Dr. Avguštin Malle Rückwärts verstehen Eine erfolgreiche Minderheit zeichnet sich nach Meinung von Experten durch folgende Eigenschaften aus: 1. Ihre Angehörigen bekennen sich zu ihrem ‚Volkstum’, sind stolz auf ihre Abstammung und haben eine aufgeklärte Beziehung zur eigenen Geschichte. 2. Sie bilden eine solidarische Gemeinschaft. 3. Die politischen Differenzierungen sind der ethnischen Verbundenheit nachgeordnet; es herrschen politische Verhältnisse, die Koalitionen unter ihren Angehörigen ermöglichen. 4. Sie sind in der Lage, mit Teilen der relevanten Mehrheitsbevölkerung Allianzen zu schließen. 5. Sie schätzen hochwertige interkulturelle Angebote im Bereich Bildung. Es besteht kein Zweifel, dass der Großteil der Probleme, die die Existenz von Minderheiten kennzeichnen, von den Mehrheitsgesellschaften mitgeprägt wird. Im Fall der Kärntner Slowenen gilt es auch anzumerken, dass ihr Bestand durch die slowenische Gesellschaft mitbestimmt wird, was für die Sprache und Kultur eminente Bedeutung hat. Die Geschichte des Zentralverbandes der slowenischen Organisationen in Kärnten kann ich nur in den Grundzügen seiner politischen und nationalen Ausrichtung nachzeichnen. Die Gründung des Zentralverbandes am 25. März 1955 war von drei Faktoren bestimmt: 1. die kritische Analyse der parteipolitischen Tätigkeit in der Vergangenheit; 2. das feste Vertrauen in die eigenen Kräfte und 3. die Notwendigkeit der Schaffung einer Organisation, die die kulturellen und wirtschaftlichen Interessen der Kärntner Slowenen tatsächlich vertritt. Die Gründerväter wollten auf die Politik und die politische Betätigung nicht verzichten und sie wollten die politische Isolation der Kärntner Slowenen durchbrechen. Die Schwerpunkte der Tätigkeit des Zentralverbandes kann man wie folgt umreißen: konsequenter Antifaschismus; enge Anbindung an die Slowenen in Slowenien, und, weniger ausgeprägt, an die Slowenen in Italien; Einigkeit mit dem Rat der Kärntner Slowenen in die gesamte Volksgruppe betreffenden Belangen; Orientierung an den demokratischen Kräften der Mehrheitsbevölkerung. Der Zentralverband knüpfte bewusst an seine Vorgängerorganisationen – die Befreiungsfront für das slowenische Kärnten und die Demokratische Front des werktätigen Volkes – an. Er betonte die Bedeutung des antifaschistischen Widerstands in den Jahres des Naziregimes und der Einbindung der Kärntner Slowenen in die antifaschistische Koalition. Im Rot-Weiß-Rot-Buch aus dem Jahr 1946 und im Annex aus dem Februar 1947, die Material für die Staatsvertragsverhandlungen enthielten, erkannte Österreich den Beitrag der Kärntner Slowenen zum Kampf gegen den Nazismus an. Das Ergebnis des antifaschistischen Widerstands und der darauffolgenden Gebietsansprüche der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien ist der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags, der die Rechtsgrundlage für den Kampf der Kärntner Slowenen für einen umfassenden Minderheitenschutz bildet. Der Zentralverband der slowenischen Organisationen hat in seiner gesamten Geschichte niemals die enge kulturpolitische Verbindung mit dem Muttervolk aufgegeben. Aus Quellen der österreichischen Botschaft in Belgrad ist zu entnehmen, dass er in diesem Gebiet sehr innovativ wirkte. Anfänglich setzte er sogar die österreichischen Ministerien von seinen Kontakten zu jugoslawischen Politikern in Kenntnis und meinte, diese hätten wohl nichts dagegen einzuwenden. Die Zusammenarbeit verlief zunächst vorwiegend im Bereich Kultur. Aufgrund der Nichterfüllung des Artikels 7 des Österreichischen Staatsvertrags wurde auch eine Intensivierung der politischen Zusammenarbeit notwendig. Schließlich kam es auch zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit, vor allem in Form so genannten gemischter Unternehmen. Ende der 1960er Jahre