Begegnung mit europäischen Delegierten der WGRK in Kappel am 4.3.2016 Liebe Schwestern und Brüder Im Namen des evangelischen Landeskirche des Kantons Zürich heisse ich Sie herzlich willkommen hier im Kloster Kappel, unserem historischen und gastfreundlichen Tagungszentrum. Als Kirchenratspräsident der Landeskirche bin ich zugleich Abgeordneter im Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund, und so darf ich Sie auch herzlich in dessen Namen grüssen. Wie Sie wissen, überbringt ja dessen Ratspräsident in diesem Augenblick die Grüsse der Reformierten und eine Zürcher Bibel dem katholischen Bischof von Rom, und so denken wir in einem Moment des stillen Gebets an beide. Kappel ist ein hochsymbolischer Ort mit der Ambivalenz, die symbolischen Orten eigen ist. Hier treffen sich die Verantwortungsträger und Mitarbeitenden unserer Kirche alljährlich, es ist also ein Ort der Sammlung und Inspiration für unsere Kirche. Hier wurde der Kappeler Frieden geschlossen, also ein paar hundert Meter von hier, und hier ging aber auch die Schlacht von Kappel verloren und unser Reformator Huldrych Zwingli verlor sein Leben. Gerade dieser zweite Kappeler Krieg, so berechtigt auch das Anliegen der Religionsfreiheit war, war auch eine grosse Gefahr für die eben erst entstandene reformierte Kirche und für den kleinen Staat Zürich. Aus der Sorge um die Zukunft beider, erklangen damals im Zürcher Rat laute Stimmen, die Pfaffen, also die Pfarrer sollten sich aus der Politik heraus halten. Der Staat wollte sich nicht in die kirchlichen Händel hineinziehen lassen. Die Freiheit der evangelischen Predigt lief Gefahr, massiv eingeschränkt zu werden. Es gelang dem Nachfolger Zwinglis, Heinrich Bullinger, dessen Porträt in meinem Büro hängt, ein Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu etablieren, das sozusagen unvermischt und ungetrennt zu denken war. Die Pfarrer behielten die Freiheit der Predigt, ohne sich ins politische Tagesgeschäft einzumischen, zugleich hatte die Pfarschaft alljährlich die Möglichkeit, der Regierung Ratschläge zu erteilen. Da zogen dann alle Pfarrer im Talar, zuvorderst Dekane und der Antistes vom Grossmünster hinunter ins Rathaus. Etwas davon hat sich erhalten in der einmal jährlich stattfindenden Feier zur Eröffnung des Amtsjahrs von Parlament und Regierung des Kantons Zürich. Diese Feier wird heute von den öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften durchgeführt: den Reformierten, den römisch und den alt Katholiken, sowie einer Vertretung der Juden. Kürzlich gab es eine spontane Aktualisierung dieses Umzugs im Talar, als eine Gruppe von Pfarrerinnen und Pfarrern, teilweise im Talar, in der Halle des Hauptbahnhofs demonstrierten gegen eine ausländerfeindliche Initiative der Nationalkonservativen in der Schweiz. Pfarrerinnen und Pfarrer mischten sich also mit Demonstration, Flugblättern und Inseraten in die schweizerische Politik ein. Stützen konnten sie sich auf eine Stellungnahme des Kirchenbundes, der diese Initiative ebenfalls zur Ablehnung empfohlen hatte. Natürlich kamen auch da wieder Stimmen in Leserbriefen und Mails auf, die der Kirche die Einmischung in die Politik untersagen wollten. Es gab Proteste und Austritte. Dazu muss man sagen, dass die Initiative zwar abgelehnt wurde, dass unter den 40 % Befürwortern allerdings wohl ziemlich viele Mitglieder unserer reformierten Kirche waren, leider… Allerdings waren viele Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft auch dankbar, dass sich auch die Kirche gegen eine Initiative aussprach, die menschenrechtlich und rechtsstaatlich äusserst problematisch war. Eine erste Abstimmungsschlacht wurde so zum Glückgewonnen. Die nächsten stehen bevor: Verschärfungen des Asylgesetze und vor allem dann eine Initiative, die den Austrit der Schweiz aus der EMRK zur Folge hätte, eine eigentich undenkbare Sache. So stellt sich erneut auch für unsere Kirche die Frage, zusammen mit den Katholiken, wie stark wir uns politisch einmischen dürfen, oder nicht sogar dazu verpflichtet sind in der Tradition des prophetischen Wächteramtes. Die Migrationsproblematik, die in Europa aktuell ist und bleiben wird, stellt uns vor diese Herausforderung. Zugleich aber sind wir seit Jahrzehnten von einem konstanten Mitgliederschwund bedroht, der unseren Anteil als Reformierte an der Schweizer Bevölkerung innert 40 Jahren halbiert hat. Wie gehen wir also als Minderheit mit der prophetischen Verantwortung um? Der Ort Kappel kann gerade der rechte Ort sein, solche Fragen miteinander aus europäischer Perspektive auszutauschen. Reformation in reformiertem Verständnis ist nie nur Erneuerung der Kirche, sondern immer auch der Gesellschaft. Wie deken Sie dazu? Michel Müller Kirchenratspräsident