Be Potentiale für die Verbesserung der Einkommen von Kleinbauern in Südmoldawien Ergebnisse einer explorativen Untersuchung zur Bestimmung von Projekten für Kleinbauern Jochen Pfeiffer Cristina Russu Bergstr. 30 52062 Aachen OKTOBER 2015 Ajutor pentru copii, tineri și bătrâni în Republica Moldova Hilfe für Kinder, Jugendliche und alte Menschen in Moldawien Die Moldovahilfe Aachen – MoldovAhha e.V. ist ein gemeinnütziger Verein nach deutschem Recht, eingetragen ins Vereinsregister beim Amtsgericht Aachen unter dem Aktenzeichen VR 5138 und Anerkennung durch das Finanzamt Aachen-Stadt mit Steuer-Nummer 201/5913/4092 Die Gründung einer gemeinnützigen Organisation nach moldauischem Recht wurde - aus Notwendigkeit geboren - von der Moldovahilfe Aachen – MoldovAhha e.V. initiiert. Denn um die eigenen Projekte optimal betreuen zu können, ist eine Organisation vor Ort erforderlich, die bei permanenter Präsenz im Lande das Organisieren der Projektarbeit, Verwaltung und Einsatz der Spendenmittel, Buchführung und Bankverkehr auf dem Boden der Gemeinnützigkeit durchführt. So entstand die A.O. Parteneriatul Aachen–Moldova, die von der Moldovahilfe Aachen – MoldovAhha e.V. finanziert wird, und in fortwährender Abstimmung zwischen den beiden Organisationen die Betreuung und Verwaltung der gemeinsamen Projekte auf der Grundlage von Vereinbarungen gewährleistet. Die A.O. - Asociaţia Obştească - Parteneriatul Aachen-Moldova wurde im April 2015 gegründet und beim Justizministerium der Republik Moldau unter der Nummer 05/542 - 8637 als gemeinnütziger Verein eingetragen. 1 Exploratives Suchen Meine Übersetzerin Cristina Russu ist eine junge, moderne moldawische Frau. Vor der ersten gemeinsamen Fahrt gen Süden – ich saß am Steuer, weil sie gerade in der Führerscheinprüfung steckte – fragte ich vorsorglich: „Kennen Sie den Weg“? „Nicht gut, ich war erst einmal in den Dörfern“. „Haben wir eine Landkarte im Auto“? „Nein, aber meinen Laptop – verbunden mit einem Modem“! Und wirklich, eine Straßenkarte poppte auf dem Bildschirm ihres Laptops auf; unser mobiles, improvisiertes Navi funktionierte und ich kriegte die Fahr-Anweisungen im „O-Ton“. Aber so ca. 200 Kilometer südlich von der Hauptstadt riss die Verbindung zum Satelliten ab. Prompt wussten wir nicht mehr, in welche Richtung wir fahren sollten. So blieb nur fragen: „Quo vadis“? Zwei auskunftsfähige Frauen zeichneten eine provisorische Landkarte. Cristina und die Landkarte führten uns zu den gesuchten Dörfern, und das explorative Suchen nach Informationen über deren soziale und wirtschaftliche Situation konnte beginnen. Diese Recherche hat viel Freude gemacht und viele Erkenntnisse gebracht. Überzeugen Sie sich selbst. Süd-moldawische Dörfer haben jetzt für mich ein ausdrucksvolles Gesicht! Jochen Pfeiffer Potsdam, 1. NOV 2015 2 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung ................................................................................................................................... 6 2. Vorgehensweise .......................................................................................................................... 9 3. Dorfstruktur und Dorfentwicklung ............................................................................................ 11 3.1 Schattenseite: Auflösung der Kolchosen ............................................................................... 11 3.2 Verwaltung und Infrastruktur ............................................................................................... 14 3.3 Demographie ......................................................................................................................... 18 3.4 Arbeitsmigration.................................................................................................................... 23 3.5 Dorfgeschichte ...................................................................................................................... 25 3.6 Lichtblicke: Kinderbetreuung, Schulen und soziale Projekte ................................................ 28 4. Potentiale für Projekte in der Landwirtschaft ........................................................................... 31 4.1 Allgemeine Lage der Landwirtschaftsbetriebe in der Projektregion..................................... 31 4.1.1 Verfügbarkeit der wichtigsten Produktionsfaktoren ........................................................ 31 4.1.2 Beispielsbetriebe und Investitionspotentiale.................................................................... 36 4.2 Potentiale für Erzeugergemeinschaften................................................................................ 41 4.2.1 Erzeugergemeinschaft Honig ............................................................................................ 41 4.2.2 Weitere Potentiale für Erzeugergemeinschaften und Gemeinschaftsprojekte ................ 44 5. Darlehenskasse.......................................................................................................................... 47 6. Urlaub auf dem Bauernhof ........................................................................................................ 52 7. Fazit ........................................................................................................................................... 53 8. Begleitende Fotos ...................................................................................................................... 55 Danksagung ....................................................................................................................................... 67 Anhänge ............................................................................................................................................ 68 4 5 1. Einführung Ein Großteil der Bevölkerung der Republik Moldau lebt auf dem Land und arbeitet in der Landwirtschaft. Die Mehrzahl der Landwirtschaftsbetriebe produziert noch nach herkömmlichen Produktionsmethoden. Die Qualität der Produkte entspricht häufig nicht den Anforderungen anspruchsvoller Märkte. Der Marktzugang ist wenig erschlossen, da Managementkenntnisse und Geld für Investitionen dafür weitgehend fehlen. Die weit verbreitete Armut und die hohe Arbeitslosigkeit führen zur Emigration der arbeitsfähigen Bevölkerung. Rund ein Drittel der MoldauerInnen arbeitet im Ausland, oft zu schlechten und illegalen Bedingungen. Gleichzeitig fehlt es dem landwirtschaftlichen Sektor an Arbeitskräften. Dies ist ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt, denn ohne junge, initiative Bauernfamilien, die in der Landwirtschaft ihre Zukunft sehen, gibt es keine Perspektiven für eine landwirtschaftliche Entwicklung, für wirtschaftliches Wachstum auf dem Lande und stabile Dorfgemeinschaften. Grob betrachtet stellt sich die Lage der Kleinbauern und ihrer Dörfer wie folgt dar: Kleinbetriebe haben kaum einen Zugang zu Märkten außerhalb ihrer Dörfer oder der Kleinregion. Darüber hinaus produzieren sie zu unterschiedlichsten Qualitätsstandards. Arbeitsmigranten oder Rückkehrer investieren ihre Ersparnisse in kleine Parzellen und pflanzen langjährige Plantagen an (Walnuss, Pflaumen, Äpfel). Darüber hinaus droht der Ausverkauf der Böden an Personen oder Gesellschaften, die außerhalb der Dörfer leben (“ Absenty Landlords“ vor allem aus der Hauptstadt Chisinau). Wenn erst einmal „absenty landlords“ die fruchtbaren Böden der Kleinbauern aufgekauft haben und bewirtschaften, dürfte die wirtschaftliche und soziale Misere in den Dörfern noch zunehmen. Mit den so untergehenden Kleinbauern entleeren sich die Dörfer zunehmend und zerfallen bislang noch relativ intakte Dorfgemeinschaften. Dieser sozialen Misere vollen die „Moldovahilfe Aachen – MoldovAhha e. V.“ gemeinsam mit der moldawischen „A.O. Partenaeriatul Aachen-Moldova“ entgegenwirken. Sie vereinbarten daher eine Zusammenarbeit bei Sozialprojekten in der Kleinregion um den Rayon Krikova, im folgenden „Projektregion“ genannt. Beide staatlich anerkannten Organisationen haben gemeinnützige Ziele und arbeiten dafür grundsätzlich ehrenamtlich. In den drei Projektdörfern Baimaclia, Chioselia und Costangalia (s. Karte Südmoldawien mit den markierten Dörfern) wollen die beiden Vereine vor allem soziale Projekte fördern zugunsten bedürftiger Menschen. 6 Karte von Südmoldawien mit den Projektdörfern und der Kreisstadt Cantemir Zielgruppen des finanziellen und persönlichen Engagements sind zunächst Kinder und Jugendliche, denen durch die Förderung ihrer Ausbildung und Bildung bessere Lebenschancen eröffnet werden sollen, Gemeinschaften unterschiedlichster Art in den Dörfern, die zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts beitragen und in begründeten Einzelfällen auch Einzelpersonen, die in Not sind (Nothilfe). 7 Den Partnern stand dafür im Jahr 2014 ein Zuschussvolumen von ca. 15.000,- € zur Verfügung. In den kommenden Jahren soll dieses Fördervolumen vergrößert werden. Mit den in 2014 zu Verfügung stehenden Mitteln wurden folgende Kleinprojekte gefördert: Patenschaften zum Besuch des Kindergartens in Chioselia und Tarancuta, Stipendien zur Berufsausbildung in Chgioselia und Costangalia, Feriencamps mit den Scouts und dem Sozialzentrum in Costangalia, Eltern behinderter Kinder in Enichioi (Selbsthilfegruppe), Schulen und sozialen Einrichtungen in Costangalia und Valea-Perjei , und verschiedene soziale Notfälle. In den drei “Projekt-Dörfern“ hat der Verein somit bereits einiges an vertrauensbildenden Maßnahmen geleistet, die der Bevölkerung zeigen, dass MoldaAhha e. V. es ernst meint und über längere Zeit ein seriöser Partner sein will für sinnvolle Entwicklungsprojekte und Dienstleistungen aller Art. Somit bestehen günstige Voraussetzungen einen Schritt weiter zu gehen und auch Produzenten landwirtschaftlicher und gartenbaulicher Produkte anzusprechen im Hinblick auf weitere vor allem auf Gemeinschaftsentwicklung ausgerichtete Projekte. Ziel derartiger Vorhaben ist es, die Einkommen und die Lebensbedingungen von Kleinbauern und Mitgliedern von Gemeinschaften in Produktion und Vermarktung zu verbessern. Zu diesem Zweck sollen vor allem eine oder mehrere Erzeugergemeinschaften (EGs) gegründet werden. Diese EGs orientieren Produktionsprozess und Output bestimmter landwirtschaftlicher oder hauswirtschaftlicher Produkte an den Erfordernissen des Marktes. Die EG etabliert somit für ausgewählte Produkte gemeinsame Regeln für ihre Herstellung, Lagerung und Vermarktung. Die PG verkauft diese Produkte dann im Namen ihrer Mitglieder. Diese Zielsetzung bedingt daher (a) eine erste Suche nach vielversprechenden Projektmöglichkeiten (Projekt-Potentiale im Rahmen der explorativen Untersuchung), (b) eine Auswahl von Vorhaben durch den Moldauhilfe e. V. und (c) eine Überprüfung deren Machbarkeit. Vorbedingung einer erfolgreichen Projekt-Implementierung ist weiterhin ein Minimum an gegenseitigem Vertrauen und verlässliche Managementkapazitäten in den ausgewählten Dörfern. Die Überlegungen in Hinblick auf „Gemeinschaften“ sollten so breit wie möglich angelegt werden und auch Dienstleistungen, wie beispielsweise Urlaub auf dem Bauernhof, nicht ausschließen. 8 2. Vorgehensweise In der Zeit vom 13. bis 30. Oktober 2015 sind Jochen Pfeiffer, Entwicklungsexperte in Ruhestand, und Cristina Russo, Projektkoordinatorin von MoldovaAhh e. V., diesen Fragen in den Dörfern nachgegangen. Von den Untersuchungsergebnissen sollen Handlungsempfehlungen an MoldavAa e. V. für die Gründung von Producer Groups und ihrer Unterstützung während der Startphase abgeleitet werden. Auch andere bislang nicht erkannte Förderansätze für Kleinbauern sollen im Rahmen dieser explorativen Untersuchung aufgegriffen werden. In den drei Gemeinden wurden jeweils ca. 10 Bewohner mit Hilfe eines Gesprächsleitfadens befragt. Vorgeschlagen wurde bewusst diese qualitative Herangehensweise, um möglichst viel über das dörfliche Leben, die dort herrschenden Strukturen und das alltägliche Zusammenleben der Bewohner zu erfahren. Ergänzend wurden Experten relevanter öffentlicher und privater Einrichtungen und Unternehmen im Hinblick auf Wirkungsweise und Effektivität öffentlicher oder privater Förderprogramme, auf die Dorfentwicklung und insbesondere im Hinblick auf die Gründung von Producer Groups interviewt. Die drei Dörfer liegen in einem strukturschwachen ländlichen Raum ohne nennenswerte Entwicklungspotentiale. Einzig bedeutsamer Arbeitgeber ist die Landwirtschaft. In jedem der drei Dörfer wurden daher je zwei bis drei Vollerwerbsbetriebe und ein Nebenerwerbs- oder Subsistenzbetrieb genauer untersucht. Somit ergaben sich drei Untersuchungsfelder die selbstverständlich vielfältig miteinander verknüpft sind: a) Zu analysierende Faktoren der Dorfstruktur und Dorfentwicklung Historischer Hintergrund, Dorfgeschichte Demographische Entwicklung, Altersstruktur Strukturwandel in der Landwirtschaft, ausgelöst durch die Auflösung der Kolchosen und Sowchosen, und die Folgen für den Arbeitsmarkt Wirtschaftliche Lage (Infrastruktur, Erwerbssituation, Vermögenssituation, Bedeutung von Transfereinkommen etc.) Gesellschaftlich-soziales Leben (Kommunikation, Engagement) Lokale Akteure und Netzwerke (Vereine, kulturelle Aktivitäten, sportliche Aktivitäten, musische Aktivitäten etc.) Fördermittel und private wirtschaftliche Initiativen b) Zu analysierende Faktoren der Entwicklung von ausgewählten Landwirtschaftsunternehmen Produktionsfaktoren (Boden, Arbeit, Kapital) 9 Produktionssysteme (Pflanzenproduktion, Tierproduktion, Weinbau, Obstund Gemüsebau, Bodenfruchtbarkeit und Bodenerosion, Bedeutung von Wald etc.) Erlöse und variable Kosten wesentlicher Produktionsverfahren Vermarktungswege, Preisstabilität, Lagerhaltung Umfang und Hintergrund von fixen Kosten Stabilität, Rentabilität und Liquidität Schätzung des verfügbaren Familieneinkommens c) Zu analysierende Faktoren für die Gründung von Producer Groups Potential für klassische Agrarprodukte (Fleisch, Obst, Gemüse etc.) Potential für althergebrachte, traditionelle Produkte Verarbeitung und Vermarktung dieser Produkte Potential für „Urlaub und Freizeit auf dem Lande“ Bedeutung / Potential von e-Marketing Managementkapazitäten in den Dörfern und deren Umfeld für Producer Groups 10 3. Dorfstruktur und Dorfentwicklung 3.1 Schattenseite: Auflösung der Kolchosen In den Gesprächen zur Lage in den Gemeinden wurde immer wieder auf die „guten alten Zeiten im Kolchos“ oder im Staatsbetrieb Sowchos verwiesen. Diese landwirtschaftlichen Monopol- und Großbetriebe der Dörfer bewirtschafteten bis zu ihrer Auflösung in der ersten Hälfte der 1990er Jahre - ausgenommen der Hausgärten - alle Ackerflächen in den Gemeinden. In extra errichteten großen Stallanlagen hielt der Kolchos hunderte von Masttieren aller Art. Die Sowchose betrieb auf hunderten von Hektaren Weinbau und verarbeitete die riesigen Mengen an Weintrauben in einer Fabrik zu Traubensaft. Auf den ca. 5.000 ha Landwirtschaftliche Nutzfläche der drei Projektdörfer dürften ca. 750 Leute beschäftigt gewesen sein. 1 Das schaffte Arbeitsplätze und sicherte praktisch Vollbeschäftigung in den Dörfern. Arbeit hatte zu Kolchos-Zeiten einen besonderen Stellenwert. Vor allem die Frauenerwerbstätigktiet hatte einen sehr hohen Stellenwert. Arbeitslosigkeit war ein Fremdwort und die Arbeitsstätten stellten einen zentralen Faktor im dörflichen Leben dar. War ein Dorfbewohner einmal untätig, so kam unweigerlich ein Vertreter des Kolchos und fragte: „Warum arbeitest Du nicht? Hast Du keine Lust?