Arbeitnehmerempfang der Stadt Freiburg am 29. Apr. 2015 Redebeitrag von Bernd Wagner für den DGB-Stadtverband Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst: Herzlichen Dank an die Stadt für die Möglichkeit, hier einige Gedanken mit Ihnen teilen zu können. Am 8. Mai vor 70 Jahren wurde Deutschland vom Faschismus befreit. Die Befreiung kam nicht von innen, sie wurde von außen erzwungen. Der Widerstand im Inneren war grausamst eliminiert worden. Zig-Tausende Christen, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Kommunisten wurden ermordet. Sie waren nicht die einzigen. 7 Mio. Juden wurden ermordet. Insgesamt mehr als 50 Millionen Menschen mussten im Krieg ihr Leben lassen. Die Hälfte davon aus der damaligen Sowjetunion. Die Losung „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ vereinigte vor 70 Jahren Menschen unterschiedlicher Weltanschauung. Wie für viele andere hat sie auch heute noch Gültigkeit für den DGB und seine Gewerkschaften! Und dennoch gibt wieder Kriegstote in Europa. „Der Konflikt um die Ukraine trägt in sich die bedrohliche Perspektive eines potentiell nuklearen NATOKrieges mit Russland“, warnte am 27. Feb. 2015 das Internetportal Deutsche Wirtschaftsnachrichten. War das übertrieben? NATO-Manöver fanden an Russlands Grenzen statt, gleichzeitig mit Manövern russischer Truppen auf ihrer Seite – Deeskalation sieht anders aus. Bei den Verhandlungen zur Wiedervereinigung war vereinbart worden, auf die NATO-Osterweiterung zu verzichten. Wäre es nicht besser, sich daran zu erinnern? 1 Wir fordern die Bundesregierung auch von hier aus auf, auf gar keinen Fall von ihrem bisherigen Nein zum Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine abzuweichen! In der Ukraine ist eine friedliche Lösung bei Respektierung der beteiligten Interessen möglich. Ich meine, auch dafür lohnt es sich an diesem 1. Mai einzutreten. Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen! Niemand von uns bleibt derzeit unberührt von den Tragödien, die sich an Europas Grenzen abspielen. Mehr als 1100 Tote innerhalb einer Woche – an welcher Grenze gab es jemals ein solches Ausmaß an Leid? Die meisten Menschen, die ihre Heimat verlassen, fliehen vor Krieg und seinen Auswirkungen. Sie fliehen vor militärischen Auseinandersetzungen, an deren Entstehen Mitgliedsstaaten der NATO beteiligt waren, ich nenne nur Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien. Keines dieser Länder wurde stabilisiert. Aber in diesen Ländern wurden zig-Tausende Zivilisten getötet, an den Kriegsfolgen starben und sterben Hunderttausende, derzeit sind Millionen auf der Flucht. Quält Sie nicht auch die Frage, ob der Hass, der Menschen in die barbarischen Milizen des sog. Islamischen Staates treibt, nicht auch durch die von den herrschenden Eliten des Westens initiierten Kriege erst geschürt wurde? Aber, ist oft zu hören, auch der deutsche Faschismus wurde durch Krieg besiegt. Das stimmt. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied: Der deutsche Faschismus hatte einen Weltkrieg begonnen. Keiner der eben genannten Staaten hatte das beabsichtigt oder hätte auch nur die Fähigkeiten dazu gehabt. Der DGB hatte stets ziviler Hilfe den Vorrang gegeben. Und heute fordert er unmissverständlich: Keine Waffen in Krisengebiete, nicht in 2 die Ukraine, nicht in das Pulverfass Naher Osten, auch nicht nach SaudiArabien! Wir brauchen Kriegsprävention statt Öl im Feuer! Und wir brauchen eine andere europäische Flüchtlingspolitik. Sie muss auf die friedliche Lösung lokaler Konflikte setzen, auf die Förderung menschenwürdiger Lebensbedingungen in den Heimatländern der Flüchtlinge. Das geht nicht von heute auf morgen. Daher muss es ein europäisches Ziel sein, legale Fluchtwege zu öffnen, um Menschen nicht dem nassen Tod