8. Wortverbindungen als lexikalische Einheiten. Phraseologie Die Wortverbindungen können zu lexikalischen Einheiten werden, wenn sie so geläufig wie Wörter sind. Die Bedeutung von lexikalisierten Wortverbindungen unterscheidet sich von regelmäßigen Wortverbindungen darin, dass sie nicht wörtlich ist: eine regelmäßige Wortverbindung - eine syntaktische Wortverbindung blaues (Farbe) Fahrrad (Gegenstand) eine lexikalisierte Wortverbindung - Wortgruppe mit fester Bedeutung blaues Wunder - eine übertragene Bedeutung ('unangenehm') ('Überraschung') Die Festigkeit von Wortverbindungen beruht auf deren Gebräuchlichkeit. Diese Festigkeit ist auf der semantischen Ebene graduierbar. Die schwächste Form der Festigkeit - Stufe 1 (Austausch möglich) frei frei Haare waschen Die Festigkeit ist schwach, weil der Austausch des Verbs möglich ist. Es gibt synonyme Alternativen (Haare reinigen, säubern). Aber das Verb waschen wird eigentlich immer mit Haare verknüpft. Eine stärkere Form der Festigkeit - Stufe 2 (Austausch möglich) gebunden frei blutiger Anfänger 'sehr unerfahrerner Anfänger' Diese Stufe der Festigkeit entsteht bei Wortverbindungen der Wörter mit freier und gebundener Bedeutung. Das Substantiv Anfänger hat seine eigentliche Bedeutung und ist in dieser Bedeutung frei. Das Adjektiv blutig hat in dieser Wortverbindung eine neue gebundene Bedeutung 'sehr unerfahren' erhalten. Diese Bedeutung kann auch mit dem Substantiv Laie realisiert werden. Der Austausch gegen ein Synonym ist möglich. Die stärkste Form der Festigkeit - Stufe 3 (Austausch nicht möglich) gebunden gebunden dicke Luft 'gespannte Atmosphäre' Diese Stufe der Festigkeit gibt es bei Wortverbindungen der Wörter in gebundener Bedeutung. Beide Wörter können nicht durch ein Synonym ausgetauscht werden, ohne die Gesamtbedeutung zu verändern ( fette Luft, dicker Sauerstoff). Die Wortgruppen mit fester Bedeutung haben unterschiedliche syntaktische Strukturen: Herzklopfen haben die Flucht ergreifen höhere Gewalt ein offenes Geheimnis im Großen und Ganzen auf Anhieb Der Begriff Phraseologie geht auf griech.-lat. -phrasis ('rednerischer Ausdruck') zurück. International verbreitet snd auch die Ausdrücke, die auf griech. -idioma ('Eigentümlichkeit, Besonderheit') zurückgehen. Dazu entstanden die Bezeichnungen Idiom, Idiomatik, Idiomatismus. Im Forschungsbereich der Phraseologie liegen feste Wortverbindungen Idiome, auch nichtidiomatische feste Wortverbindungen Kollokationen. Der Begriff Kollokation im weiteren Sinne bezeichnet die Wortverbindung jeglicher Art, auch regelmäßige Wortverbindung, z.B.: blaues Fahrrad. Der Begriff Kollokation im Rahmen der Phraseologie bezeichnet die Wortverbindung mit schwacher semantischen Veränderung, also usuelle WB, z.B.: Haare waschen Schuhe putzen schwer verletzt starker Tee Für die Kollokationen (oder lexikalische Solidaritäten) ist das Merkmal der formalen Stabilität charakteristisch. Dazu gehören oft: fest verbundene attributive Wortgruppen: blauer Himmel, finsteres Gesicht, beißende Kälte Verb-Substantiv-Verbindungen: eine Antwort geben, in Verbindung bringen, zum Ausdruck bringen 8.1. Merkmale von festen Wortkomplexen Polylexikalität - die festen Wortkomplexe umfassen mehrere Wörter, mindestens zwei und maximal einen Satz. Phraseolexeme sind polylexikal. Schwarzmarkt - wird gewöhnlich der Wortbildung zugerechnet. Schwarzer Markt - Phraseolexem Festigkeit / Stabilität - wie Wörter sind die festen Wortkomplexe Bestandteile des Lexikons und