“ In Spitzenzeiten der Ernte wurden zusätzlich Dorfbewohner oder Personen von auswärts zu Arbeitseinsätzen aufgefordert, selbst an Wochenenden. Die Kolchosmitglieder arbeiteten für relativ niedrige Löhne. Im Durchschnitt verdiente ein Kolchosmitglied ca. 150 Rubel im Monat. Das war nicht viel. Allerdings verkaufte der Kolchos im Gegenzug einen Teil seiner eigenerzeugten Produkte – Fleisch, Butter, Milch, Eier, Sonnenblumen-Öl, Wolle, Honig etc.- zu niedrigen Preisen an ihre arbeitenden Mitglieder. Auch lieferte er zu günstigen Konditionen Bauholz und Baumaterial für den individuellen Hausbau der Mitglieder. Gebaut wurde mit gegenseitiger Nachbarschaftshilfe. Auf diese Weise kamen viele Kolchosmitglieder zu einem bescheidenen Vermögen. Je nach Größe und Ausstattung hat ein Wohnhaus mit Garten heute einen Wert zwischen 15.000,- und 30.000 Euro < FOTO Nr. 1 >. 300.000 bis 400.000 LEI stellen in Moldawien schon ein beachtliches Vermögen dar. Im Staatsbetrieb von Costangalia, der Sowchose, wurden die Trauben von 947 Hektar Wein - das waren immerhin 5.500 bis 6.000 Tonnen pro Jahr - in einer Fabrik am Straßenrand zu Saft gepresst und in die gesamte Sowjetunion verschickt. Das war ein Qualitätsprodukt, dessen Anfertigung aber lediglich 28 Arbeitskräften eine feste Arbeit bot. 1 Baimaclia: 2.300 ha, Costangalia 850 ha, Chiosilia 1.650 ha; Normzahl 15 Arbeitskräfte (AK) pro 100 ha LF ergibt ca. 840 AK. 11 Zur Weinlese wurden die erforderlichen Arbeitskräfte von auswärts nach Costangalia delegiert. Der Staat hatte sich irgendwann einmal die fruchtbaren Weinberge um Costangalia angeeignet und daraus einen klassischen Staatsbetrieb gemacht. Die Leute verdienten mehr als in der Kolchose, es gab weniger soziales und kooperatives drum herum. Da war schlichtweg nur eine Fabrik die Traubensaft produzierte und den Rohstoff dafür aus dem Umland bezog. Bei der Auflösung der Sowchose Anfang der 1990er Jahre wurde diese riesige Weinberglandschaft einfach auf die fest angestellten Arbeitskräfte aufgeteilt. Im Durchschnitt erhielt jeder Sowjosen-Mitarbeiter 47 Hektar Rebland. Das war ein enormer Vermögensgewinn, der aber ohne die Fabrik, die niemand weiter betreiben wollte, nicht viel wert war. Inzwischen sind viele Rebflächen schon mehrfach wieder verkauft worden, je nach Konjunktur für Wein- und Esstrauben. Die Rebstöcke vieler dieser Weinberge sind überaltert und unproduktiv < FOTO Nr. 2 >. Heute versuchen einige junge Investoren ihr Glück mit Neuanpflanzungen in beiden Produktionsrichtungen: Esstrauben und Trauben für Wein. Auch große Investoren aus Chisinau drängen in den Markt, kaufen große Flächen mit 40 bis 50 Jahre alten Rebstöcken, roden diese und investieren in Neuanlagen. In Baimaclia nahm der Kolchos im Laufe der Zeit vermehrt Aufgaben des Staates wahr, die außerhalb ihrer Kernaufgabe, also der Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse, lagen. Neben den unterstützenden Leistungen im infrastrukturellen Bereich, bauten und betrieben die Kolchosen Kulturhäuser, Bibliotheken, Kinderbetreuungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Jugendclubs, Lehrwerkstätten, Gaststätten und Einzelhandelsgeschäfte sowie medizinische Einrichtungen und organisierte teilweise auch die Altersversorgung. Im Kulturhaus von Baimaclia zeugt ein Theatersaal mit 750 Plätzen und professionell ausgestatteter Bühne, erbaut im Jahre 1973, vom einstigen Kulturengagement der Kolchose < FOTO Nr. 3 und 4 >. „Dieser Saal war bei Veranstaltungen aller Art fast immer voll!“ erinnern sich noch heute ältere Leute. „Und das Kulturhaus hatte eine eigene Musikkapelle deren Musiker voll bezahlte Angestellte des Kolchos waren und auch im blauen Foyer zum Tanz aufspielten“. Somit ersetzte der Kolchos in geselliger und organisatorischer Art und Weise dörfliche Vereine. Weiterhin förderte er bestehende politische und gesellschaftliche Vereinigungen und existierende Ortsgruppen der gesellschaftlichen Massenorganisationen, wie Komsomolsk etc. Und all dies war mit einem Schlag 1990 vorbei! Die vollständige Auflösung der Kolchosen zog sich zwar über einige Jahre hin. Dennoch war das Ereignis selbst ein Schock für viele! Die Zeit danach versetzte all denjenigen einen weiteren Tiefschlag, die es nicht verstanden, sich aus dem Kolchos-Vermögen ihr Stück oder ihren Anteil zu sichern. Ein detailliertes Landwirtschaftsanpassungsgesetz, wie es die erste freigewählte Volkskammer der DDR für die Auflösung oder Umwandlung der LPGen in der DDR bereits im Juli 1990 12 verabschiedet hatte, gab es nicht. So galt wohl in den Dörfern Südmoldawiens mehr das Recht der Stärkeren, die sich Ställe, Lagerhallen, Maschinen und Vieh aneigneten, im Rahmen undurchsichtiger Vorgänge und zu unbekannten Preisen. Zumindest wurde uns diese Auflösung der Kolchosen von mehreren Personen so geschildert. Verlässlich nachprüfbar ist all dies nicht mehr. Aber gehen wir einmal davon aus, dass diese Auflösung der alten Ordnung „Kolchos-Dorf“ eine schwere Hypothek beim Aufbau einer neuen Ordnung ab 1995 mit sich gebracht hat und auch heute – zwanzig Jahre nach diesem Geschehen - noch nachwirkt. Zu oft, so scheint es, wurden damals bestehende Beziehungen zerstört. Dies führte zu einem weitverbreiteten Misstrauen in Fragen der Vertrags- und Geschäftsethik. So werden Gemeinschaftsaktionen heute fast nur im Familienoder Freundesverband organisiert oder mit Mitgliedern der gemeinsamen Kirchengemeinde vereinbart. Es scheint, dass Ansätze horizontaler Kooperation, also der Zusammenarbeit von individuellen Bauern zu gemeinsamen Nutzen, erst wieder gelernt werden müssen. Der in Beton gemeißelte Spruch an der Front des Kulturhauses von Baimaclia „Die Kraft des Volkes kommt aus seiner Einigkeit“ 2 erscheint heute somit mehr als gehaltslose politische Floskel aus dem Jahre 1973 und weniger als eine bleibende Aufforderung, auf Produktionsebene die alte bäuerliche Tugend der Kooperation – oder war es in der Kolchoszeit doch mehr Zwang? – wieder ihren Stellenwert zu geben. Wie heute mit diesem Phänomen umgehen? Fünfundzwanzig Jahre seit Auflösung der Kolchosen scheint eine lange Zeit. Dennoch: Für die Anpassung an völlig neue Lebensumstände benötigt der Mensch häufig einen noch längeren Zeitraum. Viele Menschen – gut die Hälfte wurde behauptet – sprechen noch heute mit viel Frustration über das Geschehen Anfang der 1990er Jahre in ihren Dörfern und trauern den alten Zeiten nach. Das verwundert nicht, mussten die Bewohner in den Projektdörfern doch nach 1990 nicht nur einen Struktur- sondern auch einen Systemwandel verarbeiten. Das erinnert uns an den massiven Wandel, den die Französische Revolution für die Menschen mit sich brachte und den Georg Büchner wie folgt bewertet hat: „Ist es denn nicht einfach so, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?“ 3 2 Der Spruch lautet auf Rumänisch: „IN UNIRE ESTE PUTEREA POPORULUI“. Georg Büchner – Dantons Tod, zitiert in: Sandra Baron, Dörfer in Brandenburg, Agrarsoziale Gesellschaft e. V., Kleine Reihe 61, Göttingen 2000, S. 157. 3 13 3.2 Verwaltung und Infrastruktur Die Kolchose förderte also in „alten Zeiten“ Kulturhäuser, Kinderbetreuungseinrichtungen, Freizeiteinrichtungen, Lehrwerkstätten, Gaststätten und Einzelhandelsgeschäfte sowie medizinische Einrichtungen und auch teilweise die Altersversorgung. Im Bereich der kommunalen Infrastruktur unterstützten diese Großbetriebe sowohl den Straßenbau- und Wohnungsbau als auch die Wasserver- und Entsorgung. Parallel betrieb auch die Kommune eigenständig ihre Einrichtungen, wie Kindergärten oder schickte ihre Schulbusse in entlegene kleine Dörfer zum Einsammeln der Kinder. All diese Angebote an die Bürgerinnen und Bürger sind auch heute für ein ausgewogenes Leben in den Dörfern erforderlich, werden aber nur noch teilweise von der öffentlichen Verwaltung abgedeckt. Für ein Dienstleistungspaket, wie es die Kolchosen haben anbieten können, sind heute die Zuwendungen des Staates schlichtweg zu niedrig. So liegt das Gemeindebudget der Gemeinde Chioselia mit ca. 800 Einwohnern bei 400.000 LEI, also 20.000,- Euro. 300.000 LEI erhält sie jedoch lediglich vom Staat. Der Rest wird durch die Grundsteuer und die Einnahmen aus der Verpachtung von 14 Hektar Eigenland abgedeckt. Aber diese Einnahmen reichen nicht aus für den Unterhalt des Kindergartens, die Gehälter der Gemeindeangestellten etc. So ist der Bürgermeister bei der Ausbesserung der Zufahrtstraße zu seinem Dorf, die noch nicht geteert ist, auf die Transportkapazitäten und Unterstützung seiner Bauern angewiesen. Vieles wird nun in Eigenleistung gemacht, was früher die Brigaden der Kolchose erledigten, wie z. B. Schaukeln für den Kindergarten bauen oder Kleinreparaturen an den Gemeindegebäuden. Das klappt zwar, kann aber kein Dauerzustand bleiben. Auch das große Kulturhaus in Baimaclia wird noch von der Gemeinde unterhalten und bewacht. Fünf Arbeitskräfte sind dafür erforderlich. Es gibt aber nur noch selten Veranstaltungen. Auch die große Bibliothek für Erwachsene, mit vielen Bänden französischer und russischer Literatur, schlummert, vor sich hin. Lediglich in der Kinder-Bibliothek gibt es eine regelmäßige und nachhaltige Nachfrage < FOTO Nr. 5 und 6 >. In den anderen Gemeinden sieht es nicht viel besser aus. So verwies der Bürgermeister von Baimaclia auf die schwierige Lage speziell im Jahr 2015, wo eine fest eingeplante Zuwendung des Staates an die Gemeinde in Höhe von 300.000 LEI einfach ausbleibt, weil im Staatshaushalt der Regierung in Chisinau eine Milliarde USD 14 verschwunden ist. Das entspricht 17 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Einfach so, wohl einem Tag auf den nächsten! 4 „Und nun?“ die Frage des Bürgermeisters an uns. Diese Frage hat er auch seinem Gemeinderat gestellt, mit dem er nun die Kürzungen im Gemeindebuget vereinbaren und durchsetzen muss. Die Frage nach punktueller Unterstützung aus dem Ausland in Form von Projekten aller Art wurde an uns immer wieder herangetragen. Das ist aus der speziellen Situation heraus, ausgelöst durch diesen fast Hollywood-gerechten Piratenakt, mehr als verständlich. Und die Bürger? Was sagen die zu dieser Misere? Politische Fragen kann man zwar stellen, wurden aber fast nie konkret beantwortet. Ganz offensichtlich sind für viele Leute Werte und Normen in gesellschaftlichen Lebensbereichen verloren gegangen, vor allem auch im Hinblick auf Politik. Damit verbunden ist eine Suche nach neuen Kommunikations- und Lebensmustern. Smartphone und Laptop als Heimkino spielen eine immer größere Rolle. WLAN kostet 150 LEI im Monat; das kann man sich noch leisten. „Kleine Fluchten“ wurde einmal ein Schweizer Film betitelt, der diesen Sachverhalt im dörflichen Leben ins Visier genommen hatte. Lässt sich die Mitgliedschaft in Sekten gleichermaßen als „kleine Flucht“ interpretieren? Allein in Baimaclia gibt es derzeit 6 Sekten, so erklärte man uns von berufener Seite. Es scheint, dass aus der früheren ökonomischen (Not)-Gemeinschaft Kolchos zunächst, eine dem individuellen Eigennutz verpflichtete „offene Gemeinschaft“ hervor gegangen ist. Die Indikatoren dafür, Rückzug hinter die Zäune und Mauern seines individuellen Anwesens oder in die eigenen vier Wände waren auch in Brandenburgs Dörfern nach der Wende und nach der Auflösung oder Umwandlung der LPGen zu beobachten.5 Die Mitgliedschaft in Sekten, also ein „Sich-Überstülpenlassen“ extern entwickelter Werte und Normen, scheint in den Projektdörfern Einkehr gehalten zu haben. Ein offenes Vereinsleben gibt es nicht, mit Ausnahme im Fußball. Anders stellen sich die Gemeinden der Baptistischen Kirche dar in den drei Projektdörfern. Die Gemeinde in Chioselia hat 70 Mitglieder und wird von einem dynamischen Prediger geleitet; in Chostangalia sind es lediglich 14 Mitglieder und in Baimaclia wird zur Zeit eine kleine neue Kirche gebaut. Diese Gemeinden bilden jeweils eine geschlossene Gruppe, die sich Halt gibt, in Chioselia in einem speziellen Haus soziale Hilfsdienste organisiert, Chorsingen anbietet und vor allem jeden Sommer im August ein großes Sommercamp für 80 bis 90 Kinder und viele Helfer aus nah und fern durchführt. Unterstützt werden all diese Aktivitäten der baptistischen Gemeinden von der evangelischen Moldavahilfe Berlin e. V. mit ca. 40.000 Euro pro Jahr. 4 Siehe Anlage 1: Sächsische Zeitung vom 21.10.2015 „Diebstahl des Jahrhunderts“: Moldau versinkt im Krieg der Oligarchen. 5 Sandra Baron, Dörfer in Brandenburg, ASG – Kleine Reihe Nr. 61, S. 35. 15 Welche Rolle spielen in dieser schwierigen Lage in den Projektdörfern Netzwerke oder individuelle Akteure? Gibt es trotz der abnehmenden Beteiligung am Gemeinschaftsleben Personen, die sich für die Belange im Dorf einsetzen? Da sind an erster Stelle die Bürgermeister zu nennen, alle durchaus erfahrene und anerkannte Persönlichkeiten. Sonst wären sie nicht gewählt worden. Allerdings spricht die Tatsache ihres häufigen Wechsels dafür, dass die drei Projektdörfer noch nicht „ihre“ Führungsperson gefunden haben, die sie über Jahrzehnte hinweg durch die Aufs und Abs der Gemeindeentwicklung führt, wie dies in gestandenen Gemeinden überall in Deutschland zu beobachten ist. Vielleicht wächst ja der junge Bürgermeister von Baimaclia in eine solche Rolle hinein, der bereits zum zweiten Mal gewählt wurde und sehr überlegt auftritt. Die Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Lehrer scheinen ebenfalls zum Kreis der Vertrauenspersonen zu zählen, wie auch die vielen Sozialassistentinnen, die im Auftrag der Gemeinde in den Dörfern ihren Dienst tun. Sie alle gehen gekonnt und vom Vertrauen der Betroffenen und Eltern begleitet ihrer schwierigen Aufgabe nach. Diese Funktionsträgerinnen bieten Halt und Schutz für sozial Schwache und für Eltern und Kinder. Darauf werden wir weiter unten noch eingehen. Auch Gesanges-Chöre gibt es in zwei der drei Gemeinden. Aber all diese Angebote und Leistungen haben sich noch nicht in lokalen Netzwerken verdichtet, die auf die Entwicklungsdynamik des gesamtes Dorfes Einfluss nehmen. Politische Parteien wären hier an erste Stelle zu nennen, oder die Beziehung Gemeindevertreter zu den Bürgern. Von deren Aktivitäten wurde uns nicht berichtet, auch nicht von einer intensiven Interaktion zwischen den gewählten Gemeindevertretern und den Wählern. Lokale Akteure, die wirklich treibende Kräfte im Ort sind, haben wir somit außer den Bürgermeistern und dem Prediger der Baptistengemeinde in Costangalia nicht entdecken können. Zur Frage der „Behandlung Bürger durch die Verwaltung“ gewannen wir durchaus gute Eindrücke durch teilnehmende Beobachtung, aber auch durch direkte Rückmeldungen von Bürgern. Die Ordnung in den Büros der Verwaltung ist sehr gut, die Anwesenheit der Verwaltungsangestellten ebenfalls. Von keiner Seite kamen Hinweise auf Korruption, wie beispielsweise auf Zuzahlungen bei der Einholung eines Stempels, wie dies in der rumänischen Verwaltung gang und gäbe war. Auch bei der Abrechnung der Zuweisungen von MoldavaAhha e. V. an die lokalen Kostenstellen gab es bislang keine Anlässe, deren Genauigkeit in Frage zu stellen und die Verlässlichkeit der Partner anzuzweifeln. Allerdings wickelt ModavAhha e. V. alle Zahlungsvorgänge durch Überweisungen ab und lässt die Abrechnungsbelege durch die Koordinatorin des Vereins unmittelbar vor Ort gegenzeichnen und abstempeln. „Das läuft durchaus zufriedenstellend“, so die Koordinatorin des Vereins. All dies sind also durchaus ermutigende Zeichen, dass die Verwaltung auf der Prozessebene auf einem guten Weg ist. 16 Straßen und Wege in den Dörfern sind mehr als ausgefahren und gleichen mehr Pisten für Hindernisfahrten als Ortsstraßen. Dies ist vor allem bei anhaltendem Regen spürbar. Dann verwandeln sich die nicht befestigten Dorf-Nebenstraßen in Schlamm-Wege. Die Verbindungsstraßen zwischen den Ortschaften werden mehr oder weniger gut unterhalten, wie bereits weiter oben dargelegt, teilweise in Eigenarbeit der