers diskutiert (ob mit Gouverneuren oder Vasallenkönigen regiert) -Wirtschaft Jehuds basierte auf der Landwirtschaft (Öl, Wein, Getreite) -Perserzeit I: Subsistenzwirtschaft -nicht genug Material um zu exportieren -Perserzeit II: als eigene Provinz fassbar 34 -Amt des Hohepriesters nahm Einfluss -zurückgekehrte Exulanten beanspruchten schnell politische, wirtschaftliche und religiöse Führung -Perserzeit war als Zeit nach dem Exil nach atl. Darstellung geprägt von (siehe auch S. 163166) 1. Erlaubnis des Perserkönigs zur Rückkehr nach Palästina (Esra 1,7-11; 5,14-16 / Esra 2,2; 3,2f.8f.) 2. Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels mit Wiedereinweihung (520-515 v.Chr.) 3. Bau der Stadtmauer 4. Sozialreformen 5. religiösen Reformen. § 4.3.2. Religion und Kult: Tradition und Innovation -Gebiet war in viele Einzelregionen gesplittet, an der durch die Internationalisierung viele Götter Anteil hatten, dabei jedoch durchaus auch jeweils lokalspezifisch eigene religiöse Traditionen aufrecht erhalten wurden -Galiläa und die Küste hatten Anteil an der phönizischen Kultur und Religion -In Samaria und Jerusalem wurde JHWH weiterhin verehrt -Kult fand durch die Exilierten den Weg nach Babylonien -Nach Rückkehr fand der Kult auch Einzug ins perserzeitliche Jehud -In Babylonien entstand eine JHWH-Diaspora-Gemeinde (manche Exilierte blieben dort) -zentrale Bedeutung für die Kultgeschichte der Perserzeit hat JHWH-Tempel auf Nilinsel Elephantine in Ägypten -Aufgrund der Zerstreuung des Volkes muss spätestens hier die JHWH-Verehrung religionsgeschichtlich palästinischen Boden verlassen haben 1. Küstengebiete, Galiläa und Samarien: -unterschiedlichste religiöse Traditionen -Generell: Gegenwart der Babylonier lässt sich in der materiellen Kultur kaum fassen -Ikonographie nicht nachteilig beeinflusst -einige Götter auf Konoiden (kegelähnlicher Körper) festgehalten -Tempelanlagen nur äußerst gering nachzuweisen -babylonische Epoche: dürftige Nachweise -persische Epoche: kein einziger Gebäudegrundriss, der eindeutig Sakralgebäude zeigt Der Tempel auf dem Garizim -im Norden des Berges: eigenes Kultzentrum für JHWH -Tempelreste, die aus dem 5. Jh. v.Chr. stammen -perserzeitlicher Grundriss des Tempels an Ez 40-48 orientiert -ausgedehnter Opferkult -hellenistische Zeit: Ausbau der Tempelanlage Diasporazentrum der „samaritanischen“ Gemeinde -Götterhimmel der persischen Zeit zeigt Weiterexistenz autochone (alteingesessene Bevölkerung) Traditionen und wachsende Begeisterung für ägyptische, phönizische und griechische Gottheiten. -Glyptik: Internationalisierung der Gesellschaft -Babylonische, persische, ägyptische, griechische Siegel und Siegelringe -griechischer Gott Herakles (=Schutzgott der Soldaten und Kaufleute) stark präsent -persönliche Frömmigkeit: Veränderungen (6-4. Jh. v.Chr. finden sich Weihinschriften und Votivgaben) 35 -kommerzieller Handel mit Votivgaben -Schenken und weihen wurden Kommunikationsakte, die die Gebenden mit den Beschenkten verbanden -Schenkung erhielt Bekenntnischarakter und damit Einordnung in Glaubens- bzw. Kultgemeinschaft -Räucheraltäre aus Kalkstein belegt (neue Kultpraxis) 2. Ägypten/Elephantine: -polytheistisch geprägt; JHWH (dort Jaho genannt) wurde mit versch. ägyptischen Gottheiten wie auch mit weiteren palästinischen Göttern verbunden -weitere Gottheiten: Asim-Bet-El; Anat-Bet-El -neben einigen Übereinstimmungen mit Elementen des JHWH-Kults wie das AT ihn bezeugt gibt es auch signifikante Unterschiede: Inhalte, die den JHWH-Glauben prägen oder für Kultgemeinschaft von zentraler Bedeutung sind, spielen keine Rolle (z.B. Beschneidung) Keine Erwähnung der Patriarchen David, Mose, „Israel“, Exodus Jaho/JHWH wird als höchster Gott verehrt, hat aber offenbar keine Dynamik entwickelt, zum einzigen Gott zu werden 3. Babylonien: -Babylonier griffen in Religion der Exulanten in Babylonien oder in die Bevölkerung der eroberten Gebiete nicht ein -persönliche Frömmigkeit konnte weitergepflegt werden -ob judäische Exulanten dies nutzten ist noch nicht nachgewiesen (dagegen Ez 20,3032) -mögliche Integration neuer Gottheiten in die persönliche Frömmigkeit bei einem Teil der Judäer -Fragestellungen der Oberschichtseliten, warum Gott seinen König, sein Volk, seinen Tempel und seine Stadt Jerusalem verstoßen hatte -Antwort: Strafe Gottes für Fehlverhalten der Menschen -Es gab pro-davidische national-religiöse Gruppen aus der Oberschicht, die sich evtl. um die Davididen in Babylon geschart hatten und die als die „Deuteronomisten“ angesehen werden -Ebenfalls gab es die priester(schrift)lichen Kreise (anfänglich evtl. um Ezechiel), die in Bezug auf Königtum einschränkende Vorbehalte hatten oder vllt. sogar antiköniglich gesinnt waren -Deuterojesaja und seine Schüler lösten die Königserwartungen von einem Menschen und erwarteten die Königsherrschaft JHWHs (Jes 40,9-11; 52,7-10) -Übertragung in die gesamte Welt (Jes 45,20-25) -Überzeugung, dass JHWH die Geschichte des Gottesvolks Israel und aller Völker bestimmte (Jes 41,22f.) führte zum Konzept der Einzigkeit des JHWH -Monotheismusforschung wurde nun explizit und konsequent formuliert (Jes 45,5f.) -sehnlich erwartete neue Etappe (Etablierung JHWHs gegen die vielen babylonischen Gottheiten) war für die Deuterojesajagruppe verbunden mit dem Großkönig Kyros (Jes 44,28; 45,1-4) -Propersische Politik lässt sich hieraus erkennen -Im Exil wohl Auseinandersetzung verschiedener Gruppierungen mit dem babylonischen Bilderkult (Ezechiel und der exilische Deuteronomismus) -persönliche Frömmigkeit übernahm im Exil die Aufgabe, Identität der Gruppe zu sichern -Gebetsrichtung nach Jerusalem setzte sich vllt. hier durch (Dan 6,11f.; 1Kön 8,48) -Mit Ende der babylonischen Herrschaft: -ein Teil wanderte nach Juda zurück -ein Teil blieb gerne in Babylonien Diasporagemeinde 36 4. Juda/Jehud: -Zerstörungen durch Babylonier haben keinesfalls ganz Palästina umfasst -Norden von Jerusalem und Ortslagen dort blieben weitgehen verschont -lokale religiöse Traditionen wurden dort fortgeführt -Mizpa und Kult in Bet-El gewannen in Exilszeit an überregionaler Bedeutung -Ez 33,24ff. und Jer 41,4f. belegen Wiederaufnahme und Fortführung der vorexilischen kultischen Traditionen im Land -gilt ebenso für Klagelieder, deren Sitz im Leben eher im rituellen Kontext der Wiedereinführung des Kults zu suchen ist -Tempelkult in Jerusalem konnte - bis zu einem gewissen Grad - schnell wieder aufgenommen werden -Zerstörung des Heiligtums blieb theologisch dennoch ein Problem -jedoch Ersatz durch Einrichtung eines Altars in Tempelüberresten oder Kult in Bet-El -Kultischer Realität stand theologische Interpretation der kultischen Situation (v.a. AT) gegenüber -Perserzeit I stellte keinen wirklichen Umbruch in der materiellen Kultur Jehuds dar -größere Bevölkerungsgruppen aus dem babylonischen Exil haben Jehud nicht erreicht (kein signifikanter Bevölkerungsanstieg verzeichnet) -Exil hatte nur kleinen Teil des Volks getroffen, so dass (entgegen AT) „Exil und Rückkehr“ nur als zentrale Themen einer Minorität anzusehen sind -Solare Elemente spielten in der Perserzeit I weiterhin und im Ggs. zur babylonischen Zeit eine Rolle -Auseinandersetzungen um den Wiederaufbau des Zweiten Tempels deuten darauf hin, dass weite Teile der ansässigen Landesbevölkerung bzw. ländlichen Oberschichten (am haarez= „Volk des Landes“) von dem Kult, der im Wesentlichen von Mitgliedern der Exilsgruppe und Persern bezahlt und gestaltet wurde, ausgeschlossen waren und kein Mitspracherecht bei den anstehenden Entscheidungen besaßen zurückgekehrte Exulanten proklamierten Bildlosigkeit zur einzig legitimen Form der JHWH-Verehrung Deuteronomistische Kreise hatten die Namens-Theologie (JHWH thront im Himmel und lässt seinen Namen auf Erden an erwähltem Platz wohnen) Ezechiel und die priesterlichen Kreise hatten die kabod-Theologie (Herrlichkeit der JHWH füllt den Tempel, in den er einzieht) -Zweiter Tempel galt als Wohnort JHWhs; Solarisierung des JHWH blieb noch produktiv (Jes 59,9; 60,1-3; Mal 3,20; Sap 5,6) -weiteres Element: Himmelstheologie (JHWH als „Gott des Himmels“) -Im Bezug auf Tempeltheologie, wie sie in den „tritojesajanischen Texten“ oder im Haggaiund Sacharjabuch greifbar wird, ist deutlich, dass vorexilische Zionstheologie mit der Vorstellung vom Tempel als Wohnsitz des königlichen JHWH in seiner Stadt wieder aufgenommen wurde -nun universalistisch verstanden als Königtum über alle Nationen (z.B. Sach 4,14; 6,5) -Grundlegende priesterliche Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem gewann in nachexilischer Zeit an Bedeutung -Tempel sollte zukünftig vor jeder Profanisierung geschützt werden, so dass JHWH nicht mehr gezwungen sein würde, ihn zu verlassen (Ez 8-11) -kultisch-religiöser Neubeginn nach Exil durch (Serubbabel und) Joschua wurde von den zurückgekehrten Exulanten als Weiterführung vorexilischer Traditionen legitimiert, jedoch zeigt schon das neue Amt des Hohepriesters, dass tief greifende Veränderungen stattfanden -babylonischer Kalender wurde importiert 37 -in Babylonien gefestigte Formen des dortigen JHWH-Kults wurden nach Jehud gebracht: Beschneidung, Sabbatobservanz, Speisegebote, evtl. Mischeheverbote, Monotheismus, Bildlosigkeit des JHWH-Kults -verschiedene religiöse Ansichten und „Schulen“ führten zu Konflikten -wird im AT deutlich (priesterliche, dtn-dtr, prophetische, weisheitliche Kreise) Kompromiss war wohl eine erste Kanonisierung div. Schriften im Pentateuch -Grob sind zwei Richtungen zu unterscheiden: 1. Deuteronomisten -wirken auf königslose Herrschaft der Priester hin (Theokratie/Hierokratie) -Heilspropheten wie Deuterojesaja, Tritojesaja, Hag und Sach drohten an der Realität zu scheitern (Korrekturen im Hinblick auf die Prophetie wurden vorgenommen) -Tendenz zur Eschatologisierung 2. „theologisierte Weisheit“ -v.a. in Oberschichtskreisen -Hiob und Spr 1-9 -persönliches Gottvertrauen, vollkommener Lebenswandel garantierten ein gelingendes Leben -hierzu gehörte auch Armenfürsorge -Da der traditionellen Verbindung von Tun und Ergehen die Empirie entgegensteht, und Gut (bzw. Gottvertrauen) und Böse (bzw. Unglauben) nicht unbedingt im Leben entsprechend vergolten werden, kam es zur Krise der Weisheit, wie sie am deutlichsten in den Büchern Hiob und Kohelet erkennbar wird (s.u.) § 4.4. Die hellenistische Zeit (333/2 v.Chr. - 63 v.Chr.) § 4.4.1 Wirtschaft und Gesellschaft: Zwischen Assimilation und Revolution -hell. Zeit durch zwei Eroberer begrenzt: 1. Alexander der Große -nahm 332 v.Chr. Palästina und Ägypten ein; Vorherrschaft der Griechen vor Ort 2. Pompeius (Römer) -eroberte 63 v.Chr. den Jerusalemer Tempelbezirk -römische Epoche beginnt (63 v.Chr. - 324 n.Chr.) -Zwischenzeit durch Nachfolger der Pharaonen (Ptolemäer) überbrückt, die immer wieder in Konflikte mit Seleukiden verwickelt waren -mit Beginn der hell. Zeit bezeichnet man ehemalige persische Provinz Jehud nun als Juda -A. der Große ließ den Juden Religionsfreiheit -Jerusalem blieb geschlossene Gesellschaft -in der Zeit der Ptolemäer erblühte zwar auch Jerusalem, doch wurden dort (noch) keine hell. Gebäude errichtet -in ptolemäischer Zeit gehört Judäa zur Provinz „Syria und Phoinike“ bzw. „Zölesyrien“ und wurde wohl zentral aus Alexandria verwaltet (Großprovinz) -Hyparchien oder Eparchien gliederten diese Großprovinz -kleine Distrikte, Toparchien bildeten wiederum diese Hyparchien Wichtige Hyparchien in Palästina Judäa (Stadt Jerusalem; Bevölkerung der Umgebung; kultisches Zentrum am Jerusalemer Tempel) Samaria (gr. Stadtkolonie; Bevölkerung der Umgebung; kutlisches Zentrum am Tempel des Berg Garizim) Galiläa (autonome gr. Stadtkolonie Skythopolis (Bet-Schean) Idumäa (Ost-Idumäa; Adorajim; West-Idumäa; Marescha) Aschdod (Hyparchie des Philistergebietes; Zentrum Jamnia/Jabne) Ammonitis (Hyparchie im Ostjordanland) 38 -im Laufe des 3. Jh. v.Chr.: fünf syrische Kriege; Ptolemäer verteidigten ihren Machtanspruch -mit Schlacht bei Paneas (später Caesarea Philippi) im Jahr 200 bzw. 198 v.Chr. wechselte die ptolemäische in seleukidische Herrschaft Der Hohepriester: Oberhaupt der Jerusalemer Priesterschaft und des Tempelbetriebs war in vorexilischer Zeit der „Oberpriester“ Begriff des „Hohepriester“ taucht erst in nachexilischer Zeit auf politischer Einfluss zunächst begrenzt (Joschua neben Serubbabel) Ornat, Schmuck, Diadem und Salbung (Ex 28f.) lassen erkennen, dass er in königlichen Rang einrückte in römischer Zeit wurde das Prinzip der Erb- und Lebenslänglichkeit des Amts aufgegeben; Hohepriester wurde von den römischen Oberherren eingesetzt -Aufstand der Makkabäer (nach dem Beinamen des Judas Makkabäus) verband religiöse mit sozialen Motiven, denn er kann als Aufstand der traditionalistischen Landbevölkerung gegen die hellenistisch akkulturierte Oberschicht der Stadt interpretiert werden -hierbei ging es nicht um gesellschaftlichen Umsturz, sondern darum, zum alten Standard der sozialen Ordnung zurückzukehren -Makkabäer fanden schnell viele Mitstreiter -Ziele: traditionell jüdisches Leben im Sinne der Tora; Reinigung des Tempels -Krieg/jüdischer Bürgerkrieg 167-143/2 v.Chr. gilt nach 1Makk als Befreiungskrieg gegen Fremdherrscher, verkennt aber die Tatsache, dass auch viele Juden der städtischen Oberschicht Gefallen an hell. Gedankengut und der neuen Lebensart gefunden hatten (Makkabäischer Aufstand 165 v.Chr.) -Makkabäern war daran gelegen einen eigenen jüdischen Staat zu errichten; Abhebung von der hellenisierten Welt Hasmonäerkönigtum entstand -erstes Königshaus auf judäischem Boden, das keine davidischen Wurzeln für sich beanspruchen kann -durch die Pompeiische Eroberung war Juda nun nicht mehr unabhängig, sondern stand nun unter römischer Herrschaft (ab 63 v.Chr.) § 4.4.2. Religion und Kult: Griechische Götter und die interpretatio graeca autochtoner Gottheiten -Religionsgeschichte Palästinas in hell. Zeit ist durch die starke Präsenz gr. Götter und Heroen bzw. durch die interpretatio graeca lokal autochthoner Gottheiten und den gr. Herrscherkult bestimmt Herrscherkult: -zwei Ursprünge: 1. ägyptische Vorstellung vom Pharao als Sohn Gottes 2. Heroenkult der Griechen -hist. Persönlichkeiten, denen nach ihrem Tod Verehrung zuteil wurde -mit Alexander dem Großen wurde der Alexanderkult begründet -in der Religionspolitik waren die hell. Herrscher ebenso wie die Perser tolerant, solange die Steuerklasse stimmte -in Judäa war die hell. Zeit nicht nur politisch eine äußerst bewegt Epoche, sondern auch religionsgeschichtlich, da es hier einerseits ebenfalls zur Hellenisierung von Teilen der 39 Oberschicht, andererseits zum wachsenden Widerstand gegen die allmähliche „Überfremdung“ kam, der anlässlich einer versuchten Zwangshellenisierung (durch Antiochus IV. Epiphanes) zum offenen Aufruhr führte -Makkabäer und später Hasmonäer setzten mit Gewalt die Zwangsjudaisierung der von ihnen eroberten Gebiete durch: setzten fest, was Judentum bedeutet Exklusiver Monotheismus striktes Bilderverbot Beschneidung, Sabbatobservanz Einhalten der Speisegebote, Begehen der Feste -hier ist evtl. auch die intensivere Beschäftigung mit der Tora zu verorten, die zudem erotisiert (Ps 119,131) und zur idealen Lebenspartnerin wurde 40 Dritter Hauptteil: Die Literatur des Alten Testaments I. Tora und Vordere Propheten § 5. Der Gesamtzusammenhang der Bücher Genesis bis 2. Könige A. Bibelkundliche Erschließung 1. Aufbau: Tora Gen 1-11 Urgeschichte Gen 12-36.38 Erzelternerzählungen (Vätergeschichte) Gen 37.39-50 Josef und seine Brüder Ex 1- Jos 24 Exodus und Landnahmeerzählung Ex 1 - Dtn 34: Mose Vordere Jos 1-24: Josua Propheten Ri 1-21 Richtererzählungen 1Sam - 1Kön 11 Erzählungen von (Samuel,) Saul, David, Salomo 1Kön 12 - 2Kön 25 Erzählungen von den Königen Judas und Israels - erste fünf Bücher Mose = Pentateuch; jüdische Tradition spricht von Tora, zu deutsch „Weisung“ -in jüd. Tradition geben die Namen der einzelnen Bücher die jeweiligen Anfangsworte an: bere’sit „Am Anfang = Genesis „Schöpfung/Ursprung semot „Namen (der Israeliten in Ägypten) = Exodus „Auszug aus Ägypten“ wayyigqra‘ „Und es rief (JHWH den Mose)“ = Levitikus „Das levitische Gesetz“ bemidbar „In der Wüste“ = Numeri „Zahlen (der Israeliten)“ debarim „Worte (des Moses zu den Israeliten)“ = Deuteronomium „Zweites Gesetz“ -Pentateuch ist teilweise sehr komlex, was mit seiner vielstufigen Entstehungsgeschichte zusammenhängt -„close reading“, also eine am Endtext orientierte Lektüre ist möglich -Der Pentateuch hat zwei Dinge, erstens die Konzentrierung auf Rechtssätze und -sammlungen in den Büchern Ex-Dtn und die Erzählfolge der Weltschöpfung bis zum Tod Mose am Vorabend des Einzugs in das verheißene Land, im Blick -In die Geschichte der Anfänge des Volkes Israel sind auch religiös-rechtliche und kultische Weisungen enthalten -Dekalog (Ex 20) Ausgangspunkt: Bekenntnis von der Befreiungstat JHWHs (Ex 1-15) -Pentateuch kann auch als Biographie des Mose gelesen werden -er ist in vier von den fünf Büchern Hauptakteur, beginnend bei seiner Geburt Ex 2 und endend bei seinem Tod und einem Resümee über ihn (Dtn 34) -Genesis wäre in diesem Zusammenhang gewissermaßen die Vorgeschichte des Mose -Pentateuch kann auch als Entstehung und Geschichte des Volkes Israel begriffen werden -seit dem Aufbruchsbefehl an Abram in Gen 12 eines der bestimmenden Grundmotive -nach Schöpfung (Gen 1-11), Wanderungen der Erzeltern Abraham+Sara, Isaak+Rebekka, Jakob, Rahel und Lea im zugleich fremden und verheißenen Land (Gen 12-36); hiernach Josefsgeschichte - Übersiedlung der nachmaligen Israeliten nach Ägypten (Gen 37-50) -Darstellung des Mose, der auf JHWHs Geheiß das Volk aus Ägypten befreit, sie am Gottesberg mit dem Willen JHWHs vertraut macht und bis ins Ostjordanland führt (ExNum) 41 -Mose hält daraufhin seine Abschiedsrede, bestehend aus Gesetzen für das Leben im verheißenen Land, das der sterbende Mose zwar noch schauen, aber nicht mehr betreten darf (Dtn) -Josua als Nachfolger des Mose wird schon zu Lebzeiten designiert (Num 27,18; Dtn 34,9) -er nimmt das verheißene Land in Besitz -Buch Josua ist wiederum eng verknüpft mit Richter, die die Existenz des Volkes im Lande militärisch sichern -Konflikte führen hier zur Errichtung der Monarchie in Israel -letzter Richter: Samuel Salbung Saul David, der König über Nord- und Südstämme wird (1Sam 1-2Sam5) Doppelmonarchie unter Salomo (1Kön 2-11) getrennte Reiche Israel (1Kön 12-2Kön 17) und Juda (1Kön 12-2Kön 25) -mit der Begnadigung Jojachins in Babylonien endet die Darstellung der Geschichte des Volkes Israel, seines Landbesitzes und seines Königtums (2Kön 25) -Erzählung des Pentateuch weist über sich hinaus, genau genommen geht der Erzählfaden von der Weltschöpfung bis zum Untergang Judas und dem Beginn des babylonischen Exils -Thema der Bücher Gen-Jos ist die Heilsgeschichte -Verhältnis von Gott und Volk wird hierin beschrieben -Thema der Bücher Ri-2Kön ist die Unheilsgeschichte -Führt zum Verlust von Land und Eigenstaatlichkeit -für Gesamtzusammenhang der neun Bücher Gen-Dtn, Jos, Ri, (1-2) Sam und (1-2) hat sich der wissenschaftliche Terminus Enneateuch durchgesetzt. Daneben sind folgende Bezeichnungen üblich: Gen-Num = Tetrateuch Gen-Dtn = Pentateuch Gen-Jos = Hexateuch Gen-2Kön = Enneateuch 2. Die buchübergreifenden Redaktionsstrukturen: -Die Zusammengehörigkeit der Bücher Gen-2Kön ergibt sich neben den o.g. Tatsachen auch noch aus einer Reihe von redaktionellen Verstrebungen, die jedoch einzelne Teilkompositionen zusammenhalten und strukturieren, nicht die ganzen Bücher -In der Genesis sind die Verheißungstexte zu nennen, in denen der Exodus des Volkes aus Ägypten thematisiert wird -JHWHs Bundesschluss mit Abraham in Gen 15 -enthält kleinen heilsgeschichtlichen Abriss der zukünftigen Geschicke des Volkes Israel -stellt Abraham in Bezug auf Sinaitheophanie und Landnahme dar -Gestalt u. Geschichte Abrahams decken die Heilsgeschichte Israels daraufhin ab (Vorwegnahme des Buches Ex) -Gefährdung der Ahnfrau in Gen 12,10-20 -Hungersnot steht am Anfang -Motive der Plagen; Entlassung aus Ägypten durch Pharao Abraham und Sara vollziehen die spätere Geschichte vor -Verheißung an Jakob, der nach Ägypten aufbricht (Gen 46,1-5a) und dem Volkwerdung in Ägypten und Rückkehr in das verheißene Land zugesagt werden -Bizarr erscheinen hingegen: 42 Jakobs Landkauf bei Sichem (Gen 33,19) Josefs Bitte um Mitnahme seiner Gebeine (Gen 50,25) Präparieren von Josefs Leichnam + Einsargung (Gen 50,26b) IN VERBINDUNG MIT Notiz über Mitnahme des Sarges beim Auszug (Ex 13,19) Beisetzung Josefs auf dem vom Vater bei Sichem erworbenen Land (Jos 24,32) -weitere Besonderheit stellen die strukturierenden Texte der Priesterschrift (P) dar -in das Gesamtwerk aufgenommene Quellenschrift -Offenbarungstheol. Zusammenhang Schöpfung (Gen1); Noach- und Abrahambund (Gen 9;17), Berufung des Mose (Ex 6), Sinaioffenbarung und Einzug der Herrlichkeit JWHWs ins Zentralheiligtum (Luther: Stiftshütte) (Ex 25-40) -Faden der Genesis wird in Büchern Ex-2Kön dort aufgenommen, wo Trias der Erzväter Abraham, Isaak und Jakob genannt werden -Grundlegend hierfür: Berufung des Mose nach Ex 3; Ex 6 -Gott der Väter erinnert sich seines Bundes mit den Vätern (Ex 2,24; 6,2ff.) -Vorgriff auf Exodus und Landbesitz entspricht heilsgeschichtliches Resümee, das Josua, der Israel in engem Anschluss an Mose bei der Landnahme anführt, in seiner Abschiedsrede zieht (Jos 23f.) -Exodus legt Spur in die Darstellung der Königebücher -Erzählung vom Goldenen Kalb (Ex 32-34) formuliert Urbild des „Abfalls von JHWH“ -parallel zur Sünde Jerobeams (1Kön12) -Ebenso wie Aaron (Goldenes Kalb) lässt Jerobeam für die Heiligtümer in BetEl und Dan Kultbilder anfertigen -Rückverweis aus Kön zu Ex durch JHWH-Propheten, der Engel JHWHs, Samuel -Salomozeit mit der damit verbundenen auferlegten Fron, Bautätigkeit Salomos, Aufstand Jerobeams (1Kön 5-12) erinnert an Israels Unterdrückung in Ägypten und seine Befreiung durch Mose (Ex 1-12) -Gottesoffenbarung Elijas (1Kön 19) erschließt sich nur durch Moses Sinaioffb. (Ex 19) -Maßgeblich für den Zusammenhang ist auch das Buch Deuteronomium: -schließt mosaische Zeit ab, stellt nachmosaische Kriterien für Geschichtsdarstellung bereit -Bewertungskriterium: Wie gesetzestreu (Dtn 12-26) sind Israel und seine Könige -Alleinverehrung JHWHs (Dtn 5,7; 6,4f.) -Beschränkung des JHWH-Kultes auf den einen Kultort (Dtn 12) 3. Die Büchertrennung: -Bücher des Pentateuch und die Bücher Jos-2Kön werden unterschiedlichen Kanonteilen zugerechnet: -Tora und vordere Propheten in jüd. Tradition -Tora gesondert auszugliedern erscheint durchaus logisch (Biogr. Mose) -Nach Tod des Mose (Dtn) ergehen an Israel keine neuen Gesetze mehr -Mose-Epitaph (Grabinschrift) in Dtn 34,10-12 als Lebenswürdigung: kein Prophet in Israel wie Mose JHWH hat Mose von Angesicht zu Angesicht erkannt Mose erhielt Zeichen und Wunder durch JHWH und tat sie in Ägypten am Pharao und seinem ganzen Lande -Nachfolger Moses, Josua, nimmt jene Sonderstellung nicht mehr ein, weshalb gleich zu Beginn des Buches Jos auf das abgeschlossene Ganze zurückgeblickt wird (Jos 1,8): 43 „Dieses Buch der Tora soll aus deinem Mund nicht weichen, du sollst es bedenken Tag und Nacht, damit du darauf achtest zu handeln, wie in ihm geschrieben steht, denn dann wirst du deine Werke gelingen lassen und Erfolg haben.“ -Ausgliederung der Tora wird in der Forschung mit dem Rechtsinstitut der „persischen Reichsautorisation“ in Verbindung gebracht und ist im ausgehenden 4. Jh. v.Chr. anzusiedeln Die „persische Reichsautorisation“ -persische Großkönige wussten sich zur Herrschaft über viele Völkerschaften berufen -gewährten zahlreichen Städten, Stämmen und Völkern weitgehende juristische, religiöse und kulturelle Autonomie innerhalb des Reiches -Gewohnheitsrecht wurde als lokales Reichsrecht gültig -dies wird „Reichsautorisation“ genannt -in den vorderen Propheten markiert zweifache Erwähnung des Todes Jusuas in Jos 24,30f. und Ri 1,1 Übergang vom Josua- zum Richterbuch -Übergangsnotiz in Ri 21,25 markiert Übergang zu den folgenden Samuel- und Königbüchern -Bücher 1Sam-2Kön werden weitgehend als Einheit wahrgenommen B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. Einführung -babyl. Talmud schreibt Mose die Tora zu -Samuel gilt dort als Verfasser auch des Richterbuches und des Buches Rut -Jeremia gilt dort als Verfasser des Königebuches, der Klagelieder und des Jeremiabuches -Für den Tod Moses und Samuels gelten freilich andere Grundlagen -Authentizität der traditionellen Verfasserangaben und -zuschreibungen und die Einheitlichkeit der atl. Bücher sind insgesamt fraglich: auf Gen 1,1-2,3 (Schöpfungsbericht) o Ur- und Vorzustand der Welt o Erdscheibe taucht auf o Vegetation o Tier- dann Menschenbevölkerung folgt Gen 2,4-3,24 (Paradieserzählung) o Ur- und Vorzustand besteht aus Steppe o Boden wird benetzt o JHWH-Elohim formt aus Staub den Menschen o Garten Eden -beide Texte thematisieren Gottes Schöpfungshandeln, widersprechen sich in Gesamtszenereie und Abfolge -In Sintfluterzählung Gen 6-9 werden Texte zusammengearbeitet; keine „NacheinanderErzählung“ -Gefährdung der Ahnfrau (durch sexuelle Übergriffe seitens fremder Herrscher, vgl. Sara: Gen 12,10-20; 20,1-18; Rebekka: 26,1-11) begegnet ebenso wie die Berufung des Mose (Ex 3;6), die Ereignisse am Schilfmeer (Ex 14), in der Wüste und am Sinai (Ex 19ff.) in verschiedenen und deutlich konturierten Versionen -Nebeneinander von drei großen Gesetzeskorpora: 1. Bundesbuch (Ex 20,22-23,33) 2. dtn Gesetz (Dtn 12-26) 3. Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) -atl. Rechtstexte stehen in ganz unterschiedlichen rechtshistorischen Kontexten -können nicht auf nur einen Gesetzgeber zurückgehen (vgl. auch § 6) 44 Für Gen - 2Kön besteht folgender Grundkonsens: sie sind Resultat eines mehrstufigen und lange währenden Entstehungsprozesses Das Bild, das Israel von seiner Geschichte entwirft, ist mit dem historischen Verlauf selbst nicht identisch, aber auch nicht völlig fiktiv Grundlinien der Pentateuchforschung im 18. und 19. Jahrhundert: 1. Ältere Urkundenhypothese: -Verschiedenheit der Gottesbezeichnungen führte zur Annahme von zwei Quellen, dem Elohisten und dem Jehowisten -Eichhorn: E + J + Fragmentenquellen -Ilgen: E1/E2 + J 2. Fragmentenhypothese: -Fragmente verschiedener Traditionskreise wegen der nur lose in Erzählzusammenhang eingebundenen Rechtspassagen -Vater: Textbasis (Gen-Dtn) besteht aus 39 Fragmenten, die von zwei Verfasserkreisen (E und J) stammen; Dtn als Kern 3. Ergänzungshypothese: -Kombination von Urkunden- und Fragmentenhypothese -elohistische Grundschrift bildet Grundlage für Pentateuch, zu der zahlreiche Jehowa Fragmente hinzukamen 4. Neuere Urkundenhypothese: -Gen: drei Quellen: Elohistische Grundschrift (=Priesterschrift [P]), Elohist, Jehowist -Eigenständigkeit des Dtn - P + E + J + Dtn 4.1: Literatur- und Kultgeschichtliche Stellung von P: -Spätdatierung von P; Frühdatierung von J; Lev-Num jünger als Dtn; P setzt Kultzentralisation voraus (so Wellhausen); außer Dtn 34 ist das Buch Dtn eigenständige Größe - J + E + Dtn + P 2. Das literarische Problem des Pentateuch: -wissenschaftlich ist als Verfasser des Pentateuch Mose gänzlich aufgegeben -stattdessen: Reihe von Hypothesen Grundmodelle zur Erklärung der Entstehung des Pentateuch: 1. Grundschrifthypothese (Ergänzungshypothese): -Pentateucherzählung ist auf ein einziges Werk zurückzuführen -mehrfache Erweiterungen -Grundschrift wird häufig mit P der Urkundenhypothese identifiziert 2. Urkundenhypothese (Quellenhypothese): -Pentateucherzählung kennt mehrere selbständige Urkungen („Quellen“) -Urkunden werden durch Redaktoren zusammengestellt; Umfang ist hierbei umstritten 3. Fragmentenhypothese: -Pentateucherzählung als Reihe ursprünglich selbständiger Themen (Schöpfung und Flut; Abraham; Jakob; Exodus; Sinai; Wüstenwanderung; Landnahme) -Einzelne Erzählungen wurden zu Blöcken vereint -neuere Urkundenhypothese kennt vier ehedem selbständige Literaturwerke: 1. Jahwisten (J) 2. Elohisten (E) 3. Priesterschrift (P) 4. Deuteronomium (Dtn) 45 -Kriterien waren hier der alternierende Gebrauch von Gottesbezeichnungen „Elohim“ (Gott) und JWHW -neuere Urkundenhypothese wird mittlerweile in Frage gestellt -geblieben sind Abgrenzung und literarhist. Einordnung von P und grundsätzliche Einordnung der Anfänge des Dtn in die späte Königszeit sowie Sonderstellung des Dtn allgemein -Jahwist und Elohist gelten nicht mehr als eigenständige Quellen, stattdessen besser: nichtP -deuteronomistische Kompositionsschrift aus frühpersischer Zeit (KD) gilt als Vorbau zum deuteronomistischen Geschichtswerk in den Büchern (Dtn bzw.) Jos-2Kön. Konsens und offene Fragen gegenwärtiger Forschung zum Pentateuch und zu den Vorderen Propheten: Konsens: Unterscheidung von P und nichtP; Umstritten ist der ursprüngliche literarische Charakter der priesterschriftlischen Texte (Quellenschrift? Bearbeitungsschicht? Beides?) Konsens: Innerhalb nichtP wird nicht zwischen J und E unterschieden; Umstritten ist, wie umfangreich der Bestand an nichtP Texten ist, die bereits P voraussetzen Einordnung beinahe aller nichtP Texte als zugleich vorpriesterschriftlich wurde weitgehend aufgegeben Umstritten ist, ob die entscheidende Verknüpfung von Erzelternezählung und Exoduserzählung oder Exodus-Landnahmeerzählung bereits vorpriesterschriftlich erfolgt ist oder sich der Priesterschrift verdankt. Konsens: Entstehungsgeschichte von Tetra- und Pentateuch lässt sich nicht unabhängig von derjenigen der Bücher Jos-2Kön rekonstruieren 3. Das literarische Problem der Bücher Josua - 2. Könige: -M. Noth hielt für die Formierung des Pentateuch am Modell der ehemals selbständigen Quellenschriften fest -Für die Bücher Dtn-2Kön nahm er eine Art Fragmentenhypothese an, und zwar die Hypothese eines deuteronomistischen Geschichtswerks (DtrG) -Querverweise innerhalb der Bücher führten zu diesem Schluss Der innere Zusammenhang der deuteronomistisch redigierten Geschichtsbücher/ des deuteronomistischen Geschichtswerks (DtrG) -Querverbindungen: z.B. Josuas Fluch für den Fall eines Wiederaufbaus von Jericho (Jos 6,26) -Qualifikationen der menschlichen Akteure: „Das Böse in den Augen JHWHs tun“ (Ri 2,11; 3,7.12; 4,1; 6,1; 10,6; 13,1) -Programmatische Texte an markanten (Wende-)Punkten der Geschichte: Dtn 1-3 (Moses Rückblick auf Wüstenwanderung); Dtn 31 (Abschiedsrede Moses); Jos 1 (Beauftragung Josuas); Jos 23 (Abschiedsrede Josuas); Ri 2,6-3,6 (Ausblick auf Zeit der Richter); 1Sam 8 (Samuels Ausblick auf das Königtum); 1Sam 12 (Abschiedsrede Samuels); 2Sam 7 (Natansverheißung); 1Kön 8 (Tempelweihegebet Salomos); 2Kön 17 (Refexion zum Untergang des Nordreichs) -Verwendung dtr Schulsprache -Darstellung einzelner Epochen wird nach Sachgesichtspunkten strukturiert 46 -Verfasser ist ein einzelner dtr Verfasser aus exilischer Zeit, der ältere Einzeltexte zu einem Geschichtswerk zusammenfügte -Annahme eines im Wesentlichen einheitlichen DtrG hat sich nicht halten können und ist umstritten -(Göttinger) Schichtenmodell: DtrG wurde noch vor Mitte des 6. Jh. v.Chr. durch einen dtr Historiker (DtrH) verfasst, durch prophetentheologische Bearbeiter (DtrP) -weitere Modelle (Block-; Stufenmodell u.a.) C. Entstehung der Bücher Genesis - 2. Könige -Entstehungsgeschichte des Großen Geschichtswerks in Gen - 2Kön verdankt sich eines rückblickenden Gestaltungswillens, dem Vielheit und Gegensätzlichkeit der einzelnen Überlieferungen zum Problem geworden sind -Historisch beginnt dieser Prozess mit dem Untergang der Staaten Israel (722/1 v.Chr.) und Juda (587/6 v.Chr.) -Während Genesis - außer Sonderfall der Josefsgeschichte - sich durch einzelne Sagen, die zu Erzählkränzen zusammengestellt sind, auszeichnet handelt es sich bei Ex 1-15 um eine durchkomponierte Erzählung -P Version der Moseberufung Ex 6 greift ausdrücklich auf den von P in Gen 17 berichteten Bundesschluss JHWHs mit Abraham zurück (Bund) -nichtP Version zeigt keinen inneren Zusammenhang der Exoduserzählung mit dem der Erzeltern -P stellt also die erste und einzige durchgehende Textschicht im Pentateuch (genauer: Gen-Ex [-Lev]) dar. -nichtP Texte der Erzelterngeschichte und der Exoduserzählung sind zwei konkurrierende Modelle der Gründungsgeschichte Israels -eigenständige Literaturwerke, die niemals einen geschlossenen nichtP Erzählzusammenhang im Sinne eines Jahwisten o.ä. gebildet haben, wurden erst in nachexilischer Zeit in P eingearbeitet. -Bei der Priesterschrift handelt es sich um eine ursprünglich selbstständige Quellenschrift, deren Entwurf von der Gründungsgeschichte Israels erstmals die Abfolge von Schöpfung, Erzeltern und Exodus enthielt. Nach der Vereinigung der nichtP Literaturwerke mit P erfuhr das Große Geschichtswerk noch weitere Ergänzungen; einen der letzten redaktionellen Eingriffe stellt Trennung von Tora und Vorderen Propheten dar 47 D. Theologie des Gesamtzusammenhangs -AT handelt im ganz überwiegenden Teil von der Geschichte des Volkes Israels -Der Glaube Israels „bezog sich immer auf Geschehen, einen göttlichen Selbsterweis in der Geschichte“ -Durch Krisenerfahrungen (Untergang der beiden Nationalstaaten) reflektieren die geschichtliche Überlieferung des AT die Gottesbeziehung zwischen JHWH als dem Gott Israels und Israel als dem Volk JHWHs. -Thema der Bücher Gen - Dtn/Jos ist die heilsgeschichtliche Begründung der Ursprünge Israels. -Aufs Ganze gesehen bietet der Komplex die Vorgeschichte zur Geschichte des Volkes Israel im Lande und der unheilsgeschichtlichen Ätiologie des Exils in den Büchern Jos/Ri - 2Kön -durch zwei Dinge manifestiert sich dieser Gedanke: 1. Theologie der prophetischen Überlieferung legt dar, dass die Geschichte JHWHs mit Israel als verschuldete Unheilsgeschichte zu verstehen ist 2. „Bundes“-Gedanke und die Forderung nach der Alleinverehrung JHWHs, wie es sich im 1. Gebot des Dekalogs ausdrückt, wird hiermit in Verbindung gebracht -Unheil durch Brechen des Bundes in Gestalt der Missachtung des 1. Gebotes -Spätestens mit dem Richterbuch setzt die „Verfallsgeschichte“ ein. -Der Beginn kündigt sich aber schon früher an (Ex 14) oder Murrgeschichten der Wüstenwanderung (Ex 15ff.; Num 11ff.) -Gesamtzusammenhang von Genesis - Maleachi, also Tora und Prophetenbüccher, bilden einen Dreischritt: alte Heilsgeschichte (Gen - Jos) Unheilsgeschichte (Ri - 2Kön) neue Heilsgeschichte (Jes - Sach/Mal) E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -für Wirkungsgeschichte des AT ist zu bedenken, dass es gleichermaßen heilige Schrift des Judentums und des Christentums ist -Im Blick auf die Bücher Genesis bis 2. Könige lassen sich verschiedene Wirkungsgeschichten in unterschiedlichen Formen unterscheiden: literarische, musikalische, filmische etc. -Darstellung der biblischen Geschichte hat das Bild der Geschichte „Israels“ und des gesamten Alten Orients bis in die Neuzeit maßgeblich beeinflusst 48 § 6. Die Rechtstexte im Pentateuch A. Bibelkundliche Erschließung -Religiös-rechtliche und kultische Weisungen sind für den Erzählverlauf des Pentateuch typisch Noach Abraham Mose/Israel in Ägypten Mose/Israel am Sinai Gen 9,4ff. Gen 17,10ff. Ex 12,1-28 Ex 13,1-16 Ex 20,2-17 Ex 20,22-23,33 Ex 25-31 Ex 34,10-28 Lev 1-7 Lev 11-15 Lev 16 Lev 17-26 Lev 27 Num 5 Num 6 Num 8,5-19 Num 18 Num 19 Num 27,6-11 Num 28-29 Num 30 Num 35 Num 36 Dtn 5,6-21 Dtn 12-26 Verbot des Blutgenusses Beschneidungsgebot für alles Männliche Pascha-Mazzot-Ordnung Heiligung der Erstgeburt und Mazzot-Ordnung Dekalog Bundesbuch Bestimmungen zum Bau des Zeltheiligtums Wiederhergestellte Tafeln (Privilegrecht JHWHs) Opfer-Tora Reinheits-Tora Versöhnungstag Heiligkeitsgesetz Gelübdegesetz I und Zehntengesetz Reinigungsopfer und Reinigungswasser Nasiräergesetz Weihung der Leviten Mose/Israel in der Pflichten und Rechte der Priester und Leviten Wüste Reinigungswasser aus der Asche einer roten Kuh Erbtöchtergesetz I Gesetze über das tägliche Opfer und die Festopfer Gelübdegesetz II Gesetz über die Leviten- und Asylstädte Erbtöchtergesetz II Mose/Israel im Dekalog (Erinnerung an die Gesetze vom Horeb) Lande Moab Deuteronomisches Gesetz (Erinnerung an die Gesetz vom Horeb) Dtn 27,1-8 Gebot zur Errichtung der Gesetzesstele und eines Altars auf dem Berg Ebal Dtn 27,15-26 Deutereonomischer Fluch(do)dekalog -Datierung (außer Gen 9 und Gen 17) in die mosaische Zeit -Der größte Teil der Rechtstexte entfällt auf das Bundesbuch, das Heiligkeitsgesetz in Lev und das dtn Gesetz in Dtn 12-26 -Reihe der Rechtstexte am Sinai (Ex 20-Num 8) bzw. Horeb (Dtn 5; 12-27) wird jeweils mit dem Dekalog eröffnet (Ex 20,2-17 par. Dtn 5,6-21) -Dem Dekalog kommt grundsätzliche Bedeutung zu B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Grundlegende Beobachtung: In den Rechtstexten des Pentateuch wird mehrfach ein und derselbe rechtliche Sachverhalt auf verschiedene Weise geregelt -Rechtsgeschichtlicher Vergleich zeigt, dass die Unterschiede auf eine Herkunft aus verschiedenen Epochen des antiken Israel zurückgehen. -Rechtstexte des Pentateuch stammen von verschiedenen Verfassern und aus verschiedenen Zeiten -Die kultrechtlichen Bestimmungen des Dtn erheben die Forderung, JHWH ausschließlich an dem einen erwählten Jerusalemer Heiligtum zu verehren (vgl. Dtn 12; Kultzentralisation) -Im Bundesbuch noch unbekannt; in P vorausgesetzt 49 -Im Bundesbuch lassen sich dtr Nachträge aufweisen; P hat das Dtn nicht einfach abgelöst -Die Entstehung des dtn Gesetzes wird mit der in 2Kön 22-23 berichteten Joschijanischen Reform im Jahre 622 v.Chr. in Verbindung gebracht -Historizität ist bestritten -Rechtsgattungen haben zu einer differenzierten Wahrnehmung der Texte beigetragen. Man unterscheidet zwischen: kasuistischem Recht -legt fest, welche rechtlichen Konsequenzen ein bestimmter Sachverhalt hat -mit „wenn“, hebr. ki eingeleiteter Vordersatz beschreibt den Tatbestand -weitere „falls“, hebr. ‘im, können folgen -Nachsatz legt die Rechtsfolgebestimmung für den geschilderten Tatbestand fest -in der 3. Ps. formuliert -kanaanäisches Erbe apodiktischem Recht -apodiktische Rechtssätze formulieren schlechthin -Kennzeichen: Reihenbildung -Dekalog als Beispiel Exkurs: Rechtswesen im antiken Israel und Juda Rechtsprechung ist bis weit in die Königszeit nichtstaatlich organisiert pater familias (Vorsteher der Großfamilie) obliegt die Rechtsprechung inklusive Verhängung der Todesstrafe wichtigste Rechtsangelegenheit ist die Blutrache bei Tötung durch einen Sippenfremden. Diese wird begrenzt durch das auf Körperverletzung mit Todesfolge beschränkte ius talionis („Leben um Leben“; Ex 21,22-25) und das Asyl am Heiligtum Intergentale (zwischen Sippen bestehende) Streitigkeiten fallen in die Zuständigkeit der Torgerichtsbarkeit, in der die freien Männer der Ortschaft die Rechtsangelegenheiten verhandelt Torgericht konstituiert sich erst auf die Anklage durch den Geschädigten oder durch Zeugen und kennt keine Offizialdelikte Prozess im Torgericht endet mit Feststellung der Schuld oder Unschuld des Beklagten Torgerichtsbarkeit bildet den institutionellen Hintergrund des Bundesbuches Richter etablieren sich landesweit erst in der späten Königszeit Mit Zusammenbruch der Staatlichkeit sind (wieder) die Ältesten der Ortschaften als Leiter der allein intakt gebliebenen Gentilverbindungen für die Rechtsprechung zuständig (Dtn 21,18-21; 22,13-21; 25,5-10) Neben den Ältesten wird bei Kapitalverbrechen die Vollversammlung der Familienverbände gefordert (Num 35,24), woraus sich die Synagogalgerichtsbarkeit in der Diaspora entwickelt C. Entstehung der Rechtstexte des Pentateuch 1. Grundlinien der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des antiken Israel: -rechtliche Überlieferungen des AT sind mosaisch vermitteltes Gottesrecht -Überlieferungsprozess durch juristisch geschulte Verfasser des Dtn und deren Schülern -Privilegrecht JHWHs, religiöse Sippenrecht und Recht der Torgerichtsbarkeit wurden gesammelt und in der Folgezeit miteinander verbunden -heilgeschichtliche Perspektive, die der Autorität und Sanktion JHWHs untersteht -apodiktische Rechtssätze werden unterschieden in Gebote Verbote 50 -man unterscheidet zwischen Sippen- bzw. Gesellschaftsrecht und Sakralrecht -Prohibitive sichern ethische Normen der Familien und Sippen -Verbote des Tötens, Stehlens und Ehebrechens im Dekalog -Parallele im Bundesbuch (Todesrechtssätze) -„der muss des Todes sterben“ - sog. Mot-jumat-Sätze -Flüche stehen dem Recht gegenüber und intendieren, dass ein Vergehen des Einzelnen Folgen für die gesamte Gemeinschaft haben kann -ius talonis regelt integrale, d.h. zwischen Sippen entstandene Fälle von Körperverletzung -Auge um Auge (Ex 21,23-25; Lev 24,19f.; Dtn 19,21) diente der Begrenzung der Rache und dem angemessenen Schadensausgleich zwischen einzelnen Sippen -Im Bundesbuch lässt sich erstmals die Theologisierung des Rechts feststellen -Theologisierung des profanen Rechts in Zusicherung des göttlichen Eintretens für das um sein Recht gebrachte Opfer (Schutz des Fremden, der Witwen und Waisen in Ex 22,20-26) -Geschichtshandeln JHWHs und Formulierung des Rechts als Ausdruck seines Willens werden verbunden (Heilsgeschichte Israels) -Abschluss der Historisierung des Rechts bildet die öffentliche Bekanntgabe des Rechts am bestimmten heilgeschichtlichen Ort (Sinai/Horeb) 2. Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33) -trägt seinen Namen nach Ex 24,7; Mose spricht vom „Buch des Bundes“ -Kern in Ex 20,24-23,19 -Altargesetz in Ex 20,24-26 -Systematische Sammlung von Rechtssätzen setzt einen gewissen institutionellen Rahmen voraus/ evtl. staatliche Verhältnisse -Rahmen des Bundesbuches (Ex 20,22-23; 23,20-33) geht wohl auf dtr Redaktion zurück -insb. Altargesetz wurde der ausschließlichen JHWH-Verehrung an nur einem Ort angeglichen 3. Der Dekalog (Ex 20,2-17; Dtn 5,6-21) -berühmteste Rechtssatzreihe des AT -erste Tafel enthält privilegrechtliche Bestimmungen; zwei Tafel sozialethische Bestimmungen Privilegrecht: Fremdgötter- und Bilderverbot, Verbot des Missbrauchs des Gottesnamens, Sabbatgebot verbindendes Element: Elterngebot „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ verbunden mit Heilszusage „damit du lange lebst in dem Land, das dir JWHW, dein Gott, geben wird“ Sozialethisches Recht: Schutz von Leben, Ehe, Eigentum des Nächsten; Falschzeugnisreden vor Gericht; Verbot Hab und Gut des Nächsten zu begehren -formale Uneinheitlichkeit beider Dekalogfassungen -erstes Gebot deutlich von dtn Theologie geprägt (Dtn 6,4) -Dekalog entstand nicht vor dem 7. Jh. 4. Das Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26): -Leitmotiv „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, JHWH, euer Gott“ (Lev 19,2) -Weil JHWH heilig ist und dem Volk Israel Anteil an seiner Heiligkeit gibt, kann Israel, als Volk JHWH, heilig sein -Heiligkeitskonzeption ist im priesterlichen Denken verwurzelt -Heilsgesetz verkörpert in rechts- und literargeschichtlicher Hinsicht eine bewusste Weiterführung und Korrektur des Dtn 51 D. Theologie der Rechtstexte im Pentateuch -rechtliche Überlieferungen des AT weisen große formale und inhaltliche Übereinstimmung mit denen ihrer altorientalischen Umwelt auf -grundsätzliche Überzeugung, dass gelingendes Gemeinschaftsleben nur im Einklang mit der gottgewollten Weltordnung möglich ist -alto. Umwelt: vornehmste Aufgabe des Königs: Recht und Gerechtigkeit herzstellen und aufrecht erhalten -hier Unterschied zum AT, das dies von Gott abhängig sieht (aber Ps 72) Tora -bedeutet zunächst „Weisung“ -Spezifizierung durch den jeweiligen Kontext in theol. Zusammenhang: Weisung durch Propheten vermittelte göttl. Weisung -erweiterte Sprachgebrauch durch 1Chr 22,12; Ps 1,2, wonach unter Tora JHWHs der Pentateuch mit seinen gesammelten Rechtsüberlieferungen zu verstehen ist -Israel ist dadurch besonders, dass JHWH durch die Gabe der Tora seinem Volk nahe ist -Sachliche Mitte findet die Tora im Dekalog und hier v.a. in der Alleinverehrung JHWHs -Grund: Befreiung aus der Knechtschaft in Ägypten -Ps 1: Tora-Psalm -Rahmen des corpus propheticum durch (Dtn 6,4f.; Mal 3,22 i.V.m. Dtn 34,10-12) -Theologie der rechtlichen Überlieferungen ist nicht die eine, sondern eine unter mehreren theologischen Konzeptionen im AT E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Mose der Gesetzgeber -Rechtstexte des Pentateuch haben innerhalb des Judentums und des Christentums eine unterschiedliche Wirkungsgeschichte -Judentum: 613 Mizwot (248 Gebote und 365 Verbote) gehören zum gelingenden Leben -Christentum: Gesetz als Gegensatz zum Evangelium -Prägung der europäischen Rechtsgeschichte durch das (christlich rezipierte) atl. Recht 52 § 7. Die Teilkompositionen § 7.1. Die Priesterschrift Grunddaten zur Priesterschrift: P ist eine ehedem selbstständige Quellenschrift, die erst redaktionell mit den älteren nichP Einzelkompositionen (Urgeschichte, Erzelterngeschichte, Mose-ExodusLandnahmeerzählung) vereinigt wurde Falls nichtP vor der Vereinigung mit P nie eine zusammenhängende Pentateucherzählung gebildet hat, ist P die erste und einzige durchgehende Quellenschrift des Pentateuch P setzt mit Schöpfungsbericht Gen 1,1-2,3 ein; führt mit Sicherheit bis zum Einzug der Herrlichkeit JHWHs in das Zeltheiligtum in Ex 40,16-17.33b.34 P ist sukzessive erweitert worden P setzt Zentralisationforderung (Dtn 12) und ist in die spätexilische oder (wahrscheinlicher) früh-nachexilische Zeit zu datieren A. Bibelkundliche Erschließung -Schöpfung/Elohim -Gen 1,1-2,3 (Toledot des Himmels und der Erde) -Gen 5 (Toledot Adams) -Sintflut und Noachbund -Gen 6-9 (Toledot Noachs) -Gen 10 (Toledot der Söhne Noachs) -Gen 11,10-16 (Toledot Sems) -Gen 11,27-25,11 (Toledot Terachs) -Abrahambund/El Schaddai (Gen 17) -Gen 25,12-17 (Toledot Ismaels) -Gen 25,19-35,29 (Toledot Isaaks) -Gen 36 (Toledot Esaus) -Gen 37,2-Ex 40,34 (Toledot Jakobs) -Ex 1,7.13-14 (Israel in Ägypten -Moseberufung/JHWH (Ex 2,23-25; 6,2-8) Ex 7-13 (Plagen und Auszug) -Ex 14 (Meerwunder) -Stiftung des Kultes am Sinai (Ex 19; 25-29) -Bau der Stiftshütte; Einwohnung der Herrlichkeit JHWHs am Heiligtum (Ex 40) -Toledotformel „Dies ist die Genealogie/Geschichte...“ (hebr. toledot) ist das auffälligste Gliederungsmerkmal von P -Zu dieser Gliederung treten Querverweise -Ausgangspunkt: priesterschriftliche Urgeschichte -Mensch als Herrscher über die Erde und ihre Lebewesen (Gen 1) -nach Sintflut erneut Segen für Menschen (Gen 9) -Motiv des Segens auch bei Abram/Abraham und seinen Nachkommen -Bundesschlüsse und Auswahl von Gerechten verbinden sich (Mose etc.) -sechs Tage redender, am siebten Tag schweigender Gott der Schöpfung (Gen 1,1-2,3) -sechs Tage schweigend, am siebten Tag redender Gott der Sinaioffb. (Ex 24,15b-25,1) 53 B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Abgrenzung der zu P gehörenden Texte ist im Wesentlichen unumstritten, Gründe: Vergleich mit den nichtP Texten führt zum Schluss, dass P Handlungen weniger ausführt, auf Details verzichtet, die Texte ausschmücken, Charakterisierung vermeidet P setzt auf Stereotype theologische Rede überwiegt deutlich die erzählte Handlung kultische, chronologische, genealogische Details werden aufgezählt -literarische Differenzierung von P ist im Ggs. zur grundsätzlichen Abgrenzung sehr wohl umstritten; Faustregeln: Wird P als ehedem selbstständige Quellenschrift verstanden, dann unterscheidet man i.d.R. deren Grundbestand (Pg) von späteren Ergänzungen (Ps) und nachpriesterschriftlichen Erweiterungen (RP) Wird P als unselbstständige Bearbeitungsschicht angesehen, fällt RP weg prinzipiell steht fest, dass P nicht aus einer Hand stammt C. Entstehung der priesterschriftlichen Texte des Pentateuch 1. Ehedem selbstständige Quellenschrift oder Bearbeitungsschicht: -Einzelne Passagen enthalten breit ausgeführte Erzählungen und Reden (Schöpfungsbericht in Gen 1,1-2,3; Bundesschluss mit Abraham Gen 17; Berufung des Mose Ex 2,23-25; 6,2ff.; Plagen in Ex 7-9) -andere enthalten (bspw. Erzelternerzählung) nur fragmentarisch einige Notizen -in P fehlt gänzlich die Einführung des Mose, der alles bestimmenden Hauptperson (schwerwiegendes Fehlen der Einführung der Hauptperson, so Gertz) -theologisch bedeutende Themen der nichP finden kein Pendant in P (Sündenfall, Bundesschluss am Sinai) -P erzählt anders und Anderes als nichtP (insb. Erzeltern) -Gründe für die Beobachtungen: Fehlen der Einführung von Mose wohl redaktionsgeschichtlich bedingt: Breit geschilderten Anfänge des Mose nach der nichtP Exoduserzählung bot für die vermutlich knappe genealogische Notiz zu Mose nach P keinen Platz mehr im Gesamtwerk Fehlen vom Sündenfall und Bundesschluss ist nicht zu bemängeln: Übergang von guter Schöpfung zur Flut ist mit fortschreitender Abnahme von Lebensdauer und Generationen zwischen Adam und Noach als Folge zunehmender Gottesferne zu beschreiben (siehe Genealogien); Sinaibund war aufgrund des Abrahambundes nicht notwendig -Gründe für eine Bearbeitungsschicht: Ineinander von P und nichtP (bspw. Flut- und Meerwundererzählung Gen 6-9; Ex 14) Nebeneinander von Texten, die vom gleichen Thema handeln und sich massiv widersprechen (Schöpfungsgeschichte und Paradieserzählung in Gen 1,1-2,4a bzw. 2,4b-3) -Egal ob P Quellenschrift oder Bearbeitungsschicht war, es gilt: „Dass P die älteren Traditionen gekannt hat, wie sie uns zum Teil im nichtP Material des Pentateuchs vorliegen, und dass P auf diese Texte (kritisch) reagiert hat, ist unbestritten. 54 2. Umfang und Ende von P: -Beginn in Gen 1,1-2,3 ist unstrittig -Ende wird kontrovers diskutiert: i.d.R. Dtn 34,1aa.7-9; ältere Position: P reicht bis in Josua; vermutlich hat die ehedem selbstständige P ursprünglich mit Ex 40,16-17.33b.34 (Pg) geendet und wurde dann bis Lev 9 und 26 fortgeführt (Ps) -Priesterschriftliche Passagen in folgenden Büchern setzen allesamt die Verbindung mit den nichtP Texten voraus (Rp) 3. Datierung von P: -an spätexilisch-frühnachexilischer Datierung kann es keinen Zweifel geben: P kennt vor- und nichtP Versionen der Urgeschichte, der Erzelterngeschichte und der Exoduserzählung P setzt Forderung des spätvorexilischen Dtn voraus, JHWH nur an dem einen erwählten Ort zu verehren P vertritt konsequenten Monotheismus P weißt eine Reihe sprachlicher und sachlicher Berührungen mit Deuteronomismus und mit Deuterojesaja und Ezechiel auf P weist auf priesterschriftliche Bestimmungen zum Bau des Zeltheiligtums am Sinai und des Zweiten Tempels hin, dem 515 v.Chr. geweihten Nachfolgebau des 587/6 v.Chr. durch Nebukadnezzar II. zerstörten „salomonischen“ Tempels o genaue Einordnung hingegen schwierig -Autoren von P werden in priesterlichen Kreisen zu suchen sein D. Theologie der Priesterschrift -erste und einzige durchgehende Quellenschrift des Pentateuch -Heilsgeschichtliche Darstellung von Schöpfung bis Installation des Kultes und Einzug von JHWH in das Zeltheiligutm (Urbild des 2. Jerusalemer Tempels) -Durch Ur-, Erzelterngeschichte und Exoduserzählung ordnet P die Heilsgeschichte in drei Epochen 1. Schöpfung bis Flut 2. Noachbund (Gen9) bis Linie Terach-Abraham 3. Abrahambund (Gen 17) bis Einzug der Herrlichkeit (hebr. kabod) JHWHs ins Zeltheiligtum (Ex 40,16-17.33v.34) -Dreiteilung des Gottesnamens: 1. Elohim „Gott“ - Schöpfung bis Noach 2. ‘el schadday - Erzeltern 3. JHWH - Offenbarung des Namens -Schöpfung findet ihre Bestimmung im sühneschaffenden Kult und der Gegenwart JHWHs in seinem Heiligtum -JHWH als Herr der Schöpfung und der Geschichte -Gottebenbildlichkeit des Menschen (imago dei) in Gen 1,26f.); Herrschaftsauftrag (dominium terrae) in Gen 1,28) E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -auf Textgenese und Quellen- oder Schichtendifferenzierung nimmt Wirkungsgeschichte meist keine Rücksicht -Bedeutung für Anthropologie -creatio ex nihilo beruft sich auf den Schöpfungsbericht in Gen 1 -Regenbogen als Zeichen der Friedens- und Umweltbewegungen 55 § 7.2. Das Deuteronomium A. Bibelkundliche Erschließung -Dtn schildert die Ereignisse am letzten Lebenstag Moses im Lande Moab (am Eingang zum verheißenen Land) -Moseerzählung und Geschichte Israels außerhalb des Landes kommen zu ihrem Abschluss, es folgt die „nachmoasaische Zeit“ und „die Zeit im Lande“ -Dtn will als letztgültige Verkündigung und Interpretation des von Mose übermittelten Gotteswillens gelesen werden -die im Dtn niedergelegte Tora ist Maßstab für jede künftige Bekanntgabe des Gotteswillens -Hauptgebot des Dtn: Gebot der Alleinverehrung JHWHs und Gottesliebe (Dtn 5,7; 6,4f.) -Grundgebot des Dtn: Beschränkung des JHWH-Kult auf einen legitimen Kultort (Dtn 12) Gliederung des Buches Deuteronomium: Moserede in Dtn 1-30 o 1,6-4,43 Erste Rede: Rückblick 40jährige Wanderung Horeb bis Moab o 5,1-11,32: Zweite Rede: Dekalog in Kapitel 5; Sema yisrael und Paränese zum Hauptgebot in Kap. 6-11 o 12,1-26,15 Gesetzeskorpus 12,1-16,17 Kultzentralisation und Privilegrecht JHWHs; soziale Bestimmungen 16,18-18,22 sog Ämtergesetze (Richter, König, Priester, Propheten) 19,1-26,15 Rechts-, Sozial und Tabubestimmungen sowie kultischer Anhang o 26,16-19 Übergang zur Schlussparänese o 27-30 Schlussparänese mit Fluch- und Segen in Kap 28 Schlussrahmen des Pentateuch/der Tora in Dtn 31-34 o 31-34: Einsetzung Josuas in Kap. 31; Moselied Kap. 32; Mosesegen in Kap. 33; Moses Tod in Kap. 34 -Auffällig: Nebeneinander der vorwiegend gesetzlichen Partien Dtn 12-26 und der paränetischen (mahnende oder predigende) Kapitel in Dtn 1-11 und 27-30 -Rückblick auf Ereignisse seit Aufbruch vom Horeb (=Berg Sinai in dtn-dtr Tradition) Das Schema Jisrael -neben Dekalog der wohl bekannteste und wirkungsgeschichtlich bedeutendste Text (Dtn 6,4) -„Höre Israel, JHWH ist unser Gott, JHWH ist einzig!“ sekundäre Einfügung des Dekalogs und von Dtn 6,5 „Und du sollst JHWH, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“) -Intention: Es soll nur noch den einen JHWH geben, und zwar den des erwählten Ortes Kultzentralisation; deshalb Übersetzung: „...JHWH ist einer.