zeichnen sich durch semantisch-syntaktische Stabilität aus. Während in einer freien syntaktischen Fügung die einzelnen Komponenten mit Hilfe der Synonyme ersetzbar sind, ist eine Austauschbarkeit bei Phraseologismen meist nicht möglich. Stabilität zeigt sich auch durch syntaktische Anomalien (Abweichungen): den unflektierten Gebrauch des attributiven Adjektivs: frei Haus liefern - 'Transport bis zum Haus ohne zusätzlichen Kosten' auf gut Glück - 'ohne Garantie eines günstigen Ausgangs' sich bei j-m lieb Kind machen - 'sich bei j-m einschmeicheln' Voranstellung des attributiven Genitivs: auf des Messers Schneide stehen - 'kurz vor der Entscheidung', 'mit ungewissem Ausgang' auf Schusters Rappen - 'zu Fuß' aus aller Herren Länder - 'aus allen Teilen der Erde' Mit der Stabilität ist auch solche Eigenschaft verbunden wie Reproduzierbarkeit (Lexikalisierung). Reproduzierbarkeit bedeutet, dass Phraseologismen als Wortgruppeneinheiten im Prozeß der Äußerung nicht immer neu gebildet werden. Die festen Wortkomplexe sind als lexikalische Einheiten gespeichert und werden bei der Textgestaltung reproduziert (im Unterschied zu der Produzierbarkeit der freien Wortverbindungen und Sätzen). Nach Harald Burger bilden die festen Wortkomplexe, die diese drei Eigenschaften aufweisen, den Bereich der Phraseologie im weiteren Sinne. Idiomatizität - semantische Transformation oder Umdeutung der Komponenten des Phraseologismus. Eine Wortverbindung wird dann als idiomatisch angesehen, wenn die Summe der Bedeutungen der einzelnen Komponenten nicht der Bedeutung der Wortverbindung entspricht. Bei Burger (2003:31) wird die Idiomatizität als Diskrepanz zwischen der wörtlichen und der phraseologischen Bedeutung der Komponenten oder der ganzen Wortverbindung charakterisiert. Es handelt sich um ein graduelles Phänomen: Vollidiomatische Phraseologismen (Voll-Idiome) sind Wortverbindungen, bei denen die Gesamtbedeutung nicht direkt aus den Bedetungen der Einzelelemente ableitbar sind. Alle Komponenten sind umgedeutet. Der Phraseologismus lässt sich semantisch nicht aufgliedern, d.h. daß beide Komponenten phraseologisch gebunden sind, wie: ein alter Hase - 'ein erfahrener Fachmann' eine lahme Ente - 'ein Mensch ohne Initiative' aus der Haut fahren - 'wütend sein' j-m einen Bären aufbinden - 'j-m etwas Unwahres sagen' Teilidiomatische Phraseologismen (Teil-Idiome) sind Wortverbindungen, bei denen nur ein Einzelelement umgedeutet ist. Einige Komponenten behalten ihre wörtliche Bedeutung. Solche Phraseologismen sind semantisch aufgliedbar, d.h., daß nur ein Teil phraseologisch gebunden ist, wie: faule Ausrede - 'wenig überzeugende Ausrede' blinder Passagier - 'Passagier, der ohne Berechtigung, heimlich mitreist' eine Schraube ohne Ende - 'eine Angelegenheit ohne Ende' sich in Fäustchen lachen - 'heimliche Schadenfreude empfinden, heimlich lachen' Nichtidiomatische Phraseologismen (nichtidiomatische Konstruktionen) sind strukturelle Phraseologismen, die keine Umdeutung vorweisen. Solche Wortverbindungen zeichnen sich durch Idiomatizität nicht aus, aber sie weisen doch stabilere Beziehungen auf, als sie völlig freie Wortverbindungen haben. Maßnahmen treffen der stolze Vater Sie werden als Phrase, Klischee, Schablone, Stereotyp bezeichnet. Mit dem Auftreten einer Komponente (die Gelegenheit) erwartet man die zweite Komponente (benutzen, um...). In Bezug auf ... das Rote Kreuz der Nahe Osten Klischees in Massenmedien: nach Augenzeugenberichten nach bisher unbestätigten Meldungen wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautet 8.2. Klassifikationen von Phraseologismen In der deutschen Phraseologie sind verschiedene Klassifikationen von festen Wortkomplexen vertreten. Dabei geht es um strukturelle oder morphologisch-syntaktische, semantische oder strukturell-semantische Kriterien der Klassifikation von Phraseologismen. 