Bauern mit ihren Traktoren und Transportkapazitäten. Aber das war auch in den 1960er Jahren in Oberbayern durchaus üblich. Auch der Winterdienst – also Schneeräumen – wird von den Gemeinden an die Bauern übertragen, allerdings gegen Bezahlung. Das ist ein durchaus sinnvolles Verfahren: Sparen die Gemeinden doch auf diese Weise die Kosten der Anschaffung und des Unterhalts von teuren Maschinen und Geräten. Ein gravierendes Problem ist beobachtbar in Gemeinden, die nicht an das GasVerteilungssystem angeschlossen sind, wie die Dörfer Costangalia und Chioselia: Gas ist enorm teuer geworden in den letzten Jahren. Pro Kubikmeter Gas verlangt der Gasversorger inzwischen 6,72 LEI. Pro Monat würde das Heizen eines Einfamilienhauses ca. 3.000 LEI kosten, wenn alle Räume beheizt würden und für das Kochen ebenfalls Gas verwendet wird. So heizen viele Dorfbewohner nur noch die Küche und vielleicht ein Zimmer, viele andere kochen und heizen mit Holz. So trifft man in den abgelegenen Dörfern immer wieder auf die kleinen Pferdewagen mit großen Ladungen von dünnen Baumstämmen und Ästen. Den Bäumen wird einfach keine Zeit mehr gelassen, zu wachsen und ihrem Dienst als würdige Lieferanten von Brennholz nachzukommen < FOTO Nr. 7 >. Dieses dünne Brennholz wird dann vor den Hofeinfahrten ofengerecht zugeschnitten und im Hof zum Trocknen aufgestapelt. Sozial schwachen Personen, die keine eigenen Transportmöglichkeiten haben, liefert die Gemeinde aus ihren Vorräten aus dem Gemeindewald eine geringe Menge an Brennholz für den Winter. Hier treffen zwei Problemfelder aufeinander: Das Problem der Energieversorgung im Winter in den abgelegenen Dörfern und das ökologische Problem der überbeanspruchten Fauna bei unzulänglicher Waldpflege. Die zumeist nicht den Gemeinden gehörenden lichten Gehölze an den Hängen im Umland der Dörfer kann man fast nicht mehr als Wälder bezeichnen, so ausgefranzt und locker präsentieren sich diese Baum- und Strauchbestände bereits < FOTO Nr. 8 >. Absolut schädlich ist das Vordringen von Ackerflächen auf bereits erosionsgefährdeten Hängen ohne Anlage von Baum- und Sträucher-Streifen (Field-Strips) quer zum Hang < FOTO Nr. 9 >. Die meist großen Ackerflächen von 60 bis 100 Hektar werden auf Nachfrage Eigentümern aus Chisinau zugeordnet, so auch das Feld auf dem Foto Nr. 10, auf dem bereits Mitte Oktober massive Wassererosionsrinnen erkennbar sind, die sich vermutlich nach der Schneeschmelze zu wahrhaftigen Gräben ausweiten werden. Weiter unten im Tal sind es dann bereits Erosionsschluchten, die zwar einen klaren Blick auf das mächtige Schwarzerde-Bodenprofil gestatten, dennoch aber die Schrittfolge ungebremster Erosion deutlich machen < FOTO Nr. 11 >. 17 Fieldstrips als Schutzbarriere gegen Bodenerosion und als schützender Hort für Kleingetier und Vögel sind heute fester Bestandteil im Förderangebot der EU-COM. Sie stehen hier in Moldawien selbstverständlich noch nicht im agrar-ökologischen Programm. Umso erstaunlicher ist aber, dass man rechts und links der Straße in den Süden Moldawiens immer wieder exzellent angelegte Fieldstrips sieht, ganz offensichtlich bereits gepflanzt in Kolchos- oder Sowchos-Zeiten. Die Agronomen damaliger Zeit wussten ganz offensichtlich sehr wohl, wie sensibel die Schwarzerde Böden auf massiven Wasserfluss nach der Schneeschmelze oder bei heftigen Gewittern reagieren < FOTO Nr. 12 >. Dieses gravierende ökologische Problem ist in vielen afrikanischen Ländern wohlbekannt (Ruanda, Sahelregion, Cap Verden etc.). Es kann nur mit staatlichen Ordnungsmaßnahmen (Abholzungsverboten) und Aufforstungsaktivitäten (Baumpflanzgeboten) gelöst werden, auf großen Feldern mit der Anlage von Fieldstrips. Auf den Kapverdischen Inseln wird heute bereits vermehrt mit Gas aus Gasflaschen gekocht oder werden andere Koch- und Heizungstechniken eingeführt. In China findet man in ähnlichen Bergregionen auf jedem kleinen Bauernhof eine Biogasanlage. Beides ist in der Projektregion derzeit wohl nur schwer umsetzbar – und steht vor allem auch nicht auf der Agenda von MoldavaAhh e. V. Als ehemaliger Sahel-Ökonom der gtz kann man aber nicht schweigend an dieser Problemlage vorbeigehen sondern muss sie dem Auftraggeber zumindest kundtun. 3.3 Demographie Die Dörfer in der Projektregion waren nach den statischen Zahlen, die wir dazu über die jüngste Geschichte der letzten zweihundert Jahre finden konnten, durch permanenten Zuzug gekennzeichnet. Besonders deutlich wird dies aus der folgenden Tafel über die Bevölkerungsentwicklung von Bamaclia. Eine entscheidende Rolle bei der Zunahme der Bevölkerung hat hier wohl der Aufschwung der Landwirtschaft im Zuge der Kollektivierung gespielt, der in den 1930er Jahren Einzug in das Dorf hielt. Beleg für diese Annahme sind die Eintragungen wichtiger Ereignisse in der Geschichte von Baimaclia in den Jahren 1929, 1935, 1940, 1942, 1946 und 1949, die ausschließlich mit der Gründung landwirtschaftlicher Organisationseinheiten im Ort in Zusammenhang stehen (siehe hierzu die folgende Wandtafel aus dem Dorfmuseum Baimaclia). 18 Ob die Zunahme der Bevölkerung zwischen den Jahren 1897 und 1932 um gut 700 Einwohner in einer höheren Geburtenrate zu suchen ist oder in einem staatlich angeordneten Zuzug von Arbeitskräften für die neue gegründete Kolchose, wird noch untersucht (siehe die folgende Wandtafel zur Bevölkrungsentwicklung in Baimaclia). 19 Baimaclia zählt heute mit 2.603 Einwohnern in etwa die gleiche Anzahl von Einwohnern, wie dies bereits im Jahre 1932 der Fall war. Die Einwohnerzahl von Chioselia einschließlich des Dorfes Tarancuta wurde uns für das Jahr 2012 mit 2.628 angegeben. Welchen Anteil davon die Arbeitsmigranten ausmachen, war nicht zu erfahren: „Das ändert sich laufend“ wurde uns dazu lapidar mitgeteilt. In beiden Orten liegt der Anteil der Bevölkerung mit moldawischen Ursprung bei ca. 97 Prozent (s. folgende Grafik). 20 Von Costangalia mit seinen 1.083 Einwohnern liegen uns für das Jahr 2014 auch Angaben der Bevölkerung aufgeteilt nach Altersgruppen vor (s. folgende Übersicht). Sie sind aber zu allgemein, als dass sich daraus eine aussagefährige Alterspyramide entwickeln ließe. Übersicht: Altersgruppen in Constangalia Altersgruppen Insgesamt 0-14 3-6 3-7 7-16 Zahl der Einwohner 169 56 68 92 1083 1556/61 669 57/61+ 164 In Costangalia ist die Bevölkerung im letzten Jahrhundert geringfügig gesunken, und zwar von 1.125 Einwohnern im Jahre 1906 auf 1.083 heute. Ganz offensichtlich hängt das mit der Konzentration der landwirtschaftlichen Produktion auf Weinbau zusammen, der dem Staatsbetrieb „Sowchose“ übertragen war und sehr stark mit Arbeitskräften bewältigt wurde, die in Stoßzeiten von außen herangeführt wurden. Insgesamt betrachtet bleibt die Bevölkerungsentwicklung der drei Projektdörfer somit noch etwas intransparent. Auch die Schwankungen der Einwohnerzahl, die zwangsläufig durch die Arbeitsmigration entsteht, konnten nicht geklärt werden. Allerdings, so scheint es, hängen die physisch abwesenden Arbeitskräfte sehr an „ihren“ Dörfern, kehren periodisch dorthin zurück und investieren ganz offensichtlich dort auch einen großen Teil ihrer Ersparnisse. Inwieweit dies dann auch wieder zu stabilen Familiengründungen in den Dörfern führt, konnten wir nur fallweise beobchten, nicht aber statitisch erfassen. Gehen wir daher von folgenden allgemeinen Erfahrungen und Schlußfolgerungen bei der Wirkungsweise der Bevölkerungsentwicklung auf die Dorfentwicklung aus: Ohne Bevölkerungszuwachs ist ein Dorf in seiner Existenz bedroht, und eine Existenzbedrohung lässt keine dynamische Entwicklung mehr zu. Dieser Zustand scheint in den drei Dörfern noch nicht eingekehrt zu sein. Entscheidend ist auch die Alterstruktur und deren Entwicklung, die noch intransparent ist. Die Auswirkungen der Bevölkerungseintwicklung sind auch relativ isoliert von anderen Faktoren für die Dorfentwicklung zu sehen, wie die Bedeutung lokaler Akteure und Netzwerke, der Vermögenssituation und vielleicht auch von Fördermitteln. Entscheidend für die Einwohnerentwicklung ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt und die Erwerbssituation. Diese hängt in den von der Landwirtschaft geprägten Projektdörfern entscheidend ab vom Zugang zum Boden, der Struktur der Landwirtschaftsbetriebe und den Chancen der Vermarktung der erzeugten Produkte zu kostendeckenden Preisen. In den peripheren Räumen Brandenburgs hat sich gezeigt, dass für eine dynamische Dorfentwicklung vor allem die Faktoren Bevölkerungentwicklung und lokale Akteure 21 entscheidend waren und immer noch sind. Beide Aspkete sollten auch in den Projektdörfern fortlaufend beobachtet, gestärkt und wenn möglich, gefördert werden. 22 3.4 Arbeitsmigration Aktuelle Fakten zur Frage „Arbeits-Migration Moldawien“ sprechen eine deutliche Sprache hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Bedeutung dieses Phänomens für die Republik Moldau: 6 Moldawien ist das Land, das laut „Migration and Remittances Factbook 2008“ weltweit am stärksten von Geldüberweisungen der Emigranten aus dem Ausland abhängig ist. Fast 2 Millionen Moldawier arbeiten im Ausland, größtenteils in Russland und Rumänien. Sie schicken offiziell über eine Mrd. Euro an Überweisungen an ihre Familien, gut ein Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes. In Moldawien selbst ist die Situation trist. Politische Spannungen mit der abtrünnigen Republik Transnistrien, der Skandal um die verschwundene Milliarde aus dem Staatshaushalt, eine hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne lassen viele junge Moldawier weiter von einer Zukunft jenseits der Grenzen träumen. Wer kann, lässt seine Heimat hinter sich. Der Arbeitsmarkt ist einsprechend leergefegt. Frauen machen den größten Teil der Arbeitsmigranten aus. Häufig bleiben Kinder zurück deren Betreuung neue Probleme aufwerfen. Die Emigration nach Übersee oder in die Europäische Union ist teuer. Bereits der Erwerb eines Rumänisches Reisepasses, der Arbeitsmöglichkeiten im EU-Raum eröffnet, kostet 250,- Euro, eine Busreise von Chisinau nach Warschau 90,- Euro, eine öffentlich beworbene Ausreise nach Kanada um die 10.000 $. Es war schwierig verlässliche Zahlen über die Bedeutung der Migration und über die Auslandsverdienste von Bewohnern aus der Projektregion zu erfragen. Dennoch runden die Hinweise zu diesem Thema, die wir aus den Gesprächen in den Dörfern erhalten haben, die weiter oben angeführte Zusammenfassung aus dem Artikel in Easteconom gut ab und ergänzen sie auch teilweise. 6 „Selbst in der Landwirtschaft werden nun die Arbeitskräfte knapp. Wir finden in Stoßzeiten im Sommer kaum noch jemanden, der bereit ist, als Tagelöhner zu arbeiten“ (Landwirt aus Baimaclia). „Mein Sohn und Familie leben und arbeiten in Moskau. Ich habe ihn acht Jahre lang nicht gesehen. Das ist schwer“ (Mutter aus Baimaclia). „Die Auslandsleute kaufen gern Häuser hier in den Dörfern. Die zahlen auch sofort in bar“ (Dorfbewohnerin aus C.). „Wir haben 1 ½ Jahre in Westeuropa schwarz gearbeitet auf einer Apfelplantage, für 4,50 Euro die Stunde. Keine Versicherung und keine Steuer. Konnten dort auch billig wohnen. Danach haben wir uns hier im Dorf für 8.000 Mathias Auer: Migration, Moldawien lebt von fremdem Geld, Easteconom, 05.11.2008, S. 1. 23 Euro einen Rohbau gekauft mit Garten. Den Rohbau haben wir uns dann hergerichtet, produzieren schwerpunktmäßig Honig und leben hier heute sehr zufrieden“ (Ehepaar aus Chioselia). „Damals gab es noch kein Skype und wir konnten mit unseren kleinen Kindern nur telefonieren über das Handy. Das war teuer. Die Kinder haben am Telefon oft geweint. Dann haben wir den Kindern gesagt: „Wenn die Bäume blühen, dann kommen wir wieder zurück“! - Das haben wir dann auch gemacht. Es ging nicht mehr!“ (Mutter aus Chioselia.). „Die Auslandsarbeiter kaufen hier gern kleine Flächen, so ca. zwei bis drei Hektar Land, und pflanzen darauf Nuss-, Pflaumen- oder Apfelbäume. Manche pflanzen auch wieder Wein an. In einigen Jahren, wenn die Migranten dann wieder zurückkommen aus dem Ausland und die Bäume und Weinstöcke bereits Früchte tragen, haben sie Arbeit und ein Einkommen, wenn sie einen guten Preis für ihre Produkte bekommen“ (Bürgermeister von Chioselia bei einer ausgedehnten Tour durch Feld und Flur seines Dorfes). „Von den 469 Schülern unserer Schule arbeiten von 60 Schülern beide Eltern im Ausland und von weiteren 150 ein Elternteil. Zuhause haben diese Kinder keine oder wenig Anleitung für die Schularbeiten. Wir versuchen unser Bestes, kommen in vielen Fällen aber an die Grenzen unserer Einflussmöglichkeiten“ (Direktorin einer Dorfschule). „In unserem Dorf sind mehr Frauen als Männer zum Arbeiten im Ausland. Frauen finden dort schneller eine gut bezahlte Arbeit, vor allem wenn sie in Haushalten arbeiten oder als Pflegekräfte tätig sind. Die Arbeitsmöglichkeiten werden von Mund zu Mund weitergemeldet. Das funktioniert zwischen den interessierten Leuten hier wie eine Infobörse“ (Lehrerin einer Dorfschule). „Meine Frau arbeitet bereits seit 10 Jahren im Ausland. Von ihrem Verdienst bezahlen wir die Vergrößerung unserer Rebflächen, schrittweise, je nach Verfügbarkeit des Geldes“ (Ein Bauer aus Baimaclia zur Frage der Finanzierung einer Vergrößerung seiner Rebflächen). „Ich habe einmal versucht, von den Auslandsarbeitern unseres Dorfes einen festen Betrag in Höhe von 50,- Euro pro Person zu erheben. Ich wollte diese Gelder einsetzen als Eigenanteil bei der Einwerbung von Fördermitteln oder Projekten für unser Dorf. Leider hat das nicht geklappt“ (ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Costangalia). „ Ich habe keinen rumänischen Pass. Ich arbeite daher seit geraumer Zeit in einer Fleischfabrik in Polen. Die polnische Botschaft stellt das Visa ohne großen Aufwand aus, die Wohnerlaubnis gilt für ein Jahr. Ich verdiene ca. 4,- Euro pro Stunde, kriege dafür aber auch Wohnung und Essen. Kürzlich hat der Arbeitgeber gefordert, dass wir pro Tag 14, jetzt sogar 16 Stunden arbeiten. Wir 24 Moldawischen Arbeiter haben zugestimmt. Dann verdienen wir mehr“ 7 (Bewohner aus Baimaclia auf „Heimaturlaub“ von seiner Arbeitsstelle in Polen). „Ich habe acht Jahre in Moskau gearbeitet, hatte eine gute Stelle in einem Kaufhaus. Dann wurde bekannt, dass meine Frau und ich bei Greenpeace mitmachen. Gleichzeitig kamen die Sanktionen wegen der Ukraine. Ich wurde arbeitslos. Meine Frau ist Russin. Dennoch sind wir hierher zurückgekehrt in unser Dorf in Süd-Moldawien. Jetzt habe ich eine Arbeit gefunden als Busfahrer und fahre moldawische Arbeitsmigranten bis an die Ostseeküste in Polen. Die Hinfahrt geht. Aber die Rückfahrt allein im leeren Bus ist schrecklich. Ich habe 24 Stunden am Steuer gesessen, manchmal ein oder zwei Stunden im Auto geschlafen. Jetzt muss ich ins Bett. Morgen früh geht’s wieder los in Richtung Polen. Ja, ich bin ein Schlepper für moldawische Arbeitsmigranten. Das ist harte Arbeit!“ (40-jähriger Mann aus Baimaclia). 