BIG DATA – Fluch oder Segen? Unser Streben nach Sicherheit, Einfluss und Macht wird mit „Big Data“ exponentiell gestärkt. Beim Menschen selbst erzeugt dies ein Mehr an Kontrolle, Vereinnahmung und Abhängigkeit. „Big Data“ in humaner Art zu nutzen bedingt die Erkenntnis, dass die Menschheit im Streben nach Macht erfolgreich aber auch gefangen ist. Mit diesem Bewusstsein können wir Vorstellungen entwickeln, was wir Menschen in Zukunft sein wollen und was wir aus „Big Data“ gesellschaftlich und staatspolitisch machen. 1. Die individuelle und kollektive Verantwortung Wir lassen uns gern von Alltagssorgen und Ängsten ablenken. Deren Einfluss auf uns versuchen wir zu kontrollieren und zu versachlichen. Im Kollektiv zeigen wir ein ähnliches Abwehrverhalten. Der Verletzbarkeit durch Terroranschläge begegnen wir mit intensivierter Überwachung und demonstrieren Stärke. Solche Massnahmen erscheinen uns notwendig, werden rasch getroffen, ohne dass wir dabei die Datenverwendung regeln. 2. Im Grundmuster „Macht & Einfluss“ gefangen Die Menschheit ist von demselben Grundmuster geprägt, das erfolgreich, aber auch abhängig und letztlich unglücklich macht. Von Geburt an sind wir allein nicht überlebensfähig. Diese Existenzangst prägt uns ein Leben lang, auch wenn wir erwachsen sind und längst autonom leben. „Abhängigkeit und Ohnmacht“ sind in deren Umkehrung „Macht und Einfluss“, und dahin wollen wir alle streben! Es sind unsere stärksten Gefühle, die uns leiten und verleiten. Sie prägen unser Handeln, unser Leben, unsere selbst geschaffene Realität, unsere Welt. Eine Abkehr von diesem Muster ist für die Weltwirtschaft, die gerade von unseren Ängsten und Wünschen lebt, uninteressant und gesellschaftlich kaum umsetzbar. 3. Die Macht des Wissens: Big Brother – Big Data Mit Fliessbandarbeit und Zeiterfassung wurden breite Massen einer fremdgesteuerten Disziplinierung unterworfen, die in Charlie Chaplins „Modern Times“ eindrücklich dargestellt wird. Im Roman von George Orwells „Big Brother“ ist es der fiktive Diktator des totalitären Staates „Ozeanien“, der die Kontrolle und Unterdrückung seiner Bürger zur Perfektion getrieben hat und diese mit dem Propaganda-Slogan „Big Brother is watching you“ ständig an seine Macht ermahnt. Denn: Wissen ist Macht (Francis Bacon, zur Naturwissenschaft, 16. Jh.) 1/5 Unter „Big Data“ versteht man heute die Informationstechnik, die zum Sammeln und Auswerten von Daten aus möglichst vielen Quellen eingesetzt wird. Der Mächtigere bietet dem weniger Mächtigen einen Mehrwert in Form von digitalisierten Technologien an und gelangt auf diesem Weg zu dessen Anwenderdaten. Damit haben beide etwas gewonnen. Doch, ist dies ein fairer Handel, wenn der Anbieter im Verborgenen eine grosse Datenmenge sammelt und daraus spezifische Aussagen generieren kann? 4. Die Macht aus der Nutzung von Wissens-Systemen Das Know How und Know Why, das Zusammenhänge erarbeitet, Informationen als valide beurteilt und einen Sinn vermittelt, stand bislang im Zentrum des Interesses. Seit uns das Internet Kontakte, Verbindungen und Informationen global zugänglich macht, ist das „Wissen als Quelle der Macht“ um eine Stufe höher gerückt. Das WAS und WOZU wird vom WIE und WANN abgelöst. Die digitale Weiterverarbeitung des Wissens hinsichtlich einer spezifischen Anwendung ist heute gefragt: Der Nutzen einer Anwendung, der vom „Systemnutzer“ lediglich noch ein Know-to-use abverlangt. 