8.2.1. Klassifikation von Barbara Wotjak In der morphologisch-syntaktischen Klassifikation der Phraseolexeme / Idiome von Barbara Wotjak (1996) werden die PL in verbale, substantivische, adverbiale und adjektivische PL eingeteilt. Mit anderen Worten, sie werden bestimmten Wortarten/-klassen zugeordnet. SubstantivischePhraseolexeme Zu den vollidiomatischen substantivischen PL gehören schwarzes Schaf ‚derjenige in einer Gruppe, der sich nicht einordnet, der unangenehm auffällt’ die bessere Hälfte ‚Ehefrau’ das Ei des Kolumbus ‚verblüffend einfache Lösung’. Zu teilidiomatischen PL gehören blutiger Anfänger ‚sehr unerfahrener Anfänger’ faule Ausrede ‚wenig überzeugende Ausrede’ großer Bahnhof ‚großer/festlicher Empfang’. Adjektivische Phraseolexeme Es handelt sich um feste Wendungen, die attributiv gebraucht werden können. gut gepolstert ‚wohlbeleibt‘ oder ,mit Geld gut ausgestattet’ Sie hat einen älteren, gut gepolsterten Herrn geheiratet. frisch/neu gebacken ‚in einem Amt, einer Lebenssituation neu’ frisch gebackener Ehemann. Adverbiale Phraseolexeme Es handelt sich um feste Wendungen, die meistens als Adverbialbestimmungen im Satz gebraucht werden können. Vollidiomatische adverbiale PL: im Handumdrehen ‚mühelos und schnell, überraschend schnell’ aus heiterem Himmel ‚völlig überraschend’ über kurz oder lang ‚nach einer gewissen Zeit’ Teilidiomatische adverbiale PL: für mein/sein Leben gern ‚sehr gern’ null und nichtig ‚ungültig’ Nichtidiomatische adverbiale PL: in bar ‚in Form von Geldscheinen oder Münzen’ seit langem ‚schon lange’ Verbale Phraseolexeme Sie sind die umfangreichste Gruppe der PL. Die vollidiomatischen eine lange Leitung haben ‚begriffsstutzig sein’ bei jmdm. einen Stein im Brett haben ‚bei jmdm. beliebt sein’ Die teilidiomatischen PL die Katze im Sack kaufen ‚etw. ungeprüft/ungesehen kaufen’ etw. hoch und heilig versprechen ‚etw. beteuern, mit Nachdruck versprechen’ Unter den verbalen PL sind zwei Typen zu unterscheiden: die infinitivfähigen verbalen PL - das Verb steht in der Grundform im Infinitiv und das Subjekt ist lexikalisch variabel: bei jmdm. einen Stein im Brett haben Seitdem hast du/hat Peter/haben sie bei meinen Eltern einen Stein im Brett. die festgeprägten prädikativen Konstruktionen - das Subjekt ist lexikalisch festgelegt, die verbale Form (die Person und der Numerus des Verbs) ist nicht variabel: jmdm. fällt ein Stein vom Herzen ‚jmd. ist von einer Sorge befreit’ jmdm. geht ein Licht auf ‚jmdm. wird etw. klar’ Besondere Strukturtypen Komparative (vergleichende) Phraseolexeme Unter komparativen PL verstehen wir eine feste Wortverbindung, die im Prinzip aus drei Komponenten besteht (dem Vergleichsobjekt, dem tertium comparationis und dem Vergleichsmaß), mit Hilfe einer Vergleichspartikel/Konjunktion (wie, als, als ob, als wenn, wie wenn) zusammengefügt ist und eine semantische Ganzheit bildet. Das Vergleichsobjekt muss jedoch nicht explizit genannt werden – essen wie ein Spatz statt jmd. isst wie ein Spatz. frieren wie ein Schneider ‚stark frieren’ essen wie ein Spatz ‚sehr wenig essen’ lügen wie gedruckt ‚unverschämt lügen’ frech