3.5 Dorfgeschichte Moldau hat eine turbulente Geschichte. Im Nationalmuseum für Archäologie und Geschichte in Chisinau zeugen ca. 320.000 Exponate, was das kleine Land von der Gründungslegende im Mittelalter über osmanische, russische und rumänische Herrschaftsphasen bis hin zu den Zeiten als Sowjetrepublik durchlebt und durchlitten hat. Wie sieht es mit dem Geschichtsbewusstsein in den Dörfern aus? Wir haben mehrere Dorf- oder Heimatmuseen besichtigt, in Schulen ein Mal in einem leerstehenden, älteren Bauernhaus oder – wie in Baimaclia – in einem ehemaligen Gemeindehaus der ortodoxen Kirche < FOTO Nr. 13 >. Besucht man dieses Heimatmuseum von Baimaclia, so ist man mehr als erstaunt darüber, was da von engagierten Lehrern und Eltern an Exponaten aus der jüngeren Dorfgeschichte zusammengetragen wurde und wie fachgerecht und kenntnisreich diese kleine Sammlung kommentiert und erläutert wird. An den Wänden des kleinen Museums erläutern handgeschriebene Tafeln wichtige Entwicklungsetappen des Dorfes. In einer sogenannten „guten Stube“ aus alten Zeiten sind 7 Wenn diese Angaben zutreffen, dürften die mit 16 Arbeitsstunden völlig überbeanspruchten und ausgebeuteten moldawischen Arbeiter in dieser polnischen Fleischfabrik am Tag fast so viel verdienen, wie die Kollegen in Deutschland bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro und 8 Stunden Arbeit. - Wie kann man diese Belastung drei Monate lang aushalten? Fleischfabriken sind wohl nicht nur in Deutschland ausbeutende Monsterbetriebe. JPF 25 die Prunkstücke früheren gesellschaftlichen Lebens ausgestellt, wie Wandteppich, Hochzeitstruhe aus dem Jahre 1909 etc. Auf Bänken und Tischen liegen Exponate aus dem großen vaterländischen Krieg und aus der Kolchoszeit. Auch das vergilbte Original eines Vertrages für den Kauf von Boden ist darunter: Eine beachtliche Sammlung und ein beeindruckendes kleines Dorfmuseum! (das wir teilweise mit der Taschenlampe in der Hand besichtigt haben, weil das Geld für die Versorgung mitelektrischem Strom fehlt) < FOTO Nr. 14 >. Im Vorgarten steht in einem Winkel eine alte Kirchenglocke aus dem Jahre 1923 mit der Aufschrift „Ein feste Burg ist unser Gott“. – Wie wohl diese Glocke ihren Weg gefunden hat nach Baimaclia? Vermutlich mit deutschen Siedlern, die nach Bessarabien unterwegs waren. 8 Urkundlich erwähnt wird Baimaclia zum ersten Mal in der Urkunde eines Generals, der in der Region den Aufmarsch seiner Truppen für eine entscheidende Schlacht plante. Das war im Jahre 1770. Die erste Schule wurde im Jahr1880 eröffnet, im Jahre 1935 eine erste Modellfarm kommunistischer Prägung, 1940 die erste Maschinen-Ausleihstation (u. a. mit einem deutschen Lanz-Bulldog!) und sechs Jahre später die erste Kolchose, benannt selbstverständlich mit dem Namen des großen Helden „Stalin“. Man könnte noch viel erzählen. Aber die kurze Schilderung soll zum Besuch des Museums anregen, vielleicht verbunden mit einer kleinen Spende für den Unterhalt und den Wiederanschluß an die öffentliche Stromversorung. Am letzten Tisch wurden uns dann zwei Geschichtsbücher Bücher des ortsansässigen Historikers und Geschichtslehrers Alexandr SIRBU präsentiert, zwar in Form von RohManuskripten, aber fast fertig zum Druck < FOTO Nr. 15 >. Auf ihre Veröffentlichung hofft der Autor seit dem Jahr 2008; dafür fehlte bislang einfach das Geld. Beide Manuskripte wurden uns vom Autor zur Einsicht übergeben. Der Autor ist 55 Jahre alt, Geschichtslehrer, und lebt mit seiner Familie seit 24 Jahren in Baimaclia < FOTO Nr. 17 >. Nach seinen Angaben hat er die Informationen für die beiden Bücher 25 Jahre lang in Archiven des Landes zusammengetragen. Buch (A) behandelt auf 244 Seiten die Geschichte der Kleinregion um Baimaclia, seine Geographie und relativ allgemein auch die Ökonomie. Eine Übersetzung des Inhaltsverzeichnisses ins Deutsche findet sich im Anhang (s. Anlage 2). Buch (B) stellt quasi einen Anhang dar zu Buch (A) und enthält 26 Dorfbiographien mit dem Schwerpunkt Ortsgeschichte. Es ist gedacht als Einführung für Heimatgeschichte in den Schulen und weiterhin als geschichtliche Einführung für Studierende aus diesen Dörfern. 8 Alexandru Sirbu: Baimaclia und seine Nachbardörfer, (Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Spiritualität), unveröffentlichtes Manuskript (244 Seiten); siehe Abschnitt III - § 2 – c: Entwicklung und Leid der Juden von Basarabia, S. 90. 26 Buch (B) schließt mit vielen Fotos über die Geschichte dieser Dörfer ab, verteilt auf 10 Seiten. Einen derartigen historischen Schatz zu heben liegt nicht nur im Interesse des Autors und des Bürgermeisters von Baimaclia. Der Autor würde gern vordringlich Buch (B) veröffentlichen, also die Dorfbiographien. Als Pädagoge denkt er da wohl vor allem an die Breitenwirkung über den Schulunterricht. Herzensanliegen des Bürgermeisters von Baimaclia ist es hingegen, auch das Buch (A) über seinen Ort verfügbar zu haben und zu nutzen. Die Verbreitung von beiden Büchern dürfte allerdings auch im ureigenen Interesse von MoldavaAhha e. V. liegen, wenn sein Name damit direkt in Verbindung gebracht würde. Auf diese Weise könnte er sich sehr markant in das Geschichtsbewusstsein der 32 Dörfer einbringen, über die Dorfbiographien vorliegen. Nach intensiver Diskussion mit dem Autor der Bücher und dem Bürgermeister von Baimaclia, < FOTO Nr. 16 > schält sich folgender Kompromiss heraus: Die Kosten für das Buch (A), ca. 1.500 Euro, übernehmen MoldavaAhha e. V. und JPF hälftig. Die Kosten für Buch (B) werden aus Eigenmitteln der 32 Gemeinden gedeckt, zumindest nach den Vorstellungen des Bürgermeisters von Baimaclia. Er wird seine Amtskollegen in den Biographie-Dörfern bitten, einen Beitrag von jeweils 1.000 LEI für den Druck und die Verbreitung von Buch (B) zu leisten. Diese Sammlung könnte somit ca. 30.000 LEI erbringen – 6 Dorfbiographien liegen ja noch in der Schublade des Autors – somit ausreichend um das vorliegende noch gültige Angebot für den Druck zu akzeptieren. - Das Logo von MoldavaAhha e. V. kommt in beide Bücher. Somit hätten beide Bücher eine Chance für eine Verbreitung unmittelbar in den Dörfern der Projektregion. Beide Bücher sollen nach dem Vorstellungen des Bürgermeisters und des Autors vor allem im Geschichtsunterricht an den Schulen verwendet werden. Der Inhalt würde sich aber auch mit Sicherheit in Reden aller Art in den Gemeinden niederschlagen und beide Bücher wären selbstverständlich auch verfügbar in den Bibliotheken der Gemeinden. Die Lektüre würde somit erheblich zur Identitätsfindung der Dörfer beitragen. Das scheint wichtig, wenn die bereits mehrfach hervorgehobene Bedeutung der Entwicklungsdynamik der Dörfer ins Spiel gebracht wird. Ohne diesen Aspekt ist langfristig eine Dorfentwicklung kaum vorstellbar. Die Entscheidung über dieses Vorgehen zum Druck beider Bücher wird für Mai nächsten Jahres vorbereitet, wenn ein Folgebesuch für die Machbarkeit der Projektvorschläge ansteht. 27 3.6 Lichtblicke: Kinderbetreuung, Schulen und soziale Projekte Zu Beginn unserer explorativen Untersuchung schrieb ich einer guten Freundin in Potsdam ein etwas überschwängliches eMail. Die Adressatin hat beinahe ihr ganzes Berufsleben im Erziehungsbereich der DDR verbracht und lässt keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass „damals“ nicht alles schlecht war, vor allem nicht in der Pädagogik. Außerdem leitet sie heute in Potsdam ehrenamtlich eine Mundharmonika- und Gesangsgruppe für ältere Leute. Meine eMail bezog sich auf den ersten „Lichtblick unserer Mission“, den Besuch der Musik- und Kunstschule für Kinder in Baimaclia. Meine Botschaft nach Potsdam hatte ich wie folgt formuliert: „Ich habe hier bereits meine Mundharmonika verschenkt, und zwar an die Chefin der Dorf-Musikschule. Diese Einrichtung der Gemeinde und des Kreis-Kulturamtes war ein richtiger Lichtblick: Obwohl der Staat fast kein Geld hat zur Aufrechterhaltung und Finanzierung der „normalen“ öffentlichen Belange, unterhält er hier im 2000-Seelen-GroßDorf ein Kulturhaus. Im rechten Teil sind die bombastischen Präsentierräume in blau, Bj. 1973, (ein Theater mit 750 Plätze und mit riesiger Bühne, eine gut ausgestattete Bibliothek und ein Tanzsaal). Gähnende Leere! Im kleineren sich anschließenden „Casa de Cultura“ pulsierte hingegen das Kinderleben: Vier Fachkräfte unterrichten nach dem Schulunterricht am Nachmittag Musik (Gesang, Klavier, Akkordeon), Tanz (klassisches Ballett, Volkstanz, moderner Tanz) und Malen und kneten Figuren aus Ton (Moderne Malerei, Landschaften etc.). In der Regel bleiben die ca. 100 Kinder 5 Jahre (!), manche auch in mehreren Sparten < FOTOS Nr. 19, 20 und 21 >. Hinzu kommt eine verbale Einführung in Kunst- und Musikgeschichte. Die Eltern tragen 20 % der fixen Kosten dieser Einrichtung und bezahlen noch für jedes Kind pro Jahr 120 € (das entspricht einem halben Monatseinkommen einer Verwaltungskraft!). Du wirst staunen über die Fotos und Videos. Die Chefin der Musikschule ist mit der Mundharmonika in der Hand vor Freude gehüpft. Da werden noch weitere Mundharmonikas folgen müssen. - Und ich suche nach einer Erklärung, wie in einer derartigen Wüste der ökonomischen Misere (ca. 40 Prozent der arbeitsfähigen Menschen aus dieser Kleinregion hat inzwischen einen Arbeitsplatz im Ausland) sich solch eine Oase der Kunstunterweisung halten kann“. Die Antwort meiner Freundin und Expertin in sowjetischer Pädagogik ließ nicht lange auf sich warten: „… Was du mir neulich über Moldawien geschrieben hast, ist schon sehr beeindruckend! Die Kulturangebote für Kinder erinnern mich sehr an die Sowjetzeit, in der u.a. sehr großer Wert auf die kulturelle Bildung und Ausbildung der Kinder gelegt wurde. Der 28 ukrainische Pädagoge Wassili Suchomlinski (wichtigste Bücher „Mein Herz gehört den Kindern“ und „Gespräche mit einem jungen Schuldirektor“) beschäftigte mich mein ganzes Lehrerdasein hindurch. Er schaffte es an seiner Schule, bei kriegstraumatisierten Kindern Lebensfreude und Spaß am Lernen zu entwickeln, aber auch viel Empathie. Künstlerische Tätigkeiten und das Erleben in der Natur spielten in seinem Unterricht eine ebenso große Rolle wie die Literatur und das Tagebuchschreiben, das ich auch in manchen meiner Klassen erfolgreich praktizierte.“ 9 Dies scheint eine durchaus plausible Erklärung: Die Kindergärtnerinnen und Lehrkräfte, die wir getroffen haben, strahlten fast alle eine innere Ruhe aus und wirkten im Gespräch voll einig mit ihrem Beruf, bei allen strukturellen Unzulänglichkeiten und finanziellen Engpässen und vor allem auch bei der geringen Bezahlung. Im Bereich Kindergärten und Schulen wird ganz offensichtlich ein kulturelles Erbe aus der Sowjetzeit konstruktiv weitergelebt. Das ist gut zu sehen und zu erleben und verdient nicht nur Anerkennung, sondern in diesen finanziell knappen und prekären Zeiten vor allem auch Unterstützung. < FOTOS Nr. 17, 18, 19 >. Einige Eindrücke aus der Schule im Dorf Ciobalaccia, in dem ModavaAhh e. V. bislang keine Projekte unterstützt, bestärken diese Einschätzung. Die 469 Schülerinnen und Schüler aus drei Dörfern erhalten in der Gemeindeschule ein Mittagessen, Grundpreis 7 LEI (ca. 30 Euro-Cent), für 20 Kinder aus sozial schwachen Familien und für alle Kinder der 1. bis 4. Klasse ist das Essen kostenlos. Für Schüler aus weiter Entfernung steht ein Wohnheim zur Verfügung in dem sie Frühstück und Abendessen (jeweils 7 LEI) erhalten. Zwölf langsamer lernende Kinder, also keine behinderten Kinder, wie es immer wieder hervorgehoben wurde, werden in einer Förderklasse unterrichtet. Die Schule hat ein kleines Museum mit alten Geräten und Webstuhl eingerichtet, bietet Basteln, Musikunterricht und Chorgesang an und vermittelt insgesamt einen ausgesprochen soliden Eindruck. Ganz offensichtlich freuten sich die Direktorin und einige Lehrer und Lehrerinnen, uns ihre Wirkungsstätte zu präsentieren und zu erläutern < FOTO Nr. 20 >. Der Kindergarten des gleichen Dorfes hatte baulich zwar viele Mängel (Außenklo, Fenster undicht, Heizung defekt etc.). Dennoch: Die Kinder fühlten sich ganz offensichtlich wohl, werden ab 7:30 Uhr bis 17:00 Uhr betreut, erhalten ein Mittagessen, Milch vom einzigen Milchbauern der Gemeinde, halten ihren Mittagsschlaf und haben vielfältige, einfache Bildungsangebote. Wie im ländlichen Raum in Brandenburg auch, haben es diese Schulen in den entfernt liegenden Dörfern Südmoldawiens schwer, junge und gut ausgebildete Lehrkräfte für sich zu gewinnen. Der Staat bietet Rekrutierungsprämien in Höhe von 30.000 LEI und Zuschüsse zum Erwerb oder Bau von Wohnhäusern für junge Lehrkräfte in Höhe von 100.000 LEI. Auch werden in diesen Dorfschulen Schulpsychologen eingesetzt, mit dem Ziel, das Betriebsklima 9 eMail-Botschaft von Bärbel Hermann vom 23. Oktober 2015 an JPF. 29 zu sichern. Der Staat bemüht sich also durchaus, die Schulqualität in den Dörfern anzuheben und zu stabilisieren. MoldavaAhha e. V. ermöglicht, wie eingangs bereits dargelegt, drei musisch begabten Kindern aus sozial schwachen Familien die Teilnahme an den Angeboten der Musik- und Kunstschule von Baimaclia, bezahlt das Essen für viele bedürftige Kinder in den Kindergärten der drei Projektdörfer und hat fünf Stipendien für Vollzeit-Berufsschulen an verschiedenen Colleges in der Kreisstadt vergeben. Weiterhin unterstützt der Verein alleinstehende Rentner oder sozial Schwache (Notfall-Hilfe). Die Altersrente für Personen, die ihr Berufsleben in der Kolchose verbracht haben, beträgt lediglich 700 LEI pro Monat oder 35,Euro. Die Notfallhilfe des Vereins dürfte somit in sehr vielen Fällen angefordert werden und angebracht sein. Die Sozialprojekte von MoldavaAhha e.V. sind von der Wirkungssicherheit her betrachtet ein ausgesprochen stark strahlender Lichtblick im sozialen Dunkel der Dörfer. Im Hinblick auf die Wirkungsbreite, also im Verhältnis Bedürftiger zu Geförderten, ist die Nachfrage zweifelsohne drastisch größer als das Angebot. Dies ist der wirtschaftlich-sozialen Notlage in den Dörfern geschuldet und dürfte noch für lange Zeit gewichtige und wichtige Anforderungen an MoldavaAhha e. V. mit sich bringen. 15.000,- Euro Jahresbudget scheint dafür aus deutschem Blickwinkel ein relativ kleiner Betrag. Aus südmoldawischer Dorfsicht entspricht dies hingegen in etwa 50 Prozent des Jahresbudgets einer Dorfgemeinde. Damit kann man viel Gutes tun – mit einem doppelten Spendenaufkommen allerdings noch viel mehr! 30 4. Potentiale für Projekte in der Landwirtschaft Alle befragten Landwirte diskutierten mit uns Fragen zur Situation ihrer Betriebe freundlich und offen. Die Angaben zur wirtschaftlichen Lage ihrer Betriebe blieben hingegen relativ allgemein und lassen keine Schlussfolgerungen zu im Hinblick auf deren Rentabilität, Stabilität oder Liquidität, wie das ursprünglich geplant war. 10 So sind die folgenden Abschnitte mehr beschreibender Art und weniger quantitativ-analytisch. - Als weitere Informationsquelle für die folgenden Ausführungen dienten ausgedehnte Fahrten durch die Felder, Obstplantagen und Weinberge mit dem Bürgermeister des Dorfes Costangalia und dem ungemein gut informierten örtlichen Vertreter der staatlichen Beratungsinstitution ACSA, Mr Giovanni. 4.1 Allgemeine Lage der Landwirtschaftsbetriebe in der Projektregion 4.1.1 Verfügbarkeit der wichtigsten Produktionsfaktoren Die folgende Darstellung vermittelt einen allgemeinen ersten Eindruck zu den Erfolgsaussichten landwirtschaftlicher Betriebe in den Projektdörfern. 11 Landwirtschaftliche Unternehmer von außerhalb der Dörfer, also sog. „absenty landlords“ (meist wurde gesagt „ein Mann aus Chisinau“), die hier größere Ackerflächen bewirtschaften, haben wir nicht gesprochen. Die Bewertung von (-1) „sehr schlecht“ bis (+3) „sehr gut“ beruht auf einer zusammenfassenden sektoralen Einschätzung zum Ende der explorativen Untersuchung. 10 Diese Annahme wurde beeinflusst durch einen Einsatz für den SES im Juli d. J. auf einem Großbetrieb im Norden Moldawiens, in dem alle Betriebsdaten exakt aufgearbeitet vorlagen. JPF 11 Diese Darstellung beruht auf der ersten modernen Definition von „Landwirtschaft“ durch Albrecht Thaer, der bereits im Jahre 1806 feststellte: „Landwirtschaft ist ein Gewerbe zur Erzielung von Gewinn und beruht auf den Faktoren Boden, Kapital, Markt und Intelligenz der arbeitenden Menschen“. 