“; Monojahwismus B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Dtn weist eine Reihe von Eigenheiten auf: Dtn ist durch seine Rahmenhandlung nur lose mit Pentateucherzählung verknüpft Dtn ist beinahe durchgängig als Abschiedsrede Moses stilisiert Dtn hat eigentümliche sprachliche und theologische Diktion Dtn weist formale und inhaltliche Parallelität zu altorientalischen (Staats-)Verträgen auf -Dtn wurde ursprünglich als Buch identifiziert, das im Tempel gefunden wurde -Joschijanische Reform („Ur-Dtn) 56 -wahrscheinlich: vielstufige Entstehungsgeschichte durch Wechsel in der Anrede der Israeliten durch Mose (Numeruswechsel innerhalb eines Satzes) -sachliche Übereinstimmungen und Differenzen zur Sinaiperikope und ihren Rechtstexten weisen auf komplexes literarhistorisches Beziehungsgeflecht des Dtn zu diesen Texten hin -Gegenwärtiger Stand der Forschung: Annahme einer Zusammenfügung großer Textblöcke vs. kontinuierliche Weiterbearbeitung eines Grundtextes Exkurs: Deuteronomismus und deuteronomistisch (dtr) -Grundsätzlich werden solche Vorstellungsgehalte und Ausdrucksformen als dtr bezeichnet, die sich entstehungsgeschichtlich vom Dtn und seiner sprachlichen und gedanklichen Welt herleiten -hierzu gehören das Dtn an sich, die dtr editierten Geschichtsbücher Jos-2Kön sowie entsprechende Überarbeitungen im Buch Jeremia; auch im Tetrateuch (ab Buch Exodus), in beinahe allen übrigen Prophetenbüchern und einigen Psalmen -dtr Literatur weist eigentümliche sprachliche und inhaltliche Entsprechungen auf, die im Dtn selbst nicht vorkommen -in diesen Fällen wird vom Deuteronomisten, dtr Redaktioren, einer dtr Schule oder dtr Bewegung gesprochen -historische Einordnung der erkannten Schichten ist fraglich -dies gilt sogar für den genuin dtn Textbestand -vielleicht Abfassung in Anfängen der ausgehenden Königszeit -vielleicht exilischer Entwurf für die Zeit nach dem Exil -Frage nach Historizität der in 2Kön 22-23 berichteten Joschijanischen Reform ist ein quellenkritisches und zugleich archäologisches Problem -Befund ist relativ ernüchternd -Führt zum Schluss, dass sich die literarhistorische Einordnung des Dtn nicht primär auf seine Bezüge zu 2Kön 22-23 gründen sollte -Bericht in 2Kön 22-23 liegt eindeutig in dtr editierter Gestalt vor -Vllt. handelt es sich um eine vom Dtn selbst inspirierte Legende, die zur Legitimation des Dtn an sich diente -keine archäologischen Funde, die auf eine Reform hinweisen C. Entstehung des Deuteronomiums -grundsätzlich: Unterscheidung zwischen paränetischen Rahmenkapiteln und legislativem Kern in Dtn 12-26 -paränetischer Rahmen wird vom Buch selbst als Pro- und Epilog des Gesetzes charakterisiert -Wiederholung der Gesetze vom Horeb -Mose wird im Gesetz nicht mehr ausdrücklich als Sprecher genannt -in Dtn 12-26 ist mit großer Sicherheit der Kern des Dtn zu vermuten; Redaktionen ließen Rahmenkapitel entstehen 1. Das dtn Gesetz in Dtn 12-26 und seine ursprüngliche Eröffnung in Dtn 4,45; 5,1aa; 6,4: -dtn Gesetz ist literarisch uneinheitlich -mehrstufige dtr Bearbeitung und jüngere Nachträge Vor- und Nachgeschichte des Grundgebots zur Kultzentralisation in Dtn 12: -Forderung, den JHWH-Kult auf den einen legitimen Kultort zu beschränken wird dreimal erhoben (V. 5f.11.14) -negative Bestimmungen gehen dem voran (V. 2-3; V. 8-10; V. 13) -Konsequenz der Kultzentralisation ist Freigabe der profanen Schlachtung in den einzelnen 57 Ortschaften: inhaltliche Konzentration des kutlischen Geschehens auf bestimmt Opfer -Freigabe zweimal erwähnt (V. 15.21) -Aus Dtn 12 lassen sich drei aneinander gereihte Bestimmungen herausarbeiten: Dtn 12,2-7; 12,8-12 und 12,13-28 (Doppelungen in V. 15-19 und V. 20-27) 1. -überwiegend pluralisch formuliert -setzen dtr Stilisierung des Dtn als Abschiedsrede Moses voraus -sind selbst dtr Herkunft 2. -ältere dtr Bearbeitung -Bemühung um Einbindung des Gesetzes in Rahmenerzählung 3. -hier ist der dtn Grundbestand des Kapitels zu suchen, wenn auch spätere Nachträge mitgedacht werden müssen (V. 14b.20-28) -wichtigstes Kriterium für Identifizierung dtr Bearbeitungen: -Bezugnahme auf Rahmenkapitel -Stilisierung des Dtn als Abschiedsrede Moses -!Numeruswechsel! -Forderung der Kultzentralisation als leitende Vorstellung der Gesetzgebung -im Ggs. zum Bundesbuch und der altorientalischen Rechtstradition erweist sie sich als Spezifikum des dtn Gesetzes -Kultzentralisation evtl. Grund für Neubearbeitung des älteren Bundesbuches -Verfasser des dtn Gesetzes lag Bundesbuch (Ex 20,22-23,33) als Vorlage vor -Unterschied: einzelne Bestimmungen des Bundesbuches wurden oft unter dem Gesichtspunkt der Kultzentralisation reformuliert Grundbestand des dtn Gesetzes: Gebot der Kultzentralisation (Dtn 12,13-28) Bestimmung zum Zehnten (Dtn 14,22-29) Erlassjahr und Sklavenfreilassung (Dtn 15,1-18) Erstgeburt (Dtn 15,19-23) Festkalender (Dtn 16,1-17) Vereinheitlichung und Neuregelung der Rechtspflege (Dtn 16,18; 17,8-13; 19,1-13.1521; 21,1-9; 25,1-3) ursprüngliche Einleitung Dtn 6,4 „Höre Israel, JHWH ist unser Gott, JHWH ist einer“ samt Redeeinleitung und Buchüberschrift in Dtn 4,45 und 5,1aa -Neuorganisation des Rechtswesens, die Bestimmungen des Bundesbuches und in diesem vorausgesetzte Institutionen umgestaltet -Verlegung der kultischen Gerichtsbarkeit an das Zentralheiligtum (Dtn 17,8-13) - Einführung der professionellen Gerichtsbarkeit (Dtn 16,18) lässt sich hiervon nicht leiten -hier war Bemühen um einheitliche und funktionierende Rechtsordnung und Verwaltung des Landes maßgebend 2. Der Rahmen in Dtn 1,4.31-34 und 5-11.27.30: -Mose kündigt redundant die Mitteilung des Gesetzes an und fordert zugleich zu dessen Gehorsam auf -Hinweis, dass Rahmenkapitel nicht in einem Zuge entstanden sind -äußerer Rahmen: älter sind geschilderte Ereignisse seit Aufbruch vom Horeb, in dem i.d.R. Auftakt des DtrG gesehen wird; jünger sind Moselied und Mosesegen in Dtn 32f. -innerer Rahmen: Verbindung des Dtn mit Sinaiperikope; Dekalog; Goldenes Kalb 58 -zentrale Texte der bundestheologischen Interpretation und Redaktion des Dtn sind die Ergänzung des Schema Jisrael Dtn6,4 um das Liebesgebot in V. 5 und das bundestheologische Kapitel in Dtn 7 3. Datierung der Anfänge des Dtn in die ausgehende Königszeit: -Datierung des Dtn in die Zeit der Joschijanischen Reform im Jahre 622 v.Chr. ist problematisch -dennoch gute Gründe für Datierung in das spätvorexilische Juda unter König Joschija (638-609 v.Chr.): Schilderung der Joschijanischen Reform in 2Kön 22f. liegt in einer dtr Edition vor gewisses Interesse an kulturpolitischen Maßnahmen dtr Edition der ersten Ausgabe des DtrG hatten in der Exilszeit unter ihren Adressaten auch Zeitzeugen Epigraphik: Befund für die Zeit zwischen König Hiskija (723-695 v.Chr.) und Exil sieht Kompetenzerweiterung JHWHs vor: JHWH, Hauptgott Jerusalems, rückte in Bereiche göttlichen Handelns ein, die zuvor anderen Gottheiten vorbehalten war o Oberherrschaft Ägyptens ging zu dieser Zeit schnell zurück (Fall Ninives 612 v.Chr.) Joschija hatte Freiheit, nach dem Ende der neuassyrischen Herrschaft notwendige Reorganisation des Gemeinwesens in Angriff zu nehmen -dtn Gesetz tendiert zum Monojahwismus und markiert mit der Kultzentralisationsvorschrift einen religionsgeschichtlichen Wendepunkt -Bestimmungen zum Gerichtswesen zeigen Willen zur Reorganisation des Gemeinwesens -neuassyrischer Einfluss ist unverkennbar -Die verschiedenen dtr Redaktionen setzen mit dem Exil ein und reichen bis weit in die nachexilische Zeit D. Theologie des Deuteronomiums -Dtn markiert Wendepunkt innerhalb der atl. Religionsgeschichte bzw. dem Übergang von der altisraelitischen Religion der selbstständigen Staaten Juda und Israel zum Judentum durch: 1. Kultzentralisation bereitet dem frühestens exilisch nachweisbaren Monotheismus den Weg, wie er auch im Christentum und Islam rezipiert wurde (wenn auch unterschiedlich) 2. dtr Deutung des Dtn als für Israel an allen Orten und zu allen Zeiten gültigen Auslegung des Gottesverhältnisses (Beundesurkunde); Eigentumsvolk JHWHs 3. Übergang von Kult zu Buchreligion durch Moses Gesetz/Tora 4. Fortentwicklung juristischer und ethischer Begriffsentwicklung 5. in dtr Sicht sind Propheten Künder kommender Ereignisse und zugleich Prediger der Umkehr hin zum Halten des göttlichen Gesetzes E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -atl. direkte Wirkung: Deuteronomismus (s.o.) -liturgisch wichtigster Text: Dtn 6,4 -i.V.m. Mk 12,28-34; Lk 10,25-37; Mt 22,34-40 als wichtigstes Gebot (Jesus) -Moses Tod wird in Gemälden etc. dargestellt, alles andere meist nicht (Gesetz an sich etc.) -Mosegrab nach islamischen Glaubensverständnis: Wüste Juda 59 § 7.3. Die nichtpriesterschriftliche Urgeschichte A. Bibelkundliche Erschließung -Schöpfung: -Paradieserzählung (Gen 2,4-3,24) -Kain und Abel (Gen 4,1-26) -Flut: -Fluterzählung (Gen 6,5-9,29) -Zwischenzeit: -Völkerliste (Gen 10) -Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9) B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -in Gen 1-3 liegen zwei deutlich unterscheidbare Schöpfungsberichte vor -in Gen 1-11 wurden zwei ehedem unabhängig voneinander überlieferte Versionen ineinander gearbeitet -nichtP Urgeschichte umfasst - wie ihre altorientalischen Parallelen - die zusammengehörenden Themen Schöpfung und Flut -beide Versionen, P und nichtP, wurden von einer Redaktion zusammengestellt die ein komplementäres Verständnis der Textaussagen hatte Das komplementäre Textverständnis der späten Redaktoren der Urgeschichte: -Beispiel Schöpfungsberichte: gedankliche Voraussetzung der Redaktoren: beide Texte sind „wahr“ liest man nur P, so wird nicht klar, warum P - im Vergleich zur nichtP Paradieserzählung - unerklärt lässt, wie der urzeitliche Friede der guten Schöpfung so gestört werden konnte, dass es zur großen Flut kommen musste Menschen waren es, die die Schöpfung verdorben haben (nichtP) - Erklärung für Flut -literarische Charakter der nichtP Textanteile wird in der Forschung diskutiert -nichtP Textanteile finden sich häufig als Bearbeitung von P -bspw. wird Paradieserzählung nicht als zweite Schöpfungsgeschichte verstanden, sondern als midraschartige (=rabbinische Auslegung der Bibel) Reflexion, die aus weisheitlicher Perspektive und anhand der geschichtlichen Erfahrungen Israels die optimistische Sicht der P Urgeschichte korrigiert. -auch umstritten ist das Ende der nichtP Urgeschichte: nur Schöpfung und Flut oder von vorneherein auch Erzelterngeschichte? C. Entstehung der nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte 1. Quellenschriften oder Bearbeitung in der biblischen Urgeschichte -grundlegende Beobachtungen der Quellenscheidung in Gen 1-3: 1. P Schöpfungsbericht in Gen 1,1-2,3 und nichtP Paradieserzählung sind zwei in sich geschlossene Erzählungen 2. beide thematisieren Schöpfungshandeln Gottes 3. Unterschiede in: a. Mensch wird zweimal geschaffen (Gen 1,26f; Gen 2) b. Ur- bzw. Vorzustand der Welt wird zweifach berichtet (Gen 1,1-2,3: überschwemmte Ebene; Gen 2,4-3,24: ausgetrocknete Steppe c. Gottesnahme: Gen 1,1-2,3 Gott (Elohim); Gen 2,4-3,24 JHWH-Gott (JWHWElohim) 4. beide Erzählungen werden durch Toledotformel Gen 2,4a redaktionell verbunden 60 -beide Schöpfungsberichte waren zwei ehedem unabhängig voneinander überlieferte und erst redaktionell miteinander verbundene Texte 2. Umfang und Ende der ehedem selbstständig überlieferten, nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte: -keine eindeutige Antwort nach Ende und Auslegungshorizont der nichtP Urgeschichte -entweder Abrahamzyklus miteinschließend oder „nur“ Schöpfung und Flut“ -Für die Geschlossenheit von Schöpfung und Flut (ohne Erzvätergeschichte) spricht: nichtP Urgeschichte ist dann als eine in sich geschlossene Erzählung lesbar nichtP Urgeschichte weist literarisch nicht über sich hinaus Konzentration auf die Themen Schöpfung und Flut ist im altorientalischen Umfeld gut bezeugt in Gen 12,1-3 kommt eine in die Vorgeschichte Israels projizierte Zukunftserwartung zum Tragen für die nichtP Urgeschichte ist nicht Abraham der „neue Mensch“, sondern bereits Noach -nichtpriesterliche Form der Urgeschichte beginnt folglich mit der Paradieserzählung in Gen 2,4-3,24, führt über Brudermorderzählung in Gen 4,1-26 zur Fluterzählung in Gen 6,5-8,22 -Völkertafel in Gen 10/Stadt- und Turmbauerzählung in Gen 11 später hinzugefügt 3. Datierung der nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte: -sündentheologisch ausgerichtete Urgeschichte geht von kulturgeschichtlich orientierten Anthropogonie (Entstehungsgeschichte des Menschen) aus und bietet eine theologische Lehre vom Wesen des Menschen (Anthropologie) und eine narrative Sündenlehre (Hamartiologie) -Nebeneinander von versch. Perspektiven (guter Schöpfergott, strafender Gott (Kain)) -sündentheologische Ausrichtung setzt bereits die unbedingte Gerichtsankünfigung der Propheten des 8. und 7. Jh. v.Chr. voraus, dürfte jedoch älter als P sein -in der jüngeren Stadt- und Turmbauerzählung spiegeln sich perserzeitliche Verhältnisse D. Theologie der nichtpriesterschriftlichen Urgeschichte -die urgeschichtliche Darstellung will als Wesensaussage über die für den Menschen und seine Welt grundlegenden Ordnungen verstanden sein -nichtP Urgeschichte lässt sich als Ätiologie, als eine Lehre von den Ursachen beschreiben, die den Zustand der Gegenwart durch den Aufweis seiner Entstehung erklären will (Tun-Ergehen) -Grundintention: Der Mensch ist Mensch, und nicht Gott -Mensch erlangt das, was sein Wesen ausmacht, nämlich das Wissen bzw. die „Erkenntnis von Gut und Böse“ -Erkenntnis von Gut und Böse verdankt sich der Übertretung des göttlichen Gebots und macht die im Folgenden geschilderten kulturellen Errungenschaften zur Auswirkung des Sündenfalls -In Gen 4 (Kains Brudermord) erschließt sich ein neuer Kulturraum durch die Verbannung Kains -Urgeschichte als Gattung -Begründung für die Sintflut, die auf Bosheit und Gewalttat des Menschen abhebt -Sintflut führt zur Rückkehr zum Chaos in die Welt bzw. zur Rücknahme der Schöpfung -nichtP Urgeschichte setzt Unheilsprophetie voraus -später hinzugefügte Stadt- und Turmbauerzählung (Gen 11) schildert den vergeblichen Versuch des Menschen, durch Kulturleistung eines Bauwerks die Einheit zu bewahren, die er durch Gewalt schon längst verloren hatte E. Wirkungsgeschichte -biblische Urgeschichte handelt von den großen Menschheitsthemen: Ursprung der Welt 61 Woher kommt der Mensch Kulturfähigkeit des Menschen Angewiesensein auf Kultur Fehlbarkeit des Menschen -in der Werbung oft verwendete Symbole wie der (in der Bibel nicht erwähnte!) Apfel, Kainsmal, Arche etc. -Sprichwörter: „nacht, wie Gott sie schuf“, die „falsche Schlange“, „sintflutartige Regenfälle“, oder die „babylonische Sprachverwirrung“ -Malereidarstellungen Adams und Evas, Turmbau zu Babel etc. 62 § 7.4. Die nichtpriesterschriftliche Erzelterngeschichte A. Bibelkundliche Erschließung Erzählungen von den Vätern und Müttern Israels in Genesis 12-36: 12-25 Abram/Abraham und Sarai/Sara 24-26 Isaak und Rebekka 25; 27-36 Jakob, Lea und Rahel -Geschichte einer patriarchal organisierten Familie; Abraham, Isaak und Jakob sind Großvater, Vater und Sohn -Einzelne prägende Ereignisse: Brautwerbung und Heirat; Geburt der Söhne, Eifersucht/Streit innerhalb des Familienverbundes, Auseinandersetzung um das väterliche Erbe -breite geographische Streuung innerhalb der Erzählungen Die Geographie der Erzelterngeschichte: Abraham/Sara siedeln südlich von Hebron, dann in Küstenebene bei Gerar Isaak: südliches Beerscheba; Verwandtschaft wohnt im Bereich des Toten Meeres und im nördlichen Syrien Jakob: Nordreich Israel (Bet-El/Lus, Gebirge Gilead; Ostjordanland, Betlehem) -innere Einheit der Erzelterngeschichte wird theologisch durch Verheißungstexte hergestellt -Beginn mit Befehl JHWHs an Abraham, in die Fremde aufzubrechen -Verheißung von Nachkommen, Schutz und Segen -Verheißung des Landbesitzes (sobald Abraham im Lande ankommt) -Verheißungen auch an Isaak und Jakob -wesentliche Aussage der Verheißungstexte: Israel verdankt seine Existenz, sein Land und sein Leben im Land JHWH B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Einheit des Textes durch Genealogie, Geographie und Theologie in Gestalt der Verheißungsreden -Genealogie von Großvater, Vater und Sohn ist sekundär -verknüpfende Verheißungstexte gehören nicht zum Ursprungsbestand -h.M.: einzelne Vätergeschichten wurden später im Fortgang der Überlieferungsbildung literarisch ineinander gearbeitet -Gott der Väter ist unhinterfragt JHWH -Erzelterngeschichten schildern die Ursprungsgeschichte Israels aus der Perspektive der staatlichen und nachstaatlichen Zeit -umstritten: Alter, ursprüngliche literarische Gestalt, Überlieferungsform -Gunkel: „Genesis ist eine Sammlung von Sagen“ -häufig: Ätiologien (Ä. sind Sagen die für einen bestimmten Sachverhalt die Ursache (gr. aitia) schildern und darlegen, warum eine Gewohnheit, eine sprachliche Konvention oder auch etwas Außergewöhnliches genau so und nicht anders ist. -Alt: genuin nomadischer Religionstyp, der sog. „Gott der Väter“ ist zu erkennen -These konnte sich nicht halten -in den Texten wird deutlich, dass es sich beim „Gott der Väter“ um JHWH, den Gott Israels und Judas handelt C. Entstehung der nichtpriesterlichen Erzelterngeschichte -Erzelterngeschichte gliedert sich nach ihren männlichen Protagonisten 63 -Grundstock: Geschichte um Jakob als Patriarch schlechthin; erhält den Namen Israel -zwölf Stämme werden auf ihn zurückgeführt -Jakob-Esau-Laban-Erzählung nach Untergang des Nordreichs 722/1 v.Chr. zuerst um Isaak-Erzählung, später um Abraham-Lot-Erzählzyklus erweitert. -Abraham wohl „die jüngste Figur“ 1. Jakob: -Erzählungen um Jakob und seinen Bruder Esau (Gen 25,19-34; 27,1-45 und Gen 32-4-22; 33,1-20) lassen sich von den Erzählungen um Jakob und Laban (Gen 29,1-32,2a) abheben -Streit mit Esau als Rahmen um den Aufenthalt bei Laban -Doppelmotiv der Flucht Jakobs vor Esau und der Flucht Jakobs vor Laban mit Ziel Esau ist miteinander verknüpft -Erzählung Linsengericht (Gen 25) und Erschleichung des Segens (Gen 27) relativ jung -in Jakob-Esau-Laban-Erzählzyklus wurden weitere Überlieferungsblöcke eingearbeitet: Traumoffenbarung in Bet-El (Gen 28) Gotteskampf am Jabbok (Gen 32) 2. Isaak: -tritt vom Umfang her hinter die beiden anderen Erzelterngeschichten zurück -Gefährdung der Patriarchin (Gen 12; 20; 26) und Vertrag mit Abimelech um Brunnenrechte (Gen 21; 26) haben Priorität in der Isaakerzählung und wurden vermutlich später auch bei Abrahamerzählung eingearbeitet (Gen 12) -Gen 26: geschlossene und ehedem selbstständige Überlieferung der Erzeltern Isaak und Rebekka 3. Abraham: -Erzählzyklen sind episodisch strukturiert -literarischer Kern: Abraham-Lot-Zyklus (Gen 13,1-13.18; Gen 18-19; 21,1-7) -innerhalb des Zyklus: Gastmal in mamre (Gen 18); Sodom und Gomorra (Gen 19) -wahrscheinlich ehedem selbstständige Einheiten -Hauptbestand der Erzählungen von Abraham und Sara verdankt sich einer Redaktion/Auffüllung -Verheißungstexte mit Blick auf Landnahme -Antwort auf Erfahrung, dass die genannten Heilsgüter (Land, Volk, Segen, Mitsein JHWHs) in Anbetracht des Untergangs 587/6 v.Chr. radikal in Frage zu stellen sind -zahlreiche Anspielungen auf den Exodus: Abraham als erster Offenbarungsempfänger des JHWHglaubens und Gegenmodell zu Mose (Gen 12,10-20; 15-16) -hohe Attraktivität Abrahams zeigt sich in nachexilischer Zeit: vielfältige Ergänzungen der Abraham-Sara-Geschichte (Brautwerbung um Rebekka Gen 24; Fürbitten für Sodom Gen 18; Fürbitte für Abimelech Gen 20; Opferung Isaaks Gen 22) D. Theologie der nichtpriesterschriftlichen Erzelterngeschichte -Erzelterngeschichte schildert Anfänge des Volkes Israel in Form der Familienerzählung -innere Einheit ist theologisch konstruiert als Erzväterverheißung (verbindenden Element) -Verheißungstexte spätere Kompositionselemente -Gesamtaussage: Israel verdankt Existenz im Lande allein dem Handeln und Führen JHWHs. Gegenstand der Verheißung sind diejenigen Güter, die ein Volk zum Volk machen und als solches erhalten: Nachkommenschaft, Land und Segen. 64 Das Programm der Verheißungstexte der Erzelterngeschichte: JHWHs Befehl an Abraham, in die Fremde aufzubrechen; Verheißung von Nachkommen, Schutz und Segen Landverheißung erfolgt erst, als Abraham im Land ist Landübergabe durch Ritus des Überblickens und Durchschreitens Verheißungen an Abraham über Isaak, über den erlisteten Segen auf Jakob -Geschichte enthält auch Elemente der Verzögerung und Gefährdung der Verheißung -theologische Einsicht: JHWH macht auch unglaubliche Dinge möglich: späte Fruchbarkeit Saras durch Isaaks Fürbitte gewährten Kinder Esau und Jakob (von Rebekka) anfängliche Unfruchtbarkeit Rahels, die später gelöst wird -wer zu Israel zählt, entscheidet die Zugehörigkeit zu einem der zwölf Stämme, deren Anherren die Söhne Jakobs sind, der den Namen Israel zugesprochen bekommt -weitere Aussageintentionen in der Erzählung: Nachkommenschaft, Bewahrung der Gruppe/Familie in Gefahr; Schutz der Familie vor überlegenen Gruppen; Segen; Handeln Abrahams E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Abraham als Stammvater des Glaubens in Judentum, Christentum und Islam -Opferung Isaaks nimmt in allen drei Religionen besonderen Rang ein -Obwohl Volkwerdung durch Jakob gegeben ist, tritt er wirkungsgeschichtlich hinter Abraham zurück 65 § 7.5. Die nichtpriesterschriftliche Josefsgeschichte A. Bibelkundliche Erschließung Die Josefsgeschichte in Genesis 37.39-50 37 - Exposition: Josefs Träume o 38: Juda und Tamar 39-41 - Josefs Aufstieg in Ägypten 42-45 - Josef und seine Brüder o 42 - erste Reise der Brüder o 43-44 - zweite Reise der Brüder o 45 - Josef gibt sich zu erkennen; 1. Versöhnung 46-49 - Jakob in Ägypten o 49 - Jakobs Segen und Tod 50 - Schluss Die Träume in der Josefsgeschichte: 37,7f. - 1. Traum Josefs (Garben) 37,9-11 - 2. Traum Josefs (Gestirne) o 40,9-15 Traum des Mundschenks o 40,16-19 Traum des Bäckers o 40,20f. Traum des Mundschenks erfüllt sich o 40,22 Traum des Bäckers erfüllt sich o 41,1-4 erster Traum des Pharao (Kühe) o 41,5-7 zweiter Traum des Pharao (Ähren) o 41,47-49; 41,53-57 Träume des Pharao erfüllen sich 42,6-8 - 1. Traum Josefs erfüllt sich -Inhalt: Jakob bevorzugt Josef; übergroßes Selbstbewusstsein Josefs; Hass der Brüder; Verkauf des Josef durch die Brüder nach Ägypten; In Ägypten: Aufstieg Josefs zum Stellvertreter des Pharao; Versöhnung mit den Brüdern; Wiedersehen mit dem Vater; Textament, Tod Jakobs; Jakobs Bestattung; Tod Josefs B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -durch und durch novellistisch (Prosaerzählung, die eine ,unerhörte Begebenheit‘ [Goethe] erzählt) -real vorstellbares Ereignis mit zentralem Konfikt -galt lange Zeit als Musterbeispiel für Scheidung zwischen „J“ und „E“ -Gottesname als Unterscheidungsmerkmal fällt aus, da im ägyptischen Ausland ausschließlich Elohim verwendet wird -aktuell h.M.: im Großen und Ganzen geschlossene literarische Einheit -Unterscheidung zwischen: Juda-Israel (=Jakob)-Ismael-Grunderzählung Ruben-Jakob-Midian-Bearbeitung -Datierungsvorschläge reichen vom salomonischen 10. Jh. v.Chr. über den nordisraelitischen Hof des 9. oder 8. Jh. bis hin zur persischen Diaspora des 4. Jh. v.Chr. C. Entstehung der nichtpriesterschriftlichen Josefsgeschichte: -Verbindungsstück zwischen Erzelterngeschichte und mosaischer Geschichte -Josefsgeschichte sollte darstellen, wie und warum die Ahnherren der Stämme Israels nach Ägypten kamen 66 -dies passt nur schwer zum Textbefund: nach Gen 50, 7-13 befindet sich Jakobsippe wieder in Palästina; Wiederrum Übersiedlung nach Ägypten (Gen 50,14) spricht dafür, dass hierbei das ursprüngliche Ziel der Erzählung verfehlt wurde -inhaltliche Spannungen zu Ex (Josef, vormals zweiter Mann des Pharao, wird in Ex nicht mehr erwähnt; dabei wurde aus Ägypten vom gut funktionierenden Beamtenstaat ein brutaler Unterdrückungsapparat in sich nicht kongruent) -Die Josefsgeschichte als ehedem selbstständig musste zwischen Erzelterngeschichte und Exodus eingebunden werden; redaktionelle Überarbeitungen nötig -ursprünglicher Textbestand: bis Gen 50,21 (zweimaliges Erzählen der Abschnitte als Charakteristikum; zwei Träume; zwei Traumauslegungen etc.; zweifache Versöhnung mit Brüdern) -Entstehung wohl in der Zeit nach 722/1 v.Chr. D. Theologie der nichtpriesterschriftlichen Josefsgeschichte -Grundgedanke: Gott vermag selbst menschliche Schuld in den Dienst seines heilvollen Planens und Handelns stellen -Weg Josefs nach Ägypten (Niederlage) eröffnet später Sieg (Stellvertreter des Pharao) -„Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.“ (Gen 50,19f.) E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -antike jüdische Literatur: romantische Dichtung „Josef und Asenat“ -Esthernovelle bietet Parallelen in Hinblick auf Gefährdung und gesellschaftlicher Aufstieg in der Diaspora -literarische Nachdichtungen: „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann -G.F. Händel Oratorium „Joseph und seine Brüder“ 67 § 7.6. Die deuteronomistische Komposition der Geschichte des Volkes Israel vom Auszug bis zum Exil A. Bibelkundliche Erschließung -nicht- und zugleich vorpriesterschriftlicher Erzählfaden in Ex, Num und Dtn berichtet von Konstituierung des Volkes Israel außerhalb des Landes und unabhängig von staatlichen Institutionen im Stiftungserlebnis Exodus -Bücher Jos-2Kön schildern Geschichte des Volkes im Lande, bis es das Land wieder verliert -Beginn: Entstehung staatlicher Institutionen -Ende: Begnadigung des letzten davidischen Königs im Babylonischen Exil -Josua als Nachfolger des Mose; Nachkommen der Vätergenerat. als Generationen im Land -Dtn beschließt Phase der Konstituierung des Volkes außerhalb des Landes -Mose und das Dtn stiften der folgenden Geschichtserzählung ihre innere Einheit -Bücher Jos-2Kön haben dtn Gesetz zur Voraussetzung -folgende Teilkompositionen lassen sich unterscheiden: Mose-Exodus-Landnahme-Erzählung (Ex 1 - Jos 12) Richtererzählungen (Ri 3-16) Samuel-Saul-Erzählung / Saul-David-Salomo-Erzählung (1Sam - 1Kön 11) Annalen und Erzählungen von den Königen Judas und Israels (1Kön 12 - 2Kön 25) B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -ältere Forschung: Gen - 2Kön (zumindest Gen-Jos) als durchgehende Quellenschriften mit dtr Bearbeitungen -seit Noth: zwei Literaturwerke -„alte Quellen“ Tetrateuch und Dtn 34 -Geschichtswerk eines dtr Verfassers: Jos - 2Kön -natürliches Ziel, das mit dem Auszug aus Ägypten Erzählbogen einsetzt ist unstrittig das Erreichen und die Inbesitznahme des verheißenen Landes (erst in Jos 1-12) -wird dies aber schon dem DtrG (wie Noth, s.o.) zugerechnet, so muss das Ende des Tetrateuchs bei der Verbindung mit dem DtrG verloren gegangen sein -diese Aussage nicht überzeugend/Verlegenheitsauskunft -These eines Mose-Exodus-Landnahme-Erzählkomplexes in Ex 1- Jos 12 ist mit der These eines in Dtn 1-3 beginnenden DtrG kaum noch zu vereinbaren -neueste Forschung/h.M.: Deuteronomismus innerhalb der Geschichtsbücher ist ein vielgestaltiges und vielschichtiges Phänomen -Revision der These Noths: verschiedene dtr Editionen des DtrG -Diskutiert werden hier: blockweises Wachstum des DtrG durchgehende literarische Schichten beides kombiniert Einheitlichkeit des DtrG steht damit in Frage! -Offenkundige Verschiedenheiten zwischen einzelnen Blöcken des DtrG: -„Richterschema“ (Abfall, Feindesnot, Schreien zu JHWH und Errettung (Ri 2,10ff.) hat im linear angelegten Aufbau der Königebücher keine Entsprechung -für die älteste dtr steht auch im Ggs. die Zentralisationsforderung aus Dtn 12 im Zentrum des Interesses -erst später: Israels Abfall von JHWH hin zu fremden Göttern als Kriterium -Alle aufgeführten Punkte haben zu folgendem Ergebnis geführt: Auf Ebene der ältesten dtr Edition der Bücher Dtn bis 2Kön kann noch nicht von einem geschlossenen, mit Dtn 1-3 oder Jos 1 einsetzenden und bis 2Kön reichenden DtrG gesprochen werden 68 Erkennt man im vordtr Kern der Landnahmeerzählungen in Jos 1-12 die ursprüngliche Fortsetzung zur nicht- und zugleich vorpriesterschriftlichen Mose-Exodus-Erzählung, dann wird die Existenz eines DtrG im Sinne Noths (s.o.) grundsätzlich problematisch -Entstehung und Herkunft des in das Geschichtswerk gearbeiteten Materials wird ebenfalls diskutiert. Grundkonsens ist aber: Für eine Reihe von Geschichten wird inzwischen eine nachdtr Herkunft vermutet (v.a. Erzählungen über den Propheten Elija) Für eine Reihe von Erzählungen wird inzwischen vermutet, dass sie bereits vordtr zu kleineren oder größeren Kompositionen zusammengestellt worden sind (vordtr SaulDavid-Salomo-Erzählung) C. Entstehung der deuteronomistischen Komposition der Geschichte des Volkes Israel vom Auszug bis zum Exil 1. Das Gesamtwerk und seine Datierung: -die dtr Komposition der Geschichte des Volkes Israel vom Auszug bis zum Exil bildet sich um zwei Pole: 1. nicht- und zugleich vorpriesterschriftliche Mose-Exodus-Landnahme-Erzählung in ExJos 12 2. dtr Darstellung der Geschichte des Königtums in Juda und Israels samt seiner Entstehung unter Saul, David und Salomo in den Büchern 1Sam-2Kön -Verbindung beider Pole (1+2) stellt die spätere dtr Redaktion her, die im gesamten Text Ex-2Kön nachweisbar ist -Achtung: Die These Noths bezüglich des DtrG bleibt weitherhin gültig, hier geht es nur um literarhistorische Einordnungen -terminus a quo (Zeitpunkt, vor dem ein nicht genau datierbarer Text aufgrund von Erfahrungen oder Kenntnisse anderer, datierbarer Texte nicht datiert werden kann): Begnadigung Jojachins durch den babylonischen König Amel-Marduk (562 v.Chr.) -die späteren dtr Redaktionen erstrecken sich bis weit in die nachexilische Zeit 2. Mose-Exodus-Landnahmeerzählung (Ex - Jos): -Grundbestand -Beginn und Verlauf:Unterdrückung und Verfolgung der Israeliten in Ägypten ein, berichtet von Geburt und Rettung des Mosekindes, vom Aufenthalt und der Heirat Moses in Midian, seiner Berufung und Rückkehr nach Ägypten sowie der Flucht der Israeliten aus Ägypten und der Vernichtung der ägyptischen Verfolger am Schilfmeer (Ex 1-14) -in Num und Dtn folgen Notizen über den Zug der Israeliten in die Oase Kadesch und das Gebiet der Moabiter, wo Mose stirbt und begraben wird -Ende: Schilderung der Überquerung des Jordan und der Eroberung einiger Städte und Gebiete im Stamm Benjamin (Jos 1-12), u.a. Jericho (Jos 6) und Ai (Jos 8); mit Landnahme unter Josua ist die Verheißung (brennender Dornbusch) erfüllt -ältere Mose-Exodus-Landnahmeerzählung kennt noch keinen Abstecher Israels zum Gottesberg und Beganntgabe des Gesetzes -sie ist folglich älter als das Dtn und die dtr Sinaiperikope -Inhalt: Ursprünge Israels, Stiftung seines Gottesverhältnisses, das ohne Vermittlung des Königtums gedacht wird -spricht für Entstehung in vor- oder in nachstaatlichen Verhältnissen -Erzählung von Mose, Exodus und Landnahme ist wahrscheinlich im Gebiet des Nordreiches nach dessen Untergang im Jahr 722/1 v.Chr. entstanden. 