wie Oskar ‚sehr frech’ Zwillingsformeln (phraseologische Wortpaare) Es handelt sich um zwei (nur selten drei) Wörter der gleichen Wortart, die durch eine Konjunktion (und, weder ... noch, oder) oder eine Präposition (in, an) verknüpft sind. Hab und Gut ‚Besitz’ weit und breit ‚in der ganzen Umgebung’ mit Ach und Krach ‚mit großen Schwierigkeiten’ alles kurz und klein schlagen ‚völlig zerschlagen’ Tür an Tür (wohnen) ,eng benachbart’ Hand in Hand ,gemeinschaftlich, zusammen’ 8.2.2. Klassifikation von Christine Römer Christine Römer (2005) unterscheidet folgende strukturell-semantische Klassen von Praseologismen: Idiome und Teilidiome Die idiomatischen bzw. teilidiomatischen Phraseologismen stellen traditionell den Kernbereich der Phraseologismen dar. Die Idiome bzw. Teilidiome sind referentiell und beziehen sich auf wirkliche oder vorgestellte Denotate. Idiom = mit der Zeit gehen 'fortschrittlich sein' Teilidiom = unchristliche Zeit 'früher Zeitpunkt' In struktureller Hinsicht können sie (+/-) verbhaltig und (+/-) satzwertig sein. INPs (idiomatische bzw. teilidiomatische nominative Phraseologismen) verbhaltig satzwertig INPs haben kein Verb und haben primär eine benennende (nominative) Funktion. Idiom = das schwarze Schaf 'unangepasste(r)' Teilidiom = abgefahrene Party 'hervorragende (umg.) Party' IVPs (idiomatische bzw. teilidiomatische verbale Phraseologismen) verbhaltig + satzwertig IVPs haben ein Verb, aber sie stellen keinen Satz dar. Idiom = Schmetterlinge im Bauch haben 'verliebt sein' Teilidiom = grünes Licht geben 'die Erlaubnis geben' SPs (idiomatische bzw. teilidiomatische satzwertige Phraseologismen) verbhaltig + satzwertig + SPs sind Sprichwörter, Redensarten, Geflügelte Worte und haben strukturelle Merkmale. Nichtidiome Nichtidiomatische Phraseologismen nominative Funktionen. haben (+/-) strukturierende und (+/-) Strukturelle Phraseologismen haben keine nominative Funktion und stellen grammatische Relationen her. strukturierend + nominativ hin und her [- V] an der Stelle[- N] Routineformeln (kommunikative Formeln, pragmatische Phraseologismen, kommunikative Phraseologismen) strukturieren nicht Sätze, sondern Texte, z.B. markierem die Einleitung oder den Schluss der Kommunikation. strukturierend + nominativ + Begrüßungsformel: Guten Morgen! Abschiedsformel: Bis dann! Briefschluss: Mit freundlichen Grüßen Höflichkeitsformel: Darf ich stören? Tischformel: Guten Appetit! Gesprächsformel: offen gesagt Versicherungsformel: Ich bin dabei! Kollokationen sind nichtidiomatische Mehrwortverbindungen, die statistisch erwartbar sind. strukturierend nominativ + Geld abheben frisch gestrichen eingefleischter Junggeselle Merkmale der Kollokationen: Die Kollokation stellt den bevorzugten, allgemein als richtig empfundenen Ausdruck für einen gegebenen Sachverhalt dar. Die Verbindung der Komponenten wäre gewissermaße 'erste Wahl', wenn nach einem treffenden Ausdruck für den gemeinten Sachverhalt gesucht wird. Die Kollokaionen sind transparent, d.h. ihre Bestandteile sind für sich genommen verständlich. Die Elemente einer Kollokation stehen in einer spezifischen Relation zueinander, die mit den Begriffen "Basis" und "Kollokator" bezeichnet ist (Junggeselle wäre die Basis, eingefleischter der Kollokator) Viele Wortverbindungen dieser Art bilden Funktionsverbgefüge und entsprechen oft einem Vollverb: unter Kontrolle nehmen - 'kontrollieren' zum Halten bringen - 'halten' zur Geltung kommen - 'halten' 8.2.3. Klassifikation von Harald