31 Bis auf den Zugang zu Know how sind diese Faktoren stark von außen vorgegeben. Daneben beeinträchtigt aber die geringe Neigung der Bauern, enger zusammen zu arbeiten, beispielsweise große Maschinen gemeinsam zu kaufen und zu nutzen, das Betriebsergebnis negativ. Der Staat verstärkt diese Tendenz noch dadurch, dass er seine knapp bemessenen Fördermittel für Investitionen einzelnen Bauern nur unter der Voraussetzung anbietet, dass dieser den gleichen Betrag als Eigenanteil einbringt. Dies verstärkt den Trend zu individuellen Investitionen, deren Auslastung dann nur schwer zu gewährleisten ist und deren feste Kosten (die also unabhängig von der Auslastung dieser Maschinen sind) den Gewinn verkleinern. Die zusammenfassenden Bewertungen der Erfolgsfaktoren „Zugang zu Kapital“ und „Markt“ fallen besonders schlecht aus. Die Ursachen sind ganz offensichtlich die oligopolartigen Zustände in diesen enorm wichtigen Bereichen, die von den befragten Bauern besonders massiv beklagt wurden. – Bezogen auf die einzelnen Erfolgsfaktoren ergibt sich folgendes Bild: Boden: Die Schwarzerde Böden Moldawiens gehören mit zu den besten Böden in Europa. Allerdings sind sie in den Projektdörfern nicht so mächtig, wie im noch fruchtbareren Norden. Dennoch: wenn man will, kann man auch hier im Süden durchaus tief pflügen < FOTO Nr. 20 > 12. Moderne Techniken des „Minimum Tillage“, wie sie in Westeuropa und 12 Der legendäre Schlepper“ K – 7“, der auf dem Foto weiter oben abgebildet ist, wurde bereits in den Zeiten des Kalten Krieges als Raketenschlepper gebaut, fand dann aber wegen seiner Robustheit rasch Eingang in den Maschinenpark vieler LPGen in Brandenburg und auch in den Kolchosen von Moldawien. Die militärischen Einsatzpläne für diese Waffengattung „Raketenschlepper“ mit der Tarnkappe einer landwirtschaftlichen Maschine lagen als geheime Unterlage in den Panzerschränken der LPG-Vorsitzenden. Der technische Zustand 32 auch bereits auf Großbetrieben im Norden Moldawiens angewendet werden, haben wir auf den Ackerflächen in Südmoldawien nicht entdeckt. So folgt hier dem Pflug die Egge und Walze als individueller Arbeitsgang vor der Aussaat, wie dies sechzig, siebzig Jahren auf Deutschland’s Feldern gang und gäbe war . Die Vorteile des Minimum Tillage (keine teure Pflugfurche, Erhaltung der Bodenstruktur, Pflege und Erhalt des Bodenlebens, Einsparung von variablen Kosten etc.) sind also hier im Süden noch unbekannt. Vermutlich dürfte auch die Erst-Investition in die teure Technik für individuelle landwirtschaftliche Betriebe aus den Projektdörfern nicht finanzierbar sein. 30 Prozent der Böden im Süden Modawiens sind wegen der häufigeren Hanglagen und unangemessenen ackerbaulichen Techniken erosionsgefährdet < FOTO Nr. 29 > 13 Darüber hinaus begrenzen die jährlichen Niederschläge von lediglich 350 bis 400 mm das Potential der guten Böden. Die Bewässerungssysteme aus der Sowjetzeit sind weitestgehend nicht mehr arbeitsfähig. So ernteten die Bauern in diesem Jahr im Durchschnitt lediglich 3,5 to Getreide. Das ist wenig im Vergleich zu den gut doppelt so hohen Durchschnittserträgen auf den weitaus ärmeren Brandenburger Sand-Böden. Die Produktionstechnik (Anwendung von Handelsdünger etc.) spielt sicher auch eine gewichtige Rolle. Weiterhin entstanden durch die Auflösung der Kolchosen wieder viele kleine zerstückelte Flurstücke und Felder, die die Arbeitsorganisation erschweren. Flurbereinigungsverfahren, wie sie dafür in Westeuropa eingesetzt werden, müssen durch Pacht- oder Tauschaktionen wettgemacht werden. Gutes Ackerland wird gegenwärtig zwischen 10.000 und 12.000 LEI pro Hektar verkauft, also zwischen 500,- und 600,- Euro. Die Jahrespacht wird allgemein als Naturalpacht geleistet in Mengen von 600 kg Weizen oder 200 kg Sonnenblumen. So trägt der Verpächter einen Teil des Marktrisikos seines Pächters mit. Bei einem Kilopreis für Weizen von 2,50 LEI betrug die Jahrespacht somit in 2015 1.500 LEI / ha (oder 75,- Euro) bzw. bei Sonnenblumen (200 kg x 6,80 LEI / kg = 1.360 LEI (oder 68,- Euro). Das Verhältnis Pachtpreis zu Kaufpreis ist mit 1 zu 8 bereits sehr eng. Dies ist ein Indikator dafür, wie intensiv Landwirte versuchen, durch Zupacht von Boden ihre zu kleine landwirtschaftliche Nutzfläche auszuweiten im Hinblick auf eine wirtschaftlichere Auslastung ihres überdimensionierten Bestandes an landwirtschaftlichen Maschinen.14 Maschinenarbeit im Lohnverfahren scheint weit verbreitet: 1 ha Pflügen für 800 LEI, 1 ha Mähdrusch für 450 LEI. Letztlich dürfte für kleinere Bauern diese Dienstleistung billiger sein, als sich die erforderliche Technik selbst anzuschaffen. dieser Schlepper wurde periodisch durch externe Techniker kontrolliert. Für den K-7 gab es nie Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung, wussten LPG-Vorsitzende zu berichten. JPF 13 Hinweis im Bericht der deutschen Industrie- und Handelskammer zur Wirtschaftslage in Moldawien, 2008, Abschnitt „Agrarsektor“. 14 In Brandenburg, mit seinen Großbetrieben und einem relativ geringen Kapitalbesatz pro Hektar, ist der Druck auf die Pachtpreise nicht so extrem hoch, wie in Südmoldawien: Mit 100,- bis 150,- Euro pro Hektar und einem Kaufpreis von gutem Ackerland um 10.000,- Euro / ha sind für Pächter betriebswirtschaftlich vernünftige Relationen gewahrt. JPF 33 Know how und Faktor Arbeit Die befragten Bauern schienen durchweg gut informiert über die allgemeinen Anforderungen an das fachliche Wissen und technische Können ihres Berufes. Der Zugang zum Internet spielt dabei wohl eine und gute und wichtige Rolle. Allerdings scheint sich auch in den Projektdörfern die Erfahrung zu bestätigen, dass Kenntnisse allein noch nicht ausreichen, die tagtäglichen technischen Anforderungen zu meistern. Die notwendigen umsetzbaren Fertigkeiten stellen sich erst ein durch gute Vermittlung oder langjährige Praxis. Zum einen fehlt dazu der Zugang zu modernen Produktionsmitteln, die einem im Internet vorgeführt werden. Zum anderen fehlt auch die Anleitung bei ihrer Anwendung. Die fachgerechte Ausbildung in Lehrwerkstätten oder auf den Agrarunternehmen ging mit der Auflösung der Kolchosen verloren. Landwirtschaftliche Lehrbetriebe mit dualer Ausbildung, wie in Deutschland, sind unbekannt. So fehlen Anreize, den Beruf als Landwirt von der Pieke auf zu erlernen. Junge Leute ziehen es vor, als Arbeitsmigranten in der Fremde ihr Glück zu versuchen. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, verringert aber zunächst einmal in den Dörfern das Potential von Arbeitskräften für die Landwirtschaft, weiterhin aber auch das Potential für zukünftige Agrar-Unternehmer. Anlagevermögen und Zugang zu Kapital Der Maschinenpark der besichtigten Betriebe war überdimensioniert im Hinblick auf die Betriebsgröße, keine Frage. Im im Vergleich zu den Agrarunternehmen im Norden des Landes waren diese Traktoren und Mähdrescher etc. aber erheblich älter und in schlechterem Zustand. Am Straßenrand entlang der Dörfer sieht man immer wieder Trecker auf extra angelegten „Abfahrtpisten“: Die Anlasser funktionieren nicht mehr und so wird mit der Schwerkraft gestartet. Auch die Gebäude der meisten Landwirte waren in schlechtem Zustand und alt. Auch ein neu erbauter Kuhstall im Dorf Chioselia glich in Anlage und Ausführung mehr einem Stallmodell in den Alpen vor dem ersten Weltkrieg. Er war ausschließlich mit Eigenmitteln und mittels Nachbarschaftshilfe errichtet worden. Eine beachtliche Leistung! Der nachträgliche Einbau einer Entmistungsanlage ist geplant. Diese Technik war in deutschen Bauernhöfen in den 1960er Jahren der große technische Fortschritt in der Innenwirtschaft. Diese Anlage dürfte hier in den überaus kalten Wintermonaten aber häufig einfrieren und somit in dieser Zeit, in der die Kühe im Stall stehen und viel Mist produzieren, nicht die erhoffte Arbeitserleichterung bringen < FOTO Nr. 22 >. 34 Die Aufnahme eines Kredites, zur Finanzierung einer technisch etwas „fortschrittlicheren“ Version eines Milchviehstalles wäre schlichtweg zu teuer geworden. Kredite mit einer Laufzeit von einem Jahr müssen mit einem Zinssatz zwischen 22 und 28 % bedient werden. Eine Ausnahme bei der Qualität der Betriebsausstattung machen die Imker, deren Bienenstöcke in ausnehmend gutem Zustand waren. Auch die neu errichteten Wein- und Obstanlagen vermitteln ein solides Bild: Für eine Investitionsvolumen von ca. 90.000 LEI pro Hektar lassen sich vorzügliche Rebanlagen neu errichten < FOTO Nr. 23 >. Das liegt an den billigen Arbeitskräften, den preisgünstigen Pflanzen und der simplen althergebrachten Technik mit gutem Holz und Spanndrähten < FOTO Nr. 24 >. Auch die neuen Obstplantagen für Walnuss, Pflaumen, Kirschen etc. waren akkurat und fachgerecht ausgeführt und vor allem zu einem ungemein günstigen Investitionsaufwand. Meist kommen die Investoren noch aus den Dörfern oder werden die Neuanlagen von heimkehrenden Arbeitsmigranten finanziert. Es finden sich aber auch bereits größere Neuanlagen bei Wein und Obst, die durch Bodeneigentümer aus Chisinau installiert wurden. Markt Die Marktsituation ist für die Bauern in den Projektdörfern denkbar schlecht. Zunächst gibt es Absatzmöglichkeiten jeden Sonntag von 7:00 Uhr bis 13:00 Uhr für landwirtschaftliche Erzeugnisse und sonstige Güter aller Art auf dem Wochenmarkt in Baimaclia < FOTO Nr. 25 >. Dort versuchen vor allem Gemüsebauern und Kleinproduzenten aus der Projektregion ihre Produkte abzusetzen (Obst, Gemüse, Kräuter, Käse, Fleisch, Gänse, Ferkel, Hühner – eben fast alles, was auf den Kleinbetrieben angebaut wird oder kreucht und fleucht. Da die Kaufkraft der Dorfbewohner begrenzt ist, sind auch die Umsätze der Kleinbauern gering. Die Ackerbauern haben es in dieser Hinsicht noch schwerer ihre Produkte zu vermarkten. Zum einen hat in den drei Dörfern nach Angaben der ACSA-Beratungskräfte kein Bauer hineichend Lagerraum, um die gesamte Ernte zu lagern und erst zu verkaufen, wenn die Preise im ersten Quartal des Folgejahres anziehen. Winterweizen wird im Juli gedroschen, Sonnenblumen Ende August und Körnermais Anfang bis Mitte Oktober. Bei unzureichendem Lagerraum muss also Winterweizen bereits verkauft sein, bevor die Sonnenblumen eingelagert werden müssen. Lediglich beim Körnermais könnte ein Bauer theoretisch auf die günstigsten Verkaufspreise im nächsten Frühjahr warten < FOTO Nr. 26 >. Aber auch bei dieser Marktfrucht beklagten die Bauern Preisabsprachen der Händler in Chisinau, sodass auch dieses Warten auf einen Preisanstieg relativ nutzlos ist. Außerdem verursacht auch die Lagerhaltung von Getreide Kosten. Ausdruck dieser Misere sind niedrige Loco-Hof-Preise (farmgate-prices). Die Ausfuhr von Getreide und Sonnenblumen unterliegt gesetzlichen Bestimmungen, die nur akkreditierten Händlern die Ausfuhr gestatten. Wer nicht verkauft wird genötigt, so versicherte uns ein Befragter glaubhaft. Der Druck der anstehenden Rechnungen aus Käufen für Produktionsmittel zwingt dann noch stärker zu Früh35 Verkäufen.All dies führt dann mehr zu Notverkäufen als zu einer geplanten und geordneten Vermarktung der Produkte. Die Situation ohne Kühlhäuser für die Vermarktung von Gemüse und Obst ist ähnlich. Die Bauern sind somit gezwungen, ihre Produkte unmittelbar nach der Ernte zu niedrigen Preisen zu verkaufen. Zwischenhändler nutzen diese Situation aus und bieten bewußt Niedrigspreise. Die Endkäufer in Chisinau sind ganz offensichtlich im Netzwerk eines Oligopols organisiert, das untereinander die Preise abspricht. Nur so lassen sich die wiederholten Hinweise der Gemüsebauern zu diesem Thema interpretieren. Erzeugergemeinschaften, die das Angebot meherer Bauern bündeln könnten, gibt es in den Projektdörfern noch nicht. 4.1.2 Beispielsbetriebe und Investitionspotentiale Ackerbaubetrieb André Spahisow bewirtschaftet einen Ackerbaubetrieb mit 60 ha Ackerfläche (30 ha Eigenland, 30 ha Zupacht). Er hat drei Traktoren und einen eigenen Mähdrescher (!). Wegen fehlendem Lagerraum für Getreide verkauft er sein Getreide direkt vom Feldrand weg an einen Getreidehändler aus Chisinau. Einen Bauernverband für ihn und seine Berufskollegen gibt es nicht. Angesichts der niedrigen Preise und fehlendem Lagerraum beabsichtigt er, den Marktwert von einem Teil seines Weizens über eine eigene Bäckerei zu erhöhen. Das Gebäude für die Lagerung des Mehls und die Bäckerei mit kleinem Verkaufsraum hat er bereits gekauft und renoviert < FOTO Nr. 27 >. Nun bemüht er sich um die Backöfen und die sonstigen Geräte für eine funktioierende Backstube. Die Preisangebote für gebrauchte Backausrüstung aus der Türkei und Deutschland belaufen sich aufgrund seiner InternetRecherchen insgesamt auf ca. 30.000 Euro. Dies ist eines von vielen Beispielen, die belegen, wie starkt eMarketing bereits Einzug gefunden hat in die Dörfer. Es scheint allerdings, dass dieser neue Weg stärker bei der Beschaffung von Produktionsmitteln eingesetzt wird, als bei dem Absatz selbsterzeugter Produkte. - Andrè’s Frau hat bereits Kurse für das Bäckerhandwerk belegt. Milchviehhaltung , Schafhaltung und Milchverwertung, Schweinehaltung im Wald 36 Mit Auflösung der Kolchosen findet moderne Milch-, Schweinefleisch und Rindfleischproduktion in den Dörfern nicht mehr statt. Die Ställe wurden verkauft und werden heute in anderer Weise genutzt. Die Kleinbauern halten meist ein bis zwei Kühe, 5 bis 6 Schafe, zwei bis drei Schweine, viele Gänse und sonstiges Federvieh für ihren eigenen Bedarf und für gelegentliche Verkäufe auf den Wochenmärkten. Kühe und Schafe werden tagsüber von Dorfhirten auf den Allmenden der Gemeinde gehütet. Diese liegen meist zwischen Waldgrenze und Ackerflächen. Ein Milchviehhalter hat außerhalb von Costangalia einen neuen Stall gebaut, < siehe FOTO Nr. 30 >, hält dort 12 Milchkühe mit Nachzucht, hat selbst eine Rohrmelkanlage installiert, verkauft 50 Liter Milch direkt an den Kindergarten und macht aus der restlichen Milch Käse für den Verkauf auf den regionalen Wochenmärkten. Er hat diese Tätigkeit als Milchbauer aufgenommen nach seiner Rückkehr aus der Arbeitsmigration nach Russland. Er hat sich selbst die Besamungstechnik beigebracht, träumt von einem eigenen Kühlaggregat für seine Milch und möchte die Käseproduktion ausweiten. Nur vier der 12 Milchkühe gehören ihm selbst, die restlichen acht Kühe Angehörigen der Groß-Familie. – Tagsüber weiden seine Kühe mit der Dorfherde auf den Allmenden der Gemeinde. Ein Hirte betreut die ca. 120 Tiere und bringt sie abends zum Melken ins Dorf zurück. Auch die Schafe des Dorfes werden auf der Allmende gehalten und abends zum Melken ins Dorf gebracht. Der Schafskäse verkauft sich gut und hat einen guten Ruf als Qualitätsprodukt. In einem benachbarten Dorf werden auch Schweine im Wald von einem Schweinehirten beaufsichtigt. Das Fleisch dieser Tiere ist ungemein zart und gilt selbst in den Dörfern als Delikatesse. Ließe sich aus den Schinken dieser Schweine nicht ein Re-Make als Parma-Schinken machen, made in Moldava? Die EU-COM hat für den Austausch derartiger Produktionstechniken und spezifischer Erfahrungen aus Produktion und Vermarktung die Gemeinschaftsinitiative INTERREG geschaffen, welche auf die Förderung der Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedstaaten und Nicht-EU-Ländern abzielt. Sobald Moldawien in das Vorprogramm des EU-Agrarfonds eingebunden ist – das entsprechende Gesetz soll noch vor Ende des Jahres 2015 erlassen werden – ließen sich derartige Projekte entwerfen und vielleicht mit österreichischen und Italienischen Partnern umsetzen. Eine Alternative für dies aufwendige Verfahren der Wertsteigerung eines lokalen Produktes liegt in der Direktvermarktung an Gourmet-Restaurants in Deutschland. Hier könnte MoldovAhha e. V. die Fäden ziehen. Klassische (Subsistenz-) oder Kleinbauernbetriebe Frau Natascha und ihr Mann Iurie, beide um die 60 Jahre alt, bewirtschaften 8,4 ha Eigenland. Frau Natascha gilt als Spezialistin für alte Gemüse- und Gewürzsorten, züchtet die 37 traditionellen