69 Ex 1-Dtn 34: Mose Ex 1-15: Israel in Ägypten und Exodus aus Ägypten o Ex 3f: Moses Berufung o Ex 7-11: Plagen o Ex 12f.: Flucht aus Ägypten o Ex 15,21: Mirjamlied Ex 15-Num 24: Israel in der Wüste und am Sinai o Ex 19: Theophanie am Sinai o Ex 20: Dekalog o Ex 21-23: Bundesbuch o Ex 32-34: Goldenes Kalb und Bundeserneuerung o Num 10: Aufbruch vom Sinai Dtn 1-34: Abschiedsrede Moses in Moab o Dtn 5: Dekalog o Dtn 12-26: Gesetz o Dtn 34: Moses Tod Jos 1-24: Josua Jos 1: Beauftragung Josuas Jos 2-12: Landnahme Jos 13-21: Landverteilung Jos 23-24: Josuas letztes Wirken -Verfasser konnta uf ältere Überlieferungen von Moses Aufenthalt in Midian oder das Mirjamlied (Ex 15,21b) zurückgreifen -Überlieferung Jos 2-12: im Kern Sammlung ätiologischer Sagen benjaminitischer Herkunft -historisch gab es zur Zeit Josuas weder in Jericho noch in Ai eine Stadt, die unter seiner Führung hätte erobert werden können Exkurs: Mose -Frage nach Gestalt des Mose ist Problem der Quellen und ihrer historischen Auswertung -nur biblische Berichte berichten über Mose -Mose als zentrale Figur Befreier aus der Knechtschaft in Ägypten Gesetzgeber, der Israel den Willen JHWHs verkündet und in der Tora niederlegt -hist. Charakterisierung Mose besitzt keine Grundlage mehr -aus der biblischen Überlieferung lassen sich historische Informationen über Mose nur sehr eingeschränkt beziehen; hierzu gehören: Moses ägyptischer Name Moses Verbindung mit Midian -„Es ist einfach nicht erklärlich, dass die Tradition dem mann, den sie als Begründer des genuin Israelitischen ansah, ausgerechnet einen nichtisraelitischen Namen beilegte“ -ältere Mose-Exodus-Landnahmeerzählung ist kräftig ausgebaut worden: nichtP Plagenerzählung (Ex 7-11) Bileamperikope (Num 22-24) Bundesbuch (Ex 21-23) dtn Gesetz (Dtn 12-26) Dekalog (Ex 20; Dtn 5) -in Jos konnten dtr Editoren für die Darstellung der Landaufteilung auf Listenmaterial der späteren Königszeit (mit Ortsnamen und Grenzen) zurückgreifen 70 -Num: heterogener nichtP Textbestand wirkt wie eine vielschichtige Ergänzung zu P Passagen, die ihrerseits kaum zum Grundbestand von P gehören -ABER: nichtP Erzählung der Wüstenwanderung wird im Dtn vorausgesetzt für Dtn 1-3 kann angenommen werden, dass dieser Text in relativ freier Gestaltung auf eine Überlieferung zurückgreift, die auch Num 13f. zugrunde liegt, dort aber in nachpriesterschriftlichen und auch von Dtn 1-3 beeinflussten Gestalt 3. Richtererzählungen (Das Buch der Richter): -Name des Buches durch Herrführer und Stammeshelden, die Geschick Israels nach Darstellung von Ri 2,6-16,31 in der Zeit zwischen Landnahme und Staatenbildung bestimmten, den sog. Richtern (gebr. sophetim) -besser: Häuptlinge, Lokalherrscher Das Richterbuch: Ri 1,1-2,5: Nachtrag zur Landnahme Ri 2,6-3,6: Prolog: Ausblick Ri 3,7-16,31: Richtererzählungen o Ri 5: Deboralied Ri 17f.: Michas Gottesbild/Wanderung der Daniten Ri 19-21: Frevel der Benjaminiten Das Richterschema (Ri 3,7-11; vgl. Ri 2,10-19): Sündenformel Und die Israeliten taten, was JHWH missfiel, und vergaßen JHWH, ihren Gott, und dienten den Baalen und den Ascheren (V.7) Zorn JHWHs Da entbrannte der Zorn JHWHs über Israel (V. 8) Übereignung und er verkaufte sie in die Hand Kuschan-Rischatajims, des Königs von Mesopotamien (V.8) Dauer und so dienste Israel dem Kuschan-R. acht Jahre (V. 8) Schreien Da schrien die Israeliten zu JHWH (V. 9) Erweckung Und JHWH erweckte ihnen einen Retter, der sie errettete, Otniel [...] Und der Geist JHWHs kam auf ihn, und er wurde Richter in Israel und zog aus zum Kampf. Und JHWH gab den König von Mesopotamien Kuschan-R. in seine Hand (V. 9-10a) Beugeformel so dass seine Hand über ihn stark wurde (V. 10b.) [eigentlich: So musste sich N.N. an jenem Tag unter die Hand Israels beugen (vgl. Ri 3,30) Ruheformel Da hatte das Land Ruhe vierzig Jahre (V. 11a) Sterbeformel Und Otniel, der Sohn des Kenas, starb (V. 11b) -nach dtr Auffassung fällt kleinen Richtern gleiche Aufgabe zu wie den großen -Aufgaben der Richter nicht ganz klar: Einerseits als Charismatiker beschrieben, die mit Gottes Geist begabt sind (Ri 3,10; 6,34; 11,29); andererseits erscheinen sie Träger eines gesamtisraelitischen Leitungsamtes (hebr. sapat „richten/herrschen“ vgl. Ri 3,10; 4,4f.; 10,1-5) zu sein -Einzelerzählungen im 3. Teil des Buches (Ri 17-21) entwerfen negatives Szenario von religiösen und sozialen Verhältnissen der Richterzeit -Eigentümlichkeit des Richterbuches: stark unterschiedliche Bewertung des Königtums 71 -im 3. Teil des Buches wird die ordnende Funktion eines Königtums herausgestellt -Königtum widerspricht eindeutig dem theokratischen Ideal einer Königsherrschaft JHWHs über Israel (Ri 8,22f.) -generell stehen (auch später bei Sauls Königtum) ablehnende Stimmen den promonarchischen Stimmen ggü. - Konzeption einer „Richterzeit“ ist Werk der dtr Editoren, da sie am Richterschema und der theologischen Ausrichtung an der Frage der Alleinverehrung JHWHs in Israel hängt 4. Erzählungen von Saul, David, Salomo (1Sam - 1Kön 11): -Samuel (1Sam 1-7) 1Sam 3: Samuels Berufung -Samuel und Saul: Entstehung des Königtums (1Sam 8-15): dreifache Ablehnung des Königtums; zweimalige Inthronisation Sauls 1Sam 13-15 Sauls Königtum; seine Verwerfung -Sauls Abstieg, Davids Aufstieg (1Sam 16-31) 1Sam 16-20: David am Hofe Sauls 1Sam 21-31 David als Söldnerführer -Davids Königtum (2Sam 1-1Kön 2) -Salomos Königtum (1Kön 3-11) -nach Angaben der dtr Rahmennotizen beruht Darstellung der Königszeit ab Rehabeam von Juda und Nadab von Israel (1 Kön 15,25ff.) auf den „Tagebüchern/Annalen der Könige von Juda bzw. Israel“ -weiteres Erzählmaterial floss hierin ein -über die Vorgänge Saul, Ischbaal, David, Salomo und Jerobeam sind dtr Rahmennotizen samt weiterer dtr Passagen über bestehende Überlieferungszusammenhänge gelegt worden -hier wurden keine Annalen herangezogen -Regierungsdaten von Sauliden, David und Salomo unbekannt -spätere Hinzufügung von Regierungsdaten und Altersangaben Vorlagen für die Deuteronomisten in 1Sam-1Kön 11: -Ladeerzählung (1Sam 4,1-7,1; 2Sam 6,2-23) -Geschichte vom Königtum Sauls (1Sam 9-15) -Aufstiegsgeschichte Davids (1Sam 16-2Sam 5.7-8) -Thronfolgegeschichte (2Sam 9-20; 1Kön 1-2) -Geschichte vom Königtum Salomos (1Kön 3-11) -genaue Abgrenzung und Verhältnisbestimmung umstritten -handelt es sich um ehedem selbstständige Literaturwerke oder ist von einem größeren Erzählzusammenhang auszugehen? -neuerdings ist vermutet worden, dass eine ältere Überlieferung von Samuel und Saul (1Sam 114) und eine Sammlung von Jerusalemer Hofgeschichten um David und seine Nachfolge (2Sam 11-1Kön2) entstehungsgeschichtlich zu trennen sind -Sauls Verwerfung und Davids Berufung wohl redaktionelles Verbindungsstück -Entstehungszeit: falls die o.g. Analyse richtig ist, wohl Zeit nach dem Untergang des Nordreichs, in der die Jerusalemer Dynastie der Davididen das Erbe Samarias angetreten hat 72 Exkurs: David -unaufhaltsamer Aufstieg Davids ist eng mit Sauls Abstieg (1Sam 16-2Sam 5.7-8) verknüpft -David wird von Samuel als der jüngste unter acht Söhnen anstelle des amtierenden, von JHWH verworfenen Saul zum König gesalbt -Militärischer (Goliath!) und menschlicher (Harfenspiel) Erfolg, der die Liebe des Königs gewinnt (1Sam 16,21), die Freundschaft dessen Sohnes Jonathan erringt (1Sam 18,1-4,20) und zum Schwiegersohn des Königs (1Sam 18,17-27) wird, ruft die Eifersucht des Königs hervor -David flieht, wird Anführer einer „Räuberbande“ -Zweimalige Verschonung von Saul; Saul stirbt in der Schlacht von Gilboa -David kehrt aus Exil zurück und wird in Hebron zum König über Juda (später auch über Israel) eingesetzt -David wird Stadtkönig der „Davidsstadt“ (2Sam 5) -David regiert nun drei Gebiete: Jerusalem, Juda, Israel -David holt Bundeslade nach Jerusalem; errichtet ein Großreich; Salomo als Nachfolger -Affäre mit Batseba, der Mutter Salomos, deren mann Urija er in den Tod schickt, um den Ehebruch zu vertuschen (2Sam 11) -David zeigt sich reuig und gewinnt Statur als Büßer (2Sam 12) -David gilt - trotz seiner Schattenseiten - als idealer König -bildet Maßstab für spätere Könige -Singendem und betendem David werden 73 Psalmen des Psalter zugeschrieben (nach der traditionellen Überlieferung) -Schriften von Qumran erwähnen 4050 Psalmen und Lieder -historischer David nur schwer zu fassen -Angaben über seine 40-jährige Regierungszeit sind völlig unsicher -erst in 2. Hälfte des 9. Jh. wird „Haus David“ in einer altaramäischen Inschrift erwähnt -Annahme eines Lokalherrschers David und dessen Clan -salomonische Zeit (1Kön 1-11) -„Buch der Geschichte Salomos“ (1Kön 11,41); Titel könnte dtr Bearbeitung sein -Dokument höfischer Literatur -zu datieren etwa zur Zeit Hiskijas von Juda (725-697 v.Chr.) -Intention des Erzählwerks: Legitimation des davidischen Königtums für Gesamtisrael nach dem Untergang des Nordreichs -Autor: im Umfeld des Jerusalemer Königshofes zu suchen -dtr Redaktion im Text 1Sam-1Kön 2 nicht einheitlich 5. Erzählungen von den Königen Judas und Israels (1Kön 12-2Kön 25) 1Kön 12-2Kön 17: Die getrennten Reiche 1Kön 17-19.21; 2 Kön 1: Elija-Erzählungen 2Kön 17: Zerstörung Samarias durch Assyrer; Untergang des Nordreichs; Deportation nach Assyrien 2Kön 18-25: Juda von 722 bis 587 v.Chr. 2Kön 18-20: Hiskija (+Jesaja) 2Kön 22f.: Joschija und „Joschijanische Reform“ 2Kön 24f.: Eroberung Jerusalems durch die Babylonier; Deportationen nach Babylon 2Kön 25: Begnadigung Jojachins 562 v.Chr. -Königebücher schildern nach der Geschichte des vereinten Königtums unter Salomo (1Kön 11-11) zunächst die Geschichte der beiden Königreiche bis zum Untergang Samarias, der Hauptstadt des Nordreichs Israel, anschließend die restliche Geschichte des Südreichs Juda 73 -dtr Editoren können als die eigentlichen Verfasser der Geschichte des Königtums in Israel und Juda gelten -dtr Notizen datieren Könige des Nordreichs nach den Südreichskönigen und umgekehrt durch: Nennung der Anzahl der Regierungsjahre Alter bei Regierungsantritt (Südreichkönige) Name der Mutter Urteil, ob Könige Rechtes oder Böses in den Augen JHWHs taten Verweis auf „Tagebuch“, Chronik oder Annalen des jeweiligen Reiches Sterbe- und Begräbnisnotiz Nennung des Nachfolgers -Zuverlässigkeit der Tagebücher wird grundsätzlich durch außeratl. Quellen belegt (PalästinaFeldzug von Pharao Schischak I.) -Könige des Nordreichs erhalten durchweg negative Kritiken -„Sünde Jerobeams“ als Grund -Von den Königen Judas acht, die „Recht in den Augen JHWHs getan haben“ -Bewertung richtet sich nach Kultzenralisation (Zerstörung der Höhenheiligtümer etc.) -in das Grundgerüst der Rahmennotizen haben die dtr Verfasser und jüngere dtr Bearbeiter der Königebücher weitere Materialien (Aufstand des Jehu in 2Kön 9f.; Prophetenlegende über Elija in 1Kön 17-19; 2Kön 1) eingebunden 6. Erzählungen über den Propheten Elija (1Kön 17-19; 21; 2Kön 1) -Elija tritt in der 2. Hälfte des 9. Jh. v.Chr. im Nordreich Israel auf -Elija ist Streiter für die Alleinverehrung JHWHs und ein kritischer Widerpart zum Königshof in Samaria -inhaltliche Nähe zu den Schriftpropheten des 8. Jh. v.Chr. -Biblische und historische Gestalt des Elija muss ebenso wie bei Mose, David und Salomo deutlich voneinander unterschieden werden -Erzählungen über Elija: Elija am Horeb (1Kön 19) -antithetische Aufnahme an Sinaitheopanie in Ex 19 angeglichen Nabots Weinberg (1Kön 21) -dtr gefärbte Erzählung gegen König Joram von Israel (851/0-845/4 v.Chr.) Elijas Auffahrt in den Himmel (2Kön 2,1-18) -Elija wurde entrückt, schließlich konnte ein Gottesstreiter nicht sterben, sondern wurde von Gott hinweg genommen -während 1Kön 19 deutlich macht, dass Bewahrheitung der Gerichtsprophetie das Verderben für Israel bedeutet, zeigt 1Kön 17-18 (Dürreerzählung), wie es sein könnte, wenn sich Israel auf JHWHs und der Propheten Umkehrpädagogik einließe -derartige Gerichtsprophetie blickt zumindest auf die Zerstörung Samarias 722/1 v.Chr. zurück; wenn nicht sogar auf Untergang Jerusalems und Judas 587/6 v.Chr. -Elija scheint historisch eine Art Wundertäter oder Regenmacher gewesen zu sein, der erst im Zuge der dtr Rezeptionsgeschichte zum JHWH-Propheten wurde D. Theologie der deuteronomistischen Komposition der Geschichte des Volkes Israel vom Auszug bis zum Exil -grundsätzliche heilsgeschichtliche Zweiteilung: 1. normative Idealzeit für Verhältnis von Gott und Volk in der Epoche außerhalb des Landes 2. spätestens mit Richterbuch einsetzende Verfallsgeschichte -siehe hierzu § 5D 74 -dtr Komposition der Geschichte des Volkes Israels von heilvollen Anfängen bis zum Ende der Staaten Israel und Juda stellt eine Ätiologie für die Existenz des Volkes Israel im Exil dar -Geschichte vor Eroberung des Landes ist ebenso wie die Geschichte im Exil (wieder außer Landes) -Was zeichnet Identität Israels aus? 1. Volk Israel kommt von außen ins Land (allochthon, d.h. eingewandert) 2. Israel der Erzelterngeschichte war im Gegensatz dazu autochthon, d.h. im Lande ansässig 3. JHWH hat für Israel am Schilfmeer gekämpft und das Volk befreit 4. JHWH bindet sich freiwillig an das Volk; er ist kein Stammesgott oder ein Gott des Königs 5. Gottesverhältnis beruht auf der Rettungstat JHWHs und dem Bund zwischen Gott und Volk Bund (hebr. berit): -ursprünglich juristischer Ausdruck für wechselseitige Vereinbarungen gleichberechtigter Vertragspartner (1Kön 5,26b) -im theol. Gebrauch: Zusammengehörigkeit des Gottes JHWH mit Volk Israel, -Bundesformel: „JHWH der Gott Israels, Israel das Volk JHWHs.“ (Dtn 26,17f.) -hierbei geht JHWH kein wechselseitiges Bündnis ein, sondern gewährt seinen Bund -Vorstellung eines Israel von JHWH gewährten Bundes (Ex 19; 24; 34; Dtn 7) hat unter den theologischen Konzeptionen des AT eine herausragende Bedeutung -jüngere Verheißung eines neuen Bundes (Jer 31) -priesterschriftliche Rede vom Noach-Bund (Gen 9) -alle drei haben bedeutende theologie- und geistesgeschichtliche Wirkung entfaltet -Konzentration auf Dtn und dtr Literatur und das „Bundesschweigen“ der Propheten des 8. Jh. v.Chr. sprechen dafür, dass theologischer Gebrauch von „Bund“ erst in der Krisenerfahrung der ausgehenden Königszeit und des Exils aufkommt -Exil resultiert aus der Nichtbeachtung und Befolgung der Gebote, besonders des ersten -Konzeption des Bundes hat Folgen für Ethik: -Weit mehr als andere Götter ist JHWH ein ganz spezifisch nach der Erfüllung bestimmter Gebote und sozialethischer Alltagsnormen eifernder Gott -sog. Ethisierung der JHWH-Religion -JHWH ist nicht nur Garant der Verträge zwischen ihm und dem Volk, sondern er steht auch für den Bewacher der Einhaltung der Gebote („Bundesbruch“ wird bestraft) -Exil hat auch Vorteile: Durch Verlust von Königtum und Eigenstaatlichkeit ist die Forderung nach Bundestreue ein Identitätsmerkmal E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Mose breit rezipiert (Filme, Darstellungen etc.)/Stifter der monotheistischen Religion -Richterbuch rezipiert in bildender Kunst, Literatur, Musik (Händel: Deborah) -David: David vs. Goliath; aus dem Stamm Davids kommt Jesus -Elija erfährt Rezeption im NT (Mk 9,11-13; Mt 17,10-13; Lk 1,17) -Oratorium „Elias“ von Mendelssohn-Bartholdy 75 II. Hintere Propheten (Nebiim) § 8. Die Schriftpropheten Jesaja bis Maleachi A. Bibelkundliche Erschließung 1. Die Stellung der Prophetenbücher im Kanon -Prophetenbücher (Jes, Jer, Ez, XII [Zwölfprophetenbuch]) stehen im Kanonteil Nebiim („Propheten“) -die o.g. sind dem Teil der sog. „Hinteren Propheten“ zugeordnet“ -Propheten wurden im AT als Prediger und Ausleger des mosaischen Gesetzes verstanden -historisch trifft dies nicht zu: hier sind Prophetenbücher unabhängig von der Tora entstanden und nach und nach in Folge der Fixierung der Tora in diesen Kontext eingereiht und entsprechend überarbeitet worden. -folgenschwere Umstellung der Prophetenbücher durch die Septuaginta (s.o.) Begriff und Erscheinungsformern von „Prophetie“ -gr. Begriff prophetes, hat ursprünglich nicht den Sinn des „Voraus-Sagens“ gehabt, sondern meinte eher „öffentlich Hervor-Sagen“ -neben nabi verwendet das AT auch begriffe wie roaeh („Seher“), hozaeh („Visionär“) oder is ha’elohim („Gottesmann“) -langfristige Überlieferungsbildung machte aus Propheten Zukunftsweissager -natürlich weissagten die Propheten die Zukunft, doch überblickten sie hierbei nicht die gesamte Weltgeschichte wie etwa beim kanonischen Jesaja, der von seinen eigenen historischen Positionen im 8. Jh. v.Chr. über die nachfolgenden Jahrhunderte bis hin zur Neuschöpfung von Himmel und Erde schrieb -historische Propheten haben Zeichenhandlungen ausgeführt, Sozial- und Kultkritik geübt und Klagen angestimmt -Botschaft der Propheten ist also nicht vorrangig der Blick in die Zukunft gewesen -verschiedene atl. Erscheinungsformen von Prophetie: 1. Gruppenpropheten -durch Musik und Tanz suchten sie Kontakt mit der Gottheit 2. Tempel- und Kultpropheten -erließen Kultbescheide über Opferannahmen -sprachen Fürbitten und Heilsorakel -sie sind im Blick, wenn das AT von „Priestern und Propheten“ spricht (Jes 28,7; Mi 3,11; Jer 2,8) 3. Hofpropheten -Propheten am Königshof -Vertreter: Nathan (2Sam 7;12) und Gad (2Sam 24) 4. oppositionelle Einzelpropheten -ihre Prophetie ist i.d.R. „intuitiv“ zu verstehen, sie geschieht spontan und offb. jenseits gefestigter institutioneller Kontexte -erst die Unheilsprophetie über Untergang von Nord- und Südreich (722 v.Chr. bzw. 587 v.Chr.) machte es möglich, dass diese Form von Prophetie in der offiziellen Religion rezipiert wurde -„Prophetie schlechthin“ - das, was man atl. unter Prophetie versteht 76 Wahre und falsche Prophetie -Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Prophetie lässt sich für AT nicht von vorneherein beantworten -Dtn 18,21f. als Problemstellung: „Wie sollen wir erkennen, welches Wort JHWH nicht gerdedet hat? Wenn der Prophet im Namen JHWHs redet, und es erfüllt sich nicht und trifft nicht ein, so ist das ein Wort, das JHWH nicht geredet hat“ -zum Zeitpunkt des Ergehens der Prophezeiung gibt es keine Möglichkeit darüber zu urteilen, ob sie „wahr“ oder „falsch“ ist -Auseinandersetzung zwischen Hananja und Jeremia: akute babylonische Gefahr für Juda Frage, ob Tempelgeräte, die bereits 598/7 v.Chr. nach Babylon verbracht wurden, wie zurückgeführt werden (so Hananja) oder ob dies nicht der Fall sein wird (so Jeremia) erst der Ausgang der Erzählung (Untergang des Südreichs 587 v.Chr.) machen klar, dass Jeremia der wahrhaft von Gott gesandte Prophet ist -atl. Prophetenbücher bieten eine Reihe von Ankündigungen, die historisch nicht eingetroffen sind (und deshalb authentisch, also keine vaticina ex eventu [lat.: Weissagung aus dem Ereignis heraus: prophetische oder apokalyptische Texte, die geschichtliche Ereignisse exakt voraussagen; werden nach den ihnen vorausgesagten Ereignissen datiert] sind) -Tradenten des AT haben nicht gebannt auf das wortwörtliche Eintreffen der prophetischen Worte gewartet, sondern diese Worte selbst im Lichte neuer Erfahrungen je und je fortgeschrieben und umgestaltet Ergebnis: Erfüllungskriterium hat auf die jeweiligen Ankündigungen zurückgewirkt 2. Die Rahmung von Jer/Ez durch Jes/XII: -vier kleinen Propheten waren auf einer Buchrolle vereint und werden deshalb zusammen als ein Buch gezählt Gliederung: Jes 1-39: Assur Jes 36-39: Assur/Babel Hos, Joel, Am, Jon, Mi, Nah: Assur Jer: Babel Ez: Babel Jes 40-66: Babel/Persien Hab, Zef, Obd: Babel Hag, Sach, Mal: Persien -Jer und Ez betreffen relativ beschränkten Ausschnitt aus der Geschichte Israels -Zeit vor und nach der Katastrophe Jerusalems und Judas 587/6 v.Chr. (Einnahme Jerusalems und Judas durch das babylonische Heer unter Nebukadnezar II.) -Jes und XII überblicken sehr viel weiteren Bereich der Geschichte Israels: -setzen bei Assyrern ein und reichen bis zur Perserzeit -Jes endet sogar mit Ausblick auf die Neuschöpfung von Himmel und Erde (Jes 65f.) 3. Jesaja als „Stimmführer“ -Jesaja (auch an literarischer Position zu Beginn der Prophetenbücher erkennbar) ist „Stimmführer“ der Propheten, der bereits den gesamten Gang der Geschichte JHWHs mit seinem Volk überblickt) -Jesaja ist nach dem Sirachbuch („Mit dem Geist der Kraft schaute er (sc. Jesaja) die Endzeit und tröstete Zions Trauernde. Bis zur Ewigkeit tat er kund, was geschehen wird, und die verborgenen Ereignisse, ehe sie eintraten [Sir 48,24]) eine Gestalt, die die gesamte Weltgeschichte vorausgesehen hat -Jes nimmt herausragende Stellung ein durch den geschichtlichen Anfang der Schriftprophetie Israels und durch die frühe geschichtliche Bewahrheitung seiner Botschaft in der Bewahrung 77 Zions [Berg in Jerusalem; in der Bibel auch als Name für die Stadt und den Tempel gebraucht; Ort der heiligen Präsenz JHWHs] 701 v.Chr. vor den Assyrern B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. Die Genese der klassischen Prophetensicht im Gefolge von Idealismus und Neuerer Urkundenhypothese: -seit dem 19. Jh. gilt in der historisch-kritischen Forschung: Propheten sind geistbegabte, genialische Einzelpersonen, die den ihnen mitgeteilten, bisweilen auch aufgenötigten Gotteswillen unbedingt und kompromisslos ggü. ihren Adressaten vertreten. -Bild ergab sich aus Scheidung der prophetischen Orginallogien und sekundären Ergänzungen -Unterscheidung „echtes“ und „unechtes“ Textgut -Grundannahme kam der Dialaktischen Theologie entgegen und wurde ins 20. Jh. übernommen -Betonung der „Andersartigkeit“ von Propheten 2. Das Aufkommen redaktionsgeschichtlicher Forschung: -redaktionsgeschichtliche Forschung gehört heute zu den dominanten Arbeitsweisen in der Prophetenforschung -fragt nicht nur nach der Verkündigung des Propheten, sondern auch nach unterschiedlichen Akzenten und Aussagelinien ihrer Bücher, die sich erst in der literarischen Nachgeschichte der aufgezeichneten Prophetensprüche verdanken -Aufteilung der Bücher erfolgte (bspw. Proto- und Deuterojesaja) -Frage nach prophetischen Originallogien (s.o.) behält immer noch sein Recht Gattungen prophetischer Rede und Überlieferung: -Prophetie lässt sich in manchen Bereichen sogar als Verfremdung oder gar Parodie vorliegender Gattungen beschreiben -Am 5,1f. formuliert eine Gerichtsankündigung gegen das Nordreich Israel etwa in Form einer Totenklage: „Hört dieses Wort, die Totenklage (qinah), die ich über euch anhebe...“ Totenklage bezieht sich auf nicht auf Individuum, sondern auf Kollektiv (Israel) Totenklage über noch existierende Größe (Israel ist noch nicht untergegangen Ergebnis: Gerichtswort gewinnt an prophetischer Schärfe -Jes 5 zunächst als Liebeslied konzipiert, schlägt um in Gerichtsankündigung -Prophetie hat aber auch eigene Gattungen ausgebildet: Wortereignisformel („Und es geschah das Wort von JHWH an N.N.“) Gottesspruchformel („Spruch JHWHs“) prophetisches Gerichtswort -besteht aus Anklage („Scheltwort“) und Gerichtsankündigung („Drohwort“), die über die Partikel „deshalb“ (laken) und die sog. Botenformel („so hat JHWH gesprochen“) miteinander verbunden sind; Prophetenrede unterscheidet sich klar von der Gottesrede -Beispiel in 1Kön 21,17-19: „Hast du gemordet und auch in Besitz genommen? Darum, so hat JHWH gesprochen: An dem Ort, wo die Hunde das Blut Nabots geleckt haben, werden die Hunde auch dein Blut lecken.“ Zeichenhandlungen -v.a. in erzählenden Passagen -Aufbau: Befehl zur Ausführung, Bericht über die Ausführung, Deutung der symbolischen Handlung 78 -die Redaktoren und „Ergänzer“ der Prophetenbücher können insofern ebenfalls als Propheten gelten, als dass sie eine erstaunliche sachliche Innovationskraft zeigen mussten, die durchaus „prophetisch“ genannt werden kann. C. Entstehung der Prophetenbücher -Prophetie als kollektives und langzeitiges Phänomen, nicht mehr exklusiv historisch-punktuell -bewusste Wahrnehmung als schriftgelehrte Tradentenprophetie -nicht alle Prophetie ist ursprünglich mündlich gewesen, sondern weite Teile der Prophetenbücher haben nie anders als schriftlich existiert (Jes 56-66; Jer 30-33) -für einzelne Bücher, etwa Joel, Obadja, Jona oder Maleachi ist zu erwägen, ob sie nicht gänzlich auf schriftgelehrte Tätigkeit zurückzuführen sind. -insgesamt wohl Ergebnis schriftgelehrter Tradentenprophetie -in atl. Zeit waren Bücher nur in sehr geringer Zahl im Umlauf; Schreibermilieu war wohl auf nur einen Ort im nachexilischen Juda begrenzt, nämlich Jerusalem -Bücher des AT wurden immer wieder abgeschrieben, um deren Inhalt am Leben zu halten -Textpflege schloss immer auch Sinnpflege mit ein/Redigierung, Redaktion etc. Die schriftgelehrte Auslegungsarbeit an Prophetenüberlieferungen: -folgende Arbeitsweisen können unterschieden werden: 1. Erstverschriftlichung und Kompilation vorgegebener Texte: -Auslegung beginnt schon mit der Erstverschriftlichung mündlicher Logien -Kompilation der Einzeltexte setzt diesen Prozess auch ohne Redaktion fort -Anordnung von Texten bestimmt schon Sinnlinien -Zugespitzt kann man sagen: „Echte“ Prophetenworte als solche gibt es nirgends (mehr) im AT, Grund sind die o.g. Punkte 2. Kleinräumige Fortschreibungen: -beziehen sich auf den unmittelbaren Nahkontext, also auf bspw. eine Perikope mit nur wenigen Versen -literarisches Wachstum könnte mit einer immer größer werdenden Lawine verglichen werden (Otto Kaiser - „Schneeballhypothese“) -hiergegen lässt sich aber auch feststellen, dass bestimmte Buchteile oder auch ganze Bücher gesamt redigiert wurden und so größere Textflächen einen neuen redaktionellen Sinn geben 3. Buchredaktionelle Texte: -Bsp. Jes 35: Vereinigung der ehedem selbstständigen Proto- und Deuterojesajaüberlieferung zu einem Großjesajabuch -Erzählung gibt dem Gesamtbuch eine neue Sinngestalt 4. Bücherübergreifende Redaktionsbeziehungen -redaktionelle Vernetzungen über die Einzelbücher hinweg -dienten der Gestaltung eines in sich stimmigen corpuspropheticum (Jes-Mal) oder sogar der Schaffung des Kanonteils Nebiim D. Theologie der Prophetenbücher 1. Produktive Auslegung vorgegebener Überlieferung: -Tradenten der Prophetenüberlieferung haben nicht den reinen Wortlaut (und nur diesen) des ihnen überkommenden Textguts bewahrt, sondern nach der Aktualität des Prophetenwortes gefragt und diese immer wieder auch neu expliziert -theologisch ist nicht die konkrete Einzelaussage entscheidend, sondern vielmehr die Sachbewegung der Auslegung, die sich im innerbiblischen Fortschreibungsprozess zeigt 79 2. Das Proprium der Prophetie in Israel und Juda: -israelitische und judäische Propheten stellen in der altorientalischen Umwelt kein Spezifikum dar (so auch das AT selbst in 1Kön 18,19; Jer 27,9) -Prophetie der alto. Umwelt ist aber stets an einen Königshof gebunden und i.d.R. königsfreundlich -hier liegt wesentlicher Unterschied zur atl. Prophetie -nur aufgrund der beständigen Fortschreibung der atl. Prophetenworte ist die Prophetie bis heute erhalten geblieben 3. Das Ende der „Profeten-Anschluss-Theorie“ -klassische Deutung der Propheten als religiöse Genies -AT und NT wurden einander zugeordnet, polemisch sog. „Profeten-Anschluss-Theorie“ -Jesus schließe an die großen Propheten an, die mit Jeremia oder Deuterojesaja geendet hatten -jüdische Gesetzlichkeit wurde durch Jesus von Nazareth „befreit“ -Verlust der vorherigen Prophetie durch das Judentum wurde mit den Nichtglauben an Christus begründet -Schwäche des Modells ist, dass die Fortschreibung der Prophetenbüchern im Laufe der Jahrhunderte überhaupt nicht mit eingeschlossen wird; Leugnung einer Redaktion an den Texten -Theologisch ist dieser Entwurf keineswegs brauchbar! 