Burger Harald Burger (2003) unterscheidet folgende strukturell-semantische Klassen von Praseologismen: 1. Referentielle Phraseologismen beziehen sich auf Objekte, Vorgänge und Sachverhalte der Wirklichkeit a) nominative Phraseologismen bezeichnen Objekte, Vorgänge und Sachverhalte (semantisches Kriterium) und sind satzgliedwertig (syntaktisches Kriterium): - Kollokationen (nicht idiomatische Redewendungen) - Teilidiome - Idiome b) propositionale Phraseologismen bilden Aussagen über Objekte, Vorgänge und Sachverhalte (semantisches Kriterium) und sind satzgliedwertig (syntaktisches Kriterium): - feste Phrasen sind in einen Kontext eingebettet und nur durch diesen verständlich - topische Formeln haben keinen Anschluss an einen Kontext 2. Strukturelle Phraseologismen sind Funktionswörter, die grammatische Relationen in der Rede herstellen 3. Kommunikative Phraseologismen sind feste Fügungen für die wiederholenden Handlungen: a) situationsgebundene Routineformeln: - Grußformeln - Anrede - Glückwunsch / Dank b) nicht situationsgebundene Routineformeln: - Floskel - Anweisung - Slogan - Eidesform - liturgische Formeln - Eigennamen 4. Spezielle Klassen: a) geflügelte Klassen b) Zwillingsformeln c) Phrasenschablone 8.2.4. Klassifikation von Irina Černyševa Der strukturell-semantischen Klassifikation von I. Černyševa liegen folgende Kriterien zu Grunde: 1) grammatische (syntaktische) Struktur: a) Wortverbindungen, bzw. Wortgruppe b) Prädikative Verbindungen, Sätze 2) Verknüpfungsart der Konstituenten: a) singuläre (единичные) Wortkomplexe b) serielle (серийные) c) modellierte (смоделированные) 3) Bedeutung als Resultat der semantischen Transformation der Konstituenten: a) feste Wortkomplexe, deren Bedeutung das Resultat der semantischen Transformation aller Konstituenten ist, b) feste Wortkomplexe, deren Bedeutung das Resultat der Umdeutung einiger Konstituenten ist, c) feste Wortkomplexe, deren Bedeutung das Ergebnis der eigentlichen Bedeutungen der Konstituenten ist. Anhand dieser Kriterien unterscheidet I. Černyševa vier Klassen fester Wortkomplexe: I. Phraseologismen (phraseologische Wortfügungen) II. Phraseologisierte Verbindungen (auch analytische Verbalverbindungen) III. Modellierte Bildungen IV. Lexikalische Einheiten I. Feste Wortkomplexe phraseologischen Typs haben verschiedene syntaktische Struktur. Sie zeichnen sich durch singuläre Verknüpfung der Komponenten und vollständige oder teilweise semantische Transformation der Komponenten aus. stumm wie ein Fisch ein weißer Rabe Phraseologismen schließen folgende Gruppen ein: a) phraseologische Einheiten, b) festgeprägte Sätze, c) phraseologische Verbindungen. a) Phraseologische Einheiten haben die grammatische Struktur einer Wortverbindung. Die Bedeutung entsteht auf Grund der semantischen Umdeutung aller Konstituenten: etw. an den Nagel hängen (die Hoffnung aufgeben) Nach den Wortarten unterscheidet man: verbale phraseologische Einheiten, die mit dem Verb korrelieren den Mund halten (schweigen), jmdm. den Kopf waschen (jmdn scharf zurechtweisen); substantivische phraseologische Einheiten: das schwarze Gold (Erdöl), ein unbeschriebenes Blatt (ein unerfahrener Mensch); adverbiale phraseologische Einheiten: unter vier Augen (allein mit jmdm., zu zweit), um ein Haar (fast). Zu den adverbialen phraseologischen Einheiten gehören Präpositionalgruppen: unter 4 Augen um ein Haar; Paarformel (Wortpaare): Feuer und Flamme (sofort für etw. begeistert sein), ab und zu; komparative