Aus dem kaum mehr erhältlichen Buch Boeckmann, Klaus-Börge/Brunner, Karl-Michael/Egger, Mariola/Gombos, Georg/Juric, Marija/Larcher, Dietmar (Hrsg.): Zweisprachigkeit und Identität. Klagenfurt/Celovec: Verlag Drava 1988, S. 9 - 64. (Originalpaginierung jeweils angegeben!) DIETMAR LARCHER SPRACHE, MACHT UND IDENTITÄT Eine Einleitung Die Geschichte jeder (auch der Kärntner) Zweisprachigkeit ist eine Geschichte des Zusammenhanges von Sprache und Macht. Sprache wird in modernen Gesellschaften von denen zu vereinnahmen versucht, die politische, ökonomische, kulturelle Autorität besitzen. Man bemächtigt sich der Sprache, um im Interesse einer Machtgruppe sprachliche Gleichschaltung zu erzielen, um unter dem Motto von Freiheit und Gleichheit soziale Abgrenzungen nach unten vorzunehmen, um sprachliches Leistungs- und »Anpassungstraining« zu verordnen, um Monopolstellung sprachlich zu dokumentieren. In jeder modernen Gesellschaft grenzen sich die sogenannte »Hochsprache«- eine durch politische Umstände zur herrschenden Sprache gemachte Sprachvariante - und die Fachsprachen von den Umgangssprachen ab. Diese herrschenden Sprachen, die Sprachen der Macht, werden zu Sprachbarrieren, die jene vom sozialen Aufstieg ausschließen, die ihrer nicht mächtig sind. Es ist, wie die Soziolinguistik betont, »niemals gleichgültig, wie man mit wem spricht und worüber wann und wo gesprochen wird. Kommunikation ist durch gesellschaftliche Machtfaktoren determiniert, insbesondere in institutionalisierten Sprechsituationen, wie dem Gericht, der Schule, auf Ämtern und nicht zuletzt im Gespräch mit dem Arzt« (WODAK 1982, S. 16). In diesen Kommunikationssituationen werden anhand der Sprache wesentliche gesellschaftliche Normen, Werte, Regeln, Verbote und Gebote durchgesetzt. Wer gut spricht 9 ============== (= wer die Hochsprache spricht), ist gut. Wer nicht gut spricht (= wer die Hochsprache nicht spricht), ist nicht gut. Wer sich am ehesten den herrschenden sprachlichen Normen anpaßt, von dem ist zu erwarten, daß er sich auch anderen Normen anpaßt. Wer sozialen Aufstieg anstrebt, tut gut daran, sich die Sprache der Macht zu eigen zu machen: ihre formalen Regeln, ihre bevorzugten Inhalte, ihre Tabus. Dies sind verallgemeinerbare Beobachtungen über das Verhältnis jeder Hochsprache zu ihren Umgangssprachen und Dialekten. Sie gelten erst recht, wenn die herrschende Hochsprache einer anderen Nationalsprache angehört als die Umgangssprache oder der Dialekt einer sprachlichen Minderheit, wie zum Beispiel im Elsaß, in Südtirol, in Südkärnten. In solchen Situationen verschärfen sich die Konflikte und Probleme derer, die in die Umgangssprache der Minderheit hineinsozialisiert werden. Im Grunde bieten sich in zweisprachigen Regionen für die Sprachkonflikte (die immer auch Identitätskonflikte der Sprecher sind) drei Lösungen an: totale Assimilierung (z. B. die Kroaten in Niederösterreich), Apartheid (z. B. Südtirol) oder eine Kultur des Zusammenlebens mit Mehrsprachigkeit (z. B. Singapur). In Kärnten hat es seit Beginn der Sprachkonflikte (etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts) Lösungsversuche in alle drei Richtungen gegeben; bis heute ist noch nicht eindeutig entschieden, welcher sich endgültig durchsetzen wird. Es ist noch offen, ob und wie in Kärnten eine Kultur der Zweisprachigkeit gesellschaftlich gesichert werden kann. Nicht zuletzt wird es davon abhängen, ob sich das herrschende falsche Bewußtsein, welches in slowenisch-deutscher Zweisprachigkeit etwas Problematisches, Unnützes, wenn nicht gar Schädliches erblickt, das dem Erlernen des Deutschen im Wege sei, das keinerlei praktischen Wert habe und die stabile Identität gefährde, ob sich dieses falsche Bewußtsein vieler Bewohner der Region durch ein S 2 angemesseneres Bescheidwissen über Vorteile und Chancen