Sorten selbst, erntet und trocknet deren Samen und bietet diese auch auf dem Wochenmarkt an < FOTO Nr. 28 >. Der Vorratskeller ist voller guter Spezialitäten, wie in alten Zeiten < FOTO Nr. 29 >. Der Trecker des Ehemannes < FOTO Nr. 30 > ist 35 Jahre alt und stammt aus der aufgelösten Kolchose, in der er Traktorist war. Wir durften alles besichtigen, wurden zum Mittagessen eingeladen < FOTO Nr. 31 > und erfuhren viele Details über die alte Kolchose, deren Auflösung und Befürchtungen über die unruhig erscheinende Zukunft. In dem Gedankenaustausch beim Mittagessen haben wir wieder viel gelernt über diese Subsistenzökonomie, die so ungeheuer wichtig ist für die Vitalität der Dörfer. Ein Sohn, der gegenwärtig bei einem größeren Bauern als Traktorist arbeitet, möchte den elterlichen Hof übernehmen. Das Ehepaar hat von diesem 8-Hektar-Betrieb aus ein ganzes Bauernleben bestritten, fünf Kinder aufgezogen (!) und drei davon durchs Studium gebracht. Rentabilität und Stabilität und Kosten und Leistungen kann man da als Beurteilungsmaßstäbe vergessen. Was zählt ist die physische Leistung des Jahraus / Jahrein an hartem Bauernleben, das den Krankenstand nicht zulassen kann, in vielfältiger Weise für die Subsistenz der Familie sorgt, den Erhalt des kleinen Vermögens für die nächste Generation in den Mittelpunkt stellt und bei all dem abhängt von der Tages-Liquidität, also dem Absatz der Produkte auf dem Sonntagsmarkt, wo die Einnahmen einer Gans (150 LEI) wieder reichen muss für die Barausgaben der nächsten Woche oder zwei Gänse für die Zuwendungen an die studierende Tochter in der nahen Universitätsstadt. Die größte Freude und die glücklichsten Momente bringen Familienfeste, wenn alle 15 Enkel im Garten tollen und die Kinder am Tisch sitzen und erzählen und vom selbstgebackenen Brot essen und die politische und soziale Misere mit verlorener Milliarde in Chisinau und der knappsten aller Altersrenten, die es in Europa wohl gibt, etwas im Hintergrund verschwinden. Beim Nachbarn, < FOTO Nr. 32 >, drei Straßen weiter, ist die Situation noch schwieriger: Der Mann ist herzkrank, die Frau schafft die viele Arbeit allein nicht mehr so wie früher, die Kinder sind aus dem Haus, haben teilweise studiert und gedenken nicht, den elterlichen Hof mit 40 Kaninchen, zwei Schweinen und einem alten Pferd fürs Gnadenbrot zu übernehmen < FOTO Nr. 33 >. Was tun? Das muss im Familienverbund geklärt werden. Es scheint, dass viele Kleinbetriebe in den Dörfern noch keine Lösung für die Fortführung des Betriebes haben. Die physisische Plackerei steht in krassem Missverhältnis zu den Erlösen für die Produkte. Aber im Alter gibt dazu auch keine Alternative. Dazu ist die Rente zu klein und Arbeitsmigration ist nur etwas für gesunde, junge Leute. Gemüsebaubetrieb Iurii und Marianne bewirtschaften in Chioselia auf gut einem halben Hektar Gartenland einen Gemüsebetrieb < FOTO Nr. 34 >. 30 aa Land vom Nachbarn könnten noch zugepachtet 38 werden. Gurken und Tomaten werden in selbsterbauten Gewächshäusern mit Plastikfolie produziert < FOTO Nr. 35 >. Wasser ist genug vorhanden: Die Produktionsstätte liegt an einem Hang. So lässt sich der große Wasservorratsbehälter, an der höchsten Stelle des abschüssigen Geländes solide installiert, gut aus einer Quelle füllen und dient gleichzeitig für die Schwerkraft-Bewässerung. Eine gute Lösung. Ein gravierendes Problem in seinem Produktionssystem sieht Iurii in der schlechten Qualität des Saatguts für Gurken und Tomaten. Er zieht seine Jungpflanzen selbst an in einem kleinen beheizten überdachten Hochbeet mit Foliendach. Die Qualität des HybridSaatguts, insbesondere die Keimfähigkeit, ist schlecht. Es wird zwar in Tüten mit dem Aufdruck „Made in Holland“ verkauft. Iurii glaubt aber, dass dies Saatgut gefälscht ist. Auch die Produkte, die er aus seinen angezogenen Pflänzchen erntet, haben nicht die Qualität wie beispielsweise Importe aus der Türkei, die selbst auf regionalen Märkten eine bessere Nachfrage haben, dank ihrer besseren Produktqualität. Das muss an der Güte des gekauften Saatguts liegen, das, weil Hybrid-Saatgut, jedes Jahr neu beschafft werden muss. So ist das Ehepaar gezwungen, seine Produkte auf den lokalen Märkten zu niedrigeren Preisen zu verkaufen. Iurie hat den gesamten Sachverhalt präzise im Internet recherchiert und ist fest davon überzeugt, dass in dieser strategischen Frage vieles im Dunkeln liegt. Das Ehepaar hat sich dieses Frühjahr einen Traum erfüllt und einen Moto-Kultivator made in China gekauft < FOTO Nr. 36 >. So wird die Handarbeit in den Gewächshäusern leichter und eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, die Produktionsanlage in Form eines dritten Gewächshauses zu erweitern. Das ist aber noch Traum. Was zählt, ist erst einmal die Arbeitserleichterung. Die Kreditkonditionen für diese Investition waren schlecht (s. weiter unten, Abschnitt 5 „Darlehenskasse“), aber die Arbeit war einfach nicht mehr zu schaffen. Als Unterstützungsangebot für Gemüsebauern wäre also zunächst die Frage der Saatgutbeschaffung zu prüfen. Weiterhin ist der Frage nachzugehen, ob auf dem Markt in Moldawien nicht Doppelstegplatten auffindbar sind. Sie haben für das Dach des Hochbeetes zur Anzucht der Gurken- und Tomatenpflänzchen den entscheidenden Vorteil, dass sie gut isolieren (z. Z. der Pflanzenaufzucht im März herrschen noch erhebliche Minusgrade!) und doch Sonnenlicht durchlassen. Die Frage der chemischen Spritzmittel, die in diesem Betrieb verwendet werden, hat wohl die Moldavahilfe Berlin e. V. bereits aufgegriffen. Obstbaubetrieb In diesem Produktionssegment wurden uns mehrere Betriebe und Anlagen gezeigt. Alle gezeigten Beispiele (Pflaumen, Walnüsse, Kombinationen von beiden, Äpfel, Kirschen etc.) präsentieren sich produktionstechnisch überzeugend und sprechen von einem gesunden Optimismus in die Nachfrage dieser Produkte. So kosten Roh-Walnüsse in diesem Jahr 20 LEI pro kg und ein Nussbaum bringt nach 8 Jahren bereits ca. 20 kg Ertrag, also 20 Euro 39 Einnahmen pro Baum. Bei 417 Bäumen pro Hektar ergibt sich somit ein Rohertrag von um 8.000 Euro! Arbeitskräfte für die Ernte der Nüsse bieten sich für ca. 150 LEI pro Tag an. Hier ist also hinreichend Luft für einen guten Gewinn, und dies umso mehr, als die Bäume 60 bis 70 Jahre lang tragen. Die Obstbauern der Projektregion profitieren wohl vor allem von der Gunst des natürlichen Standortes, weiterhin aber von den niedrigen Lohnkosten für die Errichtung der Anlagen und das solide Know how, das sich seit Generationen angesammelt hat. Weinbaubetriebe Für die Neuanlage von Weinanlagen gilt grundsätzlich die gleiche betriebswirtschaftliche Logik, wie sie bereits für die Obstplantagen dargestellt wurde (s. weiter oben). Für die Investition in einen Hektar Wein werden lediglich 90.000 LEI veranschlagt. Allerdings verursacht die Rodung der in die Jahre gekommenen Weinstöcke einen zusätzlichen Aufwand. Weiterhin besteht wohl ein erhebliches Risiko durch Schäden bei Hagelgewittern wie es im Juni 2015 der Fall war. Hagelversicherungen gibt es nicht. Die Nachfrage nach den Qualitätstrauben aus der Region ist gut. Die Preissituation wohl ebenfalls (2,50 LEI / kg für Fabriktrauen und 6, 40 LEI / kg für die Verarbeitung zu Wein). Pro Hektar werden 3 bis 4 to Trauben geerntet. Imkerei-Betriebe Die Projektdörfer liegen in einem Honigland! Es gibt viele Akazien, viele Wildblumen, noch wenig Raps mit gefährlichen Chemiespritzungen in die Blüte – und vor allem – viele Imker, die ihr Metier verstehen. Vollzeit-Imker betreuen 50 bis 120 Bienenvölker < FOTO Nr. 37 >. Ein Volk kann durchaus 20 kg Honig pro Jahr zusammen tragen. Das Kilogramm Honig bringt, verkauft an Händler in Chisinau, 40 bis 70 LEI / kg, je nach Qualität, im Durchschnitt also 2,50 Euro. Die Qualität wird von den Händlern vor dem Ankauf durch ein Labor geprüft. Der Honig wird wohl ausschließlich in den EU-Raum exportiert. Auch in diesem Marktsegment gibt es wenig Markttransparenz und Konkurrenz. Da die Honighändler verlässlich „Ware gegen Geld“ praktizieren hat sich eine gewisse Loyalität zu ihnen eingestellt. 40 4.2 Potentiale für Erzeugergemeinschaften Erzeugergemeinschaften und ihre Wirkungsweise sind in den Projektdörfern weitestgehend unbekannt. Viele Bauern hörten ganz offensichtlich zum ersten Mal von dieser Alternative zum Verkauf ihrer Produkte über eine Gemeinschaft. Ihre Chancen dürften in den geringen Gestehungskosten landwirtschaftlicher Produkte in der Projetregion liegen, weiterhin in dem geringen entgangenen Nutzen der Arbeitskräfte vor Ort, d. h. ihrer fehlenden Alternative für eine andere produktive Verwendung. Der Projektansatz „Erzeugergemeinschaft“ basiert auf der Annahme, dass es Produkte mit einem bislang noch nicht erkannten Potential für Veredlung (Erhöhung ihres Wertes durch höheren Arbeitsinput) und bessere Vermarktung und dass weiterhin die Abschöpfung der Zwischenhändler und Endabnehmer groß ist. Die Verbesserung der „Value-Chain“, also der Wertschöpfungskette durch Aufbereitung der Produkte bis hin zur Marktreife und – wo möglich und sinnvoll – auch die eigenständige Vermarktung, hat in vielen anderen Entwicklungssituationen zu guten Ergebnissen geführt, auch ohne hohe Anschubfinanzierung (z. B. in Marokko, Ghana und Uganda). Aber auch bei „normalen“ Produkten des Ackerbaus, wie Winterweizen, Körnermais oder Sonnenblumen dürfte eine gemeinsame Lagerung und Vermarktung größerer, möglichst einheitlicher Mengen Vorteile bei der Aushandlung eines attraktiven Produktpreises mit sich bringen. Eine entscheidende Rolle bei guten Gelingen eines derartigen Gemeinschaftsansatzes kommt den Führungskräften zukommen, die die Producer Group einmal leiten sollen. Gegenwind ist zu erwarten von den bisherigen Aufkäufern, die bereits im Markt sind und die die neue Erzeugergemeinschaft als Konkurrenz ansehen und daher versuchen werden, deren Entwicklung zu behindern oder gar zu verhindern. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Erfahrungen und Annahmen wurden die Potentiale für die Gründung einer Erzeugergemeinschaft für Honig, Getreide und Sonnenblumenkerne geprüft. Eine erfolgreiche Vermarktung dieser Produkte durch eine Erzeugergemeinschaft ist nur beim Export gegeben. Die Preise im Inland sind vom Aufkaufoligopolen der nationalen Händler praktisch vorgeben. Der Export sowohl von Getreide als auch von Sonnenblumenkerne ist staatlich Monopolisten vorbehalten, die der Staat benannt hat. Dies ist bei Honig und bei Nüssen nicht der Fall. Somit wurde das Potential zur Gründung einer Erzeugergemeinschaft zunächst einmal nur für Honig geprüft. 4.2.1 Erzeugergemeinschaft Honig 41 Bienenhaltung hat in den Projektdörfern eine lange Tradition, sowohl bei Kleinimkern, als auch bei Bienenhaltern im Hauptberuf mit mehr als 50 oder gar 100 Völkern. Die Gefahr durch chemische Verschmutzung der Blüten ist angesichts der relativ geringen Verwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln überschaubar. Weiterhin futtern die Imker wenig oder keinen Zucker an ihre Bienen. Der lokal produziert Honig hat somit eine gute Qualität. Die folgende Übersicht gibt einen ersten Eindruck über die Interessenslage zur Gründung einer Erzeugergemeinschaft Honig. 42 Interessensgruppenanalyse „Gründung Erzeugergemeinschaften Honig“ Interessensgruppen und ihre charakteristischen Imker Meist VollerwerbsImker Erwartungen Befürchtungen Verkauf von Honig zu guten („fairen“) Preisen Hilfe bei Gründung der EG durch Moldauhilfe e.V. Ansiedlung von Gewerbebetrieben Schaffung von Arbeitsplätzen Vermehrte Kaufkraft der E. Stehen der Gründung von EGs feindlich gegenüber Gemeinden Geringe Entwicklungsdynamik Wiederfinden einer Identität Honighändler Chisinau Oligopol, d. h. . Preisdumping in Absprache mit anderen Honighändlern Großkunden für Honig in Deutschland In der Regel Ketten Professionelles Management Moldauhilfe Aachen Engagement für sozial Schwache Gemeinschaftsaktionen Ehrenamtliche Tätigkeit ASCA 15 Impulse zur ländlichen Entwicklung und Beratung Qualitätshonig einheitlicher Qualität Große Chargen Verlässlichkeit Potentiale Betrogen zu werden von GF Verlust des vertrauten Honighändlers Zu viel Projekte (???) Missgunst unter Ausgeschlossenen Preiserhöhung in Absprache mit anderen Händlern Geringere Gewinne durch Gründung EG Vertragstreue der neuen Partner aus Moldawien Mobilisierung brachliegender ökon. Potentiale Wirkungssicherheit u. Wirkungsbreite neuer ökon. Projekte Stärkung des e.V. Zunehmende soziale Verelendung ohne wirtsch. Verbess. Geringe Innovationsbereit schaft, vor allem bei horizontaler Kooperation Chancen für Kleinbauern in Kombination mit Urlaub auf dem Bauernhof Qualität der Produkte Management der EG Produktion von Qualitätshonig Gründung einer EG Selbsthilfe bei Bau der Anlage Bauland oder vorhandenes Gebäude Arbeitskräfte für Processing Zahlen Cash gegen Ware Gewachsene Geschäftsbezie hung zu Imkern Störfeuer Abnehmer in Deutschland mit Bereitschaft zur Zahlung von „fairem Preis“ Erfahrung in den Dörfern Vertrauen bei Dorfbewohnern Gute Netzwerke in D und MD Finanzielle Unterstützung Bietet Rat und Unterstützung an bei der Gründung Als nächster Schritt zur planerischen „Röntgenaufnahme“ bei der Gründung einer Producer Group „Honig“ wurde eine „Projekt-Planungsübersicht“ (PPÜ) Erzeugergemeinschaft Honig aufgestellt < s. Anlage 3 >. Diese PPÜ soll in den Folgemonaten als Grundlage der weiteren Planungsschritte dienen. Die Ebene der vorgeschlagenen 15 Gespräch mit dem Direktor ACSA, Constantin Ojog, am 26.10.2015. 43 Aktivitäten kann als Struktur für eine Machbarkeitsstudie herangezogen werden, die im Mai nächsten Jahres durchgeführt werden soll. Sollte bei den potentiellen Interessenten für die Gründung einer Erzeugergemeinschaft zu viel Skepsis im Hinblick auf die Delegation der Managementverantwortung an eine Person aus ihrer Mitte bestehen, könnte das sog. „Betreibermodell“ angewendet werden. Dieses Modell wird heute bereits in vielen Entwicklungsländern Afrikas als sog. „Outgrower Scheme“ praktiziert. 16 In der Regel übernimmt ein großer Farmer (der Outgrower) die Funktion des Zwischenhändlers, kauft bei seinen Berufskollegen die Produkte auf, überprüft deren Homogenität und Qualität und verkauft sie in seinem Namen am Markt. In der Regel hat er dank seines Namens bereits Zugang zu internationalen Märkten mit guten Preisen, die er auch an seine ProduzentenKollegen weitergibt. 4.2.2 Weitere Potentiale für Erzeugergemeinschaften und Gemeinschaftsprojekte Am Tag vor unserer Abreise übergab uns die Landwirtschaftsberaterin Veronica eine Liste von sechs Bauern aus Baimaclia, die eine Erzeugergemeinschaft „Getreide“ gründen wollen. Als rechtlicher Rahmen soll das Gesetz „Producer Groups“ vom 20.12.2013 herangezogen werden. Ganz offensichtlich haben unsere Hinweise auf das Gesetz und die Möglichkeiten einer Förderung ihre Gedanken beflügelt, diesen Weg zumindest zu versuchen. Das Gesetzt selbst erscheint überbürokratiesiert, eher auf Bedürfnisse von Großbauern hin ausgerichtet und dürfte somit für Kleinbauern problematische Hürden mit sich bringen. Sie ist in zehn Artikeln die Anerkennung durch eine staatliche Agentur detailliert geregelt (§§ 7 bis 17). Dies öffnet erfahrungsgemäß Tür und Tor für Korruption. Die durchaus sinnvollen Förderanreize für Gemeinschaftsinvestitionen sind hoch, dürften für Kleinbauern aber kaum erschwinglich sein (§ 18 und 19). Bezuschussung von Funktionskosten ist in den Anfangsjahren möglich, hängt aber von der Höhe des Umsatzes ab. Das erscheint sinnvoll. – Die staatliche Förderung ist über ein Darlehen der Weltbank zunächst bis zum Jahr 2017 gesichert. Ergebnisse einer vorgesehenen Evaluierung durch die Weltbank mit diesem Instrument liegen noch nicht vor. Somit bietet dieses Gesetz durchaus Chancen für die Gründung von Producer Groups, allerdings verbunden mit bürokratischen Hürden und finanziellen Vorleistungen. 