SPEECH/99/206 Dr. Franz FISCHLER EU-Kommissar für Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und Fischerei WIEDERERÖFFNUNG DES VERBINDUNGSBÜROS DES LANDES KÄRNTEN Brüssel, den 7.12.1999 Meine Damen und Herren, Diese Wiedereröffnung des Kärntenbüros ist sicherlich etwas besonderes. Und das in zweierlei Hinsicht: Einerseits beweist es, daß das Land Kärnten Europa nach wie vor ernst nimmt. Das ist gut so, und das freut mich. Für diese neue Aufgabe wünsche ich der neuen Büroleiterin Martina Rattinger alles Gute. Diese Eröffnung ist aber auch in anderer Hinsicht etwas besonderes: Wenn hier Leute vor der Tür demonstrieren, dann ist das Demokratie. Wenn man nun gegen mich demonstriert, weil ich meinem Recht und meiner Pflicht nachkomme und über Europa spreche, meinen Standpunkt darlege, die Diskussion nicht scheue, dann sage ich ganz ehrlich, daß mein Verständnis von Diskurs offensichtlich ein anderes ist, als jenes der Demonstranten. Ich habe mich immer klar von jeglicher Diskriminierung von Ausländern und Minderheiten distanziert und sehe nicht, warum sich das geändert haben sollte. Kärnten hat einen demokratisch gewählten Landeshauptmann. Das mag manchen gefallen und anderen wieder nicht. Auch das ist Demokratie. Ich selbst habe noch jedes österreichische Bundesländerbüro eröffnet, weil es mir ein Anliegen ist, deren Rolle beim „Übersetzen“ der Europapolitik auf die regionale Ebene entsprechend zu würdigen. So ist es auch heute. Denn Kärnten ist wichtig für Europa. Umgekehrt aber ist Europa auch wichtig für Kärnten. Und darüber sind sich alle Anwesenden hoffentlich einig. Ich weiß, daß sich das Land Kärnten viel von der EU erwartet, zu Recht, und ich glaube, daß Brüssel schon einiges für Kärnten bewirkt hat, sei es durch Fördergelder, sei es durch offenere Grenzen oder durch zusätzliche Markt- und Absatzchancen. Immerhin ist Kärnten nach einer Kalkulation der Kammer kein Nettozahler sondern ein Nettobezieher von EU-Mitteln. Aber auch die EU erwartet sich vieles von Kärnten. Denn Europapolitik ist mehr als Ausgleichszahlungen für Kärntner Bergbauern und Investitionsbeihilfen für Kärntner Industriebetriebe. Deshalb sind auch unsere Ansprüche an die jeweilige politische Führung gleichbleibend hoch. Lassen Sie es mich die „Senza-Confini-Doktrin“ nennen, in der sich alles zusammenfassen läßt, was sich die EU von einer Region erwartet. „Senza confini“ - dieser Slogan wurde bei Kärntens Olympia-Bewerbung verwendet und auch vom Land Kärnten aktiv unterstützt - heißt „ohne Grenzen“, und ich glaube, daß das Bekenntnis zu einem gemeinsamen Europa auf den Grundlagen der Solidarität und Toleranz grenzenlos sein sollte. Ich glaube, wir sollten inzwischen verstanden haben, daß Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Isolationismus nicht nur die dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte heraufbeschworen haben, sondern hoffnungslos überalterte Konzepte sind, die man dort lassen sollte, wo sie hingehören. In der Mottenkiste der Geschichte! Der Russische Philosoph Nicolai Berdyaev hat dieses so « Patriotismus ist die Liebe des Heimatlandes, und des Volkes dem während Nationalismus, alles andere als eine « Liebe » sondern Egozentrismus ist, beherrscht von der Überheblichkeit, dem Willen zur Gewalt über die anderen. » 2 ausgedrückt : man angehört, ein kollektiver zur Macht und Es gibt natürlich auch Leute, die anders denken, „small is beautiful“ sagen und Chauvinismus meinen. – Ein Schelm, wer dabei an Padanien denkt, ein Schelm, wer dabei an eine „Ausländer-Karte“ denkt, wo einfallsreiche österreichische Geister bosnischen Flüchtlingen wie schweizerischen Geschäftsleuten gleichermaßen Fingerabdrücke abnehmen wollen. Ich möchte hier nichts an Deutlichkeit vermissen lassen: Wer Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit zum Prinzip erhebt, der hat den europäischen Gedanken nicht verstanden - und wird darum auch in Europa nicht verstanden. Solche Tendenzen, meine Damen und Herren, sind ernst zu nehmen, bitter ernst. Und wenn man es nicht so ernst nehmen müßte, wäre man fast versucht zu sagen, daß so etwas in Tagen, wo Europa friedlich zusammenwächst, wo die Länder des ehemaligen Ostblocks eine reale Beitrittsperspektive bekommen, hoffnungslos altmodisch und überkommen wirkt. Was sich die EU von einem aufgeklärten Bundesland eines aufgeklärten EUMitgliedstaates erwartet, liegt auf der Hand. „Senza confini“ heißt auch die Grenzen im Kopf überwinden helfen. Europa will Regionen und politische Köpfe sehen, die der Osterweiterung offen offen und solidarisch gegenüber stehen. Für Kärnten gilt, daß dieses Land durch die Erweiterung per Saldo gewinnen wird, was nicht heißt, das diese nicht auch Probleme schafft. Ich verlange hier nichts anderes als Fairness. Laßt uns die Chancen nutzen und gleichzeitig Lösungen für die Schwierigkeiten suchen, anstatt die Chancen zu verschweigen und aus den Problemen neue Barrieren zu schaffen. Wir wollen Landespolitiker, die die Erweiterung nicht als Untergang des Abendlandes hinstellen, sondern als Aufgang der Morgenröte für die Menschen dort, wo über Jahrzehnte keine demokratische Sonne geschienen hat. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß man von Europa viel lernen kann. Ich habe in meiner Zeit hier in Brüssel schon viele also Europa-Skeptiker kommen und als Europäer gehen sehen. Die Lernkurve steigt mit der Frequenz der Brüsselbesuche. In diesem Sinne freue ich mich, daß Sie, Herr Landeshauptmann, da sind und hoffe, sie in Zukunft möglichst oft hier in Brüssel begrüßen zu können. Mit offenen Grenzen, das wird wohl niemand bezweifeln, eröffnen sich Chancen für die Wirtschaft und davon profitieren die Menschen. Das hat sich bei Österreichs EU-Beitritt gezeigt, das wird sich auch bei der Osterweiterung bewahrheiten. Man muß kein Euro-Enthusiast sein, um heute festzustellen, daß - trotz EU - das Blut noch immer in unseren Adern fließt - und nicht in die Schokolade geflossen ist. Ich betrachte daher dieses Büro als Sammelstelle für Kärntner Anliegen, die dann entsprechend gebündelt an die richtige Adresse in der Kommission herangetragen werden. Andererseits sehe ich in Ihnen, Frau Rattinger, und in Ihren Mitarbeitern Botschafter für Europa, die die europäische Idee der Zusammenarbeit und der Überwindung des Nationalismus nach Kärnten weitertragen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg. 3