entwickelte sich die Praxis, dass die jugoslawischen Behörden vor jedem Besuch eines ihrer Politiker in Österreich bzw. eines österreichischen Politikers in Belgrad Vertreter der beiden Zentralorganisationen der Kärntner Slowenen bezüglich der Probleme in Zusammenhang mit dem Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags konsultierten. Festzuhalten gilt es allerdings, dass die Minderheitenfrage in den zwischenstaatlichen Beziehungen nicht erstrangig war. Der Zentralverband nahm seine Tätigkeit in der Schlussphase der Staatsvertragsverhandlungen auf. Der Inhalt des Artikels 7 war bekannt; daher machte er sich schon im April an die Ausformulierung seiner Sichtweise und möglicher Lösungsvorschläge. Sofort stellte sich die Frage nach der Zusammenarbeit mit dem Rat der Kärntner Slowenen. Die ursprüngliche Skepsis wich der Überzeugung von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Auftretens beider Organisationen und einer Abstimmung mit den burgenländischen Kroaten. Nach mehrwöchigen Gesprächen wurde das Memorandum der Kärntner Slowenen am 11. Oktober 1955 der österreichischen Bundesregierung vorgelegt, das für die Kärntner Slowenen zum grundlegenden Papier für alle Bestrebungen nach Gleichberechtigung wurde. Im Lauf der Jahrzehnte wurde es durch zahlreiche andere Dokumente ergänzt, die von beiden Organisationen in die gesamte Volksgruppe betreffenden Belangen der Bundesregierung vorgelegt wurden. Die politische Orientierung des Zentralverbandes an den demokratischen Kräften der Mehrheitsbevölkerung und in Verbindung damit der Weg aus der politischen Isolation genoss innerhalb des Zentralverbands die Unterstützung einer soliden Mehrheit. In der Realität lief das auf die Orientierung an der SPÖ hinaus. Zu ihren vehementen Befürwortern gehörte Franc Petek, der darauf verwies, dass keine Großmacht – und spielte damit auf die Sowjetunion an – wirklich Verständnis für die slowenische Minderheit aufbringen würde und dass Jugoslawien zwar einzelne Schritte setzen könne, nicht aber über den notwendigen politischen Einfluss verfüge, und im Übrigen betonte er, dass der Zentralverband sich nur auf die slowenische Bevölkerung selbst verlassen könne. Am Beispiel des Schulwesens kann man die Abhängigkeit der Minderheit von den Eliten der Mehrheitsbevölkerung in großen Zügen darstellen. Als sich die Abgeordneten zum Kärntner Landtag im Jänner 1947 für das verpflichtende zweisprachige Schulwesen aussprachen und – mit Blick auf die Verhandlungen in London – auch eine feierliche Erklärung verabschiedeten, liefen im Hintergrund bereits die ersten Bestrebungen für seine Abschaffung. Im September 1958 bereitete ein Erlass von Landeshauptmann Ferdinand Wedenig dem verpflichtenden zweisprachigen Schulwesen ein Ende. Unter vollkommen veränderten Vorzeichen dominierte die Schulfrage die Minderheitenproblematik der 1980er Jahre. Die Kärntner Slowenen fanden zahlreiche Verbündete in der Mehrheitsbevölkerung, hervorzuheben gilt es die Unterstützung durch die Experten der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Selbst wenn die Aktivitäten der Experten und der Bericht der Österreichischen Rektorenkonferenz die Novellierung des Minderheitenschulgesetzes nicht verhindern konnten, stieg vor allem nach 1989 der Prozentsatz der zum zweisprachigen Unterricht angemeldeten Kinder. Die Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in St. Peter bei St. Jakob im Rosental entwickelte sich, eine zweisprachige Handelsakademie wurde gegründet, das Sprachangebot am Bundesgymnasium für Slowenen wesentlich ausgebaut und das Kärntner Kindergartenfondsgesetz zur Finanzierung privater zweisprachiger Kindergärten verabschiedet. Diese positiven Entwicklungen sind meines Erachtens der radikal veränderten sozialen Struktur der Volksgruppe, die ihren agrarischen