der Zweisprachigkeit wird ersetzen lassen. Wer nur auf die Statistik blickt, wird unter dem Eindruck der Zahlen zur Annahme neigen, daß die totale Assimilierung nur mehr eine Frage der Zeit ist: 10 =================== 1880 1910 1981 85.051 slowenischsprachige Kärntner 66.463 slowenischsprachige Kärntner 16.552 slowenischsprachige Kärntner (Die Zahl von 1981 schließt alle jene ein, die eine Sprachkombination mit Slowenisch oder Windisch angaben! Zitiert nach LUKAN 1979, S. 85; SUPPAN 1983, S. 18 u. 52 ff.; AG ZWEISPRACHIGKEIT UND IDENTITÄT 1987, S. 66). Diese überaus starke Tendenz zur Assimilierung ist keinesfalls ein »natürliches« Phänomen, sondern die Folge zahlreicher komplexer, miteinander auf verschiedene Art verflochtener objektiver und subjektiver Faktoren. Dem Alltagsbewußtsein mag sich dieser schwer durchschaubare Prozeß als quasi-natürlich darstellen. Dem Sozialwissenschaftler, der hinter die oberflächliche Erscheinung zu blicken versucht, um das Phänomen der Assimilation als von Menschen gemacht und daher auch von Menschen veränderbar zu begreifen, wird die Assimilation - nicht nur der Kärntner Slowenen, sondern auch zahlreicher anderer Minderheiten - als ein Zusammenspiel politischer, ökonomischer, kultureller, psycho-sozialer Prozesse erscheinen. Das erstaunliche daran ist vor allem, daß Assimilation von europäischen Minderheiten relativ häufig ohne militärische Gewalt, ohne physische Repression vor sich geht. Der Versuch der Nationalsozialisten, die Kärntner Slowenen zum Verschwinden zu bringen, war nicht so erfolgreich, wie es die Machthaber geplant hatten. Selbst die Statistik -obwohl mit Vorsicht zu interpretieren - zeigt wenig Veränderung zwischen 1939 (43.179 Slowenen) und 1951 (42.059 Slowenen), wenn auch manche intervenierende Variablen zu berücksichtigen sind. Das genauere Erforschen des Assimilationsmechanismus fördert gar nicht selten zu Tage, daß Erzieher, Kulturarbeiter, Beamte und andere Hilfsfreiwillige aus den Reihen der Minderheit das Anderssein der Minderheit mit missionarischem Eifer einzuebnen versucht haben. Die jeweils herrschende Macht hat genügend Personal, um in den Institutionen und in der Öffentlichkeit ihre Sprache als Symbol ihres Herrschaftsanspruchs durchzusetzen. Das wurde oft genug untersucht (vgl. dazu z. B. WODAK 1982, u. v. a.). Auch die Kärntner Spielart des Zusammenhangs von 11 ================ Sprache und Macht ist - zumindest auf der Ebene der objektiven Faktoren wissenschaftlich ausführlich behandelt worden (vgl. dazu HAAS/STUHLPFARRER 1977, LUKAN 1979, MORITSCH 1980, RUMPLER 1981, FILLA u. a. 1982, AG VOLKSGRUPPENFRAGE 1982 und 1984, SUPPAN 1983, BARKER 1984, REITERER 1986, REKTORENKONFERENZ 1988). Was noch weitgehend fehlt, ist die Untersuchung des subjektiven Faktors der Assimilation. Wenn man verstehen will, wie Assimilationsprozesse ausgelöst werden, wie sie von Individuen erlebt werden, wie und warum Individuen zu Agenten oder S 3 Opponenten von Assimilationsprozessen werden, muß man subjektive Verarbeitungsformen des objektiven historischen Prozesses untersuchen. Nur dadurch ist es möglich, den komplexen Mechanismus von Minderheitenassimilation genau zu durchschauen, Selbstaufklärung über die undurchschaute Genese der eigenen kollektiven Identität zu betreiben und den Assimilationsprozeß als eine gesellschaftliche Option erfahrbar zu machen - eine Option, die hohe psychische und soziale Kosten erfordert; eine Option, die kein notwendiges Naturschicksal darstellt, sondern durch eine andere Option (z. B. die Kultur des Zusammenlebens in einer zweisprachigen Gesellschaft) ersetzt werden könnte. Diese Studie will die subjektive Seite der Assimilation untersuchen. Ihr Ziel ist es, Ursachen, Phänomene und Folgen des nunmehr 150 Jahre währenden Kärntner Volksgruppenkonflikts