80 § 9. Das Jesajabuch -von Rad: Theologie Jesajas als gewaltigstes theologisches Phänomen im ganzen AT -Jesajabuch theologisch eines der relevantesten Bücher des AT -nicht zuletzt ist es auch die lange Entstehungsgeschichte, die dem Buch seinen theologischen Reichtum beschert hat A. Bibelkundliche Erschließung 1. Die Struktur von Jes 1-66: -Buch lässt sich in drei (ungleich lange) Hauptteile gliedern: Jes 1-35 „Worte Jesajas“, vornehmlich Gerichtsankündigung 1-12 13-23 24-27 28-35 Komposition um die „Denkschrift“ mit Abschluss Fremdvölkerworte „Jesaja-Apokalypse „Assyrischer Zylkus“ (28-32 und Brückentexte „Erzählungen über Jesaja Hiskija-Jesaja-Erzählungen „Worte Jesajas“, vornehmlich Heilsankündigung 40-48 49-55 56-59 60-62 63-66 Jakob als erlöstes Volk/Kyros als „Messias“ Heimkehr nach Zion Erneute Mahnungen Verherrlichung Zions Endzeitliches Heil für die Frommen Jes 36-39 Jes 40-66 2. Die Zäsur durch die Erzählungen Jes 36-39 -Hiskija-Jesaja-Erzählungen (36-39) bilden einschneidenstes Gliederungsmerkmal des Buches -Erzählungen von der wundersamen Bewahrung Jerusalems vor Sanherib im Jahr 701 v.Chr. zeigen grundsätzlichen Heilswillen des Zionsgottes JHWH -bilden sachliche Grundlage für weitergehende Heilsverkündigung in 40-66 -Babylonisches Exil wird ausgelassen, das ist programmatisch für Jesaja: der Prophet verkündet den unverbrüchlichen Heilswillen JHWHs für Zion; die Zerstörung Jerusalems kommt nur in vor- und rückblickenden Verweisen zur Sprache 3. Gesamtbuchinklusionen zwischen Jes 1 und 66: -enge sachliche und vokabularische Berührungspunkte in der Wortverwendung -Jes ist insgesamt als redaktionelle Einheit bedacht und nicht nur aus vorgegebenen Materialien kompiliert worden -Der inhaltliche Verlauf (Jes 1: Gerichtsprophetie gegen Israel; Jes 65f.: Heilsprophetie für die Frommen) zeigt, dass das Buch insgesamt einen Leseablauf entwickelt. -Jesajabuch überblickt Geschichte des sündigen Gottesvolks von der Vorherrschaft der Assyrer über die Perser bis zur Vollendung der Herrschaft Gottes über seine frommen Knecht B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige: 1. Die Dreibuch-Hypothese: -66 Kapitel des Jesajabuches wurden nicht alle von dem namengebenden Jesaja aus dem 8. Jh. v.Chr. geschrieben, sondern diese nur in den Kap 1-39 zu erwarten sind. -nach Kap. 40 ändert sich zeitgeschichtlicher Hintergrund vollkommen -zwei Jahrhunderte später -nach Jes 55 offenbar weitere Zäsur, da hier Heilsprophetie mit Gerichtsworten durchsetzt ist -Dreibuch-Hypothese entstand: 81 1. Kap. 1-39 enthält Worte Jesajas („Protojesaja“) 2. Kap. 40-55 auf einen im babylonischen Exil wirkenden Anonymus mit dem Kunstnamen „Deuterojesaja“ zurückzuführen 3. Kap. 56-66 auf ebenfalls anonyme Gestalt, „Tritojesaja“ zurückzuführen -Entstehung: Zunächst einzelne Fragmente, die zu einem Proto-, Deutero- und Tritojesajabuch miteinander verbunden wurden; erst dann Vereinigung der Teilbücher zu einem GroßJesajabuch 2. Neuere Entwicklungen: -Spielraum für die historische Einordnung von Jes-Texten wurde infolge neuerer Forschung größer -wesentliches Textmaterial kann in der Phase zwischen 8. Jh. und 2. Jh. v.Chr. entstanden sein -Diskussion um den Gesamterzählfaden in den Büchern, die das Gesamtwerk verbinden -Zwei Hauptrichtungen entstanden; Voraussetzung Tritojesaja ausklammern 1. mehrheitlich vertretene Meinung: IJes und IIJes gehen auf zwei unterschiedliche Prophetengestalten zurück („Jesaja“ aus dem 8. Jh. v.Chr. und „Deuterojesaja“ aus dem 6. Jh. v.Chr.) -beide bestanden zunächst als literarisch getrennte Größen nebeneinander und wurden erst sekundär verknüpft IJes und IIJes wurden mittels eines sachlich profilierten Redaktionsvorganges literarisch verbunden -wichtigster Brückentext Jes 35 2. anderer Forschungsstrang: IJes und IIJes rücken näher aneinander -IIJes wird als Fortschreibung von IJes gedeutet individuellen Propheten „Deuterojesaja“ hat es demnach nie gegeben -festgemacht an Abhängigkeit von Jes 40 zu Jes 6 -Rückbindungen aus IIJEs an IJes wären als redaktionelle Zufügungen zu interpretieren C. Entstehung des Großjesajabuches (Jes 1-66) -vielleicht muss man damit rechnen, dass IIJes nicht als vollkommen selbstständige literarische Größe zu verstehen ist, sondern in einem gewissen Anschluss an das Jeremiabuch stand -zwei Beispiele stützen diese These: 2Chr 36,22f. führt die Prophezeiung aus Jes 44,38; 45,1 (Kyros als durch JHWH eingesetzter König sowie Erbauer des Jerusalemer Tempels) als Jeremiawort an! -„Im ersten Jahre des Königs Kyros von Persien erweckte JHWH, um das Wort zu erfüllen, das er durch Jeremia geredet hatte...“ -für den Chronisten galt IIJes als Jeremiaprophetie -zusätzlich lassen sich die ungeklärten Sprecherverhältnisse in Jes 40 gut von den letzten Kapiteln des Jeremiabuches her (Jer 50f.) erschließen -in der frühen Diadochenzeit scheint dann IIJes dem Jesajabuch angegliedert worden zu sein -redaktionelle Verbindung in Jes 35 D. Theologie des Jesajabuches -Frage der Theologie stellt sich nicht nur für einzelne Teile, sondern auch für das Gesamtbuch -Durch Zusammenfügung von IJes und IIJes wird der Jerusalemer Prophet Jesaja aus dem 8. Jh. v.Chr. zum großen Visionär der Weltgeschichte E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Qumran: mit 20 Rollen ist Jes am besten (neben Ps und Dtn) bezeugt -innerhalb NT wird Jes neben den PS am häufigsten zitiert 82 -22 Zitate -Jesaja als wichtigster Prophet, der auf Christus hin geweissagt hat -viertes Gottesknechtslied Jes 53 als zentraler Ausgangspunkt für die Deutung des Leidens Jesu 83 § 9.1 Erster Jesaja (IJes: Jes 1-39) A. Bibelkundliche Erschließung -generelle Untereilung in Fremdvölkerthematik; formal durch massa-Überschriften („Ausspruch“) und Erzählungen Jes 36-39 Gliederung: 1-12 1 2 3f. 5 6-8 9 10 11 12 13-23 13f. 14-23 24-27 24 25-27 28-35 28-32 33f. 35 36-39// 36f. 2Kön 38 18-20 38,9-20 39 Proömium Völkerwallfahrt zum Zion Gericht an Jerusalem und Juda Weinberglied und Weherufe; Kehrversgedicht I „Denkschrift Jesajas“ Kehrversgedicht II Weherufe Friedefürst Danklied Gegen Babel und Assur Gegen Philister, Moab, Damaskus, Israel, Kusch, Ägypten usw. JHWH als Richter über die Welt Bewahrung des Gottesvolkes inmitten des Weltgerichts „Assyrischer Zyklus“ Gericht über Verwüster, über Edom/Weltgericht Heimkehr für das Gottesvolk Belagerung Jerusalems durch die Assyrer (701 v.Chr.) Krankheit Hiskijas Psalm Hiskijas Gesandtschaft aus Babel B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige Indizien gestufter Entstehung in Jes 1-39: -Jes 1-39 ist unumstritten ein gewachsener Text -nicht zur ältesten Substanz gehören Kap. 24-27 und 36-39 -Bezüge u.a. auf Sintfluterzählung, deshalb schriftgelehrter Text -Jes 36-39 ist parallel überliefert (2. Kön 18-20), dort Ursprung -verbleibendes Textgut Jes 1-12.13-23.28-35 ist ebenfalls gestuft -doppelte Buchüberschrift in 1,1; 2,1 -Kehrversgedicht durch „Bei alledem hat sich sein Zorn nicht gewandt, und noch ist seine Hand ausgestreckt“ weißt auf Zusammenhang von 6,1-9,6 hin -in Jes 1-12.13-28.28-35 ist älteres Erzählgut vorhanden, das wahrscheinlich auf den historischen Jesaja rückführbar ist, aber auch diese Texte sind erheblich überarbeitet und erweitert worden -endgültige Rekonstruktion der Literargeschichte von IJes ist nicht möglich! C. Entstehung des Ersten Jesaja 1. Jes 1-12 und das Problem einer jesjanischen Denkschrift aus dem syrisch-efraimitischen Krieg: -Jesajaüberlieferung ist wohl aus zwei Kernen hervorgegangen (Kap. 6-8 und Kap. 28-31) -innerhalb von Kap. 1-12 dürfte in Kap. 6-8, die sog. „Denkschrift“ Jesajas aus der Zeit des syrisch-efraimitischen Kriegs eingearbeitet worden sein -Kap. lenken Blick auf Beginn der Tätigkeit Jesajas -Beauftragungsvision in Kap. 6 84 2. Die Fremdvölkersprüche Jes 13-23: -Jes 13-23 bildete evtl. einmal eine Einheit an sich -gegenwärtiger Bestand wurde stark überarbeitet -ursprünglich Jesajanisch ist Kap. 17, evtl. auch Kap 14,4b-23 und Kap. 18-20 -Sachlich bedeutsam: universale Heilsprophetie, die auch Ägypten und Assur in den Status als Völker Gottes einrückt 3. Die sog. „Jesaja-Apokalypse“ Jes 24-27 -Kap. 24-27 gehören in den literarhistorischen Berich von Weltgerichtsaussagen -entstanden in Folge des Untergangs des Perserreiches -ob Textanteile beinhaltet sind, die vor die Diadochenzeit zurückreichen, ist ungewiss 4. Der „assyrische Zyklus“ Jes 28-32 und die Folgekapitel 33-35: -Kap. 34 und 35 als eigene Stücke: -Kap. 35 dient der Verbindung von IJes und IIJes -Kap. 34 ist mit Blick auf diese Verbindung schon überarbeitet worden -Kap. 28-32 reichen wahrscheinlich bis in die Zeit Jesajas zurück -schildern philistäische Aufstände 711 oder die Invasion Sanheribs 701 v.Chr. 5. Die Jesaja-Erzählungen Jes 36-39: -früher als geschichtlicher Anhang gedeutet -im wesentlichen textgleich mit 2Kön 18-20 -von dort aus in Jes übernommen worden -Inhalt: Situation zwischen 597 und 587 v.Chr. in Jerusalem; erinnern an die wundersame Bewahrung bei der assyrischen Belagerung Jerusalems gut hundert Jahre früher 6. Übergreifende Bearbeitungen -IJes ist mehrfach überarbeitet worden -„Assur“-Redaktion aus der Joschijazeit in Kap. 8, 14 und 30 -weitere Bearbeitungen beschäftigen sich mit Gerichtsvorgängen durch Assur und Babel -Verbindung zwischen IJes und IIJes als Redaktion (Kap. 35) -einer „deuteronomistischen“ Interpretation scheint IJes durch seine zionstheologische Orientierung weitgehend entgangen zu sein 7. Das Problem des historischen Jesaja: -historische Gestalt Jesaja ist umstritten und kaum zu klären -Weder Berichte in Jes 36-39 par. 2Kön 18-20, noch poetische Texte können als zuverlässige Quelle für den hist. Jesaja und seine Verkündigung gelten -Wer war Jesaja? wird v.a. anhand der Denkschrift Jesajas (6-8) gedeutet -kündigte zunächst nur Gericht gegen syrisch-efraimitische Koalition an -Gerichtsankündigung gegen Juda in 8,5-8 ist daher wohl sekundär -Kap. 36-39 zeigt, dass Jesaja unmittelbaren Kontakt mit dem König haben konnte, ebenso lässt 8,2 Jerusalemer Nobilitäten als Zeugen für Jesaja auftreten -hohe soziale Position Jesajas muss wohl angenommen werden D. Theologie des Ersten Jesaja 1. Der Zusammenhang von Gericht und Heil und die Verstockungsthematik -Verhältnis von Gericht und Heil hat Ursprung wahrscheinlich in der Biographie Jesajas selbst -Thema der Gerichtsprophetie in Jes 6,9-11 (Verstockungsauftrag) -„Verstocke das Herz des Volkes, mache taub seine Ohren und blind seine Augen...“ -Prophetenbücher wollen kein besseres Verhalten initiieren, sondern die eigenen Unheilsgeschichte bzw. die eines Volkes verständlich machen 85 2. Zion -historischer Jesaja stammt, nach dem Buch, aus Jerusalemer Priesterkreisen -Zion ist der uneinnehmbare Weltenberg (theologische, nicht topographische Aussage) -Verbindung zwischen Himmel und Erde -Gott JHWH thront als König darauf -Präsenz JHWHs verleiht dem Berg Stabilität und Sicherheit -Darstellung der Bewahrung Jerusalems in der Belagerung durch den Assyrerkönig Sanherib 701 v.Chr. (Jes 36-39) wird als Heilswillen Gottes ggü. Zion dargestellt und durchzieht das gesamte Buch 3. Das Königtum Gottes -Vorstellung vom Königtum Gottes ist im gesamten Jesajabuch durchweg geläufig und wird immer wieder eingebracht (6,5; 24,23; 33,22; 37,16) -Königtum bildet eine der zentralen Aussagen der Zionstheologie, in der IJes lebt -in Bezug auf die messianischen Weissagungen in IJes (7,10-14; 8,23-9,6; 11,1-5) ist zu beachten, dass die Herrschergestalten im übergeordneten Rahmen des Königtums Gottes integriert bleiben 4. Messias -„messianische Weissagungen“ in 7,14; 8,23-9,6; 11,1-5 -es handelt sich teilweise jedoch nicht um Weissagungen, noch geht es überall um den „Messias“, d.h. eine endzeitliche, königliche Heilsgestalt. -Immanuelverheißung in 7,14 ist vermutlich eine Verankerung der Gestalt Hiskijas -allerdings könnte in der Aussage gerade auch ein Abbruch der Daviddynastie impliziert sein 86 § 9.2 Zweiter Jesaja (IIJes: Jes 40-66) -Bis Kap. 39 herrschen Gerichtsworte vor, ab 40 dominieren Heilsankündigungen -Szenerie in Jes 40-66 setzt den Untergang der Reiche Israel und Juda bereits voraus, Perserkönig Kyros, der von 559-530 v.Chr. herrschte, wird genannt; „Jesaja“ an sich wird nicht mehr erwähnt -Kap. 40ff. gehen auf eine jüngere Prophetengestalt zurück als Kap 1-39 -denkbar ist auch eine Gruppe -Kap 40-66 könnte aber auch ursprünglich ein eigenes Buch gewesen sein -hiergegen spricht, dass 40ff. über keinen eigenen Buchanfang verfügt -evtl. war 40ff. auch als Anhang zur Jeremiaüberlieferung konzipiert A. Bibelkundliche Erschließung Gliederung: 40-55 40,1-11 40-48 49-55 42,1-4; 49, 1-61; 50,4-9; 52,13-53,12 56-59 56 57,14ff. 58 59 60-62 60 61 62 63-66 63f. 65f. Prolog Schwerpunkt Kyros Schwerpunkt Zion Gottesknechtslieder Zulassung von Ausländern; Anklagen Trostworte Fastenpredigt Sünde des Volkes als Heilshindernis Herrlichkeit Zions Predigt Zions („Ich“) Beschleunigung der Verherrlichung Zions Gericht in Edom; Klagegebet Antwort auf Gebet B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. „Deuterojesaja“ und „Tritojesaja“ -problematisch ist die Unterteilung von IIJes in Kap. 40-55 („Deuterojesaja“) und Kap 56-66 („Tritojesaja“) -Intention: unbedingte Heilprophetie (40-55) vs. mahnende Worte (56ff.) -Gegenargument: Kap 56ff. geht nicht auf die vomals mündliche Verkündigung eines eigenständigen Propheten („Tritojesaja“) zurück; Kapitel sind schriftgelehrter Tradentenprophetie zuzuschreiben -existierten nur als Buch 2. Großjesajanische Redaktionen -neben literarischem Wachstum ist auch in 40-66 mit Texten zu rechnen, die für ein Großjesajabuch, das bereits IJes und IIJes zusammen umfasst, geschrieben wurden -evtl. Parallelen in 51,1-11 und 62,10-12 mit verbindendem Kapitel 35 C. Entstehung des Zweiten Jesaja 1. Die Deuterojesaja-Grundschrift -Grundschrift mit Textanteilen v.a. in 40-48 -hebt sich von vorangegangener Schriftprophetie Israels ab, indem sie uneingeschränkt Heil verkündigt -durch JHWH ist das Heil fest beschlossen -Differenz von himmlischem/göttlichem Beschluss und irdischer Realisierung finden Niederschlag in „Heilsperfekta“: In 40ff. kann von noch ausstehenden Heilssetzungen deswegen im Perfekt gesprochen werden, weil sie bei Gott bereits besiegelt sind; Bps.: „Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott“ (Jes, 40,1-5) 87 -Gericht über das Volk ist vorbei; neue Heilsgeschichte bricht an -kein König mehr für Israel vorgesehen -Einordnung ins Perserreich als göttliche Heilssetzung -Grundschrift wohl noch vor der kampflosen Einnahme Babylons durch Kyros 539 v.Chr. verfasst; Hinweis durch Prophetie des Niedergangs Babylons (Kap. 46f.) 2. Redaktionelle Erweiterungen -h.M.: Entstehung von Jes 40ff. komplex verlaufen -innerhalb von 40-55 Zusätze durch Götzenpolemik, Zionstexte in 49-55 und Gottesknechtslieder (s.o) 3. Die Gottesknechtslieder -seit B. Duhm als durch Sprache und Thematik zusammenhängend entstandene Texte, die aufgrund ihrer im Zentrum stehenden Person („mein Knecht“) als „Gottesknechtslieder“ bezeichnet werden -innere Verwandtschaft bleibt, trotz mittlerweile strittiger Entstehungsgeschichte ein wichtiger Befund -viertes Lied blickt auf Tod des Knechts zurück (im Ggs. zu übrigen drei) -Identität des Gottesknechts als Frage in der Exegese: Wer ist mit dieser Figur gemeint? -kollektiv: Knecht als das Volk Israel -individuell: einzelne Propheten, vllt. Deuterojesaja selbst oder Jojachin, Serubbabel, Kyros oder Gestalten der Überlieferung wie Mose oder Jeremia -autobiographische Deutung scheint die ursprünglichste zu sein -später dann Kyros oder Volk Israel D. Theologie des Zweiten Jesaja 1. Die Erwählung des Kyros -Ausrufung des Perserkönigs Kyros zum „Gesalbten JHWHs“ (45,1) -Ein „Ausländer“ wird in die Geschichte des Volkes eingebunden; legitimer Herrscher von Gottes Gnaden -Parallelen durch Fund des Kyros-Zylinder: Kyros als Auserwählter des babylonischen Hauptgottes Marduk 2. Monotheismus -strenger Monotheismus, der nur JHWH als Gott anerkennt -„Ich bin JHWH und keiner sonst, außer mir gibt es keinen Gott“ (Jes 45,5) -exklusiver Monotheismus -exklusiver Glaube an einen Gott findet hier erstmals eine explizite Ausgestaltung (1. Gebot schließt Existenz anderer Götter ja nicht aus, sondern setzt sie voraus) 3. Schöpfungstheologie -Bei Deuterojesaja ist grundsätzlich alles Gotteshandeln als Schöpfungshandeln zu versehen -göttliche Geschichtstaten sind Schöpfungsakte (40,12-16.21-26; 42,5; 43,18; 44,24; 45,711.18; 47,13; 49,8; 50,2f.; 51,13; 55,9f.) 4. Alter und neuer Exodus -alte Heilstraditionen mussten überdacht werden -Herausführung Israels aus Ägypten besitzt für Deuterojesaja keinerlei Heilsrelevanz -alter Exodus führte schließlich zur Unheilsgeschichte, die im Verlust des eigenen Landes gipfelte -für Deuterojesaja wird es einen neuen Exodus, nun aus Babylon gegen, der den alten weit überbieten wird 88 -JHWH wird selbst aus Babylon ausziehen, dem das Volk dann nachziehen wird -neuer Exodus stiftet neues Verhältnis von Gott zu seinem Volk 5. Israel als Erzvätervolk -Erzväterüberlieferung aufgrund der in ihr verankerten Landverheißung einzige Heilstradition, die für Deuterojesaja noch theologische Relevanz hat -Verstärkung des Gedankens u.a. in 41,8-10: „Du aber, Israel, mein Knecht, Jakob, mein Auserwählter, du Spross Abrahams...fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir! Blicke nicht ängstlich, denn ich bin dein Gott! Ich mache dich stark, ja ich helfe dir; ich halte dich mit meiner sieghaften Rechten.“ -Anders als Exodustradition mit der ihr eingestifteten „deuteronomistischen“ Gesetzestheologie bieten die Erzväterüberlieferung gerade für den Exilstatus Israels eine wichtige Orientierungsfunktion -Das Volk rückt in die privilegierte Stellung eines Königs 89 § 10. Das Jeremiabuch A. Bibelkundliche Erschließung -Jeremiabuch ist in zwei unterschiedlichen Anordnungen überliefert -hebräische Fassung: Fremdvölkerorakel am Ende -gr. Fassung: Fremdvölkerorakel in der Mittel -Gliederungen: Hebräische Fassung Griechische Fassung (LXX) (nach hebr. Zählung) 1-25 Worte gegen Juda und Jerusalem 1-25 Worte Gegen Juda und Jerusalem 26-45 Erzählungen, darin Heilsworte (30-33) 46-51 Fremdvölkerworte 46-51 Fremdvölkerworte 26-45 Erzählungen, darin Heilsworte (30-33) 52 Geschichtlicher Anhang 52 Geschichtlicher Anhang -neben inhaltlicher Anordnung auch Unterschiede im Textumfang: hebräische Fassung ist um ca. 3000 Wörter länger -für Jer ist durch LXX belegt, dass sie in atl. Zeit in zwei Buchfassungen umlief -Bestätigung auch durch Qumranfunde (6 Buchrollen, zwei stehen der LXX nahe) -in der gr. Fassung sah man aufgrund des Umfangunterschieds die ursprünglichere Fassung, während man die hebräische Version demgegenüber als eine Weiterentwicklung betrachtete -Argument: „dreigliedriges eschatologisches Schema“ (O.Kaiser) -findet sich in IJes, Ez und Zef und eben bei LXX-Fassung von Jer 1. Gerichtsworte gegen das eigene Volk 2. Gerichtsworte gegen Fremdvölker 3. Heilsworte für das eigene Volk -Argument würde, so Gertz, eher darauf hinweisen, dass LXX Fassung die jüngere ist: „Im Verlauf der Überlieferung ist eher damit zu rechnen, dass Angleichungen vorgenommen werden (lectio difficilior lectio probabilior) -h.M.: gr. Kurztext stellt ggü. dem hebräischen Langtext eine ältere Stufe der Textentwicklung dar B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Duhm unterscheidet drei Stufen der Entstehung des Buches: 1. ältester Bestand: Gedichte Jeremias in Kap. 1-25 2. Buch Baruchs (benannt nach dem Schreiber Baruch [Jer 32.36.45]) in Kap. 26-45 3. letzter Teil (46-51) - Fremdvölkerworte -Duhm brach mit der Meinung, dass Jeremia der wesentliche Verfasser seines Buches sei; Verkündigung des Propheten wurde dadurch begrenzt -Jeremiabuch setzt sich aus vier Entstehungsschichten zusammen (nach Mowinckel): A: Worte Jeremias B: Erzählungen über Jeremia C: Prosareden im dtr Stil D. Heilsworte in Jer 30f. -neuere Forschung (nach Thiel) nimmt nur noch ein dreistufiges Modell an: 1. Jeremianische Texte 2. Deuteronomistische Redaktionstexte („D“) 3. Postdeuteronomistische Redaktionstexte („PD“) -zu beachten gilt: Thiels D ist keine einheitliche Redaktionsschicht, sondern in sich differenziert -Bei aller Komplexität des Jeremiabuches lässt sich dieses erkennen, dass es sukzessive auch als Buch redaktionell gestaltet worden ist! 90 C. Entstehung des Jeremiabuches 1. Die Unheilsklagen als älteste Texte: -tauchen in den prophetischen Teilen des Buches auf, d.h. in Jer 1-25 und in Jer 46-51 -Klagetexte in Jer 4-10 -sind wohl im Umfeld der Katastrophe Judas und Jerusalems 587/6 v.Chr. zu verorten -wenden sich gegen die Jerusalemer Zionstheologie, die dominante theologische Konzeption am ersten Tempel, die von der Uneinnehmbarkeit des Zion wegen der Präsenz JHWHs ausging 2. Von der Klage zur Anklage: -Wechsel von der Klage zur Anklage -geschieht durch Schuldvorwürfe an eine 2. Pers. Sg. fem. angeredete Größe: Jerusalem -Jerusalem wird hier als Prostituierte gesehen, die sich herausputzt, die Liebhaber hatte, die sich nun aber gegen sie selbst wenden und sie vergewaltigen -tauchen in Jer 2 und v.a. in 4-10 auf -Schuldanklagen richten sich gegen eine falsche Bündnispolitik Judas -Jerusalem vertraute nicht auf JHWH, sondern paktierte mit fremden Mächten 3. Die Zeichenhandlungen: -prophetische Zeichenhandlungen, die die Schuldtheologie (s.o unter 2.) voraussetzen -Jer 16: Jeremia soll ehelos bleiben, da Söhne und Töchter im kommenden Gericht umkommen werden -Jer 19: Jeremia soll einen Krug zerschmettern - ebenso wird Juda zerschmettert -Jer 32: Ackerkauf weist auf Entzogenheit des Landes auf lange Zeit hinaus -Zeichenhandlungen sind alle in 1. Ps. Sg. formuliert 4. Die Königskritik: -Königsaussagen in Kap. 21-23: Jeremia ist als Kritiker am judäischen Königshaus aufgetreten -falsch ist die Aussage, dass Jojakim nach seinem Tod nicht begraben werde (widerlegt durch 2Kön 24,6) 5. Das erzählende Gut der Jeremiaüberlieferung: -Jer 26-45 war nicht ursprünglich zusammenhängen formuliert, sondern wurde im Nachhinein kompositorisch zusammengefügt -Jer 37-45 erzählt die Ereignisse kurz vor dem Untergang Jerusalems bis zur Abwanderung einer Flüchtlingsgruppe nach Ägypten mitsamt Verschleppung Jeremias 6. Das Problem einer deuteronomistischen Redaktion: -Jeremiabuch weist Textpassagen aus Dtn und Jos-2Kön auf -strittig ist, ob und wann es sich um deuteronomistische Redaktion handelt -Maßstab: Erzählungen über Kultuseinheit und Kultusreinheit) -klassische Passagen wären dann in Jer 7-25 zu finden (Vorwurf der Abgötterei in Jer 8) 7. Heilsworte im Jeremiabuch: -Heilsweissagungen in Kap. 30-33 -früher: Frühzeitverkündigung Jeremias an das Nordreich; v.a. Anrede an Efraim wurde in diesem Sinn ausgewertet -situiert wurden die Texte in die Joschijazeit (639-609 v.Chr.) -Jer soll ehemaligem Nordreich in einer Zeit Heil angesagt haben, in der König Joschija das Südreich auch wieder partiell auf Territorien des Nordreichs ausweiten konnte und so Hoffnung auf Wiedervereinigung von Israel und Juda aufkeimen konnte 91 -Probleme: Jer 30f. sagt nicht nur für Efraim Heil an, sondern für Jakob als eines der Zwölfstämmevölker, also Israel insgesamt; eine von Gott abgefallene Stadt darf nach Jeremia nicht wieder aufgebaut werden (nach Dtn 13,17) -bei diesen Texten handelt es sich um schriftgelehrte Tradentenprophetie -im Verlauf des Exils sind Heilshoffnungen entstanden, die sich in Jer 30f. niedergeschlagen haben -besondere Stellung der Texte: gehören zu den ersten und ältesten Heilsprophetien im AT, die nach der Katastrophe formuliert werden 8. Die so genannten „Konfessionen Jeremias“: -in Jer 11, 18-23; 12,1-6; 15,10-21; 17,14-18; 18,18-23 und 20,7-18 finden sich Klagen des Propheten über seinen Beruf und die Anfeindungen, mit denen er kämpfen muss -erinnern formgeschichtlich an Klagelieder des Einzelnen im Psalter -wurden in Analogie zu den confessiones Augustins als „Konfessionen Jeremias“ bezeichnet -sehr unwahrscheinlich, dass Konfessionen Jeremias etwas mit den Leiden des historischen Propheten selbst zu tun haben; es handelt sich eher um redaktionelle Vergewisserungstexte, die an die Person Jeremias angeschlossen worden sind D. Theologie des Jeremiabuches 1. Klage und Anklage: -auf hereinbrechende Katastrophe wurde zunächst mit Klagen und erst in einem zweiten Schritt mit Anklagen gegen Jerusalem und später gegen das Volk reagiert -Schuldtheologie der Prophetenbücher ist folglich nach und nach entwickelt worden -Jeremiabuch zeigt, dass die Reaktion der Klage für das antike Israel im Vordergrund gestanden hat -Katastrophe lässt zwar die traditionelle Orthodoxie, die Zionstheologie, scheitern, nicht aber die Möglichkeit des Sprechens mit Gott überhaupt 2. Umkehr: -Jer dokumentiert verpasste Umkehr Judas und Jerusalems -Jer formuliert zunächst Geschichtstheologie, die in prophetischer Perspektive eine Ätiologie für die nationale Katastrophe von 587/6 v.Chr. darstellt -Umkehrthematik scheint insgesamt literarhistorisch jünger zu sein als die Gerichtsankündigung -Umkehrthematik scheint in nachexilischer Zeit nach und nach verstärkt worden zu sein, um das Ausbleiben der Heilsperspektiven von Jer 30-33 zu erklären 3. Das Leiden des Propheten: -dass unterschiedliche Tradentengenerationen die Leidensthematik aufgegriffen und weiter geschrieben haben, zeigt das übergreifende Identifikationspotenzial, das diesen Aussagen innewohnt 4. Neuer Bund: -einer der berühmtesten Texte ist hier Jer 31,31-34; wurde später besonders für das Christentum wichtig -JHWH wird in absehbarer Zukunft („Siehe, Tage kommen...