16 Vergleiche: „Financing Agricultural Value Chains in Africa, giz, BMZ, 2011, S. 57. 44 Die folgende Übersicht vermittelt einen Überblick, in welchen Bereichen weitere Potentiale für Erzeugergemeinschaften oder wirtschaftliche orientierte Kleinprojekte bestehen. Ob es zu wirklichen Producer Groups, wie es das o. a. Moldawische Gesetz vorschlägt, ist abzuwarten. Im Zuge der Machbarkeits-Studien im Mai 2016 wird sich weisen, welchen Varianten der Vorzug gegeben wird, einer PG oder einem Betreiber-Modell. 45 Übersicht der vorgeschlagene wirtschaftlich orientierten Projekte Name Ziel 1) (AK!) Veröffentlichung der zwei Geschichtsbücher von Alexandru SIRBU 2) Producer Group „Honig“ 3) Producer Group „Milch“ 4) Darlehenskasse Baimaclia 5) Producer Group „Getreide“ 6) Bäckerei in Baimaclia Bemerkungen Kenntnisse der Schulkinder in Heimatgeschichte stärken Identifikation der Dorfbewohner mit ihrem Dorf stärken Absatzchancen in D nutzen Handelsspanne (70 bis 80 %) für Imker nutzen Milchsammelstelle in Baimaclia aufbauen Absatzbedingungen für die ca. 40 Milchviehhalter (120 MK) verbessern Risikokapital von mind. 10.000 Euro beschaffen Management der Kasse organisieren und unterstützen mit Hilfe KfW und SES Eigeninitiative von 6 Bauern aus Baimaclia begleiten Operationalität des MD Gesetzes „PG“ testen Gute Eigeninitiative mit potentieller Breitenwirkung Evtl. gebrauchte Bäckereiausrüstung aus D herbeischaffen Monopol der lokalen Saatguthändler brechen Chancen für Produktqualität verbessern Absatzchancen für „Nusskerne in Honig“ 8) prüfen (Verein) Innovative Chancen für Urlaub Kleinprodukte und und Freizeit auf dem Kleinprojekte Lande prüfen (Verein) Chancen für INTERREG-Projekt „Waldschinken“ ausloten (JPF) Ranking im Hinblick auf Wirkungssicherheit und Wirkungsbreite 7) Samenbesschaffung (Hybridsaatgut) für GemüseKleinbauern 46 Überschaubare Risiken bei Umsetzung Erheblicher Nutzen für Verein Risiken bei Investition und Management Als BetreiberModell planen Als BetreiberModell planen Darlehenskasse nutzen (sofern verfügbar) Risiko überschaubar für einen FdR Enormes Potential für Breitenwirkung Grundsätzlich gute Initiative Prozess von Antragstellung bis Förderbescheid beobachten Kosten für Beschaffung über Internet enorm hoch (30.000 Euro) „Mittler-Position“ des Vereins Vordringlich prüfen! Könnte sich an bestehenden Bestimmungen (Saatgutgesetz!) festfahren Potentiale für alle drei Ansätze scheinen plausibel Prüfung und ggfls. Unterstützung organisieren Ranking *** *** *** *** ** ** ** * (ohne Vorwegnahme der Erkenntnisse aus der geplanten Machbarkeitsstudie im Mai 2016) HOCH *** MITTEL ..** KLEIN .. * 5. Darlehenskasse Vierzig Worte könnten es möglich machen: MoldovaAhha e. V. hat sich mit dieser Anzahl von Worten an einer Ausschreibung von Google-Deutschland für Kleinprojekte beteiligt. 10.000,- Euro sind ausgelobt: „Unser Projekt will Kleinbauern in Moldawien über eLearning und Microkredite helfen, sich zu Producergroups (Qualitätsstandards, Marktzugänge, vor dem Ausverkauf von Ackerland an globale Konzerne und der Mafia schützen. Nur so können auch Dorfgemeinschaften erhalten bleiben“. Ländliche Armut, so zeigt es die Geschichte in vielen Ländern Europas, rührt vor allem von Abhängigkeiten her. Die Abhängigkeit der Kleinbauern und der Landwirte in den Projektdörfern ganz allgemein von den Anbietern von Produktionsmitteln, von einem Netz von Händlern mit Preisabsprachen für ihre Produkte und einigen wenigen Banken mit Zinssätzen weit über 20 Prozent wurde im vorhergehenden Abschnitt dargestellt. Eine ähnliche Situation hatte bereits Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Jahre 1872 in der armen Agrarregion um Neuwied erkannt und unter den Stichworten „Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung“ den ersten Darlehensverein auf dem Lande in Deutschland gegründet. Die Notwendigkeit für eine Darlehenskasse in den Projektdörfern ergibt sich somit zwingend aus der Not der ländlichen Bevölkerung (s. Abschnitt 3). Dies ist insbesondere bei der Kreditvergabe an Landwirte in den Projektdörfern spürbar. Von 22 Prozent bis 28 Prozent reichen die Hinweise der befragten Bauern für Kredite mit einer Laufzeit von einem Jahr. So wird der Gemüsebauer Iurie für den Kredit in Höhe von 600,- Euro zum Jahresanfang 2016 750,- Euro an die Bank zurückzahlen müssen. Den Kredit hatte er zu Beginn des Jahres 2015 aufgenommen zum Ankauf eines chinesischen Motor-Kultivators – Stückpreis 600,Euro < FOTO Nr. 44 >. Das sind 25 Prozent Jahreszins! Und das ist aus der Sicht dieses arbeitssamen und äußerst bescheiden lebenden Ehepaares bitter. - Die Liste der Kreditgeschädigten ließe sich verlängern. Somit stellt sich die Frage nach dem Konzept für eine Darlehenskasse in den Projektdörfern, weit weg von den Kreditbanken in den Städten. Geldausleihen ist in den Dörfern gang und gäbe: Man bittet eine vertraute Person, das Geld vorzustrecken für das Spritzen des Weinbergs, weil sonst die Ernte gefährdet wäre, und zahlt den Betrag nach der Weinlese zurück, vielleicht einen etwas größeren Betrag, aber ohne hohe Zinsen. Beispiele für ein derartiges Finanzgebaren gibt es hinreichend. 47 Unter der Annahme, dass die 10.000,- Euro aus dem Google-DeutschlandWettbewerb als Risikokapital zur Verfügung stehen, könnten die Eckpunkte einer „Dahrlehenskasse Baimaclia“ wie folgt aussehen: Risikokapital 10.000,- Euro; Vergabevolumen der ersten Kreditvergaberunde 2016 ist somit ca. 200.000 LEI. Eine Aufstockung der ersten Einlage ist möglich, hängt allerdings vom Spendenaufkommen von MoldavaAhha e. V. oder von Einwerbungen weiterer Geldbeträge über Botschaften etc. ab. Aufnehmende Stelle der Geldzuweisung ist in der Anfangsphase der Darlehenskasse der Partnerverein von MoldavaAhha e. V., die A. O. Parteneraitul Aachen-Moldava. Entwicklungsziel der Darlehenskasse ist die Vergabe von Darlehen an Bürgerinnen und Bürger aus Baimaclia. Dadurch sollen deren Einkommens- und Lebensbedingungen verbessert werden. Operatives Ziel der Darlehenskasse ist es, mindestens über fünf Jahre hinweg das Volumen der ersten Einlage in Höhe von 10.000.- Euro nicht wesentlich durch Ausfälle von Rückzahlungen zu schwächen. Die Laufzeit der Kredite beträgt grundsätzlich ein Jahr. Die Rückzahlung erfolgt in zwei Tranchen (nicht zwingend, kann auch anders organisiert werden). Anpassungen der Rückzahlung an die Einnahmen im landwirtschaftlichen Jahreszyklus sind möglich. Durch den Rückzahlungsmodus mit Abschluss der Ernte ergibt sich die Möglichkeit, die Ersteinlage aus dem Google-Deutschland-Wettbewerb in einen beständigen „Fonds de Roulement“ umzuwandeln mit Übergabe des „Kredit-Staffelstabes“ im Herbst. 17 Vorbedingung dafür ist allerdings eine gute Rückzahlungsmoral der Kreditnehmer. Der Zinssatz liegt bei 5 (10?) %. Die Zinseinnahmen sollen die Kosten des Managements decken. Der Eigenanteil für geplante Investition, die über den Kredit finanziert werden sollen, beträgt grundsätzlich 50 %. Dies scheint angesichts des Potenzials an Transferzahlungen der Arbeitsmigranten eine plausible Annahme. Die Kreditobergrenze wird auf 1.000,- Euro, (60.000 LEI) festgelegt. Sofern der erste Kredit termingerecht zurückgezahlt ist, kann dieser Kreditnehmer einen Folgekredit beantragen. Kreditanträge werden grundsätzlich nur zum 1. September angenommen, im Laufe dieses Monats September geprüft und entschieden. Ein 5-köpfiger Kreditbeirat aus Baimaclia entscheidet über die Vergabevorschläge der Geschäftsführung der Darlehenskasse. Der Kreditbeirat der Darlehenskasse Baimaclia besteht aus dem Bürgermeister, Herrn Alexandru Sirbu, Frau Veronica (ACSA), Herrn André Spuhisow und Herrn Franz 17 Der Fonds de Roulement (FdR) des Beninisch-Deutschen Projektes zur ländlichen Entwicklung CARDERAtlantique wurde aus den Gegenwertmitteln verkaufter deutscher Waren initiiert und über Jahrzehnte hinweg aus den Rückzahlungen der vergebenen Kleinkredite fortgeführt. JPF 48 Scheidt. (Vorschlag von JPF, muss selbstredend diskutiert und transparent entschieden werden!). Die Geschäftsführung der Darlehenskasse wird in den ersten 5 Jahren durch einen Experten des Deutschen Senioren Experten Dienstes (SES) unterstützt. Die Kreditlaufzeit beginnt für alle Projekte zum 1. Oktober und endet am 30. September. Dieser Rhythmus entspricht traditionell der Pachtauskehrung nach der Ernte. Dingliche Sicherheiten sollten bei einer dörflichen Darlehenskasse nicht angewendet werden. Das Verfahren der Kreditvergabe würde dadurch überbelastet. Zu erwägen wäre hingegen ein Zugriff auf die Ernte (wie bei der Pachtzahlung auch) bei Nichtzahlung oder Beibringung weiterer Bürgen; weiterhin auch Gruppenhaftung. Die Darlehenskasse hat ihren Sitz in der Primeria von Baimaclia. Die erste Geschäftsstelle ist das Büro des Gasversorgers von Baimaclia. Die Primeria liegt zentral und wird bewacht. Erste Geschäftsführerin der Darlehenskasse wird Frau S. die verantwortliche Verwaltungskraft für die Abrechnung der Gaslieferungen an die Haushalte in Baimaclia. Frau S. kennt alle Leute im Ort und deren Zahlungsverhalten. Hinweise und Erfahrungen für das Management der Darlehenskasse, insbesondere die Prüfung von Kreditanträgen und die Rückzahlungsmodalitäten stehen MoldovaAhh e. V. zur Verfügung und werden in die Machbarkeitsprüfung im I. Quartal 2016 einbezogen. 18 Die Konzentration auf zunächst nur einen Ort, nämlich Baimaclia, wird ganz bewusst vorgeschlagen. Auf diese Weise wird die Rückzahlung des Darlehens eine Solidaritätsangelegenheit im Ort und auch eine Art „Ehrensache“ gegenüber „nachrückenden“ Kreditnehmern. Dieser Ansatz muss vor allem vom Bürgermeister propagiert werden. Sollte sich dieses Konzept bewähren, kann MoldovaAhha e. V. Risikokapital auch für die anderen Projektdörfer beschaffen und dort eigenständige Darlehenskassen ins Leben rufen. Vergabemöglichkeiten für Kleinkredite gibt es in den Projektdörfern hinreichend (Milchsammelstelle, Anlage von Rebanlagen, Obstplantagen, Bäckerei etc.). Bei der Investition in Landmaschinen sollte grundsätzlich nur die Anschaffung von Maschinen und Geräten förderfähig sein, die in einer Maschinengemeinschaft genutzt werden. Kredite für Gemeinschafts-Aktionen auf den Ebenen 1, 2 und 3 haben somit Priorität vor der Förderung individueller Investitionen (siehe folgendes Schema). 18 Toolkit forIndividual Lending for Credit Officers, Chicago, 2007. giz, Handbook Operating Village Banks: Microfinance in Rural Areas – Access to Finance for the Poor, 2014 (52 Seiten). 49 Das Potential der Darlehenskasse kann sich um den strategisch wichtigen Aspekt „Verhinderung von Notverkäufe von Boden“ erweitern. In den Gesprächen um die Hintergründe für Bodenverkäufe von Kleinbauern, also in Größenordnungen von zwei bis drei Hektar, wurde immer wieder auf die klassische Verknüpfung eines „Not-Verkaufs von zwei Hektar“, verwiesen, weil irgendeine dringende Ausgabe anstand, wie Studium der Kinder, Krankheit oder eine Operation etc.. Die Aufnahme eines Kredites zur Deckung dieser außergewöhnlichen Ausgaben ist bei 25 % Zins zu teuer. So trennt man sich von dem Boden und das Land wandert an einen Eigentümer außerhalb des Dorfes. Das schwächt aber wiederum nachhaltig, weil quasi irreversibel, das Wirtschaftspotenzial des Dorfes. Wenn die Darlehenskasse also Jahreskredite zu 5 % anbietet, könnten ihre Jahresdarlehen diesen Teufelskreis durchbrechen. Der Verkauf von zwei Hektar Land bringt einen Verkaufserlös von ca. 20.000 LEI. Ein Darlehen von 1.000,- Euro ebenfalls. Somit bleibt für die Darlehenskasse das Risiko der Rückzahlung bei derartigen „prekären“ Darlehensnehmern. Es wird sich weisen, ob sich da mit Hilfe des Bürgermeisters und des Beirates eine Gemeinschafts-Solidarität aufbauen lässt, wie dies vor gut 150 Jahren zu Zeiten Friedrich Wilhelm Raiffeisens im armen Hunsrück funktioniert hat. Das folgende Beispiel „Milchsammelstelle Baimaclia“ zeigt exemplarisch Chancen und Risiken für die Kreditvergabe bei einer stärker ökonomisch gelagerten Investition: Die Milch der 120 Milchkühe des Ortes Baimaclia wird gegenwärtig weit unter Wert verarbeitet (Käse, Trinkmilch für den Kindergartem). Die Einrichtung einer 50 Milchsammelstelle in der aufgelassenen Bäckerei der ehemaligen Kolchose könnte dazu beitragen, die Milch aller Kühe des Ortes zu sammeln und der nächst-gelegenen Molkerei in Cahul anzubieten. Alternativ könnte die Milch auch vor Ort verarbeitet werden zu Käse, der dann unter einem Markennamen als Regionalprodukt vermarktet wird (Value Chain). Das vorgeschlagene Gebäude scheint solide, ist innen gekachelt und hinreichend geräumig, hat auch einen Wasseranschluss. Frau Veronica will die Milchsammelstelle im Familienverbund betreiben. Für die Erstinvestition benötigt Frau Veronica ungefähr 120.000 LEI. Bei dem üblichen „1 zu 1“ bei investiver Förderung entspricht dies einem Darlehensvolumen von 3.000,- Euro. Der Eigenanteil soll von einer Cousine geleistet werden, die im Ausland arbeitet. An Stelle einer Producer Group könnte somit das „Betreiber-Modell“ herangezogen werden. Wirkung: Die Milch der 120 Milchkühe des Ortes könnte gesammelt, gekühlt und zu einem besseren Preis an die Molkerei nach Cahul verkauft werden oder in Form von Käse ihren Weg auf die Märkte finden. Die Käseproduktion von einer jährlichen Milchmenge von ca. 400.000 kg (120 Milchkühe x 3.000 kg Milchleistung pro Kuh und Jahr) könnte Arbeitsplätze im Ort schaffen. Sobald die Bauern merken, dass der Verkauf der Milch rentabel ist, werden sie ihre Milchviehbestände aufstocken und mehr Milch produzieren. Die Value Chain beginnt zu wirken… Die Darlehenskasse sollte bewusst keine Spareinlagen akquirieren und versuchen, auf diese Weise das Kreditvolumen zu erhöhen. Das würde das Management der Darlehenskasse unnütz erschweren, vermutlich staatliche Ordnungsmaßnahmen der Bankenaufsicht nach sich ziehen und auch das dritte „S“ (Selbstverantwortung) des Raiffeisen-Prinzips stören. 51 6. Urlaub auf dem Bauernhof In vielen Bauernhöfen Europas ist „Urlaub auf dem Bauernhof“ seit Jahrzehnten eine durchaus übliche Variante, das Einkommen der Landwirte aufzustocken durch Einnahmen von zahlenden Gästen. Begünstigt wird diese von der EU-COM geförderte Maßnahme (10Betten-Regel!) durch die auf den Höfen häufig leerstehenden Räumlichkeiten oder Austragshäuser. Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusatzaktivität dieser Art sind also korrekte Ferienwohnungen auf den Höfen mit hygienisch akzeptablen Fazilitäten sowie ein ländlich-einfaches, aber durchaus attraktives Urlaubsangebot rund um den Hof – und all dies zu einem Preis, der vor allem für mittelständische Familien attraktiv ist. Zum Thema „Urlaub auf dem Bauernhof“ haben wir eine engagierte Diskussion mit Frau Natalia CRUDU geführt, Chefin einer dynamischen Frauengruppe im Dorf Ciobalaccia, unterstützt von sechs ihrer Mitstreiterinnen aus dem Dorf < FOTO Nr. 38 und 39 >. Ciobalaccia liegt etwas südlich der drei Projektdörfer. Fünf dieser acht Frauen haben noch Webstühle zu Hause, stricken und weben für Märkte außerhalb der Dörfer, sammeln Heilkräuter, halten althergebrachte Rezepte in Ehren und haben für ihr Engagement bereits einige Auszeichnungen und Urkunden erhalten. Die Diskussion um das Für und Wider für Urlaubsgäste in ihren Häusern lässt sich wie folgt zusammenfassen: Räumlichkeiten vorhanden, allerdings noch nicht in einem „gastfreundlichen“ Zustand; Ergänzungsinvestitionen erforderlich, vor allem im sanitären Bereich (Kredite der Darlehenskasse?) Sauna und kleines Schwimmbad im Ort; mietbar Attraktives Umland (ausgedehnte Wälder, Wanderpfade, geführtes Wandern möglich, Begleitung der Schaf-, Kuh und Schweinehirten auf der Allmende etc.) Geführtes Wandern im Wald, Waldpfade Kurse für traditionelles Kunsthandwerk (hier wäre eine fachkundige Unterweisung im Hinblick auf west-europäische Märkte sinnvoll: Die lokalen Produkte haben teilweise noch einen „alt-sowjetischen Touch“. Evtl. eine Anfrage richten an den SESDeutschland) Kurse für traditionelle Küche, Einmachtechniken und Kräuterkunde Zwei Chöre im Ort, Kurse in traditionellen Tänzen Erste Preisvorstellung für Übernachtung, Frühstück und Abendessen: ca. 30,- bis 40 Euro pro Tag Vorschlag: Einfach mal versuchen, anzufangen auf niedrigem Niveau und Erfahrungen zu sammeln. Der Verein könnte helfen, für ein derartiges Angebot ein Internet-Portal zu erstellen und die Nachfrage zu stimulieren. 