auszuliefern. Wir begrüßen ausdrücklich die Entscheidung, in Freiburg eine zentrale Erstaufnahmestelle anzusiedeln, wie derzeit für die Polizeiakademie vorgesehen. Und es braucht zweifellos weitere dezentrale Unterkünfte. Für alle Unterkünfte muss an erster Stelle stehen: Wie wird mit den Menschen umgegangen? Welche Lebensbedingungen finden sie vor? Wird die besondere Situation traumatisierter Frauen und Kinder berücksichtigt? Welche Rolle könnte ein Flüchtlingsbeirat übernehmen? Zum Thema Flüchtlinge gehört auch die Abschiebepraxis. Himmelschreiende Fälle auch in Freiburg. Ich möchte von hier aus all den engagierten Bürgerinnen und Bürgern meine Hochachtung aussprechen, die sich mit hohem persönlichem Einsatz den ganz offensichtlich unmenschlichen Abschiebungen entgegenstellen. Und ich möchte die Stadt bitten, sich ebenfalls mit all ihren Möglichkeiten gegen diese Abschiebepraxis stark zu machen. Zwanzigtausend Freiburgerinnen und Freiburger haben auf einer Demonstration im Januar ihrer Ablehnung der ausländerfeindlichen PegidaIdeologie Nachdruck verliehen. Freiburg ist nicht fremdenfeindlich. Wir 3 brauchen eine „Willkommenskultur“, die diesen Namen auch verdient. Rassismus darf auch künftig in unserer Stadt keine Chance erhalten! Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegen den erbitterten Widerstand der Unternehmensverbände hat die Landesregierung am 11. März das Gesetz zur Bildungszeit beschlossen. Es wird am 1. Juli in Kraft treten. Der DGB und die Gewerkschaften werden sich an seiner Umsetzung mit eigenen Angeboten beteiligen! Auch der flächendeckende Mindestlohn gehört zu den Erfolgen der Gewerkschaften. 3,7 Mio. Beschäftigte werden davon profitieren. Den Unternehmen ist er ein Dorn im Auge. Ein „Bürokratiemonster“ sei geschaffen worden, wird dramatisiert. Wir halten dagegen: Das Mindestlohngesetz versucht Recht und Ordnung in einen Bereich zu bringen, in dem bislang Regeln missachtet wurden, und in dem offenbar Sozialversicherungsbetrug als ein Kavaliersdelikt gilt. Wir werden die Einhaltung des Gesetzes einfordern. Und: eine Anhebung des Mindestlohnes auf 10 € ist bereits heute nötig. Deshalb sagen wir: Mindestlohn – dran bleiben! Die in den ersten 4 Monaten dieses Jahres stattgefundenen Tarifkämpfe haben eines gemeinsam: Die Unternehmer machen deutlicher als in den Jahren zuvor klar: Die von ihnen über viele Jahre so als deutsches Erfolgsmodell gepriesene „Sozialpartnerschaft“ ist ihnen nicht mehr viel wert. Selbst in der Chemiebranche wurden von den Unternehmern Töne angeschlagen, die dort über zig-Jahre nicht zu hören waren. Die Gründung von Betriebsräten wird auch in Südbaden von einigen Firmen behindert. Das in den USA professionell betriebene Gewerkschafts-Mobbing ist nun auch hier angekommen. 4 Bei der Deutschen Post AG /DHL, zu 21% noch in Bundeshand, weht eisiger Wind: Unter Missachtung bestehender Vereinbarungen zieht Vorstandschef Appel die Ausgliederung von 20 Tausend Arbeitsplätzen in eine neu gegründete Delivery GmbH durch. Überwiegend befristet Beschäftigte werden vor die Wahl gestellt: Entweder Lohneinbußen akzeptieren oder Tschüss! Auf einer Betriebsrätekonferenz im November letzten Jahres hatte Appel angekündigt, den Jahresgewinn der Post bis 2020 auf 5 Mrd. zu steigern. Die Anleger wollen das so, ließ er sich entlocken. Die Post/DHL ist heute schon das weltgrößte Logistikunternehmen. Wir fordern auch von hier die Bundesregierung als Großaktionär auf, die Postler zu unterstützen und wir wünschen den Kolleginnen und Kollegen Mut und Ausdauer, für ihre Arbeitsplätze, angemessenen Lohn und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Das bringt mich gleich zum nächsten Tarifkonflikt. Derzeit kämpfen die Erzieherinnen und Erzieher um eine höhere Bewertung