“) Israel sein Gesetz ins Herz geben und so keiner den anderen mehr zu belehren braucht -wahrscheinlich nur eine Formulierung und Aufforderung, dass jeder im jüdischen Volk das Gesetz lernen und halten soll, sodass alle Juden Schriftgelehrte sind -wurde deuteronomistisch gedeutet (dennoch Gegensatz zum Lehren der nachfolgenden Generation nach Dtn 6,4f.) ist daher wohl eher priesterlichen Ursprungs 92 -Text vertritt antideuteronomische Theologie in deuteronomistischer Sprachgestalt -gehört in die ausgehende Perserzeit (4. Jh. v.Chr.) E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -innerbiblisch Verknüpfung mit Ezechielbuch -Aufnahme auch in Chronikbuch (2Chr 35,25; 2Chr 36,13) -Gedanke des neuen Bundes im Christentum breit rezipiert -romanhafte Adaption durch „Höret die Stimme“ - 1937 93 § 11. Das Ezechielbuch A. Bibelkundliche Erschließung 1. Buchstruktur: -bis auf Überschrift in 1,3 und Notiz in 24,24 durchgängig als Ich-Bericht stilisiert; konstituiert sich als Autobiographie Ezechiels -Gliederung: 1-24 25-32 33-39 40-48 Gerichtsworte gegen Gerichtsworte gegen Verheißungen für das „Verfassungsentwurf das eigene Volk und Fremdvölker eigene Volk Ezechiels“ gegen Jerusalem -wieder taucht hier das „dreigliedrige eschatologische Schema“ (s.o.) auf -Abfolge des Schemas geht einher mit dem Motiv der Stummheit des Propheten: -für Zeitraum der ersten Deportation von Jerusalemern durch die Babylonier im Jahr 598/7 v.Chr. bis 587/6 v.Chr., der Zerstörung Jerusalems und der zweiten Deportation bleibt der Prophet stumm (bis auf die Gottesbotschaften, die er mitzuteilen hat), damit er keine Strafreden hält (3,26; 24,27); erst nach dem endgültigen Fall Jerusalems wird seine Stummheit aufgehoben (33,22) 2. Formelwerk: -auffällig ist im Buch der formelhafte Sprachgebrauch: Wortereignisformel („und es geschah das Wort JHWHs an mich“) Botenformel („so spricht JHWH“) Gottesspruchformel („Spruch JHWHs“) Wortbekräftigungsformel („denn ich, JHWH, habe gesprochen“) Herausforderungsformel („siehe, ich bin gegen dich“) Erkenntnisformel („erkennen, dass ich JHWH bin) 3. Chronologie -strikte Chronologie weist auf priesterlichen Hintergrund des Buches hin -besonderes Interesse an Datierung B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige: -innere Geschlossenheit verleitet dazu, Ez für literarisch einheitlich zu halten und es entweder als Autobiographie oder als Pseudepigraph eines Späteren zu bestimmen -These, dass Ez kein literarisches Wachstum durchlaufen hat, ist unhaltbar -neueste Forschung beschäftigt sich mit der literargeschichtlichen Entwicklung des Buches als solche und die Beschreibbarkeit der in ihm vorfindlichen theologischen Konzeptionen -Begriff der „Fortschreibung“ wichtig!: bestehende Texte werden nach und nach um explizierende oder korrigierende Kommentare erweitert -evtl. Wirken einer Ezechielschule C. Entstehung des Ezechielbuches: 1. Gola- und diasporaotientierte Texte: -Ez ist besonders mit der babylonischen Gola 597 v.Chr. verbunden -Prophet gehört der Gruppe der Deportierten an -Wirken des Ezechiel, eines Priestersohnes, beginnt im Exil (Ez 1,3) im Alter von 30 Jahren -in Gerichtstexten Ez 12ff. wird klargestellt, dass selbst diejenigen, die die Katastrophe Jerusalems überlebt haben, verworfen sind 94 -im Hinblick auf die Gola gehören die Visionen, die sog. „Gottesgesichten“ in Ez 1-3 (Thronwagenvision), Ez 8-11 (Entrückung nach Jerusalem), Ez 37 (Auferweckung Israels) und 40-48 (Verfassungsentwurf) zum festen Bestand des Buches -Ez verfügt mit der golaorientierten Redaktion über dasselbe redaktionelle Programm wie das Jeremiabuch. Vermutlich ist Jeremia von Ezechiel her beeinflusst, da Ez von vorneherein biographisch mit der babylonischen Gola verbunden ist und deshalb auch zur Leitfigur von deren theologischem Programm wurde 2. Die Frage nach den ältesten Texten: -älteste Einzeltexte in den Gedichten Ez 19/31, die noch ganz ohne Bezug auf JHWH über die eingetretene Katastrophe klagen und die auf Jerusalemer Kreise zurückgeführt werden -dennoch auch dies umstritten 3. Protoapokalyptische Bearbeitungen in den Visionen: -in Visionstexten Ez 1-3; 8-11; 37; 40-48 finden sich bereits Eigenheiten der späteren Apokalyptik: Himmel öffnet sich (1,1) Mittlergestalt tritt auf (40,3) und sichert das Verständnis des Geschauten D. Theologie des Ezechielbuches 1. Die „Herrlichkeit (kabod) JHWHs“: -Auseinandersetzung mit der traditionellen Zionstheologie -Parallele zu Jeremia („Tochter Zion“) -Zusammenbruch der Zionstheologie wird konstatiert -Aufgrund der Freveltaten Judas und Jerusalems zieht sich die Präsenzgestalt JHWHs im Tempel, seine „Herrlichkeit“, aus dem Tempel zurück und bewegt sich auf den dem Tempelberg gegenüberliegenden Ölberg -Jerusalem und sein Tempel sind Feinden schutz- und heillos ausgeliefert 2. Reinheit und Unreinheit: -Kategorien Reinheit und Unreinheit spielen eine wichtige Rolle (bpw. soll Ezechiel in 4,12-15 Brot auf Menschenkot backen) -Priesterlicher Hintergrund des Buches wird deutlich: Für Volk wie Prophet gilt das Gebot, sich rein zu halten -Besondere Schärfe liegt in Kap. 16 und 23 (Stadt Jerusalem als Frau) 3. Kollektive und individuelle Vergeltung: -Kap. 18 wird als Wendepunkt von der älteren Sippenhaft zur konsequenten Individualhaftung in der altisraelischen Rechtsgeschichte angesehen. -Achtung: hier geht es nicht um menschliches Strafrecht, sondern um die Frage göttlicher Gerechtigkeit! E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte: -atl. Zeit: Sonderstellung -in Qumran wurde eine pseudoezechielische Schrift bezeugt -NT: Einarbeitung des Ezechielbuches in die Offb. (Gog und Magog-Prophezeihung aus Ez 38) 95 § 12. Das Zwölfprophetenbuch A. Bibelkundliche Erschließung -die sog. zwölf „kleinen Propheten“ zählten antik als ein Buch -Qumran: Hos-Mal standen auf einer Rolle -masoretischer Text scheint bestrebt zu sein, XII entsprechend Jes, Jer, Ez chronologisch zu ordnen, wären LXX zusätzlich versucht, das „dreigliedrige eschatologische Schema“ abzubilden: Anordnung hebräische Bibel Anordnung griechische Bibel 8. Jh Jes 7. Jh./(6. Jh.) Jer 6. Jh. Ez Hos Joel Am Ob Jon Mi Nah Hab Zef Hag Sach Mal Gericht gegen Israel Hos Am Mi Joel Ob Gericht gegen Völker Jona Nah Heil für Israel Hab Zef Hag Sach Mal B. Literarhistorische Beobachtungen zum Buch der zwölf Propheten insgesamt 1. Das Zwölfprophetenbuch als redaktionelle Einheit: -Stichwortberührungen zwischen den Rändern der Teilbücher schaffen lockere Vernetzung -diese Berührungen wurden wahrscheinlich bewusst geschaffen -Zusammenstellung der XII auf einer Rolle ist ein vorkanonischer und nicht erst nachkanonischer Vorgang -h.M.: Man hat bemerkt, dass Abstimmung der Prophetenbücher recht früh begann und mitunter auch die Darstellung der ältesten Texte eines Buches mitprägt -J. Jeremias: schriftliches Amosbuch hat es ohne Beeinflussung durch Hosea nie gegeben -Hos-Worte haben die Buchwerdung des Amos von allem Anfang an gesteuert 2. Hinweise auf Vorstufen: -XII ist nicht in einem Zug aus Einzelschriften kompiliert worden -XII gingen ältere Teilsammlungen voraus -deutliche Zusammengehörigkeit von Hos/Am und Hag/Sach 1-8, Nah/Hab -entstehungsgeschichtlich Hos/Am als älterer Kern (8. Jh. v.Chr.) und Hag/Sach(Mal) als jüngerer Kern aus dem 6. Jh. v.Chr. 3. Redaktionelle „Bücher“ im Zwölfprophetenbuch: -einzelne Bücher der XII scheinen nicht auf prophetische Einzelgestalten zurückzugehen -Bei Maleachi (Kunstname „mein Bote“) der Fall -wurde redaktionell aus der Sachajaüberlieferung ausgegrenzt -Zwölfzahl wurde evtl. bewusst generiert: drei Erzväter entsprechen die Propheten Jes, Jer, Ez zwölf Stämme Israels entsprechen den XII 4. Parallelisierungen mit dem Jesajabuch: -neuere Prophetenforschung fand heraus, dass Jes und XII offenbar sachlich und literarisch aufeinander abgestimmt wurden 96 -auffällig wird dies bei Jes 1,1 und Hos 1,1 -ebenso bei Jes 13 und Joel 2 -am Ende der Bücher Jes 66,18ff. und Sach 14,16ff. 97 § 12.1 Das Hoseabuch A. Bibelkundliche Erschließung Gliederung: Hose 1-3 1,2-2,3 2,4-2,25 3,1-5 Hos 4-11 4,1-3 4,4-19 5,1-7 5,8-7,16 8,1-14 9,1-10,15 11,1-11 Hos 12-14 12 13 14,2-9 Fremdbericht Gottesrede Selbstbericht Prolog Zwei parallele Spruchkompositionen zum „syrisch efraimitischen Krieg“ Zwei parallele Spruchkompositionen zu Ereignissen und Folgen des Kriegs Mahnung Geschichtsrückblick mit Heilsperspektive Jakob oder Mose? Schuld Efraims Abschließende Heilsverkündigung B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Hos ist literarisch komplex gewachsene Größe -Prophet Hosea hat offenbar im 8. Jh. im Nordreich Israel gewirkt, sein Buch ist aber zugleich an judäische Leser adressiert -Botschaft ist also nach dem Untergang des Nordreichs für Juda literarisch aktualisiert worden -Personenwechsel (2./3. Pers. Pl) könne auch Hinweis auf gestuftes Textwachstum sein -Textgut des Hos im Korpus des Buches (Kap. 4-11) ist nicht einfach aus Einzelstücken entstanden, sondern in einen durchlaufenden Leseablauf eingepasst worden C. Entstehung des Hoseabuchs 1. Hos 4-9 (10f.) als Kern des Buchs: -über historische Person Hoseas und seine prophetische Tätigkeit ist kaum etwas bekannt -älteren Texte in Hos dürften in Hos 4-9 (10f.) zu finden sein, die kompositionell als zusammenhängen gestaltet sind -generell finden sich wenig Formeln in Hos, stattdessen strukturgebende Imperative: Schuldaufweis Gericht Folge Mahnung 2. Hos 12-14: -Hos 12 unterscheidet die Jakob- und Mose-Tradition als Ursprungsüberlieferungen -Hos 14 bietet einen heilsprophetischen Ausblick im Stil der perserzeitlichen Erwartungen (weisheitliche Sentenz des Buches) 3. Hos 1-3: -umstritten, ob Kapitel je für sich entstanden und auch getrennt voneinander überliefert wurden -traditionelle Annahme stützt sich auf die Tatsache, dass jedes der drei Kapitel über einen eigenen, sekundären Heilsabschluss verfügt (2,1-3; 2,16-25; 3,5) 4. „Amossprache“ im Hoseabuch: -Hos bietet Ankänge an Amos: Doxologie in Hos 12,6 98 generelle Botschaft des Amos in Hos 4,15; 7,10; 8,14 D. Theologie des Hoseabuchs 1. Erkenntnis Gottes -fehlende Gotteserkenntnis Israels bezieht sich zunächst auf politische Verhältnisse, verfehlte Bündnispolitik und verfehlter Kult -dies kann auch als „Vergessen“ JHWHs bezeichnet werden -„Erkenntnis Gottes“ als heilszeitliche Qualität Israels wird in Aussicht gestellt (2,22 u.a.) -„Erkenntnis“-Thematik kann als Leitfossil der theologiegeschichtlichen Entwicklung des Hoseabuches gesehen werden 2. JHWH-Baal-Thematik: -Konflikt zwischen JHWH und Baal prägt große Teile des Hoseabuches -Hos verteidigt den israelitischen JHWH gegen den kanaanäischen Baal -religionsgeschichtlich dürfte dieser schroffe Gegensatz nicht bestanden haben 3. Ehemetaphorik -Ehemetaphorik wird für die Darstellung des Verhältnisses zwischen Gott und Israel benutzt -altorientalischer Hintergrund ist hier zu bedenken: Ehebruch ist ein gängiges Bild für zerrüttete Beziehungen zwischen einem Gemeinwesen (Stadt/Staat) und der zugeordneten Gottheit aufgrund von Bündnispolitik mit fremden Mächten E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Einflüsse Hoseas auf das Dtn -starke Beachtung in Qumran -NT Einzelwort aus Hos 6,6: „Denn an Liebe habe ich Wohlgefallen und nicht an Schlachtopfern, und an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern“) 99 § 12.2 Das Joelbuch A. Bibelkundliche Erschließung -Gliederung: 1,2-2,17 Prophetischer Aufruf zu Klage und Buße Rückblick auf Heuschreckenplage und Dürre (1,14 Refrain) Unmittelbar bevorstehende militärische Katastrophe (2,15 Refrain) Ende der Not, neuer Segen (2,27 Refrain) 2,18-4,21 Gottesrede mit Heilsverkündigung für Rettung und Verschonung am „Tag JHWHs“ (4,17 Refrain) Jerusalem und Juda -Stellung im Kanon verdankt sich wahrscheinlich den markanten Bezügen des Buchschlusses zu Amos B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Hauptproblem ist die entstehungsgeschichtliche Zuordnung der beiden Hauptteile -Heuschrecken- und Dürremotiv -neuerdings geht man von einer gestuften Textentstehung aus C. Entstehung des Joelbuchs -ältere Forschung: Datierung in die vorexilische Zeit -Durch Anhaltspunkte im Buch (Diaspora etc.) ergibt sich als frühester Entstehungszeitpunkt die Perserzeit -durch Weltgerichtsthematik ist sogar der Zusammenbruch des Perserreiches schon vorausgesetzt, folglich ist mit einer Entstehung erst im 3. Jh. v.Chr. zu rechnen -Joel entstand wohl als schriftgelehrte Prophetie und hatte keine Vorstufe in einer mündlichen Verkündigung D. Theologie des Joelbuchs -Motiv des „Tages JHWHs“ (Joel 1,15; 2,1.11; 3,4; 4,14) -traditionell eher dem Kriegswesen zugeordnete Begrifflichkeit -bezeichnete wohl das Kommen und Eingreifen JHWHs in das Kampfgeschehen -Joelbuch meint mit „Tag JHWHs“ eher die Qualifizierung der eigenen, unheilvollen Gegenwart, die vor dem Hintergrund der Zukunft, also des Tages JHWHs hervortritt E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Tag JHWHs in apokalyptischen Texten (Offb 6,12.17) -Geistausgießung v.a. im Pfingsttext des NT (Act 2) 100 § 12.3 Das Amosbuch A. Bibelkundliche Erschließung -Amos ist evtl. erst relativ spät von seinem ursprünglichen Vorgänger Hosea getrennt worden -Gliederung: Am 1.f Am 3-6 Am 7-9 Völkersprüche Gerichtsworte Visionen -Völkersprüche laufen auf die Israel-Strophe zu, die die öfter auftretenden „vier Frevel“ spezifiziert, die zum Gericht am betreffenden Volk führen: „weil sie den Unschuldigen um Geld verkaufen“ „sie treten in den Staub das Haupt der Geringen“ „Sohn und Vater gehen zur Hure“ „sie strecken sich aus auf gepfändeten Kleidern“ -Auch bei Visionen liegt auf der letzten Vision, die JHWH den Zugang zum Heiligtum verwehren lässt und so Israel seiner letzten Heilsmöglichkeit beraubt, der Schwerpunkt -Parallelführung von Völkersprüchen und Visionen: Völkersprüche Am 1f. Visionen Am 7-9 Strophe I & II 1,3-5: Damaskus 7,1-3: Heuschrecken 1,6-8: Gaza 7,4-6: Feuer 1,9-12: Tyros, Edom Strophe III & IV 1,13-15: Ammon 7,7f.: Zinn 7,9: Abstimmung mit Hos 7,10-17: Wegweisung des Amos vom Heiligtum in Bethel Strophe V 2,1-3: Moab 8,1f.: Korb mit Obst 2,4f.: Juda 8,3.4-14: Gerichtsworte 2,6-8: Israel 9,1-4: Altar B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Amosbuch ist eine literarisch gewachsene Größe -Datierung mit Königsnennungen (aus Israel und Juda!) in Am 1,1f. -Korrespondenz von Völkersprüchen und Visionen deutet darauf hin, dass in den Völkersprüchen drei Strophen nachgetragen wurden -umgekehrt ist auch Visionszyklus durch intervenierende Stücke erweitert worden -Buch hat eine judäische Redaktion erfahren -Amos bot sich außerdem für eine Überarbeitung in „deuteronomistischem“ Sinn an, weil er der Prophet war, der in der Zeit des Untergang des Nordreichs wirkte -Heilsausblick am Ende (9,11-15) spielt auf Abbruch der Davidsdynastie an und setzt Ereignisse von 587 v.Chr. voraus. C. Entstehung des Amosbuchs -Prophet Amos lebte in der ersten Hälfte des 8. Jh. v.Chr. im judäischen Tekoa -wirkte aber im Nordreich Israel, in Bethel, nahe an der Grenze zu Juda -laut Buchüberschrift wirkte Amos unter Jerobeam II. (785-745 v.Chr.) als Prophet, also vor der assyrischen Bedrohung, die mit der Thronbesteigung Tiglat-Pilesers III. im Vorderen Orient akut wurde -Amosbuch ist maßgeblich von der Katastrophe 722/1 v.Chr. geprägt; wurde in Juda überliefert -Komposition in Am 3-6 weist große Verwandtschaft zu Hos 4-11 auf -älteste Stücke des Buches in 7-9 und in 3-6 (hier in einzelnen Texten) -auf Untergang Judas und Jerusalems reflektieren deuteronomistisch geprägte Passagen (1,10ff.; 2,4f.9-12 u.a.) 101 -allerdings keine fraglose historische Ansetzung der Texte in die ersten Jahrzehnte nach dem Untergang Jerusalems 587 v.Chr.; Deuteronomisten lassen sich in der gesamten Theologiegeschichte der Zeit des Zweiten Tempels nachweisen D. Theologie des Amosbuchs 1. Gerichtsprophetie: -Präsentation und Apologie der Gerichtsprophetie, die durch Gerichtsdoxologien (1,2; 4,13; 5,8f.; 9,5f.) präzisiert wurde -Am lässt keinen Zweifel daran, dass das bevorstehende Gericht für Israel unausweichlich ist -nicht Amos, sondern Gott hat das kommende Unheil beschlossen -Mittelteil begründet das Gericht sachlich -Sozial- und Kultkritik stehen als Vorwürfe im Vordergrund -Aufgrund der sozialen Verfehlungen ist Israel nicht mehr in der Lage, mittels kultischer Institutionen den Kontakt zu Gott herzustellen -Unheilsprophetie hat keinen ethischen, sondern einen hermeneutischen Impetus: es geht darum, die eigene Geschichte zu verstehen -Selbstbild des Amos: „Ich bin kein Prophet und kein Prophetenjünger, sondern ein Viehhirt bin ich und ziehe Maulbeerfeigen. Aber JHWH hat mich hinter der Herde weggenommen, und JHWH hat zu mir gesprochen: Gehe hin und weissage wider mein Volk Israel“ (Am 7,14f.) -Amos ist keinem König Untertan, sondern von Gott selbst beauftragt 2. Sozialkritik: -die Zeit, in der Amos im Nordreich wirkte, war grundsätzlich von Prosperität gekennzeichnet, die allerdings nur bestimmten Bevölkerungsschichten zugute kam -andere waren in schwerer Not und Abhängigkeit -Sozialkritik scheint recht universaler Natur zu sein und hat einen weisheitlichen Hintergrund -Ziel der sozialkritischen Anklagen liegt auf der Aussage, dass jeder Gottesdienst angesichts der sozialen Korruption der Gesellschaft wertlos ist. Ohne „Ethik“ erledigt sich der Gottesdienst von selbst, ist Gott damit gar nicht zu erreichen E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -bildet mit Hos zusammen den Keim des späteren XII -hartes Wort vom „Ende“ (Am 8,1f.) wurde offenbar in die priesterschriftliche Fluterzählung aufgenommen 102 § 12.4 Das Obadjabuch A. Bibelkundliche Erschließung -21 Verse insgesamt -V. 1-15: Gericht JHWHs an Edom -V. 15-21: Heil für Israel und Zion B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Obd steckt voller literarischer Probleme was dessen Entstehung betrifft -fiktive Prophetengestalt Obadja? (wörtlich: „Verehrer JHWHs“) C. Entstehung des Obadjabuchs -schon in den ältesten Texten ist die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier 587 v.Chr. vorausgesetzt D. Theologie des Obadjabuchs -Verhältnis von Israel und Edom; Erweiterung der Ankündigung des Gerichts um das Volk Edom E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Problematisches Verhältnis Israel-Edom wird versinnbildlicht an Jakob und Esau 103 § 12.5 Das Jonabuch A. Bibelkundliche Erschließung -Jonabuch enthält eine Prophetenerzählung, stellt also nicht die Verkündigung des Propheten Jona vor, sondern erzählt von ihm -weitere Prophetenerzählungen in 1Kön 17ff., Jes 36-39, Jer 26-29.35-45 -Inhalt: Prophet Jona flieht vor seinem göttlichen Auftrag auf ein Schiff. Dort wird er von einem großen Sturm ereilt und, als an diesem Sturm Schuldtragender, von den Seeleuten über Bord geworfen. Ein großer Fisch verschluckt ihn, nach drei Tagen wird er auf das Festland ausgespieen, und nun erfüllt Jona den an ihn ergangenen Auftrag. Er geht nach Ninive, predigt dort dem Volk, das daraufhin umkehrt, Buße tut und so Gott zur Rücknahme des Gerichtsbeschlusses bewegt. Der Prophet Jona ärgert sich darüber sehr und äußert den Wunsch zu sterben. Gott lässt ihm daraufhin einen Rizinus wachsen, über den Jona sich freut. Alsbald lässt Gott den Rizinus wieder verdorren, was den neuerlichen Ärger Jonas hervorruft. Der Verlust des Rizinus dient im Abschluss der Erzählung als spiegelbildliche Illustration des Erhalts Ninives. B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -weitgehend einheitliche Erzählung -Frage, ob der sog. Jonapsalm (Jona 2) eine nachträgliche Zufügung darstellt? C. Entstehung des Jonabuchs -Jonabuch ist erst in der Ptoelmäerzeit (3. Jh. v.Chr.) entstanden -durchgängig schriftgelehrte Prägung; Berührungen mit gr. Mythologie -Übernahme des Motivs, dass der Protagonist durch einen Fisch verschlungen und wieder ausgespieen wird ist einem Sonnenmythos entlehnt: -Sonne wird nachts von einem Fisch verschluckt und morgen wieder ausgespieen -Protagonist Jona wird in 2Kön 14,25 erwähnt, wahrscheinlich hat das Jonabuch den Namen seines Helden daher entlehnt D. Theologie des Jonabuchs -Kombination von verschiedenen Theologien Verhältnis Israels zu den Völkern Gottesfurcht und Umkehr kann dazu dienen, dass Heil auch für die Völkerwelt möglich ist Schuld-Strafe-Syndrom -Gott ist nicht daran gebunden, Schuld abzustrafen, sondern es gibt einerseits die Möglichkeit zur Umkehr, andererseits meldet das Jonabuch Bedenken gegenüber dem Miteinschluss Unschuldiger bei einem Völkergericht (4,11 Kinder und Vieh) als theologisches Problem an kritische Theologie des prophetischen Amtes E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -am breitesten rezipiertes Prophetenbuch der Bibel -NT: Aufenthalt Jonas im Bauch des Fisches dient dem Bild von Tod und Auferstehung (Mt 12,39f. u.a.) 104 § 12.6 Das Michabuch A. Bibelkundliche Erschließung -alternierende Abfolge von Unheil und Heil; Gliederung: 1,2-2,11 2,12f. 3,1-12 4,1-5,14 6,1-7,7 7,8-20 Unheil Heil Unheil Heil Unheil Heil Gericht gegen Israel und Juda, Sozialkritik Heil für den Rest Israels Zion und Jerusalem als Trümmerfelder Völkerwallfahrt zum Zion, Schwerter zu Pflugscharen, Messias aus Bethlehem Lehrrede, Unheilsankündigung gegen Jerusalem Heil für Jerusalem, Weltgericht B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -dreifacher Durchgang vom Unheil zum Heil entwickelt eine rhythmisierte Geschichtsschau -authentisches (ältestes ursprüngliches) Gut nur in Mi 1-3 -Texte Mi 4-5 und 6-7 weisen auf gestaffelte Fortschreibungsschübe aus späterer Zeit hin -psalmenartiges Stück Mi 7,8-20 kommt Abschlussfunktion zu C. Entstehung des Michabuches -traditionelle Auffassung: Kern des Buchs in Mi 1-3 -verschiedene Textbestandteile lassen sich mit der Formation des XII insgesamt in Verbindung bringen (1,3f./Am 4,13; 1,7/Hos 1-3; 7,18/Jon 3,9; 4,2) -„Wer ist ein Gott wie du?“ spielt offenbar auf den Namen „Micha“ an (Wer ist wie Jah[we]?) D. Theologie des Michabuches -Sozialkritik, die ausweislich der gestuften Entstehung des Buches unterschiedliche Missstände aus unterschiedlichen Zeiten anprangert -nicht moralisch, sondern geschichtstheologisch profiliert -es geht nicht primär darum, zur Umkehr zu motivieren, vielmehr begründet es seine Gerichtsverkündigung -harsche Unheilsankündigung für Jerusalem (bes. 3,12): Zion wird zum Feld umgepflügt, Jerusalem wird zu Trümmerhaufen und der Tempelberg zur Waldeshöhe -zentraler Ort der Präsenz Gottes in der Welt wird zunichte gemacht -dies wäre für das stark in der Jerusalemer Theologie verwurzelte Jesajabuch undenkbar -Abfolge von Unheils- und Heilsankündigungen zeigt Wandlung des Willen Gottes im Lauf der Geschichte, der zuletzt im Heil für sein Volk endet E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Referenz in Jer 26 -NT: künftiger Friedensherrscher in Mi 5,1 kommt aus Bethlehem, der Geburtsstadt Davids -Friedensbewegung des ausgehenden 20. Jahrhunderts: „Schwerter zu Pflugscharen“ 105 § 12.7 Das Nahumbuch A. Bibelkundliche Erschließung -Gliederung: 1,1 Überschrift 1,2-8 Akrostichischer (=Text, bei dem hintereinander zu lesende Versanfänge ein Wort, einen Satz oder eine sonstige Buchstabenfolge (hier Alef-Bet bis Kaf) ergeben) Theophaniehymnus 1,9-2,3 Disputationsrede gegen Juda und Ninive 2,4-3,19 Gericht gegen Ninive B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Nah zeigt vielfach Spuren literarischen Wachstums -Überschrift in 1,1 bereits doppelt -auffallend ist „profane“ Gestaltung des Nahumbuches in Nah 2f. -Untergang Ninives wird nur beschrieben, nicht theologisch gedeutet -JHWH Passagen in 2,14; 3,4-7 bilden demgegenüber einen Fremdkörper C. Entstehung des Nahumbuchs -vormals selbstständige Stücke des dritten Teils bilden den Kern des Buches, der dann gewachsen ist -älteste Texte aus Nah 2,2.4-3,19 dürften im Gefolge des Falls Ninives entstanden sein -möglicherweise bildete Nah zusammen mit Hab ein Zweiprophetenrolle, bevor diese dann in das XII eingebunden wurde D. Theologie des Nahumbuchs -Dichtungen über den Fall Ninives als Belege für die universale Geschichtsmacht Gottes E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -in Qumran fand man einen Kommentar (Pescher) zu Nahum 106 § 12.8 Das Habakukbuch A. Bibelkundliche Erschließung -gliedert sich in zwei Teile mit zwei Überschriften: Hab 1-2 Hab 3 1,1 Überschrift 3,1: Überschrift 1,2-11: Klage, Antwort Gottes 3,2-19: Theophaniehymnus 1,12-2,5: Klage, Antwort Gottes, 2,6-19: Weheworte B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Hab macht literarisch heterogenen Eindruck, die geordnete Abfolge seiner Teile wurde jedoch zum Anlass genommen, das Habakukbuch als prophetische Liturgie zu interpretieren, weshalb mit einer gestuften Entstehung zu rechnen sei. C. Entstehung des Habakukbuchs -Hab 1,6 stellt den Propheten deutlich in einen babylonischen Kontext -Gestalt des Buches gehört wohl in die hellenistische Zeit -Habakukbuch ist in vielen Teilen verwandt mit Nahumbuch D. Theologie des Habakukbuchs -Geschichtsmächtigkeit Gottes, der sich auch die Feinde Israels zu beugen haben -Klage-Antwort Schema in Hab 1f. -Problem der Theodizee -Frage nach der Gerechtigkeit Gottes, die sonst eher in der Weisheitsliteratur beheimatet ist E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -in Qumran wurde ein Kommentar (Pescher) zum Buch gefunden 107 § 12.9 Das Zefanjabuch A. Bibelkundliche Erschließung -wird nach dem dreigliedrigen eschatologischen Schema unterteilt -Aufbau ist allerdings von querstehenden Elementen durchzogen 1,1 Überschrift 1,2f. Weltgericht 1,4-16 Gericht gegen Juda und Jerusalem 1,17f. Weltgericht 2,1-3 Mahnwort 2,4-15 Gericht gegen fremde Völker 3,1-8 Gericht gegen Jerusalem 3,9-20 Heil für Juda und Jerusalem B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Annahme eines gestuften literarischen Wachstums (auch für die Einzeltexte) C. Entstehung des Zefanjabuchs -Kern des Buchs in Zef 1 (Anklagen gegen Jerusalem) -nach 1,1 wäre der Prophet Zefanja in der Joschijazeit (639-609 v.Chr.) aufgetreten, die schriftliche Fassung seiner Worte setzt aber mit hoher Wahrscheinlichkeit den Untergang Judas und Jerusalem bereits voraus -„Armen“-Theologie in 2,1-3 und 3,12f. hat ihren Ort in der nachexilischen Frömmigkeits- und Sozialgeschichte, eine entsprechende Bearbeitung im XII kennt auch das Amosbuch D. Theologie des Zefanjabuchs -Motiv des „Tag JHWHs“ -fürchterliches Gericht am Ende der ganzen Welt -gleichzeitiges eröffnen einer Heilsperspektive, mit der Einbindung der Völker, die sich JHWH zuwenden -„Armen“-Theologie -sozialkritische Dimension der Option für die Armen -Gottes Heilswille ist nicht mehr an der dauerhaften Prosperität (=Gedeihen) von König, Volk und Staat abzulesen, sondern er wird neu qualifiziert als Rettung der Bedürftigen E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Fragmente zweier Kommentare in Qumran -Zef 1,14f.: Gleichsetzung von „Tag JHWHs“ und „Tag des Zorn“ als biblisches Vorbild der sog. Sequenz dies irae dies illa in der Totenmesse des Missale Romanum (in Verwendung ab 1570-1962) 108 § 12.10 Das Haggaibuch A. Bibelkundliche Erschließung -narrative Erzählung mit Sach 1-8 abgestimmt -Hag+Sach 1-8 bildeten einmal eine zusammenhängende Schrift -Inhalt: Es geht zunächst um Widerstände im Volk gegen den Tempelbau: Die im Land verbliebenen Judäer wehren sich gegen den Wiederaufbau des Tempels, weil sie dadurch eigenmächtig die Zeit des Gerichts beenden würden (1,4), die heimgekehrten Exulanten dagegen kümmern sich zunächst um den Bau ihrer eigenen Häuser (1,9-11). In dieser Situation übermittelt Haggai ein Gotteswort, das eine umfassende Heilsperspektive für den neuen Tempel zusichert (1,15b-2,9); daraufhin wird die erfolgte Grundsteinlegung des Tempels als neue Epochenschwelle gedeutet (2,10-19), die von kosmischen Erschütterungen begleitet ist (2,6f.) Abschließend erfolgt eine messianische Verheißung an Serubbabel. B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -zu unterscheiden ist zwischen Spruchgut und erzählerischem Rahmen C. Entstehung des Haggaibuchs -Thematik des Haggaibuchs weist auf eine Entstehung seines Grundbestandes noch vor der Einweihung des Zweiten Tempels 515 v.Chr. hin -Haggai wird in Esr 5,1; 6,14 erwähnt, was die Historizität der Person verbürgt -Aufgrund der expliziten Titulierung Haggais als „Prophet“ hat man angenommen, er sei ein Kultprophet gewesen, doch lässt sich dies weder beweisen noch widerlegen D. Theologie des Haggaibuchs -Neubau des Tempels nach dessen Zerstörung durch die Babylonier als Hauptanliegen -Tempel nicht bloß Ort des Gottesdienstes, sondern vor allem Ort der Präsenz Gottes -deshalb wichtig für zukünftiges Heil Judas E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Haggai zusammen mit Sacharja als Promotor des Tempelbauchs 109 § 12.11 Das Sacharjabuch A. Bibelkundliche Erschließung -Sacharjabuch wird in die Zeit des Tempelbaus unter Darius datiert (1,1.7; 7,1) -gliedert sich in drei Teile 1-8; 9-11; 12-14 -erster Teil schließt eng an das Haggaibuch an -erster Teil enthält im Wesentlichen die „Nachtgesichte Sacharjas“, die eine Programmvision eines kultisch erneuterten Jerusalems innerhalb einer befriedeten Völkerwelt entwerfen. Die jetzige Textgliederung präsentiert acht Nachtgesichte, der ursprüngliche Zyklus zählte nur sieben (ohne Sach 3) -Nachtgesichte waren ursprünglich konzentrisch angelegt -7 Nachtgesichte: Reiter und Pferde - Auskundschaftung der ganzen Welt Hörner und Schmiede - Entmachtung der Welt Mann mit Messschnur - Jerusalem als offene Stadt Leuter und Ölbäume - Präsenz JHWHs Fliegende Schriftrolle - Reinigung des Landes Frau im Efa - Entfernung des Götzendienstes Wagen und Pferde - Aussendung in die ganze Welt B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Sacharjabuch ist eine redaktionell gewachsene Einheit -Sach 9-14 können nicht von demselben Verfasser wie Sach 1-8 stammen -ab Sach 9: ganz andere Zeitverhältnisse (Tempel ist längst erbaut etc.) -Nachtgesichte in Sach 1-6, sind im jetzigen Buch um eine zusätzliche Vision in 3,1-5 erweitert C. Entstehung des Sacharjabuchs -hinter den drei Buchteilen fand man drei Prophetengestalten, die kongruent zu Jesaja als „Proto-, Deutero- und Tritosacharja“ aufgefasst wurden -in der neueren Forschung ist deutlich geworden, dass die Kap. 9-14 auf schriftgelehrte Tradentenprophetie zurückzuführen sind, weshalb die o.g. Einteilung überholt ist -Grundbestand der Nachtgesichte in Sach 1-6 dürfte noch vor der Tempeleinweihung 515 v.Chr. entstanden sein -Texte in Sach 9-14, die Sach 1-8 und Mal kennen und benutzen, lassen sich in die hellenistische Zeit datieren D. Theologie des Sacharjabuchs -Wiederaufbau des Tempels als zentrales Anliegen (v.a. in den Nachtgesichten) -Jerusalem als Ort der Präsenz JHWHs in einer befriedeten Welt -in den Nachtgesichten wird der Traum wieder als legitimes Offenbarungsmittel betrachtet entgegen Dtn 13 und Jer 23,25ff; hierzu ist aber ein Deuteengel (angelus interpres) nötig E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -NT: Konzeption eines knechtgestaltigen Messias mit der Vorstellung des auf einem Esel reitenden Heilskönigs (aus Sach 9,9) in Mt 21,4f. und Joh 12,14f. aufgenommen 110 § 12.12 Das Maleachibuch A. Bibelkundliche Erschließung -enthält nach Überschrift (1,1) sechs Diskussionsworte (1,2-5; 1,6-2,9; 2,10-16; 2,17-3,5; 3,612; 3,13-21), die ihre Anklagen jeweils unter Einbeziehung des Widerspruchs der Angeredeten entfalten. Beschlossen wird das Buch durch einen Epilog (3,22-24), der eine weit zurückreichende