52 7. Fazit Der Entwicklungsphilospoph Helder Pessoa Camara hat im Hinblick auf die Planung und Durchführung von Entwicklungsprojekten einmal gesagt: „ Wenn einer träumt, bleibt’s Traum. Wenn zwei träumen, beginnt die Realität!“ 19 Folgt man dieser Logik, hat in vielen der w. o. vorgeschlagenen wirtschaftlich orientierten Kleinprojekten die Realität bereits begonnen: Die befragten Personen in den Projektdörfern haben offen von ihren wirtschaftlichen Problemen berichtet und häufig gleich auch ihre angedachten Lösungsansätze angesprochen. Diese sind allerdings nicht immer konsequent bis zu Ende gedacht. Die ewige Mangement-Frage „Wer macht was, wann, wie und mit welchen Mitteln?“ wird im Hinblick auf das „Was“ in aller Regel mit präzisen Vorstellungen untersetzt. Das „Wie“ und „Wann“ hängen hingegen häufig entscheidend vom Zugang zu den notwendigen Finanzmitteln ab, und der ist extrem schwierig, wie wir gesehen haben. Fast alle Elemente erfolgreicher Visionen, wie sie aus der folgenden Darstellung hervorgehen, dürften für die weiter oben vorgeschlagenen wirtschaftlich orientierten Projektideen zutreffen. Dennoch werden für einen ersten Einstieg gute Beratungsangebote sowie eine Anschubfinanzierung vonnöten sein. 19 Helder Pessoa Camara (1909 -1999), katholischer Erzbischof von Oinda und Recife, Brasilien, und dynamischer Vertreter der sogenannten „Liberation Theology.“ 53 MoldovaAhha e. V. verausgabt in „seinen Projektdörfern“ Spenden bislang ausschließlich für soziale Kleinprojekte und Stipendien für Bildung und die Ausbildung bedürftiger Jugendlicher. Der vorgeschlagene Einstieg in die Wirtschaftswelt der Projektdörfer würde somit nicht nur eine Ausweitungen seines Engagements darstellen. Dies würde für MoldovaAhha e. V. vor allem auch eine neue Herausforderung mit sich bringen, verbunden mit der Chance, die Einkommenssituation der Kleinbauern zu verbessern und ihren Geist für Gemeinschaftsaktionen zu stärken. Auf diese Weise würde der Verein weiterhin einen gewichtigen Beitrag leisten bei der Verbesserung der Lebensbedingungen in den Dörfern. Der Bürgermeister von Baimaclia verabschiedete uns mit einem alten moldawischen Sprichwort: „Wir Moldawier beeilen uns gern langsam, verlieren dabei aber nicht unser Ziel aus den Augen.“ Das dürfte insbesondere für die Entwicklung von wirtschaftlich orientierten Kleinprojekten in den Projektdörfern zutreffen. Behutsames, beharrliches Herangehen mit immerwährendem Abwägen ist hier durchaus angezeigt. 54 8. Begleitende Fotos Nr. 1: Wohnhaus in Baimaclia Nr. 2: Alter, unproduktiver Weinberg Nr. 3: Nr. 4: Bühne im Kulturhaus von Baimaclia Saal des Kulturhauses in Baimaclia 55 Nr. 5: Kinderbibliothek in Baimaclia Nr. 6: Kinderbibliothek in Baimaclia Nr. 7: Brennholzlieferung in den Dörfern Nr. 8: Ausgelichtete, übernutzte Wälder 56 Nr. 9: Vordringen der Ackerflächen am Hang Nr. 10: Erosionsrinnen in großen Ackerflächen Nr. 11: Erosionsschluchten Nr. 12: Gut angelegte Fieldstrips 57 58 Nr. 13: Im Heimatmuseum von Baimaclia Nr. 14: Mit der Taschenlampe auf Spurensuche Nr. 15: Der Historiker Alexandru Sirbu mit Nr. 16: Der Bürgermeister von Baimaclia seinem Buch-Manuskript 59 60 Nr. 17: In der Musik- und Kunstschule von Baimaclia Nr. 18: In der Musik- und Kunstschule von Baimaclia, Sparte Tanz und Balett Nr. 19: In der Musik- und Kunstschule von Baimacli, Nr. 20: In einer Dorfschule Sparte Malen 61 Nr. 21: Der legendäre Raketenschlepper K 7 Nr. 22: Neu erbauter Kuhstall Nr. 23: Neu angelegte Rebanlagen Nr. 24: Neu angelegte Rebanlagen 62 Nr. 25: Auf dem Wochenmarkt von Baimaclia Nr. 26: Getreidelager Nr. 27: Das Bäckereigebäude 63 Nr. 28, 29, 30 und 31: Zu Gast bei Kleinbauern 64 Nr. 32 und 33: Zu Gast bei Kleinbauern Nr. 34 und 35: Zu Gast bei Gemüsebauern 65 Nr. 36: Der neue Moto-Kultivator eines Gemüsebauern Nr. 37. Moderner Imkereibetrieb Nr. 38 und 39: Zu Gast bei einer Frauengruppe 66 Danksagung Wir bedanken uns ganz herzlich bei all denen, die am Zustandekommen dieser explorativen Untersuchungen beteiligt waren, vor allem bei den Personen, die uns bei ihrer Durchführung so gut unterstützt haben: Die Bürgermeister und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gemeindeverwaltungen in den besuchten Dörfern, den Landwirtschaftsberatern von ACSA, die uns bekannt gemacht haben bei den Bauern und überhaupt erst einmal die Verbindung hergestellt haben zu ihnen, dem Vereinsvorstand von MoldovAhha e. V., der uns mit dieser Arbeit betraut hat. Vor allem aber danken wir ganz herzlich den Gesprächspartnern der vielen explorativen Interviews, den Bauern für ihre Auskünfte, den Begleitern auf den Touren durch die Weinberge, Felder und Wälder für die Fahrkünste auf den ausgewaschenen Wegen und ihre sachkundigen Erläuterungen auf unsere vielen Fragen. Unserer Gastgeberin in Baimaclia, Frau Svetlana, danken wir für die überaus freundliche Aufnahme in ihrem Haus. Bei Cristina Russu bedanke ich mich ganz persönlich für ihren unermüdlichen Dienst als Übersetzerin, vor allem aber für ihr Engagement und ihre Umsicht als ungemein präzise und voraussschauende Koordinatorin der vielen Gesprächstermine. Mögen alle diese Personen hiermit nochmals unser herzliches Danke-Schön annehmen für alle vertrauensvoll herrübergereichten Informationen und Dokumente. Baimaclia, 30. Oktober 2015 Jochen Pfeiffer Cristina Russu 67 Anhänge Anlage 1: „Diebstahl des Jahrhunderts“: Moldau versinkt im Krieg der Oligarchen Anlage 2: Inhaltsverzeichnis des Buchmanuskripts „Baimaclia und sein Umland“ von Alexandru Sirbu Anlage 3: Projektplanungsübersicht (PPÜ) „Erzeugergemeinschaft Honig“ 68 Anlage 1 „Diebstahl des Jahrhunderts“: Moldau versinkt im Krieg der Oligarchen Ein enormer Korruptionsskandal und Ränkespiele mächtiger Unternehmer: Die Krise der Republik Moldau bietet Stoff für Hollywood. Der „moldawische Herbst“ stellt den prowestlichen Kurs des Landes infrage. Droht ein neuer Krisenherd an der Ostgrenze der EU? Von Thomas Körbel 1 Vlad Filat im Parlament Chisinau am 15. Oktober. © dpa Chisinau. Ein „Diebstahl des Jahrhunderts“ stürzt die kleine Ex-Sowjetrepublik Moldau immer tiefer ins Chaos. Eine Milliarde Dollar (rund 900 Millionen Euro) sind über Kredite für zweifelhafte Firmen aus drei großen Banken verschwunden. Ranghohe Funktionäre sollen dahinter stecken, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Der größte Korruptionsskandal in der Geschichte Moldaus hat Massenproteste sowohl proeuropäischer als auch prorussischer Kräfte ausgelöst. Für eines der ärmsten Länder Europas ist eine Milliarde Dollar - 17 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung - sehr viel Geld. Wie ein Katalysator beschleunigt der „Jahrhundertraub“ die Krise in Moldau. Das Land mit 3,5 Millionen Menschen zwischen Rumänien und der Ukraine ist zerrissen zwischen einem prowestlichen Lager, das seit 2009 regiert, und linken Gruppen, die enge Beziehungen zu Russland wollen. 69 Regierungschef Valeriu Strelet schließt einen Rücktritt zwar aus. Doch schon bald könnte seiner Koalition der Kollaps drohen. Die oppositionellen Sozialisten, die größte Parlamentsfraktion, sowie die Kommunisten schmieden Pläne für ein Misstrauensvotum. Die Wahl 2014 hatte den drei Parteien von Strelets „Allianz für eine europäische Integration“ nur eine dünne Mehrheit von einer Stimme gebracht. Eine Festnahme wie in einem Hollywoodstreifen trifft die Regierung nun wie ein Paukenschlag. Während die Abgeordneten im Parlament dem Mitglied der Koalition und Millionär Vlad Filat die Immunität entziehen, blockieren vor dem Gebäude linke Demonstranten die Ausgänge, um Filat nicht entwischen zu lassen. Noch im Parlament wird der Ex-Regierungschef festgenommen. Der 46-jährige Filat - zuletzt Chef der Liberaldemokratischen Partei - gilt als einer der einflussreichsten Männer in Moldau. Er soll von einem zwielichtigen Geschäftsmann Hunderte Millionen Dollar Schmiergeld erhalten haben. Filat drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Ernest Vardanean, Osteuropa-Experte von der Universität Chisinau, sieht Filat als Verlierer in einem Krieg der Oligarchen. Als dessen Gegenspieler gilt der wohl noch mächtigere Geschäftsmann Vlad Plahotniuc von der regierenden Demokratischen Partei. Plahotniuc soll wichtige Behörden und TV-Sender kontrollieren. Beobachter halten den 49-Jährigen für den heimlichen Herrscher in Moldau. „Mit Filats Festnahme hat der Zerfall der Regierung das Endstadium erreicht“, sagt Vardanean. Bislang arbeiteten die Parteien von Filat und Plahotniuc in der Regierung zusammen. „Vorgezogene Neuwahlen sind jetzt mehr als wahrscheinlich“, meint der Politologe. Dass Plahotniuc „der eigentliche Feind“ ist, betont auch der Anwalt Andrei Nastase, Mitgründer der proeuropäischen Bürgerinitiative Würde und Wahrheit. Nastase hat den Zorn der Menschen auf die Straßen der Hauptstadt Chisinau getragen. Aus Protest gegen ausufernde Korruption gründete er am 24. Februar mit einem Dutzend Mitstreiter die Bewegung und forderte mit einem Manifest eine Grunderneuerung Moldaus. Seitdem sind Zehntausende Menschen seinem Ruf gefolgt und haben mehrfach bei Protesten den Rücktritt von Regierung und Präsident verlangt. „Uns eint die Idee, dass unser Staat von Oligarchen besetzt ist“, sagt der 40-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen ihn befreien.“ Die Wut macht Nastases Stimme kämpferisch. „Wir wollen, dass alle hohen Funktionäre entlassen werden, denn sie sind an dem großen Diebstahl beteiligt.“ Beobachtern zufolge ist unklar, wie unabhängig Nastase ist in einem Staat, in dem Oligarchen wie Plahotniuc und Filat Politik, Wirtschaft und Medien in weiten Teilen 70 dominieren. Vorwürfe, dass seine Bewegung von Filat finanziert sein soll, weist Nastase mit Nachdruck zurück. Nach einer Großdemo Anfang September schlug die Bürgerbewegung ein Zeltlager im Stadtzentrum auf. Bis heute versammeln sich vor allem abends Dutzende im „Städtchen der Würde und Wahrheit“, singen patriotische Lieder und sprechen über eine europäische Zukunft. Wenige Straßen entfernt stimmen in einem weiteren Lager Anhänger der prorussischen Opposition ein anderes Lied an. Deren Parteien hatten sich später den Protesten angeschlossen: mit Forderungen nach Erneuerung wie Nastases Bürgerinitiative, aber mit dem Ziel einer Annäherung an Russland. Als Trittbrettfahrer sieht Nastase diese Gruppen, die „politisches Kapital“ aus dem Protest schlagen wollten. Nach Einschätzung des Experten Vardanean dürfte die Krise in Moldau noch lange dauern. Der proeuropäische Kurs steht demnach auf der Kippe. Nach jüngsten Umfragen wachse der Zuspruch in der Bevölkerung für eine stärkere Orientierung an Russland, sagt Vardanean. (dpa) 71 Anhang 2 “Baimaclia aus Codrul Tigheciului20 und ihre Nachbardörfer“ (Geographie, Geschichte, Wirtschaft, Kultur und Spiritualität) Autor: Alexandru Sîrbu Inhaltsverzeichnis Kapitel I: Geographischen Koordinaten 1. Standort, Grenzen und Nachbarschaft 2. Umgebung und wichtige Orte 3. Name und Alter der Stadt 4. Erstes Dokument 5. Legende 6. Flora:. Codrul Tigheciului 7. Fauna 8. Boden und Bodenressourcen 9. Klima 10. Gewässer 11. Notizen von der administrativ-territorialen Organisation der Stadt Kapitel II: Leid und Qual vergangener Jahrhunderte 1. Fleißige und fähige Generationen von codrenii tigheceni21 2. Streifen „celor doua ceasuri“22 3. Agrarverhältnisse und Bodeneigenschaften: Grundstücke in Streifen „celor doua ceasuri“ 4. Cantacuzii23, ihre Ländereien von Streifen „celor doua ceasuri“ und ein Erbe mit Skandalen 20 Besondere administrative Bildung/ „Republik“, Jahrhundert XVIII. Codru bedeutet Wald aber viel großer und älter 21 So nannte man die Völker, die auf diesem Land gelebt haben 22 So nannte man einen Streifen Land, derMoldawien gehörte und wo Großgrundbesitzer viel Boden hatten (Bojaren) 23 Ein Name, der kommt von eine große Familie – CANTACUZINO, Familiennamen assoziirt mit vielen Persönlichkeiten 72 5. Ghiculeștii24, die neuen Besitzer des Landgutes und ie Gerichtsverfahren gegen sie eingereicht wurden Kapitel III: Baimaclia – Mare25 (XIX Jahrhundert bis 1940) 1. Bevölkerung (von Catagraphies, Volkszählungen, alte statistischen Angaben) 2. Ethnische Gruppen, die mitgewohnt haben a) „Flüchtigen über Dunare“ b) Deutsche Kolonie Baimaclia c) Evolution und die Not/Leid der Juden in Bessarabien 3. Wirtschaftliche Aspekte des Lebens. Soziale Evolution a) Landwirtschaft b) Industrie und Handel c) Markt asu Baimaclia d) Erholung des Sonntags e) Genossenschaften in Baimaclia f) Besteuerung g) Kommunikationslinien. Straßen h) Öffentliche Ordnung 4. Natürlichen und sozialen Kataklysmen 5. Große Eigenschaft: Avetov und Pruncul. Abschaffung der Eigenschaft 6. Baimaclia in rumänischen Einheitsstaat. Landverteilung zu Dorfbewohner. Ländliche Gesetz von 1864. Kapitel IV: Aspekte der Entwicklung eines Dorfes im zweiten Weltkrieg 1. Ein Jahr der sowjetischen Verwaltung a) Wirtschaftliche Situation b) Stalinistische Repressionen 2. Dorf im nazi-sowjetischen Kriegsjahre (1941-1945) a) Echoes an die ersten Tage des Krieges b) Erste folgenden Schritte der rumänischen Regierung c) Konjunktursorgen im sozial - wirtschaftliche Bereich d) Partizipation der Bevölkerung aus Baimaclia an den Kriegsfronten e) Heiße Tage des Jahres 1944 Kapitel V: Schicksal der Stadt in den ersten Nachkriegsjahren (auch die rück tangentiale Reflexion von Nebendörfer, die waren in Rayon Baimaclia (1944 – 1956)) 1. Wirtschaftliche Situation unserer Dörfer in den letzten zwei Jahren des Krieges (19441945) 24 25 Alle die gehörten zu Familie GHICU Große Baimaclia, mot-a-mot übergesetzt 73 2. 3. 4. 5. 6. 7. Zwangsmobilisierung Kollektivisierung der Bauern von unser Dörfer in den ersten Nachkriegsjahren Wein- und Obstbau Gesellschaft „Stalin“ Organisation der Kollektivwirtschaft „Dzerjinschi“ Nachkriegs Hungersnot in Baimaclia „Deschiaburirea“26 der Bauern aus Baimaclia Rayon. (von Erinnerung der Deportierte) Erinnerungsbuch (1944-1956) 8. Auto- und Traktorenstation von Baimaclia 9. „Renaissance“ des Rayon Baimaclia Kapitel VI: Das Nachkriegs Baimaclia 1. Kolchose Baimaclia. Retrospektive in einem unmittelbaren Vergangenheit 2. Sovhozul „Baimacliischi“ Kapitel VII: Zeugnisse der Spiritualität 1. Seiten von Christliches Leben 2. Gesundheitswesen 3. Lokale Anleitung und kulturelle Leistungen a) Baimaclia Schule in zaristischen Zeiten b) Schulleben in der Zwischenkriegszeit c) Bildungsaktivitäten während des Krieges d) Eine kurze Evaluation der Leistungen des öffentlichen Unterrichts in der Nachkriegszeit e) Andere Institutionen und kulturelle Leistungen in Dorf Kapitel VIII: Das heutige Baimaclia 1. Allgemeine Informationen über das Dorf (in Fakten und Statistiken) 2. Verbundene Dörfer: A. Acui B. Suhat 26 ein besonderer Begriff für die Kollektivisierung 74 Anlage 3 Projektplanungsübersicht (PPÜ) „Erzeugergemeinschaft Honig“ 75