Rede Marjan Sturm

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Rede des Obmanns des Zentralverbandes slowenischer Organisationen Dr.
Marjan Sturm anlässlich der Feier zum 60. Gründungsjubiläum
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Minister, sehr geehrter Herr
Landeshauptmann, liebe Ehrengäste, meine Damen und Herren!
Das Motto unserer heutigen Festveranstaltung verdanken wir dem dänischen
Philosophen Søren Kierkegaard. Es lautet: „Verstehen kann man das Leben nur
rückwärts, leben muss man es vorwärts.“
Wer bewusst lebt, muss sich seiner Vergangenheit stellen, auch wenn sie er
niemals vollständig durchdringen und nur verstehen kann, indem er sie sich auf
seiner Art und Weise zu eigen macht.
Die sechzigjährige Geschichte des Zentralverbandes der slowenischen
Organisationen steht im Spannungsfeld dieses komplexen Prozesses des
Erinnerns und Verstehens der Vergangenheit, der Akzeptanz neuer Erkenntnisse
und dadurch bedingt auch der Revision alter Ansichten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die durch Tod und Leid, Krieg und
Verfolgung, aber auch durch die Emotionalisierung der Politik verursachten
Traumen im Vordergrund. Trotz seiner militärischen Niederlage wirkten Reste
der nationalsozialistischen Denkungsart in so manchem Kopf noch geraume Zeit
fort.
In der Zeit des Wiederaufbaus und veränderter Lebensbedingungen war von
Vergangenem nicht viel die Rede.
Die Gründung des Zentralverbandes war die Antwort auf die Vergangenheit und
der erste ernsthafte Schritt nach dem Krieg in Richtung der Einbindung der
slowenischen Minderheit in Kärnten in die österreichische Gesellschaft – auf der
Grundlage des Österreichischen Staatsvertrages, insbesondere des Artikels 7. Da
über die Opfer des Nationalsozialismus in der österreichischen Öffentlichkeit
kaum gesprochen wurde, war es um so wichtiger, dass Organisationen wie der
Zentralverband der slowenischen Organisationen und die ihm vereinigten
Verbände wie der Verband der ausgesiedelten Slowenen und der Verband der
Kärntner Partisanen entstanden, die den Opfern ein zwar privates, aber
wenigstens weitestgehend unbehelligtes Gedenken ermöglichten.
Gerade angesichts der Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg zeigte
sich die Spaltung der Kärntner Gesellschaft. Der Kalte Krieg bestimmte den
Rahmen, und auch der Kampf für die Umsetzung der Minderheitenrechte war
durch die ideologische und andere Teilungen geprägt.
Man hätte sich viele Zwistigkeiten und Konflikte ersparen können, und das
Ansehen des Landes hätte im In- und Ausland weit weniger gelitten, wenn der
Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages sofort nach seiner
Unterzeichnung im Jahr 1955 erfüllt worden wäre. Auch der slowenischen
Minderheit wären substanzielle Verluste erspart geblieben.
In der Zwischenzeit hat sich vieles verändert. Die slowenische Sprache und Kultur
werden zu einem immer selbstverständlicheren Bestandteil der Kärntner
Gesellschaft. Den slowenischen Kulturvereinen kommt eine äußerst wichtige
Rolle bei der Entwicklung des Profils unseres Landes zu. Wir sind stolz, in einem
Land leben zu dürfen, wo so wichtige Literaturschaffende wie Christine Lavant,
Peter Handke, Peter Turrini, Josef Winkler, Valentin Polanšek, Florjan Lipuš, Maja
Haderlap, Andrej Kokot und viele andere geboren wurden und tätig waren. Rudi
Benétik, Valentin Oman und zahlreiche andere bildende Künstler repräsentieren
gleichberechtigt und gleichwertig den kulturellen Herzschlag unseres Landes.