Inklusion bis hin zum Anfang des Kanonteils „Propheten“ schlägt (Jos 1,7.13) B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -traditionell wird das Buch auf einen im 5. oder 4. Jh. v.Chr. wirkenden Propheten zurückgeführt -neuere Forschung: enge Bezüge zum Sacharjabuch und anderen Texten im AT -insgesamt handelt es sich daher um späte, schriftgelehrte Tradentenprophetie -Name Maleachi ist wohl ein Kunstname („mein Bote“ C. Entstehung des Maleachibuchs -Grundbestand des Buches in 1,12-2,9; 3,6-12 -in den letzten Phasen seiner Entstehung ist das Buch wohl aus der Sacharjaüberlieferung ausgegrenzt worden -Zwölfzahl wurde so erreicht D. Theologie des Maleachibuchs -mit Tritojesajatexten vergleichbar -scharfe Anklagen werden erhoben -soziale und kultische Missstände sind Ursache dafür, dass das Heil Gottes nicht zum Durchbruch kommen kann -innerhalb Israels wird zwischen Frevlern und Gerechten unterschieden E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Verheißung der Wiederkehr des Elias wurde im NT in Verbindung mit Johannes dem Täufer gebracht (Mt 17,1-13; Lk 1,17; Mk 9,11-13) 111 III. Schriften (Ketubim) -Schriften bilden den dritten Teil der Hebräischen Bibel -begegnen spätestens seit der griechischen Übersetzung des Buchs Ben Sira (nach 132 v.Chr.) -Anordnung der Megillot divergiert nach folgenden Prinzipien: liturgisch (nach Festtagen), Reihenfolge: Hld, Rut, Klgl, Koh, Est chronologisch (orientiert an fiktiver Handlung der Zeit= erzählte Zeit), Reihenfolge hiernach Rut, Hld, Koh, Klgl, Est Reihenfolge der BHS: Ps, Hiob, Spr, Rut, Hld, Koh, Klgl, Est, Dan, Esr-Neh, 1-2Chr -in christlichen Bibelausgaben sind die Bücher auf die drei Kanonteile (historische, poetische und prophetische Bücher) verteilt -literaturgeschichtlich bieten Ketubim Vielfalt von Formen: Geschichtsschreibung: Chr, Esr, Neh Novelle: Rut Roman: Ester Tragödie: Hiob philosophisches Traktat: Koh Anthologie (Zusammenstellung von Texten) von Liebesgedichten: Hld Sammlung von Elegien (Trauergesänge): Klagelieder religiöse Dichtungen und Gebete: Ps -entstehungsgeschichtlich stammt Mehrzahl der Schriften aus der persisch-hellenistischen Zeit (Ausnahme Psalter) 112 § 13. Der Psalter -Bezeichnung Psalmen von gr. psalmos („Saitenlied“) -Judentum Bezeichnung: sepaer tehillim („Buch der Lobpresiungen“) A. Bibelkundliche Erschließung 1. Aufbau -Psalter wurde in fünf Bücher untergliedert (Anlehnung an fünf Bücher Mose?) -Gliederungsmerkmal: Schlussdoxologie, die JHWH preist -Abschluss des fünften Buches und des gesamten Psalters bildet der Hallelujapsalm 150 -weiteres Gliederungsmerkmal: sekundäre Zuweisungen einzelner Psalmen an fiktive Verfasser bzw. Gruppen (Bsp. Ein Psalm Davids) -Gliederung: 1. Buch: Ps 1-41 Tora Ps 1, Messias Ps 2, Psalmen Davids: Ps 3-41 2. Buch: Ps 42-72 Psalmen Korachs, Asafs, Psalmen Davids (51-65 und 67-71) 3. Buch: Ps 73-89 Psalm Salomos (Ps 72), Psalmen Asafs, Korachs, Psalm Davids (Ps 86), Psalmen Korachs, Psalm Etans Psalm Moses (Ps 90), Sabbat Psalm (Ps 92), Toda-Psalm (Ps 100), Psalmen Davids (Ps 101; 103) Psalmen Davids, Wallfahrtspsalmen (Ps 120-134), Psalmen Davids, Das messianische Volk (Ps 149), Gotteslog (Ps 150) 4. Buch: Ps 90-106 5. Buch: Ps 107-150 -Themenkomplexe: Klage- und Bittpsalmen 3-6; 9-14; 22; 25-28 Dank- und Lobspalmen: 135f.; 138; 144-150 JHWH-Königs-Psalmen 93-99 2. Die Zählung der 150: -unterschiedlich in BHS und LXX -LXX besitzt einen Psalm mehr als BHS 3. Psalterübergreifende Redaktionsstrukturen: -Psalter verfügt über doppelten Rahmen: außen (Ps 1 / Ps 150) -dient als Einübung in das Gotteslob (Doxologie) innen (Ps 2 / Ps 149) -Erwartung des Messias und die Hoffnung der weltweiten Anerkennung des Messias und des messianischen Volkes -zwischen benachbarten Psalmen bestehen oft semantische, kompositionelle und formgeschichtliche Zusammenhänge; zwei Techniken machen dies deutlich: 1. iuxtapositio -planvolle Anordnung nach inhaltlich-thematischen Aspekten -Bsp: Klage und Bitte (Ps 3-7), Gotteslob (Ps 8), Klage und Bitte (Ps 9-14) 2. concatenatio -Stichwort- bzw. Motivverkettung -Bsp.: Morgen (Ps 3,6); Abend (Ps 4,9); Morgen (Ps 5,4); Tag (Ps 6,7); Nacht (Ps 7,12) -einzelne Psalmen erfüllen übergreifende Funktion im gesamten Psalter; Königslieder stehen jeweils an Nahtstellen (Ps 2; 72; 89) -verleihen dem Psalter ein eschatologisch-messianisches Gefälle -Überschriften zeigen mitunter bestimmte Kompositionsbögen 113 B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. Die Überschriften der Psalmen: -Überschriften gehen größtenteils auf spätere Ergänzungen zurück -Einteilung der Überschriften in vier Gruppen: 1. Fromme des Alten Testament 2. Gilden von Tempelsängern 3. Psalmarten 4. liturgische und musiktechnische Stichworte -Begriff Sela bedeutet möglicherweise „Zwischenspiel“, nicht ganz geklärt -David erscheint als Verfasser von 73 Psalmen, Mose als Autor von Ps 90 und Salomo als Verfasser von Ps 72 und 127 -weitere Situationsangaben aus dem Leben Davids -Vorstellung von David als Psalmdichter basiert auf seiner Rolle als Lautenspieler am Hofe Sauls, auf seiner Charakterisierung als Dichter von Totenklagen und seiner deuteronomistischen Stilisierung als frommer König 2. Etappen der Psalmenforschung: -vier wesentliche Aspekte: 1. Luther ordnete nach inhaltlichen Aspekten in fünf Gruppen (Weissagung, Lehre, Betpsalm, Tostpsalm, Lob-/Dankpsalm); heute wird nach sprachlichen und stilistischen Merkmalen geordnet 2. historisch-kritische Exegese bemüht sich um Ermittlung der genauen Entstehungszeit und der geschichtlichen Umstände 3. durch religionsgeschichtlichen Vergleich mit Gebeten aus Ägypten und Mesopotamien wird versucht, die atl. Psalmen mit bestimmten kultischen und rituellen Situationen zu verankern und mit bestimmen altisraelischen Festen zu verbinden; Ziel: Suche nach der „gottesdienstlichen Gelegenheit“ bzw. dem Sitz im Leben (Kennzeichen der form- und kultgeschichtlichen Auslegung 4. Spuren redaktioneller Nachbearbeitungen werden erforscht (Ergänzungen, Kürzungen, Umdeutungen); Psalmen wurden bis zum Zeitpunkt der Kanonisierung einer fortlaufenden literarischen Nachbearbeitung unterworfen Grundgesetze der alttestamentlichen Poesie: -Grundprinzip der hebräischen Psalmen bildet der sog. parallelismus membrorum -weitere Stilmittel kommen zum Einsatz -Kehrvers (Refrain) findet sich gelegentlich) -metrische Struktur C. Entstehung der Psalmen und des Psalters 1. Die Form des Psalters und der einzelnen Psalmen: -Psalter ist ein in mehreren Phasen redaktionell zusammengestelltes Gebets- und Meditationsbuch -entstand auf der Basis von Teilsammlungen, Einzelpsalmen und eigens gedichteten Texten (sog. „Redaktionelle Psalmen“ bspw. Ps 1) -einige Ps wurden als reine literarische Größen geschaffen oder bearbeitet 2. Die Grundformen der atl. Psalmen: -wichtigste Gattungen: individueller Klage- und Bittpsalm kollektiver Klage- und Bittpsalm indivduelles Danklied kollektives Gotteslob (Hymnus) 114 2.1. Der individuelle Klage- und Bittpsalm: -Gattung enthält ungefähr 35-40 Psalmen -Ps 3-7; 10-14; 16f.; 22f.; 25-28; 35f.; 38-43; 51-59; 61-64; 69; 71; 86; 88; 102; 109; 130; 140; 141-143 -Strukturelemente der Klage des Einzelnen: 1. Anrufung Gottes 2. Schilderung existentieller Not, die eigentliche Klage (kann erweitert werden mit Unschuldsbekenntnis und Vertrauensbekenntnis) a. Ichklage b. Gottklage bzw. Gott-Anklage c. Feindklage und Frage nach Dauer und Grund und Ziel 3. Bitte um Eingreifen Gottes (Not wenden!) 2.2. Der kollektive Klage- und Bittpsalm oder die Klage des Volkes: -Gattung enthält folgende Psalmen: -Volksklagen: Ps 44; 74; 79; 80; 83; 85 u.a. -Klage des Volkes hat folgende Strukturelemente: 1. Anrede Gottes 2. Klage 3. Bitte -in der sog. entfalteten Form ist der Aufbau wie folgt: 1. Anruf Gottes (Vokativ / Anrede „Du“) 2. Rede des Beter im „Wir“ oder kollektiven „Ich“ 3. Verzweiflungs- und Hilfeschrei: Klage und Bitte 4. Elendsschilderung 5. Bitte mit dem Wunsch um die Wende des Unheils 6. (fiktive) Gottesrede bzw. ein Gottesspruch -Ziel des kollektiven Klage- und Bittpsalms ist es, JHWH zum Eingreifen zugunsten seines Volkes zu bewegen; Argumente hierfür können der Rückblick auf die nationale Heilsgeschichte und ein Appell an Gottes Namen sein 2.3. Der individuelle Dankpsalm -Gattung enthält ca. 20 Psalmen: -Ps 9f.; 18; 30; 32; 34; 40,2-12; 41; 66; 92; 116; 118; 138 -Strukturelemente des individuellen Dankpsalm: 1. Dankrede, in der der Beter Gott direkt (2. Ps. Sg.) anredet; Formel meist „ich danke dir“ 2. Zeugenrede, in der der Beter von der Rettungstat Gottes berichtet; Bericht kann noch folgende zusätzliche Motive enthalten a. Rückblick auf eigene Not b. Bericht von Anrufung Gottes c. Bericht von der Erhörung -Untergruppe der Danklieder des Einzelnen bilden die Heilungspsalmen (Ps 30; 32; 41; 69; 103) 2.4. Der kollektive Lobpsalm (Hymnus) -zwei Typen lassen sich hier unterscheiden: imperativischer Hymnus -wird durch Aufruf der Gemeinde zum Gotteslob eingeleitet und mit einer Durchführung des Lobs fortgesetzt -Kurzfassung eines imperativischen Hymnus bildet das Mirjam-Lied in Ex 15,21 partizipiale Hymnus 115 -preist in drei Hauptsätzen Gottes Schöpfermacht und Gerechtigkeit -Gattung enthält folgende Psalmen: 8; 19; 29; 33; 100; 103-105; 111; 113; 114; 135; 145; 146; 148; 149; 150 2.5. „Weitere“ Gattungen: -in der Forschung gibt es Versuche, weitere Gattungen zu bestimmen und diesen einzelne Psalmen zuzuweisen 3. Die Komposition und Redaktion des Psalters: -Psalter ist durch stufenweise Kombination von Teilsammlungen entstanden -Prozess setzte in nachexilischer Zeit ein und fand im 2. Jh. v.Chr. seinen Abschluss; um 100 v.Chr. steht die qualitative „Kanonizität“ des Psalters fest! -Entstehungsprozess: Grundstock bilden Ps 3-41 (David-Psalter I) o Erweiterung um Ps 42-89 (David-Psalter II); Einleitung durch Ps 2 Ergänzung um Ps 90-119; Ps 1 als Prolog letzter Block Ps 120-150 wird angehängt 4. Die Komposition und Redaktion der einzelnen Psalmen -Datierung der Psalmen ist immer hypothetisch -externe Kriterien sind Beobachtung von Doppelüberlieferungen, Nachweis der Rezeption einzelner Psalmen in anderen Psalmen und Gattungstypologie -interne Kriterien sind Sprach- und Motivschatz und die religions- und theologiegeschichtlichen Vorstellungskomplexe 5. Die Situation und Funktion des Psalters: 1. Tempel-Liturgie-These (ältere Forschung): -Psalter bildet das Gesangbuch des Zweiten Tempels 2. Synagogen-Liturgie-These: -Psalter bildet das Gesang- und Gebetbuch der in der Synagoge gefeierten Liturgie -hierzu finden sich keine literarischen Hinweise in der Synagogenliteratur 3. Meditations-These: -Psalter als Lesebuch der persönlichen meditativen Frömmigkeit und der eschatologischen Hoffnung von bestimmten Kreisen im nachexilischen Judentum -hierfür sprechen der Gesamtduktus und die Strukturierung des Psalters durch weisheitliche und eschatologische Texte 6. Die Situation und Funktion der einzelnen Psalmen: -für jeden Psalm ist nach seiner ursprünglichen Verwendungssituation und Funktion zu fragen („Sitz im Leben“) individueller Klage- und Bittpsalm hat seinen Ort in der spezifischen Not des einzelnen Menschen; einen einheitlichen Sitz im Leben haben diese Gebete NICHT! kollektive Klage- und Bittgebete haben ihren Ort in kriegerischen oder natürlichen Katastrophen wie Hungersnöten, Dürrezeiten oder Epidemien; Sitz im Leben könnte ein nationales Fasten gewesen sein individuelles Danklied hat seinen Sitz im ursprünglich in dem nach erfahrener Rettung gemeinsam mit der Familie am Heiligtum dargebrachten Dank- bzw. Gelübdeopfer Gotteslob des Volkes (Hymnus) hat seinen Ort im Festkult der um den Tempel versammelten Gemeinde 116 D. Theologie der Psalmen und des Psalters -JHWH-Glauben in seiner Geschichte -Psalter bildet einen Kanon im Kanon bzw. „eine kleine Bibel“ (M. Luther) -Nachfolge Davids als messianische Leitfigur -JHWH als personales und lebendiges Gegenüber des Menschen -Schöpfungsgedanke (Ps 104) -Versprachlichung menschlicher Grunderfahrungen und eine Deutung menschlicher Existenz (Klagen und Bitten einzelner Beter) -Vertrauen auf Gott -Psalmen als Gebete des atl. Gottesvolkes (Ps 100) -Zion: 1. Stätte, die die Endzeit überdauert 2. Ort, zu dem einst alle Völker ziehen 3. Punkt, von dem aus JHWH Frieden herstellen wird E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Gottesdienst -Schriftauslegung -Nach- und Neudichtungen -Vertonung der Psalmen durch psalmistische Lieddichtung (EG 273; 299; 362) 117 § 14. Das Hiobbuch (Ijob) A. Bibelkundliche Erschließung -Bucht trägt Namen nach seiner Hauptfigur Hiob („Wo ist der (göttliche) Vater?“) -Gliederung: 1-2 Prolog: Wie der gesegnete Hiob in übergroßes Leid gerät 3 Monolog: Hiobs Klage über sein vom Leid gekennzeichnetes Leben 4-28 Dialog: Hiob und seine Freunde auf der Suche nach Grund und Ziel des Leidens Hiob (insgesamt drei Redegänge) 29-31 Monolog: Hiobs Herausforderung Gottes zum Rechtsstreit 32-37 Monolog: Elihus Reden an Hiob und seine Freunde (insg. vier Reden) 38-42,6 Monolog: Gottes Entfaltung der kosmischen Weltordnung 42,7-17 Epilog: Wie der leidende Hiob erneut gesegnet wird -Prolog und Epilog erzählen, wie Hiob sich im Leiden bewährt -Hiob gerät als frommer Mann infolge eines Disputs zwischen Gott und Satan ins Leid -narratives Musterbeispiel der Seelsorge (2,10-13) -umfassende Lebensklage Hiobs und Verfluchung des Tages seiner Geburt (Kap. 3) -Bestreitung der Schöpfermacht Gottes (Hi 3,4) -Dialog (Kap. 4-28) schildert die Beziehung zwischen Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glück und Unglück -vier Gedanken stehen hier im Mittelpunkt: 1. Handeln eines Menschen im Vergleich zu seinem Schicksal („Tun-ErgehenZusammenhang“) 2. Gott vergelte jederzeit gerecht 3. Leiden ist eine zeitlich befristete Strafe Gottes 4. im Leiden ist Buße nötig und Gottes gnädige Zuwendung möglich -dreiteiliger Monolog (Kap. 29-31): Rückblick auf gesegnete Vergangenheit, gegenwärtiges Unglück und Bekenntnis -Elihus Reden in Kap. 32-37 sorgen für eine „neue“ Deutung des Leidens -Gottesrede in Kap. 38-41 aus dem „Wettersturm“ (38,1) heraus - Theophanie -Buch schließt mit Schilderung von Hiobs zukünftigem Glück B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. Das Verhältnis zwischen dem Prosarahmen und der Dichtung: -prosaisch abgefasster Prolog und Epilog -poetisch formulierte Reden -Gottesbezeichnungen: JHWH (nur im Prolog, Epilog, in den Überschriften der Gottesreden) Elohim El Eloah Schadday Adonay -vier Entstehungsmodelle des Hiobbuches: 1. um die literargeschichtlich ältere Dichtung wurde sekundär eine Rahmenerzählung geschrieben 2. in die literargeschichtlich ältere Hioberzählung wurde sekundär die Dichtung eingeschrieben 3. Verfasser der Dichtung hat für Gesaltung des Prologs und Epilogs Material aus einer älteren Hiobüberlieferung übernommen 118 4. Hiobdichtung und -erzählung stellen ursprünglich. literarisch eigenständige Verarbeitungen dar, die durch Redaktion miteinander kombiniert wurden 2. Das Problem des so genannten dritten Redegangs (Kap. 22-28): -Besonderheiten in den Kap. 22-28 ggü. den Kap. 4-21 -Reden Hiobs in 24,13ff. und 27,13ff. widersprechen dessen Position in Kap. 21 -Hiob nimmt punktuell (28,1ff.) Gottesreden vorweg (spricht für redaktionelle Bearbeitung) 3. Das Problem der Elihureden (Kap. 32-37): -vier Monologie Elihus heben sich sprachlich und inhaltlich vom sonstigen Buch ab -Elihureden werden in der Forschung als sekundär betrachtet 4. Das Problem der Gottesreden (Kap. 38,1-42,6): -mit der direkten Anrede Hiobs in der Eröffnung der ersten Gottesrede (38,2-3) wird an Hiobs Wunsch zur unmittelbaren Begegnung mit Gott (31,35-37) angeknüpft -in der Forschung begegnen immer wieder Versuche, die Ursprünglichkeit der Gottesreden zu bestreiten und die Dichtung mit einem unerhörten Schrei des leidenden Gerechten enden zu lassen C. Entstehung des Hiobbuchs 1. Die Form und die Formen des Hiobbuchs: -Kombination literarischer Gattungen und Redefomen aus unterschiedlichen Kontexten: Prolog und Epilog: Kunstprosa Rahmenerzählung: lehrhafte Novelle bzw. weisheitliche Lehrerzählung Elemente aus Märchen, Sagen, Mythen -wesentliche Gattungen der Hiobdichtung: Weisheit -Sentenz, Streitrede, Lehrrede, Meditationen über die Hinfälligkeit menschlicher Existenz, enzyklpäidische Aufzählung der Schöpfungswerke in den Gottesreden Psalmen -Klagen und Bitten Hiobs, hymnische Elemente in einzelnen Reden Hios Recht -juridisches Vokabular (Streit, Recht/Rechtssatz), Aufforderung Gottes zum Rechtsstreit, Elemente des in Eidesform gehaltenen Unschuldsbekenntnis Prophetie -Kritik sozialer Vergehen („prophetische Sozialkritik“) 2. Die Komposition und Redaktion des Hiobbuchs: -Buch weist keine Verfasserangabe auf -jüdische Tradition: Verfasser ist Mose -Luther führte das Buch aufgrund seines weisheitlichen Charakters wie in Spr und Koh auf Salomo zurück -Buch ist erst im 5.-3. Jh. v.Chr. entstanden -Produkt einer langen Kompositions- und Redaktionsgeschichte -Grundbestand des Buches war womöglich eine Hioblegende -Geschichte hat parallelen in mesopotamischen, ägyptischen (Mahnworte des Ip-wer, Harfnerlieder) und aramäischen Literaturstücken (Achiqar-Roman, Gebet des babylonischen Königs Nabonid) 119 3. Die Situation und Funktion des Hiobbuchs: -Talmud vermutet bereits, dass Hiob selbst nie gelebt hat, dass es sich bei dem Buch also um eine lehrhafte, gleichnisähnliche Dihtung handele -sprachlich und traditionsgeschichtlich stammt das Hiobbuch aus hochgebildeten weisheitlichen Kreisen der persisch-hellenistischen Zeit D. Theologie des Hiobbuchs -Deutung von Lebenserfahrungen als Erfahrungen des Handeln Gottes 1. die Nähe Gottes kann als lebensfördernd und lebensbedrohlich erfahren werden 2. Macht Gottes kann als chaosbezwingend und lebenszerstörend erfahren werden 3. Umgang Gottes mit dem Recht kann als berechenbar und als willkürlich erfahren werden -Nur eine Theologie, die um die Ambivalenz der Gotteserfahrungen weiß, auch die dunklen Seiten Gottes benennt und die Spannungen im Gottesbild nicht dualistisch auflöst sowie Tradition, Situation und Person zusammen sieht, ist nach dem Buch Hiob aufrichtige Rede von Gott! -Interpretation des Leidens -Sündhaftigkeit des Menschen -Seelsorge: vor dem Reden der Seelsorgenden steht das Hören; das erste Wort steht dem Leidenden zu eine verordnete Lösung der Frage nach dem Leid verfängt nicht, diese kann nur der Leidende selbst in der Begegnung mit Gott für sich finden E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Hiob-Targum aus Qumran -Theodizeegedanke -bildende Kunst 120 § 15. Das Sprüchebuch (Die Sprüche Salomos/Proverbien) A. Bibelkundliche Erschließung -Begriff Spruch kann für unterschiedlichste Formen von Sprüchen stehen und die Aspekte Anspruch, Zuspruch, Einspruch und Widerspruch umfassen -Gliederung: 1,1-9,18 „Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des König Israels“ 1,2-7 Proömium / 1,8-9,18 Zehn Lehrreden und drei Weisheitsgedichte „Sprüche Salomos“ „Worte der Weisen“ „Auch dies sind Worte von Weisen“ „Auch dies sind Sprüche Salomos, von den Männern Hiskijas des Königs von Juda gesammelt „Worte Agurs, des Sohnes des Jakem aus Massa“ 30,1-33 „Worte Lemuels, des Königs von Massa, die ihn seine Mutter lehrte“ 31,1-31 -Ziel der Sprüch: Vermittlung von Weisheit und Gottesfurcht 10,1-22,16 22,17-24,22 24,23-34 25,1-29,27 B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. Das Buch der Sprüche und die alttestamentliche Weisheitsliteratur: -Spr stellt das Buch im AT dar, das am stärksten von der sog. Weisheit (hakmah) geprägt ist -Weisheit zielt in diesem Sinn auf ein gelingendes Leben und erweist sich als Lebenskunde -Gedanklicher Hintergrund: Gott hat in diese Welt eine gerechte Ordnung integriert -diese Vorstellung tritt auch in der atl. Umwelt auf (Sumerern, Akkadern, Ägyptern) -Gattungen, denen die drei kanonischen (Spr, Hi und Koh) Weisheitsbücher des AT angehören, haben Parallelen in Mesopotamien, Syrien, Ägypten und Griechenland -einfachste Gattung der atl. Weisheitsliteratur ist die Sentenz (maschal) -komplexere Gattungen: Lehrrede, Lehrgedicht, Reflexionen, Streitreden, weisheitliche Lehrerzählung Theologisierung der Weisheit hat vier Facetten: 1. ausdrückliche Begründung weisheitlicher Lebensregeln; Ziel der Weisheit: Leben in der Gottesfurcht 2. Personifikation, d.h. Interpretation der Weisheit als Mittlerin der Offenbarung Gottes 3. Verbindung von Weisheit und Tora, d.h. eine Gleichsetzung der kosmischen Weisheit mit der Tora 4. Identifikation des Weisen mit dem Gerechten und des Toren mit dem Frevler/Gottlosen 2. Einzelspruch, Spruchsammlungen und Gesamtkomposition: -Kern der Proverbien bilden einzelne Sprüche -Entwicklung vom Einzelspruch zum Sprüchebuch (hypothetisch): mündliche Entstehung von Sprichwörtern o Verschriftlichung am Hof und in der Schule Zusammenstellung von Spruchreihen Neufassung vorhandener und Neuaufnahme weiterer Sprüche o Komposition von Spruchsammlungen Komposition des Buchs der Sprüche 3. Die hebräische und die griechische Fassung des Buchs: -Septuaginta hat Überschriften so modifiziert, dass das Buch vollständig als Sammlung der Sprüche Salomos erscheint -Texfolge differiert 121 -zum Teil inhaltliche Unterschiede zwischen den Sprüchen C. Entstehung des Sprüchebuchs und der Einzelsprüche 1. Die Form des Buchs und der Einzelsprüche: -Buch stellt ein weisheitliches Lehrbuch dar -formales Grundmuster der poetisch gestalteten Einzelsprüche: parallelismus membrorum -Sprüche treten in vielen Formen auf, u.a. als: Aussage- oder Wahrheitsspruch Vergleichsspruch oder komparative tob-Spruch („besser als“) Zahlenspruch o einfacher Zahlenspruch o gestaffelter Zahlenspruch Mahnwort (auffordernde Sentenz) o Rat (positiv)/Warnung (negativ) Glückwunsch Aufmerksamkeitsruf bzw. Lehreröffnungsformel Lehr- oder Mahnrede (Instruktion) Gedichte auf die personifizierte Weisheit bzw. Torheit Gebet 2. Die Komposition und Redaktion des Buchs der Sprüche 2.1. Die Buchüberschrift -„Sprüche Salomos“ ist als Autoritätszuweisung zu verstehen (nicht als Autorenschaft) -Hintergrund: Salomo als weiser und gerechter König -Literatur- und theologiegeschichtlich ist eine Datierung der Endgestalt des Buchs in das 4./3. Jh. v.Chr. wahrscheinlich 2.2. Die Sammlungen -insgesamt geht das Buch auf drei Hauptsammlungen und fünf kleinere Sammlungen zurück: Salomonische Sammlung (10,1-22,16) die ägyptisierende Lehre (22,17-24,22) die Hisijanische Sammlung (25,1-29,27 die vier Anhänge zur Hiskijanischen Sammlung (30,1-31,31) die Lehrrede in Kap. 1-9 3. Die Situation und Funktion des Buchs der Sprüche: -Buch erscheint (auch durch Lehrrede in Spr 1-9) als Sammlung von Verhaltensbeispielen -Lehrbuch, das auf Weitergabe von weisheitlichen Traditionen und auf Erziehung zur Gottesfurcht zielt D. Theologie des Sprüchebuchs und der Einzelsprüche -Grundlegend: Vorstellung von einer gerechten Ordnung, die Gott als Schöpfer in den Kosmos eingesenkt hat -durch „Sprüche Salomos“ wird das Buch geschichtlich verortet als Weisheit Israels -Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als zentrale Wesenzüge Gottes -Erziehung und Bildung (musar, Spr 1,3) -„Tun-Ergehen-Zusammenhang“ - Bedenken des eigenen Handelns E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -Trotz der ntl. Stilisierung Jesu als Weisheitslehrer haben die Sprüche im Vergleich zu anderen atl. Büchern im Christentum nur eine bescheidene Wirkungsgeschichte 122 § 16. Das Rutbuch A. Bibelkundliche Erschließung -Kernmotiv ist die Bewältigung einer Hungersnot -Inhalt: „Das Buch bietet die Erzählung einer Krise, eines Auszugs und einer geheimen Führung durch Gott. Diese Themen werden beispielhaft am Schicksal einer Familie entfaltet. Elimelech aus dem judäischen Betlehem verlässt mit seiner Frau Noomi und seinen Söhnen die Heimat, um im benachbarten Moab als Schutzbürger* zu leben. Dort sterben zunächst der Vater, sodann die beiden Söhne. Noomi und ihre moabitische Schwiegertöchter Rut („Freundin“) und Orpa bleiben als weitgehen rechtlose Frauen zurück (1,1-5) Die gnädige Heimsuchung Gottes bewirkt das Ende der Hungersnot in Juda und die Rückkehr in die Heimat. Aus Solidarität zu ihrer Schwiegermutter bekennt sich die Moabiterin Rut zu JHWH und begleitet Noomi nach Betlehem. Dort trifft sie auf den einflussreichen und besitzenden Boas, („in ihm ist Kraft“). Als nahem Verwandten des verstorbenen Mannes der Noomi fällt ihm in der Erzählung die Aufgabe des Levirats* und der Löstertätigkeit* zu. Auf den Rat Noomis begibt sich Rut wie eine auf die Hochzeitsnacht vorbereitete Braut zur Tenne des Boas und spricht ihn als Löser der Familie an. Im Stadttor, dem zentralen Handlungsort des vierten Aktes bekräftigt der Löser Boas vor Zeugen, dass das Erbland im Besitz der Familie bleibt, der Name nicht ausstirbt und Noomi und Rut wirtschaftlich und rechtlich abgesichert sind. Das Buch schließt mit einer Stammtafel.“ -Begriff Schutzbürger (ger): Begriff beschreibt den Status eines Menschen, der aufgrund eines Krieges, einer Hungersnot o.ä. sein Dorf verlassen muss und sich nun, allein oder mit seiner engsten Familie, als Asylant in die Fremde begibt. -Begriff Levirat und Lösen: Levirat (Schwagerehe) bedeutet, dass der Bruder bzw. ein naher männlicher Verwandter eines sohn- bzw. kinderlos verstorbenen Mannes dessen Witwe zur Frau nehmen soll. B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Epilog des Buches (Stammtafel) ist ein jüngerer Nachtrag) C. Entstehung 1. Die Form des Buchs Rut: -Buch gehört zur atl. Kunstprosa -fiktive Erzählung -insgesamt handelt es sich um eine gleichnishafte Erzählung -weisheitliche Novelle -midraschartige Halacha, d.h. eine narrative „Rechtskommentierung“ bzw. eine aktualisierende Rechtserzählung zu den beiden Rechtstexten Lev 25 und Dtn 25. 2. Die Komposition und Redaktion des Rutbuchs: -Buch selbst besitzt keine Verfasserangabe -aus literatur- und theologiegeschichtlichen Gründen ist eine Entstehung in der Perserzeit wahrscheinlich -Buch Rut ist literarisch nicht aus einem Guss, sondern aus zwei Schichten entstanden: Grundschicht Israelredaktion 3. Die Situation und Funktion des Buchs: -Buch verbindet theologische Geschichtsschreibung mit einer aktualisierenden Gesetzesauslegung 123 D. Theologie -JHWH, der Gott individueller und kollektiver Lebensgeschichte, ist treu und gerecht -Buch erzählt unter Verwendung theologischer Formeln von JHWH -narrative Theologie! -Solidarität Gottes mit den Machtlosen -Relativierung menschlicher Macht -Zuwendung zu den Machtlosen E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -jüdische Liturgie gab dem Buch Rut seinen Platz im Wochenfest 124 § 17. Das Hohelied (Canticum) A. Bibelkundliche Erschließung -Gliederung: 1,1 Überschrift („Lied der Lieder“) 1,2-2,7: Lieder der Frau und des Mannes im Wechsel (A) 2,8-3,11: Lieder der Frau und eines Chores im Wechsel (B) 4,1-5,1: Lieder des Mannes (C) 5,1 „Berauscht euch an der Liebe“ 5,2-6,3: Lieder der Frau und eines Chores im Wechsel (B) 6,4-7,10: Lieder des Mannes und eines Chores im Wechsel (B‘) 7,11-8,7: Lieder der Frau (C‘) 8,8-10: Lieder der Frau und eines Chores im Wechsel (B) 8,11-14: Lieder des Mannes und der Frau im Wechsel (A) B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -ältere Forschung: Buch allegorisch gedeutet, d.h. im Hld wurde das Verhältnis von Mann und Frau im Anschluss an prophetische Bildreden auf das Verhältnis von JHWH und Israel bzw. auf das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche bezogen -danach: kultmythologische Interpretation: Hld als Vorstellung von Vereinigung zwischen Gott und Göttin -gegenwärtige Forschung: Sammlung profaner Liebeslieder -das Hld vereinigt ursprünglich selbstständige Lieder C. Entstehung 1. Die Form und die Formen des Hohen Lieds: -Sammlung von Liebesliedern -Literaturgeschichtliche Parallelen in altägyptischer Liebesdichtung und griechischer Bukolik (Lieder eines idealisierten Bauern- und Hirtenlebens) 2. Die Komposition und Redaktion des Hohen Lieds: -Autorschaft Salomos (Hld 1,1) verdankt sich redaktioneller Ergänzung -Hintergrund: Salomo als Bild für Luxus und Erotik -Buch dürfte nicht vor dem 3. Jh. v.Chr. in seiner Endgestalt vorliegen -als Verfassen kommen aufgrund der Parallelen zur Weisheitsliteratur am ehresten weisheitliche Kreise in Frage -für die Entstehung in Jerusalem sprechen die Erwähnung der „Töchter Jerusalems“, der Töchter Zions und die Salomofiktion 3. Die Situation und Funktion des Hohen Lieds: -ältere Forschung sah den Sitz im Leben in einer (siebentätigen) Hochzeitsfeier -neuere Forschung verortet zwar einzelne Lieder auch im Kontext von Gastmählern und Hochzeitsfeiern, lässt aber insgesamt die Frage nach dem Sitz im Leben des Buchs offen D. Theologie -Hld bietet wie das Buch Ester keine ausdrückliche Gottesbezeichnung; ebenfalls keine Anspielungen auf Gott oder auf die Geschichte Israels -zu den wesentlichen Lebensgenüssen gehört die Liebe zwischen Mann und Frau (Gen 2,20-24) -wie in Gen 2,24 finden sich Ansätze zum Phänomen der personalen Liebe E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -in der jüdischen Liturgie als Rolle für den 8. Tag des Pascha-Mazzot-Festes -genereller Einfluss auf die Mystik und auf die abendländische Dichtung 125 § 18. Das Koheletbuch (Der Prediger Salomo) A. Bibelkundliche Erschließung -Buchtitel im Hebräischen nach qahal („Versammlung“) benannt -Gliederung: 1,1-3 Prolog mit Angabe des Themas der Erkenntnis Kohelets 1,4-11 Einleitung: Reflexion über die stete Wiederkehr derselben 1,12-2,26 „Königstravestie“: Der königliche Kohelet auf Weisheitssuche 3,1-15 Reflexionen über die Zeit 3,16-6,12 Reflexionen über soziale und ökonomische Kontexte des Menschen 3,16-22 Das korrumpierte Recht 4,1-16 Die korrumpierte Gesellschaft 7,1-8,15 Reflexionen über das für den Menschen wahrhaft Gute 8,16-10,20 Reflexionen über die Leistungsfähigkeit der Weisheit 11,1-12,7 Schluss 12,8-14 Epilog mit Informationen über den Weisheitslehrer Kohelet -Zuschreibung an Salomo weist auf die mit dem König Salomo verbundene Tradition vom weisen und gerechten König hin -Koh 1,2 gibt einen Leitsatz der Schrift: „Es ist alles ganz vergänglich“ sprach Kohelet, „es ist alles ganz vergänglich.