5. Big Data – Big Responsibility „Big Responsibility“ appelliert an die grosse Verantwortung eines jeden Menschen, „Big Data“ transparent zu erfassen und in ethischer und menschlicher Art zu nutzen. Verantwortungsebenen mit Hinweise dazu: A Die individuelle Ebene Human-tracking erfasst den Standort, Self-tracking ermittelt biometrische Daten zur Gesundheit und führt weiter zum Life-Logging, der Lebensprotokollierung. Die analoge Selbstbetrachtung wird vermehrt durch die digitale Selbstkontrolle ersetzt. Die Überbetonung des Faktenwissens geht einher mit einem Sinnverlust. B Die kollektive Ebene Die Akzeptanz von digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen ist besonders gross. Während dem das Röntgen ein direktes Bild erzeugt und somit nur der objektiven Erfassung und subjektiven Auswertung durch den Menschen unterliegt, sind MRI, CT, EEG bildgebende Verfahren, die mit Hilfe von Rechenalgorithmen virtuelle Bilder erstellen. Damit kommen zusätzliche Unsicherheiten in der Datengenerierung und der bildlichen Darstellung hinzu. Mit „intelligenten Werkzeugen“ adäquat zu arbeiten bedingt Souveränität im Entscheid, in wieweit deren Auswertung als ein Hilfsmittel genutzt oder mit anderen Verfahren ergänzt und mit der eigenen Erfahrung zu interpretieren sind. 2/5 C Die wirtschaftliche und politische Ebene In den 90-er Jahren wurden die ERP-Daten zur Ressourcenplanung in Unternehmen auch analytisch genutzt. Solche „Big Data“-Auswertungen laufen heute firmenübergreifend und ohne Zwischenspeicherung ab, prüfen mehrfach Korrelationen, verschaffen Wissensvorteile und ermöglichen ganz neue Unternehmensanwendungen. Die Nutzung von „Big Data“-Anwendungen ist eine ausführende und indirekte Tätigkeit, entfernt von der unternehmerischen Verantwortung mit Beziehungen zu Kunden und Lieferanten. „Big Data“ unterliegt keiner Regulierung, eröffnet Möglichkeiten des informationellen Machtmissbrauchs durch Manipulation, Diskriminierung und ökonomische Ausbeutung. 6. Was der Mensch in Zukunft sein will „Big Data“ in ethischer und menschlicher Art zu erfassen und zu nutzen, bedingt … die Erkenntnis, dass die Menschheit im Streben nach Macht zwar erfolgreich aber auch gefangen ist. das Bewusstsein, dass wir Vorstellungen entwickeln können, was wir Menschen in Zukunft sein wollen und was wir aus „Big Data“ machen. die gesellschaftliche und staatspolitische Auseinandersetzung darüber, was global zusammengeführt und unter den geltenden Menschenrechten der UNO aufgenommen werden soll. 7. Was wir sonst vermissen werden Unser Grundmuster, das uns erfolgreich macht, aber auch … … abhängig und letztlich unglücklich Gefühle, die wir als belastend empfinden, Wir umgehen die Auseinandersetzung mit uns versuchen wir zu verdrängen. selbst und verzichten auf eine grössere Autonomie. Unser Streben nach Macht und Einfluss ba- Unsere emotionale und intuitive Intelligenz siert auf Kontrolle und sachlogischem Han- bleibt ungenutzt und wird uns fehlen. deln. „Big Data“ schafft Einzelnen mehr Wissen und Das intransparente Sammeln, Auswerten und Macht, zulasten Vereinnahmung und Abhän- Weiterverwenden von Daten stellt eine Gegigkeit Anderer. fahr für unsere Autonomie und das Vertrauen in die Gesellschaft dar. Die Aufbereitung des Wissens zum Nutzen Vordergründig werden die autonomen Seiten 3/5 von