ihrer Arbeit. Auch in Freiburg gab es – ebenso wie bei der Post – Warnstreiks. Um was geht es? Kinder sind die Zukunft unseres Landes – wer kennt das nicht aus Sonntagsreden vieler Politiker. Und sie haben recht. Die Qualität der Erziehung unserer Kinder und die Förderung der Entwicklung ihrer Persönlichkeit sind entscheidend. Entscheidend für ihre Fähigkeiten, eine glückliche Zukunft für sich zu gestalten. Und ebenso entscheidend für die Gesellschaft, an deren Gestaltung sie so oder so beteiligt sein werden. Das gibt es nicht zu Dumpingpreisen. Unsere Erzieherinnen und Erzieher durchlaufen eine anspruchsvolle Ausbildung – die sie auch brauchen! Ihre Verantwortung ist vergleichbar mit der von Lehrpersonal an den Schulen. Es 5 ist nicht einzusehen, dass sie nicht auch entsprechend verdienen sollen. Wie bezahlen? Dazu hier nur so viel: Geld genug ist allemal da – Umfairteilen ist der Schlüssel dazu. Herr Oberbürgermeister, Sie sind Verhandlungsführer, fordern Sie es zusammen mit uns ein! Und ich möchte hinzufügen: Fordern wir Umfairteilen solange wir es können! Denn werden die Freihandelsabkommen TTIP und CETA erst rechtskräftig, wie derzeit verhandelt bzw. wie bei CETA bereits von der EU Kommission beschlossen, dann wird Umfairteilen nicht mehr möglich sein. Denn dann sichert der sog. Investitionsschutz die Profite vor dem Gemeinwohl derer, die diese Profite erarbeiten. Wir begrüßen, dass sich der Gemeinderat der Stellungnahme des Deutschen Städtetages zu TTIP angeschlossen hat. Der Städtetag hatte die Bedrohung der kommunalen Entscheidungsfreiheit durch das Freihandelsabkommen thematisiert. Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Finanz- und Eurokrise hat in der Wahrnehmung der meisten Deutschen unser Land bisher weitgehend verschont. Der Grund liegt darin, dass bisher mit relativ niedrigen Löhnen bei extrem hoher Produktivität ein RekordAußenhandelsüberschuss nach dem anderen eingefahren werden konnte. Ganze Industriebereiche, besonders in den südeuropäischen Ländern, wurden durch unsere Exportwalze platt gemacht. Aber jeder Überschuss eines Landes ist notwendiger Weise die Schuldenlast eines anderen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Wenn dann im Krisenland die Kaufkraft zusammenbricht, wird das Auswirkungen auf uns haben. Branchen, die vorher profitabel waren, sind es plötzlich nicht mehr. Der sich ausbreitende Niedriglohnsektor in Deutschland verschärft das Problem der mangelnden Binnennachfrage. 6 In unserer Region sind derzeit mehrere Unternehmen ins Schleudern geraten. Der Bogen reicht vom Autozulieferer Johnson Controls in Neuenburg über zwei große Autohäuser in Freiburg, die Solarfabrik, bis hin zur Tumorbiologie. Die bereits erwähnte Umstrukturierung der Post bedroht auch die Paketauslieferung in Freiburg. Hunderte Arbeitsplätze stehen in der Region zur Disposition. Unsere Solidarität und Unterstützung gilt den betroffenen Kolleginnen und Kollegen! Ich kann hier unmöglich Einzelfalllösungen vorlegen. Aber ich kann Zusammenhänge andeuten. Die gelten hier und sie gelten zwischen den Staaten. Die prekäre Situation des griechischen Staates und der Masse seiner Bewohner hat natürlich etwas mit der Steuerhinterziehung und Kapitalflucht der dortigen Milliardäre und mit der Korrumpierbarkeit früherer Regierungen zu tun. Aber sie hat auch mit dem deutschen Außenhandelsüberschuss zu tun und mit der von der Bundesregierung durchgesetzten Politik der Rettung der Banken statt der Menschen. In einem Aufruf des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann und anderer führender Gewerkschafter unseres Landes wird die Troika-Politik als gescheitert erklärt. Ich möchte mich diesem Aufruf anschließen und auch hier zur Solidarität mit der griechischen Bevölkerung aufrufen. Die EURegierungen müssen zusammen mit Griechenland Auswege finden. Das griechische Volk braucht wieder Mindeststandards, die ein Leben in Würde ermöglichen. Dazu müssen in erster Linie die zur Kasse gebeten werden, die mit Spekulationen die Krise ausgelöst haben und die bis einschließlich heute zu ihren Gewinnern zählen. Und so nebenbei – Hilfe für Griechenland wird auch dazu beitragen, Arbeitsplätze bei uns zu sichern prekäre Beschäftigung zu vermindern. 