„Der Maulwurf und die Nelken“ am 30.04.2014.

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Einleitende Worte zur Auftaktveranstaltung der translibVeranstaltungsreihe „Der Maulwurf und die Nelken“ am 30.04.2014.
In der Veranstaltungsreihe „Der Maulwurf und die Nelken – Krise und Revolution in Portugal
von 1974 bis 2014“ wollen wir uns aus Anlass des 40. Jahrestages der sogenannten
Nelkenrevolution kritisch mit den Ereignissen in dieser Zeit auseinandersetzen. Dabei ist für
uns der Ausdruck Nelkenrevolution schon problematisch, weil es sich bei dem Putsch der
Armee am 25. April1974 gegen das faschistische Regime nicht um eine grundlegende
Umwälzung handelt, sondern dieser Umsturz noch in vielerlei Hinsicht in Kontinuität zum
alten Regime stand. Wir wollen lieber, wie das auch in Portugal gemacht wird, vom „Processo
Revolucionário Em Curso” sprechen, der die Periode kennzeichnen soll, in der sich vom
Putsch im April 1974 an bis Ende 1975 noch keine neue bürgerliche Ordnung konsolidieren
konnte. In dieser Zeit gab es in Portugal eine revolutionäre Bewegung, die immer mehr an
Dynamik gewann und sich immer eindeutiger auf die Aufhebung des bürgerlichen Eigentums
als der Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft richtete. Das heißt: auf die Aufhebung des
privaten Eigentums der Klasse der Kapitalisten und Grundbesitzer an den gesellschaftlichen
Produktions- und Lebensmitteln, das die Mehrzahl der wesentlich eigentumslosen Menschen
dazu zwingt, ihre Arbeitskraft für Lohn zu verkaufen und für eine fremde Macht zu arbeiten;
eine Aufhebung dieser Form der Gesellschaft hin zu einer kommunistischen
Produktionsweise, in der die Produzenten selbst die Mittel ihrer Produktion besitzen, diese
bewusst planen und sich das Produkt ihrer Arbeit aneignen. Die ersten Schritte zu so einer
gründlichen, proletarischen Revolution wurden in Portugal in den Jahren 1974 und 1975
bereits gegangen, indem sich die Arbeiter_innen in Räten organisierten und teilweise damit
begannen, Betriebe und Ländereien zu besetzen, und damit das bürgerliche Eigentumsprivileg
radikal infrage stellten.
Diese revolutionäre Geschichte als eine von Klassenkämpfen ist heute durch ein verkehrtes
Bild der Geschichte, durch das Spektakel der Geschichte der sogenannten Nelkenrevolution
verdeckt und verdrängt. Das sollte mit der Gegenüberstellung des Maulwurfs und der Nelken
im Titel der Veranstaltungsreihe angedeutet werden. Der Maulwurf wird von Karl Marx als
Bild für das Proletariat und seine subversive Rolle in der bürgerlichen Gesellschaft
verwendet. Seine unterirdische Wühlarbeit ist zunächst für den oberflächlichen Betrachter gar
nicht sichtbar, tatsächlich kann sie aber dazu führen, dass ein ganzes Gesellschaftsgebäude
unterminiert oder unterhöhlt wird und daraufhin zusammenstürzen muss. In Portugal können
wir, wenn wir der Logik dieses Bildes weiter folgen, den Maulwurf dabei sehen, wie er
beginnt, seinen Kopf aus dem Untergrund zu heben, und anfängt, offen und explizit, mit
Willen und Bewusstsein für seine eigenen Ziele zu kämpfen. Die herrschende Zunft der
Historiker, die sich den offiziellen Standpunkt der Geschichte zu eigen macht, vertritt die
Sieger der Geschichte, die immer noch herrschende Klasse, und kann diese subversive
Wühlarbeit des Proletariats nur als Chaos deuten, weil für sie die einzig geltende
gesellschaftliche Ordnung eben die herrschende bürgerliche Ordnung ist. Für sie stellt sich die
Geschichte als Geschichte der großen Männer dar; im Fall Portugals als Geschichte der
Militärs und der Politiker. Die Offiziere, die im April 1974 den Putsch organisierten, haben
Portugal dankbarer Weise die Demokratie geschenkt und damit, nach einigen lästigen
Friktionen durch aufmüpfige Arbeiter_innen, ins ewige Reich der Freiheit geführt. Die
Nelken, die den Soldaten am Tag des Putsches in ihre Gewehre gesteckt wurden, sind zum
kitschigen Schmuck und Symbol dieser Geschichtslegende geworden. In Wirklichkeit war
aber folgendes der Fall: die portugiesische Gesellschaft steckte schon mindestens seit Anfang
der 70er Jahre in einer schweren Krise, aus der sie sich bei Fortführung der Kolonialkriege,
die fast die Hälfte des Staatshaushaltes verschlungen haben, nicht mehr erholen konnte.
Voraussetzung dafür, diesen Krieg zu beenden, war der Sturz der herrschenden Faschisten,
die nicht bereit waren, an die Unabhängigkeitsbewegungen in den Kolonien Konzessionen zu
machen. Das haben irgendwann auch einige Vertretern des alten Regimes erkannt, die sich
dann für eine politische Modernisierung des portugiesischen Staatsapparates aussprachen.
Zugleich war die portugiesische Gesellschaft innerlich völlig zerrissen und von einer großen
Welle von Klassenkämpfen gezeichnet. Der Ausbruch der vielen Streiks nach dem April 1974
ist eine Fortsetzung dieser Kämpfe, die bereits vorher begonnen haben. Viele Komitees der
Arbeiter_innen existierten schon während der Zeit des Faschismus im Untergrund und
mussten deshalb nach dem Putsch gar nicht neu gegründet werden, sondern traten einfach ins
Tageslicht der Geschichte. Die Klassenkämpfe hatten also ihre eigene Kontinuität,
unabhängig von den Manövern der Politiker und Militärs, und ihre Niederlage Ende 1975
kann nur ein Aufschub sein, solange ihre gesellschaftliche Grundlage weiter besteht und für
die ungeheure Mehrzahl der Menschen immer wieder zu katastrophalen Folgen führt. Dafür
steht das Rhizom, das Wurzelwerk der Nelken, im Sinne ihrer wirklichen geschichtlichen
Grundlage.
Die hier kritisierte Vorstellung von Geschichte, verstanden als Resultat der Aktionen
bedeutender Männer, ist auch eine zutiefst patriarchale und sexistische. Und das trifft gerade
auf Portugal und seine Tradition des Machismo zu, der leider auch den proletarischen
Maulwurf geprägt hat, was ebenfalls in der Gegenüberstellung in der Überschrift der
Veranstaltungsreihe von: „DER Maulwurf und DIE Nelken“ zum Ausdruck gebracht werden
soll. Die Rolle der Frauen blieb meistens nur dekorativ, und die Vorstöße gegen ihre
Unterdrückung als Frauen wurden oft vom männlichen Teil der Arbeiter_innen
zurückgedrängt
In der heutigen Veranstaltung soll durch Lesungen von Auszügen aus verschiedenen Büchern
und Broschüren – alle geschrieben von Zeitzeug_innen und Teilnehmer_innen – ein erster
Eindruck über diese beiden Komplexe ermöglicht werden: also über die subversive Tätigkeit
des proletarischen Maulwurfs und über die Rückständigkeit in Bezug auf die barbarische
Herrschaft von Männern über Frauen.
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