Noch vor fünfzig Jahren sah die Welt ganz anders aus. Es gab noch ein
geschlossenes Siedlungsgebiet, in dem das Slowenische heimisch war und wo es
im Alltag gebraucht wurde. Dieses geschlossene Siedlungsgebiet zerfiel
zusehends und wurde immer löchriger. Die moderne Mobilität ermöglich das
Überwinden gewaltiger Distanzen, wodurch auch die Voraussetzung für die
Verwendung der verschiedensten Kommunikationsmittel und Sprachen
geschaffen wurde. Dadurch gewinnt die Sprache einen neuen Stellwert, die
Sprachpflege bekommt neue Dimensionen, denn der Spracherwerb findet nicht
mehr in der vertrauten heimischen Umgebung statt, sondern muss mit
Engagement bewusst und gezielt betrieben werden.
Wir sind auch mit neuen Phänomenen, die neue Herausforderungen bergen,
konfrontiert: Menschen in Bewegung, auf der Flucht vor Kriegen, denen Ruinen
und Trümmer nicht einmal die Grundvoraussetzungen für ein Überleben bieten.
Noch unbekannte Sprachen und noch nicht vertraute kulturelle Erfahrungen
kommen auf uns zu und treffen auf die hiesigen, heimischen Ausdrucksformen.
Dadurch werden wir zum Nachdenken genötigt, oft beginnen wir sogar von
selbst damit – wenn wir uns nur bemühen und für Kontakte offen sind.
Gerade die Erfahrung der Vertreibung der Kärntner Slowenen im Jahr 1942 und
weitere nazistische Gräuel in ganz Europa, nach dem Ende des Zweiten
Weltkrieges auch auf Seiten der Sieger, als europaweit Millionen Menschen auf
der Flucht waren, muss uns alle, die Mehrheit wie die Minderheit im Lande, zu
einem achtsamen Umgang mit der Flüchtlingsproblematik bewegen.
Die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht belegen das wachsende
Interesse für das Slowenische. Die Motive, Slowenisch zu lernen, sind höchst
unterschiedlich. Wir dürfen jedoch nicht in den Fehler der Vergangenheit
verfallen, und jeden, der Slowenisch lernt, gleich für die Volksgruppe
vereinnahmen. Der Pluralität der Interessen und Identitäten sind Respekt und
Wertschätzung entgegenzubringen.
„Unter diesen Umständen das Seine betonen und die Vorzüge des Eigenen dem
anderen anzubieten, ohne sich dabei selbst zu verlieren, ist eine neue
Herausforderung: für die Minderheit, für die Demokraten, für jeden einzelnen.
Die Sprache wird in einem Raum überleben, der nicht durch ein Territorium,
sondern durch Bewusstsein und Stolz geschützt wird“, stellte im Herbst des
vergangenen Jahres der Verleger Lojze Wieser in Bad Radkersburg fest, als der
Sender, der den Empfang des slowenischen Programms des ORF und von Radio
Agora in diesem Teil der Steiermark ermöglicht, seiner Bestimmung übergeben
wurde.
Der Zentralverband der slowenischen Organisationen hat seine Rolle in diesen
letzten Jahrzehnten mit Würde wahrgenommen, was aber nicht heißen soll, dass
keine Fehler begangen wurden.
Mein Vorgänger im Amte, der erste Obmann des Zentralverbandes, Dr. Franci
Zwitter, schuf durch die Gründung des Zentralverbandes und seine
federführende Mitgestaltung des ersten Memorandums mit den Forderungen
der Kärntner Slowenen auf der Grundlage des Artikels 7 des Österreichischen
Staatsvertrags an die Bundesregierung die programmatische Basis für mehrere
Generationen von Funktionären, die bis heutige ihre Gültigkeit hat.
Sein Nachfolger DI Feliks Wieser entwickelte das Konzept der Selbsthilfe, das die
Gründung privater zweisprachiger Kindergärten ermöglichte. Andere
Bildungseinrichtungen wie etwa das Jugendheim des Slowenischen Schulvereins
und die Studienbibliothek des Slowenischen Kulturverbandes wurden in dieser
Zeit modernisiert, auf den aktuellen Stand gebracht und konnten so ihre vitale
Wichtigkeit weiter unter Beweis stellen.
Jahre später konnten der damalige Obmann des Rates der Kärntner Slowenen,
Bernard Sadovnik, und ich die rechtliche Absicherung der Erhaltung der
zweisprachigen Kindergärten durchsetzen.