7 Verehrte Anwesende, liebe Kolleginnen und Kollegen, Zurück nach Freiburg. Im neuen DGB-Haus neben dem Uni-Rektorat am Fahnenbergplatz wurde vor Kurzem Richtfest gefeiert. Noch in diesem Jahr soll eingezogen werden. Wir freuen uns. Nicht ganz so schnell geht es mit dem neuen Rathaus, aber auch dort gibt es Fortschritte. Es gibt auch noch offene Fragen. Z.B., wie die Verkehrswege in den Großraumbüros so geführt werden können, dass die nicht betroffenen Beschäftigten durch Publikumsverkehr möglichst wenig gestört werden. Auch die Verwaltung ist sicher daran interessiert, die auf Schreibtischen zugänglichen Unterlagen vor unbefugter Einsicht zu schützen. Dies nur ein Beispiel. Personalrat und Stadt werden sicher einvernehmliche Regelungen finden. Schwieriger wird es vermutlich beim Stellenplan. Zwar hat die Stadt frühere Kürzungen weitgehend wieder korrigiert. Dennoch fehlen immer noch Stellen. Freiburg hat heute 40.000 Einwohner mehr, auch die wollen betreut werden, besonders im Bürgerservice. Darüber muss noch verhandelt werden. Ebenso über zusätzliche Schonarbeitsplätze. Die seien dringend nötig, wegen des höheren Rentenalters, und auch wegen Krankheit durch zunehmende Belastung der Beschäftigten, meint der Personalrat. Wir wünschen ihm Erfolg bei seinen Verhandlungen! Mieten sind - nicht nur in Freiburg, aber besonders in Freiburg – nach wie vor ein Problem mit steigender Brisanz. Wir begrüßen daher die Planung eines neuen Wohngebietes im Dietenbachgelände. Wir meinen, dort sollten vorrangig Mietwohnungen entstehen. Und damit die bezahlbar bleiben, sollten Bauträger, die dem Sozialgedanken verpflichtet sind, absoluten Vorrang 8 haben, nämlich die FSB, Baugenossenschaften, das Mietshäusersyndikat oder ähnliche Organisationen. Das Land Salzburg hat ein Modell des sozialen Wohnungsbaus entwickelt, das von der EU ausgezeichnet wurde, weil es dauerhaft niedrige Mieten ermöglicht. Der ehemalige Salzburger Landesrat Blachfellner hat das Modell bei einer Diskussionsveranstaltung des DGB-Stadtverbandes im Rieselfeld im letzten Dezember vorgestellt. Könnte das Projekt Dietenbach nicht einen solchen Modellcharakter für Freiburg erhalten? Neue Wohngebiete brauchen Zeit. Der Mietenanstieg in Freiburg macht aber keine Pause. Der DGB-Stadtverband unterstützt daher die Forderung des FSB-Mieterbeirates, einen alten Gemeinderatsbeschluss aufzuheben, in dem die FSB zur Angleichung ihrer Mieten an den Mietspiegel verpflichtet wird. Auch wenn die FSB richtiger Weise nicht immer alle rechtlich möglichen Spielräume ausschöpft – jede Mieterhöhung trägt zur Erhöhung des nächsten Mietspiegels bei. Ein zeitlich begrenzter Mietstopp der FSB hätte darüber hinaus auch eine Beispiel-Wirkung für Freiburg, wo beileibe nicht alle Vermieter nur nach Maximalprofiten schielen. Zum neuen Doppelhaushalt hat der OB schon einiges gesagt. Ich möchte hier nur zwei Punkte herausgreifen. Wir bedauern, dass sich Freiburg nicht eingereiht hat in die Reihe der Städte in Baden-Württemberg, die bereits ein Sozialticket haben. Das Sozialticket bleibt somit auf der Tagesordnung. Und wir begrüßen, dass mit dem Projekt Staudinger Gesamtschule die dringend nötige Sanierung der Freiburger Schulen fortgesetzt wird. Und damit möchte ich schließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 9