“ -Koh 1,3 benennt die Ausgangsfrage: „Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?“ -Grundelemente der Argumentation basieren auf Reflexionen über soziale, ökonomische, religiöse Kontexte, über das für den Menschen wahrhaft Gute und über die Leistungsfähigkeit der Weisheit -Aufbau der Reflexionen Kohelets: 1. Fragen zum Wesen des Menschen 2. Verknüpfung mit eigenen Beobachtungen in Natur und Kultur 3. Gegenüberstellung mit traditionellen Weisheitssätzen 4. Schlussfolgerung als Antwort auf die gestellte Frage -Leitwörter und Leitformeln im Buch Kohelet: Wissen Vergängliches Weisheit Herz Schicksal Mühsal Freude „ich sagte/sprach in meinem Herzen“ „ich erkannte“ „ich sah“ „Haschen nach Wind“ „unter der Sonne“ B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige 1. Das Koheletbuch im Rahmen der Geschichte der atl. Weisheit: -Buch setzt sich kritisch mit der traditionellen Weisheit auseinander -Weisheit besitzt für Koh nur einen relativen Wert, der sich jeweils neu bewähren muss -Vorstellung, mit Weisheit das Leben bewältigen zu können, findet Grenze an den von Gott gesetzten Zeiten -Koh betont die Bedeutung des Lebens und ruft zu dessen Genuss auf („carpe diem“) -carpe-diem Motiv hat altorientalische Parallelen (Gilgamesch-Epos; Harfnerlieder) 126 2. Die Frage nach dem literarischen Charakter des Koheletbuchs: -Werk gehört, was die zeitliche Einordnung betrifft, zu den rätselhaftesten im AT; Gründe sind -die fehlende Analogielosigkeit -kompositionelle Unterschiede zwischen dem Traktat und den Spruchgruppen in Kap. 3 -Kritik an Grundüberzeugungen der Weisheit -Distanz zur geschichtlichen und prophetischen Überlieferung des AT -Nähe zu vorderorientalischen und griechischen Weisheitstexten -neuere Forschung vertritt die literarische Integrität des Buchs (wenn auch mit Ausnahmen) -Charakterisierung des inhaltlichen Profils kann sich von der Beschreibung Kohelets als Skeptiker, der im AT einen Fremdling darstelle, bis hin zu seiner Beurteilung als Toralehrer erstrecken C. Entstehung des Koheletbuchs 1. Die Form des Koheletbuchs: -Buch kombiniert Gattungen aus der Weisheit zu ausgedehnten Reflexionen in der 1. Ps. Sg. (Selbstberichte), die den Charakter von Traktaten annehmen -Gattungsmäßig bildet das Buch eine Lehre bzw. Lebenslehre 2. Die Komposition und Redaktion des Koheletbuchs: -Werk stammt erst aus der Mitte des 3. Jh. v.Chr. 3. Die Situation und Funktion des Koheletbuchs: -Buch reflektiert Verhältnis zwischen eigener Erfahrung und traditioneller, optimistischer Weisheit -Buch unternimmt Versuch, mit Mitteln der atl. Spruchweisheit philosophisch zu argumentieren -Kohelet dürfte ein Schriftgelehrter (sopher) gewesen sein, der junge Männer der Jerusalemer Oberschicht unterrichtete -Ziel ist eine Anleitung zum gelingenden Leben angesichts der Ambivalenz der Lebenserfahrung D. Theologie des Koheletbuchs -anthropologischer Ausgangspunkt -Reflexionen über den Menschen führen zu Reflexionen über Gott -Mensch und Welt erscheinen als letztlich nicht begründbares, aber sinnvoll geordnetes Werk Gottes -Frage nach Gottes Gerechtigkeit -Kohelet rät zur Furcht Gottes und zum Genuss des Augenblicks -Kohelet sieht den Tod als absolute Grenze Alttestamentliche Vorstellungen vom Leben nach dem Tod: -Grundsätzlich: starke Diesseitsorientierung im AT -Nach dem Tod dämmert der Einzelne als Schatten noch solange in der Unterwelt, wie Menschen an ihn denken -in einzelnen atl. Texten: Vorstellung, dass der Mensch nach dem Tod ein Leben hat -seit der Mitte des 3. Jh. v.Chr. existieren vier Vorstellungskreise: 1. Hoffnung auf eine den Tod überdauernde Gottesgemeinschaft (Ps 73,23f.) 2. Erwartung einer selektiven Auferstehung (ewige Glückseligkeit/ewige Verdammnis) 3. Überzeugung von der Unsterblichkeit der Seele der Frommen (Ps 49, 16) 4. universale Hoffnung, Gott werde einst den Tod vollständig entmachten -Gott hat Macht über den Leben zerstörenden Tod 127 E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -seit dem Mittelalter: Ort im jüdischen Gottesdienst als Festrolle für das Laubhüttenfest -Theologie der Reformatoren: Luther sah Koh als Schrift gegen den freien Willen (1526) 128 § 19. Die Klagelieder Jeremias (Threni) A. Bibelkundliche Erschließung -Titel („Klagelieder Jeremias“) hat drei Hintergründe: 1. Überschrift in der Septuaginta 2. Notiz über Jeremia als Klagesänger in 2Chr 35,25 3. Stellung der Klgl in der Septuaginta und der Vulgata im Anschluss an das Buch Jeremia -Gliederung: 1 Erstes Lied: Die verlassene Stadt Jerusalem 2 Zweites Lied: Die von Gottes Zorn getroffene Stadt 3 Drittes Lied: Meditation über Gottes Zorn und Gnade 4 Viertes Lied: Sünde und Sühne der Stadt 5 Fünftes Lied: Das Gedenken Gottes -Schlüsselmotive: Zorn Gottes als Grund des Leidens Sünden Jerusalems als Ursache des göttlichen Zorns Bekenntnis der Sünde und Aufruf zur Buße Aufruf zum Gottvertrauen B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Klagelieder setzen Eroberung und Zerstörung Jerusalems 587/6 v.Chr. voraus C. Entstehung der Klagelieder 1. Die Form des Buchs und der einzelnen Lieder: -Buch bildet eine Gattung eigener Art -Gattungsbezeichnung: „anthologisches Meditationsbuch“ -fünf Bücher Mose --- fünf Bücher Davids --- fünf Klagelieder Jeremias -fünf Lieder sind ursprünglich eigenständige Dichtungen Die Leichen- oder Totenklage: -kann aus sechs Bausteinen bestehen: 1. Klageruf 2. Leidbericht 3. Beschreibung des eigenen Weinens und der Qualen 4. Aufzählung der Leidtragenden bzw. der vom Leid Betroffenen 5. Ausdruck des Wartens auf Mitleid der Vorübergehenden 6. Rachewunsch 2. Die Komposition und Redaktion der Klagelieder Jeremias: -Lieder stehen alle unter dem Einfluss der deuteronomistischen Deutung des Exilsgeschicks -Autor ist nicht Jeremia -Lieder sind im Laufe des 6.-4. Jh. v.Chr. entstanden -literargeschichtliche Entstehung: Klgl 2 Klgl 1 Klgl 4 Klgl 5 Klgl 3 -Verfasserschaft in der Forschung umstritten, aufgrund der Kritik an Priestern und Propheten einerseits, der Verbindung zum Jerusalemer Tempel andererseits wird am ehesten levitische Tempelsänger hinter der Abfassung vermutet 3. Die Situation und Funktion der Klagelieder Jeremias: -Klgl sind Lesetexte der unter den Folgen der Zerstörung Jerusalems und seines Tempels leidenden Frommen -Schriftauslegung und eschatologische Geschichtsdeutung prägen das Werk 129 -liturgische Verwendung der Lieder ist nicht nachweisbar D. Theologie der Klagelieder -Bekenntnis zu Gottes Handeln in der Geschichte und zu seiner Gerechtigkeit -Gottes Ferne ist kein Zeichen göttlicher Ohnmacht, sondern göttlicher Strafe -Frage nach Gottes Gerechtigkeit findet Antwort im Bekenntnis zur Sünde des einzelnen Menschen und der Anerkennung einer menschlichen Schuldgemeinschaft (Klgl 3,39) E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -im jüdischen Gottesdienst seit dem 6. Jh. n.Chr. als Festrolle für den Gedenktag der Zerstörung Jerusalems im Jahr 587/6 v.Chr. und im Jahr 70 n.Chr. durch die Römer 130 § 20. Das Esterbuch A. Bibelkundliche Erschließung -Gliederung: 1,1-2,23 - Die Exposition 1,1-2,4 Konflikt des persischen Königspaares Xerxes und Waschti 2,5-23 Auftreten Esters und Auftreten Mordechais 3,1-8,17 - Der Hauptteil Anlass und Organisation der Vernichtung der Judan, Mordechais Rettungsplan, Ester bei König Xerxes, der Racheplan der Juden, Glück und Sieg der Juden 9,1-10,3 - Der Schluss 9,1-19 Die jüdische Gegengewalt 9,20-32 Die Stiftung des Purimfestes 10 Die Bedeutung Mordechais -Grundgerüst der Gesamtkomposition durch: Zeitangaben paarweise angeordnete Festgelage und zwei Fastenriten Zitation schriftlicher Urkunden einzelne Leitwörter o Gesetz o Volk Konstellation der handelnden Personen -Inhalt: Forderung Hamans, dass alle den „huldigen Kniefall“ zu vollziehen haben; Weigerung Mordechais dient als Anlass, sämtliche Juden im Reich des Xerxes zu vernichten; Glück und Sieg der Juden; weisheitliche Intentionen: Hochmut kommt vor dem Fall (Spr 16,18)/Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Spr 26,27) B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -blockweise Konzentration auf einzelne Figuren -teilweise fehlende Übergänge zwischen den Blöcken und nur lose verankerte Begründung des Purimfestes deuten auf literarische Vorstufen hin C. Entstehung des Esterbuchs -Buch bildet eine Diasporanovelle mit lehrhaftem Charakter -hierfür typisch sind: Konzentration auf ein Ereignis Situationsbezogenheit Anschein eines einmaligen geschichtlichen Ereignisses Beschränkung auf wenige Einzelpersonen Wende zum Guten Abschluss -Ester ähnelt (aufgrund der Ausführlichkeit) einem Roman -literaturgeschichtliche Berührungen mit Josefsgeschichte und Danielerzählungen -Buch weist historische Inkongruenzen auf -Esterbuch trägt keine Verfasserangaben -Datierung in die ausgehende Perserzeit oder beginnende hellenistische Zeit -kompositionsgeschichtlich wurden drei ursprünglich selbstständige Erzählungen miteinander verknüpft 131 -Entstehungsort ist vermutlich die östliche Diaspora -Thema des Buches: jüdisches Leben und Überleben in der Fremde D. Theologie des Esterbuchs -Esterbuch nennt weder den JHWH-Namen, noch eine andere Gottesbezeichnung -dennoch indirekte Bezeugung, dass JHWH der Gott Israels und Herr der Geschichte ist -Ester steht theologisch nicht in der Mitte des AT, wenn es auch literarisch zu dessen Meisterwerken gehört E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte Festrolle und Lesetext für das Purimfest 132 § 21. Das Danielbuch A. Bibelkundliche Erschließung -Buch trägt Titel nach dem Namen seines Helden Daniel („Es richtet Gott/Mächtig ist Gott“) -Gliederung: 1,1-21 Exposition (hebräisch): Daniel und seine Freunde als Weise am babyl. Hof 1,1 Zur Zeit des babylonischen Königs Nebukadnezzar 2,1-7,28 Erster Hauptteil (aramäisch): Erzählungen vom Traumdeuter Daniel und seinem Gott 2,1 Im 2. Jahr der Herrschaft des babylonischen Königs Nebukadnezzar 3,1 Zur Zeit der Herrschaft des babylonischen Königs Nebukadnezzar 3,31 Zur Zeit der Herrschaft des babylonischen Königs Nebukadnezzar 5,1.30 Letztes Jahr der Herrschaft des babylonischen Königs Belschazzar 6,1 Zur Zeit der Herrschaft des „medischen“ Königs Darius 7,1-28 Daniels Traum von den Tieren und Vision vom Menschensohn 7,1 Im 1. Jahr der Herrschaft des babylonischen Königs Belschazzar 8,1-12,13 Zweiter Hauptteil (hebräisch): Visionen Daniel vom endzeitlichen Gericht Erwähnung des babylonischen Königs Belschazzar (8,1); des medischen König Darius (9,1) und des persischen Königs Kyros (10,1) -im Mittelpunkt des ersten Hauptteils steht die narrative Entfaltung der Königsherrschaft Gottes in der Gegenwart -im Mittelpunkt des zweiten Hauptteils steht die visionäre Beschreibung der Königsherrschaft Gottes in der Zukunft -der „Alte an Tagen“ lässt sich mit Gott in seiner Funktion als Herr von Zeit und Ewigkeit identifizieren -so klar dies ist, so unklar ist, wer mit dem „Menschensohn“ gemeint ist Der Menschensohn: -nach Dan 7,13 ist er eine einzelne himmlische Gestalt, ein Engel -in Dan 7,18.21f. übernehmen dann die „Heiligen des Höchsten“ die Funktion des Menschensohnes, der damit zu einer kollektiven Größe wird -Bezeichnung „Heiligen des Höchsten“ ist nicht eindeutig; gemeint sein könnten Engel oder eine Gruppe besonders JHWH-treuer Menschen -Bezeichnung „Menschensohn“ ist im Buch Ezechiel 93mal ein Titel des Propheten, die Bezeichnung für eine himmlische Gestalt ist womöglich erst eine Erfindung des Verfassers von Dan 7 -trifft dies zu, dann sind die Typen eines Menschensohnes und deren Verknüpfungen mit Vorstellungen eines Messias erst ein Produkt der Rezeptionsgeschichte von Dan 7 -Visionen im zweiten Hauptteil gruppieren sich um ein Bußgebet (9,4-19) -Engel Gabriel fungiert als Deutefigur (angelus interpres) -Buch endet mit einer Seligpreisung und der Verheißung der Auferstehung an Daniel (12,12f.) B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -Sprachenwechsel hebräisch/aramäisch -Wechsel der Erzählperspektive vom Fremdbericht in der 3. Ps. Sg. (Kap. 1-6) zum Selbstbericht in der 1. Ps. Sg. (Kap. 7-12) -weitere formale und inhaltliche Besonderheiten: Widersprüche in der Chronologie (1,5 versus 2,25) Differenz in den Namen der Helden: Daniel versus Schadrach, Meschach und AbedNego unterschiedliche Danielbilder: idealer Diasporajude versus Empfänger der von ihm selbst rätselhaften Offenbarungen 133 unterschiedliche Vorstellung von Engeln: Retterfiguren versus Offenbarungsmittler Ungenauigkeiten von historischen Angaben andere Gestalt des Buches in der LXX C. Entstehung des Danielbuchs 1. Die Form des Danielbuchs -Buch als Mischung von Diasporalegenden und Visionsberichten -Diasporalegenden entsprechen dem Typ der Hof- und Aufstiegsgeschichte -Visionsberichte haben innerbiblische Parallelen in den Schilderungen prophetischer Offenbarungen -als Zukunftsschau stilisierte Weissagungen sind sog. vaticinia ex eventu, d.h. Weissagungen, die auf das Ereignis, das als zukünftig angekündigt wird, bereits zurückschauen und dieses nun für die Gegenwart deuten -Mermale der Visionsschilderungen des Danielbuchs: 1. Mitteilung besonderer göttlicher Geheimnisse 2. Deutung dieser Geheimnisse durch einen Engel 3. Bezug auf zeitgeschichtliche Ereignisse 4. dualistische Tenzenden (Heil-Unheil; gottesfürchtig-gottlos etc.) Die frühjüdische Apokalyptik: -Kennzeichen der Apokalyptik sind: chronologisch-schematisierte Geschichtsschau Theorie einer negativen Entwicklung der Geschichte Reflexionen über die Zukunft der Toten -jüdische Apokalyptik speist sich aus der atl. Weisheit und Prophetie und ist ein Phänomen von umfassenden politischen, religiösen und wirtschaftlichen Krisen -literarische Gattung der Apokalyptik ist die Apokalypse -inhaltlich geht es hier um das Verhältnis zwischen der Weltgeschichte bzw. der Geschichte der Menschheit und dem Reich Gottes -sprachlich arbeitet die Apokalypse mit mythischen Anspielungen, Symbolen und Rätseln -Adressaten sind fromme Kreise 2. Die Komposition und Redaktion des Danielbuchs: -Grundstock des Buchs bilden die aramäischen Danielerzählungen in Kap. 2-6 -erste Erweiterung ist die Vision in Kap. 7 -Hebraisierung hängt vermutlich mit der Stellung als „heilige Sprache“ im Ggs. zum Aramäischen als Volkssprache zusammen -hebräische Rahmung ermöglichte die Aufnahme unter die „heiligen Schriften“ -schematisch hat das Danielbuch vier oder fünf Gestaltungsphasen durchlaufen -bei der Abfassung: Rückgriff auf weisheitliche Traditionen des AT 3. Die Situation und Funktion des Danielbuchs: -historische Angabe in 1,1 und 10,1 geben als erzählte Zeit (=fiktive Zeit der Handlung) die Epoche des Babylonischen Exils an, (598/7 v.Chr. bis 559-530 v.Chr. [Reg. Zeit persischer König Kyros II.]) -Milieu ist die babylonisch-persische Diaspora -in seiner Endgestalt geht das Buch auf die Zeit des Antiochus IV. zurück -Zeit zwischen 167 bzw. 165 v.Chr. -Daniel ist die jüngste Schrift des Alten Testaments 134 -für die Endredaktion kommen am wahrscheinlichsten schriftgelehrte, eschatologisch ausgerichtete Kreise in Jerusalem in Frage -Funktion des Buches: Bewältigung der Krisen -Daniel ist ein Trostbuch D. Theologie des Danielbuchs -Zentrum der Theologie: Vorstellung von JHWH als Lenker der Zeit -Universalität Gottes durch Eigenenamen wie „Gott des Himmels“; „Höchster“; „höchster Gott“; „König/Herr des Himmels“ -Dan entfaltet eine Angelologie (Lehre von den Engeln) -Engel erscheinen als: himmlische Wächter (4,10) Boten (6,23) Offenbarer (10,5) Deuter (9,16; 10,21) Heilige (7,18) -Menschensohn ragt hervor. Er übernimmt am Ende der Zeit die Gottesherrschaft (7,14) -Alleinverehrungsgebot und Bilderverbot bilden Richtpunkte eines von Weisheit und Frömmigkeit geprägten Lebens -Erwartung eines endzeitlichen Gerichts und Auferstehung der Toten E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -überragende Wirkungsgeschichte im antiken Judentum sowie im frühen und mittelalterlichen Christentum -NT: ca. 200 Anspielungen und wörtliche Zitate -Kunst, literarische Umsetzungen; Vertonungen 135 § 22. Das Esra-Nehemiabuch A. Bibelkundliche Erschließung -Bücher Esra und Nehemia werden in jüdischer Tradition als ein Buch überliefert 1. der masoretische Kolophon (Schlussabschnitt) zum Esrabuch steht erst in Neh 13,31 2. Buchmitte der Einheit wird bei Neh 3,31/32 angegeben -Zweiteilung (aufgrund Überschrift in Neh 1,1) ist erstmals bei Origenes (gestorben um 254 n.Chr.) bezeugt -Name der Bücher orientiert sich an den beiden Hauptfiguren Esra („Hilfe ist Gott“) und Nehemia („Es tröstet JHWH“) -Gliederung: Esr 1-6 Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels unter Serubbabel und Jeschua Esr 7-10 Einsetzung des Gesetzes für Juda unter Esra Neh 1-7 Wiederaufbau der Jerusalemer Stadtmauer unter Nehemia Neh 8-12 Die Verpflichtung auf das Gesetz unter Esra und Nehemia Neh 13,1-31 Durchsetzung der Verpflichtung unter Nehemia -Zentrales Thema des Buches ist die Konstituierung der reinen JHWH-Gemeinde, die sich in der heiligen Stadt Jerusalem um den JHWH-Tempel als Mittelpunkt kosmischer Ordnung und heilvollen Lebens versammelt -Thema wird in drei Schritten entfaltet: 1. Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels 2. Mauerbau und sozialer Ausgleich für die Gemeinde 3. Verpflichtung auf die Tora des Mose -Bogen der erzählten Zeit reich von Antritt der Perserherrschaft über den Vorderen Orient unter Kyros II. (539 v.Chr.) bis zum Abschluss der Reformen Nehemias in Jerusalem unter Artaxerxes I -geographischer Raum erstreckt sich von Babylon und Susa bis zu den Provinzen Samaria und Jehud; Zentrum ist stets Jerusalem, die „heilige Stadt“ -Personen, die auftreten: die unter der Herrschaft Kyros II. und Darius I. für den Wiederaufbau des Tempels verantwortlichen Scheschbazzar, Serubbabel und Jeschua, begleitet von Haggai und Sacharja der unter Artaxerxes verantwortliche „Schriftgelehrte und Priester“ Esra der unter Artaxerxes (I. oder II.) zuständige „Statthalter“ Nehemia Die Esra-Nehemia-Datierung: -Großkönig unter Nehemia ist aufgrund weiterer Personennennungen eindeutig Artaxerxes I. (465/4-425 v.Chr.) -bei Esra könnte es sich um Artaxerxes I. oder II. handeln -im ersten Fall handelt es sich um das Jahr 458 v.Chr., in welches Esra entsandt wird -im zweiten Fall geschieht die Entsendung im Jahr 397 v.Chr. -theologische Tendenz von Esr-Neh: Hochschätzung des Gesetzes des Mose -Dass Esra, der „Schreiber und Priester“, eine rein fiktive Gestalt ist, ist (trotz fehlender außerbiblischer Beweise) unwahrscheinlich -Strukturmerkmale der Gesamtkomposition: Beschreibung von Festen und die Mittelung von Gebeten Kontrastierung der Handlungsträger Verweis auf das Gesetz des Mose geschichtstheologische Hinweise auf die Hand oder das Auge Gottes Datierung einzelner Ereignisse 136 Gedenkformel, Gott möge gnädig an die vollzogenen Maßnahmen denken B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -komplexe Entstehungsgeschichte des Buches durch: 1. Sprachen- und Formenwechsel -Teile in Hebräisch/Teile in Aramäisch überliefert -Sprachwechsel deutet auf unterschiedliche Verfasser hin 2. Stilwechsel -Wechsel der Erzählperspektive (3. Ps. Sg. versus 1. Ps. Sg.) 3. Wechsel der Handlungsträger -Esr 1-6: Serubbabel und Jeschua -Esr 7-10/Neh 8: Esra -Neh 1,1-7,5: Nehemia 4. Das Gesetz Esras und die Historizität der zitierten Urkunden -Esra ist nach Esr 7,6.10 ein Schreiber, d.h. ein Schriftgelehrter, der sich genau in der Tora auskennt -nach den ältesten Schichten von Esr 7 verbirgt sich hinter dem „Gesetz“ Esras entweder ein nicht mehr erhaltenes oder ein später in den Pentateuch integriertes kürzeres Gesetz zur Regelung kultischer und rechtlicher Angelegenheiten in der Provinz Jehud („Juda“) C. Entstehung des Esra-Nehemiabuchs 1. Die Form des Esra-Nehemiabuchs: -Buch gehört zur theologisch orientierten Geschichtsschreibung -Wiedergabe von königlichen Erlassen, Briefen und Dialogen -exakte Datierungen und Namenslisten unterstreichen den historiographischen Charakter 2. Die Komposition und Redaktion des Esra-Nehemiabuchs: -drei Erzählblöcke (Es 1-6; Es 7-10/Neh 8-10; Neh 1-7; 11-13) -basieren auf redaktionell miteinander verknüpften Quellen -umfangreichster, ursprünglich selbstständiger Block bietet Nehemia-Erzählung in Neh 1,1-7,5; 12,31-43; 13,4-31 -Serubbabel-Erzählung in Esr 1-6 bietet den geschlossensten Erzählblock innerhalb von EsrNeh 3. Die Situation und Funktion des Esra-Nehemiabuchs -wichtigste Quelle für die Geschichte Jehuds („Judas“) vom Beginn der Perserherrschaft über den Vorderen Orient 539 v.Chr. bis hin zu Mittel des 5. Jh. v.Chr. dar. -seit Ausgang des 6. Jh. v.Chr. kam es 1. zu einer Rückkehr von nach Babylonien deportierten Judäern 2. zur Errichtung einer eigenständigen Provinz Jehud 3. zur Wiederaufnahme des offiziellen Großkultes am Jerusalemer Tempel -literarisch steht im Mittelpunkt die Beschreibung Esras und Nehemias als religiöse Reformer Jehuds -Konzentration auf Jerusalem -Entstehungszeit wahrscheinlich zwischen dem letzten Drittel des 5. Jh. v.Chr. und dem beginnenden 3. Jh. v.Chr. -Funktion des Buchs ist die Mahnung zur Wahrung der eigenen religiösen, kulturellen und genealogischen Identität, die sich mit den Begriffen Reinheit und Einheit umschreiben lässt D. Theologie des Esra-Nehemiabuchs -hinter der Geschichte des „wahren Israel“ steht JHWH selbst 137 -Wiederaufbau des Tempels, die Entsendung Serubbabels, Esras und Nehemias stehen im Kontext einer göttlichen Führungsgeschichte -Motive von Gottes Auge, Hand -Motive von Zorn, Gnade oder Bund als Beschreibungen und Bestimmungen der Gotteserfahrungen und Gottesbeziehungen „Israels“ -„Erweckung“ der persischen Könige durch JHWH, den einzigen Gott und den Gott des Himmels und der Erde E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -im babylonischen Talmud wird Esra zum Verfasser der Chronikbücher -hohe Stellung im Judentum, Abwertung im christlichen Bereich 138 § 23. Die Chronikbücher A. Bibelkundliche Erschließung -Bezeichnung Chronik geht auf die lateinische Titulierung nach Hieronymus mit chronicon totius divinae historiae („Chronik der gesamten göttlichen Geschichte“) zurück -Zweiteilung ist über die Septuaginta in hebräische Bibelhandschriften und moderne Ausgaben eingedrungen -Gliederung: I 1-10 Die Genealogische Vorhalle oder von Adam bis zu den Einwohnern Jerusalems I 11-29 Die Geschichte Davids oder von der Gründung des Jerusalemer Tempels II 1-9 II 10-36 Die Geschichte Salomos oder vom Bau des Jerusalemer Tempels Die Geschichte der Könige Judas oder vom Schicksal des Jerusalemer Tempels Die Leviten: -besonders eifrige JHWH-Verehrer (Gen 34) -erscheinen in der vorexilischen Zeit als umherziehende Priester an lokalen Kultstätten -nach dem dtn. Priestergesetz (Dtn 18) sollen alle legitimen JHWH-Priester levitischer Abstammung sein -allein den Aaroniden wird der Vollzug des Opferdienstes zugestanden -am Aufstieg der Leviten zu den für alle Bereiche des Jerusalemer Tempelkultes zuständigen religiösen Funktionsträgern haben, neben der Priesterschrift, maßgeblich die Chr und die Bücher Esr-Neh Anteil. -im Mittelpunkt steht die Geschichte des Jerusalemer Tempels und des in seinem Umkreis gefeierten Gottesdienstes -Stammbäume, Listen, historische Notizen, paradigmatische Erzählungen und predigtähnliche Reden beinhalten die Chronikbücher -Zentrale Figur der Königsgeschichte ist David als idealer Krieger, Gesetzestreuer, Tempelgründer und Liturg, ein neuer Mose (1Chr 21,28f.) oder wie dieser ein „Mann Gottes“ -an der Frömmigkeit der einzelnen Könige entscheiden sich Glück oder Unglück der Gemeinschaft -JHWH ist der gerecht vergeltende und wunderbar handelnde Lenker der Geschichte -Motiv der Ruhe Israels vor den Feinden B. Literar- und forschungsgeschichtliche Problemanzeige -ab 1Chr 10 folgt die Chronik weitgehend 1Sam 31 - 2Kön 25 -Chr verfügt im Bereich der Königsgeschichte über narratives und listenmäßiges Sondergut -Chr literarisch nicht aus einem Guss Das Verhältnis der Chronik zu den Büchern Esra und Nehemia: -Abschluss der Chr (Aufruf des Kyros zum Tempelneubauch) wiederholt sich als Eröffnung des Buchs Esr-Neh (Esr 1,1-3) -gemeinsame kompositioneller Wechsel von Listen, Stammtafeln und Erzählungen, das in beiden Büchern artikulierte Interesse am Kult sowie die gemeinsame späte Sprachstufe haben die These von einem 1-2 Chr, Esr und Neh umfassenden Chronisitschen Geschichtswerk aufkommen lassen -hiergegen sprechen jedoch einige Punkte: Stellenwert der davidischen Dynastie und der Propheten Haltung ggü. den Bewohner des Nordreichs bzw. Samarias Mischehenproblematik Einsatz von Wundergeschichten -gegenwärtig finden sich vier Modelle zur Bestimmung des Verhältnisses von Chr und Esr-Neh 139 1. Esr-Neh werden in ihrem Grundbestand als eine Quelle des Verfassers eines die Bücher Chr, Esr, Neh umfassenden Chronistischen Geschichtswerk betrachtet 2. Esr-Neh werden als ein der Chr vorausgehendes, älteres Werk desselben Verfasserkreises („chronistische Schule“) bestimmt 3. Esr-Neh werden als jüngere Fortschreibung der Chr angesehen 4. Bücher der Chr einerseits und Esr-Neh andererseits werden als primär eigenständige und in ihrem Grundbestand zunächst unabhängig voneinander überlieferte Werke mit einer je eigenen Kompositions- und Redaktionsgeschichte angesehen C. Entstehung der Chronikbücher -Bücher gehören zur theologischen Geschichtsschreibung -es handelt sich um pragmatisch und paradigmatische Geschichtsschreibung, d.h. um eine die Geschichte im Blick auf Ursache und Wirkung hin reflektierende und deutende Darstellung -Chronik lässt sich auch als rewritten bible bezeichnen -Komposition und Redaktion der Chr gehören ausweislich ihrer Abhängigkeit vom Großwerk Gen 1 - 2Kön 25 und ihrer Integration von Esr-Neh in die mittlere bis ausgehende Perserzeit (5./4. Jh.v.Chr.) -als wesentliche personale Größen erscheinen die Leviten D. Theologie der Chronikbücher -Theologie der Chr ist ebenso universal wie partikular ausgerichtet -Israels Geschichte ist ein Teil der von JHWH gelenkten Weltgeschichte, die ihr Zentrum im Tempelbau zu Jerusalem besitzt. E. Hinweise zur Wirkungsgeschichte -chronistische Erhebung Davids zum Begründer des Tempelgottesdienstes und der Tempelmusik wirkten auf dessen Darstellungen als Musiker in der Kunst bis heute ein 140