Das Verdienst des ehemaligen Vizeobmanns des Zentralverbandes Franc
Kukovica war die Schaffung der Voraussetzungen für die Gründung der
Pädagogischen Fachvereinigung, deren Vorsitz er auch jahrelang innehatte. Für
das zweisprachige Schulwesen war es wichtig, das 1964 die Absätze 2, 3 und 4
des Artikels 7 des Österreichischen Staatsvertrags von der Republik in
Verfassungsrang erhoben wurden. Dadurch wurde die Grundlage für wichtige
Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes in den Bereichen Schule
(Rechtsanwälte Serajnik und Prugger) sowie Amtssprache und zweisprachige
topgraphische Aufschriften (Rechtsanwalt Vouk) geschaffen.
Die slowenische Minderheit in Kärnten genoss in den vergangenen Jahrzehnten
so manche hilfreiche Unterstützung nicht nur von Seiten Sloweniens und
Jugoslawiens, sondern auch durch die österreichische Zivilgesellschaft, die
Universitäten, beide Kirchen und die Solidaritätsbewegung; durch all das wurde
so manche Zuspitzung der Lage im Lande verhindert. Besonders hervorzuheben
gilt es unseren Kampf gegen die Trennung im Schulbereich in den 1980er Jahren,
die damals vom Kärntner Heimatdienst gefordert wurde. Bei diesen
Bemühungen standen uns die Pädagogen und Wissenschaftler der Universität
Klagenfurt zur Seite. Oder die Bestrebungen für die Erweiterung des
Radioprogramms in slowenischer Sprache, die von unseren Freunden im
Umkreis der Gruppe Longo mai in Bad Eisenkappel durch eine erfolgreiche
Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erstritten
wurde. Dadurch wurde die Ausstrahlung des ganztägigen Radioprogramms des
ORF/AGORA auf der Frequenz 105,5 möglich.
Sehr geehrte Gäste, meine Damen und Herren!
Der Prediger Salomo sagt im Alten Testament, es gebe eine Zeit zum Lieben und
eine Zeit zum Hassen, eine Zeit für den Krieg und eine Zeit für den Frieden.
Die Generation meiner Eltern erlebte und erlitt zwei Weltkriege, mehrere
Wirtschaftskrisen und Zeiten des Mangels und der Entbehrung.
Meine Generation ist die erste, die bisher keinen Krieg erleben musste und in
Zeiten wachsenden Wohlstands großgeworden ist. Das ist die Frucht des
Friedensprojekts Europa, das sich der historischen Einsicht wichtiger Eliten
Deutschlands und Frankreichs im Jahr 1945 verdankt, die trotz der vielen Kriege,
die sie im 19. Jahrhundert und später gegeneinander geführt hatten,
beschlossen, auf Frieden und Miteinander zu setzen. Daraus entstand Europa.
Der Schluss liegt auf der Hand: Europa beginnt nicht in Brüssel und Straßburg,
Europa beginnt hier; Europa bin ich, Europa bist du, Europa sind unsere
Nachbarn im eigenen Land und jenseits der Grenzen.
Gerade in diesen Tagen wird deutlich, wie wichtig der Frieden ist und wie wichtig
das Miteinander; oder, anders gesagt, wie schnell Hass, übertriebener
Nationalismus und Chauvinismus zu Krieg und Verwüstung führen können.
Deshalb war es richtig, seinerzeit das Gespräch mit dem Obmann des Kärntner
Heimatdienstes Dr. Josef Feldner zu suchen. Denn nur das Gespräch bringt neue
Erkenntnisse und sorgt für das Überdenken von Standpunkten. Es war richtig,
das Bernard Sadovnik und ich uns für die Mitwirkung in der Konsensgruppe
entschieden haben. Dass sich die Stimmung im Lande zum Besseren gewandelt
hat, ist offensichtlich. Ich behaupte nicht, dass das das alleinige Verdienst der
Konsensgruppe sei, hier spielten auch andere, bereits erwähnte Akteure
entscheidende Rollen: Universitäten, Kirchen, Jugendorganisationen und viele
andere; ihren Beitrag hat die Konsensgruppe jedoch unzweifelhaft geleistet.