digitalisierten Systemen enthält Unsi- der Mitarbeitenden, deren Wissen, Erfahrung cherheiten in der Datengenerierung und der und Sinngebung weniger gefragt. bildlichen Darstellung. Die analoge Betrachtung wird vermehrt durch Digitalisierte Systeminformationen erhöhen digitalisierte Systeminformationen ersetzt. die Distanz zur Realität und gehen einher mit einem Sinnesverlust. „Big Data“ unterliegt keiner Regulierung, er- Was der Mensch in Zukunft sein will, hat eiöffnet Möglichkeiten des informationellen nen entscheidenden Einfluss auf die ethische Machtmissbrauchs durch Manipulation, Dis- und humane Handhabung von „Big Data“. kriminierung und ökonomische Ausbeutung. 8. Big Responsibility Das Leben in der digitalisierten Welt ist wie ein Leben im Schaufenster. Die aus den gewonnen Daten ableitbaren Erkenntnisse unterstehen keiner Regulierung und tangieren dennoch die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen. Wer schützt diese? Oder obliegt es alleine der persönlichen Verantwortung? Die Erkenntnis, dass die Menschheit aufgrund der Existenzangst nach Macht strebt, kann viel Neues schaffen. Wir alle tragen daher die Verantwortung, all unser Handeln in diesem Bewusstsein zu betrachten. Beispiele, was wir tun können: A Die individuelle Verantwortung - B Die kollektive Verantwortung - C „Big Data“ mit Transparenz in der Datenerfassung und Datennutzung begegnen „Big Data“ nachweislich auch auf humanitätsfördernde Werte hin ausrichten Die wirtschaftliche und politische Verantwortung - 9. belastende Gefühle aushalten und selbstkritisch hinterfragen das Bewusstsein betreffend Handlungen schärfen, ob Autonomie oder Abhängigkeit verstärkt wird Menschenwürde und Gesellschaftsordnung im digitalisierten Leben erhalten und UNO Menschenrechtskonvention einhalten Transparenz hinsichtlich der globalen Verteilung von Macht und Ohnmacht schaffen und Ausgleichsziele bestimmen Die Verantwortung des Verwaltungsrates Was wir Menschen in Zukunft sein wollen und was wir aus „Big Data“ gesellschaftlich und staatspolitisch machen, ist richtungsweisend für ein Unternehmen, denn jede Organisation ist als eine Gruppierung von Menschen zu verstehen. In den Aktiengesellschaften bestimmt der Verwaltungsrat die Corporate Governance, den „Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unterneh4/5 men“. Das Aktienrecht sieht den Verwaltungsrat als Gestaltungs- & ControllingRat. Dieser hat somit über den Einsatz von Big Data zu bestimmen. Was wir bedenken und worauf wir achten müssen: Big Data als Controlling-Kraft erfordert Transparenz Big Data generiert Wissen und Macht, aber auch Ohn-Macht Big Data bietet über Algorithmen die Systemnutzung an, aber die Anwendungsnutzen ersetzt nicht die Erfahrung aus der Realität Big Data als Gestaltungs-Potenzial ist humanitätsfördernd auszurichten Big Data eröffnet ganz neue Unternehmensanwendungen, aber auch Möglichkeiten des Missbrauchs Big Data ist darauf auszurichten, was der Mensch in Zukunft sein will, aber die Macht der Daten muss auf einen neuen Sinn und ein neues Können hin ausgerichtet sein Die Anwendung von Big Data soll einen Ausgleich zwischen Kontrolle und Gestaltung schaffen Matthias Aeppli ist Berater für KMUs und verfügt über eine grosse Industrieerfahrung als Geschäftsführer. Er ist ausgebildet als Betriebsingenieur, Organisationsberater und Coach (bso). www.1a-cons.ch 5/5