darzustellen - beschränkt auf die Verar- beitungsformen der betroffenen Subjekte. Angestrebt wird eine Rekonstruktion der psycho-sozialen Situation der Bewohner Südkärntens, soferne sie slowenischer Herkunft sind. Es geht daher im folgenden nicht um die Rekonstruktion äußerer Fakten und Ereignisse (wir verlassen uns auf die Daten der Geschichtswissenschaft), sondern um das psychische Substrat dieser Fakten und Ereignisse. Wir untersuchen das kollektive Gedächtnis, das Alltagsbewußtsein und die Selbstdarstellung jener Bewohner Südkärntens, die in irgendeiner Weise von der Zweisprachigkeit in dieser Region betroffen sind - sowohl derjenigen, die in ihrem Alltagsleben Zweisprachigkeit praktizieren, als auch jener, die ihre zweisprachige Sozialisation verdrängt haben. 12 ============== Wir wollen wissen, wie gesellschaftliche Strukturen in die Psyche eingewandert sind; wie die sozioökonomischen und sozio-kulturellen Bedingungen zu Beginn der Assimilationsbewegung im kollektiven Gedächtnis bewahrt werden; wie die Ausbildung von Identität davon beeinflußt wurde/wird; wie typische psychische Strukturen und unbewußte Traumata (»Urangst«) damit zusammenhängen; wie Spracherwerbsprozesse in der zweisprachigen Kindheit unserer Interviewpartner aussahen; wie Sprachmuster der Regionalkultur unter dem Einfluß von Konflikten und Widersprüchen, von Assimilationsdruck und kultureller Notwehr geprägt werden; wie Fremd- und Feindbilder einzelner Gruppierungen (Identitätstypen) aussehen; welche Bedeutung der Faktor Geschlecht in einer Mehr heitsMinderheitssituation für betroffene Individuen haben kann; wovon die ethnisch-nationale Selbstdefinition der Angehörigen verschiedener Subkulturen in der Region beeinflußt wird; wie die »Mikrophysik der Macht« (FOUCAULT) die Identitätsbildung zweisprachig sozialisierter Menschen bestimmt. VERWENDETE LITERATUR AG ZWEISPRACHIGKEIT UND IDENTITÄT (BOECKMANN, K.-B./BRUNNER, K.-M./EGGER, M./ GOMBOS, G./JURIC, M./LARCHER, D.): Projekt »Zweisprachigkeit und Identität«, Endbericht. Klagenfurt 1987. ARBEITSGEMEINSCHAFT VOLKSGRUPPENFRAGE (Hrsg.): Kein einig Volk von Brüdern. Studien zum Mehrheiten-/Minderheitenproblem am Beispiel Kärntens. Wien 1982. ARBEITSGEMEINSCHAFT VOLKSGRUPPENFRAGE (Hrsg.): Zwischen Selbstfindung und Identitätsverlust. Ethnische Minderheiten in Europa. Wien 1984. BARKER, Th. M.: The Slovene Minority of Carinthia. New York 1984. S 4 HAAS, H./STUHLPFARRER, K.: Österreich und seine Slowenen. Wien 1977. FILLA, W./FLASCHBERGER, L./PACHNER, F./REITERER, A. F.: Am Rande Österreichs. Wien 1982. LUKAN, W.: Die Slowenen in Kärnten - von den Anfängen bis 1918. In: DEAK, E. (Hrsg.): Die Volksgruppen in Österreich. Integratio Bd. XI/XII. Wien 1979, S. 69-88. MORITSCH, A.: Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die slowenische Nationalbewegung in Kärnten bis zum Ersten Weltkrieg. In: Das gemeinsame Kärnten/Skupna Koroska. Bd. 9. Klagenfurt 1980, S. 44-55. ÖSTERREICHISCHE REKTORENKONFERENZ, ARBEITSGRUPPE »LAGE LIND PERSPEKTIVEN DER VOLKSGRUPPEN IN ÖSTERREICH« (Hrsg.): Endbericht. Vervielfältigtes Manuskript. Wien 1988. Erscheint demnächst. REITERER, A. F.: Doktor und Bauer. Ethnischer Konflikt und sozialer Wandel. Die Sozialstruktur der slowenischen Minderheit in Kärnten. Klagenfurt/Celovec 1986. RUMPLER, H. (Hrsg.): Kärntens Volksabstimmung 1920. Wissenschaftliche Kontroversen und historische Diskussionen anläßlich des internationalen Symposions Klagenfurt 1980. Klagenfurt 1981. SUPPAN, A.: Die österreichischen Volksgruppen. Tendenzen ihrer gesellschaftlichen Entwicklung im 20. Jahrhundert. München 1983. WODAK, R.: Sprache, Macht, Psychotherapie und Bewußtseinsbildung. In: IDI-Institut Dialectal Intemational/IDI-Intemationales Dialektinstitut (Hrsg.): Symposium Langue et Pouvoir/Sprache und Macht. Strasbourg 1982.