Wichtig ist auch, dass wir den Kompromiss in der Frage der zweisprachigen
Topographie akzeptiert haben. Auch diese Kompromisslösung trug zu
Beruhigung und Verbesserung der Stimmung im Lande bei. Ich weiß, jeder
Kompromiss schmerzt, doch ich will mir gar nicht ausmalen, was es bedeutete,
weitere zehn Jahre über zweisprachige Ortstafeln zu streiten. Diese Lösung
eröffnet bei gutem Willen und Konsens sogar die Option weiterer Ortstafeln auf
kommunaler Ebene.
Sehr geehrte Gäste, meine Damen und Herren!
Viele Ausschussmitglieder haben in den vergangenen 60 Jahren die Politik des
Zentralverbandes mitgeprägt. Ihnen gilt mein aufrichtiger Dank für ihr
Engagement, ihre aufopfernde Arbeit und ihre Beharrlichkeit, vor allem in den
Zeiten, die der slowenischen Volksgruppe nicht gewogen waren. Ich möchte
mich auch bei den ehemaligen und jetzigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern
aus den Reihen des Rates der Kärntner Slowenen und der Gemeinschaft der
Kärntner Sloweninnen und Slowenen bedanken.
Es ist für mich eine große Genugtuung festzustellen, dass das Konzept des
politischen Pluralismus des Zentralverbandes in den letzten Jahren noch
ausgebaut werden konnte: Unsere Vizeobfrau Ana Blatnik ist schon seit einigen
Jahren Mitglied des Bundesrates, im Vorjahr bekleidete sie sechs Monate lang
sogar das Amt der Bundesratspräsidentin. Die Vizeobfrau der Gemeinschaft der
Kärntner Sloweninnen und Slowenen Zalka Kuchling wurde in den Kärntner
Landtag gewählt. Das politische Bild in den Gemeinden ist auch durchaus
pluralistisch, was sich auf das Miteinander im Lande nur positiv auswirkt.
Wir haben viel erreicht, doch harren auch wichtige Aufgaben immer noch einer
Lösung. Dazu gehören die offenen Fragen nach der Finanzierung der
slowenischen Kulturheime, der slowenischen Studienbibliothek, der beiden
Wissenschaftlichen Institute und nicht zuletzt auch die Erhaltung der einzigen
laizistischen slowenischen Wochenzeitung Novice. Wir sind froh, dass eine
Systemlösung bezüglich der slowenischen Musikschule erzielt werden konnte,
wofür unser Dank besonders Landeshauptmann Dr. Peter Kaiser gilt, der trotz
der schwierigen Finanzlage des Landes die durch die Unterzeichnung des
Memorandums festlegte Vereinbarung umgesetzt hat. Wir sind überzeugt, dass
Landeshauptmann Kaiser, sobald sich die Landesfinanzen erholt haben werden,
die Unterstützung der Musikschule auf das vereinbarte Niveau anheben und
auch bei der Lösung der anderen oben erwähnten offenen Fragen helfen wird.
Am Ende darf ich mich auch bei den Vertretern der Republik Slowenien für all
das Augenmerk bedanken, das sie den gutnachbarlichen und freundschaftlichen
Beziehungen zwischen Österreich bzw. Kärnten und Slowenien und der
Minderheit bei ihren Bemühungen, die slowenische Sprache und Kultur zu
erhalten und zu entwickeln, schenkt und auch durch finanzielle Zuwendungen
fördert. Das Miteinander ist unser Schicksal, und unser Entschluss lautet: Wir
wollen es so kreativ und aktiv wie nur irgend möglich entwickeln.
Die slowenische Sprache und die slowenische Kultur gehören heute als
unverzichtbare Bestandteile zum kulturellen Profil des Landes. Weder
Minderwertigkeitskomplexe noch kollektive Depressionen sind angebracht.
Unser Entschluss lautet: Wir wollen als Kärntner Slowenen, österreichische
Staatsbürger und moderne Europäer selbstbewusst leben.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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