phraseologische Einheiten: stumm wie ein Fisch, ein Gedächtnis haben wie ein Sieb (ein sehr schlechtes Gedächtnis haben). b) Unter den festgeprägten Sätzen unterscheidet man: sprichwörtliche Satzredensarten, die gewöhnlich metaphorische oder metonymische Bezeichungsübertragungen sind. Da liegt der Hund begraben (das ist der wahre Grund, das ist der Kern der Sache). Heiliger Schreck! (Ausruf des Entsetzens) Sprichwörter, die nicht durch Phraseologisierung der Konstituenten, sondern durch die Verallgemeinerung der menschlichen Lebenserfahrung entstehen. Sie gehören zur Folklore. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. (Nicht alles, was äußerlich schön ist, ist auch innerlich wertvoll). Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen. c) Phraseologische Verbindungen sind zweigliedrige feste Wortkomplexe singulärer Verknüpfungsart, bei denen nur eine Konstituente umgedeutet wird, die andere behält ihre eigentliche Bedeutung. Diese festen Wortkomplexe charakteresieren sich durch absolute Festigkeit und Reproduzierbarkeit. Die phraseologischen Verbindungen sind zahlenmäßig unbedeutend und für die deutsche Sprache nicht typisch. ein blinder Schuss (ein ungezielter Schuss) eine ägyptische Finsternis (eine tiefe Finsternis) kalte Miete (Miete ohne Heizungskosten) II. Phraseologisierte Verbindungen gehören zu den festen Workomplexen nicht phraseologischen Typs. Das sind serielle Verbindungen einer semantisch transformierten Konstituente mit der anderen Konstituente in ihrer eigentlichen Bedeutung. Phraseologisierte (Verb+Substantiv): Verbindungen sind entweder verbale Verbindungenn seinen Hunger / Durst bezähmen jmdm. Achtung / Anerkennung / Bewunderung / Lob / Verehrung / Beifall / Dank zollen (erweisen) oder nominalive Verbindungenn (Adjektiv+Substantiv): ein sauberer Mensch / Charakter eine saubere Haltung / Gesellschaft. In den phraseologischen Verbindungen dagegen realisiert die semantisch transformierte Komponente ihre Bedeutung nur in einer einzigen Verbindung. Vgl.: ein blinder Passagier (reiseunberechtigt). III. Modelierte Bildungen gehören auch zu den festen Workomplexen nicht phraseologischen Typs. Sie entstehen in der Sprache nach bestimmten stukturellsemantischen Modellen, die in der Rede situativ realisiert werden. In diesen Bildungen sind die Konstituenten (teilweise oder ganz) lexikalisch frei auffüllbar. Z. B.: “Substantiv + hin, Substantiv+ her“: Geld hin, Geld her. Freund hin, Freund her. Z.B.: „Es ist (war) zum + substantivierter Infinitiv“: Es ist zum Lachen! Es ist zum Heulen! Es ist zum Verrücktwerden! Z.B: “Substantiv + ist + Substantiv“: Betrug ist Betrug. „Adjektiv + ist + Adjektiv“: Sicher ist sicher. „Partizip II + ist + Partizip II“: Verloren ist verloren. „Adverb + ist + Adverb“: Hin ist hin. IV. Lexikalische Einheiten gehören auch zu den festen Workomplexen nicht phraseologischen Typs. Sie sind feste Verbindungen mit nominativer Funktion. Sie verfügen über eine Gesamtbedeutung und bilden eine semantische Ganzheit auf Grund der eigentlichen lexikalischen Bedeutung der Konstituenten. Es fehlt hier jede Art semantischer Transformation. Lexikalische Einheiten sind singuläre Verbindungen, die Anzahl der Konstituenten und ihre Reihenfolge ist festgelegt: der Nahe Osten Hohe Tatra das Rote Meer die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) Christlich Demokratische Union (CDU ) Lexikalische Einheiten neigen zur Bildung von Initialkurzwörtern bzw. Abbreviaturen, womit sie dann in die Klasse der Lexeme übergehen. 