Charakter abgelegt hat, zuzuschreiben. Als Franci Zwitter, der erste, langjährige Obmann des Zentralverbands (1955-1982) 1975 dessen Arbeit durchaus pessimistisch beurteilte, war das mit Sicherheit auf den Eindruck zurückzuführen, den der Ortstafelsturm hinterlassen hatte. Seiner Einschätzung nach hätten die Gespräche mit Regierungsvertretern, die Memoranda und Anträge allesamt nicht gefruchtet. Besonders intensive Gespräche wurden auf Bundesebene mit Bundeskanzler Bruno Kreisky und auf Landesebene mit Landeshauptmann Hans Sima geführt. Völlige Fehlschläge waren sie nicht: In den 1960er Jahren wurden die Schäden, die der Nazismus den Organisationen der Kärntner Slowenen zugefügt hatte, wenigstens teilweise kompensiert; und slowenische Initiativen im Kontaktkomitee führten schließlich zur Umsetzung einiger wissenschaftlicher Projekte. Zu einem Fiasko kam es allerdings im Bereich der zweisprachigen topographischen Aufschriften. Das Gesetz wurde von Rat und Zentralverband nicht abgelehnt, sondern als erster Schritt zur Umsetzung der entsprechenden Bestimmung des Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrags bezeichnet. Ungeteilte Zustimmung erfuhr nur die Gründung des Bundesgymnasiums für Slowenen. Der Zentralverband engagierte sich in den 1970er Jahren sehr intensiv in verschiedenen Solidaritätskomitees in Österreich, nachdem er Ende der 1960er Jahre in seiner Wochenzeitung recht hilflos auf die aufkeimenden Studentenproteste reagiert hatte. Die Studenten veränderten die Politik der Zusammenarbeit mit den demokratischen Kräften der Mehrheitsbevölkerung. – Nach ihrer Auffassung seien Gespräche mit der Regierung fruchtlos. (Sie sprachen diesbezüglich vom „Mistführen auf dem Ballhausplatz“.) Der Frustration des Obmanns über seine eigenen Leistungen standen durchaus auch Erfolge wie die Wahl einiger slowenischen Bürgermeister und Gemeindemandatare auf SPÖ-Listen und das Landtagsmandat des Zentralverbandvizeobmanns Hanzi Ogris auf der Liste derselben Partei gegenüber. Fünf Jahre später klang der Obmann schon optimistischer. Die ersten Ergebnisse des „Stützens auf eigene Kräfte“ wie die Gründung privater zweisprachiger Kindergärten, die Errichtung neuer und die Modernisierung bestehender Kulturheime, des Jugendheims in Klagenfurt, erste Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet zeichneten sich ab. Mit Hilfe von Gerichtsverfahren, die vom Zentralverband unterstützt wurden, konnten beträchtliche Erfolge im Bereich Grundschulwesen erzielt werden. Die Politik des „Stützens auf eigene Kräfte“ wurde durch die Obmänner Feliks Wieser (1982-1992) und Marjan Sturm (seit 1992) fortgesetzt, auch indem man das Gespräch mit Personen suchte, die der Volksgruppe in der Vergangenheit ablehnend gegenübergestanden hatten. Die politische Entwicklung in der Mehrheitsbevölkerung, das Umdenken in Bezug auf die Minderheiten und im Fall Kärnten auch auf das Slowenische, die Unabhängigkeit Sloweniens waren Faktoren, die dazu führten, dass die Erfolgschancen der Politik der Einbindung in die Strukturen der Mehrheitsbevölkerung stiegen. Der Zentralverband fand spätesten 1985 einen neuen Weg, als er die Integration und Partizipation in Mehrheitsstrukturen vertrat, zugleich aber betonte, dass auf Gemeindeebene nach Maßgabe der lokalen Verhältnisse bei den Wahlen auch ein selbstständiges Antreten slowenischer politischer Gruppierungen zu erwägen sei. Jedenfalls war die Verbindung mit den demokratischen Kräften der Mehrheitsbevölkerung richtig, was nicht zuletzt auch die Erfolge slowenischer Kandidaten auf den Listen von Mehrheitsparteien bei Nationalrats- und Landtagswahlen belegen. Dieser positive Trend ermöglichte zu guter Letzt auch die Aufstellung einiger zweisprachiger topographischer Aufschriften. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!