8.3. Funktionen von Phraseologismen Phraseolexeme versprachlichen Begriffe auf besonders griffige Art. Phraseolexeme vereinfachen Kommunikation. Z.B.: ein Professor gibt einem geschwätzigen Studenten die überlange Seminararbeit mit der Bemerkung In der Kürze liegt die Würze zurück und beide wissen gleich, woran die Seminararbeit nach Meinung des Professors krankt. Phraseolexeme zeigen unsere Gefühle. Z.B.: die Menschen können mit Phrasemen wirkungsvoll fluchen, Enttäuschung und Aggressionen zeigen, ohne gewalttätig zu werden: Verdammte Scheiße! (Schimpfwort, derb) Du feiger Arsch mit Ohren! (Schimpfwort, derb) Phraseolexeme definieren die Menschen sozial. Viele Phraseme gelten für spezielle soziale, berufliche oder andere Gruppen (auch Altersgruppen). z.B.: Luckilucki machen (Jugendsprache 'подсматривать, подслушивать') Lametta tragen 'sich herausputzen', 'eitel sein' - alle verfügbaren Ehren- und Rangzeichen tragen (speziell beim Militär) Phraseolexeme transportieren Erfahrung. Phraseme sind oft Quintessenzen generationslanger Erfahrung und haben eine natürliche, eine verbuchte Autorität. Z.B.: Vielleicht überdachte sie die Neigung des Menschenlebens, im Kreis zu gehen, dachte daran, dass sich alles wiederholt, dass sogar geschrieben steht, es gebe nichts Neues unter der Sonne. (Sund 1997) Phraseme werden oft durch solche Wendungen eingeführt, wie Eine alte Redensart sagt ... Wie man so schön sagt ... ... Das sagt man zumindest. Phraseologismen treten in allen Funktionalstilen auf. Besonders in Presse ud Publizistik kann man eine große Zahl von Phraseologismen finden. In Rundfunk- und Fernsenachrichten kommen die Phraseologismen häufiger als in der Alltagskommunikation vor. Auch wissenschaftliche Textsorten bevorzugen bestimmte Teilgruppen von Phraseologismen, wie: in den Mittelpunkt des Interesses rücken in Betracht ziehen außer acht lassen ein breites Spektrum haben ins Gewicht fallen Rechnung tragen Den Besonderheiten der Phrasemnutzung begegnen Missverständniswitzen, bei Wortspielen oder Bilderrätseln. wir z. B. in Eine genaue Kenntnis der Funktion von Phraseologismen ist bei der Übersetzung in andere Sprachen notwendig, denn es kommt darauf an, expressive und wertende Elemente in der Zielsprache wiederzugeben. Als Übersetzungsverfahren eignen sich für Phraseologismen je nach der Situation: wörtliche Übersetzung, wenn in der Zielsprache ein identischer Phraseologismus vorhanden ist Es ist nicht alles Gold, was glänzt. - Не все то золото, что блестит. rot wie ein Krebs - красный как рак ein Wolf im Schlafpelz - волк в овечьей шкуре, den (roten) Hahn auf Dach setzen - пустить красного петуха, поджечь Übersetzung eines Phraseologismus durch einen synonymen in der Zielsprache Viele Köche verderben den Brei. - У семи нянек дитя без глазу. Tauben im Kopf haben - у кого-то тараканы в голове 'быть со странностями' eine Natter am Busen nahren (букв. гадюку на груди кормить) – пригреть змею на груди Wo sich Hase und Fuchs gute Nacht sagen - Куда Макар телят не гонял - 'в захолустье, в глушь' Umschreibung durch nichtphraseologische Formen Salamander reiben (букв. 'тереть саламандру') – 'принимать участие в коллективной студенческой попойке' eine Antenne für etwas haben – 'иметь чувствительность к чему-либо' Du kriegst die Motten! – «Ты с ума сошел!» (выражение удивления, изумления). nach Canossa gehen - 'унижаться, быть вынужденным просить прощение' (унижаться перед папой, как это было с Генрихом IV)